kulturelle trennlinien und wirtschaftliche konkurrenz. galizische modernisierungsdiskurse zwischen...
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ALEXANDER KRATOCHVIL, RENATA MAKARSKA,
KATHARINA SCHWITIN, ANNETTE WERBERGER (HG.)
Kulturgrenzen in postimperialen Raumen Bosnien und Westukralne als transkulturelle Regionen
[ transcript]
Gefordert vom Excellenzcluster r6 »Kulturelle Grundlagen von Integration« der Universitat Konstanz
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lnhalt
Einleitung Transkulturalitat in postimperialen Raumen Annette Werberger 17
KUL TURELLE GRENZZIEHUNGEN UNO
-ÜBERSCHREITUNGEN IN VORMOOERNEN IMPERIEN
UNO MOOERNEN NATIONEN
Galizien postcolonial? Imperiales Differenzmanagement, mikrokoloniale Beziehungen und Strategien kultureller Essentialisierung Anna Veronika Wendland 119
Kulturelle Trennlinien und wirtschaftliche Konkurrenz Galizische Modernisierungsdiskurse zwischen Subalternitat und Oominanz in der zweiten Hiilfte des 19. Jahrhunderts
Klcmens Kaps 1 33
Ruthenische Folklore im Fokus der polnischen Folkloristik und Ethnographie in der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts Katharina Schwitin 1 61
MEHRSPRACHIGKEIT IN IMPERIALEN
UNO POSTIMPERIALEN RA.UMEN
Hybriditat und Sprachgebrauch an Bruchlinien der Slavia Bosnien und Galizien
Christian VoB 1 101
Sprachvariation, Diglossie und Sprachenkonflikte im Diskurs Zur linguistischen Erforschung der Galizischen Mehrsprachigkeit in der 2. Hiilfte des 19. Jahrhunderts
Stefaniya Ptashnyk 1117
32 j ANNA VERONIKA WENDLAND
Claudia/Lüdtke, Alf (Hg.): Kolonialgeschichten. Regionale Perspektiven auf ein globales Phéinomen. Hamburg, 215-235.
W endland, Anna Veronika 20 11 a: » Ukraine transnational. Transnationalitiit, Kulturtransfer, Verflechtungsgeschichte als Perspektivierungen des Nationsbildungsprozesses«. In: Kappeler, Andreas (Hg.): Die Ukraine. Prozesse der Nationsbildung. Koln- WienWeimar, 51-66.
Wendland, Anna Veronika 2011b: »The Ukrainian-Ruthenian Success-Failure Continuum in Austrian Galicia«. In: Fishman, Joshua/Garcia, Ofelia (Hg.), Handbook of Language and Ethnic Identi
ty. Vol. 2: The Success-Failure Continuum in Language and Ethnic Identity Efforts. Oxford, 399-419.
Kulturelle Trennlinien
und wirtschaftliche Konkurrenz Galizische Modernisierungsdiskurse
zwischen Subalternitat und Dominanz
In der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts
KLEMENS KAPS
Sozial- und Kulturwissenschaften haben in den vergangenen Jahren das habsburgische Galizien für sich entdeckt und es zu einem Paradigma für die Erforschung einer plurikulturellen ostmitteleuropili.schen Gesellschaft erklart (z.B.: Bartal!Polonsky 1999; Hann/Magocsi 2005; Le Rider/Raschel 2010). Der ukrainische Historiker Jaroslav Hrycak bezeichnete insbesondere Ostgalizien als »ethnisches und zivilisatorisches Grenz1and« (Hrycak 2006, 35). Die von der habsburgischen Bürokratie in der Ersten Teilung Polen-Litauens 1772 künstlich geschaffene Region (Augustynowicz/Kappeler 2007, 1) stand dabei im Spannungsfeld einer kulturellen Vielfalt im Inneren als auch der Interaktionen über die administrativen Grenzen hinweg- insbesondere mit den imperialen Zentren Wien, Prag oder Budapest.
Dieses vielfiiltige und sich überlappende Beziehungsgeflecht soll in diesem Beitrag vor dem Hintergrund eines weiteren Spezifikums des Galiziendiskurses beleuchtet werden- namlich der selbst im zentral- und ostmitteleuropili.schen Vergleich besonders scharf ausgepragten Armut und den bescheidenen sozialükonomischen Transformationen, die den Raum praktisch wiihrend seiner gesamten Zeit unter habsburgischer Herrschaft kennzeichneten. Dementsprechend meint Jaroslav Hrycak pointiert, in Galizien habe es zwar »viel Modemitat,
34 1 KLEMENS KAPS
aber wenig Modernisierung« gegeben (Hrycak 2006, 17), wii.hrend der
polnische Historiker Maciej Janowski andererseits von »Modemisierung ohne Industrialisierung« spricht. (Janowski 2006, 845f.)
Davon ausgehend, wird in diesem Beitrag weniger der wirtschaftsund sozialhistorischen Entwicklung Galiziens nachgespürt, sondem der Frage nach der Okonornie als einem vielschichtigen Diskurs, dem bedeutende Re1evanz für interkulturelle Kontakte und für die
(Re )Produktion sozialer und nationaler Identitaten zukam. Hierbei wirkte die prekare wirtschaftliche Lage vielfach als Katalysator für ethno-kulturelle Konkurrenz bis hin zu nationalen Grenzziehungen. (Schattkowsky 2004, 44f.)
DISKURSIVE KOLONIALISIERUNG IM SPANNUNGSFELD VON IMPERIALEM 0RDNUNGSENTWURF UNO SUBVERSIVEM GEGENDISKURS AUS DER PERIPHERIE
Eine wesentliche kulturell-politische Trennlinie war raumlich definiert
und verlief zwischen dem imperialen Konstrukt Galizien einerseits sowie den osterreichischen und bohrnischen Landem andererseits. Die >Erfindung< der habsburgischen Provinz beruhte neben der rnilitarischen Eroberung auf der bürokratischen Neuordnung des Territoriums. Aus der Perspektive einer hegemonialen deutschen Kulturrnission
wurde in den J ahrzehnten nach 1772 die habsburgische Herrschaft durch ein selbst proklarniertes Entwicklungsprogramm gerechtfertigt, das Galizien den westlichen Regionen des Reichs - insbesondere den bOhrnischen Landem- annii.hem sollte. (Wolff 2004; Maner 2007, 30-61)
Als ein wesentliches Element des imperialen Zivilisierungsdiskurses fungierten koloniale Raumanalogien - so verglich die aufgeklarte Bürokratie im spaten 18. und frühen 19. Jahrhundert Galizien rnit
Amerika (Beer 1899, 90-93; Hacquet 1790, 192; Bredetzky 1812, 22, 58), Indien (Hacquet 1790, 189) und Sibirien (Bredetzky 1812, 62). Die Persistenz dieser Etiketten verweist auf das Scheitem des vom im
perialen Zentrum aus implementierten Entwicklungsparadigmas. Doch erst nach der Jahrhundértrnitte erfuhr der imperiale Kolonisierungsdiskurs eine Antwort aus der Peripherie.
In seinem im Jahr 1853 erstmals in Paris erschienenen und ein halbes Jahrhundert spater in Krakau/Kraków neu aufgelegten Buch über
GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 135
Krakau und Galizien unter osterreichischer Herrschaft schrieb der kon
aervative Joumalist und spatere rornisch-katholische Priester Waleryan Kalinka (Kieniewicz 1964-65; Kargol 2007, 49; Chwa1ba 2005, 489f.) die Verantwortung für die okonomische Misere der Wiener Regierung
[die diesen schonen Boden in einen Markt der Fabrikanten, in eine Kolonie der
Oaterreichischen Provinzen verwandelte. Jedes industrielle Streben in Galizien
lit für die deutschen Produzenten des Kaiserreiches ein Verlust, jede Produkti
die die Bedürfnisse der Bürger decken würde, wurde also in Galizien ver
boten, da diese Bedürfnisse von den osterreichischen Fabrikanten gedeckt
pü(knl} zienú~ na targ fabrykantów, na koloni~ austryackich
zanúenil. Wszelkie usilowanie przemyslowe w Galicyi, jest
uazczerbkiem dla producentów nienúeckich w Cesarstwie, wszelka zatem
produkcya byla dla Galicyi zakazana, która pokrywala potrzeby núeszkanców,
111pakajane zwykle fabrykantanú austryackinú.« (Kalinka 1898, 254f.)
nkas W ahmehmung begriff Galizien als Element der innerhabs
""'•'""'11'-'11 Arbeitsteilung, die durch den Staat hergestellt, verrnittelt aufrechterhalten wurde - po1itische Fremdherrschaft wurde zur
für das unvorteilhafte Wirken okonornischer Konkurrenz erEntgegen dem aufklarererischen Koloniediskurs setzte Kalinka
Etikett Kolonie als Leitkategorie eines Gegendiskurses aus der imPeripherie ein. Mit dieser Umkodierung der Sprache des imZentrums ging eine raumliche Abgrenzung einher, indem Ga
in Opposition zu dem >westlichen< Teil der Monarchie gesetzt der auch Dalmatien einschloss, wornit eine nationale Dichoto-
einherging (»die deutschen Produzenten des Kaiserreichs«). Oass Kalinkas Kolonienarrativ acht Jahrzehnte nach der Etablie
der habsburgischen Herrschaft über Galizien Eingang in den ofDiskurs fand, verweist auf dessen spezifischen zeitlichen
~Kontext. Insbesondere die sich verschlechtemde okonornische Lage im an die Krisen nach Ende der Napoleonischen Kriege wirkte
als Katalysator. Bereits 1842 formulierte Michal Wisniewski in je!ner in Posen/Poznatí erschienenen statistischen Skizze Galiziens vtele Kritikpunkte (W[isniewski] 1842, 35, 109f.), die sich über ein Jlbrzehnt spater fast wortgleich bei Kalinka wieder finden, jedoch ins-
durch die 1848 besch1ossene Grundentlastung eine vollig MUe StoBrichtung bekamen.
