grenzenüberschreitung. oberschlesier in deutschland und ihre verbindungen zur region. kulturelle...

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Grenzenüberschreitung. Oberschlesier in Deutschland und ihre Verbindungen zur Region. Kulturelle Identität in der gegenwärtigen sozialen Kommunikation auf der Grundlage der Biographien von Menschen aus Kultur, Literatur, Wissenschaft und Kunst Maria Kalczyńska (Opole) „Wir bauen die Zivilisation, deren Richtung unbekannt bleibt und jeder Schatten des Bedenkens brutal behoben wird. Seit langem verfügen wir nicht über eine Vorstellung vom Hauses der Geburt, weil wir die Vorstellung von einem Familienhaus verloren haben, und noch früher vom Haus unseres Todes […].“ 1 Zusammenfassung: ie vorgestellten Lebensbeschreibungen von Oberschlesiern lenken die Aufmerksamkeit auf einen Kontext des kulturellen Grenzgebietes in der Entwicklung der polnisch-deutschen zwischenstaatlichen und zwischenmenschli- chen Beziehungen. Ein polnisch-deutsch-schlesischer Trialog in der Kultur hat seine Grundlage in der Eigenart der Identität, stellt einen besonderen Wert nicht nur für die Region dar, sondern ist auch ein Phänomen der Menschen des Grenzgebietes; ein Phänomen, das auch dem Bauen von Brücken zur Integration von nationalen Identi- 1 J. Grunwald, In dubio pro reo, In: Grunwald, J.: Godziny niebieskie [Blaue Stunden], Opole 1998, S. 50.

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Grenzenüberschreitung. Oberschlesier in Deutschland

und ihre Verbindungen zur Region. Kulturelle Identität

in der gegenwärtigen sozialen Kommunikation auf

der Grundlage der Biographien von Menschen aus

Kultur, Literatur, Wissenschaft und Kunst

Maria Kalczyńska (Opole)

„Wir bauen die Zivilisation,deren Richtung unbekannt bleibtund jeder Schatten des Bedenkensbrutal behoben wird.Seit langem verfügen wir nichtüber eine Vorstellung vom Hauses der Geburt,weil wir die Vorstellung von einem Familienhausverloren haben,und noch frühervom Haus unseres Todes […].“1

Zusammenfassung: ie vorgestellten Lebensbeschreibungen von Oberschlesiern lenken die Aufmerksamkeit auf einen Kontext des kulturellen Grenzgebietes in der Entwicklung der polnisch-deutschen zwischenstaatlichen und zwischenmenschli-chen Beziehungen. Ein polnisch-deutsch-schlesischer Trialog in der Kultur hat seine Grundlage in der Eigenart der Identität, stellt einen besonderen Wert nicht nur für die Region dar, sondern ist auch ein Phänomen der Menschen des Grenzgebietes; ein Phänomen, das auch dem Bauen von Brücken zur Integration von nationalen Identi-

1 J. Grunwald, In dubio pro reo, In: Grunwald, J.: Godziny niebieskie [Blaue Stunden], Opole 1998, S. 50.

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täten dienen soll. Durch literarische, wissenschaftliche und künstlerische Kontakte ist die Grenzüberschreitung in jeder Hinsicht möglich. Sie ist am in hohem Maß fruchtbar, Kultur schaffend sowie wesentlich für die Entwicklung der gegenwärtigen Kommunikation und Gesellschaftsintegration.

Streszczenie: Przedstawione życiorysy Górnoślązaków zwracają uwagę na kon-tekst kulturowego obszaru przygranicznego w procesie rozwoju polsko-niemieckich stosunków na szczeblu międzypaństwowym oraz międzyludzkim. Polsko-niemiecko-śląski trialog w kulturze bierze się ze specyfiki tożsamości i stanowi szczególną wartość nie tylko dla regionu, lecz jest zjawiskiem właściwym mieszkańcom terenów przygranicznych, mającym służyć również budowaniu mostów w celu integrowania tożsamości narodowych. Poprzez kontakty literackie, naukowe i artystyczne staje się możliwe przekraczanie granic pod każdym względem. Jest to zjawisko bardzo owocne, kulturotwórcze i o istotnym znaczeniu dla rozwoju współczesnej komuni-kacji oraz integracji społeczeństwa.

Einführung

In den Jahren 2000–2010 hat man einige wissenschaftliche Projekte realisiert, die eine Bearbeitung von Lebensläufen der in Deutschland lebenden Polen und Polo-nophilen verfolgten. Als Ergebnis dieser Projekte sind folgende Veröffentlichungen entstanden: Polsko-niemiecki leksykon biograficzny. Ludzie polskiej książki i prasy w Niemczech koniec XX w. [Polnisch-deutsches biographisches Lexikon. Menschen des polnischen Buch- und Pressewesens in Deutschland am Ende des 20. Jahrhunderts] (2001); Pracownicy polskiej książki i prasy w Niemczech. Koncepcja badań biograficznych [Mitarbeiter des polnischen Buchwesens und der polnischen Presse in Deutschland. Konzeption biographischer Forschungen] (2004); Niemieckie polonika prasowe (ostat-nie dwudziestolecie XX w.)[Deutsche Presse-Polonica (in den letzten 20 Jahren des 20. Jahrhunderts)] (2004), Ślązacy w Niemczech [Schlesier in Deutschland] (2009) sowie Ludzie polonijnych mediów w Berlinie [Menschen von Polonia-Medienin Ber-lin] (2010). Die durchgeführten Forschungen sind auch ein Beitrag zur Analyse der Thematik aus dem Bereich gegenwärtiger sozialer Kommunikation von Schlesiern in Deutschland und ihrer Beziehungen zur Region geworden.2 Es hat sich dabei herausgestellt, wie viele wertvolle Beobachtungen aus dem Bereich der deutsch-polnischen Kulturbeziehungen in den Biographien verborgen sind.

Bei der Bewertung des Phänomens – der aus ihrer Heimat um die Jahrtausend-wende Auswandernden – darf man Personen schlesischer Herkunft nicht übergehen,

2 Vgl. Polsko-niemiecki leksykon biograficzny, bearbeitet von M. Kalczyńska, Opole 2001; M. Kalczyńska, Kultura książki polskiej w Niemczech [Kultur des polnischen Buchwesens in Deutschland], Katowice 2004; Ślązacy w Niemczech po 1945 r. [Schlesier in Deutschland nach 1945], Hg. M. Kalczyńska, Opole 2009 u.a.

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insbesondere diejenigen, die aus ihrer Heimat ausgereist sind und bis heute den Kontakt zu der Region nicht verloren haben.

In Deutschland lebten nach dem 2. Weltkrieg viele ehemalige Einwohner Ober-schlesiens, die sich nach der Überschreitung der topographischen Grenze von ihrem Schlesientum und Polentum nicht losgesagt haben.3 Deutsche Historiker räumen immer häufiger ein, dass die Auswanderung aus Schlesien nach Deutschland nicht immer nationale Gründe hatte. Roman Smolarz schreibt, gestützt auf polnische Forscher, dass „die Höchstphase der Einwanderung von Menschen aus Polen, in die Bundesrepublik Deutschland, die sich auf eine deutsche Herkunft beriefen, auf die Jahre 1988-1990 fiel. Die Emigration aus Polen in dieser Phase ist vor allem die Auswanderung aus Oberschlesien.“4 Im Jahre 1988 sind 140.226 Menschen aus der Volksrepublik Polen in der Bundesrepublik Deutschland eingetroffen, im darauf folgenden Jahr 250.430, im Jahre 1990 noch 133.872 Menschen. 1991 hingegen sank ihre Zahl angesichts der schon sichtbar werdenden politischen Veränderungen, sowohl in Polen als auch in Deutschland, auf 40.129 Menschen.5 Es hat sich dabei herausgestellt, dass sich in Deutschland eine große Gruppe von Menschen (ober-)schlesischer Herkunft (Aussiedler) aufhält, die mit der polnischen Kultur in einem breit verstandenen Sinn verbunden ist. Wie A. Trzecielińska-Polus schreibt, „sind die Fälle nicht selten, dass Aussiedler zur Polonia oder zur polnischen Gruppe in Deutschland zugerechnet wurden.“6Auch deswegen finden wir in Biographien vieler Personen, über die hier die Rede ist, polnisch-schlesische Spuren. Sie werden auch im Kunstschaffen und auf unterschiedlichen Ebenen ihres kulturellen und wissen-schaftlichen Lebens sichtbar.

Zum Thema der Entstehung der Auswanderung aus Polen nach Deutschland verfügen wir schon über ein bestimmtes Wissen, ebenso wenn wir von Menschen schlesischer Herkunft sprechen7. Seit vielen Generationen wanderte man aus Polen

3 J. Korbel, Polska - Górny Śląsk - Niemcy. Polityczny bilans 50-lecia Poczdamu [Polen – Ober-schlesien – Deutschland. Politische Bilanz des fünfzigsten Jahrestags von Potsdam], Opole 1995, S. 48; A. Faruga, Czy Ślązacy są narodem [Sind Schlesier ein Volk], Radzionków 2004, S. 73-84; A. Schmidt-Rösler, Autonomie- und Separatismusbestrebungen in Oberschlesien 1918-1922, „Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung“ 1999, nr 1, S. 1-49.

4 J. Korbel, Polska–GórnyŚląsk–Niemcy ..., S. 39, 42; K. Heffner, Imigracja do Niemiec jako następstwo emigracji z Górnego Śląska [Einwanderung nach Deutschland als Folge der Auswan-derung aus Oberschlesien], „Studia Śląskie” 1988, Bd. 57, S. 329; In. Lesiuk, Polscy imigranci w Niemczech – motywy, okoliczności, uwarunkowania, konsekwencje [Polnische Migranten in Deutschland – Motive, Umstände, Bedingungen, Folgen], „Studia Śląskie” 1998, Bd. 57, S. 349.

5 K. J. Bade, Sozialhistorische Migrationsforschung, Göttingen 2004, S. 428.6 A. Trzcielińska-Polus, „Wysiedleńcy” z Polski w Republice Federalnej Niemiec w latach 1980-1990

[„Aussiedler” aus Polen in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1980-1990], Opole 1997, S. 9; A. Trzcielińska-Polus, Śląskość – garb czy dodatkowy atut…[Schlesientum – ein Buckel oder zusätzlicher Trumpf...], In: Śląskość – sił atradycji i współczesne problemy [Schlesi-entum – Kraft der Tradition und gegenwärtige Probleme] , Hg. K. Kossakowska-Jarosz, Opole 2005, S. 112-124.

7 Siehe Bibliographie in: Ślązacy w Niemczech po 1945, Hg. M. Kalczyńska, Opole 2009.

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nach Deutschland aus. Man kann klar erkennen, dass der Zustrom der Bevölkerung aus dem Osten eine lang andauernde Erscheinung war8.

