jan assmann. das kulturelle gedächtnis
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Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Jan AssmannDas kulturelle Gedächtnis
Universität MainzGermersheim, 24.Juni 2010
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Kulturelle Funktionen
Diachrone Zeit‐ und Sinnorientierung
Synchrone (Um‐)welt‐Adaption
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Klio: Geschichtsschreibung
Melpomene: Tragödie
Terpsichore: Chorlyrik, Tanz
Thalia: Komödie
Euterpe: Lyrik, Flötenspiel
Erato: Liebesdichtung
Urania: Sternkunde
Polyhymnia: Gesang zu Lyra und Kithara
Kalliope: Epik, Rhetorik, Philosophie, Wissenschaft
Mnemosyne (Gedächtnis, Erinnerung)
Die griechische Theorie des kulturellen Gedächtnisses: Mnemosyne (Erinnerung) als Mutter der neun Musen
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Kultur
Fortschrittsaspekt Gedächtnisaspekt
Adaptiv Normativ
Kognition Emotion
Weltbeherrschung Mythos Geschichte
(Technik, Verwaltung…) (Religion, Kunst)
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Kultur Gedächtnis
adaptiv normativ kulturelles G. Soziales G. Individuelles G.
Religion Kunst Geschichte,Geisteswissenschaften
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Gedächtnis
‚embodied‘ ‚embedded‘
individuell sozial disembodied
neuronal kommunikativ kulturell
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Gedächtnis
Aspekt: individuell sozial (kommunikativ) kulturell
Basis: neuronal Kommunikation Medien symbolischer Objektivation
Institutionen der Zirkulation und trans‐generationellenWeitergabe
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Gedächtnis
Institution Imagination
Schule, Kirche, Fest usw. Konstruktionen von
Lehrer, Priester, Sänger usw. Kontinuität und Identität
Texte, Bilder, Riten usw. (Mythen, Historie usw.)
Mnemotechnik, Schrift, Tanz usw.
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
kulturell
sozial
inner
Gedächtnis
Zeit Identität
inner
sozial
kulturell
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Die Nationalbibliothek von Serajewo, vor (oben) und nach (rechts) der Zerstörung 1993 durch serbische Bomben
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Gedächtnis
Aspekt: individuell sozial (kommunikativ) kulturell
Basis: neuronal Kommunikation Medien symbolischer Objektivation
Institutionen der Zirkulation und trans‐generationellenWeitergabe
Zeit: biologische Z. soziale Z. kulturelle (mythische, historische) Z.
Identität: individuell sozial („Person“) kulturell
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Gedächtnis
„Körper“ „Schrift“
Kurzzeit‐G. Langzeit‐G.
‚embodied‘ ‚embedded‘ ausgelagert
individuell sozial kulturellneuronal kommunikativ symbolische
Objektivationen
subjektiv intersubjektiv objektiv
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Jan Vansina, Oral Tradition as History, Madison 1985:
„Das Geschichtsbewußtsein kennt nur zwei Register: Zeit der Ursprünge und neuere Zeit. Weil sich die Grenze der Erinnerung mit dem Wechsel der Generationen verschiebt, habe ich die Lücke zwischen beiden „thefloating gap“, die fließende Lücke, genannt. Für die Tio im Kongo lag sie im Jahre 1860 ungefähr bei 1800, während sie sich im Jahre 1960 nach ca. 1880 bewegt hatte.“
Past
Recent time Floating gap time of origins
Kommunikatives/per‐ Kulturelles
sönliches Gedächtnis Gedächtnis
Kurzzeit‐Gedächtnis Langzeit‐Gedächtnis
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Frühe Keilschrifttafeln aus Uruk
Um 3000 v.Chr.
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Kulturelle Texte kulturelle Texte
Alltagstexte ‚klassische Sprache‘
Umgangssprache
Alltagstexte
Umgangs‐ und moderne Hochsprache
Stadium I Stadium II
Zeit
Stadien schriftkultureller Entwicklung
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Altertum:
Späte Bronzezeit: Frühe und Mittlere BronzezeitMykenische Zeit Ramessidenzeit Sargonidenzeit Altes und Mittleres Reich(14.‐13.Jh. (13.‐12.Jh.) 24.‐23.Jh. 25.‐18.Jh.)