Obwoh1 er der bürgerlichen polnischen Nationa1bewegung angehtlrte, die sich für eine G1eichberechtigung der Bauem einsetzte (Kieniewicz 1964-65, 450; Fras 1997, 17-22), vertrat Kalinka die Position
der adeligen GroBgrundbesitzer. Er wies nicht nur die Kritik an der Leibeigenschaft zurUck, sondem meinte sogar, diese sei für die oko
nomische Entwicklung notwendig gewesen, wahrend sie die Bauem nicht a1s drUckend empfunden hiitten. (Ka1inka 1898, 203f., 212) Diese Einstellung mag in der von der habsburgischen Verwaltung unterstützten Bauemrevo1te von 1846 wurzeln, die zum Scheitem des Aufstands der po1nischen Nationa1bewegung nicht unwesentlich beitrug. (Stauter-Ha1sted 2001, 1-4; Struve 2005, 46)
Entgegen der sozia1en Realitiit wurden die untemehmerischen lnteressen des Adels mit dem regionalen Gemeinwohl g1eichgesetzt. Kalinkas Ko1onienarrativ, das auf der okonomischen Dichotomie zwischen imperia1en Zentren und Galizien fuBte, verdeckte die sozialen Gegensatze innerha1b der regionalen Gesellschaft - wahrend die Elite der Provinz den habsburgischen Staat a1s Machtkonkurrent wahmahm,
sahen die Bauem seit den josefinischen Reformen in den Behéirden ei
ne - wenn auch begrenzte - Schutzinstanz, die die Begehrlichkeiten der Grundherren eindammte. (Rosdo1sky 1992; Struve 2005, 74, 76f., 118f.)
Die suggerierte Homogenitat der raumlichen Kategorie Kolonie b1endete die in das Konstrukt eingeschriebenen sozia1en Positionen und Interessen aus. Bei Kalinkas Ausbeutungsnarrativ handelte es sich folg1ich um einen konservativen Elitendiskurs, der sich gegen die Machtzentren des lmperiums richtete und (wirtschafts)politischen
Handlungsspielraum für die galizische Führungsschicht einforderte. Mit der Umwandlung der Habsburgermonarchie in den Doppel
staat Osterreich-Ungarn und der Verabschiedung der Dezemberverfas
sung des Jahres 1867 in der osterreichischen bzw. cisleithanischen Reichshlilfte verschob sich diese diskursive Formation. Der galizischpolnische Ade1, der im Zuge seines Paktes mit der Wiener Zentrale und der partiellen Dezentralisierung der Kompetenzen an der Ausübung von Macht sowohl im Kronland Galizien se1bst als auch im po
litischen Zentrum beteiligt wurde, passte sich der Termino1ogie des lmperiums an. (Binder 2005, 29-31; Maner 2007, 136f.)
GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 137
So bezeichnete eine Adresse des galizischen Landtags anden Kai
ler im Jahr 1866 die Monarchie als »Schutzwehr der Civilisation des Westens« und erklarte weiter, »im Glauben an die Mission Osterreichs und im Vertrauen auf die Stabilitat der Reformen, welche das kaiserli
che Worl als unabanderliche Absicht aussprach, [ ... ] dass wir treu Eurtr Majestat zur Seite stehen und stehen wollen«. (Maner 2007, 136f.)
Demgegenüber holten polnisch-galizische bürgerliche Politiker das
Clkonomische Ko1onienarrativ spatestens ab den 1880er Jahren in den Diskurs zurUck und brachten es implizit gegen das konservative Ar
,angement zwischen kaiserlichem Thron und ade1iger Landese1ite in ltellung. Tadeusz Rutowski, Joumalist und spater auch Abgeordneter
galizischen Landtags (Kieniewicz 1991-92; Kramarz 2001) erklar-
1883 mit unübersehbaren Anlehnungen an Kalinka:
der Teilung war Galizien ein Exploitationsterrain für etliche westliche
Provinzen - die >Erblande< der osterreichischen Krone. Das Verh!lltnis Gali
zqr Monarchie war ebenso wie das Verhaltnis Ungarns nach 1848, wie
_..,,.,tige der neu erworbenen Uinder im Süden der Monarchie, die Beziehung
Kolonie zum >Mutterlande<.]
chwili zaboru, Galicya byla uwai:ana, jak:o teren eksploatacyjny dla kilku
prowincyj, >krajów dZiedzicznych< korony rak:uzkiej. Stosunek
do monarchii byl tak: samo, jak stosunek W~gier po r. 1848, jak:
IWonabvtvch krajów na poludniu monarchii, stosunkiem kolonii do kraju
do >Mutterlandu<.« (Rutowski 1883a, 49f.)
_. .. 1111!\~ erweiterte Rutowski Ka1inkas galizischen Partikularismus
Postulat eines habsburgischen Binnenko1onialismus, der Ungarn implizierte wie das 1878 okkupierte, aber noch nicht annektier
Bosnien-Herzegowina, wahrend die Tschechen weder a1s Herrnoch als UnterdrUckte in Erscheinung traten.
Diese kolonia1e Se1bstwahmehmung war im Milieu der galizischen qerlichen Demokraten weit verbreitet. Der 1880 nach Ga1izien zu-wanderte Erdolindustrielle Stanislaw Szczepanowski setzte Galizien
dem britisch beherrschten Indien gleich (Szczepanowski 1888, wllhrend der Lemberger lndustrielle Leopold Lityñski im Jahr im Zusammenhang mit Galiziens AuBenhande1sstruktur von »af
Verha1tnissen« (afrykaúskie stosunki) sprach. (Lityñski .59) Der an der Krakauer Jagiellonen-Universitat lehrende Wirt-
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schaftshistoriker Franciszek Bujak wiederum ortete 1910 eine »Kolo
nisierung der fremden Industrie« (kolonizacyy przemyslu obcego ), wo
runter er die »Einführung fremder Fabrikanten und Meister anstelle
fremder Fabrikate« (sprowadzenie obcych fabrykantów i majstrów,
zamiast obcych fabrykatów) verstand. (Bujak 1910, 315)
Diese Kritik, die eine Reaktion auf die sich formierenden Kartelle
und die nach Galizien flieBenden Kapitalinvestitionen darstellte, defi
nierte das Fremde und das Eigene ausschlieBlich aus einer galizischen
Perspektive und transzendierte den politischen Rahmen der Habsbur
germonarchie. Dieser starke Regionalbezug markiert gleichzeitig die
Intemationalisierung von Kapitalstromen, Handel und Migration in der
zweiten Hiilfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg.
Aber auch in anderen sozio-ethnischen Milieus wurde Galiziens
prekare okonomische Lage auf einen kolonialen Status zurückgeführt.
So begründete Vjaceslav Budzynovs'kyj auf dem Gründungskongress
der Ruthenischen Radikalen Partei im Jahr 1890 die Schaffung eines
ruthenischen Staats in Ostgalizien damit, dass nur so die Armut über
kommen und die wirtschaftliche Entwicklung Galiziens vorangebracht
werden konne, da gegenwartig die westlichen Provinzen der Habsbur
germonarchie, besonders Wien und Bohmen, Galizien ausbeuten würden. (Potul'nyts'kyj 2005, 92f.)
Zwei Jahrzehnte spater schrieb das »Yiddishe Vochenblat«, nach
den Planen der osterreichischen Regierung solle »Galizien offenkun
dig so weit als moglich ein Agrarland bleiben und die osterreichischen
Waren, die in den anderen Provinzen erzeugt werden, dort einen guten
Absatz erhalten [ ... ]« (velche vil befeyeresh az Galitsien zol ferbley
ben vi veyt meglich a Land fun Agrikultur, un die estreychishe Skhoy
rot velche veren produtsirt in ihr Provintsen solen dort kriegen a guten
Obzots; Yiddishes Vochenblat, 6. August 1909, zit. nach HOdl 1991, 19).
Die Fokussierung der emeut vorwiegend okonomisch gefassten
Raumdichotomie zwischen Galizien und den westlichen Regionen der
Monarchie richtete sich implizit gegen die Partizipation der Regional e
liten in der cisleithanischen Regierung, wie nicht nur die diesbezügli
che Kritik Rutowskis und Szczepanowskis belegt. (Rutowski 1883h,
7f., 11; Szczepanowski 1888, VIII, X-XI, XVII, 160) So bezeichnete
Adolf Gross, Gründer und Vorsitzender der »Partei der Unabhangigen
Juden« (Partia Niezawislych Zydów), bei einer Debatte im Abgeord
netenhaus in Wien am 3. Juli 1907 Galiziens politisch-institutionellen
GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 139
Nhlltl~ 11is »cin System von Asien«: »Galizien ist kein ebenbürtiges
Ktnttl1111d d1~s üsterreichischen Gesamtstaates [ ... ], wir bekommen
ftltl'h 1 hlt·n cincn Gouvemeur und der hat wie der Vizekonig in Indien
IU tu·hulh·n und zu walten« (Stenografische Protokolle des Abgeordne
lftthlllt\t'.\ ,¡,,,,. Reichsrats, 7. Sitzung der 18. Session am 3. Juli 1907,
J, ~HIJ. t.it. nach Maner 2007, 154; zu Gross: Binder 2005, 158).
