rules and games – a philosophical analysis of traditional games
TRANSCRIPT
UNIVERSITÄT LEIPZIG
Fakultät für
Sozialwissenschaften und
Philosophie
Masterarbeit
Spiele und ihre Regeln
Vorgelegt von
Kelvin Autenrieth
Student im
Masterstudiengang Logik
Matrikelnummer 1741046
Erster Gutachter: Dr. Peter Steinacker
Zweiter Gutachter: Prof. Dr. Ingolf Max
Zusammenfassung
Diese Arbeit untersucht die Rolle von Regeln in Spielen. Im Fokus steht
hierbei das klassische Spiel, das unter Bezugnahme von operationalen und
strukturierenden Regeln analysiert wird. Dabei werden insbesondere zwei
wesentliche Merkmale herausgearbeitet, die durch Regeln gewährleistet
werden: Fairness und Spielspaß. Während Fairness ein größtenteils objektiv
fassbares Kriterium darstellt, ist der Spielspaß hingegen subjektiv. Dieser
kann als spielerische Qualität betrachtet werden, die nicht zwingend mit
der Fairness in Einklang stehen muss. Spielspaß wird mit Hilfe zweier
Konzepte präzisiert: Spannung und Flow. Es zeigt sich, dass deren
Gewährleistung immer ein Problem der Ausbalancierung darstellt.
Balance – wie in dieser Arbeit ausdifferenziert – ist damit das
entscheidende Moment für die Qualität eines jeden Spiels.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ............................................................................................................... 1
Teil Eins: Spiel und Regel .................................................................. 6
1 Schwierigkeiten des Spielbegriffs ............................................................... 6
2 Der Spielbegriff, eine historische Annäherung ........................................ 8
2.1 Huizinga .................................................................................................. 8
2.2 Caillois ................................................................................................... 11
2.3 Suits ........................................................................................................ 17
3 Conclusio bis dato ....................................................................................... 19
4 Eine systemische Sichtweise ...................................................................... 20
5 Transmedialität von Spielen ...................................................................... 21
6 Spielsimulationen und Regelexekution ................................................... 25
7 Das klassische Spiel .................................................................................... 27
7.1 Ludus ..................................................................................................... 28
7.2 Regelexplizitheit ................................................................................... 28
7.3 Rundenbasiertheit ................................................................................ 32
8 Der Regelbegriff, eine philosophische Annäherung .............................. 35
8.1 Regelanalyse .......................................................................................... 37
8.2 Ein syntaktischer Blick ......................................................................... 37
8.3 Ein semantischer Blick ......................................................................... 39
9 Regeln und Spiele ....................................................................................... 41
Teil Zwei: Spielregeln ...................................................................... 44
10 Operationale Regeln ................................................................................... 44
10.1 Regelausnahmen und Regelpräzisierungen ................................. 45
10.2 Die Notwendigkeit von Ausnahmen ............................................. 48
10.3 Aktionszwang, No‐Ops und Zugzwang ....................................... 50
11 Strukturregeln ............................................................................................. 53
12 Die Elemente des Spiels ............................................................................. 54
12.1 Spielraum ........................................................................................... 55
12.1.1 Raum als Abstraktum ................................................................... 56
12.1.2 Dimensionen des Raums ............................................................. 57
12.1.3 Raumreduktion ............................................................................. 58
12.1.4 Raum und Regelrelevanz ............................................................. 60
12.2 Objekte ............................................................................................... 62
12.2.1 Objekte als Spielraumkodierungen ............................................ 62
12.2.2 Information .................................................................................... 64
12.2.3 Direkte und indirekte Information ............................................. 66
12.3 Konfigurationen ................................................................................ 67
12.3.1 Anfangskonfiguration .................................................................. 68
12.3.2 Endkonfigurationen ...................................................................... 69
13 Gute Regel – schlechte Regel ..................................................................... 74
Teil Drei: Balance .............................................................................. 76
14 Balance in Spielen – Ein Überblick ........................................................... 77
15 Prinzip [1]: Fairness .................................................................................... 79
15.1 Balance durch Symmetrie ................................................................ 79
15.1.1 Lösungsansätze des Anzugsvorteils .......................................... 80
15.1.2 Perfekte Symmetrie – eine Illusion ............................................. 82
15.2 Balance und Asymmetrie ................................................................ 86
15.2.1 Balance durch Rotationssymmetrie ............................................ 89
15.2.2 Ein kultur‐historisches Beispiel .................................................. 94
16 Exkurs: Richtlinien des Spielens ............................................................... 96
16.1 Strategien ........................................................................................... 96
16.2 Heuristiken ........................................................................................ 97
16.3 dominante Strategien und Entscheidungen ................................. 99
17 Prinzip [2]: Ausgewogenheit ................................................................... 102
17.1 Schlechte Entscheidungssituationen ............................................ 102
17.2 Gute Entscheidungssituationen .................................................... 103
18 Prinzip [3]: Vielfalt .................................................................................... 107
19 Prinzip [4]: Spannung ............................................................................... 109
19.1 Endgültigkeit und Drama ............................................................. 110
19.2 Konflikt und Spannung ................................................................. 111
19.3 Bestandteile der dramatischen Spannung .................................. 113
19.3.1 Unsicherheit ................................................................................. 114
19.3.2 Unvermeidbarkeit ....................................................................... 116
20 Prinzip [5]: Herausforderung .................................................................. 118
20.1 Spieltiefe und Klarheit ................................................................... 118
20.2 Dominanz und Klarheit – Unterforderung ................................. 121
20.3 Unbedeutsamkeit und Spieltiefe – Überforderung .................. 122
20.4 Zwischen Angst und Langeweile – Der Flow‐Effekt ................ 122
21 Classics Revisited ...................................................................................... 126
22 Ist Balance alles? ........................................................................................ 130
Desiderata .......................................................................................................... 132
Literaturverzeichnis .......................................................................................... 139
Abbildungsverzeichnis .................................................................................... 144
1
Einleitung
If the only tool you have is a hammer, you tend
to see every problem as a nail. – Abraham
Maslow
Spiele und Regeln bilden ein merkwürdiges Duo. Zwar treten sie oft im
Gespann auf, doch mutet ihre Beziehung zunächst eigenartig an: So wohnt
Spielen im Tiefsten ein rekreationales Moment inne: Ob man es Spaß,
Spannung oder Freude nennt – es sind Konzepte, die dem Charakter von
Regeln entgegen zustehen scheinen. Denn Regeln, so wohl die gängige
Intuition, sind umvermeidbar notwendige Mittel zum gemeinschaftlichen
und gesellschaftlichen Miteinander. Sie dienen zumeist einem höheren
Zweck und sind den eigenen Wünschen entgegen gerichtet. Wann muss
man schon lange schlafen, gut Essen oder viel trinken? Und wann
hingegen darf man die Steuererklärung ausfüllen, die Schwiegereltern
besuchen oder sich eine Spritze geben lassen?
Was genau eine Spielregel ist, das kann nicht mit einem prägnanten
Satz oder gar einer Definition eingefangen werden. In zu vielen Formen
treten sie auf, zu viele Funktionen und Charakteristika besitzen sie. Denn
einer Sache kann man sich sicher sein: Die Spielregel gibt es nicht.
Vielmehr existiert eine ganze Armada verschiedener Regeln, welche eben
in unterschiedlicher Form anzutreffen sind und mit allerlei Funktionen
und Charakteristika aufwarten. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sollen
Spielregeln dahingehend untersucht werden.
2
Als konzeptueller Rahmen zur Untersuchung von Spielen dient
dabei die von Salen und Zimmerman vorgeschlagene Differenzierung:1
„RULES is a formal primacy schema, and focuses on the intrinsic
mathematical structures of games.
PLAY is an experiental primary schema, and emphasizes the player´s
interaction with the game and other players.
CULTURE is a contextual primary schema, and highlights the cultural
contexts into which any game is embedded.” (Salen & Zimmerman 2004,
102)
Diese Unterscheidung ist für die vorliegende Arbeit essentiell, da sie die
Methodik vorgibt und damit auch die Grundannahmen und Theorien der
nachfolgenden Überlegungen.
Im Fokus der vorliegenden Betrachtung liegt der „innere Kern“ von
Spielen, also ihr formaler Rahmen. Dennoch wird in einigen Abschnitten
auf Argumente zurückgegriffen, die darüber hinausgehen. Dies ist jedoch
1 Der Tatsache geschuldet, dass gefühlte 99 Prozent der hier gebrauchten Literatur in
englischer Sprache verfasst sind, gestaltet sich eine adäquate Übersetzung vieler
Begriffe schwierig. Im Sinne des Gedankens „Funktion vor Form“ wird auf eine
Übersetzung verzichtet, sollte sie die ursprüngliche Wortbedeutung nicht präzise
transportieren können. Es obliegt daher dem Leser, die Begriffe durch den Kontext
entsprechend zu interpretieren.
Abbildung 1: Drei Ebenen der Analyse von Spielen
3
keine ungewollte Begleiterscheinung. Ganz im Gegenteil, denn es
unterstreicht die enge Verwobenheit zwischen diesen drei Ebenen und
stärkt die These, dass es einer umfassenden Untersuchung bedarf, möchte
man das Phänomen Spiel verstehen. Analytische Trennungen sind
möglich, aber nicht zwingend sinnvoll. In einer formalen Betrachtung
etwa können strukturelle Muster sowie Strategien untersucht werden.
Doch bleibt hier unklar, wie es um qualitative Merkmale beschaffen ist,
also was ein schlechtes Spiel von einem guten Spiel unterscheidet.
Empirische Analysen beschäftigen sich primär mit der Spielmotivation
und damit auch indirekt mit der Frage, welche Spiele Spaß machen. Hier
wird jedoch selten Wert auf die Erkenntnis gelegt, was die internen
Strukturen der Spiele sind, also welche Formalia konkret ein gutes Spiel
aufweist.
Daher wird hier ein tendenziell multidisziplinärer Ansatz gewählt,
um das Verhältnis von formalen und qualitativen Kriterien analysieren zu
können. Spiele in all ihren Facetten lassen sich hervorragend formal
analysieren, doch zur Begründung von Regeln und Regelprinzipien
bedarf es einiger Argumente, welche den Spieler als agierendes Subjekt in
die Untersuchung miteinbeziehen. Ziel dieser Arbeit ist es, Spielregeln
durch Deskription fassbar zu machen und sie anschließend unter
Bezugnahme auf das Subjekt, dem Spieler, auf ihr Wesen hin zu
ergründen. Im Fokus dabei steht, was ein gutes Spiel von einem
schlechten unterscheidet. Die Arbeit verzichtet dabei bewusst auf das
Beantworten einer spezifischen Forschungsfrage. Da das hier behandelte
Thema weitgehend unerforscht ist, scheint es sinnvoll sich auf
explorativem Weg durch den Dschungel der Forschung zu bewegen.
Dabei wird sich erst dem Untersuchungsgegenstand angenähert. Dann
wird dieser genauer betrachtet. Die sich dabei herauskristallisierenden
Merkmale werden anschließend genauer analysiert.
4
Die Arbeit besteht aus drei Teilen. Teil eins geht der Frage nach,
was überhaupt Spiele und Regeln sind. Um die enorme Ambiguität des
Spielbegriffes soweit einzugrenzen, dass er verwendbar ist, wird er
zunächst mit Hilfe gängiger Literatur präzisiert. Hier gibt sich rasch der
Nutzen von Regeln in Spielen zu erkennen. Eine zweite Eingrenzung
geschieht durch eine weitere Kategorisierung mittels spezifischer
Eigenschaften. Mit Hilfe dieser wird der Begriff des „klassischen Spiels“
gewonnen, der den konkreten Untersuchungsgegenstand darstellt. Denn
im Fokus der vorliegenden Betrachtung liegen traditionelle Spiele wie
Schach, Skat oder Backgammon, aber auch moderne wie die Siedler von
Catan und Monopoly. Diese Spiele werden im Allgemeinen als Brett‐,
Karten‐ oder Gesellschaftsspiele bezeichnet. Aus Sicht des Autors sind
diese Bezeichnungen jedoch nicht adäquat, so dass es der Erarbeitung
eines Kriterienkatalog zur präzisen Abgrenzung bedarf. Da der
Regelbegriff ebenfalls inhaltlich sehr diffus ist, wird auch dieser kurz
untersucht und zu Spielen in Bezug gesetzt. Als Ergebnis ergibt sich ein
Regelverständnis, das auf den erarbeiteten Spielbegriff angewendet
werden kann.
Teil zwei geht der Frage nach, wie Spielregeln beschaffen sind.
Dabei werden exemplarisch Spielregeln untersucht, die dem zuvor
gewonnenen allgemeinen Regelbegriff entsprechen und auch mit dem
gängigen Verständnis übereinstimmen. Diese werden hier als operationale
Regeln bezeichnet. Unter Rückgriff auf Literatur unterschiedlichster
Gattungen wird jedoch ersichtlich, dass der allgemeinen Auffassung nach
eine zweite Regelsorte von großer Bedeutung ist: Strukturregeln haftet die
fundamentale Eigenschaft an, dass sie zusammen mit den operationalen
Regeln hinreichend sind, um ein Spiel abstrakt‐minimalistisch, aber
dennoch ausreichend vollständig beschreiben zu können. Daher kann
dieser Teil auch als Spielmodellierung gedeutet werden. Die Frage nach
5
dem Wesen der Regeln führt hierbei unweigerlich zu der Frage nach dem
Wesen des Spiels.
Teil drei geht der Frage nach, warum Spielregeln so beschaffen
sind, wie sie es sind. Wie sollten einzelne Regeln oder auch ganze
Regelwerke beschaffen sein? Im zweiten Teil werden viele Regeln damit
begründet, dem Spielspaß oder der Fairness zuträglich zu sein. Die
grundlegende Schwierigkeit dafür besteht dabei, dass Fairness (als
formales Merkmal) und Spaß (als qualitatives Merkmal) immer zwischen
Extremen verortet werden können. Daher ist es eine Balance, so die
zentrale These, die aus irgendeinem Spiel erst ein gutes Spiel macht. Hier
ergibt sich zu erkennen, dass Spiele nur unter sehr starken
Voraussetzungen wirklich fair sein können. Diese stehen sogar im
Widerspruch zum konkreten Untersuchungsgegenstand. Denn genau
genommen können klassische Spiele nicht absolut fair sein, da
Handlungen immer nur sequentiell ausgeführt werden und somit immer
ein Spieler über den Vor‐ oder Nachteil des ersten Zuges verfügt.
Spielspaß hängt dieser Untersuchung nach wesentlich von zwei
Faktoren ab: Spannung und Flow. Beides sind Qualitäten, die sich ebenfalls
in einem Balanceakt befinden. Mit Hilfe verschiedener Theorien lässt sich
präzisieren, was genau unter diesen Merkmalen zu verstehen ist und
welche formale Basis ein Spiel besitzen muss, damit es diese Qualitäten
aufweisen kann. Zudem geben sich zwei weitere Qualitäten zu erkennen:
strategische Vielfalt und sowie Ausgewogenheit.
Abschließend wird mit den neu erarbeiteten Konzepten, Spannung
und Flow, ein zweiter Blick auf das eingangs vorgestellte Verständnis des
Spiels geworfen.
6
Teil Eins: Spiel und Regel
1 Schwierigkeiten des Spielbegriffs
Wenige Begriffe sind semantisch derart diffus wie der des Spiels. Obgleich
das Spiel als etwas vollkommen Natürliches und Selbstverständliches
erscheint, so ist doch seine Wortbedeutung mannigfaltig. Im deutschen
Sprachgebrauch finden sich Unmengen unterschiedlicher Verwendungen:
Ein böses Spiel mit jemandem spielen, alles aufs Spiel setzen, die Finger
im Spiel haben, ein abgekartetes Spiel spielen, gute Miene zum bösen Spiel
machen, etwas ins Spiel bringen, mit dem Feuer spielen, mit offenen
Karten spielen, ein falsches Spiel treiben. Eine präzise Bedeutung und eine
genaue Verwendungsweise auszumachen ist damit alles andere als trivial:
„Je vielfältiger der Gebrauch, desto schwieriger, eine Grundbedeutung
auszumachen. Eindrucksvoll wird dies im Grimmschen Wörterbuch
vorgeführt. Für das Substantiv „Spiel“ verzeichnet es unter 23
Bedeutungsvarianten insgesamt 132, für das Verb „spielen“ unter 22
Varianten insgesamt 215 verschiedene Verwendungsmöglichkeiten.
Ergebnislos bleibt der Versuch, aus den jeweils gut zwanzig Definitionen
etwas Konstantes zu abstrahieren. Als treibe der Wortgebrauch selbst mit
dem Lexikographen sein Spiel, zwingt er ihn, die anfangs gewählte
Definition (nicht zweckgerichtete, lebhafte Tätigkeit/Bewegung) immer
wieder zu widerrufen und neu anzusetzen.“ (Matuschek 1998, 3f)
Bei dieser semantischen Reichhaltigkeit ist es auch nicht weiter
verwunderlich, dass in wissenschaftlichen Kontexten alles andere als
Einigkeit darüber herrscht, was genau ein Spiel ist:
„The world of games is so varied and complex that there are numerous
ways of studying it. Psychology, sociology, anecdotage, pedagogy, and
7
mathematics so divide its domain that the unity of the subject is no longer
perceptible.“ (Caillois 2001, 161)
Daraus resultiert ebenfalls die Schwierigkeit, von der Theorie des Spiels zu
reden:
„Wenn man von der „Theorie des Spiels“ spricht, so ist mit dem Singular
eher eine Hoffnung als eine schon vorzufindende Wirklichkeit benannt.“
(Hans Scheuerl 1975, 12)
Besonders deutlich wird dies beispielsweise, wird das Begriffsverständnis
der Psychologie dem der Spieltheorie gegenüber gestellt. Erstere
beschäftigt sich insbesondere mit den Entwicklungsmerkmalen im
Kindesalter, vom wilden Herumtoben über Sozialisation im Spiel bis hin
zum Regellernen. Letzte ist primär mathematisch orientiert und blendet
gar sämtliche psychogenetischen Merkmale zugunsten einer rationalen
Modellierung von Konfliktsituationen aus. Erwartungsgemäß sind
Überschneidungen marginal, obgleich sie sich offenkundig auf eine
gemeinsame latente Grundidee beziehen.
Dazu gesellen sich Eigenheiten der verschiedenen natürlichen
Sprachen, was die begrifflichen Distinktionen betrifft. Während es im
Deutschen, Französischen oder auch Spanischen lediglich ein
entsprechendes Wort gibt (Spiel, jeux, juego), stehen einem Sprecher im
Englischen hingegen mit play und game schon zwei Begriffe zur
Verfügung, die tendenziell Unterschiedliches bezeichnen. Die
skandinavischen Sprachen besitzen gar vier Wörter:
„Scandinavian languages have a stronger distinction with leg = play and
spil = game with verbs for both‐you can play play („lege en leg”) and game
game („spille en spil“), so to speak. When writing about games in Danish,
it is therefore not self‐evident that games are a subset of play. Whereas
while writing about Spiel in German, it is not obvious that one should
distinguish between games and play from the outset.“ (Juul 2005, 39)
8
Was ist es also in dem hier gebrauchten Verständnis, was ein Spiel zum
Spiel macht?
2 Der Spielbegriff, eine historische Annäherung
Im Folgenden werden die Sichtweisen dreier Personen dargestellt, die zu
den traditionellen Spieleforschern gezählt werden können und mit ihren
Werken zu den wohl am Häufigsten zitierten Wissenschaftlern gehören:
Johan Huizinga, Roger Caillois und Bernard Suits.
2.1 Huizinga
Huizinga, seines Zeichens Kulturantrophologe und Historiker, wird zu
den ersten Wissenschaftlern gezählt, die als Ludologen,
Spielwissenschaftler, bezeichnet werden können. Im Kontrast zu seinen
Zeitgenossen sah er neben der Problematik sprachlicher
Unzulänglichkeiten auch die Notwendigkeit, das Spiel als Phänomen
holistisch zu betrachten und nicht als Teilbereich einer bestimmten
Disziplin.
In seinem Werk Homo Ludens, ein Meilenstein der Ludologie,
definiert er den Begriff in ganz allgemeiner Weise:
„Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb
gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig
angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr
Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung
und Freude und einem Bewusstsein des Anderssein als das gewöhnliche
Leben.“ (Huizinga 2006, 37)
9
Hier lassen sich einige wichtige Merkmale identifizieren:
Freiwillig: Die Teilnehme an einem Spiel geschieht aus einer freien
Entscheidung heraus. Erzwungenes Spiel ist kein Spiel mehr. Bereits
hier wird die Subjektivität dieser Tätigkeit sichtbar, denn es ist objektiv
nur schwer feststellbar, ob eine Person aus freien Stücken spielt oder
dazu, in welcher Art und Weise auch immer, gezwungen wird.
Zweckfrei: Das Gleiche gilt für die dem Spiel zu Grunde liegende
Zweckfreiheit. Verfolgt man mit dieser Tätigkeit einen bestimmten
Zweck, so wird sie funktional und ist damit nicht mehr selbstgerichtet
und intrinsisch.
Abgrenzung vom gewöhnlichen Leben: Das Anderssein bringt den
simulativen Charakter des Spiels zum Ausdruck. So tun als ob oder was
wäre, wenn. Dadurch wird das Spiel vom richtigen Leben abgegrenzt.
Insbesondere ist zwar das Kinderspiel dadurch bestimmt, doch ist
Fiktion keinesfalls darauf beschränkt. Man denke nur an die Schlacht
der Könige im Schachspiel oder die Narration im Theaterspiel.
Essenziell für die Abgrenzung zum realen Leben ist eine Grenzziehung,
welche den magischen Kreis bildet, den man im Spiel betritt:
„Jedes Spiel bewegt sich innerhalb seines Spielraums, seines Spielplatzes,
der materiell oder nur ideell, absichtlich oder wie selbstverständlich im
Voraus abgesteckt worden ist. Wie der Form nach kein Unterschied
zwischen einem Spiel und einer geweihten Handlung besteht, d. h. wie
die heilige Handlung sich in denselben Formen wie ein Spiel bewegt, so
ist auch der geweihte Platz formell nicht von einem Spielplatz zu
unterscheiden. Die Arena, der Spieltisch, der Zauberkreis, der Tempel, die
Bühne, die Filmleinwand, der Gerichtshof, sie sind allesamt der Form und
der Funktion nach Spielplätze, d. h. geweihter Boden, abgesondertes,
umzäuntes, geheiligtes Gebiet, in dem besondere Regeln gelten. Sie sind
10
zeitweilige Welten innerhalb der gewöhnlichen Welt, die zur Ausführung
einer in sich abgeschlossenen Handlung dienen.“ (Huizinga 2006, 18f)
Huizinga sieht den Ursprung menschlicher Kultur in Mythus und Kult,
welchen er ein zu tiefst spielerisches Wesen zuschreibt. Ob Wettkampf,
Kartenspiel, Ritual, religiöse Handlung, Schauspiel, Spielfilm oder
juristische Diskussion: Wer den magischen Kreis betritt, der hat sich nach
besonderen Regeln zu richten. Innerhalb dieses Kreises gelten ganz
bestimmte Regeln, welche in der realen Welt keinerlei Gültigkeit besitzen.2
Ein Spiel zu spielen heißt, sich seinen und nur seinen Regeln zu
unterwerfen. Bei den hier betrachteten Spielen entsteht dadurch das
konstitutive Merkmal der Gleichheit. Da Regeln bezüglich ihrer Adressaten
universal ausgelegt sind, also nicht für bestimmte Individuen einer
Gruppe gelten und für andere nicht, macht das Spiel die Menschen gleich.
Diesem Egalitätsprinzip nach müssen Spiele also auch immer eine
konstitutive Fairness besitzen, d. h. es darf zu Beginn des Spiels kein
Teilnehmer bevorteilt sein, was zumeist durch identische Spielregeln
gewährleistet wird.
Mit Blick auf das hier gebrauchte Verständnis des Spiels erhalten
weiterhin auch seine Elemente erst innerhalb dieser Grenzen ihre volle
Bedeutung. Costikyan spricht hierbei von einem endogenen Prinzip:
„A game’s structure creates its own meanings. The meaning grows out of
the structure; it is caused by the structure; it is endogenous to the
structure.“ (Costikyan 1994)
So besitzt ein 100 Dollar Geldschein des Spiels Monopoly in der realen
Welt keinerlei Bedeutung. Er unterliegt keinerlei
2 Anderseits besitzen auch viele lebensweltliche Regeln im Spiel keinerlei
Geltungsanspruch. Da dies jedoch insbesondere auf moralische Kriterien abzielt, ist es
nur schwer zu verallgemeinern welche Verbote im Spiel fallen. Schon die Frage, ob
man Kindern gegenüber nachsichtig sein sollte, sie etwa einen schlechten Zug
zurücknehmen lassen sollte, ist alles andere als trivial.
11
Wertumwandlungsregeln. Im Spiel hingegen besitzt der Schein eine
Bedeutung, da er den Regeln des Spiels unterliegt:
„In Monopoly, the gaily colored little bills that come with the game are
the determinant of success or failure. Monopoly money has meaning
endogenous to the game of Monopoly – meaning that is vitally important
to its players, so much so that you have to watch your little sister like a
hawk to make sure she doesn’t swipe bills from the bank when you aren’t
looking.“ (ibid.)
Dies gilt ebenso in umgekehrter Form. Denn auch der reale Geldschein
besitzt nur in seiner spezifischen Domäne, der Warenwelt, seine
Bedeutung. Zwar wäre kaum ein Spieler abgeneigt, als Zahlung im Spiel
einen realen Geldschein anzunehmen, doch bedeutet dies ein Sakrileg, da
die Grenze zwischen Welt und Spiel eingerissen wird. Dadurch droht die
Ordnung des Spiels zerstört zu werden, welche eben aus der präzisen
Abgrenzung zur Lebenswelt entsteht und bestehen bleibt. Und den
Spielregeln kommt die Aufgabe zu, genau dafür Sorge zu tragen, dass die
Ordnung des Spiels bestehen bleibt. Sie ziehen auch die Grenze zwischen
Spiel und Leben.
2.2 Caillois
Oft wird der Soziologe und Philosoph Caillois in einem Atemzug mit
Huizinga genannt. Zum einen liegt dies darin begründet, dass er durch
sein Werk Man, Play and Games (Les jeux et les hommes) direkt an Huizingas
vorige Ausführungen anknüpft. Zum anderen gehört er ebenso zu den
Urvätern der Spielwissenschaften und seine Überlegungen haben auch
heute kaum etwas von ihrer Relevanz verloren. Neben seinem Entwurf
12
einer Definition ist insbesondere auch sein Versuch einer möglichst
präzisen Klassifikation von Spielen wertvoll.
Nach Caillois sind es sechs wesentliche Eigenschaften, die ein Spiel
ausmachen:
„Free: in which playing is not obligatory; if it were, it would at once lose
its attractive and joyous quality at diversion;
Separate: circumscribed within limits of space and time, defined and fixed
in advance;
Uncertain: the course of which cannot be determined, nor the result
attained beforehand, and some latitude for innovations being left to the
player’s initiative;
Unproductive: creating neither goods, nor wealth, nor new elements of any
kind; and, except for the exchange of property among the players, ending
in a situation identical to that prevailing at the beginning of the game;
Make‐believe: accompanied by a special awareness of a second reality or of
a free unreality, as against real life;
Governed by rules: under conventions that suspend ordinary laws, and for
the moment establish new legislation, which alone counts;” (Caillois 2001,
9f)
Freiheit bezieht sich wie schon bei Huizinga auf die Unmöglichkeit des er‐
und gezwungenen Spiels. Separiertheit deutet die Abgrenzung zum
gewöhnlichen Leben an. Unsicherheit kommt als wichtiges neues Element
hinzu. Vielmehr ist es eine Präzisierung dessen, was Huizinga als
Spannung bezeichnet. Unsicherheit als Spieleigenschaft kann in vielerlei
Form in Spielen auftreten. Vom gängigen Würfel über verdeckte Karten
bis hin zur Unberechenbarkeit des Kontrahenten. Aus der Summe solcher
13
einzelner Ereignisse entsteht auch die Unsicherheit des Ausgangs einer
Spielpartie. Zudem müssen dem Spieler bestimmte Freiheiten zur
Verfügung stehen. Darunter sind im Wesentlichen
Entscheidungsfreiräume zu verstehen, so dass der Spieler auch einen
Einfluss auf das Spielgeschehen nehmen kann. Als Abgrenzung zu
Huizinga müssen Spiele unproduktiv sein. Zwar darf das Eigentum der
Spieler wechseln, damit ist Gambling noch eine Form des Spiels, nicht
jedoch neues entstehen. Damit fällt für Caillois die Kunst mit dem
Erschaffen von Gemälden oder Skulpturen, für Huizinga besitzt sie noch
Spielcharakter, nicht mehr in den Bereich der Spiele.3 Das so tun als ob
bringt die Andersartigkeit durch Fiktion zum Ausdruck. Schließlich wird
auch die Wichtigkeit der Regeln genannt. Es sind keine groben
Richtlinien, nach denen man sich richten kann oder auch nicht. Sie sind
absolut verbindlich und dürfen nicht in Zweifel gezogen werden.
Hier interessanter noch als seine Definition sind seine
Klassifikationskriterien, nach denen Caillois Spiele voneinander
unterscheidet. Dabei differenziert er zwischen vier verschiedenen Formen
und zwei unterschiedlichen Typen:
3 Begreift man den Produktionsbegriff ebenfalls abstrakt, so sind auch Dichtung,
Wissenschaft oder Philosophie produktiv, da sie abstrakte Güter produzieren.
Insgesamt ist der Begriff jedoch schwer zu fassen. Denn genau genommen ist die
Situation vor dem Spiel nie identisch mit der Situation nach dem Spiel, und wenn es
nur die Erkenntnis einer guten oder schlechten Spielweise ist, die „produziert“ wurde.
Es kann daher von einer „kognitiven Produktivität“ gesprochen werden.
14
Abbildung 2: Die Klassifikationskriterien der Spiele nach Caillois
Agôn ist das kompetitive Spiel, das auch schon Huizinga als eine
wichtige Form des Spiels hervorhob. Darunter fallen gleichermaßen
gängige Wettbewerbssportarten als auch bestimmte Brettspiele. Unter
den Spielern herrscht „Kampf“. Alle wollen gewinnen, doch nicht alle
können gewinnen. Das Gewinnen ist hier abhängig von der
Ausprägung einer spezifischen Qualität. Diese können physischer
(Geschwindigkeit, Ausdauer, Stärke, Geschicklichkeit) oder auch
psychisch‐kognitiver Natur sein (Erinnerungsvermögen,
Einfallsreichtum, logisch‐mathematisches Verständnis). Der Gewinner
eines Spiels ist damit der Bessere bezüglich spezifischer Fähigkeiten.
Alea steht im Kontrast zu Agôn und bezeichnet Spiele, auf deren
Ergebnis der Spieler keinerlei Einfluss besitzt. Über den Spielausgang
entscheidet Fortuna. Der Gewinner ist damit der Glücklichere (oder
der „bessere“ Würfler).
Mimicry steht für die Simulation des Spiels. Hier imitiert der Spieler
eine bestimmte Rolle, er verstellt sich, gibt sich anders. In
prototypischer Weise ist Mimicry im Theater vorzufinden.
15
Ilinx ist der Schwindel oder Rausch. Er kommt dort zu Stande, wo der
Spieler an seine körperlichen Grenzen geht. Damit ist Ilinx eine
physische Ausprägung.
Selten sind Spiele jedoch eindeutig einer Form zuzuordnen. Schach ist
zwar intuitiv Agôn in Reinkultur, besitzt jedoch auch Elemente von Alea
(der Gegner kann Fehler begehen), Mimicry (es kann die Illusion bestehen,
ein Feldherr zu sein) und Ilinx.4 Poker besitzt gleichermaßen Agôn und
Alea. Thematisch besonders ausgestaltete Kinderspiele sind zumeist ein
Duo bestehend aus Alea und Mimicry.
Zu den vier Formen des Spiels gesellen sich nun die zwei
Spieltypen, Paidia5 und Ludus:
„[Games] can also be placed on a continuum between two opposite poles.
At one extreme an almost indivisible principle, common to diversion,
turbulence, free improvisation, and carefree gaiety is dominant. It
manifests a kind of uncontrollable fantasy that can be designated by the
term paidia. At the opposite extreme, this frolicsome and impulsive
exuberance is almost entirely absorbed or disciplined by a
complimentary, and in some respects inverse, tendency to its anarchic and
capricious nature [...] I call this second component ludus.“ (Caillois
2001/1958, 13)
Paidia ist das freie, ungebundene und improvisierte Spiel. Es unterliegt
keinen festgelegten Regeln, welche bestimmen was getan werden darf und
was nicht. Zwar können auch vereinzelt Verhaltensregeln festgesetzt
werden, doch sind diese nicht in ihrer Geltung unantastbar. Sie haben
4 Der Begriff Rausch wird hier etwas weiter gebraucht als von Caillois angedacht. Er ist
weniger als ein rein körperliches Schwindelgefühl zu verstehen, sondern mehr als ein
Status absoluter Konzentration, durch den ein körperlicher Schwindel entstehen kann,
aber nicht muss (vgl. Kap. 20.4).
5 Der altgriechische Begriff wurde zwar erst durch Caillois gewisser Maßen bekannt,
diente jedoch auch schon Huizinga zur Abgrenzung vom agônalen Wettkampf, vgl.
Huizinga 2006, 175.
16
einen eher arbiträren Charakter, dürfen hinterfragt und sogar während
des Spiels für ungültig erklärt oder abgeändert werden. Da es kein klar
vorgegebenes Ziel gibt, herrscht Anarchie im Spiel. Besonders klar ist
Paidia im Kinderspiel ausgeprägt.