Oberschlesier reisten im 19. Jahrhundert hauptsächlich aus ökonomischen Grün-den nach Deutschland (das im ethnischen Sinn deutsche Kernland) aus und hielten sich in gut entwickelten Industriezentren (Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Berlin) auf. In den Aufzeichnungen der Forscher über diese Zeiten finden wir wertvolle Informationen, die die Zuneigung der ausgewanderten Oberschlesier zu ihrer ver-lassenen Heimatregion betreffen sowie auch Beweise für ihre Beziehungen zum Polentum. Wir erfahren außerdem, welch große Rolle in diesem Prozess immer auch der Kontakt mit der polnischen Sprache spielte. Die u.a. zur Arbeit nach Deutschland Fahrenden nahmen viele Sachen mit, ohne die zu vergessen, die sie zur Aufrechter-haltung des Kontakts mit dem polnischen Wort brauchten.

„Wäsche gab es zusammen mit der getragenen höchstens drei Paar. Außerdem: zwei Streichhandtücher, 4-6 karierte Taschentücher, selbstgestrickte Socken aus Schafwolle für den Winter und aus Baumwolle für den Sommer, ferner Arbeits-kleidung, Rasiermesser, Rasierpinsel und Stück Seife. Neben diesem „Reichtum für den Körper“ gab es auch Schätze für den Geist, und zwar: ein polnisches Ge-betbuch, einen Jahreskalender, herausgegeben durch die Zeitschrift „Katholik“ in Oberschlesien, in dem die Geburtstagsdaten von Eltern und Geschwistern angestrichen waren, die Thorner Fibel, „Dziejenarodu Polskiego“ [Geschichte des polnischen Volkes] und „Kantyczki“ [Cantica], gesammelt und herausgege-ben von K. Miarka in Nikolai (Mikołów). In der Hosentasche befand sich der Rosenkranz, auf den man nicht verzichten konnte. Nachdem er den mütterliches Segen erhalten hatte, zog ein junger Emigrant in die Welt“.9

Für eine ganze Reihe von Jahren kann man aufzeigen, wie sehr gesellschaftliche Prozesse, die durch die Behörden noch komplizierter wurden, die Entscheidung beeinflusst haben, die schlesische Heimat zu verlassen. Die Beobachter dieser Phä-

8 Im 18. Jahrhundert sind polnische Gutsbesitzer und Magnaten, aus der Dynastie der Wettiner stammend, aus Anlass der Personalunion von Polen und Sachsen nach Dresden und Leipzig gekommen. Etwas später kamen Bar-Konföderierte, Emigranten aus der Zeit der Verfassung vom 3. Mai und Kościuszko-Aufständische hinzu. Nach dem Novemberaufstand (1830-31) fanden dort ungefähr 10.000 Polen Schutz. Polen ließen sich damals meistens in Leipzig und Dresden nieder. Seit 1810 kam zu den Orten der polnischen Auswanderung Berlin hinzu, das bekannte europäische Forschungs- und Universitätszentrum, seit 1871 die Hauptstadt des Deutschen Reiches, später von Deutschland. Vgl.: J. Kozłowski, Polacy w Niemczech w XIX i XX w. [Polen in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert], In: Polonia w Europie [Polonia in Europa], Hg. B. Szydłowska-Ceglowa, Poznań 1992, S. 224-225; E. Marek, Praca Polaków w Niemczech. Półtora wieku emigracji zarobkowej [Beschäftigung der Polen in Deutschland. AnderthalbJahrhundert der Erwerbsemigration], Warszawa 2008; Schimansky, Kuziorra i inni, Polacy w Zagłębiu Ruhry 1870/71-1945 [Schimansky, Kuziorra Und andere, Polen im Ruhrge-biet 1870/71-1945], Hg. D. Dahlmann, Toruń 2006.

9 S. Kubiak.., S. 76.

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nomene betonen immer, dass sie mit einem großen Trauma verbunden waren, das für die längere Zeit sein negatives Gepräge im menschlichen Bewusstsein hinterließ.10

Ein besonders schmerzhafter Abschnitt der Geschichte des erzwungenen Ver-lassens Oberschlesiens durch die dort heimischen Bewohner waren die sogenannten Vertreibungen oder Umsiedlungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Problematik fand bis jetzt keine eingehende Analyse in der polnischen Geschichtsschreibung. Es lohnt sich jedoch zu betonen, dass die Prozesse die Folge des von den Deutschen begonnenen Zweiten Weltkrieges waren, der Entscheidungen der siegreichen Groß-mächte und einer tendenziösen Politik der stalinistischen Behörden.

Unter den deutschen, die Thematik dieser Zeit popularisierenden Institutionen sind vor allem diejenigen oberschlesischer Herkunft zu nennen, u.a.: das „Oberschlesische Landesmuseum“ in Ratingen, das „Haus Schlesien“ und das „Dokumentations- und Informationszentrum für schlesische Landeskunde“ in Königswinter, das „Schlesi-sche Museum in Görlitz sowie das Herder-Institut in Marburg, die „Stiftung Kul-turwerk Schlesien“ in Würzburg, die „Stiftung Martin Opitz“ in Herne.11 Rund um diese Angelegenheiten entstehen immer noch viele Mythen. Als besonders wertvoll kann man die Meinung des deutschen Historikers Hans Henning Hahn einschät-zen, des Professors für Geschichte Osteuropas an der Universität Oldenburg. Seiner Ansicht nach sollte man mit diesen Themen ohne politische Emotionen umgehen.12

Die Schicksale von Oberschlesiern waren außergewöhnlich verwickelt und für eine Bewertung schwierig, was auch die Interpreten der neuesten Regionalgeschichte bekräftigen. Stanisław Bienasz findet, dass der Oberschlesier einen spezifischen ambivalenten Charakter hat, umso mehr ein Oberschlesier, der sich in Deutschland niedergelassen hat. Deswegen auch sind häufige Auswanderungen, wie auch Rück-migrationen von Oberschlesiern verständlich.

„Hier war alles möglich gewesen – schreibt Bieniasz – ein Deutscher konnte zu einem Polen werden, ein Pole zu einem Deutschen, und er brauchte sich nichts ausdenken oder sich etwas einbilden, weil in vielen Oberschlesiern gleichzeitig ein Pole und ein Deutscher steckten, wobei je nach Situation der eine oder der

10 Vgl. u.a. Ludzie na huśtawce. Migracje między peryferiami Polski i zachodem [Menschen auf einer Schaukel. Migrationen zwischen Peripherien Polens und dem Westen], Hg. E. Jaźwińska / M. Okólski, Warszawa 2001.

11 Vgl.: G. Ploch, Śląscy przesiedleńcy w Niemczech oraz ich stosunek do obu ojczyzn [Schlesische Aussiedler in Deutschland und ihre Beziehung zu beiden Vaterländern], In: Tożsamość etnicz-no-narodowa mieszkańców Górnego Śląska i Śląska Cieszyńskiego [Ethnisch-nationale Identität der Einwohner Oberschlesiens und des Teschener Schlesien], Hg. G. Plocha / J. Myszora, Bn.2, Münster 2008, S. 103-113. Auf dem Gebiet Polens beschäftigt sich mit der Dokumen-tation des schlesischen Kulturerbes deutscher Herkunft u.a. die Stiftung Wissenschaft und Kultur in Schlesien. Vgl.: www.gornoslaskie-dziedzictwo.com.

12 Immer mehr Vertriebene, darunter z.B. der in Oberschlesien geborene Bischof von Hamburg Jaschke, bestreiten, dass Steinbach und der Vertriebenenverband sie repräsentieren. Sie behaupten, dass der Bund nicht in ihrem Namen spricht. Vgl.: H. Hahn, Mit wypędzonych [Legende der Vertriebe-nen], „Słowo” [Berlin] Nr. 89: 2010, S. 38-42.

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andere die Oberhand gewann. Er brauchte sich also nichts einreden, weil er au-thentisch ein bisschen das eine ein bisschen das andere war. Sein größtes Pech war, dass weder die eine noch die andere Partei imstande war, ja sich nicht einmal die Mühe gab, diesen seinen doppelten ambivalenten Charakter zu verstehen.“13

Kulturelle Abstammung

Wir wissen, dass am kulturellen Wiederaufbau Nachkriegsdeutschlands auch die ihren Anteil hatten, die aus dem Osten kamen. Wie Renate Schumann (sie ist von dem Oppelner Schlesien nach Deutschland 1983 ausgereist) meint, stellten sie ein großes geistiges und kulturelles Potenzial dar. Auf ihre Anregung hin entstanden literarische Werke, deren Thema die Heimat wurde. Zu solchen Schriftstellern ge-hörten u.a.: Der aus Oberschlesien stammende Heinz Piontek14, der Preuße mit der slawischen Seele – Hans Lipinsky Gottersdorf15 und Horst Bieniek, in der späteren

13 S. Bienasz, (1950- 2001) Dramenverfasser, Prosaiker, Regisseur, Publizist und Verfasser von den Theaterstücken und Drehbüchern. 13 Jahre lang lebte er im Ausland und arbeitete als Publizist und Verfasser bei Radio Freies Europa und in der polnischen Redaktion des Deutschlandfunks. Zu seinen wichtigsten Werken gehören: Ostry dyżur [Notaufnahme] (1984); Podanie o zezwolenie na życie [Antrag auf Lebenserlaubnis] (1991); Ucieczka [Flucht] (1991); Podejrzenie [Verdacht] (1991); Rekonstrukcja [Rekonstruktion] (1991); Sponsor i jego autor [Geldgeber und sein Autor] (1995); Niedaleko Kőnigsallee [Nahe der Königsallee] (1997). Zu den Theaterstücken, derer Regisseur er war, gehören: Biografia [Biographie], Pora zbiorów [Erntenzeit], Senator [Senator]. Er ist Gründer und Vorsitzender der Regionalen Deutsch-Polnischen Gesellschaft mit dem Sitz in Gleiwitz (Gliwice) gewesen. In den letzten Lebensjahren übte er die Funktion des Beigeordneten und Vorsitzenden in der Kultur – und Sportkomission in Zabrze (Hindenburg) aus. Nach seinem Tod wurde er vom Ministerpräsi-denten der Republik Polen mit dem Goldenen Kreuz, dem Präsidentenpreis der Stadt Zabrze und dem Wojciech-Korfanty-Förderpreis ausgezeichnet.

14 H. Piontek (geb. 1925 in Kluczbork – gest. 2003 in Rotthalmünster). Nach dem Krieg kehrte er nicht nach Polen zurück und wurde in Deutschland sesshaft. Ab 1948 beschäftigte er sich mit literarischer Tätigkeit. Er wurde mit Literaturpreisen ausgezeichnet, u.a. dem Andreas-Gryphius-Preis (1957), dem Tukan-Preis (1971), dem Eichendorff-Literaturpreis (1978). Im Jahre 1985 erhielt er den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland. Am 16. September 2008 fand in Kluczbork, in der Byczyńskastr. 13 am Geburtshaus des Schriftstellers die feierli-che Enthüllung einer Gedenktafel statt.