!l.nl¡,!t'gcn dcr formell-institutionellen Gleichberechtigung Galiziens
tmlcl dt•nt von den Landeseliten vertretenen »Autonomie«-Diskurs
(llhltlt•t 21lll(l, 242-244, 252, 258, 261-264) setzte ein Krakauer Politi
Mr IIU~ t•incm ethnisch subalternen und politisch marginalisierten Mi
U... t'illt' Kolonialmetapher ein, die zunachst die habsburgische
Prttmlhnrschart attackiert, jedoch damit untrennbar auch den loyalen
lut'll dt•r galit.isch-polnischen Landeseliten ins Visier nimmt. Dies
fl*lhl du· Kalcgorie der Kolonie bzw. die kolonialen Raumanalogien,
Jlt dt~lll'll < ializiens Status in der Habsburgermonarchie bedacht wur-
8, llldtl 11ur zu einer sozio-politischen Metapher im Konflikt zwi
Whfll Adl'l u11d Bürgertum, sondem darüber hinaus auch zu einem so
JitHIIIuusl'it kodierten Begriff, der die Dominanz der polnisch
~pll11-dll'll !<:lite angreift, die nach 1867 als Reprasentant der habsbur
fltlhl•ll llnrschaft in Galizien fungierte.
hu illlpl'l'ialcn Zentrum hingegen überwog demgegenüber die
tfthnH•hlllllltg von Galiziens angeblicher Dominanz. Nicht nur Kron
kudoll sah Galizien im Jahr 1880 als »Teil Polens«, der »kaum
lllk ci n von bsterreich regiertes Kronland bezeichnet werden
!Siwdt'i 1999, 31). Nur zwei Jahre spater forderten die Deutsch-
1111'11 i111 1 ,inzer Programm die Abtrennung Galiziens von der
ll¡,tt'llllonarchie, um die Hegemonie der Deutschen zu wahren.
.'007. 147) In den 1890er Jahren war der antipolnische Diskurs
Ul~rh11ationalen Milieu fest etabliert. (Shedel 1999, 36f.) Die An
t•im·s Tcils der Machtspharen des politischen Zentrums durch
lllllliM·he Rcgionalelite rief eine Nationalisierung der um ihre He
mil• lllrdlll~ndcn herkümmlichen imperialen Eliten hervor: Für die
tuh·ru11g l'incr Ausweitung der Reichseliten waren diese sogar
f!lllllt•llt•n Aulgabe der imperialen Raumordnung bereit. Diese
l!'hiiHIHg rcichte weit in andere deutschsprachige Milieus hinein
hlllh' t•rm·ut cine okonomische Dimension: Der Wiener Publizist
1 .t•lthuer hchauptete 1899, Galizien hemme den Fortschritt der
Wllllhdll'll Kronllindcr. (Leichner 1899, 1)
40 1 KLEMENS KAPS
GEGENREZEPTE UNO IHR SCHEITERN: VERWESTLICHUNG UNO ZIVILISIERUNG
Spiegelverkehrt zu der subalternen Selbstwahmehmung der galizischen Gesellschaft verlief ein Diskursstrang, der durch Anschluss an die >Zivilisation<, oft auch mit den Pradikaten westlich bzw. europaisch versehen, eine Aufhebung der georteten Dichotomie proklamierte. Noch im Jahr 1863 wehrte sich die sozialkritische Lemberger Zeitschrift »Praca« gegen den Zivilisationsdiskurs, da diese Zivilisation
»unser Denken und unsere Tatigkeit und unser Geld auf verderbliche, falsche und nicht natürliche Wege führt« (bo ona i mysl i czynnosé
nasze, i pieni<!dze nasze sprowadzi na drogi zgubne, falszywe i nienaturalne; Praca 119 10 lipca 1863). Diese Position war für die 1850er und 1860er Jahre charakteristisch, als man die im westlichen Aus1and dominanten Sozial- und Wirtschaftsmodelle als eine Bedrohung konservativer Werte und Sozialformen ansah. (Jedlicki 1999, 154f.)
Dies anderte sich mit der erwahnten Integration der galizischpolnischen Eliten in das Zentrum der Habsburgermonarchie und der Etablierung einer Allianz aus Romantizismus und Positivismus, der sogenannten »Organischen Arbeit« (praca organiczna): Zivilisation wurde zu einem diskursiven Leitcode. (Jedlicki 1999, 210, 216, 226)
Tadeusz Rutowski schwarmte 1883 von der Industrie, »dieser modernen Macht, die [ ... ] für die Hebung [ ... ] der Zivilisation« (pott(gt( nowoczesn'! która [ ... ] na podniesienie [ ... ] cywilizacyi; Rutowski 1883a, 10) unabdingbar sei. Fünf Jahre spater konstatierte Stanislaw Szczepanowski trocken:
[Unabhangigkeit beruht auf der Beziehung von Mitteln zu Bedürfnissen. Wir
saben eben, dass wir in Bezug auf die Bedürfnisse zu Europaern geworden
sind. Wir haben bereits europaische Bedürfnisse, nur sind wir noch nicht im
Stande, dieselben Mittel zu finden, mit denen andere zivilisierte Vi:ilker ihre
Bedürfnisse decken.]
>>Niezaleznosé ta polega na stosunku srodków do potrzeb. Otóz widzielismy,
:le codo potrzeb stalismy siy Europejczykami. Mamy juz potrzeby europejskie,
tylko nie umiemy jeszcze odszukaé tych samych srodków, jakimi inne ludy
ucywilizowane pokrywajq swoje potrzeby.« (Szczepanowski 1888, 67)
GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 141
l•.lw11so wie >Kolonie< markierte auch das Bedeutungsfeld >Zivilisati-
1111· vnschiedene Modelle sozialéikonomischer Transformation. Wandtt· sich dcr Autor des Artike1s in der >>Praca« 1863 vor allem gegen die lll'gativcn Fo1gen ungleicher Handelsbeziehungen, so versuchten zwei
luhrlehnte spater die bürgerlichen Demokraten Rutowski und Stu.cpanowski ein Industrialisierungsprogramm ins Leben zu rufen, du~ diesen Zustand tatsachlich auch verandem würde.
1\ llerdings verstanden sie gerade unter der Industrialisierung
Sd1allung von und Annaherung an >Zivilisation<, die sie durchwegs ul' 1 wcst)europaisches Modell verstanden, wodurch Galiziens subalh'IIH'r Status aufgehoben werden und das Kron1and im binaren Schema dt'l i111aginierten raumlichen Trennung Europas in >Üst und West< 1111rll Wcsten rücken würde. Der im Artikel der >>Praca« erkennbare N11tivismus - die Abschottung vor auBeren Einflüssen - war einem llt'llt'll l Jmgang gewichen, der die Offnung gegenüber dem AuBeren als S1111 k1111g im Inneren nützen wollte.
1 >ic 1880er Jahre waren eine wichtige Sattelzeit, in der entscheidllll)!strüchtige Weichenstellungen erfolgten. Dass die proklamierten 1111d stattfindenden Anderungen in Richtung >Verwestlichung und
1 ·mt ~e 11 ri ll< eine fragmentarische Wahmehmung widerspiegelten, 11llltlltc hereits Ivan Franko in zwei Artikeln in der ukrainophilen Zeitww ,1 )ilo« im April1884 deutlich. Darin analysiert er die zahlreichen /wangsvcrsteigerungen bauerlicher Wirtschaften zwischen 1873 und 1 HH 1 und kritisiert die Ansicht der offiziellen Statistiker Galiziens,
11111'11 dcnen im Land >>alles besser werde« (Bce rr,L\e ,[lO nirrworo; h nnko l884a, 353 ). Di es markiert die sozial und national differenziertt· his fragmentierte Wahmehmung éikonomischer Transformation in dt'1 l<t·gion: Für die im bauerlichen Milieu verankerten Ruthenen bedt·utl'te diese v.a. eine spürbare Verschlechterung der wirtschaftlichen lllgt'. /\llcrdings findet sich eine kritische Wahmehmung auch im die po~itive Entwicklung betonenden Diskurs, sofem dieser >>gegen den St11l'll" (lJhl 2003, 52) gelesen wird: Ein Jahr vor dem Ersten Welt
kt it')!. wg Franciszek Stefczyk, Direktor des galizischen Landespatronut-.h!lros lür Spar- und Darlehenskassen, auf einer Studienreise der .. W lt'nt·r Staatswissenschaftlichen Vereinigung« nach Ga1izien Bilanz lllll't diL~ Entwicklung des Kronlandes seit lnkrafttreten der Verfassung
\'1111 18(•7:
42 1 KLEMENS KAPS
»Nachdrücklich sol! aber betont werden, daB, wenn man die Gegenwartszu
stiinde unserer Heimat mit denjenigen im Westen der Monarchie vergleicht,
man nicht unterlassen darf, den langen Weg abzumessen, den wir im Verlauf
von fünf, oder vielmehr von vier Dezennien autonomer Verwaltung zurückle
gen muBten, um auf das heutige Niveau zu gelangen. [ ... ] Überblickt manden
Umschwung, der sich in Galizien wiihrend der letzten 50 Jahre vollzogen hat,
so erscheinet die Überzeugung berechtigt, daB das Land doch nicht verloren ist.