Obwohl auch aus dem geordneten Spiel ein freies werden kann, so
ist dies auch umgekehrt der Fall. Wo zu Beginn des Spiels Chaos und
Anarchie herrscht, da wird zunehmend Struktur und Ordnung
geschaffen. Es werden darüber Regeln eingeführt, was man nicht mehr
darf und was man muss. Es werden klare Linien gezogen, um das Spiel
von der Welt abzugrenzen. Um dem impulsiven und gedankenlosen
Umher Einhalt zu gebieten werden feste Ziele vorgegeben, die es zu
erreichen gilt; Ludus ist geboren. Wie Bateman pointiert, ist es vor allem
die Wohldefiniertheit des Spiels, die Ludus im Wesen ausmacht:
„Ludus can thus be seen as being a synonym for the explicit rules of a
game, which include the rules by which play proceeds (or rather, the
limits of what is allowed), the rules that define the goals of the game (or
any scoring mechanism, which is merely a more complicated form of goal
structure) and the rules which dictate the allowable properties of the
components of play (the size and weight of a ball, or the dimensions of
the playing field).“ (Bateman 2006a)
Ludus ließe sich im Deutschen etwa übersetzen als Regelspiel. Doch hier
ist wieder einmal die englische Sprache mächtiger, da sie mit play und
game schon über zwei Begriffe verfügt, welche tendenziell auf Paidia und
Ludus abbildbar sind:
„A game is a bounded, specific way of problem solving. Play is more
cosmic and open‐ended. Gods play, but man unfortunately is a gaming
individual. A game has a predictable resolution, play may not. It allows
for emergence, novelty, surprise.” (Visvanathan, zitiert nach Mammen
2007)
17
2.3 Suits
Einer der wohl geistreichsten Beiträge zum Spielverständnis entstammt
dem Philosophen Suits mit seinem Werk The Grasshopper: Games, Life and
Utopia. In einem amüsanten – um hier nicht zu sagen: spielerischen – Stil,
der als Dialog zwischen verschiedenen Fabelgestalten daherkommt,
untersucht er das Wesen des Spiels. Neben einer Aufarbeitung des
Begrifflichen argumentiert er dafür, dass das Spiel ein zentrales Merkmal
im Ideal jeder menschlichen Existenz ist. Daher ist es das Herzstück einer
jeden Utopie.
Wie schon seine Vorgänger betrachtet Suits Spiele in ihrer
Allgemeinheit:
„To play a game is to engage in activity directed towards bringing about a
specific state of affairs, using only means permitted by rules, where the
rules prohibit more efficient in favor of less efficient means, an where
such rules are accepted just because they make possible such activity.“
(Suits 2005, 48f)
Oder pointiert:
„I also offer the following simpler and, so to speak, more portable version
of the above: playing a game is the voluntary effort to overcome
unnecessary obstacles.“ (ibid. 55)
Zwar ist die Definition durchaus abstrakt und steht in dezentem Kontrast
zu den beiden vorigen, doch erfasst sie viele Intuitionen. Auf deren Basis
identifiziert Suits einige neue Merkmale (vgl. ibid. 50‐54):
Goal: Verfolgt wird ein ganz bestimmter Zustand.
Lusory attitude: Suits bezeichnet damit eine Einstellung seitens
sämtlicher Spieler. Es ist das Anerkennen aller Regeln, was notwendig
ist, damit überhaupt ein Spiel stattfinden kann. Diese spielerische
18
Einstellung gewährleistet regeltreues Handeln und unterscheidet den
Spieler vom Cheater und Spoiler.
Unefficent means: Regeln sind nicht etwa als rein strukturelle
Maßnahme Teil des Spiels, sondern durch Verbot der effizientesten
Mittel entstehen die Hindernisse, die es zu überwinden gilt.
Eine besondere Stärke an Suits Sichtweise liegt nun darin, den
Spielcharakter scheinbar vollkommen spielferner Situationen aufzuzeigen.
Gegeben sei folgende Situation:
Herr Retzl tigert durch sein Haus und durchstöbert sämtliche
Schubladen vor sich hin murmelnd: „Ach verdammt, irgendwo muss das
blöde Ding doch sein“. Frau Retzl bemerkt ihren Gatten und fragt ihn:
„Was suchst du denn, vielleicht habe ich es gesehen.“ „Ach, schon gut“,
antwortet dieser und begibt sich in die Garage.
Diese merkwürdig anmutende Situation ist mit Huizinga und
Caillois nur schwer zu analysieren. Mit den Kriterien Suits hingegen wird
der spielerische Charakter sichtbar. Herr Retzl verfolgt ein ganz
bestimmtes Ziel, und zwar das Auffinden eines spezifischen
Gegenstandes in seinem Haus. Als seine Frau ihn fragt, ob sie ihm denn
behilflich sein könne, hat er tendenziell zwei Optionen. Entweder er verrät
ihr was sucht. Dies wäre die nahe liegende und rationale Entscheidung,
denn die Chancen stehen nicht schlecht, damit das ewige Gesuche
beenden zu können. Es wäre die effizienteste Möglichkeit. Stattdessen
jedoch behält er den Namen des gesuchten Gegenstandes für sich und
verzichtet auf die Hilfe seiner Frau. Nicht etwa, weil er sie für zu infantil
hält zu wissen, wo sich der Gegenstand befindet, sondern weil er sich
dafür entschieden hat ein Spiel zu spielen. Das Spiel entsteht dadurch,
dass er eine Regel aufstellt, welche den effizientesten Weg zum Ziel
verbietet: Finde den Gegenstand, aber ohne zusätzliche Informationen.
19
Oder anders: Es ist verboten auf seinem Weg zum Ziel zusätzliche
Informationsquellen heranzuziehen.
Suits untersucht eine Reihe ganz ähnlicher Situationen, die auf den
ersten Blick wenig mit einem Spiel gemein haben. Regeln limitieren nicht
nur wieder die Möglichkeiten, sondern sie machen hier erst das Spiel zum
Spiel. Ohne diese Regel wäre es kein Spiel mehr, da damit nicht mehr auf
die effizientesten Mittel zum Erreichen eines bestimmten Ziels verzichtet
wird. Hier werden Regeln in einem negativen Verständnis verwendet. Das
heißt, ihnen kommt nicht die Aufgabe zu Bestimmtes zu erlauben,
sondern zu verbieten.
3 Conclusio bis dato
Wie weit helfen nun die drei diskutierten Sichtweisen weiter zur
konkreten Gegenstandsbestimmung?
Lassen sich klassische Spiele eindeutig mit Hilfe der
angesprochenen Kriterien klassifizieren? Das erste Problem besteht
(erneut) in sprachlichen Unzulänglichkeiten. Huizinga, Caillois und Suits
beziehen sich in erster Linie auf das Spiel als Tätigkeit eines Subjektes (to
play) und nicht auf das Konstrukt als solches (a game). So können sie eine
Reihe von Fragen beantworten: Was ist Schachspielen (Huizinga)? Was
für ein Spiel ist Schach (Caillois)? Welche Rolle spielen Regeln im Schach
(Suits)? Allerdings beantworten sie nicht, was Spiele in ihrer Rolle als
Artefakt sind. Darin unterscheiden sich diese „klassischen“
Spielwissenschaftler von ihren modernen Vertretern.
20
4 Eine systemische Sichtweise
Für diesen Ansatz ist ein Extrakt von Juul (2005, 23‐54) fruchtbar: In
seinem Classic Game Model erarbeitet er auf Basis der drei hier
besprochenen sowie vier moderner6 Beiträge (Avedon & Sutton‐Smith
1971, Crawford 1982, Kelley 1988, Salen & Zimmerman 2004) eine
systematische Spieldefinition:
„Rules: Games are rule‐based.
Variable, quantifiable outcome: Games have variable, quantifiable
outcomes.
Valorization of outcome: The different potential outcomes of the game are
assigned different values, some positive and some negative.
Player effort: The player exerts effort in order to influence the outcome
(Games are challenging).
Player attached to outcome: The player is emotionally attached to the
outcome of the game in the sense that a player will be the winner and
„happy“ in the case of a positive outcome, but a loser and „unhappy“ in
case of a negative outcome.
Negotiable consequences: The same game [set of rules] can be played with or
without real‐life consequences.
In short form:
A game is a rule‐based system with a variable and quantifiable outcome,
where different outcomes are assigned different values, the player exerts
effort in order to influence the outcome, the player feels emotionally
attached to the outcome, and the consequences of the activity are
negotiable.” (Juul 2005, 36; eigene Hervorhebung)
6 Modern ist hier nicht chronologisch zu verstehen sondern bezieht sich auf den
„methodical turn“, dass das Spiel weniger als Tätigkeit betrachtet sondern mehr als
ein konkretes Artefakt angesehen wird.
21
Die systemische Sichtweise ist ein Paradigma zeitgenössischer Forschung.
Neben den hier erwähnten fünf modernen Ansätzen gibt es noch
zahlreiche andere, welche ebenfalls auf dem Systemgedanken basieren.7
Doch wenn Spiele nun tendenziell Systeme, hier verstandenen als
autonome, regelstrukturierte Einheiten, sind, wie lässt sich Skat von einem
Videospiel, Schach von einem Sportspiel oder Backgammon von einem
Kinderspiel abgrenzen? Ursprünglich schien man mit der Bezeichnung
des Brett‐ und Kartenspiel über ein adäquates Abgrenzungskriterium zu
verfügen. Dieses Kriterium ist jedoch nicht adäquat, da Spiele ihrer
formalen Natur nach als transmedial zu kennzeichnen sind.
5 Transmedialität von Spielen
Der Begriff der Transmedialität geht ebenfalls auf Juul (2005, 48ff) zurück
und ist ein zentraler Bestandteil vieler formaler Analysen. Transmedialität
bedeutet im Wesentlichen mediale Unabhängigkeit. So kann ein Spiel im
Kern das gleiche sein, obwohl es durch unterschiedliche Medien
repräsentiert wird. Das Diffundieren zwischen verschiedenen Medien ist
dabei nicht ungewöhnlich. Kartenspiele werden zu Computerspielen,
Sportspiele werden zu Computerspielen, Computerspiele werden zu
Brettspielen. Schach kann theoretisch mit Karten gespielt werden oder,
und damit stellt es eine Extremform dar, als Mind‐chess sogar komplett
ohne Medium. Es muss daher unterschieden werden zwischen dem
formalen abstrakten Spielsystem und seiner Repräsentation. Dies bedeutet
allerdings keineswegs, dass es nicht gute dafür Gründe gibt, dass ein Spiel
7 Dabei variieren die Systemgattungen enorm, bzw. können Spiele als unterschiedliche
Systeme gedeutet werden, etwa als spieltheoretische, informationsverarbeitende,
kybernetische, emergente oder Konflikt‐simulierende Systeme (vgl. Salen &
Zimmerman 2004).
22
so manifestiert ist wie es ist. Deutlich wird dies unter Bezugnahme des
eingangs betrachteten konzeptuellen Rahmens. Es macht einen
Unterschied, ob die Spielanalyse unter formalen, subjektorientierten oder
kulturellen Gesichtspunkten geschieht.
Der formale innere Kern eines Spiels bleibt ungeachtet des
Mediums derselbe, solange das Regelsystem identisch bleibt, denn das
reine Gameplay bleibt identisch: „Gameplay is what doesn’t change when
you change the surface: the rules. In board games this is clear: the sundry
local editions of Monopoly all have identical gameplay despite the
different names of the streets.“ (Mäyrä 2008, 16)
Auf die interaktive Play‐Ebene hingegen mag dies nicht mehr
zutreffen. Als entsprechender Anhänger kann es einem Spieler Vergnügen
bereiten eine Partie StarWars‐Schach zu spielen, wohingegen ihn das
„normale“ langweilt, obgleich sich die Figuren nur durch ihr
Erscheinungsbild unterscheiden und das Spiel formal betrachtet nach wie
vor das gleiche ist. Es gibt ebenso keinen Unterschied zwischen dem
Hineinwerfen einer Kugel in eine sich drehende Roulette‐Schüssel und
dem Werfen eines 37‐seitigen Würfels. Doch stelle man sich die Casino
Kundschaft vor, wenn wie aus heiterem Himmel die Roulette‐Schüssel
vom Tisch genommen und stattdessen durch einen kleinen Würfel ersetzt
wird.
Die Manifestation des Systems kann ebenso auf kultureller Ebene
für Zwietracht sorgen. Gegeben sei folgendes bizarre Szenario: Statt
Schach wird eine Partie Blitzkrieg gespielt. Als weiße Armee mit leichten
inhärenten Gewinnvorteilen 8 behaftet startet Nazi‐Deutschland den
Feldzug gegen die kommunistische Sowjetunion. Die Konsequenzen solch
8 Aus empirischer Sicht gibt es gute Gründe die für die Annahme sprechen, dass der
Beginnende einen eindeutigen Vorteil besitzt. Dazu siehe Kap. 15.1.2
23
eines Spieles, obwohl im inneren Kern nach wie vor identisch mit Schach,
wären wohl unterschiedlicher Natur.
Ob zwei Spiele wirklich strukturgleich, und damit isomorph sind,
ist keinesfalls immer so einsichtig wie im Fall von Schach. Dies ist dann
der Fall, wenn sich das Gameplay konstituierende formale System nicht
besonders eindeutig gibt, was sich an Hand zweier kleiner Beispiele
veranschaulichen lässt (vgl. Salen & Zimmerman 2004, 128f):
Tic‐Tac‐Toe
Gespielt wird auf einem Feld mit 3 mal 3 leeren Einzelfeldern.
Zwei Spieler markieren abwechselnd ein leeres Feld, der erste Spieler
mit einem X und der zweite Spieler mit einem O.
Wenn ein Spieler es schafft drei seiner Markierungen in einer Reihe zu
platzieren so hat er gewonnen.
Ist das gesamte Spielfeld mit Markierungen gefüllt und kein Spieler ist
der Gewinner, so endet die Partie mit einem Unentschieden.
3‐to‐15
Zwei Spieler sind abwechselnd am Zug.
Wer am Zug ist der wählt eine Zahl zwischen 1 und 9.
Es darf keine Zahl gewählt werden welche schon einmal gewählt
wurde.
Wer es schafft, genau 3 Zahlen so zu wählen, dass sie in der Summe 15
ergeben, hat gewonnen.
Auf den ersten Blick wirken beide Spiele unterschiedlich. Tatsächlich
jedoch sind sie isomorph, da sie sich ineinander überführen lassen, bzw.
sie lassen sich zu einem identischen Spiel abstrahieren:
24
Tic‐to‐15
Zwei Spieler wählen abwechselnd ein Feld eines 3 mal 3 Spielfeldes.
Der erste Spieler der 3 horizontal, vertikal oder diagonal aneinander
liegende Felder besitzt ist der Gewinner.
Wenn kein Spieler ein Feld wählen kann und es keinen Gewinner gibt,
so endet das Spiel unentschieden.
Überzeugt diese Spielbeschreibung noch nicht ganz, so sollte sich die
Gleichheit beider Spiele mit dem entsprechend kodierten Spielfeld
einstellen:
2 9 4
7 5 3
6 1 8
Abbildung 3: Der Spielverlauf einer Partie Tic‐to‐15. Drei Zahlen einer Reihe ergeben in der
Summe 15.
Wirklich beeindruckend ist hierbei der Gedanke des domain swapping (vgl.
Juul 2005, 51). Tic‐Tac‐Toe korreliert mit einem Raumgedanken. Es ist ein
Spiel, welches innerhalb eines vorgegebenen Raumes, dem Spielfeld,
funktioniert. 3‐to‐15 hingegen ist ein Spiel, welches dem Anschein nach
nur über eine mathematische Funktion verständlich wird. Schon hier wird
deutlich, dass Raum, Feld und ihre begrifflichen Konsorten in tatsächlich
nur auf Relationen zwischen einzelnen Elementen hinweisen, bzw. der
Raum als solcher nur eine Möglichkeit ist diese zum Ausdruck zu bringen.
Da beide Spiele unterschiedliche kognitive Kompetenzen voraussetzen,
werden sie auch unterschiedlich wahrgenommen, wobei die meisten
Spieler Tic‐Tac‐Toe als wesentlich einfacher empfinden (vgl. Juul 2005, 52).
25
6 Spielsimulationen und Regelexekution
Zwar sind damit klassische Spiele keineswegs an ein bestimmtes Medium
gebunden, doch besteht ein wichtiger Unterschied, sollten klassische
Spiele mit einem Computer simuliert werden. Zum Verständnis des
Simulationsbegriffs trägt Frasca bei: „Simulation is act of modeling a
system A by a less complex system B, which retains some of Aʹs original
behavior.ʺ (Frasca 2001) Die wohl bekannteste Simulation eines
klassischen Spiels stellt die seit über einem Jahrzehnt mit dem
Betriebssystem Windows ausgelieferte Patience Solitär dar. Die
Solitärsimulation verfügt über die gleichen Regeln wie das originale Spiel,
ist jedoch auch weniger komplex, da z.B. die Spielkarten nur auf fest
vorgegebenen Feldern liegen dürfen. Eine Regel der Simulation lautet:
Wenn ein Spieler auf den verdeckten Kartenstapel klickt, so werden
die obersten drei Karten aufgedeckt.
Zunächst lässt sie sich nur schwer als operationale Regel verstehen, da
hier kein eindeutiger Rückschluss über ihren deontischen Charakter
gezogen werden kann: Es wird lediglich ein automatisierter Prozess
beschrieben. An dieser Stelle ist die Überlegung hilfreich, wie eine
entsprechende Regelformulierung lauten würde, wäre das Spiel nicht
simuliert, sondern wäre in „echt“ vorhanden:
Zieht der Spieler vom verdeckten Kartenstapel, so muss er die obersten
drei Karten nacheinander auf das anliegende Feld legen.
Möchte der Spieler also Karten des Stapels sehen, so steht ihm die Anzahl
der zu ziehenden Karten nicht offen. Ebenso wenig darf er über die
26
Reihenfolge entscheiden. Er muss also eine bestimmte Handlung
ausführen. In Simulationen ist es gängig, dass Aktionen, sollten sie
geboten sein, automatisch ausgeführt werden. Dies dient unter anderem
der Entlastung des Spielers und der Beschleunigung des Spiels. In einer
Schachsimulation besteht keine Notwendigkeit, dass eine geschlagene
Figur von einem Spieler von ihrem Platz auf dem Spielfeld zum Rand
außerhalb des Bretts befördert wird (wie auch immer dies aussehen mag).
Stattdessen genügt ein Klick, und wie von magischer Hand bewegt sich
der schwarze Turm drei Felder nach vorne, der weiße Bauer verschwindet
und taucht außerhalb des Spielfeldes wieder auf. Ein Klick auf „neue
Runde“, und schon werden die 52 Karten des Spiels aufgesammelt,
gemischt und neu verteilt. Eine notwendige Prozedur eines fast jeden
Kartenspiels, welche allerlei Entwicklungen technischer Hilfsmittel
(„Kartenmischmaschinen“) nach sich gezogen hat. Und wer möchte schon
zu Spielbeginn dutzende Einzelfiguren auf ihren vorgesehenen Feldern
auf einem Spielfeld postieren? Die Rechenmaschine erledigt hier fehlerfrei
und schnell zumeist unliebsame Aktionen innerhalb des Spielverlaufes.
Weiterhin wird durch die Automatisierung notwendiger
Prozeduren das nicht regelkonforme Agieren unterbunden. Dadurch wird
das Schummeln der Spieler unterbunden. Denn was nicht erlaubt ist, das
ist geboten zu unterlassen. Im Falle der Regel in der Kartenpatience ist es
verboten, eine Anzahl von Karten vom Stapel zu nehmen, die ungleich
drei ist. Es ist auch nicht erlaubt, diese Karten in einer anderen
Reihenfolge auf das Ablagefeld zu legen, als in der, in der man sie zieht.
Da aber genau diese verbotenen Handlungen unter Umständen enorm
hilfreich im Spiel sein können, geraten weniger regeltreue Spieler
durchaus in die Versuchung, es nicht so genau mit dem Regelwerk zu
nehmen. In solch einer Situation kommt der Rechenmaschine die Rolle
eines neutralen Vollstreckers zu, der bestimmte Regeln automatisch
27
ausführt und Regelverletzungen nicht sanktioniert, sondern von
vornherein unterbindet:
„One of the most significant differences between videogames and more
traditional games is how the rules are enforced. In traditional games, rules
are primarily enforced by the players themselves or by an impartial
referee in high stakes games, such as sporting events. With computer
games, it becomes possible (and sometimes necessary) for the computer to
enforce the rules.“ (Schell 2008, 147)
Die Notwendigkeit der Automatisierung von Regelausführungen bezieht
sich auf die große Anzahl vieler Berechnungen, wie sie insbesondere in
Videospielen vorzufinden sind. Dies ist jedoch keineswegs ein Phänomen
moderner Computerspiele. Der hohe Aufwand des Rechnens in
Pen&Paper‐Rollenspielen trägt durchaus zur mangelnden Popularität
dieses Genres bei. Und wer schon einmal eine Partie traditionelles Mah‐
Jongg gespielt hat, der merkt spätestens bei der Endabrechnung
schmerzhaft, worin der Reiz liegt, gewisse Prozeduren zu automatisieren.
Schlussendlich ergibt sich für den Spieler folgendes Bild: Wenn eine
Handlung verboten ist, ist es nicht möglich sie auszuführen. Wenn eine
Handlung geboten ist, dann wird sie automatisiert. Wenn eine Handlung
lediglich erlaubt ist, so obliegt es weiterhin dem Spieler, ober er diese
ausführt oder nicht.
7 Das klassische Spiel
Wenn nun Spiele allgemein Systeme sind, wie lassen sich Spiele im hier
betrachteten Sinne (Sowas wie Schach, Skat und Monopoly) von anderen
abgrenzen? Auf Grund des Transmedialitätsargumentes ist die
Bezeichnung des Brett‐, Karten‐ und Gesellschaftsspieles als inädaquat zu
28
kennzeichnen. Sinnvoll scheint es daher, einen Katalog an abstrakten
Eigenschaften zu definieren, die solche Spiele ausmachen: Ludus,
Regelexplizitheit und Rundenbasiertheit.
7.1 Ludus
Ludus bezeichnet die Wohldefiniertheit des Spiels. Es ist eindeutig, was
Spiel ist und was kein Spiel ist. Damit sind Komponenten, Ziel und Regeln
fest vorgegeben. Der Inhalt einer Spielesammlung alleine ist zunächst
nicht mehr als ein Baukasten oder Spielzeug, mit dem man herumspielen
kann. Hier befindet man sich noch im Bereich von Paidia. Das Spiel im
Sinne von Ludus entsteht erst, wenn spezifiziert wird, was genau (Ziel)
mit welchen Mitteln (Regeln) in welchem Rahmen (Spielraum) zu
erreichen ist.
7.2 Regelexplizitheit
Regelexplizitheit bedeutet hier nicht, dass die nur eindeutige Existenz
spezifischer Regeln gegeben ist (was schon Ludus entspräche), sondern
dass sämtliche Spieler über das komplette Regelwissen verfügen. Damit
unterscheiden sich klassische Spiele von den meisten Computerspielen. In
diesen können die Regeln dahingehend undurchsichtig sein, als sie im
Programmcode für den Spieler nicht einsehbar sind. Hier erschließt sich
der Spieler nach und nach die Regeln. Wenn der Spieler in einem
Rennspiel die obere Pfeiltaste drückt und sein Wagen daraufhin
beschleunigt, vermutet er eine Regel: Das Drücken der oberen Pfeiltaste
lässt den Wagen beschleunigen. Durch wiederholte Versuche festigt er
29
dieses Wissen. Allerdings kann nun der Fall eintreten, dass plötzlich der
Motor explodiert und in diesem Fall die Regel keinerlei Gültigkeit mehr
besitzt. In diesem Fall präzisiert der Spieler seine Regel: Das Drücken der
oberen Pfeiltaste lässt den Wagen beschleunigen außer der Motor ist
explodiert. Weiterhin könnten als Ausnahmefälle geplatzte Reifen oder
Ölspuren auftreten. Damit erschließt sich der Spieler den Regelapparat
nach und nach, was geradezu paradigmatisch für Videospiele ist. Schädler
bezeichnet solche Spiele als induktiv:
„Es geht hierbei nicht in erster Linie darum, nach bekannten Regeln
Spielzüge auszuführen, sondern anhand der Folgen der eigenen
Entscheidungen nach und nach zu lernen, sich im Spiel zurechtzufinden.“
(Schädler 2005, 102)
Schädlers Unterscheidung zwischen induktiven und deduktiven Spielen
korrespondiert im Wesentlichen mit Juuls Differenzierung zwischen
Games of Emergence und Games of Progression (vgl. Juul 2005, 67‐83).
Klassische Spiele sind rein emergent, das heißt, die Anforderungen und
der Reiz des Spiels bestehen nicht darin sich das System (im Sinne des
Funktionsapparats) zu erschließen, sondern von vornherein über das
Wissen zu verfügen und dieses geschickt einzusetzen.
Während es am Computer tendenziell den Zufall (im Sinne von
Beliebigkeit) gibt, so sind in klassischen Spielen lediglich
Wahrscheinlichkeiten anzutreffen. 9 Wahrscheinlichkeits‐ und
Zufallsereignisse unterscheiden sich bezüglich ihrer möglichen
eintretenden Ereignisse sowie ihren Erwartungswerten. Die möglichen
Ereignisse eines Würfelwurfes sind die Ereignisse 1,2,3,4,5 und 6. Ihre
Erwartungswerte betragen jeweils ein Sechstel. Bei einem Zufallsereignis
sind dagegen sowohl die möglichen Ereignisse als auch ihre
9 Im weiteren Verlauf wird der Zufallsbegriff dennoch im Sinne der Wahrscheinlichkeit
gebraucht.
30
Eintrittswahrscheinlichkeiten unklar. Man stelle sich einen digitalen
Würfel vor. Wird auf einen kleinen Knopf gedrückt, so erscheint auf dem
Display ein Zeichen. Nun weiß man vorher allerdings nicht, welche
Ereignisse überhaupt eintreten können und mit welchen
Erwartungswerten. Wenn fünfmal hintereinander eine drei angezeigt
wird, so ließe sich vermuten dass in 100% der Fälle das Ereignis drei
eintritt. Doch wenn nun auf dem Display blau oder nein angezeigt wird,
was ist dann der mögliche Ereignisraum? Und was sind die
Erwartungswerte?
Als Konsequenz ergibt sich eine stark subjektive Komponente bei
der Feststellung, ob ein Spiel wirklich Zufall impliziert oder lediglich
Wahrscheinlichkeiten. Deutlich wird dies bei modernen Spielen, in denen
die Spieler Aktionskarten von einem verdeckten Kartenstapel ziehen.
Spielt jemand seine erste Partie Monopoly, so werden ihn die Ereignis‐
und Gemeinschaftskarten womöglich deswegen überraschen, da er nicht
mit dem Auftreten dieser speziellen Ereignisse rechnete, bzw. überhaupt
damit rechnen konnte. Ob ein Ereignis also berechenbar oder
vorhersagbar ist, ist stark von dem Wissen des Spielers abhängig. Nach
einigen Partien Monopoly wird der Spieler die meisten Karten kennen
und bekommt ein Gefühl für die Art der eintretenden Ereignisse:
Vorrücken, Zurückgehen, Geld bekommen, Geld abgeben. Auch wenn er
die konkreten möglichen Ereignisse nicht kennt, so werden ihn neu
auftretende nicht wirklich überraschen, da er sich bereits den
Möglichkeitsraum der Ereignisse erschlossen hat. Dadurch wird auch die
Balance10 des Spiels gewahrt. Zieht ein Spieler eine Karte „du hast das
Spiel verloren“, so überrascht das Spiel den Spieler durch einen Deus ex
machina. Denn womit man trotz aller Unvorhersagbarkeit rechnen kann,
ist die Wahrung des Spielgleichgewichtes in Form einer gewissen
10 Der Balancebegriff wird ausführlich in Teil drei besprochen.
31
Sinnhaftigkeit. Ein Ereignis wie „Nimm einem Mitspieler 100 Dollar ab
oder nimm einem Mitspieler 1000 Dollar ab“ ist solch ein sinnloses
Ereignis, bzw. eine sinnlose Entscheidungssituation, da bei einer
rationalen Spielweise zweifelsfrei feststeht, wofür sich der Spieler
entscheiden wird. Ein Ereignis wie „Durch ein Erdbeben verlieren alle
deine Mitspieler ihre Häuser und Hotels“ überrascht, da es ein überaus
mächtiges Ereignis ist, welches ad hoc über den Spielausgang entscheiden
kann. Tritt hingegen ein Wasserrohrbruch ein, der drei aneinander
liegende Gebäude für eine Runde lang außer Betrieb setzt, wird dies wohl
kaum überraschen, da sich dieses Ereignis in abstrakter Form mit seinem
bisherigen Spielwissen korreliert. Zu unterscheiden sind auch hier die
formale und die repräsentative Ebene eines Ereignisses. So kann die
Beschreibung durchaus hochgradig merkwürdig anmuten. Statt eines
Wasserrohrbruchs sind es hier Tick, Trick und Track, welche drei Häuser
besetzt haben und mit dem Erschießen der Geiseln drohen. Das
Sondereinsatzkommando benötigt die Spielzeit einer Runde, um die drei
Terroristen zu beseitigen. Mit dieser Beschreibung eines Monopoly‐
Ereignisses wird wohl keiner Spieler rechnen, doch gleicht die
Geiselnahme auf formaler Ebene dem Wasserrohrbruch.
Klassische Spiele zeichnen sich also dadurch aus, dass die Spieler
eher über das Wissen sämtlicher möglicher Ereignisse sowie ihren
Erwartungswerten verfügen. Sie wissen, welche möglichen Konsequenzen
ihr Handeln impliziert.
Viele moderne Spiele lassen sich damit als Grenzfälle
charakterisieren, sollten sie über besonders viele Aktions‐ und
Ereigniskarten verfügen, deren gesamte Kenntnis nicht zwingend
vorausgesetzt werden kann. Das Sammelkartenspiel11 Magic: The Gathering
11 Sammelkartenspiele (auch Trading Card Games, kurz TCGs) sind Kartenspiele zu
üblicherweise fantastischen Themen. Im Gegensatz zu Kartenspielen wie Skat oder
32
besteht aus weit über 10.000 verschiedenen Spielkarten die zahlreiche
verschiedene Eigenschaften aufweisen. Um hier erfolgreich spielen zu
können wird ein hohes Maß an reinem und kombiniertem Wissen
benötigt. Durch das Absolvieren des progression games, also dem
Erschließen der Regelinterna, wird erst das emergente Spiel möglich. Nur
weil man alle Karten sowie die tendenziellen Spielregeln kennt, bedeutet
dies noch lange nicht, dass man auch gut spielen wird. Doch ist dies eine
Grundvoraussetzung, um überhaupt Strategien entwickeln zu können.
Weiterhin sind damit zwar nicht alle, aber die meisten Computer
basierten Spiele keine klassischen Spiele, da unklar ist, wie es um den
internen Regelapparat beschaffen ist. Dennoch wird erst mit Blick auf das
eigentliche Regelsystem klar, um was für eine Art von Spiel es sich dabei
handelt. Statt auf die traditionelle Unterscheidung (wie Gesellschaftsspiel
vs. Computerspiel) zu bauen, scheint es fruchtbarer, hier auf die
Unterscheidung von progressiven und emergenten Spielen
zurückzugreifen, wobei der Emergenzbegriff mit der hier angedeuteten
Regelexplizitheit korrespondiert.
7.3 Rundenbasiertheit
Weiterhin sind klassische Spiele rundenbasiert: „The players take turns to
make their actions to change the game state, and the progress of game
time is not tied to the real time.” (Björk & Holopainen 2005, 347)
Durch das Prinzip des turn‐takings stehen den Spielern nicht zu
jeder Zeit sämtliche Aktionsoptionen offen, sondern es kommt darauf an
Bridge existieren in einem Sammelkartenspiel meist mehrere hundert verschiedene
Karten. Diese Karten werden in vorgefertigten Spieleinheiten (Starter genannt) und in
Packungen mit (mehr oder weniger) zufälliger Kartenzusammenstellung (so genannte
Booster zu ungefähr 10 Stück) verkauft, wobei einige Karten höheren Seltenheitswert
haben als andere.
33
„wer am Zug ist“. Ob eine Aktion ausgeführt werden darf oder nicht, ist
nur mit Blick auf den Rundenzähler ersichtlich, welcher selten in einem
Spiel manifest vorhanden ist, sondern lediglich als Abstraktum. Er kann
als Teil der Funktion verstanden werden, die darüber entscheidet, was ein
Spieler tun darf oder muss.
Welcher Spieler am Zug ist, muss oft durch den entsprechenden
Hinweis des aktiven Spielers festgestellt werden. Wird abwechselnd
immer nur ein Zug ausgeführt, so ist klar, dass nach dem Ziehen von
Spieler eins automatisch Spieler zwei an der Reihe ist. In Spielen mit
Spielphasen hingegen muss der aktive Spieler oft erst bekannt geben, dass
er „fertig ist“, da er keine weiteren Aktionen mehr ausführen kann oder
will.
Zwar lassen sich zumeist in jeder Situation eine aktive und eine
passive Rolle ausmachen, doch sind Spieler in der passiven Haltung nicht
zwingend zum Nichtstun verdammt. Auch wer nicht am Zug ist, darf im
Schach ein Remis anbieten, im Siedler Karten handeln oder im Monopoly
Grundstücke verkaufen. Allerdings bedarf es dabei der Angebotsannahme
oder –abgabe des aktiven Spielers, damit sich die Spielsituation ändert.