15 H. L Gotersdorff (1920 Leśnica – 1991 Köln). Seine Vorfahren stammen aus weißrussischem Adel, der in der Mitte des 17. Jahrhundert aus dem Ort Lipina bei Minsk in den Landkreis Kreuzburg (Kluczbork) übersiedelte. Seine Jugend verbrachte er in Słupsk (Stolp), wo sein Vater als Gerichtsbeamter arbeitete und gleichzeitig als Übersetzer für slawische Sprachen tätig war. Nach dem Tod des Onkels hat sein Vater das Landgut in der Ortschaft Gottersdorf (heute Gotartów) im Landkreis Kluczbork übernommen. 1950 begann er seine literarische Laufbahn. Schon in der ersten Erzählung aus dem Jahre 1952 Wanderung im dunklen Wind [Wędrówka w ciemnym wietrze]kehrt er in seine Heimat zurück, die Geschichte eines polnischen Knechts beschreibend, der nach der Besetzung Oberschlesiens durch die russische Armee den weiten Weg nach Krakau zurückgelegt hat, um seinen inhaftierten Sohn aus dem Arbeitslager zu befreien. Obwohl er in Köln wohnte, war er mit seinem Herzen in Oberschle-

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Zeit haben sich ihnen Henryk Bereska und Krystian Skrzyposzek angeschlossen. In der ehemaligen DDR haben sich mit einer ähnlichen Thematik aus Schlesien stammende Schriftsteller beschäftigt: Christoph Hein, Armin Müller und Harry Türk, dessen Roman Sommer der toten Träume ins Polnische als Lato umarłych snów übersetzt worden ist16. Bei vielen von ihnen überwogen pro-polnische Zuneigun-gen, die Beweise dafür finden wir in ihrem großen literarischen Schaffen und in dauernden Kontakten mit der Region vor. Das meiste kann man wohl von Henryk Bereska (1926-2005) sagen, der bis Lebensende auf schlesisch-polnische Wurzeln nicht verzichtete, sogar seinen polnisch klingenden Vornamen nicht ändern ließ. Er wuchs im polnischen Oberschlesien heran, wo er seine Kindheit verbrachte, nach dem Zweiten Weltkrieg ist er mit seiner Familie nach Deutschland ausgereist, weil er sich den kommunistischen Behörden nicht unterordnen wollte, die ihn zur Zu-sammenarbeit mit dem Sicherheitsdienst zwangen; er wollte lieber ausreisen als ein Denunziant werden. Er hat sich in Berlin niedergelassen, wo er sich mit Überset-zungen der polnischen Literatur ins Deutsche beschäftigte und mit polnischen und deutsch-polnischen Organisationen und Institutionen zusammenarbeitete. Besonders wertvoll war seine Tätigkeit in der deutsch-polnischen literarischen Gesellschaft „WIR“. Dort unterstützte er besonders die Entwicklung der Kontakte Berlins mit Oberschlesiern17. Im Gespräch hat er oft betont, dass „(Ober-)Schlesier in Berlin für Polen gehalten werden, worüber ich mich nur freue.“18

Die Deutschen nämlich waren, wie auch aus dem schon zitierten Beniasz her-vorgeht,

„bereit, nur diejenigen zu akzeptieren, deren Ziel Integration war; diejenigen, die sich von ihren Wurzeln und ihrer Vergangenheit in Polen nicht lossagten. Keiner glaubt Menschen, in deren Haltung eine Heuchelei spürbar ist, die ihre Namen ändern lassen, und die, obwohl sie nur einige hundert Wörter in der neuen Spra-che kennen vormachen, dass sie die alte vergessen haben, die sie über Jahrzehnte gebraucht hatten. Ferner schreibt Bienasz, dass es nicht selten vorkam, dass sich (echte, d.Ü.) Polen, die es als Emigranten nach Deutschland verschlagen hatte, besser als die Aussiedler in die lokale Gesellschaft integrieren konnten.“19

sien. Für seine schriftstellerische Tätigkeit erhielt er u.a. den Kulturpreis Schlesien des Landes Niedersachsen im Jahre 1977 und den Oberschlesischen Kulturpreis des Landes Nordrhein-Westfalen 1986. Vgl.: S. A. Kriebus, Śląski pisarz rodem z Leśnicy [Schlesischer Schriftsteller gebürtig aus Leśnica], „Silesia Superrior” 2002, Nr. 1, S...; G. Jelitto-Piechulik, H. Lipinsky-Gottersdorff, In: Ślązacy od czasów najdawniejszych do współczesności [Oberschlesier seit den frühesten Zeiten bis zur Gegenwart], Hg. J. Rostropowicz, Łubowice-Opole 2005, S. 135-138.

16 R. Schumann, Losy wygnanych i uchodźców ze Śląska w Niemczech [ Schicksale der Vertriebenen und Auswanderer aus Schlesien in Deutschland], In: Ślązacy w Niemczech…, S. 43-52.

17 Vgl.: Polsko-niemiecki leksykon biograficzny…18 Informationen, H. Bereska, Berlin, Oktober 2003.19 S. Bienasz, Losy Górnoślązaków w dwudziestym wieku [Schicksale der Polen im 20. Jahrhun-

dert], www.slaskiesprawy.tripod.com [Stand vom Oktober 2010].

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Das erklärt auch das Phänomen, dass so viele Aussiedler aus Schlesien nach Deutschland bis heute in festen Beziehungen zum Polentum bleiben.

Die Rede war von Berlin, einer Stadt, die immer ein spezifischer Ort für die Ansiedlung aus dem Osten war. Insbesondere in den 80er Jahren des 20. Jahrhun-derts gewährten die deutschen Behörden den durch das kommunistische Regime verfolgten Polen ein wohlgesinntes Asyl. Damals tauchten dort viele Flüchtlinge auf, die Probleme mit der Zensur in der VRP (Volksrepublik Polen) hatten. Einer von ihnen war Krystian Skrzyposzek (geb. 1943 in Königshütte / Chorzów – gest. 1999 in Berlin), der Verfasser des in Polen verbotenen berühmten Romans Wolna Trybuna [Freie Tribüne] (Berlin 1983, 1985, 1999), seiner Ausbildung nach Philologe besaß er von Seiten der Mutter die doppelte Staatsangehörigkeit. Wegen der Abneigungen gegen Deutsche schämte er sich manchmal seiner schlesischen Abstammung, obwohl er sie nie verleugnete20. In der Erinnerung an ihn schreiben die Freunde,

„dass er in den 60er Jahren befragt, ob er aus Schlesien sei, dies heftig verleugnete. Um die Herkunft seiner Vornamen zu erklären, [sprach er]: Ich bin in der Zeit des Zweiten Weltkrieges in Chorzów (damals Königshütte, d.h. Królewska Huta), in einer schlesischen deutsch-polnischen Familie geboren. Die deutsche Mutter gab in Abwesenheit des polnischen Vaters (er saß gerade in einem Konzentrationslager wegen der Tätigkeit in der polnischen Untergrundbewegung in Schlesien) dem Sohn die Vornamen Christian Berthold Wilhelm.“21

Für seine Mutter war das Polentum Exotik. Als der Vater aus dem Lager heim-kehrte, begann er, sie Polnisch zu lehren. Jedoch hat sie nie richtig polnisch gespro-chen – erinnerte sich Skrzyposzek.

Die Menschen oberschlesischer Abstammung empfanden mehrmals ein Bedürfnis, über ihre Herkunft zu sprechen, die besonders nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Politik angegriffen wurde. Wenn viele der Oberschlesier auch den Reichtum der Kulturvielfalt in sich getragen haben, forderte man von ihnen doch oft eine eindeutige Erklärung und Unterordnung unter die Doktrin der Zeit. Die Politik hat die Funktion des wichtigsten Faktors eingenommen und bestimmte das Leben einer Gesellschaft und eines Individuums. Plötzlich sahen sich die Oberschlesier dessen beraubt, was für sie das wichtigste war: Freiheit des Lebens, ausschließlich im Einklang mit sich selbst und Gott. Unerwartet mussten sie in Einklang mit Zielen leben, die die Mehrheit von ihnen nicht im Geringsten interessierte.22 Viele sind also

20 Polsko-niemiecki leksykon biograficzny… , S. 260–262.21 A. Klich, Skrzyposzek - żyć, żeby pisać i ćpać [Skrzyposzek – leben, um zu schreiben Und zu dre-

schen], „Gazeta Wyborcza”, http://wyborcza.pl/ [Dezember 2010]. 22 S. Bienasz, Losy Górnoślązaków w dwudziestym wieku, www.slaskiesprawy.tripod.com [Stand

vom Oktober 2010]

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nach Deutschland ausgereist, aber wie die Zeit zeigte, erlaubte selbst die Änderung des Aufenthaltsortes ihnen nicht, den heimatlichen Boden und die authentische schlesische Identität, auch mit einem tiefen polnischen Unterton durchgedrungen, zu vergessen.23

Die Folgen der Entfernung von der Heimat milderten die Verbindungen zur Kul-tur, Sprache und zu Traditionen. Ein wichtiges Kennzeichen der Anhänglichkeit zur heimatlichen Region war unter den in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg angesiedelten Oberschlesiern immer ein starkes Bedürfnis nach einem Kontakt mit dem geschriebenen Wort.

In vielen schlesischen Familien in Deutschland kann man bis heute Beweise da-für finden. In der Familie von Peter Siegfanz aus Wuppertal, der aus der Nähe von Kędzierzyn stammt, lesen die alten Familienmitglieder (sein Vater ist fast 90 Jahre alt, seine Mutter 87) seit einigen Jahrzehnten bis heute mit großer Gefühlsbewegung „Gość Niedzielny” [Sonntags-Gast] (schlesische Ausgabe). Sie wird von ihnen sogar nach der Ausreise der Familie nach Deutschland im Abonnement bezogen. Jede Woche schauen sie nach dem Briefträger aus, der ihnen regelmäßig die Zeitung nach Hause liefert. Dann setzt sich der Vater an den Tisch, setzt die Brille auf und liest einen Artikel nach dem anderen vor. Er liest so, damit es ihm für die ganze Woche ausreicht.24 Ähnlich ist es in anderen Familien, in denen ein wichtiges Bindeglied zu dem verlorenen Heimatland ein polnisches Buch, ein polnisches Presseerzeugnis sowie und eine Tradition ist, die man weiterhin pflegt.25

Adam Bębenek aus Zdzieszowice, der schon seit Jahren in Deutschland lebt, schreibt: Ein gewisses „Hingezogensein“ zu Polen war immer vorhanden. Es drückte sich auch darin aus, dass man Heiligabend auf Polnisch beging - mit dem Brechen der hier nicht bekannten Oblaten - der Suche nach guter polnischer, aus Schlesien mitgebrachter Wurst, und auch einer Zeitung von dort. Aber gekauft wurde gewöhn-lich auf Deutsch – was einen absurden Beigeschmack erzeugte -z.B. Bitte geben Sie mir den „Dziennik Zachodni“.26

23 Eine interessante Studie dieser Prozesse finden wir in einem Aufsatz u.a. von E. Nycz, Współczesne identyfikacje mieszkańców pogranicza etniczno-kulturowego [Gegenwärtige Iden-tifizierungen der Einwohner des ethnich-kulturellen Grenzgebietes], „Śląsk Opolski” [das Oppelner Schlesien] 2010, Nr. 2-3, S. 47-60. Der Verfasser schreibt, dass sich die Einwohner von Oberschlesien durch eine für Bewohner des Grenzgebietes typische Identität auszeichnen, d.h. durch die Zwiespältigkeit oder Ambivalenz des Nationalbewusstseins und so in sich ein eigenes Stück Grenzgebiet tragen.