Wohl hat es wahrlich noch viel nachzuholen, um zu voller Kraft zu gelangen,
die schlimmsten Krankheiten sind aber schon überwunden. Wir sind noch nicht
so reich, wir sind noch nicht in der Kultur so vorgeschritten, wie die glückli
cheren westlichen Liinder, wir sind aber nicht mehr ein >Volk der Bettler und
Trinker<, das Land ist kein stiindiger Seuchenherd mehr, sondern vielmehr ein
Bollwerk für die ganze Monarchie zum Schutze gegen die Pest vom Osten her.
Wir sind auch nicht mehr das klassische Land des Wuchers, sondern haben
schon angefangen, ein V olk der Sparer zu werden, ein Erfolg, der um so hi:iher
anzuschlagen ist, als unser Land geographisch einen langen, weit nach Osten
ausgestreckten Arm bsterreichs bildet und wir in dieser Lage fast von allen
Seiten politisch und wirtschaftlich isoliert und unnatürlich abgeschnitten sind,
indem wir nur durch einen schmalen Landstrich an der ostschlesischen Grenze
mit dem Westen bsterreichs zusammenhiingen.« (Stefczyk 1913, 70, 86f.)
In dieser Prasentation der Errungenschaften der galizischen Elite gegenüber dem imperialen Zentrum sind die Fragilitat des Erreichten und die Kontinuitat der Hierarchie zwischen Galizien und den Zentralraumen der Monarchie eingeschrieben. Dies verknüpft sich mit einer auf den Westen gerichteten raumlichen Wahmehmung, die die kulturellokonomische Marginalisierung auf einer mental map verortete. Hingegen grenzte man sich scharf gegen das Russische Reich ab - und damit auch gegenüber Raumen, die aus einer nationalen polnischen Perspektive als Territorium beansprucht wurden. Dabei handelte es sich keineswegs um eine Einzelmeinung: So galt Warschau in Krakauer Kreisen als »wild« und »asiatisch« (Wood 2006, 28), was das ZugehOrigkeitsgefühl der polnisch-galizischen Elite zum Westen unterstreicht. (Jedlicki 1999, 144)
Allerdings war diese Position in der Eigenwahmehmung fragil: Die von Stefczyk akzentuierte raumlich schwache Verbindung mit dem Westen ist ein weit verbreiteter Topos, der auch im galizischjüdischen Diskurs verankert war. Der jüdisch-polnische Historiker Abraham J. Brawer schrieb 1910 in der Einleitung zu seinem Buch über
GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 143
die wirtschaftliche Lage Galiziens am Beginn der habsburgischen Herrschaft: »Die einzige Verbindung [Galiziens] mit dem Staate, dem es jetzt angehOrt, ist nur ein schmaler Streifen, der die Provinz mit den anderen Kronlandem der Monarchie verknüpft, zugleich das einzige Fenster in die weite Welt des Westens hinaus«. (Brawer 1910, 7)
Diese Wahmehmung raumlicher Isolation Richtung Westen ist als Metapher für die Fragilitat des bescheidenen Fortschritts zu lesen, den Galizien unter der Ágide der polnisch-galizischen Elite erreicht hatte. Wenige Jahre vor dem Zerfall der Habsburgermonarchie hatte sich somit strukturell in der Hierarchie zwischen Galizien und den westlichen Kronlandem Osterreich-Ungams nichts Substanzielles verandert.
» UNSER LAND, UNSERE WAREN, UNSER KAPITAL«- OKONOMISCHE ABGRENZUNG DER REGION NACH AUSSEN
Diesen Narrativen, die wechselseitig die subalterne Position gegenüber den westlichen Regionen Osterreich-Ungams kritisierten oder durch Anpassung aufheben wollten, folgten konkrete Grenzziehungen in den cinzelnen okonomischen Spharen, von denen Waren und Kapital, Konsum und Investitionen besonders wesentliche Bereiche darstellten.
Kalinkas Kritik an der Arbeitsteilung beruhte wesentlich auf den ungleichen Tauschbeziehungen. Auch der erwahnte Artikel der »Praca« vom Juli 1863 wandte sich gegen den Eisenbahnbau, da dadurch fremde Waren importiert würden, die die heimische Produktion verdrangten. Als Ausweg wurde die Beschrankung des Imports gefordert, bis sich in Galizien eine wettbewerbsfahige Gewerbe- und Industrieproduktion entwickelt hatte. Die Chancen, die sich durch den Export der galizischen Rohstoffe und landwirtschaftlichen Produkte ergaben, stehen in dieser Wahmehmung hinter den Nachteilen weit zurück. (Praca I/9 10 lipca 1863, 69)
Dieses vorwiegend negative Schema des Handels und damit des Konsums war ein Kontinuum des galizischen Diskurses - und stützte sich auf einen breiten Konsens, den beispielsweise Rutowski, Szczepanowski, Lityríski, Budzynovs'kyj und das »Yiddishe Vochenblat« lcilten (siehe oben sowie Szczepanowski 1888, 62, 124, 126). Allerdings blieb die geforderte Regionalisierung des Konsums eine nie eingelOste Forderung. Noch im Jahr 1907 schrieb der »Tygodnik Po-
44 1 KLEMENS KAPS
dolski«: >>Leider! Wir beschweren uns über Armut und Elend und da
bei schaffen wir es, das hart erarbeitete Geld für den Kauf auslandischer Waren ins Ausland zu schicken« (Niestety! Narzekamy na bied~t i n~tdz((, a przy tym umiemy ci~tzko zapracowany grosz wyslaé za
granic((, kupuj'!c zagraniczne towary; Chwalba 2005, 510). Franciszek Bujak konstatierte drei Jahre spater: >>Zweifellos ware
es eine sehr wünschenswerte Sache, dass wir unsere Konfektkonsumption sowohl für Herren als auch für Damen aus eigener Massen
produktion zu decken im Stande waren« (Niew'!tpliwie byloby bardzo
po:l<!dan'! rzecz'!, abysmy nasz'! konsumcy(( konfekcyi zarówno m~tskiej jak i damskiej potrafili wlasn'! masow'! produk:cy'! zaspakajaé; Bujak 1910, 454). Die mit dem zunehmenden überregionalen Warenhandel sich verscharfende Konkurrenz rief den Wunsch nach einer starkeren okonomischen Abgrenzung Galiziens hervor. Dass diese Forderung bis zum Zerfall der Habsburgermonarchie nicht eingelOst werden konnte, ak:zentuierte Galiziens subalterne Position aus Sicht
der regionalen Akteure. Etwas anders verhielt es sich mit dem Kapital, dessen Ankunft in
der Region a1s wesentlicher Faktor für den Aufbau von Industriebetrieben erwünscht war. Ein Jahrzehnt, nachdem nach der Weltwirtschaftskrise von 1873 Kapital aus den osterreichisch-ungarischen Zentren, Westeuropa und Nordamerika nach Galizien zu stromen begonnen hatte, zog Tadeusz Rutowski zufrieden Bilanz:
[Das fremde Kapital hat uns gernieden als ein Land, in dem nichts geht. Heute
steht jedoch rnit dem Eisenbahnnetz ein groBer Teil des Landes für Industrie
und Handel offen. [ ... )Die Stufe der wirtschaftlichen Reife des Landes und der
Grundbesitzer hat sich etwas gehoben. Und dennoch ist der Preis für Boden,
Arbeiter und Baumaterialien usw. weit niedriger als in den westlichen Kron
Hlndern. Die Industriekapitalisten der westlichen iisterreichischen Provinzen
müssen sich daher doch an uns wenden, an ein Land, dessen Zeit für eine ge
wisse wirtschaftliche Entwicklung, den Übergang der Landwirtschaft in den
Stand einer intensiven Bewirtschaftung und die Entstehung der Landesindust
riekommt.]
