kulturelle trennlinien und wirtschaftliche konkurrenz. galizische modernisierungsdiskurse zwischen...

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1 ¡ ¡ l 1 ALEXANDER KRATOCHVIL, RENATA MAKARSKA, KATHARINA SCHWITIN, ANNETTE WERBERGER (HG.) Kulturgrenzen in postimperialen Raumen Bosnien und Westukralne als transkulturelle Regionen [ transcript]

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1

¡ ¡ l

1

ALEXANDER KRATOCHVIL, RENATA MAKARSKA,

KATHARINA SCHWITIN, ANNETTE WERBERGER (HG.)

Kulturgrenzen in postimperialen Raumen Bosnien und Westukralne als transkulturelle Regionen

[ transcript]

Gefordert vom Excellenzcluster r6 »Kulturelle Grundlagen von Integration« der Universitat Konstanz

Bibliografische lnformation der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:j jdnb.d-nb.de abrufbar.

© 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Ver­lages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfálti­gungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbei­tung mit elektronischen Systemen.

Umschlagkonzept: Kordula Rockenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1777-I

Gedruckt auf alterungsbestandigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff

Besuchen Sie uns im Internet: http:jjwww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

lnhalt

Einleitung Transkulturalitat in postimperialen Raumen Annette Werberger 17

KUL TURELLE GRENZZIEHUNGEN UNO

-ÜBERSCHREITUNGEN IN VORMOOERNEN IMPERIEN

UNO MOOERNEN NATIONEN

Galizien postcolonial? Imperiales Differenzmanagement, mikrokoloniale Beziehungen und Strategien kultureller Essentialisierung Anna Veronika Wendland 119

Kulturelle Trennlinien und wirtschaftliche Konkurrenz Galizische Modernisierungsdiskurse zwischen Subalternitat und Oominanz in der zweiten Hiilfte des 19. Jahrhunderts

Klcmens Kaps 1 33

Ruthenische Folklore im Fokus der polnischen Folkloristik und Ethnographie in der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts Katharina Schwitin 1 61

MEHRSPRACHIGKEIT IN IMPERIALEN

UNO POSTIMPERIALEN RA.UMEN

Hybriditat und Sprachgebrauch an Bruchlinien der Slavia Bosnien und Galizien

Christian VoB 1 101

Sprachvariation, Diglossie und Sprachenkonflikte im Diskurs Zur linguistischen Erforschung der Galizischen Mehrsprachigkeit in der 2. Hiilfte des 19. Jahrhunderts

Stefaniya Ptashnyk 1117

32 j ANNA VERONIKA WENDLAND

Claudia/Lüdtke, Alf (Hg.): Kolonialgeschichten. Regionale Per­spektiven auf ein globales Phéinomen. Hamburg, 215-235.

W endland, Anna Veronika 20 11 a: » Ukraine transnational. Transnatio­nalitiit, Kulturtransfer, Verflechtungsgeschichte als Perspektivie­rungen des Nationsbildungsprozesses«. In: Kappeler, Andreas (Hg.): Die Ukraine. Prozesse der Nationsbildung. Koln- Wien­Weimar, 51-66.

Wendland, Anna Veronika 2011b: »The Ukrainian-Ruthenian Suc­cess-Failure Continuum in Austrian Galicia«. In: Fishman, Josh­ua/Garcia, Ofelia (Hg.), Handbook of Language and Ethnic Identi­

ty. Vol. 2: The Success-Failure Continuum in Language and Ethnic Identity Efforts. Oxford, 399-419.

Kulturelle Trennlinien

und wirtschaftliche Konkurrenz Galizische Modernisierungsdiskurse

zwischen Subalternitat und Dominanz

In der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts

KLEMENS KAPS

Sozial- und Kulturwissenschaften haben in den vergangenen Jahren das habsburgische Galizien für sich entdeckt und es zu einem Para­digma für die Erforschung einer plurikulturellen ostmitteleuropili.schen Gesellschaft erklart (z.B.: Bartal!Polonsky 1999; Hann/Magocsi 2005; Le Rider/Raschel 2010). Der ukrainische Historiker Jaroslav Hrycak bezeichnete insbesondere Ostgalizien als »ethnisches und zivilisatori­sches Grenz1and« (Hrycak 2006, 35). Die von der habsburgischen Bü­rokratie in der Ersten Teilung Polen-Litauens 1772 künstlich geschaf­fene Region (Augustynowicz/Kappeler 2007, 1) stand dabei im Span­nungsfeld einer kulturellen Vielfalt im Inneren als auch der Interaktio­nen über die administrativen Grenzen hinweg- insbesondere mit den imperialen Zentren Wien, Prag oder Budapest.

Dieses vielfiiltige und sich überlappende Beziehungsgeflecht soll in diesem Beitrag vor dem Hintergrund eines weiteren Spezifikums des Galiziendiskurses beleuchtet werden- namlich der selbst im zent­ral- und ostmitteleuropili.schen Vergleich besonders scharf ausgeprag­ten Armut und den bescheidenen sozialükonomischen Transformatio­nen, die den Raum praktisch wiihrend seiner gesamten Zeit unter habsburgischer Herrschaft kennzeichneten. Dementsprechend meint Jaroslav Hrycak pointiert, in Galizien habe es zwar »viel Modemitat,

34 1 KLEMENS KAPS

aber wenig Modernisierung« gegeben (Hrycak 2006, 17), wii.hrend der

polnische Historiker Maciej Janowski andererseits von »Modemisie­rung ohne Industrialisierung« spricht. (Janowski 2006, 845f.)

Davon ausgehend, wird in diesem Beitrag weniger der wirtschafts­und sozialhistorischen Entwicklung Galiziens nachgespürt, sondem der Frage nach der Okonornie als einem vielschichtigen Diskurs, dem bedeutende Re1evanz für interkulturelle Kontakte und für die

(Re )Produktion sozialer und nationaler Identitaten zukam. Hierbei wirkte die prekare wirtschaftliche Lage vielfach als Katalysator für ethno-kulturelle Konkurrenz bis hin zu nationalen Grenzziehungen. (Schattkowsky 2004, 44f.)

DISKURSIVE KOLONIALISIERUNG IM SPANNUNGSFELD VON IMPERIALEM 0RDNUNGSENTWURF UNO SUBVERSIVEM GEGENDISKURS AUS DER PERIPHERIE

Eine wesentliche kulturell-politische Trennlinie war raumlich definiert

und verlief zwischen dem imperialen Konstrukt Galizien einerseits sowie den osterreichischen und bohrnischen Landem andererseits. Die >Erfindung< der habsburgischen Provinz beruhte neben der rnilitari­schen Eroberung auf der bürokratischen Neuordnung des Territoriums. Aus der Perspektive einer hegemonialen deutschen Kulturrnission

wurde in den J ahrzehnten nach 1772 die habsburgische Herrschaft durch ein selbst proklarniertes Entwicklungsprogramm gerechtfertigt, das Galizien den westlichen Regionen des Reichs - insbesondere den bOhrnischen Landem- annii.hem sollte. (Wolff 2004; Maner 2007, 30-61)

Als ein wesentliches Element des imperialen Zivilisierungsdiskur­ses fungierten koloniale Raumanalogien - so verglich die aufgeklarte Bürokratie im spaten 18. und frühen 19. Jahrhundert Galizien rnit

Amerika (Beer 1899, 90-93; Hacquet 1790, 192; Bredetzky 1812, 22, 58), Indien (Hacquet 1790, 189) und Sibirien (Bredetzky 1812, 62). Die Persistenz dieser Etiketten verweist auf das Scheitem des vom im­

perialen Zentrum aus implementierten Entwicklungsparadigmas. Doch erst nach der Jahrhundértrnitte erfuhr der imperiale Kolonisierungsdis­kurs eine Antwort aus der Peripherie.

In seinem im Jahr 1853 erstmals in Paris erschienenen und ein hal­bes Jahrhundert spater in Krakau/Kraków neu aufgelegten Buch über

GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 135

Krakau und Galizien unter osterreichischer Herrschaft schrieb der kon­

aervative Joumalist und spatere rornisch-katholische Priester Waleryan Kalinka (Kieniewicz 1964-65; Kargol 2007, 49; Chwa1ba 2005, 489f.) die Verantwortung für die okonomische Misere der Wiener Regierung

[die diesen schonen Boden in einen Markt der Fabrikanten, in eine Kolonie der

Oaterreichischen Provinzen verwandelte. Jedes industrielle Streben in Galizien

lit für die deutschen Produzenten des Kaiserreiches ein Verlust, jede Produkti­

die die Bedürfnisse der Bürger decken würde, wurde also in Galizien ver­

boten, da diese Bedürfnisse von den osterreichischen Fabrikanten gedeckt

pü(knl} zienú~ na targ fabrykantów, na koloni~ austryackich

zanúenil. Wszelkie usilowanie przemyslowe w Galicyi, jest

uazczerbkiem dla producentów nienúeckich w Cesarstwie, wszelka zatem

produkcya byla dla Galicyi zakazana, która pokrywala potrzeby núeszkanców,

111pakajane zwykle fabrykantanú austryackinú.« (Kalinka 1898, 254f.)

nkas W ahmehmung begriff Galizien als Element der innerhabs­

""'•'""'11'-'11 Arbeitsteilung, die durch den Staat hergestellt, verrnittelt aufrechterhalten wurde - po1itische Fremdherrschaft wurde zur

für das unvorteilhafte Wirken okonornischer Konkurrenz er­Entgegen dem aufklarererischen Koloniediskurs setzte Kalinka

Etikett Kolonie als Leitkategorie eines Gegendiskurses aus der im­Peripherie ein. Mit dieser Umkodierung der Sprache des im­Zentrums ging eine raumliche Abgrenzung einher, indem Ga­

in Opposition zu dem >westlichen< Teil der Monarchie gesetzt der auch Dalmatien einschloss, wornit eine nationale Dichoto-

einherging (»die deutschen Produzenten des Kaiserreichs«). Oass Kalinkas Kolonienarrativ acht Jahrzehnte nach der Etablie­

der habsburgischen Herrschaft über Galizien Eingang in den of­Diskurs fand, verweist auf dessen spezifischen zeitlichen

~Kontext. Insbesondere die sich verschlechtemde okonornische Lage im an die Krisen nach Ende der Napoleonischen Kriege wirkte

als Katalysator. Bereits 1842 formulierte Michal Wisniewski in je!ner in Posen/Poznatí erschienenen statistischen Skizze Galiziens vtele Kritikpunkte (W[isniewski] 1842, 35, 109f.), die sich über ein Jlbrzehnt spater fast wortgleich bei Kalinka wieder finden, jedoch ins-

durch die 1848 besch1ossene Grundentlastung eine vollig MUe StoBrichtung bekamen.