24 Informationen: P. Siegfanz, Wuppertal, Oktober 2010. 25 Die Verfasserin führte solche Beobachtungen beim Sammeln von Materialien für die Arbeit:

Kultura książki polskiej w Niemczech [Kultur des polnischen Buchwesens in Deutschland], (Katowice 2004) durch. In den traditionell entbotenen Weihnachtswünschen lesen wir: Nach altpolnischem Brauch, wenn am Heiligabend sich ein Sternlein erhebt ... usw. [ J. Król, Gele-senkirchen].

26 K. Ogiolda, Polski nie trzeba się wstydzić. Identyfikacja narodowościowa Górnoślązaków zamiesz-kałych w Niemczech [Polens braucht Man sich nicht zu schämen. Nationale Identifizierung von

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Schlesier haben sich ständig auf ihre Bindungen mit dem verlassenen Heimatland berufen, und auf verschiedene Weise zeigen sie das auch jetzt. Obwohl der Grad ihrer Bewusstheit unterschiedlich ist, fallen einem viele positive Beziehungen zu der Region, die sie einmal verlassen haben, direkt ins Auge.27 Dort gründet man Firmen, investiert in verschiedene Tätigkeiten, reist an, wenn man größere Einkäufe macht, eine Autowerkstätte besucht, einen Friseur, man organisiert sogar Hochzeiten, Taufen oder Beerdigungen. Es gab auch solche, die die Region materiell zu fördern versuch-ten. Ein Beispiel ist der im Jahre 1997 in Deutschland verstorbene Paul Hadasch (geb. 1917 in Königlich Neudorf / Nowa Wieś Królewska, heute Stadtteil von Oppeln, d.Ü. ). Auf seine Initiative konnten viele Personen in einer Rehabilitationsklinik behandelt werden und das Sanatorium in Suchy Bór (Derschau) bei Oppeln hat eine dauerhafte, materielle Hilfe erhalten, die es ihm ermöglichte, schwierige Zeiten zu überstehen. Dafür erhielt Hadasch die Auszeichnung: „Er hat sich um das Oppelner Land verdient gemacht“.28

Es lassen sich viele Beispiele heranziehen. Die Oppelner Künstlerin Mauga Hou-ba-Hausherr, derzeit in Westdeutschland wohnhaft, verheimlicht es nicht und betont bei jeder Gelegenheit, dass Schlesien für sie Heimatland ist, Ort der schöpferischen Inspiration. Sie kommt mehrere Male im Jahr hierher, verbringt hier Feiertage und Ferien. Wie wir in ihrer Biographie lesen,

„trage sie sich mit dem Gedanken, einen Verein der einheimischen oberschle-sischen bildenden Künstler ins Leben zu rufen, eine Plattform, um diejenigen Künstlerkreise zusammenführen soll, die aus der Region hervorgehen und nun nicht über Europa zerstreut sind, sondern auch über die USA. Mauga Houba schließt nicht aus, in einigen Jahren nach Oberschlesien zurückzukehren. Für dieses Ziel muss sie noch ihren Mann gewinnen, einen Literaten und Doktor der Philosophie, Michael Hausherr. Sie hat in dem malerischen Ortschaft Bie-strzynnik bei Turawa ein Haus gekauft. Seen und Wälder dieser Gegend sind schon seit langem eine Quelle der Inspiration für ihre Malerei. Ständig begleitet sie ihre Zerrissenheit zwischen der Sehnsucht nach dem Paradies der verlore-nen Kindheit und der Freude über das Heimisch-Werden in den künstlerischen Kreisen Westeuropas.“29

in Deutschland wohnhaften Oberschlesiern],In: Ślązacy w Niemczech, Hg. M. Kalczyńska, Opole 2009, S. 63-67.

27 Vgl. Untersuchungen von D. Berlińska zum Thema der kulturell-gesellschaftlichen Eigenart Woiwodschaft Oppeln, In: Śląsk Opolski. Region i jego struktura [Oppelner Schlesien. Region Und seine Struktur], Hg. S. Malarski, Opole 1992, S. 116-124.

28 A. Kurc, Historia lokalna w Gminie Chrząstowice [Lokalgeschichte in der Gemeinde Chrząsto-wice], „Informator Gminy Chrząstowice” 2010, Nr. 34, S. 8-9.

29 S. Fikus, Mauga Houba-Hausherr – portret artystki [MaugaHouba-Hausherr – Personenbe-schreibung der Künstlerin], In: Ślązacy w Niemczech.., S. 127-132.

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Gründe für die Ausreise gab es also viele, sie waren ganz bestimmt verwickelt und wurden noch nicht in angemessener Weise durch die Wissenschaft untersucht, weder in Polen noch in Deutschland.

Menschen, die Schlesien verlassen, sind auch heute noch mit ihrem Heimatland emotional eng verbunden, verspüren aber auch Trauer um das, was sie unwieder-bringlich verloren haben. Sie haben zwar in materieller Hinsicht gewonnen, aber die geistige Zerrissenheit dauert bei ihnen bis heute. Viele von ihnen erinnern sich an die Zeit der Ausreise als eine der schwierigsten in ihrem Leben:

„... Wir sind am 15.01.1983 ausgefahren. Ich fahre den Fiat 125p Kombi, neben mir meine Frau, hinten die Töchter. In den Hosentaschen polnische Pässe mit der Berechtigung, in ein beliebiges Land auszureisen, aber ohne Recht auf Rückkehr. Unser Ziel, das Lager Friedland für Umsiedler [..], der Grenzübergang zwischen der Volksrepublik Polen und der DDR war kein Vergnügen, nicht nur, dass Frau und Töchter die Tränen unterdrücken mussten, die Grenzpolizei zeigte sich in aller Kleinlichkeit [..]. Ein Alptraum. Ich bin in früheren Jahren über einige Grenzen gefahren, aber so eine derart bewachte habe ich noch nicht gesehen [..]. Wir sind glimpflich angekommen, obwohl ich unterwegs eine Strafe für die fehlenden Sicherheitsgurte bezahlte, für die heraus gefallenen Rücklichter und den rechten Blinker. [..]. Ich erinnere mich daran als wäre es heute geschehen. Wir setzten uns auf von uns ausgewählte Betten und die ältere Tochter fing an zu schluchzen, und sie konnte sich lange nicht beruhigen. Über alle Tage hatte sie es unterdrückt und hier ist ihr „Panzer“ geplatzt und alles brach hervor. Zu Hause hatte sie ein eigenes Zimmer und den Beruf – sie unterrichtete schon ei-nige Monate in der Grundschule. Hier dagegen saß sie auf einem fremden Bett mit der Sehnsucht im Herzen ...“30

Die anderen aus Schlesien Emigrierenden versuchten, sich diese Zeiten irgendwie zu erklären, als die kommunistische Regierung sie aus der Heimat jagte:

„Siehst du, Gustlik, die Heimat ist nicht nur Regierung, aber Erde, Familie, Familienhaus, Bekannte, und vor allem Menschen, mit denen wir eine gemein-same Sprache hatten. Jetzt müssen wir eine andere Sprache lernen, mit fremden Menschen umgehen...“31

Die Annahme der neuen Staatsangehörigkeit erweckt bis heute bei vielen von ih-nen unangenehme Erinnerungen: Karol überlegte lange diesen Schritt. Er behauptete

30 H. Sporon, Wspomnienia i listy z ośrodków internowania PRL w czasie stanu wojennego 1981-1982 [Erinnerungen und Briefe aus den Internierungsstellen der VRP in der Zeit des Kriegs-rechts 1981-1982], Chorzów 2006, S. 86-87.

31 Matuszczyk Józef, Ciernista droga przez Śląsk [Weg voller Dornen durch Schlesien], Chorzów 1998, S. 233.

76 | SOZIOLOGISCHE UND REGIONALE ASPEKTE

nämlich, dass: „Für mich sei es, als ich die Haut ändere, auf meinen schlesischen Boden verzichte, sich sage, dass dieses ganze bisherige Leben keinen Wert habe“.32

Über Jahre hat man vermieden, darüber zu reden, woher man nach Deutschland gekommen war. Heute schämen sich diejenigen, die in Deutschland heimisch wur-den, nicht mehr ihres Geburtsortes. Peter Siegfranz wirkt in verschiedenen Vereinen in Deutschland, immer rühmt er sich seiner oberschlesischen Herkunft und seiner oberschlesischen Aussprache. Bis heute sammelt er „Silesiaca“, und immer, wenn er seinen Geburtsort besucht, versucht er, Veröffentlichungen über Geschichte und Gegenwart der Region zu kaufen. Genau notiert er Fakten, sammelt Dokumente über Menschen aus seinem Heimatort. Außerdem wirkt er auch aktiv bei der Polnischen Katholischen Mission in Deutschland mit. Jedes Jahr bei dem religiösen Treffen der Polonia in Jasna Góra (Tschenstochau) kommen auf seine Initiative hin über 100 Leute aus Wuppertal, überwiegend ehemalige Einwohner von Oberschlesien (!) 33.

In den Veröffentlichungen des Oppelner Journalisten Krzysztof Ogiolda finden wir auch zahlreiche Hinweise auf die Verwicklungen des Exodus der Menschen aus dem Oppelner Schlesien nach Deutschland. Er gibt zu, dass Oberschlesier seit einiger Zeit sagen, dass sie aufgehört haben, sich ihrer Herkunft zu schämen.

„Diese Personen sagen glatt, auch in der Gesellschaft der „echten“, d.h. in Deutsch-land geborenen und seit Generationen dort ansässigen Deutschen, dass sie aus dem Oppelner Schlesien gekommen sind. Fast niemanden erregt es heute mehr. Und die Emigranten bekennen sich immer kühner zu ihrem Geburtsort.“34

Zu solchen gehört auch Georg H. Folder oder Jerzy Smołka35, der gern von seiner oberschlesischen Identität mit den Worten aus dem Buch Droga do Reichu (raju), żartem, ale serio o emigracji do Niemiec [Weg ins Reich (Paradies), im Scherz, aber im Ernst über die Emigration nach Deutschland] erzählt. Auf dramatisch-groteske Weise schildert er die Lage der (polnischen, d.Ü.) Gesellschaft, zu der auch die Aussiedler aus Oberschlesien in den Jahren der Volksrepublik gehörten, die damals in ein sprichwörtliches Paradies – Deutschland ausreisten. Er meint, dass es den Oberschlesiern schwer fällt, sich sofort mit den Deutschen zu verbrüdern, nachdem sie viele Jahre hindurch in der polnischen Kultur gelebt haben. Diese Einstellung

32 Ebd. S. 237.33 Peter Siegfanz schreibt: Eben als Politologen und Historiker interessiert mich die Geschich-

te Schlesiens, insbesondere Oberschlesiens. Nach der Übernahme durch die preußischen Deutschen. Die eigentliche Machtübernahme, die neue Art des Verwaltens, Steuern, Heer, importierte Beamte [...] Ich verfolge auch im Internet Angelegenheiten der Woiwodschaft und meiner Gemeinde – Pawłowiczki. Ich helfe beim Sammeln der Geschichtsbeweise und ihrer Beschreibung in meinem Heimatort Trawnik. Jetzt schreibe ich an einer Anthologie des Wallfahrtsortes des Hl. Brictius (poln. Bryksy). Im Jahre 2011 ist der 350. Jahrestag der Grün-dung dieses Ortes. Informationen: P. Siegfanz, Wuppertal, Oktober 2010.