>>Übcy kapital stronil od nas, jak od kraju, w którym ni e sift nie powodzi. Dzis
jednak sieé kolei zelaznych, wielka CZftSé kraju zostaje otwart~ dla przemyslu i
handlu. [ ... ) Podniósl sift nieco stopieú dojrzalosci ekonornicznej kraju i
ziernian. A przeciez ceny zierni, robotnika, surowego materyalu budowlanego
GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 145
itd., s~ daleko nizsze, niz w krajach zachodnich. Kapitalisci-przemyslowcy
zachodnich prowincyj austryackich, musz~ sift WÍftC nareszcie zwrócié do nas,
jak do kraju, na który nareszcie przychodzi czas jakiegos rozwoju ekonornicz
nego, przejscia rolnictwa w stan gospodarstwa intensywnego, powstania
krajowego przemyslu.<< (Rutowski 1883c, 117)
Entsprechend des positivistischen Fortschrittsoptimismus wurde in den
frühen 1880er Jahren genau das erwartet, was schlussendlich nicht einlrat: der Aufbau einer nachhaltigen Industrie, >>nach westeuropaischem Muster«, wie Franciszek Bujak es noch 1910 forderte. (Bujak 1910, 2lJ4)
Von Beginn an trafen die extemen Investitionen in Galizien auf kriti
sche Stimmen. Ein wichtiges Konfliktfeld stellte die Erdülfürderung dar, wohin die meisten Kapitalinvestitionen flossen. In den Debatten im galizischen Landtag (Sejm) um die Regelung der Eigentumsrechte
llinsichtlich der Erdülfürderung meinte der ruthenische Abgeordnete und Anwalt Vasyl' Koval's'kyj am 16. Januar 1874, der Naturreichlum Galiziens sei bei den polnischen GroBgrundbesitzem am besten aufgchoben. Auslandische Investoren würden galizisches Ól fürdem, 1's aher in Amerika raffinieren und Galizien dann verkaufen, wovon
die Region keinen Nutzen habe. In der gleichen Sitzung gab ein weitern ruthenischer Abgeordneter, der Geschichtslehrer Mykola Antonevyc, zu Protok:oll, in einer derartigen Situation >>würde unser Land wie ~·ine ausgequetschte Zitrone übrig bleiben, und die GroBgrundbesitzer wlirdcn in Armut und Elend geraten«. (Frank 2007, 70)
Bcide Politiker appellierten an die von den polnischen GroBgrundll('silzcrn dominierte Abgeordnetenmehrheit im galizischen Sejm, um
iiJrc cigene Klientel - die ruthenischen Bauem - zu schützen. Denn dwscn drohte die Verdrangung aus der Erdülfürderung, indem k:apitalk 1 :ilt igc, mit Technologie und Managementfertigkeiten ausgestattete ¡·xtnnc Untemehmen nicht nur effizienter produzierten, sondem auch
i1111' ( iründe erwarben. Damit wurden sie anders als bei einer Verpach-11111¡>. des Bodens- wie es die GroBgrundbesitzer praktizierten- am Erlo' dn Erdülfürderung nicht beteiligt. (Bujak 1910, 159, 166)
1 kr Appell blieb wirkungslos, 1884 wurde die Rechtslage im Sin-111' dn (]roBgrundbesitzer geregelt. Durch die Umkrempelung des Pro
dllktions- und Verarbeitungsprozesses in der Erdolbranche zerbrach I!'IH' /\llianz aus jüdischen Kleinbesitzem, ruthenischen Bauem und
46 1 KLEMENS KAPS
polnischen Grundbesitzem, die bis dato die galizische Erdolforderung
gelenkt hatten. (Frank 2007, 71-74) Die Befürchtungen der rutheni
schen Abgeordneten bestatigte drei Jahrzehnte spater ein Bericht von
Wilhelm Horoschowski in der »Ruthenischen Revue« über die Zu
sUinde des ErdOlgeschafts in Boryslaw/Boryslav, einer der wesentli
chen Forderstiidte im ostgalizischen ErdOlbecken (Horoschowski
1904 ). Der Bericht zeichnet ein Bild soziookonomischer Konflikte
zwischen den ethnischen Gruppen in der Region selbst, betont aber die
Allianz der traditionellen lokalen Elite (des polnischen Adels und sei
ner jüdischen Vermittler) mit dem >Ausland<.
Der gemeinsame Bezug auf >unser Land< war verschwunden. Das
in der ErdOlindustrie investierte exteme Kapital beeinflusste Nationali
sierungsprozesse der galizischen Gesellschaft, indem dadurch die nati
onal gefasste polnische Industrie etabliert werden konnte, die für die
Ruthenen eine Konkurrenz und Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Exis
tenz darstellte. Die Verbindung von >polnisch< rnit >Ausland< verstark
te die diskursiven Binnendifferenzen zwischen galizischen Ruthenen
und Polen.
Explizite Kritik am Kapitalimport kam jedoch auch von polnischer
Seite. Bereits Stanislaw Szczepanowski verwies auf die negative Zah
lungsbilanz Galiziens und forderte vermehrte Sparsamkeit der einhei
mischen Bevolkerung. (Szczepanowski 1888, 62-64, 67) Dementspre
chend setzte er auf eine Mobilisierung der >polnischen Nation<- wirt
schaftliche Entwicklung sollte dabei als Basis für die politische Unab
hiingigkeit dienen, wofür es notwendig sei, sich vom >Deutschtum< zu
befreien, da die Polen von den Deutschen genug >gelemt< hatten. Da
rnit legitimierte Szczepanowski retrospektiv den germanisierenden Zi
vilisierungsdiskurs der habsburgischen Bürokratie des spaten 18. und
frühen 19. Jahrhunderts, was wiederum mit der an Europa orientierten
Zivilisierungsmission korreliert, die Szczepanowski proklamierte.
(Szczepanowski 1888, 180, 187) Drei Jahrzehnte spater hatte nicht nur das AusmaB des in Galizien
engagierten extemen Kapitals, sondem auch die Kritik daran deutlich
zugenommen:
[Durch den Massenkonsum fremder Industrieerzeugnisse, durch den Zufluss
fremden Kapitals und fremder Elemente in Industrie und Handel, durch die
Erwerbsemigration geraten wir schrittweise immer mehr in die wirtschaftliche
Abhangigkeit von Fremden. Die fremde politische Beherrschung wird durch
GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 147
eine iikonomische erganzt; die Fremden regieren uns nicht nur, sondern weisen
uns an, für sie zu arbeiten, direkt als ihre Lohnarbeiter im In- und Ausland und
i ndirekt als Konsumenten ihrer Industrieerzeugnisse. lnfolgedessen lasst unsere
Sclbststandigkeit und kulturelle Einheit [ ... ] nach [ ... ] und immer deutlicher
droht ihr ein Zerrinnen in Hinsicht auf das Überfluten durch die fremden kultu
rellen Organismen.]
,J>rzez masow~ konsumpcyy obcych wyrobów przemys!owych, przez przy
plyw obcego kapita!u i obcych elementów przemys!owych i handlowych, przez
t'lnigracy~t zarobkow~ stopniowo coraz bardziej popadamy w zaleznosé gospo
darcz~ od obcych. Obce w!adztwo polityczne uzupe!nia SÍ\! ekonomicznem;
"J,,·y nie tylko nami rz~dz~. ale i na siebie kaz~ nam pracowaé, wprost jako
.. wym najemnikom w kraju i zagranic~ i posrednio jako konsumentom ich
'' vrohów przemys!owych. Wskutek tego nasza samodzielnosé i jednosé kultu-
1 :tina. pozbawiona kolejno w!asnego panstwa, w!asnego terytoryum i wlasnej
<Hranizacyi spo!ecznej maleje, rozprz~tga si~t i coraz wyrazniej grozi jej rozp!y-
111\'<"lt' si9 wzgl~tdnie zalew przez obce organizmy kulturalne.<< (Bujak 1910,
1111
111 dicser Kritik manifestiert sich die Verdichtung von Konsum und
1\apitalimporten zu einem Bild allgemeiner extemer Abhangigkeit und
dt'l daraus erwachsenden Angst, sowohl die okonomische als auch kul
ltlll'llt· l·:igenstandigkeit zu verlieren. Emeut zeigt sich, wie Konkur-
11'11/ twischen Raumen starke Auswirkungen auf regionale und viel-
1111'111 11och nationale Identitat nach sich zieht.