Obwoh1 er der bürgerlichen polnischen Nationa1bewegung ange­htlrte, die sich für eine G1eichberechtigung der Bauem einsetzte (Kie­niewicz 1964-65, 450; Fras 1997, 17-22), vertrat Kalinka die Position

der adeligen GroBgrundbesitzer. Er wies nicht nur die Kritik an der Leibeigenschaft zurUck, sondem meinte sogar, diese sei für die oko­

nomische Entwicklung notwendig gewesen, wahrend sie die Bauem nicht a1s drUckend empfunden hiitten. (Ka1inka 1898, 203f., 212) Diese Einstellung mag in der von der habsburgischen Verwaltung unterstütz­ten Bauemrevo1te von 1846 wurzeln, die zum Scheitem des Aufstands der po1nischen Nationa1bewegung nicht unwesentlich beitrug. (Stau­ter-Ha1sted 2001, 1-4; Struve 2005, 46)

Entgegen der sozia1en Realitiit wurden die untemehmerischen lnte­ressen des Adels mit dem regionalen Gemeinwohl g1eichgesetzt. Ka­linkas Ko1onienarrativ, das auf der okonomischen Dichotomie zwi­schen imperia1en Zentren und Galizien fuBte, verdeckte die sozialen Gegensatze innerha1b der regionalen Gesellschaft - wahrend die Elite der Provinz den habsburgischen Staat a1s Machtkonkurrent wahmahm,

sahen die Bauem seit den josefinischen Reformen in den Behéirden ei­

ne - wenn auch begrenzte - Schutzinstanz, die die Begehrlichkeiten der Grundherren eindammte. (Rosdo1sky 1992; Struve 2005, 74, 76f., 118f.)

Die suggerierte Homogenitat der raumlichen Kategorie Kolonie b1endete die in das Konstrukt eingeschriebenen sozia1en Positionen und Interessen aus. Bei Kalinkas Ausbeutungsnarrativ handelte es sich folg1ich um einen konservativen Elitendiskurs, der sich gegen die Machtzentren des lmperiums richtete und (wirtschafts)politischen

Handlungsspielraum für die galizische Führungsschicht einforderte. Mit der Umwandlung der Habsburgermonarchie in den Doppel­

staat Osterreich-Ungarn und der Verabschiedung der Dezemberverfas­

sung des Jahres 1867 in der osterreichischen bzw. cisleithanischen Reichshlilfte verschob sich diese diskursive Formation. Der galizisch­polnische Ade1, der im Zuge seines Paktes mit der Wiener Zentrale und der partiellen Dezentralisierung der Kompetenzen an der Aus­übung von Macht sowohl im Kronland Galizien se1bst als auch im po­

litischen Zentrum beteiligt wurde, passte sich der Termino1ogie des lmperiums an. (Binder 2005, 29-31; Maner 2007, 136f.)

GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 137

So bezeichnete eine Adresse des galizischen Landtags anden Kai­

ler im Jahr 1866 die Monarchie als »Schutzwehr der Civilisation des Westens« und erklarte weiter, »im Glauben an die Mission Osterreichs und im Vertrauen auf die Stabilitat der Reformen, welche das kaiserli­

che Worl als unabanderliche Absicht aussprach, [ ... ] dass wir treu Eu­rtr Majestat zur Seite stehen und stehen wollen«. (Maner 2007, 136f.)

Demgegenüber holten polnisch-galizische bürgerliche Politiker das

Clkonomische Ko1onienarrativ spatestens ab den 1880er Jahren in den Diskurs zurUck und brachten es implizit gegen das konservative Ar­

,angement zwischen kaiserlichem Thron und ade1iger Landese1ite in ltellung. Tadeusz Rutowski, Joumalist und spater auch Abgeordneter

galizischen Landtags (Kieniewicz 1991-92; Kramarz 2001) erklar-

1883 mit unübersehbaren Anlehnungen an Kalinka:

der Teilung war Galizien ein Exploitationsterrain für etliche westliche

Provinzen - die >Erblande< der osterreichischen Krone. Das Verh!lltnis Gali­

zqr Monarchie war ebenso wie das Verhaltnis Ungarns nach 1848, wie

_..,,.,tige der neu erworbenen Uinder im Süden der Monarchie, die Beziehung

Kolonie zum >Mutterlande<.]

chwili zaboru, Galicya byla uwai:ana, jak:o teren eksploatacyjny dla kilku

prowincyj, >krajów dZiedzicznych< korony rak:uzkiej. Stosunek

do monarchii byl tak: samo, jak stosunek W~gier po r. 1848, jak:

IWonabvtvch krajów na poludniu monarchii, stosunkiem kolonii do kraju

do >Mutterlandu<.« (Rutowski 1883a, 49f.)

_. .. 1111!\~ erweiterte Rutowski Ka1inkas galizischen Partikularismus

Postulat eines habsburgischen Binnenko1onialismus, der Ungarn implizierte wie das 1878 okkupierte, aber noch nicht annektier­

Bosnien-Herzegowina, wahrend die Tschechen weder a1s Herr­noch als UnterdrUckte in Erscheinung traten.

Diese kolonia1e Se1bstwahmehmung war im Milieu der galizischen qerlichen Demokraten weit verbreitet. Der 1880 nach Ga1izien zu-wanderte Erdolindustrielle Stanislaw Szczepanowski setzte Galizien

dem britisch beherrschten Indien gleich (Szczepanowski 1888, wllhrend der Lemberger lndustrielle Leopold Lityñski im Jahr im Zusammenhang mit Galiziens AuBenhande1sstruktur von »af­

Verha1tnissen« (afrykaúskie stosunki) sprach. (Lityñski .59) Der an der Krakauer Jagiellonen-Universitat lehrende Wirt-

38 1 KLEMENS KAPS

schaftshistoriker Franciszek Bujak wiederum ortete 1910 eine »Kolo­

nisierung der fremden Industrie« (kolonizacyy przemyslu obcego ), wo­

runter er die »Einführung fremder Fabrikanten und Meister anstelle

fremder Fabrikate« (sprowadzenie obcych fabrykantów i majstrów,

zamiast obcych fabrykatów) verstand. (Bujak 1910, 315)

Diese Kritik, die eine Reaktion auf die sich formierenden Kartelle

und die nach Galizien flieBenden Kapitalinvestitionen darstellte, defi­

nierte das Fremde und das Eigene ausschlieBlich aus einer galizischen

Perspektive und transzendierte den politischen Rahmen der Habsbur­

germonarchie. Dieser starke Regionalbezug markiert gleichzeitig die

Intemationalisierung von Kapitalstromen, Handel und Migration in der

zweiten Hiilfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg.

Aber auch in anderen sozio-ethnischen Milieus wurde Galiziens

prekare okonomische Lage auf einen kolonialen Status zurückgeführt.

So begründete Vjaceslav Budzynovs'kyj auf dem Gründungskongress

der Ruthenischen Radikalen Partei im Jahr 1890 die Schaffung eines

ruthenischen Staats in Ostgalizien damit, dass nur so die Armut über­

kommen und die wirtschaftliche Entwicklung Galiziens vorangebracht

werden konne, da gegenwartig die westlichen Provinzen der Habsbur­

germonarchie, besonders Wien und Bohmen, Galizien ausbeuten wür­den. (Potul'nyts'kyj 2005, 92f.)

Zwei Jahrzehnte spater schrieb das »Yiddishe Vochenblat«, nach

den Planen der osterreichischen Regierung solle »Galizien offenkun­

dig so weit als moglich ein Agrarland bleiben und die osterreichischen

Waren, die in den anderen Provinzen erzeugt werden, dort einen guten

Absatz erhalten [ ... ]« (velche vil befeyeresh az Galitsien zol ferbley­

ben vi veyt meglich a Land fun Agrikultur, un die estreychishe Skhoy­

rot velche veren produtsirt in ihr Provintsen solen dort kriegen a guten

Obzots; Yiddishes Vochenblat, 6. August 1909, zit. nach HOdl 1991, 19).

Die Fokussierung der emeut vorwiegend okonomisch gefassten

Raumdichotomie zwischen Galizien und den westlichen Regionen der

Monarchie richtete sich implizit gegen die Partizipation der Regional e­

liten in der cisleithanischen Regierung, wie nicht nur die diesbezügli­

che Kritik Rutowskis und Szczepanowskis belegt. (Rutowski 1883h,

7f., 11; Szczepanowski 1888, VIII, X-XI, XVII, 160) So bezeichnete

Adolf Gross, Gründer und Vorsitzender der »Partei der Unabhangigen

Juden« (Partia Niezawislych Zydów), bei einer Debatte im Abgeord­

netenhaus in Wien am 3. Juli 1907 Galiziens politisch-institutionellen

GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 139

Nhlltl~ 11is »cin System von Asien«: »Galizien ist kein ebenbürtiges

Ktnttl1111d d1~s üsterreichischen Gesamtstaates [ ... ], wir bekommen

ftltl'h 1 hlt·n cincn Gouvemeur und der hat wie der Vizekonig in Indien

IU tu·hulh·n und zu walten« (Stenografische Protokolle des Abgeordne­

lftthlllt\t'.\ ,¡,,,,. Reichsrats, 7. Sitzung der 18. Session am 3. Juli 1907,

J, ~HIJ. t.it. nach Maner 2007, 154; zu Gross: Binder 2005, 158).