Wenn ein Remis abgelehnt wird oder der aktive Spieler nicht tauschen
möchte, so nimmt dies keinerlei Einfluss auf das Spielgeschehen.
Desweiteren können den passiven Spieler betreffend Aktionen forciert
werden, d. h., sein Handeln obliegt nicht seiner Wahl. So muss er mit
einem Würfelwurf einen Angriff abwehren oder eine seiner Karten
abgeben. Verhindern kann er dies zumeist nicht.12
In rundenbasierten Spielen sind die generellen Anforderungen an
die Fähigkeiten der Spieler im Gegensatz zu Spielen in Echtzeit kognitiver
Natur:
12 Moderne Kartenspiele sind hier recht variabel. Oft gibt es spezielle Karten, deren
Ausspielen an gegnerische Runden gebunden ist oder bestimmte gegnerische
Aktionen kontern.
34
„Combat and Capture in Turn‐Based Games compared to Real‐Time
Games requires more of players cognitive skills, as they have more time to
think, and the Timing of actions in Combat and Capture require more
Puzzle Solving skills than skills in Dexterity‐Based Actions.” (Björk &
Holopainen 2005, 348)
Es kommt also weniger auf körperliches, sondern vielmehr auf geistiges
Geschick an, möchte man das Spiel besonders gut beherrschen.
Reaktionsfähigkeit und Sensomotorik spielen hier, wenn überhaupt,
lediglich eine untergeordnete Rolle.
Rundenbasierte Spiele lassen sich grundsätzlich über beliebige
Zeiträume hinweg spielen, da die Spielregeln selten eine Spielpartie an
einen fixen Zeitrahmen koppeln. Es gibt also kein Zeitmessinstrument,
welches Beginn und Ende determiniert. Zwischen Echtzeit‐ und
rundenbasierten Spielen stehen sogenannte Tick‐Based Games. Tick‐Based
Games werden auch in Runden unterteilt, jedoch verfügen die Spieler
zum Ausführen ihrer Aktionen über ein festes Zeitkontingent. Dies ist
unter Umständen dem Spielfluss zuträglich, da so verhindert wird, dass
sich ein Spieler übermäßig viel Zeit zum Nachdenken nimmt.
Zwar korrespondieren rundenbasierte Spiele sehr stark mit Karten‐
und Brettspielen, doch bestätigen auch hier die Ausnahmen die Regel.
Civilization, als bekanntester Vertreter der rundenbasierten
Strategiespielen, besitzt, obgleich computermediatisiert, mehr
Gemeinsamkeiten mit so manchem Brettspiel als mit den meisten seiner
medialen Kollegen. Set hingegen ist eines der Kartenspiele, die in Echtzeit
operieren. Hier müssen die Spieler in sich vor ihnen ausliegenden Karten
möglichst schnell Muster erkennen. Wer als erstes ein Muster findet, dem
werden Punkte gutgeschrieben.
35
8 Der Regelbegriff, eine philosophische Annäherung
Regeln werden üblicherweise in zwei Kategorien unterteilt. Zum einen ist
der Regelcharakter deskriptiv ausgeprägt. In dieser beschreibenden
Funktion sind sie überall dort anzutreffen, wo generell Aussagen über die
Welt getroffen werden. Dies ist insbesondere in naturwissenschaftlichen
Gefilden der Fall. So ist Gas leichter als Wasser, größere Körper ziehen
kleinere Körper an und Lebewesen mit Herz besitzen auch eine Niere.
Generell fallen alle Aussagen statistischer Natur, seien es
Ursachenbeschreibungen oder auch nicht, in diese Klasse von Regeln: „In
dieser Bedeutung ist der Terminus ,Regel‘ den Termini ,Gesetzmäßigkeit‘
und ,Regelmäßigkeit‘ nahe verwandt.“ (Buhr & Klaus 1975, 1034) Eine
Eigenheit deskriptiver Regeln ist deren Widerlegbarkeit. Treten Instanzen
in negierter Form solch einer Regel in einem signifikanten Ausmaß auf, so
ist die Theorie (im Sinne einer behaupteten Gesetzmäßigkeit) widerlegt.
Anders hingegen verhält es sich mit präskriptiven Regeln. Solche
„Regeln kommen üblicherweise dann ins Spiel, wenn es um die im
weitesten Sinne verstandene Gestaltung des Handelns zu tun ist. Sie
ähneln hierin dem Tandem aus Zweck und Mittel, mit dem sie häufig im
Verbund auftreten. Jedes grundsätzliche und umfassende Nachdenken
über das Handeln, das Tun und Lassen in seiner ganzen weit verzweigten
Vielfalt, erreicht daher eher früher als später das Regelthema.“ (Siegwart
2010a) Wie eingangs erwähnt sind Regeln zumeist nicht im Verbund mit
zweckfreier Gestaltung anzutreffen, da durch deren Einhaltung ein
spezifisches oder auch allgemeines Ziel erreicht werden soll. Ein
Verhalten gemäß der StVO sorgt für Sicherheit und Ordnung im
Straßenverkehr, der Knigge zielt auf einen gepflegten und elaborierten
sozialen Umgang hin. Hier wird ersichtlich, dass Regeln nur selten isoliert
vorkommen, sondern eher dazu tendieren, in Regelwerken ihr Dasein zu
36
fristen. Mit dem Rechtsfahrgebot alleine kann nur schwer das Ziel, der
sichere Verkehr, realisiert werden. Im Gegensatz zu deskriptiven Regeln
können präskriptive Regeln beziehungsweise Regelwerke nicht durch ein
simples Gegenbeispiel widerlegt werden. Denn wenn ich Ehebruch
begehe, so ist die Gültigkeit der Zehn Gebote in keiner Weise als fraglich
einzustufen.
Mit Fokus auf Spielregeln erscheint eine weitere Betrachtung solch
präskriptiver Regeln sinnvoll. Erste Einwände, die tendenziell zweckfreie
Gestaltung des Spiels und die Zielorientierung von Regeln passten nur
schwer zusammen, lassen sich ausräumen: Spiele sind dahingehend
„zweckfrei“, als dass sie im Sinne Caillois als unproduktiv zu
kennzeichnen sind. Das regelgeleitete Spielen ist keine Handlung, die
ausgeführt wird, damit nach Abschluss dieser ein bestimmter Zustand
erreicht ist. Da Spiele von dem gewöhnlichen Raum und der
gewöhnlichen Zeit abgegrenzt sind, wird ein Handeln innerhalb dieser
Grenzen (ideal betrachtet) niemals Einflüsse auf das reale Leben haben.
Als regeltreuer (und unfallfreier) Autofahrer sinken meine
Versicherungsbeiträge, der Knigge soll ein reibungsloses soziales
Miteinander gewährleisten. Da das Spiel allerdings nach dem Spiel zu
Ende ist, besitzen Spielregeln in Bezug auf die reale Welt keinerlei
Bedeutung mehr.
Allerdings gibt es zahlreiche Gründe, warum Spielregeln so sind
wie sie sind, und warum man sich nach ihnen zu richten hat. Spieleregeln
verfolgen keinen höheren Zweck. Doch bestehen sie aus einem
bestimmten Grund, denn sie sollen Spielspaß während des Spielens
gewährleisten. Zweckfreiheit darf hier also nicht mit Grundlosigkeit
verwechselt werden.
37
8.1 Regelanalyse
Zwei wesentliche Fragen zur Regelanalyse zielen auf ihre Form sowie
ihren Inhalt ab. Erstens, welche Struktur besitzen Regeln generell. Also
wie lassen sich Regeln von anderen sprachlichen Gebilden abgrenzen.
Zweitens, wie lassen sich Regeln inhaltlich ausdifferenzieren. Also welche
weiteren Regeltypen lassen sich unterscheiden. Für diese Fragestellungen
werden drei exemplarische Regeln herangezogen:
[1] Kreuzen sich zwei Fahrzeuge, so darf das von rechts kommende zuerst
fahren.
[2] Es empfiehlt sich übermäßigem Alkoholkonsum mit dem Trinken von
Wasser zu begegnen.
[3] Eine rechtskräftige testamentarische Kopie muss von einem Notar
beglaubigt werden.
8.2 Ein syntaktischer Blick
Was ist diesen drei Regeln gemein? Regeln spezifizieren, „welchen
Agenten es in welcher Situation erlaubt, geboten, verboten, empfohlen usf.
ist, Handlungen welcher Art zu vollziehen.“ (Siegwart 2010b, 28)
Agenten sind die Adressaten der Regeln. An [1] sollte sich halten,
wer im Straßenverkehr unterwegs ist. [2] ist an all diejenigen gerichtet, die
gerne größere Mengen Alkohol verzehren aber nur ungerne mit den
Folgen der Dehydratation konfrontiert werden. [3] gilt für jedermann in
Deutschland. Gehört man demnach nicht zu diesen Gruppen, so erübrigt
sich ein Einhalten dieser Regeln. Es ist nicht immer eindeutig feststellbar,
wer genau ein unter die Regel fallender Agent ist. Gilt [1] für sämtliche
38
Personen in öffentlichen Gebieten? Wohl Kaum. Sind es lediglich Führer
von Kraftfahrzeugen, die sich an dieses Gebot halten müssen?
Unwahrscheinlich. Zumeist ist eine weitere Spezifikation unumgänglich,
was eine Recherche der entsprechenden Regelwerke nötig macht.
Ob eine Regel zur Anwendung kommt, ist weiterhin davon
abhängig, ob eine bestimmte Situation der Fall ist. Bei [1] kann darauf
verwiesen werden, dass all diejenigen Situationen gemeint sind, in denen
sich Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr kreuzen. Eine [2]
implizierende Situation liegt vor, wenn übermäßiger Alkohol konsumiert
wird. Offen bleibt hier zunächst, was genau ein messbares Kriterium
dafür darstellt. Im Gegensatz zum Vorfahrtgebot wird es hier keinen der
StVO ähnlichen Kriterienkatalog geben, der dies weiter ausführt. [3] zielt
ab auf Situationen, in denen ein zukünftiges Erbe bereits vor dem eigenen
Ableben bestimmt werden soll.
Regeln verfügen über einen Deontor, welcher den Modus der
Handlung bestimmt. Der Deontor gibt Aufschluss darüber, ob
Handlungen geboten, empfohlen, verboten oder auch empfohlen werden.
Oft, aber nicht immer, ist damit augenblicklich die Regelart klar.
Schließlich muss eine Regel klären, welche Handlung im
entsprechenden Modus auszuführen ist. In [1] ist es das Nehmen der
Vorfahrt. Das bedeutet, sein Fahrzeug vor seinem Gegenüber zu kreuzen.
[2] weist auf das Konsumieren von Wasser hin und [3] auf den Akt der
notariellen Beglaubigung.
Auffällig für alle drei Regeln sind fehlende Ausnahmen. So lassen
sich recht einfach Beispiele konstruieren, in denen zwar der aus Agent
und Situation bestehende Bedingungsteil erfüllt ist, aber die Regel
dennoch keine Anwendung findet. [1] gilt nicht, sollten sich zwei
kreuzende Autos an einem abgesenkten Bürgersteig befinden oder die
Vorfahrt durch Schilder geregelt werden. [3] findet keine Anwendung,
39
sollte es sich um unzurechnungsfähige Personen handeln und für [2] sind
zwar äußerst skurrile, aber dennoch vorstellbare Gegenbeispiele zu
finden. Als genereller Regelcharakter bleibt hier festzuhalten, dass Regeln
gelten, sofern nichts anderes bekannt ist.
8.3 Ein semantischer Blick
Zwar lassen sich alle drei Beispiele grob in die Regelkategorie einsortieren,
doch scheinen sie in ihrer Natur dennoch verschieden. Dies mag daran
liegen, dass es sich bei [1] um eine deontische Regel handelt, bei [2] um eine
präskriptive Regel und bei [3] um eine konstitutive Regel. 13 Deontische
Regeln sind dahingehend „klassische“ Regeln, als sie Gebote, Verbote und
Erlaubnisse aussprechen und damit am ehesten der Intuition entsprechen.
Neben den durch die Judikative erlassenen Gesetzen sind es insbesondere
nicht näher explizierte Moralnormen, nach denen sich Menschen richten.
Präskriptive Regeln besitzen einen „entscheidungsunterstützenden“
Charakter, sind unverbindlich und lassen sich noch einmal in zwei
Unterkategorien zu unterteilen.
„Der erste Typ umfasst allgemeine Ratschläge bzw. Empfehlungen. ,Wer
gesund bleiben will, sollte regelmäßig Sport treiben.‘ ,Eichen sollst du
weichen, Buchen sollst du suchen.‘ oder ,es empfiehlt sich, Tomaten nach
dem letzten Frost zu pflanzen‘ sind drei Beispiele derartiger Ratschläge
[…] Den zweiten Typ präskriptiver Regeln, die nicht unter das Konzept
der deontischen Regel fallen, bilden die sogenannten Daumen‐ bzw.
13 Auf Grund mangelnder Alternativen wird der Begriff der präskriptiven Regel hier im
engeren Sinne gebraucht. Besonders auffällig in der Literatur ist die Uneinigkeit der
entsprechenden Termini, was durchaus für Verwirrung sorgen kann. Die hier
gebrauchten Begriffe sind zwar keineswegs willkürlich gewählt, sind allerdings nicht
äquivalent mit syntaktisch identischen. Die hier gebrauchte Terminologie stimmt im
Wesentlichen mit der von Iorio (2010) überein. Lediglich die konstitutive Regel, die
Iorio auch als Vorkehrungsregel bezeichnet, wird hier nicht zu der Gruppe der
deontischen Regeln gezählt sondern gesondert ausgezeichnet.
40
Faustregeln. Regeln dieses Typs stellt man sich besten als
Entscheidungshilfen vor. Sie dienen dem Akteur dazu, ohne großen
kognitiven Aufwand und Zeitverlust eine Entscheidung zu treffen.“ (Iorio
2010, 49)
Im Gegensatz zu vielen deontischen Regeln sind sie direkt sinnhaft, ihr
Zweck ist also zumeist direkt ersichtlich. Denn befolgt man sie, so werden
Gesundheit und Tomatenernte unterstützt sowie das Risiko von einem
Blitz erschlagen zu werden und matschige Tomaten essen zu müssen
minimiert.14
Die Daumen‐ und Faustregeln fallen in den Bereich der Heuristiken.
Sie unterstützten ebenfalls Entscheidungssituationen, führen jedoch nicht
zwingend zum Erfolg. Doch sind sie adäquate praktische Mittel, um ad
hoc eine Wahl zu treffen, die wahrscheinlich die richtige ist. Dabei ist ein
Irrtum nicht ausgeschlossen. Ein recht bekanntes Exemplar ist die Machen‐
was‐die‐Mehrheit‐macht‐Heuristik: Wenn du beobachtest, dass die Mehrheit
deiner Altersgenossen ein bestimmtes Verhalten an den Tag legt, dann
verhalte dich ebenso (vgl. Gigerenzer & Gaissmaier 2006, 344). Wenn ich
nicht weiß, ob ich bei rot oder grün über die Straße gehen soll, dann werde
ich mit dieser Heuristik bei grün über die Straße gehen. Experiment
geglückt! Wenn ich hingegen Milch trinke, da alle Milch trinken, muss
dies nicht zwingend bedeuten, dass dies meiner Gesundheit zuträglich ist,
etwa wenn ich über eine Laktoseintoleranz verfüge. Experiment
misslungen! Sich nach Heuristiken zu richten ist also nicht per se
14 Die Sinnhaftigkeit einzelner deontischer Regeln hingegen ist oftmals nicht
offensichtlich und offenbart sich erst im größeren Bild. Warum darf man genau ab
dem 18. Lebensjahr wählen und nicht ab dem 16. oder 19.? Warum muss man bei Rot
halten und nicht bei Grün? Ob jegliche erlaubte Handlungen auch sinnvolle
Handlungen sind, ist zunächst völlig offen. Nur weil ich all das was erlaubt ist
ausführe, bedeutet dies keineswegs, dass ich dies auch tun sollte. Trivialerweise
sollten daher sämtliche Empfehlungen in den Bereich der Erlaubnisse fallen, denn wie
kann jemandem eine Handlung empfohlen werden, die er nicht ausführen darf?
41
erfolgversprechend, sondern nur in bestimmten Kontexten. Hier greift der
Gedanke der Regelausnahme. Denn Milch zu trinken ist gesund, außer
man leidet unter einer Laktoseintoleranz. Daher sollte man nur dann
Milch trinken, wenn man über keine Laktoseintoleranz verfügt. Genau
wegen dieser Unsicherheit muss eine Heuristik nicht zwingend die
richtige Entscheidung unterstützen.
Konstitutive Regeln oder auch Vorkehrungsregeln sind solche, die
„notwendige Bedingungen festschreiben, die ein potentielles X erfüllen
muss, um als genuines X zu gelten.“ (Iorio 2010, 48) So ist eine notarielle
Beglaubigung notwendig, damit ein entsprechendes Schriftstück als
rechtskräftiges Testament durchgehen kann. Eine DVD fasst mindestens
4,7 Gigabyte und zur Zubereitung eines Omelette benötigt man Eier, Salz
und Pfeffer.
Zwar sind solche Regeln keine direkten Verhaltensregeln, doch
lassen sich aus ihnen Verhaltensregeln ableiten. Wer ein rechtskräftiges
Testament besitzen will, der muss das Schriftstück notariell beglaubigen
lassen, wer eine DVD produzieren will, der muss dafür Sorge tragen, dass
sie mindestens 4,7 Gigabyte fassen kann und wer ein Omelette zubereiten
will, der sollte das Vorhandensein der Ingredienzien gewährleisten
können.
9 Regeln und Spiele
Mit Hilfe der deontischen, konstitutiven und präskriptiven Regelkonzepte
werden nun konkrete Spiele untersucht, da sie sich in der Sicht des Autors
gut für eine Spielanalyse eignen. Deontische Regeln legitimieren die
Aktionen oder Operationen der Spieler, sie werden hier als operationale
Regeln bezeichnet. Konstitutive Regeln werden im Folgenden weitgehend
42
durch die Strukturregeln abgebildet. Diese legen die Struktur eines jeden
Spiels fest. Die präskriptiven Regeln sind im Bereich der strategischen
Regeln zu verorten. Sie sind zielführende Leitlinien in
Entscheidungssituationen.
Eindeutig lassen sich die Akteure der deontischen Regeln
ausmachen. Es sind die Spieler. Wer den Magic Circle betritt, der hat sich
nach den Regeln zu richten. Dass Spiele fair sind, liegt nicht zuletzt an der
Universalität der Regeln. Regeln gelten für sämtliche Spieler, nicht
einzelne Individuen. Zwar können im Laufe des Spiels bestimmte Regeln
für spezifische Spieler gelten, doch sind die Spieler nur Instanzen der
Regeladressaten. Wenn sich ein Spieler zu Spielbeginn dafür entscheidet
die Rolle X zu spielen (oder der Zufall für ihn entscheidet), so ist klar, dass
er nur das machen kann, was der Rolle X laut Regeln möglich ist. Das
heißt jedoch nicht, dass er in der nächsten Partie nicht auch Y oder Z sein
kann.
Die Situationen des Spiels sind Beschreibungen innerhalb dieses:
Ein Bauer steht auf A2, Spieler eins hat mehr Punkte als Spieler zwei, im
Stock liegen zwei Buben. Oder: Der Würfel zeigt die Zahl 5, die Figuren
der Spieler sind auf den Spielfeldern verteilt. Werden Spielsituationen
komplett beschrieben, so ist eine Agentenspezifikation redundant, da der
turn‐counter als Bestandteil des Spiels zu jedem Zeitpunkt eindeutig
festlegt, welcher Spieler welche Aktion ausführen darf.
Die gebietenden, verbietenden oder erlaubenden Deontoren
determinieren die spielerischen Handlungen exhaustiv. Jede Handlung
ist geboten, verboten oder erlaubt. Selten wird darauf so viel Wert gelegt
wie im Spiel.
Die auszuführenden Handlungen geben an, wie Spielsituationen
verändert werden. Solche Handlungen sind beispielsweise das Ziehen der
43
Figur, das Ablegen der Karte, das Aufschreiben der Punkte oder das
Werfen des Würfels.
Die Strukturregeln des Spiels klären folgende Fragen:
Spielraum: Wie muss der Raum beschaffen sein, in dem gespielt wird?
Objekte: Mit welchen Objekten interagieren die Spieler innerhalb des
Spielraums?
Start: Wie müssen die Objekte zu Spielbeginn innerhalb des
Spielraums verteilt sein?
Ende: Welches sind die Bedingungen, damit ein Spiel zu Ende ist?
So wie sich präskriptive Regeln in zwei weitere Kategorien einteilen
lassen, so lassen sich auch Strategieregeln unterteilen. Es sind absolute und
relative Strategien, die es für entsprechende Spiele respektive
Spielsituationen geben kann. Allgemeine Ratschläge zeichnen sich
dadurch aus, dass sie bedingungslos zielführend sind. Im Gegensatz dazu
sind relative oder heuristische Strategien kontextabhängig. Es kann also
nicht zu jeder Zeit die bestimmte Handlung empfohlen werden, sondern
nur in Abhängigkeit von der Spielsituation. Dennoch sind sie in der Regel
ein Mittel zum Erfolg. So fällt etwa die Strategieregel Wenn ein Spieler im
Skat die Wahl hat Karo oder einen Grand zu spielen, so sollte er sich für den
Grand entscheiden darunter. Ob dies auch wirklich eine zielführende Regel
ist, kann jedoch nur in Abhängigkeit einer konkreten Spielsituation
beantwortet werden.
44
Teil Zwei: Spielregeln
Obgleich in den voran gegangenen Kapiteln der Regelbegriff weitgehend
separat vom Spielbegriff diskutiert wurde, ist offensichtlich, dass sich die
eingebrachten Regelkategorien problemlos auf Spiele übertragen lassen.
Exemplarisch werden diese nun untersucht. Dies geschieht an Hand
intuitiv erstellter Beispielkollektionen. Am Ende von Teil Zwei wird
versucht die Frage nach einem Grundprinzip beantworten können,
welches begründet, warum die analysierten Spielregeln so sind wie sie
sind. Lässt sich eine Gemeinsamkeit der Spiele feststellen, die allgemein
als gut aufgefasst werden?
10 Operationale Regeln
„The most basic rules of a game are not a form of words but a set of
operational procedures you apply to the gaming equipment in order to
play the game. … [I] refer to these as the operational rules. Operational
rules are what you apply to the hardware of gaming equipment to
produce an instance of play.” (Parlett 2005)
Operationale Regeln entsprechen auch hier weitgehend dem Verständnis
der deontischen Regeln. Anwendung findet eine Regel dadurch, dass ihr
Bedingungsteil erfüllt ist, also eine bestimmte Situation vorliegt. Das
Spielen (play) entsteht durch die Handlungen, die entweder ausgeführt
werden dürfen oder müssen. Alle während des Spielens ausgeführten
Handlungen werden durch operationale Regeln legitimiert.
45
10.1 Regelausnahmen und Regelpräzisierungen
Nirgends hat der Mensch mehr Scharfsinn an den
Tag gelegt als in seinen Spielen. ‐ Leibnitz
Operationale Regeln legen fest, wie die Parteien innerhalb des
Spielsystems agieren dürfen und müssen. Ein Standardbeispiel stellt dabei
die Turmregel dar:15
Der Turm darf auf ein beliebiges anderes Feld entlang der Linie oder
der Reihe ziehen, auf der er steht.
Da der Turm jedoch nicht diagonal ziehen darf, muss dies in einer
Präzisierung festgehalten werden:
Abbildung 4: Der Turm darf auf ein beliebiges anderes Feld entlang der Linie oder der Reihe
ziehen, auf der er steht. Der Turm zieht waagrecht oder senkrecht beliebig weit.
Bei genauerem Hinsehen ist die Korrektheit dieser Regel jedoch in Zweifel
zu ziehen, da sich recht einfach Spielsituationen konstruieren lassen, in
welchen die Regel keine Gültigkeit besitzt. Dies ist der Fall, sollte zum
15 Die Regelpräzisierungen sind entnommen aus Kramer 2010, 347f.
46
Erreichen des Feldes eine andere Figur übersprungen werden müssen.
Demnach muss die Regel erneut erweitert werden:
Abbildung 5: Der Turm darf auf ein beliebiges anderes Feld entlang der Linie oder der Reihe
ziehen, auf der er steht. Der Turm zieht waagrecht oder senkrecht beliebig weit. Er darf andere
Figuren nicht überspringen.
Diese Regel sagt wiederum nichts darüber aus, was denn nun konkret
erlaubt bzw. geboten ist, sollte bei dem Zug des Turmes sein Weg durch
eine Figur blockiert sein. Demnach muss die Regel erneut erweitert
werden:
Abbildung 6: Der Turm darf auf ein beliebiges anderes Feld entlang der Linie oder der Reihe
ziehen, auf der er steht. Der Turm zieht waagrecht oder senkrecht beliebig weit. Er darf andere
Figuren nicht überspringen. Er kann nicht auf das Feld einer eigenen Figur ziehen, wohl aber
auf das Feld einer fremden Figur. Die fremde Figur wird dadurch geschlagen.
47
Die Turmregel ist nun durch Erweiterungen soweit korrekt.
Regelerweiterungen können auf zwei verschiedene Weisen
gedeutet werden. Entweder sind Regelerweiterungen Formulierungen
zusätzlicher Ausnahmeregeln oder es sind Regelpräzisierungen. Der
Bedingungsteil einer Ausnahmeregel impliziert die Situation der
originalen Regel sowie eine weitere Situation. Der Deontor verbietet dabei
nun das Ausführen der entsprechenden Aktion:
Regel: Wenn eine Situation S1 vorliegt, dann ist es erlaubt Aktion A1
auszuführen .
Ausnahmeregel: Wenn eine Situation S1 und eine Situation S2
vorliegen, dann ist es nicht erlaubt Aktion A1 auszuführen.
Eine Alternative stellt das Modifizieren des Bedingungsteils der originalen
Regel dar. Hier muss die Abwesenheit weiter Situationen gewährleistet
sein, damit die Regel nachwievor Anwendung findet:
Regelpräzisierung: Wenn eine Situation S1 vorliegt und S2 nicht
vorliegt, dann ist es erlaubt Aktion A1 auszuführen.
Der Vorteil von Regelpräzisierungen liegt darin, genau eine Regel zu
besitzen, welchen einen Sachverhalt klärt und damit zum Ausdruck
bringt, ob eine Aktion erlaubt ist oder nicht. Denn Ausnahmeregeln sind
zusätzliche Regeln, was bedeutet, eine größere Menge von Regeln zu
benötigen, um einen Sachverhalt zu klären. Je mehr Ausnahmen es gibt,
desto mehr Regeln müssen formuliert werden. Und es ist nicht sonderlich
praktikabel, für jede Aktion ein Regelwerk auf der Suche nach
Ausnahmeregeln zu durchforsten.
48
Formuliert man Regelerweiterungen hingegen als
Regelpräzisierung, so besitzt man zwar nur eine Regel, diese jedoch kann,
abhängig von der Anzahl der implizierten Ausnahmen, recht umfangreich
ausfallen. Hier besteht das Problem der Übersichtlichkeit. So muss
während des Spielens im Extremfall permanent überprüft werden, ob das
Antezedens sämtlicher Regeln erfüllt ist oder nicht. Weiß man allerdings,
dass eine Regel erfüllt ist, so kann man sich sicher sein, dass diese auch
bedingungslos gilt. Damit kann man Regelwerke, welche sich entweder auf
Ausnahmeregeln oder auf Regelpräzisierungen stützen, in zwei formale
Gruppen unterteilen: Monotone und nicht monotone.
10.2 Die Notwendigkeit von Ausnahmen
Regelwerke in Spielen sind generell nicht monoton organisiert. Zum einen
liegt dies in der Notwendigkeit begründet, eine gewisse Übersichtlichkeit
für menschliche Spieler zu schaffen. Zum anderen gibt dies Aufschluss
über deren konstruktiven Charakter während der Spielentwicklung. Denn
nur selten ist schon vor der Regelformulierung sicher, dass keine weiteren
Ausnahmen eingefangen werden müssen. Hier spielt die Komplexität
möglicher Spielverläufe eine Rolle. So kann sich der Regelschöpfer eines
Spiels nicht sicher sein, etwas „übersehen“ zu haben. Durch solche
Schwachstellen lassen sich Spiele exploiten. Exploits sind Wege durch den
Spielraum, deren Beschreitung der Regelschöpfer für nicht möglich oder
gangbar hielt. Zudem sind diese Wege im Vergleich zu anderen noch
äußerst dominant16 ausgeprägt. Im Extremfall verfügt der Spieler sogar
über eine Gewinnstrategie, was ein Worst‐Case‐Szenario darstellt. Nicht
16 Unter einer besonders dominanten Spielweise ist hier eine besonders zielführende zu
verstehen. Dominiert eine Spielweise eine andere, so gibt es rational betrachtet keinen
Grund eine andere zu wählen. Siehe auch Kap. 16.3.
49
selten entfachen Regeldiskussionen bezüglich dieser Problematik unter
den Mitspielern, sollten solche Lücken bekannt und von Spielern
ausgenutzt werden. Während ein Spieler darauf beharrt, regelgedeckt zu
agieren, wird sein Gegenspieler dafür argumentieren, dass diese
Spielweise nicht working as intended sei. Sie störe in unangenehmen Maße
die Balance des Spiels.
Werden solche unausgeglichenen Stellen aufgedeckt, so muss das
Regelwerk im Nachhinein modifiziert werden, was durch die Einbettung
weiterer Regeln – Ausnahmeregeln – geschieht. 17 Da eine Menge von
Ausnahmeregeln äquivalent mit einer präzisen Regel ist, werden zudem
Konsistenzprobleme mit dem interdiktionalen Prinzip verhindert. 18
Regelwerke sind entweder als interdiktional oder als konzessional zu
kennzeichnen (vgl. Siegwart 2010b, 38). Das interdiktionale Prinzip besagt,
dass all jene Handlungen, die nicht explizit erlaubt sind, verboten sind.
Dem konzessionalen Prinzip nach sind hingegen all jene Handlungen
erlaubt, die nicht explizit verboten sind.
Explizite Verbote auszusprechen, also dem konzessionalen Prinzip
Folge zu leisten, ist bei klassischen Spielen selten anzutreffen. Es ist nicht
der Fall, dass all das erlaubt ist, was nicht verboten ist, sondern es all das
verboten, was nicht explizit erlaubt ist. Dies hat zur Folge, dass mögliche
Spielverläufe von vornherein besser einzuschätzen sind, da sämtliche
Handlungsoptionen feststehen. Würde dem konzessionalen Prinzip Folge
geleistet werden, so wäre diese Einschätzung ungleich schwerer, da der
17 Durch diesen iterativen Prozess wird das Regelwerk in einem try&error‐Verfahren
angepasst. In dem Testverfahren werden insbesondere Schwachstellen des
Regelwerkes „gesucht“ und durch Regelmodifikationen weitgehend beseitigt.
18 Rein logisch besteht jedoch ein essentieller Unterschied zwischen diesen beiden
Regeltypen. Reglements mit Ausnahmeregeln sind innerhalb einer klassischen Logik
hochgradig inkonsistent .Nicht klassische Logiken wie in etwa die nicht monotonen
sind dahingehend etwas flexibler. Hier können „Ausnahmen“ problemlos verarbeitet
werden.
50
menschlichen Kreativität oft keinerlei Grenzen gesetzt sind.19 Dies gilt vor
allem dann, wenn es um das Gewinnen eines Spiels geht.
10.3 Aktionszwang, No‐Ops und Zugzwang
Die Spieler in klassischen Spielen unterliegen zumeist einem
Aktionszwang, was sich an Hand der Aufspielregel im Skat
veranschaulichen lässt:
Wenn ein Spieler am Aufspiel ist, dann muss er eine beliebige Karte
von seiner Hand legen.
Entgegen der Turmregel handelt es sich hierbei um ein Gebot. Dem
Spieler steht zwar offen, die zu spielende Karte zu wählen, doch steht er
unter Aktionszwang. Aktionszwang ist, bis auf wenige Ausnahmen, eine
wesentliche Eigenschaft von klassischen Spielen. Er besagt, dass ein
Spieler der am Zug ist, aus einer Reihe ihm zur Verfügung stehender
Aktionen wählen muss. Ein Schachspieler muss die Turmregel oder die
Bauernregel oder die Königsregel etc. anwenden. Ein Skatspieler muss
eine Fehlfarbe oder einen Trumpf aufspielen. Zwar unterscheiden sich
beide Spiele durch ihre Freiheitsgrade, doch technisch gesehen unterliegen
sie dem gleichen Prinzip. Spielern unter Aktionszwang steht es nicht frei,
auf das Ausführen bestimmter Aktionen zu verzichten. Hier ergibt sich
19 Viele Spiele bauen jedoch auf Grund des kreativen Aspektes genau auf solch einem
konzessionalen Prinzip auf und erhalten dadurch ihren Reiz. „Erreiche das Ziel, egal
wie“. Diese Spiele sind eher im Bereich von Paidia zu verorten und lassen den
Mitspielern ein großes Maß an Freiheit. Beispielsweise fällt das Quiz‐Spiel Tabu
hierunter. Hier müssen Begriffe irgendwie erklärt und erraten werden. Einziges Verbot
stellt dabei das Benutzen bestimmter Tabuwörter da.
51
die kuriose Situation des „dürfen müssens“, was als eine Metaregel
verstanden werden kann:
Wenn ein Spieler am Aufspiel ist/dran ist/am Zug ist etc., dann muss er
entweder Regel1 oder Regel2 oder … Regeln Folge leisten.