< lt·¡•L'tli.iher diesen skeptischen Stimmen, die Kontrollverlust und
1 h·wtllllahrluss ins Ausland befürchteten, gab es jedoch auch eine dif
lt'll'llllt'l"ll' his positive Beurteilung des extemen Kapitalengagements
111 < iulllit·n. Dies betraf jene Banken und industriellen GroBbetriebe,
dll· 1111 i\usweitung ihrer Aktivitaten, aber auch zum Mithalten mit der
l'~lt'llll'll Konkurrenz Kapital benotigten. Insbesondere der Aufbau von
ltllltt'>ll íchranchcn war ohne Kapitalzufluss gar nicht zu bewerkstelli-
11"" 1 k1 Tt·xtiluntemehmer, Professor und spatere Rektor des Lember
ll''' 1 '1 >1 vlt·vhnikums, der 1868 in Warschau geborene Stanislaw An
' 1\1 . '>dllwh 1903:
lllh1"'lti "h 111ir am meisten wünschen würde, dass die bei uns entstehende
h>•llllndll.,lllt' sorort polnisch ware, scheint es mir, dass dies nicht ohne die
J:iftlllllltiiiF lll'llldn Elcmente ablaufen kann, weil uns vor allem daran liegt,
46 1 KLEMENS KAPS
polnischen Grundbesitzem, die bis dato die galizische Erdi:ilfi:irderung gelenkt hatten. (Frank 2007, 71-74) Die Befürchtungen der ruthenischen Abgeordneten bestatigte drei Jahrzehnte spater ein Bericht von Wilhelm Horoschowski in der >>Ruthenischen Revue« über die Zustande des Erdi:ilgeschafts in Boryslaw/Boryslav, einer der wesentlichen Fi:irderstadte im ostgalizischen Erdi:ilbecken (Horoschowski 1904 ). Der Bericht zeichnet ein Bild soziookonomischer Kont1ikte
zwischen den ethnischen Gruppen in der Region selbst, betont aber die Allianz der traditionellen lokalen Elite (des polnischen Adels und sei
ner jüdischen Vermittler) mit dem >Ausland<. Der gemeinsame Bezug auf >unser Land< war verschwunden. Das
in der Erdolindustrie investierte exteme Kapital beeinflusste Nationalisierungsprozesse der galizischen Gesellschaft, indem dadurch die nati
onal gefasste polnische Industrie etabliert werden konnte, die für die Ruthenen eine Konkurrenz und Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Exis
tenz darstellte. Die Verbindung von >polnisch< mit >Ausland< verstarkte die diskursiven Binnendifferenzen zwischen galizischen Ruthenen
und Polen. Explizite Kritik am Kapitalimport kam jedoch auch von polnischer
Seite. Bereits Stanislaw Szczepanowski verwies auf die negative Zah
lungsbilanz Galiziens und forderte vermehrte Sparsamkeit der einheimischen Bevolkerung. (Szczepanowski 1888, 62-64, 67) Dementspre
chend setzte er auf eine Mobilisierung der >polnischen Nation<- wirtschaftliche Entwicklung sollte dabei als Basis flir die politische Unabhangigkeit dienen, wofür es notwendig sei, sich vom >Deutschtum< zu befreien, da die Polen van den Deutschen genug >gelemt< hatten. Damit legitimierte Szczepanowski retrospektiv den germanisierenden Zivilisierungsdiskurs der habsburgischen Bürokratie des spaten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, was wiederum mit der an Europa orientierten Zivilisierungsmission korreliert, die Szczepanowski proklamierte. (Szczepanowski 1888, 180, 187)
Drei Jahrzehnte spater hatte nicht nur das AusmaB des in Galizien
engagierten extemen Kapita1s, sondem auch die Kritik daran deutlich zugenommen:
[Durch den Massenkonsum fremder Industrieerzeugnisse, durch den Zufluss
fremden Kapitals und fremder Elemente in Industrie und Handel, durch die
Erwerbsemigration geraten wir schrittweise immer mehr in die wirtschaftliche
Abhiingigkeit von Fremden. Die fremde politische Beherrschung wird durch
GALIZISCHE MODERNISIERIJNII:.IJIId•llll'd 1 ·11
L'ine i.ikonomische ergiinzt; die Fremden regieren uns nicht nur, sondcm wcisl'll
uns an, für sie zu arbeiten, direkt als ihre Lohnarbeiter im In- und Ausland und
i ndirekt als Konsumenten ihrer Industrieerzeugnisse. Infolgedessen liisst unsere
Sclbststiindigkeit und kulturelle Einheit [ ... ] nach [ ... ] und immer deutlicher
Jroht ihr ein Zerrinnen in Hinsicht auf das Überfluten durch die fremden kultu
rcllen Organismen.]
»Przez masowi} konsumpcyt< obcych wyrobów przemyslowych, przez przy
plyw obcego kapitalu i obcych elementów przemyslowych i handlowych, przez
cmigracyt< zarobkowi} stopniowo coraz bardziej popadamy w zaleznosé gospo
darczi} od obcych. Obce wladztwo polityczne uzupelnia sit< ekonomicznem;
obcy nie tylko nami rzi}dZi}, ale i na siebie ka:i:i} nam pracowaé, wprost jako
swym najemnikom w kraju i zagranici} i posrednio jako konsumentom ich
wyrobów przemyslowych. Wskutek tego nasza samodzielnosé i jednosé kultu
ralna, pozbawiona kolejno wlasnego paústwa, wlasnego terytoryum i wlasnej
organizacyi spolecznej maleje, rozprzt<ga sit< i coraz wyrazniej grozi jej rozply
nit<cie sit< wzglt<dnie zalew przez obce organizmy kulturalne.« (Bujak 1910,
III)
In dieser Kritik manifestiert sich die Verdichtung von Konsum und Kapitalimporten zu einem Bild allgemeiner extemer Abhangigkeit und
der daraus erwachsenden Angst, sowohl die i:ikonomische als auch kulturelle Eigenstandigkeit zu verlieren. Emeut zeigt sich, wie Konkurrenz zwischen Raumen starke Auswirkungen auf regionale und viel
mehr noch nationale Identitat nach si eh zieht. Gegenüber diesen skeptischen Stimmen, die Kontrollverlust und
Gewinnabfluss ins Ausland befürchteten, gab es jedoch auch eine dif
ferenzierte bis positive Beurteilung des extemen Kapitalengagements in Galizien. Dies betraf jene Banken und industriellen GroBbetriebe, die zur Ausweitung ihrer Aktivitaten, aber auch zum Mithalten mit der extemen Konkurrenz Kapital beni:itigten. Insbesondere der Aufbau von Industriebranchen war ohne Kapitalzufluss gar nicht zu bewerkstelli
gen. Der Textiluntemehmer, Professor und spatere Rektor des Lemberger Polytechnikums, der 1868 in Warschau geborene Stanislaw An
czyc, schrieb 1903:
[Obwohl ich mir am meisten wünschen würde, dass die bei uns entstehende
Textilindustrie sofort polnisch wiire, scheint es mir, dass di es nicht ohne die
Einführung fremder Elemente ablaufen kann, weil uns vor allem daran liegt,
48 1 KLEMENS KAPS
dass bei uns eine effiziente Industrie entsteht, und erst danach, dass diese In
dustrie sofort polnisch, und nicht deutsch oder tschechisch von Anfang an ist.]
»Jakkolwiek wi~tc najgor~tcej pragnlllbym, aby powstajllCY u nas przemysl
tkacki by! odrazu polskim, zdaje mi si~t, ze si~t nie obejdzie bez wprowadzenia
zywiolów obcych, bo przedewszystkim zalezy nam na tem, aby by! u nas
racyonalny przemysl, a potem dopiero, aby ten przemysl by! odrazu polskim, a
nie niernieckim lub czeskim z poczlltku.<< (Anczyc 1903, 37)
Anczyc vertrat allerdings die Meinung, man solle alles Mogliche tun, damit sich die in Galizien niederlassenden Untemehmer polonisierendurch Assimilation sollte nationales Kapital geschaffen werden. Aus dieser Perspektive verband sich Kapitalimport mit der polnischen Nationsbildung in zweifacher Weise: Ókonomisch sollte für die >Überlebensfahigkeit< der polnischen Nation (und eines spliter zu gründenden Nationalstaates) gesorgt werden, das importierte Kapital zugleich der
Nation auch kulturell und identitlitspolitisch zugeordnet werden. Anczyc geht dabei stlirker als Rutowski von einer traditionellen Form des Kapitalimports aus, die j edoch zu der Zeit der V eroffentlichung seines Buchs immer mehr an Bedeutung verlor.
Die strukturellen Beschrlinkungen der subalternen Position Galiziens verunmoglichten eine stlirkere Abschottung von auBerhalb der
Region kommenden Einflüssen sowohl im Konsum als auch im Bereich von Kapitalinvestitionen. Die oft negative Erfahrung mit externer, überregionaler Konkurrenz, die wie bei Anczyc zunehmend in nationalen (und nicht mehr territorialen) Kategorien wahrgenommen wurde, konnte somit keine entsprechend abgrenzenden MaBnahmen nach sich ziehen, verstlirkte jedoch die identitlitspolitischen Grenzziehungen sowohl nach auBen als auch nach innen.
»JÜDISCHE WAREN, POLNISCHE BANKEN, MASURISCHE KOLONIEN«- ETHNISIERUNG UNO NATIONALISIERUNG IM INNEREN
Bereits in den bisherigen Ausführungen wurde deutlich, wie wenig die W ahmehmung von Konkurrenz im Raum von der W ahmehmung in
nationalen Schemata und Kategorien zu trennen ist: Aufgrund der Plurikulturalitlit der galizischen Bevolkerung war die hliufige Gleich-
GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 149
setzung des habsburgischen Kronlandes mit der polnisch dominierten
politischen, okonomischen und kulturellen Elite eine fragmentarische Wahmehmung. 1884 kritisierte Ivan Franko, dass die polnische Gesellschaft in Galizien »anstatt sich um das gemeinsame lnteresse von
Land und Nation, sowohl der ruthenischen als auch der polnischen, zu kümmem, begonnen habe, als lnstrument in den Hlinden bequemer >Patrioten< zu dienen<< (3aMiCTb ¡:¡6anr rrpo crriJibHe ¡:¡o6po Kparo i
Hapo.n:y, HK pychKoro TaK i IIOJibCKoro, rroqarra crryx<RTR 3a opy.n:ie B pyKax 3pyqHRX >IIaTpioTHRKiB»; Franko 1884b, 372).
Auch wenn die Wahmehmung von der Bedrohung durch überregionale Konkurrenz einen unbestrittenen Konsens im galizischen Diskurs darstellte, waren die nationalen und ethnisch-kulturellen Ein
schreibungen in diesen so stark, dass die liuBere Abgrenzung zugleich eine innere bedingte oder verstlirkte. Auf der regionalen, innerrliumlichen Ebene spiegelte sich somit ein Prozess von globa1er Dimension.