34 K. Ogiolda, Polski nie trzeba się wstydzić.., S. 63-67. 35 Er ist 1943 in Pless (Pszczyna) geboren, der Vater hatte die deutsche Staatsangehörigkeit, die

Mutter war Polin. Im Jahre 1989 ist er mit seiner Familie nach Westdeutschland als Spätaus-siedler ausgereist. Er hat immer noch zwei Staatsangehörigkeiten.

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geht auch aus seinen Ansichten hervor, dass auch die Politik in die Identitätsfragen eingreift und das Bewusstsein der aus Oberschlesien stammenden Menschen beein-flusst. Er schreibt, dass „vielleicht nach Jahren Deutschland zu meiner Heimat wird, was nicht bedeutet, dass ich Polen vergesse“.36 Das doppelte Ich kann jedoch nicht für alle verständlich sein, man sollte aber zugeben, dass in den kulturell-nationalen Grenzregionen solche Haltungen nicht selten sind. Dieses kulturelle Durchdringen ist intensiv bei in Deutschland wohnenden Schlesiern bemerkbar. Zur Bestätigung dieser These lohnt es sich, die Meinungen von deutschen Forschern anzuführen, die die Gesellschaft der schlesischen Aussiedlerfamilien in Deutschland genau analysier-ten. Aus ihrer Beobachtung ging hervor, dass die Oberschlesier, wie oben geschrie-ben, sich nicht oft zu ihren Wurzeln öffentlich bekennen wollten, ihre Herkunftsorte verheimlichten37. Heutzutage sind die Tendenzen ganz anders. Es scheint, dass es ein positiver Prozess ist, der von dem vertiefenden Wiederherstellen des richtigen Bildes von Oberschlesien in Deutschland zeugt. Eigentlich – schreibt eine der Personen –

„wollten wir, dass wir besser leben, in Deutschland gab es schon unsere ganze Familie. Die Kinder wollten nicht fahren, hatten Angst vor Neuem. Die Tochter weinte lange, musste ihre Freundinnen zurücklassen, aber was konnte man da-gegen tun... Vor Ort mussten wir schnell die Sprache lernen, die Herkunft ver-gessen. Wir wollten Deutsche sein. Leider behandelten uns die Nachbarn immer als Polen. Jetzt habe ich mich schon damit abgefunden, ich schäme mich dessen nicht, dass ich aus Oberschlesien stamme.“38

Interessante Untersuchungen über die Identität der Oberschlesier in Deutschland führt M. Otto durch. Es geht aus ihnen eindeutig hervor, dass Oberschlesien für seine ehemaligen Einwohner wichtig geblieben ist.39

Biografie von Schlesiern in Deutschland und derer Schaffen

In den biographischen Untersuchungen gibt es ein übergeordnetes Ziel: Das Auf-zeigen einer menschlichen Teilexistenz, die sich in den Kontext irgendeines Frag-mentes der Geschichte eingetragen hat. Dieses Wissen gibt uns die Möglichkeit der Interpretation vieler gesellschaftlicher Erscheinungen, die sich auf einem gegebenen Territorium abspielen und mit seinem kulturellen Reichtum verflochten sind. Bei

36 Vgl.: G. H. Folder ( J. H. Smołka), Droga do Reichu…, Pszczyna [o.J.]. 37 Vgl.: G. Ploch, Śląscy przesiedleńcy w Niemczech oraz ich stosunek do obu ojczyzn…[Schlesische

Umsiedler und derer Beziehung zu beiden Heimaten], S. 108-109.38 Informationen: G. Sokolowski, Essen, Oktober 2010. 39 Marius Otto (Doktorand an der RWTH Aachen - Geographisches Institut), Nadal między

młotem a kowadłem? Tożsamość i integracja śląskich wysiedleńców w Nadrenii Północnej-Westfalii [Weiterhin zwischen Hammer Und Amboß? Identität und Integration der schlesischen Aus-siedler in Nordrhein-Westfalen], Opole, 10.12. 2012.

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dem analysierten Thema liegt dieses Gebiet im Berührungspunkt zweier Kulturen und Nationen, im polnisch-deutschen Grenzgebiet.

Schriftsteller

Zu dem Kreis der Schriftsteller schlesischer Herkunft zählen wir Janusz Rud-nicki. Er ist im Jahre 1956 in Kędzierzyn im Oppelner Schlesien geboren, wo er das Abitur abgelegt und seine Ausbildung fortgesetzt hat. Als Mitglied der Unab-hängigen Selbstverwalteten Gewerkschaft „Solidarität“, wurde er in der Periode des Kriegsrechts interniert und musste in den Gefängnissen in Nysa (Neisse) und Opole einsitzen. Wie viele andere, hat auch er den Reisepass nur für die Ausreise nach Deutschland (BRD) erhalten und ist im Jahre 1983 als politischer Emigrant nach West-Berlin ausgereist. Er verbrachte dort drei Jahre, arbeitete mit den Emigrations-medien auch in Deutschland zusammen. Im Jahre 1985 debütierte er in den Spalten der Berliner Zeitschrift „Archipelag“ – der Emigrantenzeitschrift der Solidarność von Andrzej Więckowski40 mit dem Aufsatz Przemarsz sekretarzy prowincjonalnych [Durchmarsch der Provinzsekretäre]. Der Aufsatz bekam eine gute Kritik, man hat den ausgezeichnet startenden politischen Essayisten günstig bewertet. Rudnicki wurde bald ein ständiger Mitarbeiter der Monatsschrift, in deren Spalten in den Jahren 1986-1987 sein Stammfeuilleton Myślopląsy [Tanzende Gedanken] erschien.41 Im Jahre 1986 zog er nach Hamburg um, wo er eine feste Beschäftigung in einem deutschen Verlag fand und an der dortigen Universität ein Studium begann. Heute ist er einer der am besten bekannten polnischen Autoren in Deutschland, er gehört zu den wenigen, denen es gelungen ist, im Ausland eine literarische Karriere zu machen. Für sein Schaffen wurde er mehrmals durch Stiftungen, polnische und deutsche, mit einem Preis ausgezeichnet. Er wird auch in Deutschland herausgege-ben, veröffentlicht erfolgreich in Polen. Nach Meinung von Kritikern gehört er zu einer Reihe von begabten und ausgezeichneten Beobachtern – Chronisten polnisch-deutscher Beziehungen der letzten Jahre.42 Viele seiner Werke knüpfen eindeutig

40 A. Więckowski, 1949 in Wrocław geboren, seit 1981 in Berlin, Mitarbeiter von Radio Freies Europa, seit 1983 Herausgeber der kulturell-politischen Monatsschrift „Archipelag“. Bei ihm sind Bücherverlag, Ausgaben der in Polen verbotenen Druckschriften, u.a. von W. Odojewski, W. Wirpsza, H. Grynberg entstanden. Vgl.: Niemieckie polonika prasowe (ostatnie dwudziestolecie XX w.), bearbeitet durch M. Kalczyńska, L. Paszek, Opole 2004, S. 292-293.

41 Bibliografia Zawartości Prasy [Bibliographie des Presseinhalts], In: Niemiecki polonika prasowe…, S. 118.

42 Vgl.: Janusz Rudnicki. Bearb. Beata Chmiel und Kinga Dunin, Kraków 2000 [Broschüre, die Rudnicki auf der Frankfurter Buchmesse im Jahre 2000 fördert]; Rudnicki selbst schreibt über sich selbst: (...) ich, ein unermüdlicher Chronist absurder ausgefahrener Wege des Alltags, ver-ändere die Welt mit einer Intensität des Blickes auf sie. Weil, so wie es die Literatur der Tat-sachen gibt, so gibt es mich, die Tatsache der Literatur. Vgl.: P. Kępiński, Żongler z Hamburga [ Jongleur aus Hamburg], „Życie” [Leben] von 2001-03-29, www.nniwa2.cba.pl

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auch an die schlesische Thematik an. Zum Beispiel suchte ein Held des Buches Męka kartoflana [Kartoffelqual], (Wrocław 2000), hartnäckig in Deutschland nach Kartoffelmehl für schlesische Kartoffelklöße..., in vielen Erzählungen erscheinen Motive aus dem heimatlichen Kędzierzyn (Listy z Hamburga [Briefe aus Hamburg] werden regelmäßig publiziert in den Spalten von „Twórczość“ [Schaffen]). In seiner anderen Sammlung von Erzählungen Chodźcie idziemy [Kommt, wir gehen] gibt es auch viele Anknüpfungen an schlesische Inhalte, im Kapitel „Obóz“ [Lager] an ein Lager für Deutsche in Łambinowice (Lamsdorf) bei Opole, beschreibt er das Leben und Nachkriegsschicksal des Kommandanten eines der größten polnischen Konzentrationslager.43

Eine andere polnisch-schlesische, in München wohnende Autorin war Krysty-na Strużyna (geb. 1931 in Chorzów – gest. 2003 in München). Seit 1945 war sie mit Wałbrzych verbunden, 1949 wurde sie in die Fakultät für Rechtswissenschaft der Jagiellonen-Universität in Kraków aufgenommen. Weil sie Tochter eines Bankangestellten war, eines bekannten Plebiszitaktivisten, der während der Kriegszeit der Polnischen Heimatarmee (poln. Abk. AK) in der Woiwodschaft Kielce angehörte und nach dem Krieg Leiter der Niederschlesischen Vereinigung der Kohleindustrie war, der dann verhaftet, wegen Sabotage angeklagt und zum Tode verurteilt wurde (1990 rehabilitiert), verwehrte man ihr das Studium an einer polnischen Hochschule. Ihre Wohnung wurde in Beschlag genommen und die Familie wurde bespitzelt. Sie musste verschiedene Berufe ergreifen, ihren Wohnort wechseln. Seit einem Herzinfarkt erhielt sie eine Behindertenrente. 1981 reiste sie aus politischen Gründen nach Westdeutschland aus, ihr Mann war ein Aktivist der Gewerkschaft „Solidarität“. Sie hat sich in München niedergelassen, dort trat sie in die Deutsch-Polnische Gesellschaft ein, förderte den polnisch-deutschen Jugendaustausch, indem sie einen Teil des Erlöses des Verkaufs ihrer Bücher zu diesem Zweck bestimmte. Sie war auch Mitglied des Deutschen Schriftsteller-Verbandes, Bayrische Gruppe. In München arbeitete sie mit Medien der Poloniazusammen. Bekannt wurde sie als Vorreiterin der Verständigung zwischen Polen, Deutschen und Schlesiern auf dem Weg des Dialogs der Kulturen.44 Ihre Texte zeugen ausdrücklich von schmerzli-chen Schicksalen der schlesischen Auswandererfamilien, die in den 80er Jahren nach Deutschland kamen, nachdem sie aus der polnischen Heimat oft unter Zwang herausgebeten worden waren. Wie aus ihren Erzählungen hervorgeht, fiel es vielen Oberschlesiern schwer, auf dem deutschen Boden Fuß zu fassen und nur dank ihrem angeborenen Eigensinn von Menschen des Grenzgebietes konnten sie Lebenshin-

43 Literarisches Schaffen: Można żyć[Man kann leben], Wrocław 1993; Cholerny świat [Diese verdammte Welt], Wrocław 1996; Tam i z powrotem po tęczy [Hin und zurück auf dem Regen-bogem], Warszawa 1997; Męka kartoflana [Kartoffelqual], Wrocław 2000; Der Grenzgänger, Herte 2002; Mój Wehrmacht [Meine Wehrmacht], Warszawa 2004; Chodźcie idziemy [Kommt, wir gehen], Warszawa 2007; Śmierć czeskiego psa [Tod eines tschechischen Hundes], Warszawa 2009.