!l.nl¡,!t'gcn dcr formell-institutionellen Gleichberechtigung Galiziens

tmlcl dt•nt von den Landeseliten vertretenen »Autonomie«-Diskurs

(llhltlt•t 21lll(l, 242-244, 252, 258, 261-264) setzte ein Krakauer Politi­

Mr IIU~ t•incm ethnisch subalternen und politisch marginalisierten Mi­

U... t'illt' Kolonialmetapher ein, die zunachst die habsburgische

Prttmlhnrschart attackiert, jedoch damit untrennbar auch den loyalen

lut'll dt•r galit.isch-polnischen Landeseliten ins Visier nimmt. Dies

fl*lhl du· Kalcgorie der Kolonie bzw. die kolonialen Raumanalogien,

Jlt dt~lll'll < ializiens Status in der Habsburgermonarchie bedacht wur-

8, llldtl 11ur zu einer sozio-politischen Metapher im Konflikt zwi­

Whfll Adl'l u11d Bürgertum, sondem darüber hinaus auch zu einem so­

JitHIIIuusl'it kodierten Begriff, der die Dominanz der polnisch­

~pll11-dll'll !<:lite angreift, die nach 1867 als Reprasentant der habsbur­

fltlhl•ll llnrschaft in Galizien fungierte.

hu illlpl'l'ialcn Zentrum hingegen überwog demgegenüber die

tfthnH•hlllllltg von Galiziens angeblicher Dominanz. Nicht nur Kron­

kudoll sah Galizien im Jahr 1880 als »Teil Polens«, der »kaum

lllk ci n von bsterreich regiertes Kronland bezeichnet werden

!Siwdt'i 1999, 31). Nur zwei Jahre spater forderten die Deutsch-

1111'11 i111 1 ,inzer Programm die Abtrennung Galiziens von der

ll¡,tt'llllonarchie, um die Hegemonie der Deutschen zu wahren.

.'007. 147) In den 1890er Jahren war der antipolnische Diskurs

Ul~rh11ationalen Milieu fest etabliert. (Shedel 1999, 36f.) Die An­

t•im·s Tcils der Machtspharen des politischen Zentrums durch

lllllliM·he Rcgionalelite rief eine Nationalisierung der um ihre He­

mil• lllrdlll~ndcn herkümmlichen imperialen Eliten hervor: Für die

tuh·ru11g l'incr Ausweitung der Reichseliten waren diese sogar

f!lllllt•llt•n Aulgabe der imperialen Raumordnung bereit. Diese

l!'hiiHIHg rcichte weit in andere deutschsprachige Milieus hinein

hlllh' t•rm·ut cine okonomische Dimension: Der Wiener Publizist

1 .t•lthuer hchauptete 1899, Galizien hemme den Fortschritt der

Wllllhdll'll Kronllindcr. (Leichner 1899, 1)

40 1 KLEMENS KAPS

GEGENREZEPTE UNO IHR SCHEITERN: VERWESTLICHUNG UNO ZIVILISIERUNG

Spiegelverkehrt zu der subalternen Selbstwahmehmung der galizi­schen Gesellschaft verlief ein Diskursstrang, der durch Anschluss an die >Zivilisation<, oft auch mit den Pradikaten westlich bzw. europa­isch versehen, eine Aufhebung der georteten Dichotomie proklamierte. Noch im Jahr 1863 wehrte sich die sozialkritische Lemberger Zeit­schrift »Praca« gegen den Zivilisationsdiskurs, da diese Zivilisation

»unser Denken und unsere Tatigkeit und unser Geld auf verderbliche, falsche und nicht natürliche Wege führt« (bo ona i mysl i czynnosé

nasze, i pieni<!dze nasze sprowadzi na drogi zgubne, falszywe i niena­turalne; Praca 119 10 lipca 1863). Diese Position war für die 1850er und 1860er Jahre charakteristisch, als man die im westlichen Aus1and dominanten Sozial- und Wirtschaftsmodelle als eine Bedrohung kon­servativer Werte und Sozialformen ansah. (Jedlicki 1999, 154f.)

Dies anderte sich mit der erwahnten Integration der galizisch­polnischen Eliten in das Zentrum der Habsburgermonarchie und der Etablierung einer Allianz aus Romantizismus und Positivismus, der sogenannten »Organischen Arbeit« (praca organiczna): Zivilisation wurde zu einem diskursiven Leitcode. (Jedlicki 1999, 210, 216, 226)

Tadeusz Rutowski schwarmte 1883 von der Industrie, »dieser moder­nen Macht, die [ ... ] für die Hebung [ ... ] der Zivilisation« (pott(gt( nowoczesn'! która [ ... ] na podniesienie [ ... ] cywilizacyi; Rutowski 1883a, 10) unabdingbar sei. Fünf Jahre spater konstatierte Stanislaw Szczepanowski trocken:

[Unabhangigkeit beruht auf der Beziehung von Mitteln zu Bedürfnissen. Wir

saben eben, dass wir in Bezug auf die Bedürfnisse zu Europaern geworden

sind. Wir haben bereits europaische Bedürfnisse, nur sind wir noch nicht im

Stande, dieselben Mittel zu finden, mit denen andere zivilisierte Vi:ilker ihre

Bedürfnisse decken.]

>>Niezaleznosé ta polega na stosunku srodków do potrzeb. Otóz widzielismy,

:le codo potrzeb stalismy siy Europejczykami. Mamy juz potrzeby europejskie,

tylko nie umiemy jeszcze odszukaé tych samych srodków, jakimi inne ludy

ucywilizowane pokrywajq swoje potrzeby.« (Szczepanowski 1888, 67)

GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 141

l•.lw11so wie >Kolonie< markierte auch das Bedeutungsfeld >Zivilisati-

1111· vnschiedene Modelle sozialéikonomischer Transformation. Wand­tt· sich dcr Autor des Artike1s in der >>Praca« 1863 vor allem gegen die lll'gativcn Fo1gen ungleicher Handelsbeziehungen, so versuchten zwei

luhrlehnte spater die bürgerlichen Demokraten Rutowski und Stu.cpanowski ein Industrialisierungsprogramm ins Leben zu rufen, du~ diesen Zustand tatsachlich auch verandem würde.

1\ llerdings verstanden sie gerade unter der Industrialisierung

Sd1allung von und Annaherung an >Zivilisation<, die sie durchwegs ul' 1 wcst)europaisches Modell verstanden, wodurch Galiziens subal­h'IIH'r Status aufgehoben werden und das Kron1and im binaren Schema dt'l i111aginierten raumlichen Trennung Europas in >Üst und West< 1111rll Wcsten rücken würde. Der im Artikel der >>Praca« erkennbare N11tivismus - die Abschottung vor auBeren Einflüssen - war einem llt'llt'll l Jmgang gewichen, der die Offnung gegenüber dem AuBeren als S1111 k1111g im Inneren nützen wollte.

1 >ic 1880er Jahre waren eine wichtige Sattelzeit, in der entschei­dllll)!strüchtige Weichenstellungen erfolgten. Dass die proklamierten 1111d stattfindenden Anderungen in Richtung >Verwestlichung und

1 ·mt ~e 11 ri ll< eine fragmentarische Wahmehmung widerspiegelten, 11llltlltc hereits Ivan Franko in zwei Artikeln in der ukrainophilen Zei­tww ,1 )ilo« im April1884 deutlich. Darin analysiert er die zahlreichen /wangsvcrsteigerungen bauerlicher Wirtschaften zwischen 1873 und 1 HH 1 und kritisiert die Ansicht der offiziellen Statistiker Galiziens,

11111'11 dcnen im Land >>alles besser werde« (Bce rr,L\e ,[lO nirrworo; h nnko l884a, 353 ). Di es markiert die sozial und national differenzier­tt· his fragmentierte Wahmehmung éikonomischer Transformation in dt'1 l<t·gion: Für die im bauerlichen Milieu verankerten Ruthenen be­dt·utl'te diese v.a. eine spürbare Verschlechterung der wirtschaftlichen lllgt'. /\llcrdings findet sich eine kritische Wahmehmung auch im die po~itive Entwicklung betonenden Diskurs, sofem dieser >>gegen den St11l'll" (lJhl 2003, 52) gelesen wird: Ein Jahr vor dem Ersten Welt­

kt it')!. wg Franciszek Stefczyk, Direktor des galizischen Landespatro­nut-.h!lros lür Spar- und Darlehenskassen, auf einer Studienreise der .. W lt'nt·r Staatswissenschaftlichen Vereinigung« nach Ga1izien Bilanz lllll't diL~ Entwicklung des Kronlandes seit lnkrafttreten der Verfassung

\'1111 18(•7:

42 1 KLEMENS KAPS

»Nachdrücklich sol! aber betont werden, daB, wenn man die Gegenwartszu­

stiinde unserer Heimat mit denjenigen im Westen der Monarchie vergleicht,

man nicht unterlassen darf, den langen Weg abzumessen, den wir im Verlauf

von fünf, oder vielmehr von vier Dezennien autonomer Verwaltung zurückle­

gen muBten, um auf das heutige Niveau zu gelangen. [ ... ] Überblickt manden

Umschwung, der sich in Galizien wiihrend der letzten 50 Jahre vollzogen hat,

so erscheinet die Überzeugung berechtigt, daB das Land doch nicht verloren ist.

Wohl hat es wahrlich noch viel nachzuholen, um zu voller Kraft zu gelangen,

die schlimmsten Krankheiten sind aber schon überwunden. Wir sind noch nicht

so reich, wir sind noch nicht in der Kultur so vorgeschritten, wie die glückli­

cheren westlichen Liinder, wir sind aber nicht mehr ein >Volk der Bettler und

Trinker<, das Land ist kein stiindiger Seuchenherd mehr, sondern vielmehr ein

Bollwerk für die ganze Monarchie zum Schutze gegen die Pest vom Osten her.