Homer Exodus‐Überliefe‐ Neuassyrische 25. und 26. Dynastierungen Renaissance ‚saitische‘ Renaissance
8.Jh. 8.‐6.Jh. 8.‐7.Jh. 8.‐7.Jh.
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Altertum:
Späte Bronzezeit: Frühe und Mittlere BronzezeitMykenische Zeit Ramessidenzeit Sargonidenzeit Altes und Mittleres Reich(14.‐13.Jh. (13.‐12.Jh.) 24.‐23.Jh. 25.‐18.Jh.)
Homer Exodus‐Überliefe‐ Neuassyrische 25. und 26. Dynastierungen Renaissance ‚saitische‘ Renaissance
8.Jh. 8.‐6.Jh. 8.‐7.Jh. 8.‐7.Jh.
Kanonisierung und KommentierungAlexandrinisch (proto) rabbinisch4.‐2.Jh. 3.Jh.v.‐2.Jh.n.C.
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Kanon‐Filiationen
West Ost
Biblischer K. Klassischer K. Indien China
Pali‐Kanon Corpus Confucianum
Jaina‐K. Adi Granth Daoistischer K.
Tanakh Christliche Bibel
Koran
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Kanonbildung in Alexandria:
Texte
Ekkrithentes Enkrithentes
„Ausgeschiedene“ „Einbezogene“
hoi prattomenoi „die zu Behandelnden“
(proletarii) (classici)
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Gedächtnis
‚embodied‘ ‚embedded‘ ausgelagert
individuell sozial kulturellneuronal kommunikativ symbolische
Objektivationen
reembodied disembodiedreembeddedFunktions‐G. Speicher‐G.Kanon Archiv
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Identitätskonkretes Wissen (Gedächtnis) identitätsabstraktes Wissen
Das Eigene Das Fremde
Der Kanon der Archiv z.B. altägyptische Pyramidentexte,
Grossen Texte aztekische Kosmogonien
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
„Jedes Lebendige kann nur innerhalb eines Horizontes gesund, stark und fruchtbar werden; ist es unvermögend, einen Horizont um sich zu ziehn, und zu selbstisch wiederum, innerhalb eines fremden den eigenen Blick einzuschließen, so siecht es matt oder überhastig zu zeitigem Untergange dahin. Die Heiterkeit, das gute Gewissen, die frohe Tat, das Vertrauen auf das Kommende ‐ alles das hängt, bei dem einzelnen wie bei dem Volke, davon ab, daß es eine Linie gibt, die das Übersehbare, Helle von dem Unaufhellbaren und Dunkeln scheidet; davon, daß man ebenso gut zur rechten Zeit zu vergessen weiß, als man sich zur rechten Zeit erinnert; davon, daß man mit kräftigem Instinkte herausfühlt, wann es nötig ist, historisch, wann, unhistorisch zu empfinden.“
Friedrich Nietzsche: Werke und Briefe: 2. Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, S. 9.
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Formen legitimen (=lebensdienlichen) Vergangenheitsbezugs nach Nietzsche
Monumentalische G.:vor Augen stellen
Vorbild für grosse Taten
Antiquarische G.:sammeln
Zeugnisse und Spuren der eigenen Vergangenheit
Kritische G:abrechnen
Absetzung von nicht fortsetzbaren Vergangenheiten
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
West Ost
Griechenland8.‐4. Jh.
Israel8.‐6.Jh.
Persien6.Jh. (??)
Indien6.‐5.Jh.
China5.‐4.Jh.
Homer, Hesiod, Vorsokratiker,Platon
Jesaja, Hosea, Amos, Hesekiel, Jeremia, Deuterojesaja
Zarathustra BuddhaPanniniKautilya
Konfuzius,LaotseMengste
Die „Achsenzeit“
Altägypten im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes
Das Fremde: das Vorachsenzeitliche, „Durchbuchlose“
Das Eigene:Kommentare,
Sekundärliteratur
Kanon der‚Grossen Texte‘