44 K. Strużyna (1931-2004). Vgl.: Polsko-niemiecki leksykon biograficzny…, S. 284-285.

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dernisse überwinden45. In ihren Erzählungen finden wir viele authentische Fakten aus ihrer Biografie, die die Autorin kenntnisreich in die Handlung ihrer Bücher einwebt. In der Publikation Zatrzymać wiatr [Wind aufhalten], auf der Grundlage einer mit wahren Ereignissen angefüllten Liebesgeschichte, lernen wir das Leben der deutschen Familie Gruber aus München kennen. Den Hintergrund bilden die deutsch-polnischen Ereignisse von 1972 bis 2000. Alle Bücher von Strużyna wurden ins Deutsche übersetzt.

Eine ähnliche Thematik berührten die Berichte auf den Seiten der von dem ehe-maligen Solidarność-Aktivisten Józef Matuszczyk aus Gelsenkirchen herausgege-benen Bücher: Ciernista droga przez Śląsk [Weg voller Dornen durch Schlesien] und Emigracja i powrót do rodzinnych stron [Emigration und Rückkehr in die Heimat]. Er beschreibt Schicksale einer schlesischen Familie, deren Geschick in die Geschichte Polens und Deutschlands eingeflochten ist, angefangen vom Jahr 1943 bis zu den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts. Wir erfahren dabei auch, warum der Autor nach Deutschland ausgereist ist:

„Ich wurde vom Sicherheitsdienst verfolgt und man internierte wieder einige mei-ner Kollegen. Ich konnte nirgendwo eine Arbeit finden. In jedem Betrieb dankte man mir sofort, als man meinen Namen hörte. Am Jahrestag der Unterzeich-nung der Augustabkommen hat man mich wieder für zwei Monate verhaftet. Zu meinem 12-jährigen Sohn kam immer wieder ein Milizionär und verhörte ihn, die Ehefrau bekam immer wieder Anrufe mit Drohungen. Man befahl mir, das Land zu verlassen. Ich wusste, dass dies alles keine Kleinigkeiten sind und habe mich entschlossen auszureisen. Am 10. April 1983 habe ich Polen ohne Recht auf Rückkehr verlassen.“46

Matuszczyk ist Oberschlesier, den man nach Deutschland vertrieben hat, wie er sagt: „Ständig sehne ich mich nach meiner Heimat, weil ich mich in Deutschland wie in der Fremde fühle“.47

Ein Beispiel für die Schicksale der in Deutschland angesiedelten Emigranten aus dem Oppelner Schlesien ist auch Józef Grzesik, in Tarnów Opolski geboren. Er hat Oberschlesien schon als reifer Mensch verlassen, als ausgebildeter Jurist, denn er hatte die doppelte Staatsangehörigkeit. Aus den Spalten seines Gedenkbuches Listy

45 Polskie Niemcy czyli emigracyjne opowiadania [Polnisches Deutschland, d,h, Emigration-serzählungen], Chorzów 1998; Góralu czy Ci nie żal, opowiadania emigracyjne [Bergbewohner, tut es dir nicht leid, Emigrationserzählungen], Chorzów 1998; Polska łąka czyli emigracyjne wspomnienia [Polnische Wiese bzw. Emigrationserinnerungen], Chorzów 1999; Mała błękitna chusteczka [Bläuliches Tüchlein], Chorzów 2000; Zatrzymać wiatr [Wind aufhalten], Chorzów 2001.

46 J. Matuszczyk, Wspomnienia z obozu internowania. Nie o taką Polskę walczył [Erinnerungen aus einem Internierungslager. Nicht um ein solches Polen kämpfte er], auf der Grundlage eines von L. Paszek durchgeführten Interviews, Dortmund, Oktober 2010.

47 Informationen: J. Matuszczyk, Gelsenkirchen, Oktober 2010.

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stamtąd. Wspomnienia smutne i inne [Briefe von dorther. Traurige und andere Erin-nerungen], zweisprachig 2002 durch das Joseph von Eichendorff-Konversatorium aus Opole herausgegeben, erfahren wir, wie sein Leben vor und nach der Ausreise und der Aufenthalt in der neuen Heimat aussahen. Er beschrieb breit die Zeit seiner Kindheit und Jugend in der Volksrepublik. Wie sich die Kennerin der Thematik Cz. Mykita-Glensk erinnert,

„in den Episoden liefern die Berichte auf den Episoden von J. Grzesik ein ausge-zeichnetes Material für die Geschichte der oberschlesischen Bevölkerung in der Zeit der Volksrepublik, für den schizoiden Unterschied zwischen einer öffentlich demonstrierten, feierlich-akademischen Akzeptierung und der utopischen Praxis der Entfernung von Oberschlesiern aus den attraktiveren, verantwortlichen und mit Prestige versehenen Posten des öffentlichen Lebens.“48

Diese Worte bestätigen nur, wie kompliziert die Gründe für die Ausreisen von Oberschlesiern nach Deutschland waren. Wie es aus den Inhalten hervorgeht, die auf den Seiten dieser und jener Publikation mehrfach gefunden wurden, betonen die Autoren, dass es viele Gründe für die Ausreisen gab, aber nicht immer waren die ökonomischen und die die Identität betreffenden die wichtigsten. Häufig hat die Politik über die Schicksale oberschlesischer Familien entschieden, Familien, die nach dem Wohnortwechsel den Sinn für die kulturelle Sicherheit verloren haben. Nach Meinung der Forscher hat dieser Wechsel oft ein starkes Stigma für das spätere Leben hinterlassen. „Die Beziehungen zur Heimatkultur, der Kultur der Vorfahren, die sich auf die Fundamente eines Familienlebens stützten, wie Bischof Prof. Jan Kopiec meint, verschwinden leider mit dem Zusammenstoß mit der Zivilisation“.49

Eine weitere Person mit oberschlesischer Herkunft, die aus einem literarisch-journalistischen Milieu kam, war Jacek Grunwald (geb. 1948 in Opole – gest. 2003 in Saarbrücken). Er gehörte zur Emigration der 80er Jahre, die sich gezwungener-maßen in Deutschland ansiedelte. Er reiste 1984 aus Opole aus und ging zunächst nach Frankreich, um dann seinen ständigen Wohnsitz in Deutschland (BRD) auf-zuschlagen, er wohnte im Saarland an der französisch-deutschen Grenze, in Saar-brücken. In Opole absolvierte er die Mittelschule, studierte an der Pädagogischen Hochschule, dann an den Universitäten Breslau und Warschau. In den 70er Jahren gründete er das Theater „Styl“, und in eigener Regie bereitete er einige Schauspiele vor, u.a. „Oko Baltazara” [Balthasar s Auge] (1972), „Powrót kata” [Rückkehr des Henkers] (1972), „Nisko urodzonemu deszcz pada na tyłek nawet gdy siedzi” [Einem von niedriger Geburt fällt der Regen auf den Sitz, auch wenn er sitzt] (1973), „Kan-tata patetyczna na Wilhelma i Kataryniarza” [Pathetische Kantate auf Wilhelm und Leiermann], auf dem Festival von „Teatr Otwarty” in Wrocław im Jahre 1975 aufge-

48 Cz. M-Glensk, Józef Grzesik, Listy stamtąd [ Józef Grzesik, Briefe von dorther], In: Pracownicy polskiej książki… S. 73.

49 J. Kopiec, Ebd. S. 74.

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führt, und „Łódź głupców” [Boot der Narren], für welches er 1976 den Künstlerpreis für Drehbuch und Regie erhielt. Die Werke wurden sehr häufig illegal aufgeführt, da sie durch die damalige politische Zensur verboten wurden. Grunwald war auch außerhalb der Region bekannt, seit Anfang 70er Jahre stellte er seine dichterischen und Theater-Inszenierungen bei internationalen Veranstaltungen vor, so auf dem Festival Mondial du Theatre Comique Populaire in Nancy (Frankreich 1975, 1976), auf dem Festival Internacional de Cine de Donostia-San Sebastián (Spanien 1976) und bei den durch das Forschungsinstitut für die Kultur der Polonia organisierten internationalen Treffen der Intellektuellen, Menschen der Kultur und Kunst (Cannes 2000, Barcelona 2001).

Noch in Polen arbeitete Grunwald mit Rundfunk- und Fernsehsendern in Wrocław, Katowice und Warszawa, und in den Jahren 1978-1982 mit einem Regio-nalsender in Opole zusammen. Bei der Ausreise war er eine kulturell hoch gebildete Persönlichkeit und beschäftigte sich mit Feuereifer mit gesellschaftlichen Initiativen. Nach der Ausreise beschäftigte er sich nach wie vor mit journalistisch-publizistischer Arbeit. In Niedersaubach, wo er anfänglich wohnte, gab er ein deutsch-französi-sches literarisches Periodikum „Transfo-Literatur” (1986) heraus. In der französi-sche Rundfunkstation „Radio Metz” führte er zusammen mit dem Priester Wiktor Maria Mendrela in den Jahren 1991-1994 ein regelmäßiges, kulturell-informatives Programm in polnischer Sprache durch. 1994 übernahm er im deutschen kommer-ziellen Fernsehen „SAAR-TV” die Redaktion einer Sendung in polnischer Sprache „Kontakty” [Kontakte], gab ein kulturell-literarisches Magazin heraus. Außerdem war er seit 1988 beim deutschen Rundfunk SDR-4 angestellt, wo er ein polnisch-sprachiges Programm „Kontakty” leitete. Er arbeitete auch als Journalist im Bundes-Rundfunk- und Fernsehnnetz, beim Deutschlandfunk und bei der Deutschen Welle mit dem Sitz in Köln, er übersandte Berichte aus Deutschland sowie Lothringen und Luxemburg. Auf seine Initiative hin bildete sich 1994 die Gesellschaft zur Förderung der polnischen Medien in Deutschland, deren Ziel die Unterstützung aller Initiativen zur Verbreitung der polnischen Kultur in Deutschland war. Er hat nie die Kontakte zu seiner Heimatstadt abgebrochen. In Zusammenarbeit mit dem Oppelner literarischen Milieu und dem Polnischen Literaten-Verband sowie seiner Frau Zofia Smandzik hat er poetische Sammlungen: Ściana soli [Wand von Salz] (1995); Godziny niebieskie [Blaue Stunden] (1998); Struktura pragnienia [Struktur von Durst] (2000) sowie Gedichtsammlungen in polnisch-deutschen Anthologien: Dialog jest możliwy [Dialog ist möglich](1999, Kraków) sowie Napisane w Niemczech. Antologia [Geschrieben in Deutschland. Anthologie](2000, Köln/ Jestetten) veröf-fentlicht. In Vorbereitung sind andere poetische Werke geblieben: Coś się skończyło zatrzasnęło [Etwas ging zu Ende, schlug zu]und eine Anthologie gegenwärtiger polnischer Schriftsteller in Deutschland. Für seine künstlerisch-gesellschaftlichen Leistungen erhielt J. Grunwald zahlreiche in- und ausländische Preise zuerkannt, von denen die wichtigste die Auszeichnung „Pro Polonia”, für die Verbreitung der polnischen Kultur außerhalb der Landesgrenzen ist (1999). In den Jahren 1994-1999 wirkte er aktiv im Vorstand des Polnischen Rates in Deutschland mit, stand für Angelegenheiten der polnischen Kultur in Deutschland ein. Er gehörte dem

| 83Kalczyńska M.: Grenzenüberschreitung. Oberschlesier in Deutschland und ihre Verbindungen zur Region