In Echtzeitspielen gibt es, formal betrachtet, keinen Aktionszwang.20 Den
Spielern damit nicht vorzuschreiben, dass sie etwas zu machen haben, ist
dahingehend auch nicht notwendig, sondern der Tatsache geschuldet,
dass derjenige, der nichts macht, automatisch auch gegen einen stetig
agierenden Gegenspieler verlieren wird. In Runden basierten Spielen ist
dies nicht der Fall, denn dadurch, dass Aktionen abwechselnd ausgeführt
werden, darf ein Spieler erst dann agieren, wenn ein Gegenspieler eine
bestimmte Aktion ausgeführt hat. Somit käme bei einer
Aktionsverweigerung der Spielfluss und damit auch das Spiel, komplett
zum erliegen. Was im Schach noch vorstellbar wäre, würde bei anderen
Spielen wie Skat das Spielprinzip komplett zunichte machen.
Sollte kein Aktionszwang vorhanden sein, so impliziert das Spiel
sog. No‐Op(eration)‐Aktionen, „Aktionen des nichts machen“ (vgl. Björk &
Holopainen 2005b). No‐Ops auf freiwilliger Basis sind zumeist
strategische Entscheidungen, z.B. wenn in einem Spiel eine ausreichende
Menge an Ressourcen angehäuft oder „auf den richtigen Augenblick“
gewartet wird. Hier wird zumeist ein hohes Maß an kombinatorischer
20 Allerdings gehört es zu den Regeln des Spielens, keinen permanenten Gebrauch
davon zu machen, da man sonst als Spielverweigerer und damit auch als
Spielverderber gilt. Dies gilt ebenso für einige rundenbasierte Spiele. So kann ein
Spieler zwar all das machen, was er machen muss, verzichtet jedoch auf das was er
darf. Wer in Monopoly per se keine Grundstücke kauft und wer in die Siedler von
Catan auf den Bau und das Handeln verzichtet, mit dem möchte man nicht spielen.
Denn gibt man sich im Konflikt des Spiels von vornherein geschlagen, versucht also
gar nicht erst zu gewinnen, so entwickelt sich kein Drama. Das Spiel ist langweilig.
Siehe auch Kapitel 19.
52
Expertise benötigt, da in solchen Spielsituationen nur selten offensichtlich
ist, was die beste Aktion darstellt. In Great Dalmuti kann beispielsweise
ein Spieler während des gesamten Spiels darauf verzichten eine Karte zu
spielen (Gewonnen hat derjenige Spieler der als erstes alle seine Karten
ausspielen konnte), nur um in einem finalen Schlag plötzlich all seine
Handkarten loszuwerden. Das „Aussitzen“ kann daher eine
spielentscheidende Rolle darstellen.
No‐Ops auf nicht freiwilliger Basis sind in der Regel Sanktionen
innerhalb des Spiels. So müssen Spieler in einer Runde „aussetzen“, was
eine forcierte No‐Op darstellt. Forcierte No‐Ops sind zumeist deswegen
Sanktionen, weil es sich bei dem Aussetzen, etwa eines Würfelwurfes, um
einen eindeutigen spielerischen Nachteil handelt.21
Zugzwang hingegen erlangt seine Bedeutung im Rahmen
strategischer Manöver und kann verallgemeinert als eine bestimmte
forcierte Aktion interpretiert werden, die durch die Kontrolle eines
Spielers zustande kommen: ʺA player to move cannot do anything
without making an important concession.ʺ (van Perlo 2006, 479)
Zugzwang bildet das Gegenstück zu forcierten No‐Ops, da die dem
Spieler zur Verfügung stehenden Aktionsoptionen ihn ausschließlich
schlechter stellen. Ein Spieler unter forcierter No‐Op würde gerne eine
Aktion ausführen, darf es aber nicht. Ein Spieler unter Zugzwang würde
gerne auf das Ausführen einer Aktion verzichten, kann das jedoch nicht
vermeiden. Er muss das geringere Übel wählen.
Der Begriff entstammt zwar ursprünglich dem Schachspiel, das
Prinzip findet sich hingegen in ähnlicher Form in vielen anderen Spielen.
Im Skat werden Spieler durch das „Trümpfe Ziehen“ in die unangenehme
21 Solche No‐Ops können ebenfalls als negative Feedbackelemente innerhalb eines Spiels
dienen. So kann ein Malus den „Spielführenden“ betreffen, was dafür sorgt, dass das
Spielerfeld dicht beieinander bleibt. Dies erhöht tendenziell das Drama, siehe auch
Kap. 19.
53
Situation gebracht, anschließend hochwertige Fehlfarben abwerfen zu
müssen. Besitzt ein Spieler in Siedler ein Rohstoffmonopol, so kann er dies
ausnutzen und die Handelspreise diktieren. Zwar können hierbei die
Spieler auf das Handeln verzichten, doch ist es unter Umständen
notwendig, um überhaupt noch handlungsfähig zu sein und eine gewisse
Siegchance zu besitzen. Zugzwang ist demnach eng verbunden mit dem
Konzept der Spielkontrolle und lässt Rückschlüsse auf die sich innerhalb
des Spiels befindlichen Machtverhältnisse zu.
11 Strukturregeln
Sind mit operationalen Regeln die spielinternen Regeln erschöpft? Müssen
Spielregeln einen deontischen Charakter besitzen, dann sind die
operationalen Regeln unabdingbar. Allerdings geht das intuitive
Regelverständnis darüber hinaus. Dies lässt sich an der Frage „Was sind
die Regeln von Schach?“ veranschaulichen. Die Antwort wird sich
sicherlich nicht auf „Die Bauernfigur darf man so und so ziehen, die Dame
so und so etc.“ beschränken. Vielmehr ist zu erwarten, dass man eine
umfangreichere Antwort erhält, die sämtliche Informationen beinhaltet,
die notwendig sind, um das Spiel spielen zu können – über die Zugregeln
hinaus. Neben den operationalen Regeln werden noch eine Reihe
verschiedener Strukturregeln benötigt. Zusammen mit den operationalen
Regeln ergibt sich dann das Spiel als solches: „Das Spiel ist […] die
Gesamtheit aller Regeln, die es beschreiben.“ (von Neumann &
Morgenstern 1961, 48) Diese Sicht auf das Verhältnis von Spiel und Regeln
entstammt der mathematischen Spieltheorie, ist aber durchaus auch
darüber hinaus gültig. Im Bereich des General Game Playing, einem
Unterzweig der Informatik, der sich als eine Art „universale Spieltheorie“
54
versteht, sind Spiele durch eine Menge verschiedener Regeln definiert
(vgl. Quenault und Cazenave 2007, 3‐4). Auch in Disziplinen in denen der
Fokus auf Computerspielen liegt, sind solche Ansichten gängig (vgl.
Järvinen 2003, 77). Prägnant drückt es der Spielhistoriker Parlett, der sich
mit Huizingas Standpunkt, jedes Spiel habe seine eigenen Regeln (vgl.
Huizinga 2006, 20), nicht zufrieden gibt: „ʹEvery game is its rulesʹ, for they
are what define it.“ (Parlett 1999, 3) Die Strukturregeln stimmen ebenso im
Wesentlichen mit den konstitutiven Regeln, wie sie beispielsweise bei
Iorio vorzufinden sind, überein. Dabei wird die ursprüngliche Frage nach
„notwendige[n] Bedingungen […], die ein potentielles X erfüllen muss,
um als genuines X zu gelten“ (Iorio 2010, 48) die Frage: Welche
Bedingungen muss ein System erfüllen, damit es als Spiel bezeichnet
werden kann?
Gilt es nun weitere Regeln zu erkunden, so muss man folglich nach
der Ontologie des Spieles fragen. Was sind also die maßgeblichen
Elemente eines Spiels? Hierbei gesellen sich zu den operationalen Regeln
nun noch eine Reihe verschiedener sog. Strukturregeln.
Zusammengenommen können diese als die Regeln des Spiels bezeichnet
werden.
12 Die Elemente des Spiels
Youʹll never guess what your ancestors did over
the card table. – David Parlett
Im Gegensatz zu den operationalen Regeln besitzen Strukturregeln keinen
deontischen, sondern einen deskriptiven Charakter. Sie beschreiben oder
definieren das Spielsystem, in dem agiert wird. Das Regelverständnis
verändert sich von der Frage „was darf man und was darf man nicht?“ zu
55
der Frage „Wie spielt man denn das Spiel?“. Eine Antwort auf diese Frage
für Tic‐Tac‐Toe:
[1] Gespielt wird auf einem 3x3 Raster mit 9 leeren Feldern.
[2] Zwei Spieler markieren abwechselnd ein leeres Feld, ein Spieler mit X
und ein Spieler mit O.
[3] Wenn ein Spieler drei gleiche Markierungen in einer Reihe platziert
hat, so hat er gewonnen.
[4] Sind alle Felder ausgefüllt und kein Spieler hat gewonnen, so endet
das Spiel mit einem Unentschieden.
Aus Punkt 2 lässt sich recht einfach die einzige operationale Regel
extrahieren: Wenn ein Spieler am Zug und ein Feld noch nicht ausgefüllt
ist, so darf es dieser mit seinem Symbol markieren. Punkt 1 gibt das
Spielfeld sowie die Startbedingung an. Die Punkte 3 und 4 geben an, wann
ein Spiel beendet ist. Zu den operationalen Regeln gesellen sich drei
weitere: Spielfeld‐ bzw. Spielraumfestlegung, Anfangsbedingung und
Endbedingung respektive Endbedingungen.
12.1 Spielraum
Jedes Spiel findet innerhalb eines festen Raums statt. Dieser bildet den
„magischen Kreis“ im Sinne Huizingas, der das Spiel vom „Ernst des
Lebens“ abgrenzt.
56
12.1.1 Raum als Abstraktum
Der Spielraum eines Brett‐ oder Gesellschaftsspiels ist ohne weiteres
festzumachen. Doch wie sieht es mit Kartenspielen aus?
„[E]s gibt zwar Spiele, bei denen eine dem Hexenkreis vergleichbare
Grenzziehung erfolgt, wie insbesondere Sport‐und Brettspiele, die eine
Spielfeldbegrenzung aufweisen; jedoch gibt es auch Spiele, die eine solche
Grenze nicht besitzen und bei denen es kaum möglich ist, anzugeben, wo
der physische Bereich des Spiels beginnt und wo er endet: Bei einem
Kartenspiel etwa könnte man auf den ersten Blick annehmen, der Tisch
sei das Spielfeld und der Rand die Grenze des Spielraums. Doch was ist
mit etwaigen Getränken, welche die Spieler auf dem Tisch stehen haben?
Gehören diese dann zum Spiel? Unterliegt das Bierglas den Regeln des
jeweiligen Kartenspiels?“ (Günzel 2010, 195)
Raum ist also nicht physikalisch zu deuten, sondern muss als abstraktes
Konzept verstanden werden. Er ist ein mathematisches Modell, ein
logischer Raum, welcher entsteht, wenn das Spiel sämtlicher visueller und
ästhetischer Inhalte beraubt wird. Was sich innerhalb des Spielraums
befindet, muss eine spezifische Bedeutung für das formale Spiel besitzen.
Würden die leeren auf dem Tisch stehenden Biergläser etwa die
gewonnenen Partien der Spieler indizieren, so hätten diese eine
spezifische Funktion im Spiel und dienten nicht nur dem Wohlbefinden
der Spieler. Daraus resultiert, dass auch bei Brettspielen nicht nur das
eigentliche Spielbrett dem Spielraum angehört, sondern auch der etwaige
Rundenzähler oder in tick‐based games ein entsprechendes
Zeitmessinstrument.
57
12.1.2 Dimensionen des Raums
Nach Schell (2008, 131) können Spielräume grob nach drei Kriterien
unterteilt werden:
[1] Game spaces are either discrete or continuous.
[2] Game spaces have some number of dimensions.
[3] Game spaces have bounded areas which may or may not be connected.
Klassische Spiele besitzen auf Grund ihrer Eigenschaft rundenbasiert zu
sein diskrete Räume. Das heißt, dass spezifische Raumeigenschaften, wie
etwa dass einzelne Felder von einer Figur oder einem Stein besetzt sind,
entweder zutreffen oder nicht zutreffen. Die Raumeigenschaften sind
lediglich quantitativ ausgeprägt, nicht qualitativ. Eine Figur kann dabei
nicht ein bisschen auf dem einen Feld stehen und ein bisschen auf einem
anderen. Die Objekte des Spielraums sind eindeutig in diesem verteilt.
Klassische Spiele sind entweder ein‐ oder zweidimensional ausgeprägt.
Tendenziell besitzen Würfelspiele einen linearen, und damit
eindimensionalen, Spielraum:
„The board represents a linear race track with one or more starting and
finishing points, and the aim is to be the first to get one’s piece or pieces
from Start to Home.” (Parlett 1990, 10; eigene Hervorhebung)22
Reine Strategiespiele hingegen finden zumeist in zweidimensionalen
Räumen statt. Dies ist allerdings keine konzeptuelle Notwendigkeit,
sondern der Praktikabilität geschuldet. Auch hier bildet beispielsweise die
22 Parlett gebraucht den Begriff des race games für lineare Brettspiele, in denen die
Spieler mit Hilfe von Würfeln ihre Figuren bewegen, sich die Interaktionen auf das
Hinauswerfen (oust) beschränken und deren Ziel das Erreichen von spezifischen
Feldern ist. Dabei unterscheidet er noch zwischen vier verschiedene Unterkategorien
an Hand ihrer Komplexität, vgl. Parlett 1999,11.
58
Variante des 3D‐ oder Raumschach eine Ausnahme, da hier in einem
dreidimensionalen Raum gespielt wird.
Punkt drei unterstreicht implizit wieder die mathematische
Bedeutung des Begriffs. Unter dem Raumbegriff wird eine mit einer
Struktur versehene Menge verstanden. Die Elemente der Menge sind, als
kleinste Einheit, einzelne Spielfelder. Diese sind mit einer bestimmten
Struktur versehen, sind also miteinander verbunden oder auch nicht.
12.1.3 Raumreduktion
Oft können die Dimensionen des Raums reduziert werden, wie sich an
Hand des Spielraums im Damespiel veranschaulichen lässt:
Es wird auf einem quadratischen Brett mit 8x8 abwechselnd weißen
und schwarzen Feldern gespielt.
Diese Spielraumfestlegung gestaltet sich eindeutig. Da man Dame zu den
Brettspielen zählt, entspricht der Spielraum des Spiels dem Brett, auf
welchem gespielt wird. Die Spieler dürfen beliebig Zugregeln anwenden,
solange sie die Grenzen nicht überschreiten. Im Schach besteht der
Spielraum aus einer Menge von 64 einzelnen Spielfeldern, die durch ihre
Anordnung zu einem Grid‐Array mit einer bestimmten Struktur versehen
sind. Die Struktur muss dabei nicht zwingend materiell manifestiert sein,
was ein Blick die Spielfeldkodierungen zeigt. So wird der Bauer von A1
auf A3 gezogen oder der Läufer von F1 auf B5. Entsprechend wird eine
Spielraumdarstellung in Form der 8x8‐Felder nicht benötigt, sofern die
einzelnen Felder bestimmte Eigenschaften (wie eben die Kodierung)
besitzen und die Regeln dies erfassen. Denn theoretisch kann Schach auch
59
auf 64 nebeneinander liegenden Einzelfeldern gespielt werden, sofern die
formale Struktur bestehen bleibt, sprich die scheinbar unterschiedlichen
Spiele weiterhin isomorph zueinander sind. Dass Spielräume also
zweidimensional ausgeprägt sind ist weniger eine formale Notwendigkeit.
Es ist neben Aspekten der Praktikabilität vielmehr dem Spielerleben23
geschuldet und liegt in der historisch‐kulturellen Entstehungsgeschichte
solcher Spiele begründet, wie anhand von Backgammon ersichtlich wird:
Abbildung 7: Das im Backgammon gebräuchliche Tric‐Trac‐Brett mit Startaufstellungen und
Zugrichtungen.
Backgammon: Die Spielsteine werden vom Home‐Board des Gegners
aus über das Outer‐Board zum eigenen Home‐Board hin gezogen.
Der hier beschriebene Spielraum versucht auf ähnliche Weise die interne
Struktur des Spiels zu erfassen. Der Spielraum besteht aus vier
verschiedenen Boards, die zu einer größeren Struktur, dem Spielfeld,
zusammengefasst werden. Zwar wirkt der Raum zunächst
mehrdimensional, tatsächlich jedoch handelt es sich nur um eine
Dimension:
23 Denn hierbei „verlieren“ die Figuren ihre augenscheinlichen speziellen
Zugeigenschaften. So werden diese nicht mehr innerhalb eines Raums gezogen,
sondern scheinen sich von Feld zu Feld zu „teleportieren“.
60
„It may be folded in upon itself so as to look like a two‐dimensional field
[…], through it remains essentially linear in the sense that a piece can
move only forwards or backwards, but not sideways except at a few
points specifically marked as short‐cuts.” (Parlett 1990, 10)
12.1.4 Raum und Regelrelevanz
Bei reinen Brettspielen lässt sich der Raum noch gut bestimmen, da er
sich, wie im Falle von Schach, als Brett manifestiert. Bei Kartenspielen
hingegen wird das schwieriger. Was ist das Spielfeld von Skat? Es ist zwar
nicht in Form eines Artefaktes wie dem Schachbrett vorgegeben, doch
lassen sich auch hier einzelne Spielfelder bestimmen. So gibt es
beispielsweise, je nach Spielsituation, ein Ablagefeld sowie ein Feld mit
Stichen für die Parteien. Nur sind diese nicht in materialisierter Form
vorhanden, sondern abstrakt und durch Konvention entstanden. Denn
niemand wird seine Karten neben den Tisch oder seine Stiche auf die
Stichfelder der anderen Partei werfen. Innerhalb der Spielgrenze sind
noch weitere relevante Elemente zu finden. So sind sowohl die Karten der
Spieler von Belang, wie auch deren Punktekonten (Punkte der aktuellen
Runde und Punkte insgesamt). Im Schach wird lediglich mit den auf dem
Spielbrett stehenden Figuren gespielt, bei Kartenspielen hingegen mit den
Karten auf der Hand. Intuitiv erscheint es zunächst nicht plausibel, ein
Punktekonto so wie ein Schachfeld oder einen Ablagestapel als Teil des
Spielraums anzusehen. Hier ist eine Ausdifferenzierung des Spielraums
nützlich. Kücklich stellt dem eigentlichen Spielraum noch ein sogenannten
„otherspace“ gegenüber: „In Backgammon, for example, the bar can be
considered as separate from the actual gamespace, while at the same time
performing an important function within the game.“ (Kücklich 2010, 49‐
50) Was hierbei als wichtige Funktion bezeichnet wird, fällt mit Günzels
61
Regelrelevanz zusammen: Objekte, welche sich innerhalb des Spielraums
befinden, können durch die Anwendung diverser Regeln bewegt werden.
Betrachtet man Spielsysteme als Informationssysteme, so sind es genau
diese Objekte, welche im Spiel die Information transportieren. „Rules are
the formal foundation of a game that allows players to manipulate
information.“ (Salen & Zimmerman 2004, 205) Spielen bedeutet in diesem
Kontext nichts anderes, als ein Informationssystem regelgeleitet zu
manipulieren. Mäyrä spricht in diesem Zusammenhang von einer
semiotischen Hülle, die den Gameplay transportierenden Kern umgibt:
„While the core or gameplay layer concerns everything a player can do
while playing the game, and also game rules that govern these actions, the
shell includes all the semiotic richness modifying, containing and adding
significance to that basic interaction.” (Mäyrä 2008, 17)
Erst durch eine Repräsentation bzw. „real‐life‐instance“ entstehen die
eigentlichen Spielfiguren mit ihren Eigenschaften: „Attributes: These are
the characteristics the rules give these objects, such as […] the specific
ways each piece can move and capture.” (Salen & Zimmerman 2004, 51)
Regeln bilden aus zunächst indifferenten Objekten konkrete Gegenstände,
die durch ihre unterschiedlichen Eigenschaften voneinander abgrenzbar
sind.
Erst dadurch wird die Königsfigur zum König, das Ass zum Ass,
eine Stadt zur Stadt (Siedler) und ein Hotel zum Hotel (Monopoly). All
diese Objekte besitzen deswegen Eigenschaften, weil sie durch
Transformation, also eine Anwendung von operationalen Regeln,
innerhalb des Spielraums manipuliert werden können.
62
12.2 Objekte
Ein Spielraum ohne Objekte ist ein leerer Spielraum. Zwar kann man
unter Umständen auch mit einem leeren Schachbrett Spaß haben, doch
wohnt Spielen die wesentliche Eigenschaft inne, dass innerhalb des
Spielraums mit etwas gespielt wird. Und genau dieses Etwas sind
zahlreiche Objekte: „Charakters, props, tokens, scoreboards, anything that
can be seen or manipulated [...].“ (Schell 2008, 136) Objekte sind die
Gegenstände der operationalen Regeln.
12.2.1 Objekte als Spielraumkodierungen
Betrachtet man diese Gegenstände ebenfalls abstrakt, so lassen sie sich als
Kodierungen und spezifische Informationen innerhalb des Spielraums
verstehen. Für das formale System als solches ist es irrelevant, ob ein
Turm auf einem bestimmten Feld steht oder nicht. Wichtig ist nur, dass
ein Spielfeld derart kodiert ist, dass es eine Regel gibt, welche adäquat zur
Turmregel die Spielfelder umkodiert. Aus der ursprünglichen Turmregel:
Der Turm darf auf ein beliebiges anderes Feld entlang der Linie oder
der Reihe ziehen, auf dem er steht.
wird in einem abstrakten Informationssystem:
Wenn ein Spielfeld mit „sechs“ kodiert ist, dann kodiere dieses mit
einer Null und weise einem ersten orthogonal liegenden Feld, das
nicht mit einer Null kodiert ist, den Wert sechs zu.
63
Die Werte null und sechs sind dabei arbiträr gewählt. Es können genau so
gut zwei beliebige Buchstaben, Wörter oder sonstige syntaktisch
voneinander unterscheidbare Ausdrücke sein. Für das Schachspiel ist nur
wichtig, dass es insgesamt 13 sind: Jeweils sechs für die verschiedenen
Figurentypen sowie einen Ausdruck für das leere Feld. Das traditionelle
Solitär (oft auch als Schwedenhalma bezeichnet) begnügt sich mit zwei
Kodierungen. Für das Skatspiel hingegen werden 33 verschiedene
Ausdrücke für die unterschiedlichen Karten (plus leeres Feld) benötigt,
die sich jeweils auf die Hände der Spieler, den Stock sowie den
Ablagestapel verteilen. Darüber hinaus ist für das Spiel bedeutsam,
welche Runde gespielt wird (drei Kodierungen), wie es um die Anzahl der
Punkte der eigenen Stiche beschaffen ist (120 Kodierungen),24 über wie
viele Gesamtpunkte die Spieler verfügen (tendenziell beliebig viele), ob
Standard‐ oder Sonderrunden gespielt werden (drei Ausprägungen) etc.
24 Nicht mit einberechnet sind die Multiplikatoren. In einer Runde (Grand, Hand,
Schneider, Schwarz, ouvert, mit vier spiel fünf, angesagt, Bock, Contra und Re) kann
ein Vielfaches an Punkten erspielt werden, abhängig vom herangezogenen Reglement.
Abbildung 8: Schachspiel mit
Startaufstellung – abstrakt kodiert
Abbildung 9: Illustrative Situation im Skatspiel –
abstrakt kodiert
64
12.2.2 Information
Unter rein formalen Gesichtspunkten können Objektzuschreibungen
innerhalb des Spielraums als Information gedeutet werden. Beide
Diagramme stellen dabei adäquate Modelle der Spiele in
Beispielsituationen dar,25 doch wird man im Falle des Skatspiels die Stirn
runzeln: Denn anders als im hier abgebildeten Modell sind die
Kodierungen nicht für alle sichtbar. Zwar verfügen in der Regel sämtliche
Spieler über ein genaues Wissen bezüglich des Spielraums, nicht jedoch
bezüglich der darin befindlichen Objekte. Je nach Spiel ist Wissen privat,
geteilt, öffentlich oder nicht vorhanden. Die Relation zwischen
unterschiedlichen Wissenszuständen 26 kann dabei unterschiedlich
ausgeprägt sein. Schell stellt dieses Phänomens grafisch dar. Dabei
repräsentiert jeder Kreis einen „Wissenden“:
25 Allerdings ohne die operationalen Regeln, deren Modellierung ist nicht sonderlich
komplex, allerdings recht aufwendig.
26 Worunter hier lediglich „einsehbare Information“ verstanden wird.
Abbildung 10: Darstellung möglicher Wissenszustände in Spielen
65
A ist öffentliches Wissen. Über dieses verfügen alle Beteiligten. Figuren
auf einem Spielbrett und aufgedeckte Karten fallen hierunter.
B wird von zwei Spielern geteilt. Dies kann der Fall sein, sollten sie
untereinander Karten tauschen können oder beide unter eine
verdeckte Karte geschaut haben.
C ist privates Wissen. Darunter fallen die eigenen Karten, in die man
nur selber Einsicht hat.
D ist das Wissen des Spiels, also „vorhandenes“ Wissen, über dies
jedoch kein Spieler verfügt, jedoch bereits determiniert ist. Dies sind
beispielsweise verdeckte Spielkarten, über deren Kenntnis noch kein
Spieler verfügt.
E ist zufällig generierte Information. Über dieses Wissen verfügen nur
die Götter oder das Schicksal.
Diese Klassifikation lässt sich mit Begriffen der mathematischen
Spieltheorie präzisieren: Spiele, in denen A, aber nicht B und C der Fall ist,
sind Spiele mit vollständiger Information (Backgammon, Mensch‐ärgere‐
Dich‐nicht). Ist zudem noch E nicht gegeben, handelt es sich um Spiele mit
perfekter Information (Schach, Go). Liegen A oder B vor, ist es als Spiel
mit imperfekter Information klassifizierbar (Skat, Poker).
D und E können zusammenfallen. Denn, so das Argument,
technisch gesehen macht es zunächst keinen Unterschied, ob man eine
Runde Roulette spielt oder eine Karte aus 37 verdeckten zieht. Zwar mag
das eine Ereignis bereits determiniert sein und das andere noch nicht,
doch die Chancen scheinen gleich zu sein, da die möglichen Ereignisse
den gleichen Wahrscheinlichkeiten unterliegen. Nichtsdestotrotz lassen
sich anhand dieser Unterscheidung ein direkter und ein indirekter
Informationsbegriff festmachen.
66
12.2.3 Direkte und indirekte Information
Im Falle imperfekter Information unterscheidet Parlett zwischen zwei
verschiedenen Varianten. Im Falle des Gebrauchs eines Würfels27 handelt
es sich um future imperfect information, da zum vorliegenden Zeitpunkt
zwar die gesamte Information vorliegt, jedoch nicht in Bezug auf
zukünftige Situationen. Imperfekte Information durch Karten oder
Spielsteine hingegen fallen in den Bereich der past imperfect information, da
die imperfekte Information ihren Ursprung in der Vergangenheit durch
das vergangene Mischen besitzt:
„In race games, you travel from the known to the unknown, so to speak,
whereas in card games you travel from the unknown to the known. In
card games, any plans you may be able to make for the future are based on
deduction and inference from what has gone before. In race games, what has
gone before is irrelevant […], and any plans you may be able to make can only
be based on your knowledge of probabilities.“ (Parlett 1999, 20; eigene
Hervorhebung)
Der direkte Informationsbegriff bezieht sich lediglich auf das Wissen zur
jeweils vorliegenden Konfiguration. Allerdings ist der Erfolg in vielen
Kartenspielen in nicht geringem Ausmaß davon abhängig, dieses im
Rahmen voran gegangener Züge zu deuten.
„[...] information is not absent in strategic card games: rather, it is released
gradually as cards are played or announcements made, and much of the
27 Dieser muss nicht zwingend einem sechsseitigen kubischen Würfel entsprechen.
Gerade mit Blick in die Geschichte sind sechs Seiten eher die Ausnahme: „The dice,
with minor exceptions, have two faces, distinguished by colors or markings, and are
of a great variety of materials‐split canes, wooden staves or blocks, bone staves, beaver
and woodchuck teeth, walnut shells, peach and plum stones, grains of corn, and bone,
shell, brass, and pottery disks.“ (Culin 1975, 45) Ein Würfel ist mehr ein Konzept und
weniger ein spezifischer Gegenstand. In abstrakter Weise kann er als
„Wahrscheinlichkeits‐Ereignis‐Generator“ gedeutet werden. Im Falle des
Standardwürfels generiert dieser sechs unterschiedliche Ereignisse mit jeweils
gleicher Wahrscheinlichkeit.
67
information that has not yet been revealed is to be deduced or inferred‐or
even ’intuited‘‐from that which has. The acquisition of information is as
much the goal of strategy in strategic card games as the positional moves
made as a result of the knowledge acquired.“ (Parlett 1990, 19)
Im Skat ist das Mitzählen von Punkten und Trümpfen essentiell. Gute
Pokerspieler können die gegnerische Spielweise im Rahmen der bereits
veröffentlichten Information derart gut interpretieren, dass es möglich ist
die gegnerischen Karten relativ genau bestimmen zu können. Im
Backgammon ist es enorm wichtig, Entscheidungen auf Basis von
Wahrscheinlichkeiten zu treffen. Hier liegt bei Weitem kein Glücksspiel
vor:
„[...] Backgammon [erhält] über das Zufallsmoment hinaus einen
ausgeprägt kombinatorischen Charakter, zumal die Interaktion zwischen
den Spielern aufgrund der relativ wenigen Felder und der gegenläufigen
Zugrichtung sehr stark ist.“ (Bewersdorff 2010, 224)
All diesen Beobachtungen ist gemein, dass sie nicht mit einem direkten
Blick auf das Spiel auskommen, sondern dass Vorangegangenes
memoriert und Zukünftiges antizipiert wird.
12.3 Konfigurationen
Spielkonfigurationen, oftmals auch als Spielzustände oder
Spielsituationen bezeichnet, sind Spielraumbeschreibungen zu einem
festen Zeitpunkt. In rundenbasierten Spielen ist eine Abgrenzung
verschiedener Konfigurationen zumeist ohne weiteres möglich, was dem
diskreten Spielraum geschuldet ist: Eine Konfiguration ist eine Zuordnung
von Objekten zu jedem Teil des Raums, sprich zu seinen Einzelfeldern.
68
Zu Unterscheiden sind denkbare, spielmechanische und mögliche
Konfigurationen. Denkbare Konfigurationen sind sämtliche
Kombinationen der Objekte im Spielraum. So ist es denkbar, dass ein
Schachbrett mit 64 schwarzen Bauern versehen ist. Einer der zahlreichen
Einwände wird nun lauten, dass diese Konfiguration nicht erreicht
werden kann. Es gibt keine Regel, welche es erlaubt diesen Zustand zu
erreichen. Ebenso wenig gibt es eine Regel, mit Hilfe derer man von dieser
Konfiguration eine Folgekonfiguration erreicht. Sie ist isoliert. Damit kann
kein Spielen stattfinden. In spielmechanischen Konfigurationen kann ein
Spieler dagegen mit Hilfe der Regeln agieren. Befinden sich beispielsweise
2 Bauern, 1 Läufer sowie eine Dame jeder Farbe auf dem Spielfeld, so
können einige Regeln angewandt werden. In einem Trainingsszenario
zumindest. Nicht jedoch in einem tatsächlich möglichen Spiel. Denn, so
die simple Feststellung, eine Schachpartie ohne Könige kann nicht
existieren.
An dieser Stelle kommen Anfangs‐ und Endbedingung eines Spiels
zum Tragen. Unter anderem determinieren diese, welche Konfigurationen
in einem Spiel tatsächlich erreicht werden können und welche nicht.
12.3.1 Anfangskonfiguration
Anfangsbedingungen sind entweder konstant oder variabel. Spiele ohne
verdeckte Elemente, also Spiele mit perfekter Information wie Schach oder
Mühle, aber auch Spiele mit lediglich vollständiger Information wie
Backgammon oder Mensch‐ärgere‐Dich‐nicht besitzen stets konstante
Startbedingungen. Darunter verbirgt sich der der Balance geschuldete
Grundgedanke der Startsymmetrie, der wesentliches Merkmal eines fairen
Spiels ist.
69
Spiele mit unterschiedlichen möglichen Startkonfigurationen sind
daher asymmetrische Spiele. Dies ist dann der Fall, wenn zu Spielbeginn
eine zufällige Objektverteilung vorliegt, wie in nahezu allen
Kartenspielen. Doch auch wenn der Beginner einer Partie zufällig ermittelt
wird, so erhält das Spiel eine asymmetrische Komponente. Durch
Handicaps kann ein Spiel an unterschiedliche Spielstärken angepasst
werden, was ebenfalls einen variablen Beginn zur Folge hat. Dieses
Konzept findet sich zwar fast ausschließlich in elektronischen Spielen oder
Sportspielen wieder, lässt sich jedoch auch auf klassische Spiele sinnvoll
übertragen.
12.3.2 Endkonfigurationen
Endkonfigurationen hingegen gibt es zumeist mehrere. Schon im Falle
von Tic‐Tac‐Toe ist die Anzahl recht groß, da es 255.168 verschiedene
Spielverläufe (Drehung oder Spiegelung ausgenommen) gibt. Wann
genau ein Spiel terminiert, also zu Ende ist, ist nur schwer
verallgemeinerbar. Eine Partie Schach ist unter anderem zu Ende, sobald
es zu jeder Folgekonfiguration des schachgesetzten Spielers eine
Folgekonfiguration gibt, in welcher die Königsfigur nicht mehr im Spiel
ist. Ebenso gilt eine Partie als beendet, falls die Figuren der letzten 49
Konfigurationen mit denen der aktuellen identisch sind. Dies sind
spielinterne Abbruchbedingungen, die sich, wie im Falle von Tic‐Tac‐Toe,
auf spezifische Spielsituationen beziehen. Zudem ist ihnen gemeinsam,
dass es einen Gewinner (und damit auch einen Verlierer) oder keinen
Gewinner geben kann.