Deutlich llisst sich dies im Bereich des Konsums bzw. der Waren
beobachten. Lag bei dem überregionalen Verhliltnis der Fokus auf galizischen vs. fremden Produkten, so ergab sich im lnneren die Moglichkeit weiterer Differenzierungen: So druckte die ruthenische, natio
nalistische Zdtung »Bat'kélvscyna<< am 26. Mlirz 1886 einen Korrespondentenbericht aus dem zentralgalizischen Bezirk Sambor/Sambir ab, in dem von »jüdischen Waren« zu lesen ist. (Bat'kélvscyna, 12, 26 Beresnja 1886, 77)
Die im Diskurs oft behauptete Übervorteilung von Bauem durch Hlindler (Tokarski 2003, 169) wurde in einem ethnisch-kulturellen Schema verortet und führte zur Etablierung der bekannten christlichen Genossenschaftsbewegung, die jüdische Hlindler zu verdrlingen versuchte. So beklagte ein Artikel in der zionistischen Zeitung »Die
Welt« im Jahr 1899 den Verlust des Lebensmittelverkaufs jüdischer Handler im ostgalizischen Bolechów/Bolechiv. (»Die Welt<< Nr. 16 vom 21.4.1899, 11) Ana1og verhielt sich die Sache im Kreditwesen:
Wlihrend$tanislaw Szczepanowski im Einklang mit romisch-katholischer und unierter (griechisch-katholischer) Kirche die Disziplinierung
der llindlichen polnischen wie ruthenischen Bevolkerung forderte (Enthaltsamkeit bei Alkoho1, Arbeitsdisziplin, Sparsamkeit), bedeutete
seine Forderung nach Assimilation der galizischen Juden ihre Verdrlingung aus Kreditwesen, Handel und Gewerbe. (Szczepanowski
1888, 172)
50 1 KLEMENS KAPS
Wurden aus polnisch-galizischer Sicht Dominanz und Macht jüdisch-galizischer Kreditgeber und Bankiers beklagt, so findet sich diese Wahrnehmung auf der jüdischen Seite spiegelverkehrt wieder. Ein Artikel der »Welt« übte im April 1899 scharfe Kritik an der Vor
machtstellung des polnischen Krakauer Adels (der Staríczyken):
»Mit Hilfe einiger jüdischer Grossmiikler rissen sie [die Staúczyken] wahrend
der Zeit ihres Regimes alle wirtschaftlichen Einrichtungen, besonders aber alle
Bank- und Credit-Institute an sich. Dass diese Juden es nicht scheuten, trotz al
ler antisemitischer [sic] Tendenzen den Staúczyken Factorendienste zu leisten,
braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. [ ... ] Sie bekamen doch ihre
entsprechende Sensarie und sonst non olet. Dieses Nonoletprincip fand aber
auch bei den edlen Staúczyken Eingang. Ihr antisemitisches Princip hinderte
sie nicht daran, das Geld von überallher, ja sogar von den Juden zu nehmen.
Und unsere Juden, waren ihrerseits >überglücklich<, dass >solche Bank-Institu
te<, wie die Galizische Sparcasse, die Galizische Creditbank, die Krakauer
wechselseitige Versicherungs-Gesellschaft u. dgl. >von ihnen Einlagen aufnah
men<. [ ... ] Sie waren ganzlich blind für die >Bankpolitik< dieser Herren, eine
Bankpolitik, welche nicht darin bestand, der okonomischen Bedeutung des
W ortes gemass, die Einlagen in Sparcassenerfordernissen entsprechender Art
zu fructificieren, sondern die den jeweiligen Leitern politisch Gleich gesinnten
zu fordern und die Juden wo nur moglich hauptsachlich von Handel und In
dustrie zu verdrangen.« (Die Welt 17, 28.4.1899, lOf.)·
Aus der Perspektive der jüdischen Mittel- und Unterschichten, die sich
dem Zionismus in Galizien zuwandten (HOdl1991, 25f., 54), verstarkten die von der galizischen Regionalelite forcierten Entwicklungsprogramme ihre Marginalisierung. Die Kritik richtete sich jedoch auch
gegen die jüdische Elite, die im Sinn des polnischen Assimilationsparadigmas in den okonornischen Institutionen partizipierte. Formulierte der Artikel sornit eine Kritik aus einer im sozialen wie nationalen Sinn subalternen Position, ermoglichte es die sozial dominante Position jüdischer GroBhlindler und Bankiers, als Teil der politisch und okonomisch dorninanten polnischen Elite zu erscheinen.
Wie der weitere Verlauf des Textes aber deutlich macht, stieBen assirnilierte Juden nicht auf volle Akzeptanz seitens des polnischen Milieus - weshalb Assirnilation einer soziookonomisch patenten, aber
kulturell subalternen Gruppe als Selbstzivilisierung bzw. Selbstanpassung gefasst werden kann, die jedoch die subalterne Position zurnin-
GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 151
dest nicht unrnittelbar aufheben konnte. Die unterschiedlichen sozialen
Einschreibungen und Prarnissen nationaler bzw. kulturell-ethnischer Diskurse machen die eigentliche Heterogenitat der galizischen Gesellschaft deutlich, die durch klare Grenzziehungen zwischen als homogen gedachten nationalen Gruppen nicht fassbar war.
Neben Waren und Kapital war aber noch in einem bedeutend starkeren AusmaB der Boden ein Konfliktfeld. Hatte die »Praca« noch im
Februar 1865 in ihrem Aufmachertext unter dem Titel »Enteignung« (Wywlaszczenie) den Verkauf von Gütern polnischer Magnaten an fremde Adelsfarnilien seit Beginn der habsburgischen Herrschaft beklagt (Praca IV/10, 4 lutego 1865, 1), so verlagerte sich nur wenige Jahre spater die Wahmehmung auf die zwischenethnischen Beziehungen innerhalb Galiziens. In einem Lehrstück des griechisch-katholischen, ukrainophilen Priesters Stepan Ka~ala heiBt es nur wenige Jahre spater: »aber schaut, die Bauern bekommen nichts, und die Juden -was nie so war- besitzen die Gründe der Bauern« (arre 6aqnnr, rocrro.n:apt cxo.n:.t..Tb Hi>-na-mo, a )KH,!lbi, qoro He 6ysa.rro, rroct.n:aroT rpyHTbi
rocrro.n:apcKií:; Ka~ala 1874, 4). Ein Jahrzehnt spater rief Rutowski dazu auf, »den Boden für die Nation zu retten, ihn in polnischen Handen zu halten« · (uratowaé ziemiy dla narodu, zachowaé j(! w rykach
polskich; Rutowski 1883a, 10). Szczepanowski wiederum klagte: »Er [der polnisch-galizische Adel] starb aus wie ein Anachronismus, [ ... ]
und wird durch das neue jüdische Bürgertum ersetzt, das sich seit zwanzig Jahren einen bedeutenden Teil unseres Landes aneignete« (Wyginylajako anachronizm, takjakjeszcze ginie przed naszerni [sic]
oczyma i ustypuje siy nowemu obywatelstwu zydowskiemu, które od dwudziestu lat zagarnylo tak znaczn(! czysé kraju; Szczepanowski 1888, 74).
Die weit verbreiteten Klagen über an die Stelle christlicher Bauern und polnischer Magnaten tretende jüdische Grundbesitzer reflektierten die nach der 1868 beschlossenen Aufhebung des Teilungs- und Ver
kaufverbots .. bauerlicher Gründe massiv angestiegenen Zwangsversteigerungen von Bauernhüfen infolge von Verschuldung. (Dinklage 1973, 422) Zwar hatte ein Gros der Privatglaubiger einen jüdischen Hintergrund, diese machten jedoch nur einen Teil der Glaubiger insgesamt aus - zusammen rnit christlichen Privatglaubigern, Banken, Sparkassen und Kreditvereinigungen. (Tokarski 2003, 96, 102-106)
Das, »was vorher nie so war«, markierte sornit eine neue Erfahrung von okonornischer Prekaritat in einer Marktwirtschaft, die in den Ter-
52 1 KLEMENS KAPS
mini ethnischer Differenz wahrgenommen wurde. Zwar stieg tatsach
lich bis zum Ersten Weltkrieg die Anzahl jüdischer Grundbesitzer
stark an - allerdings nicht in gleichem AusmaB die von ihnen gehalte
ne BodenfHiche (da der pro Person gehaltene Grundstücksbesitz sich
stark verkleinerte). In beiden Fallen stellten jüdische Besitzer und der
von ihnen gehaltene Besitz eine Minderheit in Galizien dar, standen
jedoch in überproportionalem Verhaltnis zu ihrem Anteil an der Be
vi:ilkerung insgesamt. (G~sowski 1999, 123-125) Somit lieB das von
polnischer wie ruthenischer Seite bekundete Unbehagen an dem zu
nehmenden Landbesitz durch galizische Juden eine von den dominan
ten Akteuren befürchtete Verschiebung im Verhaltnis von Dominanz
und Subalternitat erkennen. Die Existenzangste sozial prekar gestellter
Gruppen wurden in Bezug zu den reklamierten Prarogativen politisch
kultureller Dominanz gesetzt, die die Eliten beider nationaler Gruppen
in Bezug auf das galizische Judentum für sich beanspruchten.