Polnischen Journalisten-Verein, einer deutsch-polnischen Gruppe der Autoren von „DIALOG”, dem Polnischen Literaten-Verband - Abteilung in Opole – sowie dem Verband der deutschen Schriftsteller an. Er ist am 6. September 2003 in Saarbrücken verstorben und wurde am 12. September in Opole begraben. Seine Biographie ist an den europäischen Inhalten reich, und seine Verwurzelung im Polentum Schlesiens verwertete er in seinen Emigrations-Wanderungen.

Publizisten

Sicherlich war es einfacher für Menschen mit einer doppelten Staatsangehörig-keit, die Erlaubnis zur Ausreise zu bekommen, aber ob es ihnen leichter fiel, diese Entscheidung zu treffen. Einer dieser Doppelstaatler ist der Publizist und Jour-nalist Tomasz Kycia, Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts in Deutschland niedergelassen. Er ist 1974 in Gliwice (Gleiwitz) geboren, nach der Ausreise nach Deutschland studierte er Katholische Theologie und Soziale Kommunikation an den Universitäten in Bonn und Rom. Er machte beruflich Karriere dank den Filmen für die deutschen Sender ZDF und RBB und der Arbeit als akkreditierter Journalist beim Heiligen Stuhl in Vatikan. In den Jahren 2004-2009 arbeitete er auch mit dem Berliner Radio Multikulti zusammen, bereitete ein Magazin auf Schlesisch und über Schlesien Między godką a rozmową [Zwischen ´slonskogodka´ und Gespräch]vor. Gäste der Sendereihe waren bekannte Schlesier: Wojciech Kilar, Gerard Cieślik, Stanisław Soyka, Kamil Durczok u.a. Zusammen mit B. Kerski und R. Żurek ist er Verfasser des Buches Przebaczamy i prosimy o przebaczenie [Wir vergeben und bitten um Vergebung](„Borussia Bibliothek” 2007), einer politisch-gesellschaftlichen Re-konstruktion der Ereignisse in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, als die Botschaft polnischen Bischöfe an die deutschen entstand50. In seinem Beruf bevorzugt er die polnisch-deutsche Thematik, mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt er schle-sische Angelegenheiten. Am 10. Dezember 2010 war er in Kamień Śląski (Gross Stein) zu Gast, anlässlich der polnischen Förderung des Films Cicho pod prąd [Still gegen den Strom] (Reg. T. Kycia, R. Żurek). Die Story erzählt von einer Wallfahrt junger Deutscher aus der DDR, Katholiken und Protestanten, von der „Aktion Sühnezeichen“, die im Sommer 1965 von Görlitz-Zgorzelec aus mit Fahrrädern die

50 In einer Information über das Buch: Die Botschaft der polnischen Bischöfe und die Antwort des deutschen Episkopats aus dem Jahre 1965 ist einer der wichtigsten Momente im Prozess der Annäherung zwischen Polen und Deutschen. Der Brief der polnischen Bischöfe stellt eine revolutionäre und mutige Initiative zugunsten der Überwindung der Barrieren zwischen Nach-barn dar, die vor kurzem noch Feinde waren. Das Buch enthält eine umfassende Studie, die diesem historischen Ereignis gewidmet ist sowie zwölf Gespräche mit Zeugen des Briefwech-sels der Bischöfe. Basil Kerski, Tomasz Kycia und Robert Żurek rekonstruieren die Entstehung der Briefe, präsentieren deren geschichtlichen Kontext und die Reaktion der Behörden und der kirchlichen und intellektuellen Kreise auf den Dialog der Bischöfe, behandeln die Bedeutung des Briefwechsels für die Entwicklung polnisch-deutscher Beziehungen. Vgl.: www.borussia.pl [Stand vom Oktober 2010].

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Strecke ins Konzentrationslager Ausschwitz-Birkenau bewältigten. 2008 kehrten die Helden dieser Geschichte nach 43 Jahren an denselben Ort zurück51.

Zu der Gruppe schlesischer mit dem Trauma des Kriesgrechts belasteter politischer Emigranten zählen wir den historischen Publizisten Henryk Sporoń. Der Autor ist in Świerklaniec (Neudeck) bei Tarnowskie Góry geboren, durch Familienbande ist er auch mit Opole verbunden. In der Zeit des Zweiten Weltkrieges wurde er zur Wehr-macht einberufen, und in der Periode des Kriegsrechts, das in Polen am 13.12.1981 eingeführt wurde, wurde er interniert und saß als Gefangener. Nach der Befreiung ist er 1983 ohne Recht auf Rückkehr in die BRD ausgereist. Als Pädagoge von der Ausbildung her und Historiker aus Leidenschaft ist er Verfasser wertvoller Arbeiten, die in der Geschichte Schlesiens ihre Spuren hinterlassen werden: Z rodzinnych stron emigracji [Aus der Heimat der Emigration](Lublin 1999) sowie W poszukiwaniu historycznej prawdy [Auf der Suche nach der Geschichtswahrheit](Chorzów 2004) i Wspomnienia i listy z Ośrodków internowania PRL w czasie stanu wojennego 1981–1982 [Erinnerungen und Briefe aus den Internierungsanstalten der PRL in der Zeit des Kriegsrechts 1981-1982](Chorzów 2006). Immer mit der großen Eindringlichkeit eines Forschers, eines Enthusiasten sucht er nach der objektiven Wahrheit, berichtigt polnische und deutsche Lügen und Stereotypen, meidet nicht Polemiken und scharfe Kommentare. In seinen Werken finden wir wertvolle Hinweise für Menschen, die für die schlesische Kultur und Wissenschaft wichtig sind und auf beiden Seiten der Oder wohnen. Zu den Brückenbauern der Versöhnung zwischen Polen und Deut-schen zählt er u.a. Stanisław Bienasz, Grażyna Szewczyk, Krzysztof Karwat und Jan Jagusiak. Ihnen widmet er auch viel Aufmerksamkeit in seinen historischen Werken52. Sporoń war mehrmals auch in Opole zu Gast und erzählte, wie sehr er sich nach Schlesien sehnt, wenn er in Deutschland ist: „jedes Mal, wenn ich hier bin, besuche ich meine Bekannten, kaufe Bücher über Schlesien, atme besser. Ich weiß, dass ich mich hier wie zu Hause fühle.“53

Eine nächste Person mit schlesischer Herkunft, die sich durch polonophile Hand-lungen auszeichnet, ist Jacek Tyblewski, nach Deutschland in den 80er Jahren umge-siedelt. Er ist 1965 in Bytom (Beuthen) geboren. Nach der Ausreise nach Deutschland im Jahre 1981 ließ er sich in Berlin nieder, später in Nordrhein-Westfalen, wo er ein Universitätsstudium begann (er schloss Philosophie und Soziologie an der West-fälischen Wilhelms-Universität in Münster sowie an der Freien Universität Berlin ab, 1985-1994). Nach dem Studium arbeitete er als Journalist in einer deutschen Rundfunkanstalt, seit 1994 in der polnischen Redaktion des Rundfunks SFB 4- „Multi-Kulti” in Berlin. Seit Januar 1999 bis zum Ende 2008 leitete er die Arbeit der polnischen Redaktion dieses Senders, die neben dem Lokalprogramm das tägliche Polnische Radio-Magazin (Polski Magazyn Radiowy) für Deutschland vorbereitet. Seit Januar 2009 verzichtete dieses Radio auf alle nationalen Redaktionen. Tyblew-

51 Vgl.: Ludzie polonijnych mediów w Berlinie, Hg. M. Kalczyńska, Opole-Berlin 2010, S. 45.52 Vgl.: Henryk Sporoń, In: Pracownicy polskiej książki…, S. 181-182. 53 H. Sporoń, Opole, Mai 2010.

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ski kam damals in den Sender Funkhaus Europa WDR, wo auf Polnisch realisierte Programme eine der 14 internationalen Antennen dieses Senders bilden. In den Sendungen bringt man polnisch-deutsche Themen zur Sprache, auch schlesische Motive nicht meidend. Im Dezember 2010 hat eine Reihe der Sendungen begonnen, in denen der Sprachwissenschaftler Jan Miodek die Schwierigkeiten des Polnischen sowie des schlesischen Dialekts erklärt. In anderen Sendungen erörtert man politi-sche, gesellschaftliche und kulturelle Fragen54. Das Magazin wird von Montag bis Freitag von 22 bis 23.00 übertragen. Im Internet kann man neue und archivalische Sendungen anhören, www.funkhauseuropa.de. Tyblewski besuchte mehrmals Polen, war ein Teilnehmer einer polnisch-deutschen Tagung und internationaler Debatten über regionale Themen55. Er sagt, dass er sich in dem multikulturellen Berlin wohl fühlt, die Sprache kennt, verantwortungsvolle Arbeit hat, die ihm den ständigen Kontakt mit Polen und Oberschlesien ermöglicht56.

Schriftsteller und Publizisten, die hier vorgestellt wurden, haben den Kontakt mit Schlesien nicht verloren, ihrer schöpferischen Leidenschaft können sie in den realisierten Projekten und geschriebenen Werkenfreien Lauf lassen. Auf bestimmte Weise mildert es ihr Leiden der Trennung von der Heimat, lässt sie mit den Erinne-rungen an die Jugendjahre in die Heimat, oft zum geliebten Schlesien zurückkehren.