Ohne die eingebrachte Remis‐Regel würde Schach nicht zwingend
terminieren. Das Spiel könnte, theoretisch, unendlich lange andauern. Bei
70
Tic‐Tac‐Toe ist dies nicht der Fall, da nach insgesamt neun Zügen keine
weitere Regel mehr angewendet werden kann. Spiele mit
Zufallselementen und einem Rundparcours wie Mensch‐ärgere‐Dich‐nicht
oder Monopoly könnten theoretisch ebenfalls unbestimmte Zeit
fortlaufen. Theoretisch deswegen, da die Würfel so fallen könnten, dass
die Terminierungsbedingung nicht eintritt. Früher oder später jedoch wird
die geeignete Augenzahl die Partie beenden. Auch diesen beiden Spielen
ist gemein: Ihre Endkonfigurationen sind dadurch charakterisiert, dass
bestimmte Regeln nicht mehr anwendbar sind. Hat ein Spieler bei
Mensch‐ärgere‐Dich‐nicht alle seine Figuren erfolgreich zu den
entsprechenden Feldern bewegt, so kann er auch keine Bewegung mehr
ausführen. Bei Monopoly hingegen ist der Gewinner indirekt definiert.
Gewinner ist derjenige Spieler, der kein Verlierer ist. Und Verlierer sind
all diejenigen, die „Pleite“ sind. Pleite ist man genau dann, wenn man eine
finanzielle Forderung nicht mehr begleichen kann, die ebenfalls mit einer
spielinternen Regel festgelegt ist. Tendieren Spiele dazu sich „festfahren“
zu können, das heißt in absehbarer Zukunft scheint sich kein potentieller
Sieger ausmachen zu lassen, kann durch die Einbettung zusätzlicher
Regeln eine Terminierung erzwungen werden. Neben der Remis‐Regel
besteht beispielsweise beim Pokerspiel die Gefahr, dass man „sich die
Chips hin‐ und herschiebt“, die Spieldynamik also weitgehend zum
Erliegen kommt. Insbesondere bei risikoaversen Spielern ist das zu
erwarten. An dieser Stelle greift die Blindverdopplung, was eine
zeitsensitive Modifikation des Regelwerks bedeutet. Innerhalb fester
Zeitabstände werden die Mindesteinsätze, die Blinds, verdoppelt. Da
hierfür keine Grenzen gesetzt sind, kann dieser Verdopplungsprozess sich
beliebig oft wiederholen. Somit wird es früher (oder später) eine Situation
geben, in denen die Spieler ihre Einsätze nicht mehr bezahlen können und
damit automatisch verloren haben. Anders gestaltet sich das Spielende,
71
wenn Punkte im Vordergrund stehen. Diese bestimmen mit einer
sogenannten Evaluierungsfunktion den Gewinner.
„Evaluation function determines the outcome of an event. A typical
evaluation function is the one used to determine the winner of a game at
the end of a game session. A similar evaluation function, also known as
the winning condition, is the condition which determines the winner and
causes the end of the game session. Thus, closures can cause evaluation
functions to be determined which can in turn cause new closures. Scoring
mechanisms in games are also examples of the use of evaluation
functions.” (Björk & Holopainen 2003, 8f)
Die Gewinnkondition bezieht sich auf Spiele, in denen ein spezifisches
fixes Ziel erreicht werden muss. Es handelt sich dabei um eine absolute
Siegbedingung. Gewinner ist dabei derjenige, der dieses Ziel als erster
erreicht. Bei relationalen Siegbedingungen hingegen wird der Gewinner
über eine vergleichende Funktion ermittelt. In einfachen Kartenspielen
genügt dabei ein Blick auf die Punktekonten, in einigen anderen wie dem
traditionellen Mah‐Jongg müssen hierfür durchaus komplizierte
Berechnungen durchgeführt werden.
Im Falle der Siedler von Catan ist das Spiel zu Ende, sobald ein
Spieler 10 Siegpunkte erreicht hat. Hierbei handelt es sich um eine
absolute Siegbedingung. Man könnte jedoch die Partie weiterspielen und
die notwendige Punktzahl auf 12 erhöhen. Daher scheint die Grenze von
10 Punkten zunächst willkürlich gesetzt. Designtechnisch jedoch sind die
10 Punkte wohlüberlegt. Das zum Erlangen der Siegpunkte notwendige
Spielmaterial ist limitiert, so dass es eine theoretische Grenze gibt, wie viel
Punkte überhaupt erreicht werden könnten. Sollten es hingegen zu
wenige Punkte sein, so kann sich keine Dynamik entwickeln. Das benötigt
insbesondere dann Zeit, wenn es sich um Spiele mit reichlich
Spielmaterialien handelt, die erst nach und nach ins Spiel eingeführt
72
werden und zur Entwicklung der Spielwelt beitragen. Monopoly besitzt
Hotels, Siedler Städte. Solch hochwertige Spielelemente sind dadurch
charakterisiert, dass sie eben nicht direkt zu Spielbeginn einsetzbar sind.
Es wird erst eine Reihe anderer Spielressourcen benötigt, Geld respektive
Rohstoffe, um diese recht mächtigen Spielfiguren ins Spiel zu integrieren.
Würden, im Falle von Siedler, bereits sechs Siegpunkte ausreichen um das
Spiel abzuschließen, so wäre es nahezu unmöglich diese Figurentypen ins
Spiel zu bringen. Eine geringere Spieldynamik wäre die Folge. Demnach
ist die Wahl der Siegpunkteanzahl keinesfalls willkürlich disponiert. Die
Festsetzung ist keine leichte Entscheidung und erfordert eine enorme
Kenntnis der Systemdynamik.
In dieser Hinsicht wesentlich flexibler lassen sich stark repetitive
Spiele wie Skat oder Doppelkopf gestalten. Zwar wird der Gewinner auch
über das vollste Punktekonto ermittelt, doch muss nicht zwingend ein
bestimmter Wert über das Spielende entscheiden. So kann dieser zu
Beginn von den Beteiligten festgesetzt werden. Gängig ist jedoch die
Anzahl der gespielten Runden von vornherein festzulegen. Sie sollte nicht
zu gering ausfallen. Da Kartenspiele zumeist asymmetrische
Startbedingungen aufweisen, kann gerade zu Beginn durch besonders
gute Karten ein solider Punktevorsprung heraus gespielt werden. Erst
durch fortwährende Spielwiederholungen können Glücks‐ und
Pechsträhnen durch die ständige Neuverteilung der Karten ausgeglichen
werden. Besitzen die Sitzpositionen der Spieler Spielrelevanz, so sollten
Runden zudem zu Ende gespielt werden:
„The simplest method is to keep playing until at least one player has had
enough and wishes to close the account. Such an ad hoc structure typically
obtains at Skat, whose length is only constrained by the agreement that
everyone should have dealt the same number of times.“ (Parlett 1990, 24)
73
Dies ist hier deswegen wichtig, weil das „Geben‐Hören‐Sagen‐
Weitersagen“‐Prinzip die Spielrunde beeinflusst. Denn wollen z.B. zwei
Spieler ein Spiel mit dem gleichen Wert alleine spielen, so erhält die
Vorhand gegenüber der Mittelhand den Zuschlag. Daher sollte der
Fairness halber das Spiel erst dann enden, wenn alle drei Spieler die
gleiche Anzahl an Spielpositionen absolviert haben. Als Runde kann hier
der Durchlauf eines kompletten Rollenwechsels verstanden werden.
Hier entscheidet ein abstrakter Zähler über das Eintreten des
Endzustandes, nicht jedoch darüber, wer denn nun gewonnen hat. Dies
wird erst mit Blick auf die Evaluierungsfunktion ersichtlich. Ob das Spiel
also zu Ende ist, wird nun durch ein scheinbar außerhalb des Spiels
stehendes Konstrukt bestimmt. Dieses Zeitmessgerät befindet sich jedoch
abstrakt betrachtet trotzdem innerhalb des Spielraums. Der Zähler dieses
Konstrukts ist also, ebenso wie der Turn‐Counter oder die
Evaluationsfunktion, von Bedeutung für das Spiel. Es sind wichtige
Elemente des Spiels, die sich innerhalb des Spielraums befinden.28
Alternativ kann das Spielende auch an einen sozialen Kontext
gekoppelt werden. Wird beispielsweise so lange gespielt, bis die Kneipe
schließt oder die Biervorräte aufgebraucht sind, so sind diese
lebensweltlichen Umstände wieder relevant für das Spiel und daher Teil
dessen.
28 Allerdings ergeben sich Konflikte mit dem naiven Verständnis des Zeitbegriffs.
Rundenbasierten Spielen zeichnen sich dadurch aus, dass sich die verschiedenen
Zustände eindeutig voneinander trennen lassen – die Zustandsübergänge sind
diskret. „Zeit“ ist schwierig im Sinne diskreter Übergänge konzeptualisierbar, da sie
übergangslos „fließt“. Eine Modellierung davon müsste daher mit kontinuierlichen
Übergängen arbeiten.
74
13 Gute Regel – schlechte Regel
Lassen aus den vorliegenden Betrachtungen Prinzipien extrahieren, die
erklären was gute Spiele ausmacht? Gibt es Gemeinsamkeiten, denen
Spielregeln unterliegen sollten? Nach Sicht des Autors lassen sich fünf
wesentliche Merkmale destillieren, wird nach dem Sinn einzelner
Regelfestsetzungen oder auch dem Gesamtregelwerk gefragt.
Zum einen zeichnen sich sämtliche untersuchten Spiele dadurch
aus, dass sie, auf unterschiedliche Art und Weise, fair sind: Kein Spieler
darf einen inhärenten Vorteil besitzen. Doch was sind genaue
Bedingungen dafür?
Die Handlungen der Spieler werden durch die operationalen
Regeln bestimmt: Sie müssen oder dürfen Aktionen ausführen. Ein Gebot
stellt keinerlei Anforderungen an ihn, denn ihm obliegt keinerlei
Entscheidungsfreiheit. Daher wird es für den Spieler immer nur dann
interessant, wenn er sich in einer Entscheidungssituation befindet. Hier ist
zu fragen, was genau die Ansprüche an eine interessante
Entscheidungssituation darstellen.
In der Diskussion zur Notwendigkeit von Regelausnahmen wurde
die Problematik von Exploits angesprochen. Dadurch erhält das Spiel
unter anderem eine ungewollte Linearität. Doch sollten Spiele eine
gewisse spielerische Vielfalt zulassen.
Sämtliche Spiele besitzen ein Maß an Ungewissheit, sie sind
spannend. Siedler besitzt nicht aus arbiträren Gründen genau 10
Siegpunkte. Schach bei gleich guten Spielern wird eine Weile andauern.
Auch bei Mäusefalle weiß man nicht so recht wer gewinnen wird. Wie
kann das Konzept der Spannung präzisiert werden?
Die meisten Menschen werden Tic‐Tac‐Toe oder Mäusefalle als ein
langweiliges Spiel empfinden, da sie unterfordert sind. Andere
75
wiederrum werden Schach oder Go dahingehend uninteressant finden, als
dass es sie überfordert. Daher ist es ein bestimmter Grad der erreicht
werden muss, damit ein Spiel eine Herausforderung bietet.
76
Teil Drei: Balance
Gelegentlich sind Regelwerke wie Kochrezepte. Es wurden die besten
Zutaten verwendet und dennoch ist das Ergebnis irgendwie langweilig.
Weder im Spiel noch auf dem Gaumen möchte eine rechte Aufregung
aufkommen. Zu viel von dem Einen, zu wenig von dem Anderen und
etwas Drittes fehlt ganz und gar. Irgendwie befindet sich das Hergestellte
nicht in Balance.
Und genau diese Balance, so die im Folgenden vertretene These, ist
eine der wichtigsten, wenn nicht sogar die Eigenschaft, die ein formales
Spiel zu einem guten, spielenswerten Spiel macht. Etwas zu kreieren, das
nach rein formalen Gesichtspunkten als Spiel gelten kann, ist keine Kunst.
Allerdings ist es eine Kunst ein gutes Spiel zu kreieren. Ganz allgemein
besteht die Schwierigkeit der Implementierung von vielen
Spielmerkmalen darin, dass diese oft auf zwei gegensätzlichen
Basismerkmalen beruhen. Fünf Merkmale werden im folgenden Teil
untersucht:
Merkmal Wahrung der Balance zwischen… Bezug Prinzip
Fairness Chancengleichheit
Spieler Eins
Chancengleichheit
Spieler Zwei
Formale
Spielstruktur
Kein Spieler sollte
einen inhärenten
Vorteil besitzen
Ausgewogenheit Simplen
Entscheidungen
Komplexen
Entscheidungen
Menge
singulärer
Spielsituationen
Das Spiel sollte
bezüglich der
Entscheidungsarten
eine Reichhaltigkeit
aufweisen
Vielfalt Anzahl verschiedener
Spielweisen
Nutzen
verschiedener
Spielweisen
Menge der
möglichen
Handlungsfol‐
gen
Den Spielern sollten
mehrere sinnvolle
Wege durch das
Spiel zur Verfügung
stehen
Spannung Unsicherheit Endgültigkeit Formale
Spielstruktur
und
Spielerexpertise
Bis zu einem
bestimmten Punkt
sollte der Gewinner
einer Partie unklar
sein
Herausforderung Unterforderung/
Klarheit
Überforderung/
Spieltiefe
Formale
Spielstruktur
und
Spielerexpertise
Der
Schwierigkeitsgrad
des Spiels und die
Expertise des
Spielers sollten
zueinander passen
Abbildung 11: Fünf Merkmale eines guten Spiels
77
14 Balance in Spielen – Ein Überblick
Balance kann auf zwei Ebenen analysiert werden. Zum Einen kann sie sich
auf den inneren, formalen Kern des Spiels beziehen. Hier ist formale
Balance notwendig, die die Chancengleichheit der Spieler wahrt. Sie
garantiert, dass ein Spiel fair [1] ist:
„In Multiplayer games, it [Balance; eigene Anmerkung] means that the
starting positions and play are fair (i.e., no player has an inherent
advantage), and no single strategy dominates all others.” (Fullerton 2008,
286)
Das ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn Agôn, also der
Wettkampf, im spielerischen Mittelpunkt steht. Denn der Bessere ist nicht
derjenige, der irgendwie gewinnt, sondern der Bessere ist derjenige, der
unter Einhaltung bestimmter Regeln spielt, die eine Chancengleichheit
aller Teilnehmer garantieren, und dabei gewinnt. In diesem ersten Sinn
befindet sich ein Spiel in Balance, wenn kein Spieler zu Beginn größere
Gewinnchancen besitzt als ein anderer. Hier kann von einem formalen
Gleichgewicht gesprochen werden, da die Balance mathematisch
berechenbar ist. Der einfachste Weg das zu erreichen: Den Spielern
werden gleiche Mittel in die Hand gegeben, das Spiel also weitgehend
symmetrisch gestaltet. Weitgehend deshalb, weil in nahezu allen
klassischen Spielen ein Spieler den Vorteil des ersten Zugs
(Anzugsvorteil) besitzt. Besitzt auf Grund dessen ein Spieler eine
gegenüber seinem Gegenspieler dominante Strategie, so befindet sich das
Spiel nicht im Gleichgewicht.
Spiele, die ungleich sind und dies von vorneherein in die
Konzeption einbeziehen, müssen nicht zwingend auch unfair sein. Hier
kann theoretisch durch Konzepte wie Rotationssymmetrie die
Chancengleichheit zwischen allen Teilnehmern gewahrt bleiben. Mit Hilfe
78
von empirischen Konzepten wie einer iterativen Anpassung hingegen kann
der Grad der Fairness auf einer rein praktischen Ebene angepasst werden.
Die qualitative Balance geht darüber hinaus. Denn auch ein Spiel, das
Chancengleichheit garantiert, kann gähnend langweilig sein. Hier stoßen
formale Betrachtungen an ihre Grenze, denn es scheint absurd, Spielspaß
berechnen zu wollen. Trotzdem besitzen auch formale Gesichtspunkte
elementare Bedeutung für die Qualität eines jeden Spiels. Ziel ist es hier
auch, diese aufzuzeigen und theoriegeleitet solide Kriterien zu erarbeiten,
mit Hilfe derer erklärbar wird, was ein gutes Spiel ausmacht.
Die qualitative Balance ist spielerzentriert. Singuläre
Entscheidungssituationen müssen gewisse Eigenschaften besitzen, damit
sie auch interessante Entscheidungen implizieren. So mag ein Münzwurf
formal perfekt ausbalanciert – und damit fair – sein, doch wirklich
interessant ist die Frage nach der Seitenwahl nicht, denn die Entscheidung
ist unbedeutsam. Auf der anderen Seite kann in einer
Entscheidungssituation der Fall eintreten, dass eine Option deutlich besser
ist als ihre Alternativen, etwa wenn ein Spieler die Wahl hat nach einem
Pasch erneut zu würfeln. Hier fehlt es an Unsicherheit. Nicht jede
Entscheidungssituation muss spezifischen Ansprüchen genügen, sondern
insgesamt sollte ein Spiel ein gewisses Spektrum unterschiedlicher
Entscheidungssituationen beinhalten. Dadurch wird es ausgewogen [2].
Weiterhin müssen sich die möglichen Strategien – hier verstanden
als generelle Spielweisen durch den Spielraum – in Balance befinden.
Konkret bedeutet dies, dass es nicht den einen richtigen Weg, sondern
möglichst viele sinnvolle – zielführende – Wege durch den Spielraum gibt.
Dies ermöglicht eine strategische, oder spielerische, Vielfalt [3].
Als Qualität eines gesamten Spiels lässt sich Spannung [4]
ausdifferenzieren. Diese basiert auf einem Gleichgewicht von Drama (bzw.
79
Unsicherheit) und Endgültigkeit. Hier wird untersucht, welche Strukturen
Spiele besitzen müssen damit ein Spieler eine Partie als spannend
empfinden kann.
Schlussendlich wird das Qualitätsmerkmal der Herausforderung [5]
genauer untersucht. Neben zwei sich diametral verhaltenden
Eigenschaften, Spieltiefe und Klarheit, ist hier insbesondere die spielerische
Expertise von großer Bedeutung. Ein Gleichgewicht dieser Merkmale ist
notwendig, damit der Flow‐Effekt eintreten kann.
15 Prinzip [1]: Fairness
Er bezeichnet das Kartenspiel als Glücksspiel.
Kann er nicht richtig mischen? ‐ Werner Mitsch
15.1 Balance durch Symmetrie
Ein wesentliches Merkmal der Balance eines Spiels ist die
Chancengleichheit aller Spieler. Zumeist wird dies durch nahezu
identische Startbedingungen gewährleistet. In Spielen mit perfekter oder
vollständiger Information ist dies in der Regel der Fall. So ist das
Startlayout im Schach, Backgammon oder auch im Mensch‐ärgere‐Dich‐
nicht aus Sicht der beteiligten Spieler fast identisch. Sämtliche Spieler
starten mit denselben Ressourcen und das Spielfeld ist symmetrisch.
Unter Bezugnahme auf die voran diskutierten Spielelemente lassen
sich symmetrische Spiele durch Folgendes kennzeichnen:
[1] Der Spielraum ist symmetrisch.
[2] Die Ressourcen der Spieler identisch sind. D.h., die Spieler besitzen die
80
gleiche Anzahl derselben Figuren.
[3] Die Startaufstellung symmetrisch ist. D.h., aus Sicht der Spieler ist
diese identisch.
[4] Die Spieler versuchen das gleiche Ziel zu erreichen.
[5] Die Spieler agieren mit Hilfe der gleichen Regeln.
15.1.1 Lösungsansätze des Anzugsvorteils
Um keinen Spieler zu begünstigen, sind fast alle Brettspiele annähernd
symmetrisch. Annähernd symmetrisch sind sie deswegen, da ein Spieler
den Vorteil des ersten Zuges besitzt. Denn genau genommen ist auch der
turn‐counter oder Rundenzähler als ein Teil des Spiels vorhanden. Und da
die Spieler ihre Züge immer nur sequenziell und niemals parallel
ausführen, ist das Spiel zu Beginn immer asymmetrisch, wenn auch nur in
einem geringen Maß.
Doch gilt „Wer beginnt, der ist bevorteilt“ unabdingbar? Zwar
besitzt der Anziehende auch im Backgammon einen theoretischen Vorteil,
doch wird dieser durch die hohe Anzahl von Zufallsereignissen relativiert.
Interessanter ist die Betrachtung von reinen Strategiespielen, also
symmetrischen Nullsummenspielen für zwei Spieler mit perfekter
Information. Bereits 1913 bewies Zermelo (Zermelo 1913, 501–504), dass
bei diesen einer der drei Fälle zutreffen muss:
[1] Der Anziehende besitzt eine Strategie, die den Sieg garantiert.
[2] Der Anziehende besitzt eine Strategie, die mindestens ein Remis
garantiert, aber keine Strategie wie in A.
[3] Der Nachziehende besitzt eine Strategie, die den Sieg garantiert.
81
Der Anzugsvorteil ist also keiner Allgemeingültigkeit unterworfen. Es
muss von Spiel zu Spiel geprüft werden, ob Fall [1], [2] oder [3] zutrifft.
Doch finden sich in der Literatur eine Reihe von Vorschlägen, wie
Chancengleichheit nahezu wiederhergestellt werden kann. So schreibt
Adams:
„One way is to set the game up in such a way that the initial move
provides very little strategic advantage. In chess, for example, the rules of
the game are such that you can only move a pawn or a knight on the first
turn. These are the two weakest pieces in the game, not counting the king.
Thus, the advantage conferred is not significant. In addition, the pieces
are four rows apart at the beginning, so no single piece can take or even
significantly threaten an enemy piece on the first move. Another way to
reduce the effect of going first is to make the game a fairly long one, so
that going first makes very little difference over the course of the whole
game.” (Adams 1998)
Hier findet sich eine spielimmanente Möglichkeit zur Wahrung der
Balance, die allerdings nur schwer generalisierbar ist. Zwar sind viele
Spiele nicht schon nach wenigen Zügen zu Ende, doch unklar bleiben die
allgemeinen Prinzipien, nach denen eine Startkonstellation im
Anfangsmanöver starke Figuren isoliert.
Weiterhin kann der Beginner einer Partie zufällig ermittelt werden: „Der
erste Zug wird ausgelost. Die Spielchancen sind dann gerecht verteilt,
aber nur um den Preis, es mit einem Glücksspiel zu tun zu haben. Auch
wenn der Zufall auf den Spielanfang beschränkt bleibt, so ist sein Einfluss
doch sehr erheblich. Bei a priori nicht ausgeglichenen Spielen ist er
theoretisch sogar allein entscheidend!“ (Bewersdorff 2010, 103)
Dieses Prinzip ist zwar praktikabel, allerdings kann der Glücksfaktor
unerwünscht sein. Insbesondere bei reinen Strategiespielen ist das der
Fall. Hier soll es nur auf spielerische Expertise ankommen. Elemente der
Alea degradieren das Spiel aus agônaler Perspektive.
82
„Man spielt zwei Partien, wobei das Recht des ersten Zuges wechselt.
Gegebenenfalls bestehende Vor‐ und Nachteile bei der ersten Partie
werden dann durch die zweite entsprechend kompensiert. Wer das
Anzugsrecht in der zuerst gespielten Partie besitzt und wer in der zweiten
Partie, ist ohne Belang.“ (Bewersdorff 2010, 103)
Dieses Prinzip scheint zunächst sowohl aus praktischer als auch aus
theoretischer Sicht geeignet, um dem Anzugsvorteil entgegen zu wirken.
Allerdings besteht hierbei das Problem, dass bei einem Gleichstand kein
Gewinner ermittelt werden kann. Hier muss unter Umständen eine
ungerade Anzahl an Runden gespielt werden.
15.1.2 Perfekte Symmetrie – eine Illusion
Stellt man Tic‐Tac‐Toe, Mühle und Schach mit einigen ihrer Eigenschaften
nebeneinander, ergibt sich folgendes Bild:
Tic‐Tac‐Toe Mühle Schach
Theoretisch lösbar
durch MiniMax‐
Algorithmus29
Ja Ja Ja
Gelöst30 Ja, stark Ja, schwach Nein
Ausgang Remis Remis Remis?
Spielsituationen 5.478 Ca. 1,8 ∙ 1010 Ca. 2,28 ∙ 1046
Spielverläufe 255.168 Keine Angabe 10115 bis 10120 (nach
40 Zügen)
Abbildung 12: Eigenschaften dreier unterschiedlich komplexer Spiele
Bei allen drei Spielen handelt es sich um Nullsummenspiele 31 mit
29 Mit Hilfe dieses Verfahrens lässt sich eine optimale Strategie ermitteln, also diejenige
Spielweise mit der eindeutig höchsten Gewinnaussicht.
30 In schwach gelösten Spielen lässt sich zu Spielbeginn eine optimale Spielweise
bestimmen. In stark gelösten Spielen hingegen zu jedem Zeitpunkt, auch nach dem
Begehen eines spielerischen Fehlers.
31 In diesen verfolgen die Spieler konträre Ziele. Des einen Gewinn ist immer des
83
perfekter Information. Nach Zermelo sind sie daher durch den Fall [1], [2]
oder [3] charakterisiert.
Auf Tic‐Tac‐Toe trifft [2] zu. Hier gestaltet sich das Herbeiführen
eines Remis für menschliche Spieler noch recht einfach (vgl. Do 2006). Mit
ein wenig Erfahrung enden daher die Partien fast immer mit einem Remis.
Ein Anzugsvorteil liegt nur gegen äußerst unversierte Spieler vor.
Bei Mühle hingegen gestaltet sich das perfekte Spielen schon derart
kompliziert, dass nur von Hochleistungs‐Computern ein Remis garantiert
werden kann (vgl. Lincke 2004). Doch gewinnt auch unter menschlichen
Spielern der mit dem ersten Zug in einem geringen aber dennoch
signifikanten Ausmaß häufiger als der Nachziehende. Insgesamt jedoch
weist das Spiel eine verhältnismäßig hohe Remisdichte auf.
Undurchsichtig und gar mystisch hingegen mutet es im Schachspiel
an. Ob hier der Anziehende ebenfalls im Vorteil ist, kann auf Grund der
enorm hohen Komplexität lediglich statistisch festgestellt werden:
„Wegen der über‐astronomisch hohen Zahl möglicher Zugfolgen ist es
offen, ob Aussage A oder B oder C [[1], [2] oder [3]; eigene Anmerkung]
auf das Schach zutrifft. G.H. Hardy hat geschätzt, dass es 10^10^50 (also
10 hoch 10 hoch 50) verschiedene Spielverläufe gibt. Eine unfassbare Zahl,
selbst noch im Vergleich mit den geschätzten ‚nur’ 10^80 für die Anzahl
der Teilchen im Universum. Zermelos Resultat ist ein reines
Existenzresultat. Es beweist die Existenz einer Strategie, die entweder A
oder B oder C zu einer wahren Aussage macht, gibt aber nicht an, wie
diese Strategie konkret aussieht und welche der drei konkurrierenden
Aussagen richtig ist.“ (Hesse 2009, 156)
Aber obwohl der praktische Nutzen dieses Resultats gering ist, beschäftigt
dieses Problem zahlreiche Spieler und Theoretiker seit über einem
Jahrhundert und war Grundlage einer Vielzahl verschiedenster Theorien.32
anderen Verlust. Siehe auch Diekmann 2009, 234.
32 Siehe den Eintrag „First‐move advantage in chess“ in der englischen Wikipedia.
84
Neben den gängigen mathematisch‐logischen Herangehensweisen finden
sich hier auch psychologische Argumente:
„In my opinion, the only obvious advantage for White is that if he or she
plays for a draw, and does so well, then Black can hardly avoid this
without taking obvious risks [...] The tale of Whiteʹs advantage is a
delusion, belief in it is based on mass psychosis.” (Adorján 1988, 1‐5)
Damit stieß Adorján zum Teil auf wenig Gegenliebe, doch lässt sich
festhalten, dass auch spielerisches Denken am theoretischen Limit wie im
vorliegenden Fall nicht losgelöst von der Psyche des Menschen betrachtet
werden kann.
Vorausgesetzt, es gibt für den Anziehenden eine Gewinnstrategie,
wie soll sich der Nachziehende verhalten? Wäre es in solch einem Fall
nicht rational gleich aufzugeben und wertvolle Lebenszeit zu sparen?
Denn theoretisch kann gegen eine Gewinnstrategie nicht bestanden
werden. Praktisch jedoch gestaltet sich das tatsächliche Spielen weitaus
mannigfaltiger, denn Menschen handeln nicht nur nach rationalen,
sondern auch nach emotionalen, normativen und sozialen
Gesichtspunkten:
„Game theory demands a sacred character for rules of behavior which
may not be observed in reality. The real world, with all its emotional,
ethical, and social suasions, is a far more muddled skein than the
Hobbesian universe of the game theorist.“ (Epstein 1967, 37)
Damit basieren spieltheoretische Betrachtungen auf einigen
übersimplifizierenden Grundannahmen: „Game theory is about perfectly
logical players interested only in winning.“ (Poundstone 2006, 389) Zwar
kann man davon ausgehen, dass ein Sieg das Ziel der Spieler darstellt,
doch gibt es viele „ways of playing games“ (vgl. Fullerton 2008, 92f). Da
Menschen aus völlig unterschiedlichen Gründen spielen resultieren aus
85
ihren unterschiedlichen Motivationen auch verschiedene Spielweisen,
nicht nur die rein rationale. Ebenso wird von streng logisch denkenden
Spielern ausgegangen, was eine Idealisierung darstellt: Perfekt rationale
Spieler verfügen über ein perfektes Regelverständnis, ein perfektes
Gedächtnis bezüglich der vergangenen Züge und würden niemals Fehler
begehen. Damit gleichen diese in ihrer Manifestation mehr Computern als
Menschen. Wenn Menschen jedoch gegen Menschen spielen, gibt es
praktische Auswege aus einer spieltheoretisch aussichtslosen Niederlage:
„In a losing game, the player should, ideally, play in such a way that its
opponent has the greatest possible chance of making a mistake and losing
his advantage. That would involve inferring the other player’s strategy,
and setting up a situation where it would lead the other player astray.
Alternatively, and more simply, the losing player could choose the move
that delays loss for the longest time, on the assumption that this would
tend to give the other player many chances to make a mistake.“
(Thompson, zitiert nach Neto 2002; eigene Hervorhebung)
Hier kommen psychologische und kognitive Aspekte des Spielens zum
Vorschein, denn Menschen machen Fehler. Das Ausnutzen von
„kognitiven Fallstricken“ ist sogar Kernelement vieler Spiele und kann
auch in reinen Strategiespielen das Blatt noch wenden. Zentrales Ziel
dabei ist, seinen Kontrahenten aus dem Konzept zu bringen: Zieht ein
Spieler das Spiel in die Länge, besteht die Option sein Gegenüber auf
Grund mangelnder Konzentration Flüchtigkeitsfehler begehen zu lassen.
Wird unkonventionell oder gar chaotisch gespielt, so kann der Gegner
verwirrt werden. Durch einen geschickt platzierten Bluff wird der Gegner
in die Irre geführt. Nimmt man es zudem mit den sozialen Spielregeln
nicht allzu genau, können Ablenkungen außerhalb des Spiels zum Erfolg
führen. Floskeln wie „Achtung, hinter dir ist ein dreiköpfiger Affe“ etwa
sind beliebt, wenn auch nicht sonderlich erfolgversprechend.
86
Angenommen, es gibt für den Anziehenden in einem Spiel
theoretisch eine Gewinnstrategie und er verfügt auch praktisch über diese,
so muss das nicht zwingend zu einer Niederlage des Nachziehenden
führen. Gleiches gilt für Remistrategien und Gewinnstrategien für den
Nachziehenden.
In diesem Zusammenhang ist Komplexität 33 eine essenzielle
spielimmanente Eigenschaft: Sie sorgt nicht nur für spielerischen
Anspruch, sondern lässt auch erst kognitive Kapazitäten, persönliche
Fähigkeiten und psychische Belastbarkeit zu den spielentscheidenden
Merkmalen in einem nicht perfekt symmetrischen Spiel werden.
Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings auch, dass selbst bei
perfekter Balance dem Spielen immer ein gewisses Maß an Asymmetrie
voraus geht. Zwar kann das Spiel als solches symmetrisch sein, in diesem
Zusammenhang Gleichheit der Spieler zu fordern ist aber absurd. Denn
im Agôn geht es gerade darum festzustellen, welcher Spieler der bessere
ist.
15.2 Balance und Asymmetrie
In Spielen mit imperfekter Information sind die Ausgangssituationen
nicht identisch. Doch kann durch das Mischen der Karten zu
Rundenbeginn auf lange Sicht eine Ausgeglichenheit (Glücks‐ und
Pechsträhnen ausgenommen) gewährleistet werden: Das Gesetz der großen
Zahlen wird auf lange Sicht dafür Sorge tragen, dass sich die facto
auftretende relative Häufigkeit der theoretischen Wahrscheinlichkeit
annähert. So macht es keinen Sinn, nur eine Runde Skat zu spielen, denn
mit ein wenig Glück erhält einer der Spieler ein unschlagbares Blatt:
33 Hier verstanden im Sinne von Spieltiefe, siehe Kap. 20.1.
87
„It is true that card‐players often have runs of good or bad hands, but this
is a mathematically natural as the fact that a surprisingly long sequence of
heads or tails may turn up in a sufficiently prolonged bout of coin‐
tosing.“ (Parlett 1990, 16)
Daher können solch traditionelle Kartenspiele als näherungssymmetrisch
bezeichnet werden. Wird nur lange genug gespielt, so werden sich die
Ausgangssituationen in der Summe der Symmetrie annähern.