Wir sind auch nicht mehr das klassische Land des Wuchers, sondern haben

schon angefangen, ein V olk der Sparer zu werden, ein Erfolg, der um so hi:iher

anzuschlagen ist, als unser Land geographisch einen langen, weit nach Osten

ausgestreckten Arm bsterreichs bildet und wir in dieser Lage fast von allen

Seiten politisch und wirtschaftlich isoliert und unnatürlich abgeschnitten sind,

indem wir nur durch einen schmalen Landstrich an der ostschlesischen Grenze

mit dem Westen bsterreichs zusammenhiingen.« (Stefczyk 1913, 70, 86f.)

In dieser Prasentation der Errungenschaften der galizischen Elite ge­genüber dem imperialen Zentrum sind die Fragilitat des Erreichten und die Kontinuitat der Hierarchie zwischen Galizien und den Zentralrau­men der Monarchie eingeschrieben. Dies verknüpft sich mit einer auf den Westen gerichteten raumlichen Wahmehmung, die die kulturell­okonomische Marginalisierung auf einer mental map verortete. Hinge­gen grenzte man sich scharf gegen das Russische Reich ab - und damit auch gegenüber Raumen, die aus einer nationalen polnischen Perspek­tive als Territorium beansprucht wurden. Dabei handelte es sich kei­neswegs um eine Einzelmeinung: So galt Warschau in Krakauer Krei­sen als »wild« und »asiatisch« (Wood 2006, 28), was das ZugehOrig­keitsgefühl der polnisch-galizischen Elite zum Westen unterstreicht. (Jedlicki 1999, 144)

Allerdings war diese Position in der Eigenwahmehmung fragil: Die von Stefczyk akzentuierte raumlich schwache Verbindung mit dem Westen ist ein weit verbreiteter Topos, der auch im galizisch­jüdischen Diskurs verankert war. Der jüdisch-polnische Historiker Ab­raham J. Brawer schrieb 1910 in der Einleitung zu seinem Buch über

GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 143

die wirtschaftliche Lage Galiziens am Beginn der habsburgischen Herrschaft: »Die einzige Verbindung [Galiziens] mit dem Staate, dem es jetzt angehOrt, ist nur ein schmaler Streifen, der die Provinz mit den anderen Kronlandem der Monarchie verknüpft, zugleich das einzige Fenster in die weite Welt des Westens hinaus«. (Brawer 1910, 7)

Diese Wahmehmung raumlicher Isolation Richtung Westen ist als Metapher für die Fragilitat des bescheidenen Fortschritts zu lesen, den Galizien unter der Ágide der polnisch-galizischen Elite erreicht hatte. Wenige Jahre vor dem Zerfall der Habsburgermonarchie hatte sich somit strukturell in der Hierarchie zwischen Galizien und den westli­chen Kronlandem Osterreich-Ungams nichts Substanzielles verandert.

» UNSER LAND, UNSERE WAREN, UNSER KAPITAL«- OKONOMISCHE ABGRENZUNG DER REGION NACH AUSSEN

Diesen Narrativen, die wechselseitig die subalterne Position gegenüber den westlichen Regionen Osterreich-Ungams kritisierten oder durch Anpassung aufheben wollten, folgten konkrete Grenzziehungen in den cinzelnen okonomischen Spharen, von denen Waren und Kapital, Konsum und Investitionen besonders wesentliche Bereiche darstellten.

Kalinkas Kritik an der Arbeitsteilung beruhte wesentlich auf den ungleichen Tauschbeziehungen. Auch der erwahnte Artikel der »Pra­ca« vom Juli 1863 wandte sich gegen den Eisenbahnbau, da dadurch fremde Waren importiert würden, die die heimische Produktion ver­drangten. Als Ausweg wurde die Beschrankung des Imports gefordert, bis sich in Galizien eine wettbewerbsfahige Gewerbe- und Industrie­produktion entwickelt hatte. Die Chancen, die sich durch den Export der galizischen Rohstoffe und landwirtschaftlichen Produkte ergaben, stehen in dieser Wahmehmung hinter den Nachteilen weit zurück. (Praca I/9 10 lipca 1863, 69)

Dieses vorwiegend negative Schema des Handels und damit des Konsums war ein Kontinuum des galizischen Diskurses - und stützte sich auf einen breiten Konsens, den beispielsweise Rutowski, Szcze­panowski, Lityríski, Budzynovs'kyj und das »Yiddishe Vochenblat« lcilten (siehe oben sowie Szczepanowski 1888, 62, 124, 126). Aller­dings blieb die geforderte Regionalisierung des Konsums eine nie ein­gelOste Forderung. Noch im Jahr 1907 schrieb der »Tygodnik Po-

44 1 KLEMENS KAPS

dolski«: >>Leider! Wir beschweren uns über Armut und Elend und da­

bei schaffen wir es, das hart erarbeitete Geld für den Kauf auslandi­scher Waren ins Ausland zu schicken« (Niestety! Narzekamy na bied~t i n~tdz((, a przy tym umiemy ci~tzko zapracowany grosz wyslaé za

granic((, kupuj'!c zagraniczne towary; Chwalba 2005, 510). Franciszek Bujak konstatierte drei Jahre spater: >>Zweifellos ware

es eine sehr wünschenswerte Sache, dass wir unsere Konfektkonsum­ption sowohl für Herren als auch für Damen aus eigener Massen­

produktion zu decken im Stande waren« (Niew'!tpliwie byloby bardzo

po:l<!dan'! rzecz'!, abysmy nasz'! konsumcy(( konfekcyi zarówno m~ts­kiej jak i damskiej potrafili wlasn'! masow'! produk:cy'! zaspakajaé; Bujak 1910, 454). Die mit dem zunehmenden überregionalen Waren­handel sich verscharfende Konkurrenz rief den Wunsch nach einer starkeren okonomischen Abgrenzung Galiziens hervor. Dass diese Forderung bis zum Zerfall der Habsburgermonarchie nicht eingelOst werden konnte, ak:zentuierte Galiziens subalterne Position aus Sicht

der regionalen Akteure. Etwas anders verhielt es sich mit dem Kapital, dessen Ankunft in

der Region a1s wesentlicher Faktor für den Aufbau von Industriebe­trieben erwünscht war. Ein Jahrzehnt, nachdem nach der Weltwirt­schaftskrise von 1873 Kapital aus den osterreichisch-ungarischen Zen­tren, Westeuropa und Nordamerika nach Galizien zu stromen begon­nen hatte, zog Tadeusz Rutowski zufrieden Bilanz:

[Das fremde Kapital hat uns gernieden als ein Land, in dem nichts geht. Heute

steht jedoch rnit dem Eisenbahnnetz ein groBer Teil des Landes für Industrie

und Handel offen. [ ... )Die Stufe der wirtschaftlichen Reife des Landes und der

Grundbesitzer hat sich etwas gehoben. Und dennoch ist der Preis für Boden,

Arbeiter und Baumaterialien usw. weit niedriger als in den westlichen Kron­

Hlndern. Die Industriekapitalisten der westlichen iisterreichischen Provinzen

müssen sich daher doch an uns wenden, an ein Land, dessen Zeit für eine ge­

wisse wirtschaftliche Entwicklung, den Übergang der Landwirtschaft in den

Stand einer intensiven Bewirtschaftung und die Entstehung der Landesindust­

riekommt.]

>>Übcy kapital stronil od nas, jak od kraju, w którym ni e sift nie powodzi. Dzis

jednak sieé kolei zelaznych, wielka CZftSé kraju zostaje otwart~ dla przemyslu i

handlu. [ ... ) Podniósl sift nieco stopieú dojrzalosci ekonornicznej kraju i

ziernian. A przeciez ceny zierni, robotnika, surowego materyalu budowlanego

GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 145

itd., s~ daleko nizsze, niz w krajach zachodnich. Kapitalisci-przemyslowcy

zachodnich prowincyj austryackich, musz~ sift WÍftC nareszcie zwrócié do nas,

jak do kraju, na który nareszcie przychodzi czas jakiegos rozwoju ekonornicz­

nego, przejscia rolnictwa w stan gospodarstwa intensywnego, powstania

krajowego przemyslu.<< (Rutowski 1883c, 117)

Entsprechend des positivistischen Fortschrittsoptimismus wurde in den

frühen 1880er Jahren genau das erwartet, was schlussendlich nicht ein­lrat: der Aufbau einer nachhaltigen Industrie, >>nach westeuropaischem Muster«, wie Franciszek Bujak es noch 1910 forderte. (Bujak 1910, 2lJ4)

Von Beginn an trafen die extemen Investitionen in Galizien auf kriti­

sche Stimmen. Ein wichtiges Konfliktfeld stellte die Erdülfürderung dar, wohin die meisten Kapitalinvestitionen flossen. In den Debatten im galizischen Landtag (Sejm) um die Regelung der Eigentumsrechte

llinsichtlich der Erdülfürderung meinte der ruthenische Abgeordnete und Anwalt Vasyl' Koval's'kyj am 16. Januar 1874, der Naturreich­lum Galiziens sei bei den polnischen GroBgrundbesitzem am besten aufgchoben. Auslandische Investoren würden galizisches Ól fürdem, 1's aher in Amerika raffinieren und Galizien dann verkaufen, wovon

die Region keinen Nutzen habe. In der gleichen Sitzung gab ein weite­rn ruthenischer Abgeordneter, der Geschichtslehrer Mykola Antone­vyc, zu Protok:oll, in einer derartigen Situation >>würde unser Land wie ~·ine ausgequetschte Zitrone übrig bleiben, und die GroBgrundbesitzer wlirdcn in Armut und Elend geraten«. (Frank 2007, 70)

Bcide Politiker appellierten an die von den polnischen GroBgrund­ll('silzcrn dominierte Abgeordnetenmehrheit im galizischen Sejm, um

iiJrc cigene Klientel - die ruthenischen Bauem - zu schützen. Denn dwscn drohte die Verdrangung aus der Erdülfürderung, indem k:apital­k 1 :ilt igc, mit Technologie und Managementfertigkeiten ausgestattete ¡·xtnnc Untemehmen nicht nur effizienter produzierten, sondem auch

i1111' ( iründe erwarben. Damit wurden sie anders als bei einer Verpach-11111¡>. des Bodens- wie es die GroBgrundbesitzer praktizierten- am Er­lo' dn Erdülfürderung nicht beteiligt. (Bujak 1910, 159, 166)

1 kr Appell blieb wirkungslos, 1884 wurde die Rechtslage im Sin-111' dn (]roBgrundbesitzer geregelt. Durch die Umkrempelung des Pro­

dllktions- und Verarbeitungsprozesses in der Erdolbranche zerbrach I!'IH' /\llianz aus jüdischen Kleinbesitzem, ruthenischen Bauem und

46 1 KLEMENS KAPS

polnischen Grundbesitzem, die bis dato die galizische Erdolforderung

gelenkt hatten. (Frank 2007, 71-74) Die Befürchtungen der rutheni­

schen Abgeordneten bestatigte drei Jahrzehnte spater ein Bericht von

Wilhelm Horoschowski in der »Ruthenischen Revue« über die Zu­

sUinde des ErdOlgeschafts in Boryslaw/Boryslav, einer der wesentli­

chen Forderstiidte im ostgalizischen ErdOlbecken (Horoschowski

1904 ). Der Bericht zeichnet ein Bild soziookonomischer Konflikte

zwischen den ethnischen Gruppen in der Region selbst, betont aber die

Allianz der traditionellen lokalen Elite (des polnischen Adels und sei­

ner jüdischen Vermittler) mit dem >Ausland<.