Künstler

Witold Stypa ist ein ungewöhnlicher Künstler, er ist 1951 in Bytom geboren, aber seit vielen Jahren ist er mit dem Milieu der Künstler in Berlin verbunden. Ein Grafikkünstlerdiplom mit einer goldenen Medaille bekam er an der Akademie der Bildenden Künste in Krakau (1975). In den Jahren 1976-1984 war er wissenschaftli-cher Mitarbeiter an der Akademie der Bildenden Künste in Krakau, arbeitete an der Fakultät für Graphik in Katowice. Seit 1984 hält er sich im Exil in Westdeutschland auf und leitet in Berlin das Autorenkunstmuseum sowie das Museum der Zukunft und Museum der Bezugslosigkeit. In den Jahren 1976-1980 realisierte er monumenta-le Wandbilder in Lublin und Bytom. In den Jahren 1975-1984 war er bekannt auch als Projektant für die Gestaltung des öffentlichen Raums und der Straßenzüge in Bytom. Nach der Ausreise nach Deutschland beschäftigte er sich in den Jahren 1984-2008 auch mit Skulptur-Installationen, stattete unterschiedliche Objekte aus, u.a. AOK Wolfenbütel, Harz und Heine, IHK Braunschweig, LINEAS-Valentin Klein Haus- Braunschweig, Festsaal der Handwerkskammer in Bremerhaven, Wirtschafts- und

54 Vgl.: Polsko-niemiecki leksykon biograficzny.., Prasowe polonika niemieckie.., Ludzie polonijnych mediów w Berlinie…

55 Im Jahre 2004 nahm er an einer Tagung „Deutsche Pressepolonica” und 2010 an einem Projekt „Berliner Polen in Opole” teil. Der Veranstalter der Begegnungen war der Verein zum Schutz der deutschen Polonica. Er ist auch Autor zahlreicher Sendungen über Oppelner The-men in Berliner Rundfunk.

56 Informationen: Jacek Tyblewski, Opole, Oktober 2010.

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Tourismusfördergesellschaft Landkreis Peine, Sport Hotel Wiedenbrück, Radiologie Feuerbach Stuttgart. Im Jahre 2005 entstand der Entwurf einer künstlerischen Aus-stattung „Sammaneum” - der größten Privatklinik in Berlin. Außerdem realisierte er Deckenmalereien, u.a. im Recital Hotel Bad-Lauterberg, La Strada Hotel in Kassel, Hotel Altes-Gymnasium in Husum, Hotel Lahnenschleife in Weiburg. 1986 fand die erste Präsentation seines Entwurfs des Museums der Zukunft statt, durch den er schöpferische Initiativen zu schützen versuchte. Stypa s Kunst versucht, nach der Theorie der Mehrdimensionalität zu greifen, um auf die Frage zu antworten, was außerhalb der Dritten Dimension der Wirklichkeit existiert. Er interessiert sich nicht für neue Kunstrichtungen, sondern für die Grenzgebiete des menschlichen Schaf-fens, mit der Evolution der Wahrnehmung der Dimensionen der physischen Welt. Seine Kunst soll zum Nachdenken über eine für unsere Augen inkohärente mehr-dimensionale Welt anregen. „Solche Welten“, nach der Auffassung des Künstlers, „entstehen in unserem Geist, wandeln sich unter dem Einfluss der Empfindungen um, bauen neue Konstruktionen der Gestalten, gemäß dem, was wir uns merken konnten“. Seit einigen Jahren beschäftigt er sich auch mit der räumlichen Vorführung des metrischen Tensors von Theodor Kaluza (eines deutschen Wissenschaftlers, der aus Oppeln stammt. Im Jahre 2010 enthüllte man eine Gedenktafel in der Stadt).57

Wissenschaftler

In der Gruppe der schlesischen, sich mit der Wissenschaft beschäftigenden Po-lonophilen, die sich in Deutschland niedergelassen haben, lohnt es sich, Henryk Kneip zu erwähnen. Er ist 1936 in Sieroniowice (Grünheide) im Oppelner Schlesien in einer deutschen Familie geboren. Die Kindheit verbrachte er in Leśnica bei Sankt Annaberg, wo er mit Erlernen des Polnischen begann, setzte dies im Gymnasium in Strzelce Opolskie (Groß Strehlitz) fort. Seine Träume von einem Studium der Germanistik gingen nicht in Erfüllung, weil sein Vater sich schon damals in der BRD aufhielt, was ihn als Studenten einer solchen Fachrichtung disqualifizierte. Er absolvierte dagegen mit Auszeichnung ein Studium der Polnischen Philologie an der damaligen Pädagogischen Hochschule in Opole. Er wurde, wie er selbst sagt, zum ersten Autochthonen, der Polonistik an dieser Hochschule studierte. Seine Lehrer waren u.a. Prof. Stanisław Rospond, Henryk Borek, Stanisław Kolbuszew-ski und Władysław Studencki, der wollte, dass Kneip sein Assistent wird, weil er der beste Student im Jahrgang war58. Nach dem Studium im Jahre 1957 bekam er die Erlaubnis für die Ausreise nach Hameln, wo seit der Zeit des Krieges sein Vater wohnte. Schließlich entschied er sich, nach Schlesien nicht zurückzukehren

57 Informationen: W. Stypa, Opole, Oktober 2009; Stypa, Cosmoreal, Museum of Future, [Berlin] 1996; www.witold-stypa.de

58 Kneip Heinz, In: Polsko-niemiecki leksykon biograficzny. Ludzie polskiej książki i prasy w Niem-czech (koniec XX w.). Bearb. M. Kalczyńska. Opole 2001, S. 123.

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(während seiner Abwesenheit wurde seine Wohnung ausgeplündert). Er blieb in der BRD, wo er das Studium der Slawistik und Geschichte westeuropäischer Länder sowie der Turkologie na der Universität in Göttingen fortsetzte. Schon im Jahre 1959 übernahm er die Stelle des Lektors der polnischen Sprache und bald darauf begann er die wissenschaftliche Arbeit an seiner Universität. Er bereitete die Dissertations-schrift „Auffassung und Darstellung der Natur. Werke von Jan Kasprowicz” vor, die er 1965 verteidigte. Nach der Erlangung des Doktorgrades wechselte er an die neu entstandene Universität in Regensburg, wo er anfänglich Lektorate (Polnisch und Tschechisch) führte, und dann Übungen, vor allem aus dem Bereich der Rus-sistik. Er lehrte allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft, westslawische Philologie sowie Geschichte der russischen Literatur und Kultur. Er beteiligte sich auch an der Einrichtung eines Sprachlabors sowie einer Fachbibliothek Slawistik. Er fand Anerkennung unter Forschern und Studenten als ausgezeichneter Fachmann für Themen zu Osteuropa in Literatur und Kultur. Im Jahre 1985 wurde er aufgrund der Habilitationsschrift „Kunstprinzipien und formulierte Poetik des sozialistischen Realismus. Untersuchungen zur Literaturkonzeption in der Sowjetunion und Polen (1945-1956)”, die 1995 veröffentlicht wurde, habilitiert. Kneip arbeitete immer aktiv mit Oppelner Kreisen zusammen. In den 90er Jahren des 20. Jhd. nahm er an der Entwicklung der Germanistik an der Universität Oppeln regen Anteil. Er knüpfte auch eine Zusammenarbeit mit dem Schlesischen Institut in Opole an, hielt Vorträge und übergab viele wertvolle Bücher, u.a. dem Kabinett der deutschen Polonica. Im April 2002 ging Kneip in den Ruhestand, und im Jahre 2004 wurde er Preisträger und Stipendiat der Alexander von Humboldt Stiftung, dank der er zwei Semester lang die Forschung und Lehre an der Hochschule für Internationale Beziehungen in Łódź betreiben konnte. Die Thematik der Untersuchungen kreisten um polnische Literatur sowie derer Rezeption in Deutschland, und um die Frage der Perzepti-on deutscher Autoren in Polen. Das erlaubte ihm, eine Zusammenarbeit u.a. mit dem deutschen Polonisten H. Olschowski zu beginnen, der im Jahre 1939 in Nakło (Nakel) im Oppelner Schlesien geboren wurde.59 Er arbeitete auch mit K. Dedecius und dem Deutschen Polen-Institut in Darmstadt zusammen und beteiligte sich an Forschungsarbeiten und Verlagsinitiativen des Instituts.60

In den 70er Jahren erhielt er die Medaille „Um die polnische Kultur verdient” sowie den Orden „Amicus Poloniae”. Sein Interesse an Polen beschränkt sich nicht ausschließlich auf das Berufsleben, zusammen mit der Frau Ingrid, die aus Gliwice kommt61, nahm er aus Schlesien polnische Bräuche nach Deutschland mit.

59 Vgl.: Polsko-niemiecki leksykon biograficzny…, S. 207-208.60 Vgl.: M. Kalczyńska: Kultura książki polskiej w Niemczech. Katowice 2004, S. 197.61 Die Frau ist von Beruf her Lehrerin. Vgl.: G. Kraus: Matthias Kneip im Gespräch. Der erfolgrei-

che Lyriker zu Gast an seiner früheren Schule. In: „Goethe-Gymnasium Regensburg. Jahresbe-richt” 1997/1998 [Regensburg] 1998, S. 69.

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„Es sind Bräuche, Sitten, die die Frau und [er] sich in Oppelner Schlesien an-geeignet haben [...] [Außerdem] sind polnische Sitten [bei ihnen] durch häufige Gäste aus Polen heimisch geworden. Sie bekommen ihre eigenartige Anmut durch die deutsch-bayrische Nachbarschaft. Für [ihre] deutschen und slawischen Gäste bedeutet es einfach eine spezifische Exotik.“62

Drei Söhne Johannes, Matthias und Thomas besitzen den Doktorgrad, können Polnisch und besuchen oft Schlesien. Matthias absolvierte Germanistik, Ostslawis-tik und Politologie. Er genießt Popularität als Dichter, Prosaiker und Publizist und wurde als Fürsprecher des polnisch-deutschen Dialogs bekannt. Er ist ein wissen-schaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt63. Einer der Freunde von Professor Kneip ist Tadeusz Różewicz, was Matthias erwähnt: „Wir wussten immer genau, über wen die Rede war, wenn meine Eltern sagten, dass „Ta-deusz” kommt. Wir freuten uns über den Besuch des polnischen Onkels, der gut Deutsch sprach und ab und zu mit uns zum Sportplatz ging, um ein internationales Fußballpiel zu spielen.“64

Von der spezifischen Atmosphäre des Kneipschen Hauses zeugt auch das, dass es manchmal zu Mittagessen bei ihnen Grützwurst (krupnioki), Borschtsch (barszcz) oder Sauerteigsuppe (żurek) gab. Am Weihnachten brachen sie Oblaten und sangen polnische Weihnachtslieder. Die Namen von Städten wie Warszawa oder Kraków, Wrocław oder Łódź kannten sie von Ansichtskarten, die sie aus Polen bekamen.65

62 Korrespondenz, Interview mit H. Kneip, durchgeführt von A. Marcol am 17.01.2004. 63 Eingehender: M. Kalczyńska, Polsko-niemiecki leksykon biograficzny…, S. 124-125; A. Marcol:

Twórczość literacka i publicystyczna Matthiasa Kneipa (monografia). Magisterarbeit, Katowice: Uniwersytet Śląski, 2006.

64 M. Kneip: Z sercem w plecaku. Spotkania z Polską [Mit dem Herzen im Rucksack. Begegnungen mit Polen]. Übers. U. und B. Ploszczyk. Wrocław 2005, S. 45.

65 A. Marcol, Profesor Heinz Kneip – Opolanin i slawista z Regensburga [Professor Heinz Kneip – Opolaner und Slawist aus Regensburg], In: Ślązacy w Niemczech…, S. 111-116.