Der Begriff der Asymmetrie kann jedoch auch auf einen anderen
Zusammenhang angewendet werden. So bezeichnet er das Phänomen,
dass den Spielern die Spielelemente unterschiedlich zugeordnet werden,
ohne dass Chancenungleichheit vorliegt. Das wohl bekannteste
asymmetrische Brettspiel ist das englische Fox & Geese. Unter den
modernen thematisch sehr ausgefeilten Spielen ist das 1983 zum Spiel des
Jahres gekürte Scotland Yard der berühmteste Vertreter.
Analog zur Symmetrie lässt sich auch Asymmetrie verallgemeinern:
Asymmetrische Spiele zeichnen sich dadurch aus, dass mindestens
einer der folgenden Fälle gegeben ist:
[1] Der Spielraum ist asymmetrisch.
[2] Die Ressourcen der Spieler sind nicht identisch. D.h., die Spieler
besitzen nicht die gleiche Anzahl derselben Figuren. Dies kann die
Abbildung 13: Der Fuchs muss die
17 Gänse erlegen, die wiederum
den Fuchs einkreisen müssen
Abbildung 14: Bis zu fünf
Detektive jagen in London Mr. X,
einen flüchtigen Verbrecher
88
quantitative als auch die qualitative Ausprägung betreffen.
[3] Die Startaufstellung ist asymmetrisch. D.h., die Figuren sind zu Beginn
ungleich im Raum verteilt.
[4] Die Spieler versuchen unterschiedliche Ziele zu erreichen.
[5] Die Spieler agieren nach unterschiedlichen Spielregeln.
Sind lediglich 1,3 oder 4 der Fall, kann dies generell als Handicap gedeutet
werden. So besitzt das Spiel Hazienda zwei Spielpläne, einen
symmetrischen und einen asymmetrischen. Auf letzterem ist ein Spieler
im Nachteil, ein Handicap besteht. Dieses kann bei ungleich starken
Spielern genutzt werden, um den Spielausgang unklar und den
Spielverlauf spannend zu gestalten. Björk und Holopainen bezeichnen
dies als Spieler‐Balance: „Players have equal chances of succeeding with
actions in a game or winning a game.” (Björk und Holopainen 2005b) Fair
ist das Spiel im engeren Sinne jedoch nicht mehr. Ähnliches gilt für 2 und
4. Hier ist zumeist eindeutig feststellbar, welche Seite über einen
inhärenten Vorteil verfügt. Das Gameplay bleibt jedoch weitgehend
gleich. Schwieriger hingegen, weil undurchsichtiger, gestaltet sich die
Analyse bei einem Verändern bezüglich der Ressourcen:
„Pitting asymmetrical forces against each other can often be interesting
and thought provoking for the players, since it is not always obvious what
the right strategies will be to win a game.“ (Schell 2008, 174)
Hier gestaltet es sich schon komplizierter zu analysieren, ob sich ein
solches Spiel in Balance befindet oder nicht.
89
15.2.1 Balance durch Rotationssymmetrie
Eine elegante Möglichkeit, asymmetrische Spiele strukturell
auszubalancieren, bietet das Konzept der Rotationssymmetrie. Die
Hintergrundidee dabei ist, dass in einer Hinsicht dominierende Objekte
(beispielsweise Figuren, die gegenüber anderen einen eindeutigen Vorteil
besitzen) gleichzeitig auch dominiert werden, also in einer Hinsicht auch
einen Nachteil inne haben. Eine Dame dominiert Läufer, Turm und König
in Bezug auf ihre Zugeigenschaften, denn sie verfügt über alle ihre
Fähigkeiten. Das Trio hingegen verfügt nur partiell über die Fähigkeiten
der Dame. Als Verallgemeinerung kann festgehalten werden: Ein Objekt X
dominiert ein Objekt Y, wenn es keine Spielsituation gibt, in der es einen
spielerischen Vorteil mit sich bringt, wird X durch ein unterschiedliches Y
substituiert. Das heißt, dass X kontextunabhängig stärker ist. Wenn, wie
im Falle des Beispiels, die Eigenschaften einer Figur lediglich eine
Teilmenge der Eigenschaften einer anderen Figur sind, ist das problemlos
Abbildung 15: Horden‐Schach, eine
asymmetrische Variante des klassischen
Schachspiels
Abbildung 16: Hnefatafl, das älteste bekannte
asymmetrische Brettspiel, um 400 B.C.
90
diagnostizierbar. Der Bauer hingegen ist zwar eine äußerst schwache
Figur, wird jedoch nicht von der Dame dominiert, da sie nicht wie dieser
en passent schlagen kann.
Am häufigsten ist die Idee der Rotationssymmetrie in Bezug auf
Kosten und Nutzen eines Objektes anzutreffen. Bei Monopoly sind Hotels
„stärker“ als Häuser, kosten allerdings auch mehr (vielmehr müssen
bereits 4 Häuser bestehen, damit ein Hotel gebaut werden kann). Bei
Siedler sind die benötigten Ressourcen zum Städtebau umfangreicher als
diejenigen zum Errichten eines Dorfes. Sind Häuser nun genauso „stark“
wie Hotels (wie auch immer dies genau feststellbar sein mag), so befinden
sie sich in einer rotationssymmetrischen Balance.
Anders hingegen verhält es sich bei Figuren, die in Konflikten zum
Einsatz kommen. Ein dahingehend perfekt ausbalanciertes Spiel ist Stein‐
Schere‐Papier (SSP), was sich anhand einer Matrix veranschaulichen lässt:
Stein Schere Papier
Stein 0 ‐1 +1
Schere +1 0 ‐1
Papier ‐1 +1 0
Abbildung 17: Stein‐Schere‐Papier; das Paradebeispiel der Rotationssymmetrie.
Kartenspiele, die auf dem Stich‐Prinzip basieren, sind oft strikt transitiv
geordnet. Das heißt, wenn Karte A Karte B schlägt und Karte B Karte C
schlägt, so schlägt auch Karte A Karte C. SSP hingegen wohnt eine
Intransitivität inne, was die „Spielstärke“ der Objekte betrifft. Papier
schlägt Stein, Stein schlägt Schere und Schere schlägt Papier. Eine
Modifikation der Spielregeln bestand darin, das Spiel um ein Objekt zu
erweitern: den Brunnen. Sowohl Stein als auch Schere fallen in diesen
hinunter, das Papierblatt hingegen verdeckt ihn. Das Prinzip der
91
Rotationssymmetrie scheint dadurch verletzt, dass es eine deutlich
dominierende Figur gibt. In der Praxis jedoch war dies kein Problem. Eine
Besonderheit von SSP liegt darin, dass kein Spieler die Strategie (also die
Figurenwahl) des anderen kennt. Wäre die Wahl rein zufällig, so würde
zweifelsohne auf lange Sicht der Brunnen die beste Entscheidung sein.
Dem allerdings kann man dadurch begegnen, Papier zu wählen. Und
gegen einen sehr naiven SSPB Spieler scheint dies auch die beste Wahl.
Schätzt man sein Gegenüber etwas kompetenter ein, so traut man ihm
auch diesen Gedankengang zu. In diesem Fall hingegen wäre Schere eine
gute Alternative. Schere ist aber nun wieder anfällig gegen Stein und
Brunnen. Ad infinitum. Durch dieses spieltheoretische Dilemma entsteht
ein neues Spiel, was als Meta‐Game bezeichnet wird. Hier schließen die
Spieler in gewisser Art Wetten auf den Spielausgang ab und passen ihre
Spielweise entsprechend an (vgl. Björk & Holopainen 2003b). Eng
verbunden mit diesem Konzept ist der Begriff Bluff.34
Der Grundgedanke der Rotationssymmetrie35 findet sich auch in
anderen Spielen als Kernelement in wieder. Zum einen in modernen
symmetrischen Strategiespielen wie Stratego und dessen asiatischem
Pendant des Dschungel‐Spiels. Hierbei besitzen die Figuren, ähnlich dem
Schach, spezielle Zugfähigkeiten. Darüber hinaus verfügen sie jedoch
noch über eine weitere Eigenschaft, die Schlageigenschaft. Die meisten
Armeefiguren sind dabei dem mächtigen Marschall unterlegen, die
meisten Tiere dem massigen Elefant. Doch gibt es den Spion
beziehungsweise die Ratte, die allen anderen Figuren außer Marschall oder
Elefant unterlegen sind. Damit erhalten die beiden schwächsten Figuren
eine besonders starke Zusatzeigenschaft, wodurch das Spiel seinen
eigentlichen Reiz erhält. Denn durch die Abwesenheit dominierender
34 Für eine ausführliche Diskussion dazu, siehe Bewersdorff 2010, Kapitel drei.
35 Hier im weiten Sinne verstanden, dass es optimalerweise keine dominanten Objekte
gibt, die also bedingungslos spielstärker sind.
92
Figuren respektive durch intransitive Fähigkeiten sind Manöver bzw.
Strategien konterbar.
Das Prinzip der Rotationssymmetrie ist dabei keineswegs Brettspielen
vorbehalten und findet sich ebenfalls in näherungssymmetrischen Spielen.
Karnöffel etwa, eines der ältesten deutschen Kartenspiele, besitzt ein an
die Rotationssymmetrie angelehntes Stichprinzip:
Stichkarte Bezeichnung Sticht ...
Trumpf Bube Karnöffel Alle
Trumpf Sieben Teufel Alle außer Karnöffel, aber nur wenn die erste Karte
des Stichs
Trumpf Sechs Papst Alle außer Karnöffel und Teufel
Trumpf Zwei Kaiser Alle außer Karnöffel, Teufel und Papst
Trumpf Drei Oberstecher Alle außer Karnöffel, Teufel Papst, Kaiser und König
Trumpf Vier Unter‐stecher Alle außer Karnöffel, Teufel Papst, Kaiser,
Oberstecher, König und Dame
Trumpf Fünf Farben‐stecher Alle außer Karnöffel, Teufel Papst, Kaiser,
Oberstecher, Unterstecher, König, Dame und Bube
Abbildung 20: Stichkarten im Karnöffel
Abbildung 18: In Stratego stehen sich zwei Armeen
gegenüber, deren Soldaten über verschiedene
rotationssymmetrische Fähigkeiten verfügen
Abbildung 19: Das altchinesische
Dschungelspiel, auch als Dschungel‐Schach
bezeichnet. Nur die kleine Ratte kann über den
Elefanten triumphieren
93
Das Stichprinzip ist partiell transitiv, da die Sticheigenschaften bezüglich
der Stichkarten weiterhin ordinal geordnet sind. D.h. der Karnöffel schlägt
alle anderen Trümpfe, der Teufel alle anderen außer dem Karnöffel etc.
Bezüglich der Fehlfarben jedoch ergibt sich ein anderes Bild, wie an den
Ausnahmen ersichtlich wird.
Eine Konsequenz solch einer rotationssymmetrischen Annäherung
ist hier ebenfalls die Eingrenzung von dominanten Figuren36. Dadurch
kann nicht mehr ohne Weiteres festgestellt werden, welche Karte nun
einen höheren Nutzen besitzt, da dieser von Spielsituation zu
Spielsituation variiert. Optimalerweise befinden sich alle Figuren
dahingehend in Balance, womit eine echte Rotationssymmetrie vorliegt.
Damit kann ein Spiel ein wesentlich höheres Variietätenreichtum
erlangen, da nicht strikt dominante Figuren die Basis für nicht dominante
Strategien bilden. Ob man also im Falle von Karnöffel mit dem Teufel oder
dem Kaiser stechen sollte, kann nicht per se beantwortet werden, sondern
nur im Kontext der konkret stattfindenden Spielpartie.
So schön sich die Theorie anhört, so schwer ist die praktische
Umsetzung. Die grundsätzliche Problematik rotationssymmetrischer
Spiele liegt in der Schwierigkeit, die Chancen(un)gleichheit feststellen zu
können. Sind Spiele bis auf den Vor‐ oder Nachteil des Anzugs
symmetrisch, so ist dies noch verhältnismäßig einfach einzusehen. Zwar
ist auch die Ausgeglichenheit im Fall von SSP sofort ersichtlich, doch hat
das Spiel keinerlei Komplexität zu bieten. Sind Spiele von Grund auf
asymmetrisch angelegt, etwa wenn sich zu Spielbeginn die
grobschlächtigen Orks und die filigranen Elfen mit riesigen
unterschiedlichen Armeen entgegenstehen, müssen sich diese ebenso wie
SSP im Gleichgewicht befinden. Sind spezielle Spielelemente
rotationssymmetrisch, so besitzen sie also immer eine Reihe verschiedener
36 Hier verstanden als Objekte.
94
„Stärken“ und „Schwächen“. Es muss gewährleistet werden, dass auch sie
ihren strategischen Sinn besitzen, also auch in einigen Situationen
favorisierbar sind und nicht immer nur zweite Wahl. Hier kann
womöglich berechnet werden, welche Seite einen Vorteil gegenüber der
anderen besitzt, doch ergibt sich auf Grund der rotationsymmetrischen
Komplexität das Problem nicht zu wissen, worin genau die Ungleichheit
ihren Ursprung hat.
Gängiger, da praktikabler, ist daher Balancing oft a posteriori. D.h.,
die Regeln werden auf Basis von Spielerfahrungen so lange modifiziert,
bis sie weitgehend ausgeglichen sind.
15.2.2 Ein kultur‐historisches Beispiel
Die meisten der historisch gewachsenen asymmetrischen Spiele dieser
Klasse adaptieren dabei ungleiche lebensweltliche Konfliktsituationen,37
wie es etwa bei Fox & Geese der Fall ist.
Wären nur die Startbedingungen unterschiedlich, so würde
lediglich einem Spieler ein Handicap auferlegt werden. Allerdings
zeichnen sich asymmetrische Spiele auch dadurch aus, dass die Spieler
unterschiedliche Ziele verfolgen und diese mit unterschiedlichen Mitteln
zu erreichen versuchen. Im Falle von Fox & Geese gewinnt der Fuchs,
wenn er alle Gänse gerissen hat. Die Gänse hingegen gewinnen, sollten sie
den Fuchs eingekreist und damit bewegungsunfähig gemacht haben. In
der Regel sind die unterzahligen Figuren auch spielstärker, verfügen also
37 Parlett untersuchte diese Klasse von Spielen (die er als „chase‐games“ bezeichnet).
Der Interpretation der beiden ungleichen Mächte liegen dabei oft historische und
nationale Eigenheiten zu Grunde und reflektieren daher auch in gewisser Weise das
Zeitgeschehen. Während es in England Füchse und Hunde sind, ist das Thema in
Zentraleuropa militärisch geprägt. In Süd‐Ost Asien sind es Jäger und Tiger, in Indien
Löwen und Ziegen, in China und Japan hingegen loyale Generäle und Rebellen (vgl.
Parlett 1999, 185ff).
95
über mehr Aktionsmittel und dominieren damit die vielzahligen:
Während die Gänse lediglich orthogonal ziehen dürfen, kann sich der
Fuchs auch diagonal bewegen.
Wie kann man nun feststellen, ob ein asymmetrisches Spiel noch
faire Siegeschancen bietet? Der wohl einfachste Weg das herauszufinden
ist, die Spieler ihre Seiten tauschen zu lassen. Bleibt das Verhältnis von
Siegen und Niederlagen zwischen den Spielern gleich, so kann davon
ausgegangen werden, dass sich das Spiel in Balance befindet. Andernfalls
bedarf es weiterer Anpassungen.
Eine Besonderheit bei Fox & Geese war nun, dass dieser
Anpassungsprozess nicht etwa von einer kleinen Gruppe eingefleischter
Fans vollzogen wurde, sondern im Verlauf mehrerer Jahrhunderte in
unterschiedlichen Nationen statt fand:
„From 1600 on it has been subject to many variations, all designed in
some way to counter the fact that, with proper play, the geese should
win.“ (Parlett 1999, 189)
Das eigentliche Problem war, dass der Spieler der Gänse über eine
Gewinnstrategie verfügte. Gegen einen guten Gänsespieler konnte also
kein noch so guter Fuchsspieler gewinnen. Zuerst wurden die Gänse
dadurch abgeschwächt, dass sie sich nicht mehr, wie ursprünglich
möglich, diagonal und rückwärts bewegen konnten. Nun stellte sich
jedoch heraus, dass dadurch der Fuchs bevorteilt war. Dem wiederum
versuchte man durch eine Erhöhung der Anzahl von Gänsen zu begegnen.
Alternative Spielvarianten schränkten die Bewegungsmöglichkeiten des
Fuchses etwas ein, verfügten über ein größeres Spielbrett oder versuchten
mit Zusatzregeln die Balance wiederherzustellen.
Fox & Geese zeigt auf recht eindrucksvolle Weise, wie schwer sich
schon die Wahrung der Balance bei solch simplen Spielen gestaltet. Die
96
Kernproblematik waren also nicht die unterschiedlichen
Initialkonfigurationen, sondern die daraus resultierenden Gewinn‐ und
Dominanzstrategien. Daher wird nun ein Blick auf den Strategie‐ und
Dominanzbegriff geworfen.
16 Exkurs: Richtlinien des Spielens
16.1 Strategien
Der Strategiebegriff wird oft sehr unterschiedlich verwendet. Meistens
wird er lediglich als präskriptive Regel verwendet: Wenn dieses oder jenes
der Fall ist, dann sollte man jenes und dieses tun. Doch muss zunächst
zwischen einem spieltheoretischen und einem umgangssprachlichen
Strategiebegriff unterschieden werden.
In der Spieltheorie liegt ein klares Verständnis des Begriffs vor.
Obwohl zunächst lediglich von „allgemeinen Prinzipien“ die Rede ist,
nach denen die Spieler ihre Entscheidungen treffen (vgl. von Neumann &
Morgenstern 1961, 49), wird der Begriff präzisiert: Eine Strategie ist ein
Plan
„der angibt, welche Wahl er [der Spieler, eigene Anmerkung] zu treffen
hat in allen nur möglichen Situationen, für jede nur mögliche wirkliche
Information, die er in diesem Augenblick im Einklang mit dem
Informationsschema, das die Spielregeln für diesen Fall vorsehen,
besitzen kann.“ (ibid. 79)
In den Termini dieser Arbeit heißt das: Eine Strategie ist eine Menge
geordneter Paare sämtlicher möglicher Konfigurationen und der
operationalen Erlaubnis‐Regeln. Jeder erreichbaren Konfiguration wird
97
also eine ausführbare Regel zugewiesen. Diese Definition ist deswegen
besonders stark, weil sie zu keinem Zeitpunkt offen lässt, wie sich ein
Spieler entscheiden wird. Das Spielerverhalten ist somit, was die Wahl der
operationalen Spielregeln anbelangt, komplett determiniert. Damit
handelt es sich um eine Algorithmik, also einen kompletten
Spielablaufplan.
Weiterhin ist charakteristisch, dass es keinesfalls nur für reine
Strategiespiele (zusammengefasst unter dem Oberbegriff der Spiele mit
perfekter Information) wie Schach solche Strategien gibt, sondern auch für
Spiele mit zufälligen und verdeckten Elementen.38 Der Unterschied dabei
ist, dass es in Spielen mit Zufallsereignissen oder imperfekter
Information39 so gut wie keine sicheren Gewinnstrategien gibt. Denn wo
Zufall vorliegt, sind auch Glück oder Pech vorhanden. So kann man zwar
perfekt Spielen, aber dennoch verlieren. Gewinnstrategien beschränken
sich daher (praktisch, nicht theoretisch) auf Spiele mit perfekter
Information.
16.2 Heuristiken
Im umgangssprachlichen Sinne wird der Begriff in anderer Art und Weise
gebraucht. „A strategy in this casual sense is a set of general heuristics or
rules of thumb that will help guide you as you play.“ (Salen &
Zimmerman 2004, 236) Heuristiken kommen unter anderem dann zum
Einsatz, wenn die eindeutige Lösung eines Problems (in Spielen also die
38 Was auch nicht weiter verwunderlich ist, da von Neumanns ursprüngliche Ideen dem
Pokerspiel entsprang: „The nominal inspiration for game theory was poker, a game
von Neumann played occasionally and not especially well.“ (Poundstone 2006, 385)
39 In Beiden Fällen ist es dem Spieler nicht zur Verfügung stehende Information, die es
schwierig macht „richtig“ zu spielen. Ob in einer Entscheidungssituation ein Ereignis
bereits determiniert ist (bei verdeckt liegenden Karten) oder noch nicht (vor dem Wurf
eines Würfels) macht formal keinen Unterschied.
98
Frage, ob und wie ein Ziel erreicht werden kann) auf Grund von
Komplexität nicht bekannt ist.40 Dazu gesellt sich ein praktischer Aspekt:
Komplette Strategien, also komplette Entscheidungspläne innerhalb aller
möglichen Spielpartien, sind schon bei simplen Spielen wie Tic‐Tac‐Toe
alles andere als trivial. Strategien heuristisch im Sinne von Faustregeln
aufzufassen ist demnach nicht nur dem kognitiven Unvermögen
geschuldet, sondern unter Umständen auch das einzig probate Mittel um
gewinnorientiert zu spielen. Charakteristisch für solche Faustregeln ist die
Tatsache, dass sie zumeist weder hinreichend noch notwendig zum
Gewinnen einer Partie sind. Das ist auch bei dieser Strategieregel der Fall:
Der Verlust eines Bauern ist besser als der Verlust einer Dame.
Hält man sich an diese Regel, so hat man noch lange nicht gewonnen. Hält
man sich nicht an sie, so hat man auch nicht zwingend verloren. Das
Agieren unter solch einer Regel ist damit nicht wie bei den operationalen
Regeln erlaubt oder geboten. Bei solchen Strategien handelt es sich um
Empfehlungen. Auf Strategien hinweisende Redeteile sind daher
entsprechend gekennzeichnet: man sollte A tun; es wird empfohlen A zu
tun; es ist sinnvoll, A zu tun; Es ist besser A zu tun als B zu tun; Ein
Einhalten solcher Empfehlungen führt nicht zwingend, also in allen
möglichen Spielsituationen, zum Ziel. Der Verlust eines Bauern mag in
den meisten Fällen sinnvoller sein als der ludische Tod der Dame. Doch
sind durchaus Situationen konstruierbar, in denen der Bauer wertvoller
40 Eine erste Vermutung, dies sei lediglich auf den verhältnismäßig begrenzten
menschlichen Kognitionsapparat zurückzuführen, kann schnell widerlegt werden.
„Das Aufkommen der Computerprogrammierung verlieh heuristischen Methoden
neue Bedeutung. Es wurde klar, dass Computer die Antworten auf die meisten
halbwegs wichtigen Fragen nicht berechnen können. Weder kennen wir die optimale
Lösung noch eine Methode, sie zu ermitteln. Dies gilt selbst für so klar definierte
Probleme wie Schach, das klassische Computerspiel Tetris oder das Traveling
Salesman Problem.“ (Gigerenzer & Gaissmaier 2006, 1)
99
im Spiel ist als die Dame. Wegen dieser Unsicherheit sind solche
Strategien auch heuristischer und nicht algorithmischer Natur. Damit
stellen diese Regeln Faustregeln dar, wie sie bei Iorio in Bezug auf den
präskriptiven Regelcharakter beschrieben werden. Neben heuristischen
Regeln gehören dazu aber auch allgemeinere Empfehlungen für
dominante, das heißt eindeutige Entscheidungssituationen.
Wird der umgangssprachliche Strategiebegriff als Spielweise
interpretiert, so fallen auch Richtlinien darunter, die sich nicht, wie im
Falle des Schachbeispiels, auf konkrete Spielsituationen beziehen. Eine
Spielweise kann dabei vielerlei sein: Aggressiv oder defensiv,
risikobehaftet oder sicher, konservativ oder modern. All dies sind
generelle Konzepte, die in vielen unterschiedlichen und konkreten
Spielsituationen die Handlungen der Spieler weitgehend bestimmen.
16.3 dominante Strategien und Entscheidungen
Hier gilt es zunächst den Dominanzbegriff zu präzisieren. Ein
spieltheoretisches Verständnis dahingehend lautet: Eine Strategie
dominiert eine andere Strategie, wenn die dominierende nie schlechter,
aber manchmal besser als die dominierte Strategie ist (vgl. Rieck 2010, 24).
Da hier unter einer Strategie ein kompletter Ablaufplan zu
verstehen ist, der nicht mit der gewöhnlichen Bedeutung übereinstimmt,
erscheint ein Übertrag sinnvoll. Versteht man als Strategie lediglich eine
Richtlinie in einer Entscheidungssituation, so ergibt sich ein
gebräuchlicheres Bild: „When choices are offered to a player, but one of
them is clearly better than the rest, this is called a dominant strategy.“
(Schell 2008, 180)
100
Dass die dominante Strategie besser zu sein hat als die Alternativen
steht außer Frage. Allerdings bleibt hierbei völlig offen, was die genauen
Bedingungen sein müssen, damit von eindeutig (clearly) geredet werden
kann.41 Um den Dominanzbegriff für das weitere Vorgehen brauchbar zu
machen, wird zwischen einfacher Dominanz und strikter Dominanz
unterschieden.
Liegt strikte Dominanz in einer Entscheidungsoption vor, dann ist
unabhängig einer speziellen Situation die Wahl einer Option A besser als
Option B. Das ist etwa der Fall bei der Entscheidung, ob man noch einmal
würfeln sollte oder noch einmal einen Kartenstapel nach besseren Karten
durchsuchen – die Situation sich dadurch nicht verschlechtern. Es gibt
keinen Grund darauf zu verzichten. Wie schon bei strikt dominanten
Objekten (Objekt A dominiert Objekt B strikt) dominiert auch
Entscheidungsoption A Entscheidungsoption B strikt, wenn in keiner
Situation B besser sein kann als A, also A jederzeit einen mindestens
gleichwertigen Ersatz für B darstellt. Der spielerische Wert der Wahl von
B beträgt damit Null. Hier kann es kontextunabhängige, allgemeingültige
Ratschläge geben: Wenn man die Wahl hat, einen Läufer durch eine Dame
zu ersetzen, dann sollte man dies tun; wenn man die Wahl hat, nach
einem Würfelwurf noch einmal zu würfeln, dann sollte man dies tun.
Eine einfache Dominanz liegt vor, wenn der spielerische Nutzen von
A lediglich höher ist als von allen anderen Alternativen. Das heißt, auch
wenn A nur in den meisten Fällen die bessere Wahl darstellt als B, so
dominiert A auch B. Hier kann A‐dominiert‐B auch gelesen werden als A‐
ist‐besser‐als‐B. Im Zweifelsfall sollte der Bauer statt der Dame geopfert
werden. Im Zweifelsfall deswegen, da sich die Wahl im weiteren
41 Hierzu wird in Kapitel 20.2 ein Lösungsansatz angeboten, indem ein subjektiver
Dominanzbegriff herausgearbeitet wird.
101
Spielverlauf als die falsche raustellen kann, der Spieler hat sich also geirrt.
Dies wäre bei einer strikten Dominanz nicht möglich.
Dominanz lässt sich besser mit Hilfe der Evaluationsfunktion
fassen:
„A good scoring function produces a larger number the greater the
winning player`s lead, and produces the number zero when the game is
tied.“ (LeBlanc 2008, 447)
Diese bestimmt, welcher Spieler führt, also dem Sieg näher ist. Nun sind
Entscheidungen dadurch gekennzeichnet, dass sie auf diese Funktion
Einfluss haben. Der Spieler muss also entscheiden, welche seiner ihm zur
Verfügung stehenden Optionen diese Funktion zu seinem Vorteil
manipuliert. Genau in dieser Entscheidungsfähigkeit spiegelt sich der
Spieler‐Skill wider. Einfach gesagt ist ein guter Spieler derjenige, der
erkennt, welche Entscheidung die Evaluationsfunktion am stärksten zu
seinen Gunsten beeinflusst.
Ein guter Spieler muss erfolgreicher als sein Gegenüber feststellen
können, welche die dominante, also die beste Entscheidung in einer
spezifischen Entscheidungssituation darstellt. Wenn in einer Situation der
Wert zweier Optionen verglichen wird, dann bedeutet das darüber zu
entscheiden, welche Wahl die größte positive Differenz zwischen dem
derzeitigen und dem resultierenden Wert der Evaluationsfunktion
darstellt. Mit Hilfe dieses Konzeptes können auch schlechte
Entscheidungen präzisiert werden. Trifft ein Spieler eine schlechte
Entscheidung, so verringert sich mit Ausführen einer Aktion sein
Punktestand. Situationen, in dem alle dem Spieler zur Verfügung
stehenden Entscheidungsoptionen seinen Punktestand verringern,
erfassen den voran diskutierten Begriff des Zugzwangs präziser. Dass ein
102
Spieler das geringste Übel wählen muss heißt, dass er die Aktion
bestimmen muss, die seinen Punktestand nur minimal negativ beeinflusst.
Nun stellt sich eine entscheidende Frage: Warum hat der
Spieldesigner eigentlich ein Interesse daran, besonders dominante
Strategien zu unterbinden? Schon intuitiv scheint die Antwort plausibel:
Dominanz verringert das Maß der Unsicherheit, was eine wesentliche
Qualität des Spiels ausmacht.
17 Prinzip [2]: Ausgewogenheit
Unter dem Begriff wird hier verstanden, dass ein Spielsystem nicht nur
eine ganz spezifische Art von Entscheidungssituationen beinhaltet
sondern über eine gewisse Reichhaltigkeit verfügen sollte. Dabei lassen
sich verschiedene Arten in „gute“ und „schlechte“ einteilen.
17.1 Schlechte Entscheidungssituationen
Fullerton unterscheidet zwischen drei Arten „schlechter“
Entscheidungssituationen: offensichtliche, hohle und unwissende.
Nach einem Pasch noch einmal zu würfeln ist eine offensichtliche
Entscheidung (Obvious Decision, vgl. Fullerton 2008, 320). Es liegt keine
Ungewissheit über die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung vor:
Erneutes Würfeln kann sich im Nachhinein nicht als Fehler herausstellen.
Allerdings ergeben sich ähnliche Bedenken wie schon bei Schell, denn
dem Begriff offensichtlich haftet etwas Subjektives an. Fraglich sind hier
103
hinreichende und notwendige Bedingungen, die erfüllt sein müssen, denn
zweifelsfrei spielt die Expertise der Spieler hier eine tragende Rolle.42
Eine hohle Entscheidungssituation liegt vor, wenn sich die
Konsequenzen dieser kaum oder gar nicht unterscheiden (Hollow decision).
In einem perfekt symmetrischen Spiel wäre dies eine Seitenwahl zu
Spielbeginn. In einem Würfelspiel die Wahl der Spielfigur. Soll man sechs
Felder nach vorne gehen oder drei, wenn man anschließend über einen
„Teleporter“ noch einmal drei Felder nach vorne gehen muss? Es macht
eben keinen Unterschied welche Wahl man trifft, da die Konsequenzen
identisch sind.
In unwissenden Entscheidungssituationen hat die Wahl des
Spielers keinen Einfluss auf das Spielgeschehen, da sie einen Randomizer
aktivieren (Uninformed decision). Ist man nicht abergläubisch, so ist die
Wahl von „Kopf“ oder „Zahl“ bei einem Münzwurf irrelevant, denn
unabhängig von seiner Wahl entscheidet der Zufall über das Ergebnis.
17.2 Gute Entscheidungssituationen
Gute Entscheidungssituationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie
bedeutsam und ungewiss sind.
Bedeutsam sind Situationen, in denen die Handlungen der Spieler
(also hier das Entscheiden) einen Einfluss auf den Spielverlauf besitzen.
Salen und Zimmerman beschreiben dies als meaningful play:
„Meaningful play in a game emerges from the relationship between
player action and system outcome; it is the process by which a player
takes action within the designed system of a game and the system
42 Dies wird im Beispiel des Würfelwurfes bei Prinzip [3] besonders sichtbar.
104
responds to the action. The meaning of an action in a game resides in the
relationship between action and outcome.ʺ (Salen & Zimmerman 2004, 34)
Dies fehlt hohlen und unwissenden Entscheidungen, denn die möglichen
Aktionen des Spielers besitzen keinerlei Einfluss auf den weiteren
Spielverlauf. Zwar muten die eingebrachten Beispiele noch
unproblematisch an, doch wird durch das Konzept ebenfalls ein Deus ex
machina ausgeschlossen, das ein sinnvolles Spielprinzip komplett
zunichte macht.
Weiterhin sollte Entscheidungen ein gewisses Maß an Unsicherheit
anhaften, was sich an Hand des Triangularitätsprinzips verdeutlichen
lässt:43
Abbildung 21: Balance in Entscheidungssituationen durch das diametrale Verhältnis von
Gewinn und Risiko
Beide Optionen befinden sich hierbei in Balance. Zwar ist bei Option A
Unsicherheit nur gering ausgeprägt, doch ist ihr spielerischer Wert auch
geringer als in Option B. Im Würfelbeispiel Pasch versprechen die
möglichen Entscheidungen zwar auch einen geringen oder einen hohen
43 Zwar wird ein risikoaffiner Spieler häufiger das riskante Manöver wählen und der
risikoaverse eher den sicheren Weg einschlagen, doch liegt diese Entscheidung nur in
persönlichen Vorlieben begründet: Eine richtige Spielweise gibt es in dem Sinne nicht.
105
Gewinn, aber es haftet ihnen keinerlei Risiko an. Damit fehlt
offensichtlichen Entscheidungen dieses Merkmal.