Der gemeinsame Bezug auf >unser Land< war verschwunden. Das

in der ErdOlindustrie investierte exteme Kapital beeinflusste Nationali­

sierungsprozesse der galizischen Gesellschaft, indem dadurch die nati­

onal gefasste polnische Industrie etabliert werden konnte, die für die

Ruthenen eine Konkurrenz und Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Exis­

tenz darstellte. Die Verbindung von >polnisch< rnit >Ausland< verstark­

te die diskursiven Binnendifferenzen zwischen galizischen Ruthenen

und Polen.

Explizite Kritik am Kapitalimport kam jedoch auch von polnischer

Seite. Bereits Stanislaw Szczepanowski verwies auf die negative Zah­

lungsbilanz Galiziens und forderte vermehrte Sparsamkeit der einhei­

mischen Bevolkerung. (Szczepanowski 1888, 62-64, 67) Dementspre­

chend setzte er auf eine Mobilisierung der >polnischen Nation<- wirt­

schaftliche Entwicklung sollte dabei als Basis für die politische Unab­

hiingigkeit dienen, wofür es notwendig sei, sich vom >Deutschtum< zu

befreien, da die Polen von den Deutschen genug >gelemt< hatten. Da­

rnit legitimierte Szczepanowski retrospektiv den germanisierenden Zi­

vilisierungsdiskurs der habsburgischen Bürokratie des spaten 18. und

frühen 19. Jahrhunderts, was wiederum mit der an Europa orientierten

Zivilisierungsmission korreliert, die Szczepanowski proklamierte.

(Szczepanowski 1888, 180, 187) Drei Jahrzehnte spater hatte nicht nur das AusmaB des in Galizien

engagierten extemen Kapitals, sondem auch die Kritik daran deutlich

zugenommen:

[Durch den Massenkonsum fremder Industrieerzeugnisse, durch den Zufluss

fremden Kapitals und fremder Elemente in Industrie und Handel, durch die

Erwerbsemigration geraten wir schrittweise immer mehr in die wirtschaftliche

Abhangigkeit von Fremden. Die fremde politische Beherrschung wird durch

GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 147

eine iikonomische erganzt; die Fremden regieren uns nicht nur, sondern weisen

uns an, für sie zu arbeiten, direkt als ihre Lohnarbeiter im In- und Ausland und

i ndirekt als Konsumenten ihrer Industrieerzeugnisse. lnfolgedessen lasst unsere

Sclbststandigkeit und kulturelle Einheit [ ... ] nach [ ... ] und immer deutlicher

droht ihr ein Zerrinnen in Hinsicht auf das Überfluten durch die fremden kultu­

rellen Organismen.]

,J>rzez masow~ konsumpcyy obcych wyrobów przemys!owych, przez przy­

plyw obcego kapita!u i obcych elementów przemys!owych i handlowych, przez

t'lnigracy~t zarobkow~ stopniowo coraz bardziej popadamy w zaleznosé gospo­

darcz~ od obcych. Obce w!adztwo polityczne uzupe!nia SÍ\! ekonomicznem;

"J,,·y nie tylko nami rz~dz~. ale i na siebie kaz~ nam pracowaé, wprost jako

.. wym najemnikom w kraju i zagranic~ i posrednio jako konsumentom ich

'' vrohów przemys!owych. Wskutek tego nasza samodzielnosé i jednosé kultu-

1 :tina. pozbawiona kolejno w!asnego panstwa, w!asnego terytoryum i wlasnej

<Hranizacyi spo!ecznej maleje, rozprz~tga si~t i coraz wyrazniej grozi jej rozp!y-

111\'<"lt' si9 wzgl~tdnie zalew przez obce organizmy kulturalne.<< (Bujak 1910,

1111

111 dicser Kritik manifestiert sich die Verdichtung von Konsum und

1\apitalimporten zu einem Bild allgemeiner extemer Abhangigkeit und

dt'l daraus erwachsenden Angst, sowohl die okonomische als auch kul­

ltlll'llt· l·:igenstandigkeit zu verlieren. Emeut zeigt sich, wie Konkur-

11'11/ twischen Raumen starke Auswirkungen auf regionale und viel-

1111'111 11och nationale Identitat nach sich zieht.

< lt·¡•L'tli.iher diesen skeptischen Stimmen, die Kontrollverlust und

1 h·wtllllahrluss ins Ausland befürchteten, gab es jedoch auch eine dif­

lt'll'llllt'l"ll' his positive Beurteilung des extemen Kapitalengagements

111 < iulllit·n. Dies betraf jene Banken und industriellen GroBbetriebe,

dll· 1111 i\usweitung ihrer Aktivitaten, aber auch zum Mithalten mit der

l'~lt'llll'll Konkurrenz Kapital benotigten. Insbesondere der Aufbau von

ltllltt'>ll íchranchcn war ohne Kapitalzufluss gar nicht zu bewerkstelli-

11"" 1 k1 Tt·xtiluntemehmer, Professor und spatere Rektor des Lember­

ll''' 1 '1 >1 vlt·vhnikums, der 1868 in Warschau geborene Stanislaw An­

' 1\1 . '>dllwh 1903:

lllh1"'lti "h 111ir am meisten wünschen würde, dass die bei uns entstehende

h>•llllndll.,lllt' sorort polnisch ware, scheint es mir, dass dies nicht ohne die

J:iftlllllltiiiF lll'llldn Elcmente ablaufen kann, weil uns vor allem daran liegt,

46 1 KLEMENS KAPS

polnischen Grundbesitzem, die bis dato die galizische Erdi:ilfi:irderung gelenkt hatten. (Frank 2007, 71-74) Die Befürchtungen der rutheni­schen Abgeordneten bestatigte drei Jahrzehnte spater ein Bericht von Wilhelm Horoschowski in der >>Ruthenischen Revue« über die Zu­stande des Erdi:ilgeschafts in Boryslaw/Boryslav, einer der wesentli­chen Fi:irderstadte im ostgalizischen Erdi:ilbecken (Horoschowski 1904 ). Der Bericht zeichnet ein Bild soziookonomischer Kont1ikte

zwischen den ethnischen Gruppen in der Region selbst, betont aber die Allianz der traditionellen lokalen Elite (des polnischen Adels und sei­

ner jüdischen Vermittler) mit dem >Ausland<. Der gemeinsame Bezug auf >unser Land< war verschwunden. Das

in der Erdolindustrie investierte exteme Kapital beeinflusste Nationali­sierungsprozesse der galizischen Gesellschaft, indem dadurch die nati­

onal gefasste polnische Industrie etabliert werden konnte, die für die Ruthenen eine Konkurrenz und Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Exis­

tenz darstellte. Die Verbindung von >polnisch< mit >Ausland< verstark­te die diskursiven Binnendifferenzen zwischen galizischen Ruthenen

und Polen. Explizite Kritik am Kapitalimport kam jedoch auch von polnischer

Seite. Bereits Stanislaw Szczepanowski verwies auf die negative Zah­

lungsbilanz Galiziens und forderte vermehrte Sparsamkeit der einhei­mischen Bevolkerung. (Szczepanowski 1888, 62-64, 67) Dementspre­

chend setzte er auf eine Mobilisierung der >polnischen Nation<- wirt­schaftliche Entwicklung sollte dabei als Basis flir die politische Unab­hangigkeit dienen, wofür es notwendig sei, sich vom >Deutschtum< zu befreien, da die Polen van den Deutschen genug >gelemt< hatten. Da­mit legitimierte Szczepanowski retrospektiv den germanisierenden Zi­vilisierungsdiskurs der habsburgischen Bürokratie des spaten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, was wiederum mit der an Europa orientierten Zivilisierungsmission korreliert, die Szczepanowski proklamierte. (Szczepanowski 1888, 180, 187)

Drei Jahrzehnte spater hatte nicht nur das AusmaB des in Galizien

engagierten extemen Kapita1s, sondem auch die Kritik daran deutlich zugenommen:

[Durch den Massenkonsum fremder Industrieerzeugnisse, durch den Zufluss

fremden Kapitals und fremder Elemente in Industrie und Handel, durch die

Erwerbsemigration geraten wir schrittweise immer mehr in die wirtschaftliche

Abhiingigkeit von Fremden. Die fremde politische Beherrschung wird durch

GALIZISCHE MODERNISIERIJNII:.IJIId•llll'd 1 ·11

L'ine i.ikonomische ergiinzt; die Fremden regieren uns nicht nur, sondcm wcisl'll

uns an, für sie zu arbeiten, direkt als ihre Lohnarbeiter im In- und Ausland und

i ndirekt als Konsumenten ihrer Industrieerzeugnisse. Infolgedessen liisst unsere

Sclbststiindigkeit und kulturelle Einheit [ ... ] nach [ ... ] und immer deutlicher

Jroht ihr ein Zerrinnen in Hinsicht auf das Überfluten durch die fremden kultu­

rcllen Organismen.]

»Przez masowi} konsumpcyt< obcych wyrobów przemyslowych, przez przy­

plyw obcego kapitalu i obcych elementów przemyslowych i handlowych, przez

cmigracyt< zarobkowi} stopniowo coraz bardziej popadamy w zaleznosé gospo­

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obcy nie tylko nami rzi}dZi}, ale i na siebie ka:i:i} nam pracowaé, wprost jako

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wyrobów przemyslowych. Wskutek tego nasza samodzielnosé i jednosé kultu­

ralna, pozbawiona kolejno wlasnego paústwa, wlasnego terytoryum i wlasnej

organizacyi spolecznej maleje, rozprzt<ga sit< i coraz wyrazniej grozi jej rozply­

nit<cie sit< wzglt<dnie zalew przez obce organizmy kulturalne.« (Bujak 1910,

III)

In dieser Kritik manifestiert sich die Verdichtung von Konsum und Kapitalimporten zu einem Bild allgemeiner extemer Abhangigkeit und

der daraus erwachsenden Angst, sowohl die i:ikonomische als auch kul­turelle Eigenstandigkeit zu verlieren. Emeut zeigt sich, wie Konkur­renz zwischen Raumen starke Auswirkungen auf regionale und viel­

mehr noch nationale Identitat nach si eh zieht. Gegenüber diesen skeptischen Stimmen, die Kontrollverlust und

Gewinnabfluss ins Ausland befürchteten, gab es jedoch auch eine dif­

ferenzierte bis positive Beurteilung des extemen Kapitalengagements in Galizien. Dies betraf jene Banken und industriellen GroBbetriebe, die zur Ausweitung ihrer Aktivitaten, aber auch zum Mithalten mit der extemen Konkurrenz Kapital beni:itigten. Insbesondere der Aufbau von Industriebranchen war ohne Kapitalzufluss gar nicht zu bewerkstelli­

gen. Der Textiluntemehmer, Professor und spatere Rektor des Lember­ger Polytechnikums, der 1868 in Warschau geborene Stanislaw An­

czyc, schrieb 1903:

[Obwohl ich mir am meisten wünschen würde, dass die bei uns entstehende

Textilindustrie sofort polnisch wiire, scheint es mir, dass di es nicht ohne die

Einführung fremder Elemente ablaufen kann, weil uns vor allem daran liegt,

48 1 KLEMENS KAPS

dass bei uns eine effiziente Industrie entsteht, und erst danach, dass diese In­

dustrie sofort polnisch, und nicht deutsch oder tschechisch von Anfang an ist.]

»Jakkolwiek wi~tc najgor~tcej pragnlllbym, aby powstajllCY u nas przemysl

tkacki by! odrazu polskim, zdaje mi si~t, ze si~t nie obejdzie bez wprowadzenia

zywiolów obcych, bo przedewszystkim zalezy nam na tem, aby by! u nas

racyonalny przemysl, a potem dopiero, aby ten przemysl by! odrazu polskim, a

nie niernieckim lub czeskim z poczlltku.<< (Anczyc 1903, 37)

Anczyc vertrat allerdings die Meinung, man solle alles Mogliche tun, damit sich die in Galizien niederlassenden Untemehmer polonisieren­durch Assimilation sollte nationales Kapital geschaffen werden. Aus dieser Perspektive verband sich Kapitalimport mit der polnischen Na­tionsbildung in zweifacher Weise: Ókonomisch sollte für die >Überle­bensfahigkeit< der polnischen Nation (und eines spliter zu gründenden Nationalstaates) gesorgt werden, das importierte Kapital zugleich der

Nation auch kulturell und identitlitspolitisch zugeordnet werden. An­czyc geht dabei stlirker als Rutowski von einer traditionellen Form des Kapitalimports aus, die j edoch zu der Zeit der V eroffentlichung seines Buchs immer mehr an Bedeutung verlor.

Die strukturellen Beschrlinkungen der subalternen Position Gali­ziens verunmoglichten eine stlirkere Abschottung von auBerhalb der

Region kommenden Einflüssen sowohl im Konsum als auch im Be­reich von Kapitalinvestitionen. Die oft negative Erfahrung mit exter­ner, überregionaler Konkurrenz, die wie bei Anczyc zunehmend in na­tionalen (und nicht mehr territorialen) Kategorien wahrgenommen wurde, konnte somit keine entsprechend abgrenzenden MaBnahmen nach sich ziehen, verstlirkte jedoch die identitlitspolitischen Grenzzie­hungen sowohl nach auBen als auch nach innen.

»JÜDISCHE WAREN, POLNISCHE BANKEN, MASURISCHE KOLONIEN«- ETHNISIERUNG UNO NATIONALISIERUNG IM INNEREN

Bereits in den bisherigen Ausführungen wurde deutlich, wie wenig die W ahmehmung von Konkurrenz im Raum von der W ahmehmung in

nationalen Schemata und Kategorien zu trennen ist: Aufgrund der Plurikulturalitlit der galizischen Bevolkerung war die hliufige Gleich-

GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 149

setzung des habsburgischen Kronlandes mit der polnisch dominierten

politischen, okonomischen und kulturellen Elite eine fragmentarische Wahmehmung. 1884 kritisierte Ivan Franko, dass die polnische Ge­sellschaft in Galizien »anstatt sich um das gemeinsame lnteresse von

Land und Nation, sowohl der ruthenischen als auch der polnischen, zu kümmem, begonnen habe, als lnstrument in den Hlinden bequemer >Patrioten< zu dienen<< (3aMiCTb ¡:¡6anr rrpo crriJibHe ¡:¡o6po Kparo i

Hapo.n:y, HK pychKoro TaK i IIOJibCKoro, rroqarra crryx<RTR 3a opy.n:ie B pyKax 3pyqHRX >IIaTpioTHRKiB»; Franko 1884b, 372).

Auch wenn die Wahmehmung von der Bedrohung durch überregi­onale Konkurrenz einen unbestrittenen Konsens im galizischen Dis­kurs darstellte, waren die nationalen und ethnisch-kulturellen Ein­

schreibungen in diesen so stark, dass die liuBere Abgrenzung zugleich eine innere bedingte oder verstlirkte. Auf der regionalen, innerrliumli­chen Ebene spiegelte sich somit ein Prozess von globa1er Dimension.

Deutlich llisst sich dies im Bereich des Konsums bzw. der Waren

beobachten. Lag bei dem überregionalen Verhliltnis der Fokus auf ga­lizischen vs. fremden Produkten, so ergab sich im lnneren die Mog­lichkeit weiterer Differenzierungen: So druckte die ruthenische, natio­

nalistische Zdtung »Bat'kélvscyna<< am 26. Mlirz 1886 einen Korres­pondentenbericht aus dem zentralgalizischen Bezirk Sambor/Sambir ab, in dem von »jüdischen Waren« zu lesen ist. (Bat'kélvscyna, 12, 26 Beresnja 1886, 77)

Die im Diskurs oft behauptete Übervorteilung von Bauem durch Hlindler (Tokarski 2003, 169) wurde in einem ethnisch-kulturellen Schema verortet und führte zur Etablierung der bekannten christlichen Genossenschaftsbewegung, die jüdische Hlindler zu verdrlingen ver­suchte. So beklagte ein Artikel in der zionistischen Zeitung »Die

Welt« im Jahr 1899 den Verlust des Lebensmittelverkaufs jüdischer Handler im ostgalizischen Bolechów/Bolechiv. (»Die Welt<< Nr. 16 vom 21.4.1899, 11) Ana1og verhielt sich die Sache im Kreditwesen:

Wlihrend$tanislaw Szczepanowski im Einklang mit romisch-katholi­scher und unierter (griechisch-katholischer) Kirche die Disziplinierung

der llindlichen polnischen wie ruthenischen Bevolkerung forderte (Enthaltsamkeit bei Alkoho1, Arbeitsdisziplin, Sparsamkeit), bedeutete

seine Forderung nach Assimilation der galizischen Juden ihre Ver­drlingung aus Kreditwesen, Handel und Gewerbe. (Szczepanowski

1888, 172)

50 1 KLEMENS KAPS

Wurden aus polnisch-galizischer Sicht Dominanz und Macht jü­disch-galizischer Kreditgeber und Bankiers beklagt, so findet sich die­se Wahrnehmung auf der jüdischen Seite spiegelverkehrt wieder. Ein Artikel der »Welt« übte im April 1899 scharfe Kritik an der Vor­

machtstellung des polnischen Krakauer Adels (der Staríczyken):

»Mit Hilfe einiger jüdischer Grossmiikler rissen sie [die Staúczyken] wahrend

der Zeit ihres Regimes alle wirtschaftlichen Einrichtungen, besonders aber alle

Bank- und Credit-Institute an sich. Dass diese Juden es nicht scheuten, trotz al­

ler antisemitischer [sic] Tendenzen den Staúczyken Factorendienste zu leisten,

braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. [ ... ] Sie bekamen doch ihre

entsprechende Sensarie und sonst non olet. Dieses Nonoletprincip fand aber

auch bei den edlen Staúczyken Eingang. Ihr antisemitisches Princip hinderte

sie nicht daran, das Geld von überallher, ja sogar von den Juden zu nehmen.