Costikyan beschreibt interessante Entscheidungssituationen, die
ebenfalls Ungewissheit und Bedeutsamkeit aufweisen:
„If the game has more than one ʹresource,ʹ decisions suddenly become
more complex. If I do this, I get money and experience, but will Lisa still
love me? If I steal the food, I get to eat, but I might get caught and have
my hand cut off. If I declare war against the Valois, Edward Plantagenet
will grant me the Duchy of Gascony, but the Pope may excommunicate
me, imperilling my immortal soul. These are not just complex decisions;
these are interesting ones. Interesting decisions make for interesting
games.“ (Costikyan 1994)
Costikyans Beispiele beschreiben Unsicherheit und Bedeutsamkeit.
Bedeutsam sind sie, da ihre Konsequenzen eindeutig sind. Arm oder
reich, hungrig oder satt, Herzog oder nicht Herzog.
Ebenso charakteristisch ist die enorme Ungewissheit bezüglich
möglicher Konsequenzen. Dies liegt zum einen daran, dass, wie schon bei
Schell gesehen, allen Entscheidungen ein nicht näher quantifizierbares
Risiko anhaftet. Zudem lassen sich die Optionen nicht mehr schlicht in gut
und schlecht unterteilen. Das Konzept des klassischen Spiels stößt hier an
seine Grenzen, da solch hochgradig unsichere Entscheidungen nur noch
sehr schwer mit dem Prinzip der Regelexplizitheit zu vereinbaren sind. Es
scheint absurd hier eine Evaluationsfunktion zu fordern zu, die den Wert
der Optionen berechnet.
Dennoch ist Unsicherheit ein wichtiges generelles Merkmal von
Entscheidungen, wie Krieg die Sichtweise des Cybernetikers von Foerster
darstellt:
„Entscheiden können wir nur solche Fragen […], die eigentlich nicht
entscheidbar sind. Alle anderen sind im Prinzip nämlich bereits durch die
106
Regeln oder die Referenzsysteme, innerhalb derer sie auftauchen,
entschieden. Nur die unentscheidbaren Fragen sind danach legitime
Fragen, denn nur sie bedürfen einer echten Entscheidung.“ (Krieg 2005,
51)
Die geschilderten Überlegungen sind auf Spiele übertragbar. Unsicherheit
kommt an der Stelle zum Tragen, an der die Spieler nicht mehr in der Lage
sind ihre möglichen Entscheidungen in gut und schlecht zu unterteilen.
Dies steht im Kontrast zum spieltheoretischen Strategieverständnis, denn
dort ist auf Grund der spielerischen Determiniertheit ganz genau
festgelegt, welche Wahl in jeder möglichen Situation zu treffen ist.
Entschieden wird in diesem Sinne nicht.
Natürlich sind viele Spielsituationen damit keine echten
Entscheidungssituationen. Betrachtet man als Referenzsystem das formale
Regelsystem gekoppelt an einen rationalen Spieler, so wird auch hier nicht
entschieden, sondern lediglich eine Wahl getroffen. Und zwar die richtige.
Ob dem Statistik, Stochastik, Spieltheorie oder Kombinatorik zu Grunde
liegt ist dabei unerheblich.
Das ist nicht automatisch problematisch, denn wer möchte schon
permanent mit solch schwerwiegenden, unabwägbaren
Entscheidungsszenarien wie im Beispiel von Costikyan konfrontiert
werden? Damit ist es auch hier eine nicht näher spezifizierbare Balance,
die zwischen den unterschiedlichen Entscheidungsarten vorhanden sein
muss, damit von einer Ausgewogenheit geredet werden kann:
„Not all decisions in a game need to be […] complex. … Simple decisions
are fine, as long as they are not hollow, obvious, or uninformed. … [A]
balance between the types of decisions that players find interesting and
engaging throughout the flow of … [the] game is more important than
relying on one type of decision making.“ (Fullerton 2008, 320)
Doch gibt es viele Entscheidungssituationen, in denen es keine (zumindest
107
für den Menschen wahrnehmbare) eindeutig richtige Handlung gibt. Man
muss abwägen, sich für das riskante Manöver entscheiden, einfach auf gut
Glück spielen oder schlicht seiner Intuition vertrauen. Man kann sein
Gegenüber ärgern oder ihm gut zuspielen, bluffen oder sicher spielen,
eine Münze werfen oder seinen Mitspieler entscheiden lassen. Und genau
diese Situationen sind es, in denen der Homo Rationalis dem Homo Ludens
weicht. Mit Goethe gesprochen: „Hier bin ich Mensch, hier darf ichʹs sein.“
18 Prinzip [3]: Vielfalt
Für den Schöpfer eines Regelwerkes ist es zur Wahrung der Fairness
essentiell, dominante Strategien zwischen den Spielern zu unterbinden.
Darüber hinaus ist es wichtig, dass sich die dem Spieler zur Verfügung
stehenden Spielweisen ebenfalls in Balance befinden.
Ist dies nicht der Fall, so wird dadurch die Vielfalt eines
Spielverlaufes enorm eingeschränkt, da sich die Anzahl sinnvoller Wege
verringert. Ist in einem Spiel eine dominante Strategie vorhanden und
weiß ein Spieler um diese Strategie, gibt es für ihn (rein rational gesehen)
keinen Grund von ihr abzuweichen. Unabhängig davon, ob man sich auf
den engen spieltheoretischen Strategiebegriff bezieht oder darunter keinen
vollständigen Ablaufplan versteht – der Spieler wird immer gleich spielen.
Nicht, weil er in seiner Spielweise nicht variieren könnte, sondern weil
ihm kein Anreiz gegeben wird, sich in einer anderen Spielweise zu
versuchen. Denn warum sollte er unter zwei Spielweisen genau die
weniger erfolgversprechende wählen? Dass dieser Effekt aber nicht im
Sinne des Erfinders ist, ist offensichtlich. Doch was kann dieser tun, um
solch eine dominante Strategie zu unterbinden? Er führt zusätzliche
Regeln ein.
108
Zusatzregeln in Form von Ausnahmeregeln sind oftmals ein
notwendiges Übel, um eine strategische Vielfalt zu ermöglichen. Natürlich
wird es kaum Situationen (vor allem im fortgeschrittenen Spielverlauf)
geben, in denen dem Spieler sämtliche zur Verfügung stehende Regeln
den gleichen Nutzen versprechen. Doch analog zu der Tatsache, dass jede,
noch so schwache Figur in bestimmten Situationen einen einzigartigen
Vorzug haben sollte, gilt auch hier: Sämtliche durch Regeln gedeckte
Aktionen sollten an irgendeiner Stelle sinnvoll einsetzbar sein. „Games
often contain design flaws that allow players to exploit loopholes in the
rules to win the game by repeated use of a single tactic.” (Adams 1998)
Man stelle sich ein Spiel vor, in dem man von 10 möglichen Spielzügen
immer nur den gleichen durchführt, weil er immer der
erfolgversprechendste ist: „When players focus on only a limited set of
options in pursuit of a win, games often become dull.“ (Fullerton 2008,
290)
Dies bedeutet, dass es möglichst viele sinnvolle Spielweisen geben
muss und nicht nur die dominante Strategie oder gar Gewinnstrategie.
Das zu gewährleisten ist kein einfaches Unterfangen und erfordert je nach
Spiel überaus komplexe Analysen: „And the rigor of game theory analysis
reminds us that designing and balancing games often comes down to
math.“ (Salen & Zimmerman 2006, 54) Die einfachste Möglichkeit ist
hierbei die Implementierung eines Randomizers. Dadurch lassen sich
dominante Strategien durch Zufall eindämmen, was anhand des
Triangularitätsprinzips sichtbar wird. Sind Entscheidungsoptionen
besonders dominant, können sie durch einen Risikofaktor in ihrem
Nutzen eingeschränkt werden:
109
Wenn man eine sechs würfelt und gerade schon einmal eine sechs
gewürfelt hat, so darf (!) man noch einmal würfeln. Würfelt man dann
jedoch eine 1 oder 2, so muss man 10 Felder zurückgehen.
Hier wird die Balance zwischen Risiko und Gewinnaussicht (balanced
asymmetric risk; vgl. Schell 2008, 181) wiederhergestellt. Möglicherweise
existiert dann potentiell immer noch eine dominante
Entscheidungsoption, falls sich die richtige Entscheidung mittels
Wahrscheinlichkeitsberechnungen feststellen lässt. Aber diese
Entscheidung ist erst einmal nicht offensichtlich. Eine Besonderheit stellt
sich allerdings ein. Während es für den Mathematiker nachwievor
eindeutig ist, wie er sich entscheiden sollte, so ist die richtige
Entscheidung für das stochastisch unbedarfte Kind keinesfalls einfach
ersichtlich – und die Situation bleibt für das Kind interessant. Balance ist
somit oftmals auch eine qualitative Frage, die aus der Perspektive des
spielenden Subjekts zu beurteilen ist.
19 Prinzip [4]: Spannung
Schach ist kristallklare Mathematik in
Dramenform. – Ludvig Oskar Svenonius
Thompson (Thompson 1999) diskutiert im Rahmen abstrakter
Strategiespiele (ein Begriff, welchen er für perfekt informative
Nullsummenspiele ohne thematische Ausgestaltung gebraucht) wie
Schach und Go einige Qualitäten: Drama und Endgültigkeit. Da sich
Drama und Endgültigkeit entgegengesetzt verhalten, müssen sich diese
Merkmale ebenfalls in einem Gleichgewicht befinden. Dies ist notwendig,
damit ein Spiel Spannung bietet.
110
19.1 Endgültigkeit und Drama
Drama (Drama) bedeutet, dass es einem Spieler möglich sein muss, sich
aus einer unvorteilhaften Spielsituation zurückzukämpfen und das Spiel
im weiteren Verlauf doch noch gewinnen zu können. Das Gewinnen sollte
also nicht „auf einen Schlag“ möglich sein. Dadurch wird über einen
gewissen Zeitraum anhaltend Spannung erzeugt und gehalten. Durch
diese währende Unsicherheit entsteht ein Spannungsbogen, der in einer
Klimax gipfelt und die im optimalen Falle weder zu schnell ansteigt noch
zu schnell abfällt. In Spielen ohne Glücksfaktor ist dies wesentlich von der
Spielstärke der Kontrahenten abhängig. Während sich ein Neuling
womöglich in zwei Zügen Matt setzen lässt (als Narrenmatt bezeichnet),
wird ein Spiel unter gleichstarken Spielern länger andauern und sich erst
ein Drama entwickeln können. Je erfahrener die Spieler werden, desto
eher kann das Drama auch wieder zurückgehen: Bei besonders
routinierten Spielern wird eine Partie selten bis zum Schachmatt
andauern. Der Verlust eines Bauern kann schon hinreichend für eine
Aufgabe sein. Gute Spieler erkennen schneller, ob sie das Blatt noch
wenden können oder nicht.
In imperfekt informativen Spielen entsteht Drama durch die
Unvorhersehbarkeit zukünftiger Ereignisse. In einer Partie Skat kann
durch ein riskantes Spiel in der letzten Runde das Blatt noch gewendet
werden. Durch einen „geschickten“ Würfelwurf besteht die Möglichkeit
an seinen Kontrahenten in der Endphase vorbeizuziehen. Mit einem Bluff
lässt sich der Führende in die Irre führen. Für das Drama ist also ebenfalls
nicht wichtig, ob es sich um ein Strategie‐ oder Glückspiel handelt.
Essentiell ist hierbei die Funktionsweise des internen Regelapparates
sowie der Spielweise.
111
Endgültigkeit (decisiveness) bedeutet, dass es einem Spieler möglich
sein muss, einen spielerischen Vorteil erlangen zu können, von dem sich
sein Gegenüber nicht mehr erholen kann. Hat ein Spieler diesen finishing
blow gelandet, so ist ihm der Sieg nicht mehr zu nehmen ist. Aus einem
„so gut wie gewonnen“ wird ein „gewonnen“. Als Negativbeispiel im
Bereich der Strategiespiele ist hier Abalone zu nennen, da es eine
„Blockierstrategie“ gibt. Mit Hilfe dieser kann ein schwacher Spieler
mauern, so dass sein Kontrahent nicht gewinnen kann. Durch zusätzliche
Bestimmungen wie die KO‐Regel in Go oder die 50‐Züge‐Regel im Schach
kann ein Ende forciert werden, erzwingt damit allerdings auch ein Remis.
Das heißt, dass der Führende nicht zum Gewinner wird. Endgültigkeit ist
demnach immer dann ein Problem, sollte ein Spiel nicht zwingend
terminieren. Partien in Monopoly oder Mensch‐ärgere‐Dich‐nicht können
sich ewig hinziehen, was dem Rundparcours geschuldet ist. Hier haben
die Spieler zwar weniger Einfluss darauf, doch wird das Spiel auf Grund
der Wahrscheinlichkeitsverteilungen früher oder später zu einem Ende
kommen.
Das Spannungsverhältnis ist augenscheinlich: Kann sich ein Spieler
in verschiedenen Situationen oftmals von einer Schwächung erholen, so
besteht zwar Drama, aber nur wenig Endgültigkeit. Kann hingegen ein
Spieler in einer starken Position zu einfach gewinnen, so besteht zwar
Endgültigkeit, jedoch kein Drama.
19.2 Konflikt und Spannung
Endgültigkeit und Drama lassen sich besser fassen, werden Spielpartien
unter Einbeziehung eines temporalen Spannungsbogens, wie er
insbesondere in narrativen Strukturen vorzufinden ist, betrachtet:
112
Abbildung 22: Ein klassischer dramatischer Bogen
„This arc is the backbone of all dramatic media, including games.“
(Fullerton 2008, 104) Die Basis des Dramas stellt der Konflikt dar, der in
Spielen per se vorhanden ist:
„Conflict arises naturally from the interaction in a game. The player is
actively pursuing some goal. Obstacles prevent him from easily achieving
this goal. Conflict is an intrinsic element of all games. It can be direct or
indirect, violent or nonviolent, but it is always present in every game.”
(Crawford 1982, 12)
In kompetitiven Spielen besteht der Konflikt darin, dass nur ein Spieler
(oder ein Team) gewinnen kann. Zu Beginn des Spiels sind beide Seiten
ausgeglichen, der Ausgang offen. Die Exposition gleicht dabei dem early‐
game, in dem die Kontrahenten sich auf Basis ihrer Strategien das Spiel
zurecht legen. Spannung entsteht erst durch den sich dynamisch
entwickelnden Konflikt im mid‐game. Das Drama ist dafür elementar.
Würde ein Spieler bereits nach kurzer Zeit einen kaum noch
einzuholenden Vorsprung heraus gespielt haben, so würde der
Spannungsbogen äußerst flach verlaufen. Erlaubt das Spiel jedoch
Wendungen (ob durch Glück oder Können), so bleibt die Auflösung des
Konfliktes weiterhin ungewiss. Das end‐game, dessen Abschluss die
Klimax darstellt, löst den Konflikt schließlich auf. Hier ist die
113
Endgültigkeit von besonderem Interesse, damit ein Spieler seinen
Vorsprung in einen Sieg wandeln kann. Dabei ist Zeitpunkt der
Auflösung wichtig, woran einige Spiele scheitern. Das ist dann zu
erkennen, wenn sich das Spielgeschehen förmlich „zieht“. Wenn ein
Spieler zwar kaum noch die Chance eines Gewinns hat, jedoch sein
Gegenüber noch blockieren kann oder das Ende weit hinauszögert wird,
so ist die Klimax schlecht implementiert.
19.3 Bestandteile der dramatischen Spannung
Dramatische Spannung quantifizieren, also messen zu können, ist ein
geradezu abwegiger Gedanke:
„It’s absurd to think that we could construct some kind of dramatic‐
tension‐o‐meter, a device that we could wave over the audience as a story
is told, reading out the dramatical value as a numerical value ‐ no doubt
measured in units called ’millishakespeares‘.”(LeBlanc 2008, 443)
Dramatische Spannung ist mehr eine Qualität, die wesentlich durch zwei
Komponenten bestimmt ist:
„Uncertainly: the sense that the outcome of the contest is still
unknown. Any player could win or lose.
Inevitably: the sense that the contest is moving forward toward
resolution. The outcome is imminent.“(ibid. 445)
Unsicherheit entspricht damit dem von Thompson gebrauchten Begriff
des Dramas. Unvermeidbarkeit und Endgültigkeit fallen bezüglich ihrer
Bedeutung dahingehend zusammen, als dass sie einen Punkt in einer
Partie fordern, an dem der Konflikt aufgelöst wird.
114
Weder Unsicherheit noch Unvermeidbarkeit sind alleine
hinreichend für die Spannung. Unsicherheit schließt keine Beliebigkeit im
Sinne eines Deus es machina aus. Ohne Unsicherheit hingegen steht das
Ergebnis bereits fest, die Spieler werden zu Beobachtern des Geschehens
degradiert.
Die alleinige Anwesenheit von Unvermeidbarkeit bedeutet, dass
sich das Spiel zwar dem Ende zuneigt, doch in keiner Weise feststellbar
ist, wer Gewinner der Partie sein wird. Ohne Unvermeidbarkeit scheinen
der Konflikt sowie dessen Auflösung in weiter Ferne.
Zu Spielbeginn ist das Maß der Unsicherheit besonders hoch
ausgeprägt und verringert sich im Verlauf des Spiels. Bei
Unvermeidbarkeit hingegen verhält es sich vice versa. Die Klimax
markiert die Stelle des Spiels, in der sich Unsicherheit komplett auflöst.
Ob dieser Punkt zudem auch das Ende der Partie markiert oder der
Führende sein Spiel noch „nach Hause bringen“ muss ist dabei von der
internen Spielstruktur abhängig.
19.3.1 Unsicherheit
Ist nicht prognostizierbar, wer als Sieger aus der Partie hervorgeht, so ist
die Unsicherheit besonders hoch ausgeprägt. Symmetrische Spiele
besitzen demnach zu Beginn einer Partie ein besonders hohes Maß,
näherungssymmetrische hingegen ein geringeres, was auf die
Wahrscheinlichkeitsverteilungen zurückzuführen ist. Denn hierbei
können Gewinnchancen berechnet werden. In asymmetrischen Spielen ist
dies abhängig vom formalen Balancegrad. So ist die Unsicherheit zu
Beginn einer Schachpartie besonders hoch ausgeprägt, während sie nach
dem Verteilen der Karten im Skat in Abhängigkeit der verteilten Blätter
115
geringer ausfällt. In Fox & Geese ist, ja nach Variante, ein Spieler leicht
bevorteilt, woraus ebenfalls eine nicht perfekte Unsicherheit resultiert.
Zwar lässt sich im Idealfall der Gewinner einer Partie kurz nach
Beginn nicht ermitteln, jedoch der Führende. Diesen bestimmt die
Evaluationsfunktion. Meistens ist diese Funktion trivialer Natur, etwa in
simplen Würfelspielen. Verfügen Spieler jedoch über mehr
unterschiedliche Ressourcen, etwa Geld auf der einen Seite und
Investitionen auf der anderen, ist es nicht zwingend offensichtlich wer das
Feld anführt. Auch kann diese Funktion durch Formationsvorteile, wie
man sie im Schach, Siedler oder auch in Risiko findet, recht umfangreiche
Formen annehmen. Je größer die strategische Vielfalt, desto
undurchsichtiger zumeist auch die Bewertungsfunktion.
Generell kann Unsicherheit durch ein negatives Feedbacksystem
konstant gehalten werden. Dadurch wird es dem Führenden erschwert,
seinen Punktestand weiter auszubauen. Ein solch dynamisches Handicap
eignet sich besonders dann, wenn Spielfortschritt auch zusätzliche Macht
für die Spieler bedeutet, etwa durch spezielle Regeln, die die Einführung
neuer Spielelemente in die Partie beschränken: Wer bisher schon dieses getan
hat, der darf nicht mehr jenes tun. Das wird oft durch eine Begrenzung des
Spielmaterials realisiert. Dadurch wird unter Umständen verhindert, dass
sich eine Führung zu schnell in einen Sieg verwandelt. Negatives
Feedback erhöht damit das Drama, da es den Führenden davor bewahrt
zu schnell zu gewinnen.
Auf der anderen Seite kann durch ein positives Feedbacksystem die
Unsicherheit verringert werden, indem es das Spiel beschleunigt:
„This process […] dispels the dramatic uncertainty and creates a sense of
closure. It is an end‐of‐game ritual prepares the winner to win and the
loser to lose.“ (ibid. 449)
116
Kann der Führende durch solch ein System seinen Vorsprung immer
weiter ausbauen, etwa durch ein konsequentes Bedrängen des Gegners, so
beschleunigt es den vernichtenden Schlag. Gibt dieses System hingegen
allen Spielern gegen Ende des Spiels besonders mächtige Werkzeuge in
die Hand, so löst man den finalen Clash aus, der die Klimax und den
Abschluss des Spiels darstellt. Durch positives Feedback wird somit die
Endgültigkeit erhöht.
19.3.2 Unvermeidbarkeit
Unvermeidbarkeit wohnt die Frage „Wann werden wir den Gewinner
kennen?“ inne und ist in erster Linie mit Blick auf die
Abbruchbedingungen zu erkennen. Die tickende Uhr, der sich leerende
Kartenstapel, die abnehmenden Lebenspunkte, die schrumpfenden
Armeen. All diese Elemente besitzen die Eigenschaft, dass sie den
Spielfortschritt anzeigen. An ihnen kann also das Maß der
Unvermeidbarkeit abgelesen werden, sofern es sich nicht um erneuerbare
Ressourcen handelt. Ihre Werte sind auch Teil der Größe, mit denen die
Evaluationsfunktion arbeitet und den führenden Spieler ermittelt.
Bei absoluten Siegbedingungen gibt das Maß der Unvermeidbarkeit
gleichzeitig auch Aufschluss über den Führenden. Dies ist dann der Fall,
wenn der das Spiel beendende Spieler gleichzeitig auch der Gewinner ist,
etwa in Race‐Games oder Spielen wie Siedler, in denen eine bestimmte
Anzahl von Punkten erreicht werden muss. Verfügt ein Spieler über
keinerlei Armeen, Lebenspunkte oder auch sonstige Ressourcen, ist nicht
nur das Spiel beendet, sondern es steht auch gleichzeitig der Gewinner
fest.
117
Bei relationalen Siegbedingungen hingegen ist mit isoliertem Blick
auf das Maß der Unvermeidbarkeit nicht zu erkennen, wie es um den
Führenden steht. Sobald die Uhr eine bestimmte Zeit geschlagen hat oder
der Kartenstapel verbraucht ist, wird auch das Spiel beendet. Wer
allerdings das Spiel gewonnen hat, wird anderweitig ermittelt. Beendet
ein Spieler eine Partie Mah‐Jongg, so ist dieser keineswegs auch zwingend
der Gewinner.
Dramatischer Spannung wohnt ein intermediärer Charakter inne.
Es ist zweifellos eine essenzielle Qualität von Spielen, doch hat sie ihren
Ursprung in allgemein narrativen Kontexten wie in Theater, Literatur und
Film. Es ist damit eine Qualität, die unabhängig von der aktiven Rolle des
Spielers besteht. Damit ist sie auch von Außenstehenden beobachtbar.
Eine recht simple Antwort auf die Frage, welchen klassischen Spielen
denn nun eine dramaturgische Qualität unterstellt werden kann: Die, bei
denen gerne zugesehen wird:
„Ich kenne kein Schauspiel auf der Welt, das 3000 Personen fünf Stunden
lang in Atem halten kann. Unbewegt und in Gedanken versunken, wie
die hieratischen Schauspieler einer japanischen Kabuki‐Aufführung,
sitzen sich die Spieler gegenüber.“ (Arrabal, zitiert nach Finkenzeller &
Ziehr & Bührer 2000, 33)
Wie in allen Spielen ist es hier natürlich eine subjektive Frage, welche
Spiele als spannend wahrgenommen werden. Kenntnisse über das
Spielsystem und Interesse sind unvermeidbar verknüpft mit der Frage, ob
eine Partie als spannend empfunden wird oder nicht. Während das
Publikum über eine Schachpartie staunt und sie gar als „Millennium‐
Match“ feiern wird, da schüttelt der Laie nur verständnislos den Kopf.
Was reine Popularität jedoch anbelangt, steht die moderne Poker
Variante Texas Hold‘em dem Schachspiel diesbezüglich in nichts nach. Es
ist sogar das einzige klassische Spiel, das global im TV übertragen wird.
118
Es ist auch hier ein hohes Maß an Spannung, das Poker auch für den
passiven Beobachter attraktiv macht. Interessant ist aus dieser Perspektive
die ähnliche Entwicklung bei bestimmten Computerspielen: Es werden
Spielpartien im Internet (und sogar im koreanischen Fernsehen)
übertragen, deren Aufbereitung an Fußballübertragungen erinnert. Auch
hier ist es die dramatische Spannung, die den Zuschauer an den
Bildschirm fesselt.
20 Prinzip [5]: Herausforderung
Welche Macht ist das, die uns dazu bringen kann,
Grundbedürfnisse um des Spiels willen hinten an
zu stellen? – Mihaly Csikszentmihalyi
Thompson (Thompson 1999) diskutiert neben drama und decisiveness
noch zwei weitere Spielmerkmale: Spieltiefe und Klarheit. Diese sind eng
verwandt mit den voran diskutierten Begriffen der Dominanz und
Bedeutsamkeit und befinden sich ebenfalls in einem Spannungsverhältnis.
Eine Balance ist notwendig, damit ein Spiel herausfordernd ist, was durch
die Flow‐Theorie expliziert werden kann.
20.1 Spieltiefe und Klarheit
Spieltiefe (Depth) bedeutet, dass Spieler in der Lage sind, das Spiel auf
unterschiedlichen Ebenen von Expertise spielen zu können. Tiefe verleiht
einem Spiel eine besondere Qualität, da die Akteure ihre spezifischen
Fähigkeiten über einen (langen) Zeitraum zunehmend verbessern können.
Spieler der Fähigkeitsstufe eins werden dabei untereinander in etwa ein
ausgeglichenes Verhältnis von Siegen zu Niederlagen aufweisen,
119
allerdings gegen einen Spieler der Stufe zwei in der Regel verlieren.
Spieler der Stufe drei wiederum werden untereinander das gleiche
Verhältnis aufweisen, allerdings gegen Spieler der Stufe drei verlieren etc.
bis zu einer Stufe n, die maßgeblich für die Spieltiefe ist.
Schwierig wird es allerdings, sollten Spiele hochgradig
asymmetrisch sein. Denn wenn ein Spieler eine Seite besonders gut
beherrscht, so muss er nicht zwingend auch in der anderen Rolle auf dem
gleichen Niveau spielen können, da sich das Gameplay sichtlich
voneinander unterscheidet. Hier hilft das Konzept des Rollentauschs.
Dieses erfordert einen Seitenwechsel, wodurch eine gemittelte
Expertisestufe festgestellt werden kann.
Auch bezüglich des Anzugsvorteils schlecht ausbalancierte Spiele
mit symmetrischen Startbedingungen weisen dieses Merkmal auf. Wird
der Nachziehende in die Rolle des defensiven, reagierenden Spielers
gedrängt, weil der Anziehende weitegehend über die Spielkontrolle
verfügt, so wird sein Ziel nicht das Gewinnen sein, sondern das Erreichen
eines Remis. Obwohl beide Spieler nahezu das gleiche Spiel spielen, so
verfolgen sie doch zwei unterschiedliche Ziele. Damit unterscheiden sich
auch ihre Spielweisen voneinander.
Spieltiefe ist nicht nur in Strategiespielen vorzufinden. Reinen
Glücksspielen haftet keinerlei Spieltiefe an. Doch bedeutet das nicht, dass
das Vorliegen von imperfekter Information inkompatibel ist mit Spieltiefe:
Ein Amateur mag Poker für ein reines Glücksspiel halten, doch offenbaren
sich bei genauerem Hinsehen zahlreiche strategische Elemente. 44
Backgammon ist trotz der Würfel hoch strategisch und lässt damit
Spieltiefe und daraus resultierende unterschiedliche Expertisestufen 45
44 Nicht zuletzt befinden sich bei großen Pokerturnieren oft dieselben „Profis“ in den
Endrunden. Der Spielerfolg ist also nicht in erster Linie vom Glück abhängig.
45 Eine völlig eindeutige Zuordnung eines menschlichen Spielers zu einer Stufe ist dabei
jedoch nicht möglich, da auch in reinen Strategiespielen ein, wenn auch recht kleiner,
120
erkennen. Auf der anderen Seite impliziert auch ein reines Strategiespiel
nicht automatisch Spieltiefe. In diese Gruppe fällt beispielsweise das
simple Tic‐Tac‐Toe. Notwendig ist vielmehr, dass keine dominanten
Strategien vorliegen beziehungsweise diese nicht bekannt sind. Spieltiefe
ist damit wesentlich mit Komplexität gleichzusetzen.
Klarheit (Clarity) bedeutet, dass ein gewöhnlicher menschlicher
Spieler ohne einen übermäßigen Zeitaufwand46 dazu in der Lage sein
muss, in einer Spielsituation zu entscheiden, welcher Zug die beste
Alternative darstellt. Steht dem Spieler beispielsweise ein Zug zur
Verfügung, der ihn sofort gewinnen lässt, so sollte er diesen problemlos
finden. Viele Schachprobleme bauen auf dieser Problematik auf, da sie
versuchen die Intuition des Spielers in die Irre zu führen.
Anders als in Bezug auf die Spieltiefe besitzen dominante
Entscheidungsoptionen hier einen positiven Einfluss. Denn je dominanter
eine Entscheidungsoption ist, desto klarer ist sie auch. Bezeichnet man im
Allgemeinen ein Spiel als einfach, so ist das der hohen Klarheit zu
verdanken – es ist also nicht schwer, die richtige Entscheidung zu treffen.
Die Schwierigkeit beruht hier darüber zu entscheiden, ob ein Spiel
wirklich undurchsichtig ist, oder ob es lediglich an der Expertise der
Spielers mangelt.
Auch hier ist das Spannungsverhältnis offensichtlich: Ist in jeder
möglichen Spielsituation eindeutig entscheidbar was der beste Zug ist, so
besitzt das Spiel ein hohes Maß an Klarheit, allerdings nur ein geringes an
Spieltiefe. Besitzt ein Spiel im Gegenzug überaus viel Spieltiefe, so kann
nur schwer in einer Situation über den besten Zug entschieden werden.
Glücksfaktor vorhanden ist, da ein Vorkommen von Fehlern und Irrtümern nicht
ausgeschlossen werden kann.
46 Das heißt auch, er darf seine Wahl nicht mithilfe eines Taschenrechners treffen.
121
20.2 Dominanz und Klarheit – Unterforderung
Eine dominante Entscheidungsoption liegt vor, wenn der Wert einer
Entscheidung den seiner Alternativen übertrifft. Das ist ein objektives
Kriterium. Eine eindeutig (und damit subjektiv) dominante
Entscheidungssituation liegt vor, wenn der Spieler dies auch erkennt.
Hierbei handelt es sich um ein subjektives Kriterium. Ob dominante
Optionen auch eindeutig sind, ist abhängig von der Expertisestufe des
Spielers. Befindet sich ein Spieler auf der höchsten Stufe, so korrelieren für
ihn Klarheit und Dominanz dauerhaft. Dadurch lässt sich der (subjektive)
Dominanzbegriff (wie von Schell (dominant strategy) und Fuller (obvious
decision) angedeutet) präzisieren: Eine subjektiv dominante
Entscheidungssituation liegt vor, wenn bei der Expertisestufe des Spielers
für ihn absolute Klarheit vorliegt. Dies bedeutet, dass er in einer Situation
in der Lage ist, sämtliche Entscheidungsoptionen hierarchisch zu ordnen
oder er zumindest die werthöchste bestimmen kann. Bei einer Erhöhung
der Spieltiefe ist dies nichtmehr der Fall, solange er sich auf der gleichen
Expertisestufe befindet.
Das Problem ist damit nicht das Vorhandensein dominanter
Entscheidungsoptionen. Problematisch wird es nur, wenn dies auf Grund
mangelnder Spieltiefe zu einfach erkennbar ist respektive die
Expertisestufe des Spielers entsprechend ausgeprägt ist.
Je bewanderter ein Spieler, desto eher erkennt er auch dominante
Entscheidungsoptionen. Wo der Laie nicht bestimmen kann, welche
Aktion die zielführendste ist, ist dies für den Experten offensichtlich.
Liegen nur eindeutige Entscheidungssituationen vor, so sind die
Entscheidungen nicht mehr interessant, da keinerlei Ungewissheit
bezüglich der Konsequenzen des Verhaltens mehr vorhanden ist. Die
Folge ist Langeweile, der Spieler ist unterfordert.
122
20.3 Unbedeutsamkeit und Spieltiefe – Überforderung
Unbedeutsam sind Entscheidungssituationen, sollte der Wert sämtlicher
Optionen nahezu gleich sein. Allerdings können auch Situationen
auftreten, in denen der Spieler die Werte in keiner Weise bestimmen kann,
sie also nicht zu hierarchisieren sind. Das ist bei einem besonders hohen
Maß an Spieltiefe der Fall.
Besitzt ein Spiel wenig Tiefe, so sind Entscheidungssituationen
dadurch gekennzeichnet, dass sich die richtige Entscheidung einfach
treffen lässt: Es ist sofort augenscheinlich, welche Option den höchsten
Wert besitzt. Je mehr Tiefe einem Spiel dagegen innewohnt, desto näher
scheinen die Werte aller Entscheidungsoptionen bei einander zu liegen.
Hier bedarf es einem überaus hohen Maß an Expertise, um eine Option
von ihren schlechteren Alternativen abgrenzen zu können. Besitzt ein
Spieler diese Expertise nicht, desto weniger sind die
Entscheidungsoptionen für ihn hierarchisierbar. Die Wahl wird
letztendlich für ihn zu einer Glücksfrage, da er überfordert ist.