Und unsere Juden, waren ihrerseits >überglücklich<, dass >solche Bank-Institu­

te<, wie die Galizische Sparcasse, die Galizische Creditbank, die Krakauer

wechselseitige Versicherungs-Gesellschaft u. dgl. >von ihnen Einlagen aufnah­

men<. [ ... ] Sie waren ganzlich blind für die >Bankpolitik< dieser Herren, eine

Bankpolitik, welche nicht darin bestand, der okonomischen Bedeutung des

W ortes gemass, die Einlagen in Sparcassenerfordernissen entsprechender Art

zu fructificieren, sondern die den jeweiligen Leitern politisch Gleich gesinnten

zu fordern und die Juden wo nur moglich hauptsachlich von Handel und In­

dustrie zu verdrangen.« (Die Welt 17, 28.4.1899, lOf.)·

Aus der Perspektive der jüdischen Mittel- und Unterschichten, die sich

dem Zionismus in Galizien zuwandten (HOdl1991, 25f., 54), verstark­ten die von der galizischen Regionalelite forcierten Entwicklungspro­gramme ihre Marginalisierung. Die Kritik richtete sich jedoch auch

gegen die jüdische Elite, die im Sinn des polnischen Assimilationspa­radigmas in den okonornischen Institutionen partizipierte. Formulierte der Artikel sornit eine Kritik aus einer im sozialen wie nationalen Sinn subalternen Position, ermoglichte es die sozial dominante Position jü­discher GroBhlindler und Bankiers, als Teil der politisch und okono­misch dorninanten polnischen Elite zu erscheinen.

Wie der weitere Verlauf des Textes aber deutlich macht, stieBen assirnilierte Juden nicht auf volle Akzeptanz seitens des polnischen Milieus - weshalb Assirnilation einer soziookonomisch patenten, aber

kulturell subalternen Gruppe als Selbstzivilisierung bzw. Selbstanpas­sung gefasst werden kann, die jedoch die subalterne Position zurnin-

GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 151

dest nicht unrnittelbar aufheben konnte. Die unterschiedlichen sozialen

Einschreibungen und Prarnissen nationaler bzw. kulturell-ethnischer Diskurse machen die eigentliche Heterogenitat der galizischen Gesell­schaft deutlich, die durch klare Grenzziehungen zwischen als homogen gedachten nationalen Gruppen nicht fassbar war.

Neben Waren und Kapital war aber noch in einem bedeutend star­keren AusmaB der Boden ein Konfliktfeld. Hatte die »Praca« noch im

Februar 1865 in ihrem Aufmachertext unter dem Titel »Enteignung« (Wywlaszczenie) den Verkauf von Gütern polnischer Magnaten an fremde Adelsfarnilien seit Beginn der habsburgischen Herrschaft be­klagt (Praca IV/10, 4 lutego 1865, 1), so verlagerte sich nur wenige Jahre spater die Wahmehmung auf die zwischenethnischen Beziehun­gen innerhalb Galiziens. In einem Lehrstück des griechisch-katholi­schen, ukrainophilen Priesters Stepan Ka~ala heiBt es nur wenige Jahre spater: »aber schaut, die Bauern bekommen nichts, und die Juden -was nie so war- besitzen die Gründe der Bauern« (arre 6aqnnr, rocrro­.n:apt cxo.n:.t..Tb Hi>-na-mo, a )KH,!lbi, qoro He 6ysa.rro, rroct.n:aroT rpyHTbi

rocrro.n:apcKií:; Ka~ala 1874, 4). Ein Jahrzehnt spater rief Rutowski da­zu auf, »den Boden für die Nation zu retten, ihn in polnischen Handen zu halten« · (uratowaé ziemiy dla narodu, zachowaé j(! w rykach

polskich; Rutowski 1883a, 10). Szczepanowski wiederum klagte: »Er [der polnisch-galizische Adel] starb aus wie ein Anachronismus, [ ... ]

und wird durch das neue jüdische Bürgertum ersetzt, das sich seit zwanzig Jahren einen bedeutenden Teil unseres Landes aneignete« (Wyginylajako anachronizm, takjakjeszcze ginie przed naszerni [sic]

oczyma i ustypuje siy nowemu obywatelstwu zydowskiemu, które od dwudziestu lat zagarnylo tak znaczn(! czysé kraju; Szczepanowski 1888, 74).

Die weit verbreiteten Klagen über an die Stelle christlicher Bauern und polnischer Magnaten tretende jüdische Grundbesitzer reflektierten die nach der 1868 beschlossenen Aufhebung des Teilungs- und Ver­

kaufverbots .. bauerlicher Gründe massiv angestiegenen Zwangsverstei­gerungen von Bauernhüfen infolge von Verschuldung. (Dinklage 1973, 422) Zwar hatte ein Gros der Privatglaubiger einen jüdischen Hintergrund, diese machten jedoch nur einen Teil der Glaubiger insge­samt aus - zusammen rnit christlichen Privatglaubigern, Banken, Sparkassen und Kreditvereinigungen. (Tokarski 2003, 96, 102-106)

Das, »was vorher nie so war«, markierte sornit eine neue Erfahrung von okonornischer Prekaritat in einer Marktwirtschaft, die in den Ter-

52 1 KLEMENS KAPS

mini ethnischer Differenz wahrgenommen wurde. Zwar stieg tatsach­

lich bis zum Ersten Weltkrieg die Anzahl jüdischer Grundbesitzer

stark an - allerdings nicht in gleichem AusmaB die von ihnen gehalte­

ne BodenfHiche (da der pro Person gehaltene Grundstücksbesitz sich

stark verkleinerte). In beiden Fallen stellten jüdische Besitzer und der

von ihnen gehaltene Besitz eine Minderheit in Galizien dar, standen

jedoch in überproportionalem Verhaltnis zu ihrem Anteil an der Be­

vi:ilkerung insgesamt. (G~sowski 1999, 123-125) Somit lieB das von

polnischer wie ruthenischer Seite bekundete Unbehagen an dem zu­

nehmenden Landbesitz durch galizische Juden eine von den dominan­

ten Akteuren befürchtete Verschiebung im Verhaltnis von Dominanz

und Subalternitat erkennen. Die Existenzangste sozial prekar gestellter

Gruppen wurden in Bezug zu den reklamierten Prarogativen politisch­

kultureller Dominanz gesetzt, die die Eliten beider nationaler Gruppen

in Bezug auf das galizische Judentum für sich beanspruchten.

Doch der Konflikt um Grund, Boden, Land und schlussendlich

Raum im physischen Sinn war nicht auf einen polnisch-jüdischen oder

einen ruthenisch-jüdischen beschrankt. Der Vorsitzende der zu Beginn

der 1890er J ahre gegründeten »Gemeinschaft der Volksschule« (To­

warzystwo Szkoly Ludowej, kurz: TSL) Adam Asnyk erklarte auf der

ersten Hauptversammlung 1893, das Ziel des Vereins sei es,

>>unsere Sprache und NationaliUit überall dort zu verteidigen, wo dies erforder­

lich ist. Wir haben graBe Grenzgebiete, Marken des Polentums, in denen die

Tatigkeit des Vereins einen enormen Einfluss ausüben kann. Wir haben Schle­

sien und die Bukowina und vor allem haben wir in Ruthenien masurische Ko­

lonien, die durch lange Vernachlassigung, durch den Mangel an Schulen, die

sie selbst nicht errichten konnen, gezwungen sind, ihre Kinder in ruthenische

Schulen zu schicken, und die auf diese Weise der langsamen Entnationalisie­

rung unterliegen.<< (Sprawozdanie Zarzqdu Glównego TSL pod koniec roku

1893, 16, zit. nach Struve 2005, 264)

Analog zum christlich-jüdischen Beziehungsgeflecht ist auch hier ein

Positionswechsel im Verhaltnis von Dominanz und Subaltemitat er­

kennbar- mit dem wesentlichen Unterschied, dass dieser aufgrund der

Besiedlungsmuster von Polen und Ukrainem in Galizien verraumlicht

wurde: Die polnisch-galizische Elite, die politische, wirtschaftliche

und soziale Vorherrschaft nicht nur reklamierte, sondem auch in man­

nigfacher Hinsicht ausübte, musste zur Kenntnis nehmen, dass Polen

GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 153

in Ostgalizien jenseits der groBen Stadte wie Lemberg, Przemysl und

Kolomea!Kolomyja!Kolomyja eine zahlenmaBige Minderheit darstell­

ten. (Hrycak 2006, 37)

In den Kategorien von politisch beanspruchtem Territorium ge­

dacht suchten nicht nur nationalistische Kreise, die das TSL frühestens

ab der J ahrhundertwende dominierten, dieses Territorium für einen

zukünftigen polnischen Staat durch die Nationalisierung der dort le­

benden Bevi:ilkerung zu gewinnen. Bereits Szczepanowski hatte auf

die Bedeutung der »masurischen Kolonien« (kolonie mazurskie) in Li­

tauen, Podolien und der Ukraine als >>ethnische Bindung der Gebiete

der alten Republik [Polen]<< (spójniy etniczn'l ziem dawnej Rzeczpos­

politej) verwiesen und es bedauert, dass die polnischen Emigranten aus

Galizien nicht in den Süd-Westen Richtung Schwarzes Meer zur Be­

siedlung umgeleitet werden konnten, sondem sich nach Nordamerika

wandten. (Szczepanowski 1888, 106)

Wie sich die territoriale Absicherung durch bevi:ilkerungspolitische

Siedlungsprojekte mit einem Gefühl kultureller Hi:iherwertigkeit ver­

band, hatte wenige Jahre zuvor Ivan Franko in einem Kommentar in

>>Dilo<< zu einem Artikel der >>Gazeta Naddniestrzaríska<< deutlich ge­

macht. Der Autor des Textes, Eduard Solecki, hatte Kritik an der »Zi­

vilisierung<< (yu,HBÍJii3ysaHmr) der ruthenischen Gebiete durch die

>>masurische Nation« (Rapo¡:¡: Ma3ypChKHií.) geauBert und sich für eine

>> Vermischung der slawischen Geschlechter<< (MimaHH5! rmeMeH

cJios'5IHChKHX MÍ)!( co6mo) stark gemacht. Diese salle allerdings frei­

willig und nicht durch Zwang erfolgen. Zugleich wurde auf die ge­

meinsamen Interessen von Ruthenen und Polen gegenüber jüdischen

Besitzem verwiesen. (Franko l884c) Auch Franko selbst teilte diese

Position und trat für ein Agrarprogramm ein, das durch Kollektivie­

rungen Polen und Ruthenen den Grund- und Bodenbesitz sichem und

alle >>fremden Elemente«, worunter er vorwiegend Juden verstand,

ausschlieBen sollte. (Hrytsak 1999, 144)

Exemplarisch wird hier deutlich, wie die Trennlinien bis hin zum

Ausschluss von Juden für eine Interessenallianz von Polen und Ruthe­

nen in Ostgalizien konstitutiv waren. Dies kommt auch in der instituti­

(lllellen Struktur der Gesellschaft zum Ausdruck: Der 1890 in Lemberg

von der Bauempartei um den Polen Boleslaw Wyslouch gegründete

>> Verein der Freunde der Bildung« (Towarzystwo Przyjaciól Oswiaty),

an dem auch Franko beteiligt war, nahm gegenüber den Ruthenen eine

kooperative Haltung ein. (Struve 2005, 264) Spatestens nach der Jahr-

54 1 KLEMENS KAPS

hundertwende gerieten diese Milieus nicht nur durch nationalistische Organisationen in die Defensive, sondem unterlagen selbst einer Nati­onalisierung: Ivan Franko raumte spatestens 1899 der nationalen vor der sozialen Frage Prioritat ein (Hrytsak 1999, 143, 145), die Bauem­partei verpasste sich 1903 das Pradikat »polnisch«.