20.4 Zwischen Angst und Langeweile – Der Flow‐Effekt
Die Wahrung der Balance zwischen Über‐ und Unterforderung ist der
Kern des Flow‐Effektes. Der Psychologe Csikszentmihalyi entwickelte die
Flow‐Theorie ursprünglich mit Blick auf die Motivation der Ausübung
von Risikosportarten wie etwa dem Klettern. In weiteren Untersuchungen
verallgemeinerte er diese Theorie und übertrug diese auf zahlreiche
andere Aktivitäten, die keinerlei extrinsisches Belohnungsprinzip
aufwiesen (das heißt, weder materielle Güter wie Geld noch idealistische
wie Anerkennung). Sprich: Warum sollte ein Mensch einer Tätigkeit
123
nachgehen, für die es zunächst keinen rationalen Grund zu geben scheint?
Die simple Antwort: Weil es Freude bereitet. Genau das beschreibt der
Flow‐Effekt:
„In der Schwebe zwischen Langeweile und Angst ist das autotelische
Erleben eines des völligen Aufgehens des Handelnden in seiner Aktivität.
Die Aktivität bietet laufend Herausforderungen. Es bleibt keine Zeit für
Langeweile oder für Sorgen darüber, was möglicherweise eintreffen wird.
In einer solchen Situation kann eine Person die jeweils nötigen
Fähigkeiten voll ausschöpfen und sie erhält dabei klare Rückmeldungen
auf ihre Handlungen.“ (Csikszentmihalyi 2008, 58)
Was hier als Schwebe zwischen Angst und Langeweile beschrieben wird,
ist nichts anderes als eine Konsequenz der stetigen Balance zwischen
Unter‐ und Überforderung. Damit muss ein Spiel zwangsläufig ein hohes
Maß an Spieltiefe besitzen oder den Herausforderungsgrad der
Spielerexpertise anpassen. Doch nicht nur das Spiel muss diese Qualität
besitzen. Auch der Spieler muss sich auf der richtigen Ebene dieses Spiels
befinden, d.h., sein Gegenüber muss sich auf einer ähnlichen
Expertisestufe befinden wie er. Verfügt ein Spieler über eine dominante
Strategie, so wird auf Grund der mangelnden Herausforderung der Flow‐
Effekt unterbunden.
Der wichtigste Unterschied zur Spannung als Qualität besteht in
der Involviertheit des Spielers. Während man Drama als reiner Betrachter
wahrnehmen kann, ist Flow zwangsläufig an die aktive Spielteilnahme
gekoppelt.
Die Herausforderung kann sowohl physischer als auch psychischer
Natur sein und ist somit nicht an klassische Spiele gebunden. Wesentlich
ist jedoch die Kontrollfähigkeit über eine spezifische Situation. Flow ist
damit subjektiv und dynamisch. Subjektiv deswegen, da das Vorhandensein
von Interessen und spezifischen Fähigkeiten von Mensch zu Mensch
124
unterschiedlich ist. Dynamisch ist es, da die Ausbildung von Fähigkeiten
einer positiven Rückkopplung unterworfen ist: Durch das Trainieren einer
Tätigkeit steigert sich die Expertise, woraufhin wieder Tätigkeiten des
gleichen Typs auf einem höheren Level ausgeführt werden können.
Befindet man sich dauerhaft in diesem dynamischen Zustand, so ist der
Flow‐Effekt potentiell gewährleistet.
Abbildung 23: Die Stadien des Flow‐Zustandes
Zu Beginn passt die Herausforderung zu den eigenen Fähigkeiten[1], die
jedoch mit der kontinuierlichen Ausübung wachsen. Langeweile stellt sich
ein [2], bis der Grad der Herausforderung wieder angehoben wird. Ist die
Herausforderung jedoch zu groß, also der Anstieg zu rapide, kommt es
zur Überforderung oder gar Angst vor der Tätigkeit [3]. Durch weiteres
Training oder Anpassung des Schwierigkeitsgrades kann der Flow‐
Zustand jedoch wieder hergestellt werden [4].
Im Untersuchungsbereich Csikszentmihalyis befand sich auch ein
klassisches Spiel: Schach. Es stellte sich heraus, dass Schachspielen in
vielen Situationen prototypisch für das Flow‐Erleben ist:
125
„Der Zeitraum ist wie aufgehoben: ‚Gewöhnlich fragt jemand: »Wollen
Sie spielen?«, und als nächstes merke ich dann, dass seither wieder viele
Stunden vergangen sind.‘“ (ibid. 94)
Dieses Phänomen ist charakteristisch für das Flow‐Erlebnis. Durch die
ausgeprägte Involviertheit verändert sich das Zeitgefühl – oder wird
völlig aufgehoben.
Gleichzeitig betont Csikszentmihalyi die Notwendigkeit einer
adäquaten Herausforderung. Das macht eine hohe Spieltiefe unabdingbar:
„Während ich einen viel schwächeren Spieler auf dem Spielbrett
festnagle, denke ich vielleicht an die Ereignisse des Tages. Bei einem
guten Spieler überlege ich alternative Spielmöglichkeiten – nichts
anderes.“ (ibid. 95)
Flow kann nur aufrechterhalten werden, wenn die Fähigkeiten des
Gegners den eigenen entsprechen und damit eine Herausforderung
besteht.
Die Herausforderung erzwingt ein hohes Maß an Konzentration,
um das Spiel bewältigen zu können. Durch die fortwährende
Konzentration verschmelzen Handeln und Bewusstsein regelrecht und
widmen sich ganz einer bestimmten Aufgabe, die Aufmerksamkeit
zentriert sich ganz und gar auf einen bestimmten Stimulus: „Im Falle von
Spielen definieren die Regeln die relevanten Stimuli und schließen alles
andere als irrelevant aus.“ (ibid. 65) Damit erfasst man interessanter Weise
wieder das Konzept des Spielraumes beziehungsweise des Magic Circles
auf eine besondere Weise: Demnach ist nur das relevant für das Flow‐
Erleben, was sich innerhalb des Magic Circle befindet.
Eine abschließende Frage ist nun, wie mit Hilfe der modernen
Theorien von Flow und Spannung die Eingangs diskutierten Konzepte
von Huizinga, Caillois und Suits gelesen werden können.
126
21 Classics Revisited
Das Flow‐Konzept ist integraler Bestandteil vieler moderner, gerade auch
auf Videospiele bezogener Ansätze. Konzeptionen von Spannung sind
ebenfalls Bestandteil zahlreicher neuzeitlicher Ansätze. Doch wie lassen
sich mit Hilfe der Flow‐ und Spannungskonzeption Huizinga, Caillois und
Suits lesen?
Lässt sich Huizingas Spielverständnis nun anders deuten? Hilfreich
ist hierfür ein erneuter Blick auf seine Definition:
„Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb
gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig
angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr
Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung
und Freude und einem Bewusstsein des Anderssein als das gewöhnliche
Leben.“ (Huizinga 2006, 37; eigene Hervorhebungen)
Huizinga deutet Spannung primär als Ungewissheit. Ungewissheit alleine
schließt jedoch noch keine Beliebigkeit der Narration im Sinne eines Deus
ex machina aus. Dies erfolgt erst durch die hier beschriebene
Endgültigkeit der dramatischen Spannung. Diese kann daher als eine
qualitativ hoch ausgeprägte Unsicherheit angesehen werden. Es macht
einen wesentlichen Unterschied, ob ich mein Vermögen auf die richtige
Zahl gesetzt habe oder ob ich innerhalb eines Spielverlaufes die richtigen
Entscheidungen getroffen habe. Nach Huizinga ist beides spannend, doch
nur für letzteres ist tendenziell Drama vorhanden.
Weitaus komplexer gestaltet sich die Analyse von Freude. Freude
ist eng verknüpft mit der Spielmotivation einzelner Spielteilnehmer und
überaus heterogen ausgeprägt. Schon Caillois‘ vier Spieltypen sprechen
hier eine deutliche Sprache: Den Grund zu spielen gibt es nicht.47 Freude
47 Für einen umfassenden Überblick zur Spielmotivation, siehe Järvinen 2008, Kapitel
127
kann daher als ein Sammelsurium verschiedener Spielmotivationen
verstanden werden. Das Flow‐Konzept pointiert das vielen
Spielmotivationen Gemeinsame:
„Als die am ehesten vergleichbaren Aktivitäten wurden
Wettbewerbssportarten, künstlerische Tätigkeiten wie Malen und
Musizieren, das Erforschen neuer Probleme, Bridge, und ‚Armee oder
Politik’ genannt.“ (Csikszentmihalyi 2008, 96)
Zunächst mutet es merkwürdig an, Malerei oder Wissenschaft dem
Schachspielen gleichsetzen zu wollen. Aus einer huizanga‘schen Warte
betrachtet sind all das jedoch kulturelle Bereiche ludischen Ursprungs.
Aus seiner kulturtheoretischen Sicht haften Wissenschaft, Politik, Kunst
und Krieg damit ebenfalls spielerische Züge an:
„In Mythus und Kult aber haben die großen Triebkräfte des Kulturlebens
ihren Ursprung: Recht und Ordnung, Verkehr, Erwerb, Handwerk, und
Kunst, Dichtung, Gelehrsamkeit und Wissenschaft. Auch diese wurzeln
somit sämtlich im Boden des spielerischen Handelns.“ (Huizinga 2006, 13)
Csikszentmihalyis Flow‐Konzept besitzt damit eine sehr starke
Erklärungskraft bezüglich der Spielmotivation. Oft wird diese nur mit
„intrinsisch“ oder „zweckfrei“ umschrieben, zwei überaus unscharfen
Begriffen. Flow hingegen kann durch Rückgriff auf psychologische
Konzepte präzisiert und sogar mit biologischen messbar gemacht
werden.48 Flow ist weder hinreichend noch notwendig, um die Faszination
des Spielens in all seinen Facetten zu erklären, doch handelt es sich
zweifelsohne um ein Qualitätsmerkmal erster Güte, dessen formale Basis
(im Sinne der Spieltiefe und Dominanz sowie Klarheit und
drei.
48 „Das günstigenfalls in ‚Flow’ gipfelnde ‚Prinzip optimaler Anpassung’ lässt sich mit
Hilfe von HRV‐Messungen quantitativ erfassen und beschreiben. HRV‐Messungen
liefern eine biologische (und zugleich messbare!) Bezugsgröße für ‚Stresstoleranz’
bzw. Funktionstüchtigkeit.“ (Mück & Mück‐Weymann 2007)
128
Unbedeutsamkeit) erst im Verbund mit psychologischen und biologischen
Aspekten seine volle Bedeutung erhält.
Das Verhältnis des caillois’schen Konzeptes von agôn und dem
Flow‐Konzept diskutiert Bateman (2006b). Mit Blick auf den Flow‐
Channel unterteilt er agôn in easy agôn, true agôn und hard agôn und trägt
damit ebenfalls den unterschiedlichen Anforderungen seitens der Spieler
Rechnung:
„The fact that different players desire to be in a different place with
respect to the degree of challenge connects notably with the model of
Flow. The flow channel […], where abilities and challenge are equal, is an
area, not a line.” (ibid.)
Hard agôn verlangt dem Spieler alles ab, bereits ein kleiner Fehler kann
spielentscheidend sein. Hier befindet sich der Spieler am oberen Rand des
Kanals. Dies wird auch als Cutting Edge bezeichnet, da sich der Spieler hier
am Rand des theoretisch machbaren Limits befindet. Aus einer weiteren
Erhöhung des Schwierigkeitsgrades resultiert eine Unerreichbarkeit des
Spielziels. Easy agôn hingegen verzeiht den einen oder anderen Fehler.
Der Spieler befindet sich am unteren Rand. Wenn in einem Multiplayer
Game Spieler unterschiedlicher Expertisestufen gegeneinander antreten,
so ist es für einen Spieler hard agôn während es für den anderen easy
agôn darstellt. Wird das Spiel mittels Handicap angeglichen, ist das Spiel
für beide hingegen wieder true agôn.
Ebenso liegt es nahe, das caillois’sche Verständnis von Ilinx mit
Hilfe der Flow‐Konzeption zu präzisieren. Zwar ist unter Schwindel noch
mehr zu verstehen als Flow, beispielsweise wie im paidiaischen
Kinderspiel, doch kann Schwindel 49 im Sinne von Flow auch durch
49 Hier gibt es erneut sprachliche Schwierigkeiten was die Übersetzung anbelangt.
Während Caillois selber von Ilinx redet und im Französischen schrieb, wird im
Englischen der Begriff Vertigo gebraucht. Dieser wiederrum ist zumeist als Schwindel
129
kognitive Tätigkeiten entstehen, wie Csikszentmihalyi recht eindeutig
aufgezeigt hat. Ob Caillois jedoch schon intuitiv den Kerngedanken des
Flow‐Konzeptes im Hinterkopf hatte, darüber kann maximal spekuliert
werden.
Weiterhin erklären Flow und Spannung die Verschiebung von
Paidia zu Ludus. Spannung setzt zum einen voraus, dass eine Art
Evaluationsfunktion existiert, die den aktuellen Spielstand ermittelt. Es
muss feststellbar sein, welcher Spieler dem Ziel am nähesten ist. Gibt es
allerdings kein klar definiertes Ziel und keine klar definierten Regeln, so
ist das nicht möglich. Es ist nicht sonderlich spannend sich wahllos einen
Ball hin und her zu werfen. Spannung kann erst dann entstehen, wenn
sich die Spieler auf ein zu erreichendes Ziel und die erlaubten Mittel
einigen: Ein Spiel im engeren Sinne wird konstituiert. Ähnliches gilt für
den Flow. Denn wo, um im Sinne Suits zu sprechen, keinerlei Hindernisse
oder Hürden vorhanden sind, dort besteht auch keinerlei Schwierigkeit
ein spezifisches Ziel zu erreichen. Auch nach ihm ist der passende Grad
der Herausforderung eine essentielle Qualität eines jeden Spiels:
„It seems to be the case that the lines drawn in games are not really
arbitrary at all. For both that the lines are drawn und also where they are
drawn have important consequences not only for the type, but also for the
quality of the game to be played. It might be said that drawing such lines
skillfully (and therefore not arbitrarily) is the very essence of the
gamewright’s craft. The gamewright must avoid two extremes. If he
draws his lines too loosely, the game will be dull because winning will be
too easy. As looseness is increased to the point of utter laxity the game
simply falls apart, since there are then no rules proscribing available
means […] On the other hand, rules are lines that can be drawn too
tightly, so that the game becomes too difficult. And if a line is drawn very
tightly indeed the game is squeezed out of existence.” (Suits 2005, 44f)
ins Deutsche übersetzt worden, doch liegt es nahe diesem im vorliegenden Kontext
ebenfalls als Rausch zu deuten.
130
Die für den Flow‐Effekt notwendige Herausforderung entsteht erst das
Aufstellen von Regeln für Hindernisse und Zielsetzung. Der suits’sche
Bergsteiger 50 erhält seine Herausforderung, und damit sein Flow‐
Potential, durch das Aufstellen der Regel: Erreiche die Spitze des Berges, aber
allein und ohne jegliche technische Hilfsgeräte.
22 Ist Balance alles?
Rein technisch betrachtet bilden die diskutierten Balanceprinzipien das
Fundament guter Spiele. Dies liegt zum einen an der enormen Ambiguität
des Begriffs – es kann nicht von dem Balanceprinzip gesprochen werden.
Alleine schon die Ausdifferenzierung in formale und qualitative Balance
zeigt, dass sich hinter dem Begriff zwei völlig unterschiedliche
Bedeutungen verbergen.
So ist bei einem fairen Spiel noch lange nicht von einem guten Spiel
die Rede. Ein Münzwurf oder Stein‐Schere‐Papier unterliegen einer
perfekten formalen Balance, verzeichnen jedoch weder Spannungs‐ noch
Flow‐Potential. Zumindest nicht für einen erwachsenen Spieler.
Ein gutes Spiel muss ebenso wenig ein faires Spiel sein. Erinnert sei
hier nur an das Handicap, das gerade zu Gunsten der Spannung dem Spiel
seine inhärente Fairness nimmt.51 Das gilt ebenso für den Flow‐Effekt, der
in einem fairen Spiel zwischen Spielern unterschiedlicher Expertisestufen
nicht auftreten kann. Das Gleiche gilt für Alea, die Agôn trotzen kann um
ein Spiel spannend gestalten zu können.
50 Es mag ein amüsanter Zufall sein, doch illustriert Suits seine Konzeption des Spiels
primär anhand eines Bergsteigers, gleichzeitig entwarf Csikszentmihalyi sein
ursprüngliches Flow‐Konzept ebenfalls anhand dieses Beispiels.
51 Hier wird Fairness in einem anderen Verständnis wiederhergestellt. Vielmehr wird
hier versucht eine Partie Expertise sensitiv fair zu gestalten, wodurch sich wieder
potentiell Drama entwickeln kann, da sich Spiel und Spieler in der Summe wieder in
Balance befinden. Damit befindet sich ein Spiel in Spieler‐Balance.
131
Letzten Endes bedeutet Balance auch nicht mehr und nicht weniger,
als dass alles in gutem Maße vorhanden sein sollte. So wie Mesotes als
eine vorbildliche Lebensform beschrieben werden kann, so entspringt
auch ein gutes Spiel einer mittleren Spielform. Doch ist es nicht gerade
auch das Gegensätzliche, was Spiel und Leben ihren Reiz verleiht?
132
Desiderata
A game may be as integral to a culture, as true an
object of aesthetic appreciation, as admirable a
product of human creativity as a folk art or a
style of music; and, as such, it is quite as worthy
of study – Michael Dummet
Die vorliegende Arbeit kann in vielerlei Hinsicht als ein Gewaltmarsch
beschrieben werden. Das liegt nicht zuletzt an der diffusen
Forschungsfrage, was denn eigentlich Spielregeln seien und wofür sie
genau gut sind. Es wurde bewusst darauf verzichtet, sich einem
Forschungsfeld (im Sinne einer Disziplin) sowie einer präzisen
Forschungsfrage von vornherein zu verschreiben. Daraus resultierten
gleichermaßen Probleme und Chancen.
Das Fehlen eines Fokus bringt Vor‐ und Nachteile mit sich. Die
Besonderheiten machen sich in der verwendeten Literatur bemerkbar. So
wurde hier auf viel zurückgegriffen, was in den Bereich der klassischen
Spielforschung (Huizinga, Caillois, Suits) fällt. Gleichzeitig wurde mit
zeitgenössischer Literatur im Bereich des Gamedesign gearbeitet (Salen &
Zimmerman, Schell, Björk & Holopainen) und postmoderne
Spieltheoretiker (Juul, Järvinen, Costikyan, LeBlanc) wurden
herangezogen. Es gab philosophisch Motivierte (Siegwart, Iorio),
Psychologen (Csíkszentmihályi) und Mathematiker (von Neumann,
Bewersdorff) sowie Historiker (Parlett), die mit ihren Ergebnissen
maßgeblich zu dieser Arbeit beitrugen. Dazu waren es oft die kleinen und
unschillernden Beiträge wie etwa der von Thompson, mit deren Hilfe
scheinbar unüberwindbare Probleme auf einmal bearbeitet werden
konnten. Es mag ein Sammelsurium scheinbar unvereinbarer Theorien
133
darstellen, doch tatsächlich wurde deutlich, dass hier ein Hammer alleine
noch kein Haus baut.
Dass hier zudem auf eine präzise Forschungsfrage verzichtet wurde
und die Arbeit eher dazu tendiert als explorativ ausgelegte systematische
Abhandlung zu gelten ist damit zu begründen, dass es erst einmal zu
ergründen gilt, welche, um in der Metapher zu sprechen, Werkzeuge
überhaupt benötigt werden um ein gutes Haus zu bauen. Dass ein
anfänglicher mangelnder Fokus durchaus fruchtbar sein kann, zeigte sich
in dieser Arbeit insbesondere daran, dass sich die substantiellen Balance‐
Prinzipien erst im Laufe des ersten und zweiten Teils
herauskristallisierten. Mit einer von Anfang an klaren Forschungsfrage
wäre deren Wichtigkeit höchstwahrscheinlich verborgen geblieben. Als
negative Randerscheinung, das muss der Autor offen zugeben, wurden
insbesondere in der Mitte der Arbeit mehr Themen behandelt, als am
Schluss tatsächlich benötigt wurden.
In dieser Arbeit ist sichtbar geworden, dass noch etliche
interdisziplinäre Brücken zwischen den einzelnen Bereichen zu schlagen
sind. Verwiesen sei hier nur auf die Kluft zwischen philosophischer
Begriffsexplikation und schöpferischem Gamedesign.
Bisher rar sind Untersuchungen, die sich aus einer philosophischen
Perspektive dem Spielbegriff annehmen. Bei Siegwart und Iorio wirkt das
Spiel lediglich als eine Randerscheinung, die man „mal eben mitnimmt“,
aber der man keinen eigenen Stellenwert einräumt. Dafür mag es gute
Gründe geben, doch haben die vorliegenden Untersuchungen gezeigt,
dass auch aus regelzentrierter Sicht die Spielanalyse fruchtbar sein kann.
Der Bereich des Gamedesigns gebraucht den Regelbegriff ebenso
inflationär wie der Philosophiebereich den Spielbegriff benutzt. Dies soll
bei Weitem nicht bedeuten, dass man sich hierbei nicht um den
Wesenskern des Spielkonzeptes schert, doch ein Blick auf die Game‐
134
Design‐Bibel Rules of Play (Salen & Zimmerman 2004) zeigt, dass der
Regelbegriff enorm überdehnt wird. Begriffsklärung ist bis auf wenige
Ausnahmen (Björk & Holopainen 2005), wenn überhaupt, nur am Rande
betrieben worden. Insgesamt muss großen Teilen der Forschung leider
attestiert werden, dass Begriffe zu oft induktiv über Beispiele aufgebaut
werden und damit weniger systematisch.
Als Beispiel sei hier der Begriff der dominanten Strategie genannt.
Auf der einen Seite wird höchstens auf intuitiver Basis geklärt, was unter
dem Term zu verstehen ist. Auf der anderen Seite wird der Begriff wie bei
von Neumann hochgradig formal und weniger fassbar gebraucht.
Ähnliche Bedenken ergeben sich bei der Differenzierung zwischen dem
Strategie‐ und dem Taktikbegriff (der hier nicht erwähnt wurde aber dem
Autor häufig aufgefallen ist). Beide Begriffe werden synonym gebraucht
(vgl. Kampmeyer‐Käding 2005) oder werden unterschiedlich verwendet,
aber ohne sie im Ansatz auszudifferenzieren (vgl. Kramer 2010, 373). Sie
sind nur vage voneinander abzugrenzen (häufig wird eine Taktik als
kurzfristig angelegter und eine Strategie als langfristiger Plan angesehen)
oder sind nur technisch, aber in keinster Weise intuitiv, voneinander
unterscheidbar (vgl. Neto 2010). Dies ist ein Paradebeispiel dafür, dass
Begriffsexplikation entweder auf einer rein intuitiven Basis geschieht (und
damit unpräzise ist) oder auf einer rein formalen Ebene stattfindet (und
dann intuitiv nur schwer fassbar ist). Hier gilt es intuitive und formale
Konzepte insgesamt näher zusammen zu rücken.
Die deutsche Forschung ist dahingehend trostlos, als dass sie ihre eigenen
Qualitäten nicht erkennt. Gerade in Bezug auf die hier untersuchten
klassischen Spiele ist Deutschland international anerkannt. So stellt der
deutsche Spielepreis weltweit die höchste Anerkennung dar, die ein Spiel
erhalten kann. Im angelsächsischen Raum ist der Begriff des german board
135
game fest verankert und spricht für eine weltweit anerkannte Qualität. In
vielen der hier gebrauchten State‐of‐the‐art‐Büchern des Gamedesigns
finden diese Spiele Erwähnung. Die Spiele von deutschen Autoren wie
Knizia, Teuber oder Kramer sind international hoch angesehen und
verkaufen sich millionenfach, doch kann bisweilen lediglich mit
wirtschaftlichen Daten deren Qualität bestätigt werden. Es fehlen
qualitative Analysen. Während sich im nicht weit entfernten Kopenhagen
einer der wenigen globalen Think‐Tanks der Spieleforschung befindet, das
Center for Computer Games Research, ist die deutsche Forschung
dahingehend nachwievor äußerst reserviert. Nicht zuletzt liegt dies auch
am medial vermittelten Dogma, (Computer‐)Spiele lediglich auf ihr
Gewalt‐ und Abhängigkeitspotential zu reduzieren. Dadurch kann auch
erklärt sich auch, dass kaum deutschsprachige Literatur, weder verfasst
noch übersetzt, in diesem Bereich existiert. Es herrscht ein eindeutiger
Mangel an offenem und aufgeschlossenem Interesse.
Weiterhin können aus Sicht des Autors einige weitere Wünsche für
folgende Untersuchungen abgeleitet werden. Zum einen betrifft das die
weiteren Regeltypen beziehungsweise deren Kategorisierung. Es gibt eine
Vielzahl von Spielregeln. Doch wurde deren Varietät hier nicht annähernd
erfasst. Exemplarisch seien hier Sanktionsregeln, Verwendungsregeln und
Interpretationsregeln genannt, die keinen Weg in diese Arbeit fanden.
Bezüglich der hier diskutierten Balanceprinzipien sollten einige
Konzepte noch genauer untersucht werden. Eine große Schwierigkeit
bestand darin, dass hier Literatur behandelt wurde, die zum einen
weitgehend distinkt voneinander argumentiert, und dies zum anderen
nicht sonderlich ausführlich tut. Daraus resultierte eine uneinheitliche
Terminologie, die nur zum Teil vereinheitlicht werden konnte. Hier gilt es
die zentralen Begriffe wie beispielsweise Dominanz, Unsicherheit,
136
Spieltiefe, Expertise, Herausforderung oder Spannung weiter zu
präzisieren und auf Relationen untereinander hin zu analysieren.
Offen bleibt die Frage nach weiteren Meta‐Regeln, beispielsweise:
Wie sollten Regelwerke beschaffen sein? Mit Herausforderung und
Spannung konnten grob Konzepte umrissen werden, die als solche Meta‐
Regeln verstanden werden können. Dass damit nicht die Gesamtheit der
Faszination des Spiels Rechnung getragen wurde ist klar. An dieser Stelle
gilt es mehr Konzeptionen herauszuarbeiten, die die Faszination des
Spiels erklären. Hier wird man sich unweigerlich von der formalen Ebene
lösen müssen, denn Menschen spielen Spiele aus völlig unterschiedlichen
Gründen, was primär an Hand deren Zieldefinition und regeltreuem
Verhalten sichtbar wird. Als Spielertypen lassen sich beispielsweise
Spoiler, Cheater, Socialiser, Achiever oder auch Explorer ausmachen (vgl.
Parlett 2005). Interessant bei dieser Ausdifferenzierung ist die Tatsache,
dass deren Motivationen bezüglich der Spielteilnahme zum Teil nicht
mehr mit den Konzepten von Spannung und Flow zu erklären sind.
Sowohl Caillois, Suits und Parlett deuteten die Unterscheidung schon an,
doch bedarf es zur weiteren Ausarbeitung neuere Untersuchungen wie sie
etwa bei Järvinen (2008) zu finden sind.
Ebenso als Meta‐Regeln können solche verstanden werden, die
syntaktische Anforderungen an Regelwerke stellen. Spielregeln sollten,
ebenso wie andere Regeln, Konsistenz und Eindeutigkeit aufweisen. Beides
ist leider nicht immer der Fall. Das lässt sich insbesondere bei Spielen
beobachten, die sich mit Regelheften zu beschreiben versuchen. Es wird
immer unterstellt, dass Regelformulierungen eindeutig und konsistent
sind, doch ist das keineswegs so selbstverständlich.52 Wie verfährt man
also mit inkonsistenten oder uneindeutigen Regelwerken?
52 Gerade deshalb existiert sogar ein deutscher Preis für das verständlichste Regelheft –
die Essener Feder.
137
Hier ist es lohnend, Disziplinen zu Rate zu ziehen, die sich
traditionell mit Regeln befassen – etwa die Jurisprudenz oder auch die
Ethik. An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, dass
Regelwidersprüche und ‐unklarheiten in Spielen nach den gleichen
Prinzipien behandelt werden wie auch in der Rechts‐ oder der Sittenlehre.
Solche Anforderungen wurden bereits von Salen (Salen &
Zimmerman 2004, 122) formuliert, allerdings nicht weiter ausgearbeitet.
Auch hier gibt es von analytischer Seite viel zu tun, möchte man
Regelwerke besser verstehen – und in einem zweiten Schritt bessere
Regelwerke schaffen.
An vielen Stellen der Arbeit dominierte dieses Spiel, wenn es darum ging,
verschiedene Konzepte zu diskutieren. Liegt es daran, dass es einfach das
einzige Spiel ist, das derartige Qualitäten mit sich bringt? Die Antwort ist
ein klares Nein! Nichtsdestotrotz gibt es Gründe, warum an Schach als
Illustration kaum ein Weg vorbeiführt: Kaum ein anderes Spiel ist
wissenschaftlich derartig gut untersucht.
Allerdings weist ein spielanalytischer Ansatz über Schach und
sogar klassische Spiele hinaus: So blieb die Flow‐Theorie lange Zeit
unbeachtet und wurde erst in Bezug auf Videospiele „berühmt“. Denn
gerade in Bezug auf solche Spiele ist sie äußerst wertvoll. Kaum eine
Untersuchung, die sich der Faszination der Computerspiele verschrieben
hat, kommt ohne Rekurs auf den Flow‐Effekt aus.
Mit dem Fokus auf klassische Spiele wurde bewusst auf eine
Untersuchung von Videospielen verzichtet. Einige brauchen sich jedoch in
keiner Beziehung vor dem Spiel der Könige zu verstecken. Rein
kompetitive Videospiele verkaufen sich inzwischen millionenfach, kosten
in der Entwicklung dreistellige Millionenbeträge und durchlaufen einen
jahrelangen hochgradig komplexen Balancingprozess. Der Begriff
138
„Schach“ ist in Bezug auf den dritten Teil nahezu komplett durch
„Starcraft“ substituierbar. 53 Die von Thompson eingeführten Balance‐
Prinzipien und die darauf aufbauenden Drama‐ und Flow‐Theorien sind
geradezu universell gültig. Denn die Gründe, warum zwei Spiele, die
unterschiedlicher nicht sein könnten, derart populär (für Spieler wie
Zuschauer) sind, bleiben dieselben. Hier kommen allerdings immense
Unterschiede in der kulturellen Aufladung zum Tragen: Während Schach
als weltweit allgemein anerkannt gilt, fristen Videospiele hierzulande
immer noch ein Schattendasein, was deren Akzeptanz anbelangt. In den
asiatischen Ländern hingegen übertragen Fernsehsender Partien,
professionelle Spieler können von ihren Spielen leben und die
Protagonisten gleichen Filmstars. Nicht ganz ernsthaft aber dennoch
treffend beschreibt Hamann dieses Videospiel: „[E]in strategisches
Computerspiel ‐ sozusagen wie Schach, nur schneller und mit
Explosionen.“ (Hamann 2010)
Mit dem Blick auf die diskutierten Balance‐Prinzipien muss Schach
eine annähernde Perfektion attestiert werden. Würde Schach heute
erfunden werden – man müsste davon ausgehen, dass sich globale Think‐
Tanks jahrelang mit der Frage nach dem perfekten Spiel auseinander
gesetzt haben, um schlussendlich eben dieses Spiel zum Leben zu
erwecken. Daher ist es schon fast etwas Mystisches, was dieses Spiel
umgibt:
„There must have been a time when men were demigods or they could
not have invented chess. Could it indeed have been invented? I am almost
tempted to believe that chess is a discovered fragment of inexhaustible,
ever‐creative nature.“ (Schenk, zitiert nach Reider 1971, 441)
53 Der Autor muss sogar zugeben, dass er den dritten Teil der Arbeit eigentlich mit Blick
auf Starcraft verfasst hat und letzten Endes nur glücklich darüber war, dass auch
zahlreiche klassische Spiele existieren, die über die diskutierten Eigenschaften
verfügen und zur Illustration herangezogen werden konnten.
139
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144
Abbildungsverzeichnis
[1] Salen & Zimmerman 2004, 102.
[2] Caillois 2001, 36.
[3] Eigene Erstellung.
[4]‐[6] Kramer 2010, 347f.
[7] http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/91/Backgammon.jpg.
[8]‐[9] Eigene Erstellung.
[10] Schell 2008, 139.
[11]‐[12] Eigene Erstellung.
[13] http://www.mastersgames.com/images/board/fox‐geese.jpg.
[14] http://images.ravensburger.de/images/produktseiten/normal_q/26117_2.jpg.
[15]
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/d/d7/Chess_pdl44.png/26px‐
Chess_pdl44.png.
[16] http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/7c/ZHNEFA.jpg.
[17] Eigene Erstellung.
[18] http://cf.geekdo‐images.com/images/pic555932_md.jpg.
[19] http://ancientchess.com/graphics‐rules/dou_shou_qi_jungle_game‐board.jpg.
[20] Parlett 1990, 167.
[21] Schell 2008, 181.
[22]
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/a/af/Freytags_pyramid.svg/800
px‐Freytags_pyramid.svg.png.
[23] Salen & Zimmerman 2004, 351.
145
Selbständigkeitserklärung
Hiermit erkläre ich, die vorliegende Arbeit selbständig und nur unter
Verwendung der angegebenen Literatur und Hilfsmittel angefertigt zu
haben. Von anderen Personen bereitgestellte Materialien oder erbrachte
Dienstleistungen sind als solche gekennzeichnet.
Leipzig, 4. Januar 2010
Kelvin Autenrieth