Die sich dadurch versch!irfende polnisch-ruthenische Polarisierung (Struve 2005, 415) manifestierte sich auch im Konflikt um Grund und

Boden, wie ein Leitartikel im nationaldemokratischen »Slowo Pol­skie«, das von dem polnischen Erdolindustriellen Waclaw Wolski her­ausgegeben wurde, vom 8. Marz 1910 belegt:

[Wir sind eine Minderheit in Ostgalizien. Dennoch überragen wir die rutheni­

sche Mehrheit durch unsere kulturelle, geistige und materielle SUirke. Und aus

dem Titel dieser kulturellen Überlegenheit sind wir uns der uns übertragenen

Zukunft des Rechts und der Obhutsverpflichtung gegenüber der gesamten Be­

vi:ilkerung des Landes bewusst- sowohl der ruthenischen als auch der polni­

schen, sornit der Regierung des Landes. [ ... ] Aber es rettet uns keine noch so

effektive Organisation, es retten uns nicht die hervorragendsten politischen Er­

folge im Bereich von Parlament und Landtag, wenn wir in den ostlichen Dor-

fern den Boden unter den FüBen verlieren, [ ... ] falls wir in diesem Landesteil

unseren bisherigen Grundbesitz verlieren. [ ... ] Wir müssen erkennen, dass die

Stlidte allein kein ausreichendes Bollwerk des Polentums sein konnen [ ... ]

Wenn in unseren Stiidten in der Gegend um Posen das polnische Element die

Deutschen siegreich verdriingt trotz der ungeheuren Anstrengungen der preuBi­

schen Regierung, >das Deutschtum in den ostlichen Marken zu erhalten<, so

verdanken wir das vor allem der Imrnigration der polnischen Landbevolkerung

in die Stlidte. [ ... ] Wir haben leider in den letzten Jahren [in Ostgalizien] schon

sehr viel verloren. Und es ist eine Tatsache, dass die Mehrheit der parzellierten

Güter in nicht-polnische Hiinde übergeht. [ ... ] Und unsere eifrigste Aufgabe in

der nationalen Politik ist heute die Organisation einer intensiven polnischen

Parzellierungskolonisation. Solange wir nicht die systematisch geplante Ver­

teidigung polnischen Bodens in den ostlichen Marken organisieren, solange

wir nicht eine unter dem nationalen Gesichtspunkt rationale Parzellierungs­

verrnittlung schaffen [ ... ], wird sich der polnische Grundbesitzstand weiter

verringern und der ruthenische Grundbesitzstand wird sich vergroBern.]

»Jestesmy mniejszoscil! we wschodniej Galicji. Górujemy jednak nad

wi~kszoscil! rusk11 sil11 kultury i duchowej i materialnej. I z tytulu tej wyzszosci

kulturalnej poczuwamy si~ i dzis do przekazanego nam przeszloscil! prawa

GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 155

i obowi11zku pieczy o cal!! ludnosé kraju zarówno rusk11 jak polskl!, rz11dzenia

wi~c krajem. [ ... ] Ale nie uratuje nas zadna, najspr~zystsza organizacja, nie

uratujl! nas najwspanialsze sukcesy polityczne na terenie parlamentarnym i

sejmowym, jezeli stracimy grunt pod nogarni po wsiach wschodnich, [ ... ] je:i:eli

utracimy dotychczasow11 nasz11 w tej cz~sci kraju wlasnosé ziemsk11. [ ... ]

Nale:i:y zdawaé sobie spraw~, :i:e same tylko rniasta nie b~dl!, nie mog11 byé dos­

tatecznl! ostojl! polskosci, je:i:eli zginie nasza po wsiach sila. [ ... ] Jesli w

naszych rniastach w Poznanskim zywiol polski wypiera zwyci~sko Niemców

mimo olbrzyrnich zasilków rz11du pruskiego na >utrzymanie niernieckosci na

kresach wschodnich<, zawdzi~czamy to przedewszystkiem [sic] imrnigracji do

miast tych polskiej ludnosci wiejskiej. [ ... ] Utracilismy jej ju:i: niestety bardzo

du:i:o ostatnirni laty. Parcelacja wzmaga si~ cil!gle. A faktem jest, ze wi~kszosé

parcelowanej zierni przechodzi cil!gle jeszcze w r~ce niepolskie. [ ... ] I najpil­

niejszym wlasnie zadaniem naszej tu narodowej polityki jest dzis zorganizowa­

nie intensywnej polskiej kolonizacji parcelacyjnej. Póki nie zorganizujemy

systematycznej planowej obrony zierni polskiej na wschodnich kresach, póki

nie wytworzymy racjonalnej pod wzgl~dem narodowym organizacji posrednic­

twa parcelacyjnego [ ... ] polski stan posiadania zierni zmniejszaé si~ b~dzie

cil!gle, a ruski stan posiadania zierni b~dzie si~ zwi~kszaé.<< (Slowo Polskie,

XVIII!, 8 marca 1910, 1-2)

In diesem von einer eindeutig nationalistischen Logik getragenen Text wird der Konflikt um Raum in Ostgalizien nicht nur auf einen pol­nisch-ruthenischen Gegensatz beschrankt, sondem auch eine Verbin­dung zum polnisch-deutschen Konflikt im deutschen (ehemals preuBi­

schen) Teilungsgebiet gezogen: Als Ergebnis dieser Perspektive er­scheinen Polen als von allen Seiten bedrangte Opfer und nicht als Ver­treter einer begrenzt dominanten Kultur in Galizien, die Druck auf an­dere ausübte - was am Beginn des Texts noch in einer sich selbst ver­sichemden Offenheit zum Ausdruck gebracht wurde. Die Brüchigkeit kultureller Hegemonie im Raum lieB somit die Grenzen nationalisti­scher Herrschaftsparadigmen erkennen, die keinen gemeinsamen Rah­men für eine plurinationale Gesellschaft formulieren wollten und

konnten.

56 1 KLEMENS KAPS

KONKLUSION

Aufgrund des dichten Interaktionsgeflechts der galizischen Gesell­schaft sowoh1 im Inneren a1s auch über die regiona1en Grenzen hinweg

ergaben sich zah1reiche Mog1ichkeiten für die Formierung von sozia-1en und nationa1en Identitaten, die stets vor der eingangs erwahnten prekliren okonomischen Lage der Region stattfanden. Neben den her­komm1ichen Dichotomien zwischen dem Kron1and und dem imperia-1en Zentrum bzw. den ku1turell-ethnischen oder nationa1en Gruppen wurde der re1ative und fragmentarische Charakter sowoh1 von raum­lichen Konstrukten a1s auch nationalen Identitaten deutlich gemacht. Die unterschiedlichen Ansprüche von Subaltemitlit und Dominanz zwischen Imperium und Region 1assen sich durch eine sozialkritische Perspekti ve a1s partiku1are Konzepte dekonstruieren, die die V ertei-1ung von Macht, Ressourcen und gesellschaftlicher Partizipation regu-1ierten. Dabei 1asst sich um die Jahrhundertwende ein Wande1 vom im­peria1en »divide et impera« zu einer nationalistischen Logik festste1-1en, die anstelle der homogenisierenden Integration die rlium1iche und gesellschaftliche Segregation setzte.

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Ruthenische Folklore

lm Fokus der polnischen Folkloristik

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KATHARINA SCHWITIN

EINFÜHRUNG

Das gesamte 19. Jahrhundert hindurch aber auch in der Modeme stell­te Folklore eine wichtige Grundlage für die Existenzberechtigung und nationale Selbstdefinition eines Volkes dar. Damit hi:i.ngt zusammen, dass Folklore sich zu einem wichtigen Merkmal der Abgrenzung ge­¡enüber anderen ethnischen und nationalen Gruppen entwickelte. Da­

her wurde folkloristisches Kulturgut nicht selten umkampft und von unterschiedlichen Seiten für die eigenen nationalen Belange bean­sprucht.1 Innerhalb der Vielvéilkergebiete Mittel- und Osteuropas stell­

ten si eh die Fragen der nationalen Beanspruchung und Vereinnahmung von Folklore oft mit besonderer Scharfe. Dies war vor allem dann der Fall, wenn die konkurrierenden Parteien einerseits kulturell viele

Ein Beispiel für die mehr oder weniger bewusst undifferenzierte und ver­

einnahmende nationale Haltung hinsichtlich volkskultureller Erscheinun­

gen im europiiischen Kontext des 19. Jahrhunderts in Westeuropa ist das­

jenige der Friesisch sprechenden Gemeinschaft Mitte des 19. Jahrhunderts

in den Niederlanden und in Danemark, deren materielle Kultur von zwei

unterschiedlichen Nationen für sich beansprucht und für die eigene natio­

nale Legitimation instrumentalisiert wurde. (Stoklund 1999, 10)