Doch der Konflikt um Grund, Boden, Land und schlussendlich
Raum im physischen Sinn war nicht auf einen polnisch-jüdischen oder
einen ruthenisch-jüdischen beschrankt. Der Vorsitzende der zu Beginn
der 1890er J ahre gegründeten »Gemeinschaft der Volksschule« (To
warzystwo Szkoly Ludowej, kurz: TSL) Adam Asnyk erklarte auf der
ersten Hauptversammlung 1893, das Ziel des Vereins sei es,
>>unsere Sprache und NationaliUit überall dort zu verteidigen, wo dies erforder
lich ist. Wir haben graBe Grenzgebiete, Marken des Polentums, in denen die
Tatigkeit des Vereins einen enormen Einfluss ausüben kann. Wir haben Schle
sien und die Bukowina und vor allem haben wir in Ruthenien masurische Ko
lonien, die durch lange Vernachlassigung, durch den Mangel an Schulen, die
sie selbst nicht errichten konnen, gezwungen sind, ihre Kinder in ruthenische
Schulen zu schicken, und die auf diese Weise der langsamen Entnationalisie
rung unterliegen.<< (Sprawozdanie Zarzqdu Glównego TSL pod koniec roku
1893, 16, zit. nach Struve 2005, 264)
Analog zum christlich-jüdischen Beziehungsgeflecht ist auch hier ein
Positionswechsel im Verhaltnis von Dominanz und Subaltemitat er
kennbar- mit dem wesentlichen Unterschied, dass dieser aufgrund der
Besiedlungsmuster von Polen und Ukrainem in Galizien verraumlicht
wurde: Die polnisch-galizische Elite, die politische, wirtschaftliche
und soziale Vorherrschaft nicht nur reklamierte, sondem auch in man
nigfacher Hinsicht ausübte, musste zur Kenntnis nehmen, dass Polen
GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 153
in Ostgalizien jenseits der groBen Stadte wie Lemberg, Przemysl und
Kolomea!Kolomyja!Kolomyja eine zahlenmaBige Minderheit darstell
ten. (Hrycak 2006, 37)
In den Kategorien von politisch beanspruchtem Territorium ge
dacht suchten nicht nur nationalistische Kreise, die das TSL frühestens
ab der J ahrhundertwende dominierten, dieses Territorium für einen
zukünftigen polnischen Staat durch die Nationalisierung der dort le
benden Bevi:ilkerung zu gewinnen. Bereits Szczepanowski hatte auf
die Bedeutung der »masurischen Kolonien« (kolonie mazurskie) in Li
tauen, Podolien und der Ukraine als >>ethnische Bindung der Gebiete
der alten Republik [Polen]<< (spójniy etniczn'l ziem dawnej Rzeczpos
politej) verwiesen und es bedauert, dass die polnischen Emigranten aus
Galizien nicht in den Süd-Westen Richtung Schwarzes Meer zur Be
siedlung umgeleitet werden konnten, sondem sich nach Nordamerika
wandten. (Szczepanowski 1888, 106)
Wie sich die territoriale Absicherung durch bevi:ilkerungspolitische
Siedlungsprojekte mit einem Gefühl kultureller Hi:iherwertigkeit ver
band, hatte wenige Jahre zuvor Ivan Franko in einem Kommentar in
>>Dilo<< zu einem Artikel der >>Gazeta Naddniestrzaríska<< deutlich ge
macht. Der Autor des Textes, Eduard Solecki, hatte Kritik an der »Zi
vilisierung<< (yu,HBÍJii3ysaHmr) der ruthenischen Gebiete durch die
>>masurische Nation« (Rapo¡:¡: Ma3ypChKHií.) geauBert und sich für eine
>> Vermischung der slawischen Geschlechter<< (MimaHH5! rmeMeH
cJios'5IHChKHX MÍ)!( co6mo) stark gemacht. Diese salle allerdings frei
willig und nicht durch Zwang erfolgen. Zugleich wurde auf die ge
meinsamen Interessen von Ruthenen und Polen gegenüber jüdischen
Besitzem verwiesen. (Franko l884c) Auch Franko selbst teilte diese
Position und trat für ein Agrarprogramm ein, das durch Kollektivie
rungen Polen und Ruthenen den Grund- und Bodenbesitz sichem und
alle >>fremden Elemente«, worunter er vorwiegend Juden verstand,
ausschlieBen sollte. (Hrytsak 1999, 144)
Exemplarisch wird hier deutlich, wie die Trennlinien bis hin zum
Ausschluss von Juden für eine Interessenallianz von Polen und Ruthe
nen in Ostgalizien konstitutiv waren. Dies kommt auch in der instituti
(lllellen Struktur der Gesellschaft zum Ausdruck: Der 1890 in Lemberg
von der Bauempartei um den Polen Boleslaw Wyslouch gegründete
>> Verein der Freunde der Bildung« (Towarzystwo Przyjaciól Oswiaty),
an dem auch Franko beteiligt war, nahm gegenüber den Ruthenen eine
kooperative Haltung ein. (Struve 2005, 264) Spatestens nach der Jahr-
54 1 KLEMENS KAPS
hundertwende gerieten diese Milieus nicht nur durch nationalistische Organisationen in die Defensive, sondem unterlagen selbst einer Nationalisierung: Ivan Franko raumte spatestens 1899 der nationalen vor der sozialen Frage Prioritat ein (Hrytsak 1999, 143, 145), die Bauempartei verpasste sich 1903 das Pradikat »polnisch«.
Die sich dadurch versch!irfende polnisch-ruthenische Polarisierung (Struve 2005, 415) manifestierte sich auch im Konflikt um Grund und
Boden, wie ein Leitartikel im nationaldemokratischen »Slowo Polskie«, das von dem polnischen Erdolindustriellen Waclaw Wolski herausgegeben wurde, vom 8. Marz 1910 belegt:
[Wir sind eine Minderheit in Ostgalizien. Dennoch überragen wir die rutheni
sche Mehrheit durch unsere kulturelle, geistige und materielle SUirke. Und aus
dem Titel dieser kulturellen Überlegenheit sind wir uns der uns übertragenen
Zukunft des Rechts und der Obhutsverpflichtung gegenüber der gesamten Be
vi:ilkerung des Landes bewusst- sowohl der ruthenischen als auch der polni
schen, sornit der Regierung des Landes. [ ... ] Aber es rettet uns keine noch so
effektive Organisation, es retten uns nicht die hervorragendsten politischen Er
folge im Bereich von Parlament und Landtag, wenn wir in den ostlichen Dor-
fern den Boden unter den FüBen verlieren, [ ... ] falls wir in diesem Landesteil
unseren bisherigen Grundbesitz verlieren. [ ... ] Wir müssen erkennen, dass die
Stlidte allein kein ausreichendes Bollwerk des Polentums sein konnen [ ... ]
Wenn in unseren Stiidten in der Gegend um Posen das polnische Element die
Deutschen siegreich verdriingt trotz der ungeheuren Anstrengungen der preuBi
schen Regierung, >das Deutschtum in den ostlichen Marken zu erhalten<, so
verdanken wir das vor allem der Imrnigration der polnischen Landbevolkerung
in die Stlidte. [ ... ] Wir haben leider in den letzten Jahren [in Ostgalizien] schon
sehr viel verloren. Und es ist eine Tatsache, dass die Mehrheit der parzellierten
Güter in nicht-polnische Hiinde übergeht. [ ... ] Und unsere eifrigste Aufgabe in
der nationalen Politik ist heute die Organisation einer intensiven polnischen
Parzellierungskolonisation. Solange wir nicht die systematisch geplante Ver
teidigung polnischen Bodens in den ostlichen Marken organisieren, solange
wir nicht eine unter dem nationalen Gesichtspunkt rationale Parzellierungs
verrnittlung schaffen [ ... ], wird sich der polnische Grundbesitzstand weiter
verringern und der ruthenische Grundbesitzstand wird sich vergroBern.]
»Jestesmy mniejszoscil! we wschodniej Galicji. Górujemy jednak nad
wi~kszoscil! rusk11 sil11 kultury i duchowej i materialnej. I z tytulu tej wyzszosci
kulturalnej poczuwamy si~ i dzis do przekazanego nam przeszloscil! prawa
GALIZISCHE MODERNISIERUNGSDISKURSE 155
i obowi11zku pieczy o cal!! ludnosé kraju zarówno rusk11 jak polskl!, rz11dzenia
wi~c krajem. [ ... ] Ale nie uratuje nas zadna, najspr~zystsza organizacja, nie
uratujl! nas najwspanialsze sukcesy polityczne na terenie parlamentarnym i
sejmowym, jezeli stracimy grunt pod nogarni po wsiach wschodnich, [ ... ] je:i:eli
utracimy dotychczasow11 nasz11 w tej cz~sci kraju wlasnosé ziemsk11. [ ... ]
Nale:i:y zdawaé sobie spraw~, :i:e same tylko rniasta nie b~dl!, nie mog11 byé dos
tatecznl! ostojl! polskosci, je:i:eli zginie nasza po wsiach sila. [ ... ] Jesli w
naszych rniastach w Poznanskim zywiol polski wypiera zwyci~sko Niemców
mimo olbrzyrnich zasilków rz11du pruskiego na >utrzymanie niernieckosci na
kresach wschodnich<, zawdzi~czamy to przedewszystkiem [sic] imrnigracji do
miast tych polskiej ludnosci wiejskiej. [ ... ] Utracilismy jej ju:i: niestety bardzo
du:i:o ostatnirni laty. Parcelacja wzmaga si~ cil!gle. A faktem jest, ze wi~kszosé
parcelowanej zierni przechodzi cil!gle jeszcze w r~ce niepolskie. [ ... ] I najpil
niejszym wlasnie zadaniem naszej tu narodowej polityki jest dzis zorganizowa
nie intensywnej polskiej kolonizacji parcelacyjnej. Póki nie zorganizujemy
systematycznej planowej obrony zierni polskiej na wschodnich kresach, póki
nie wytworzymy racjonalnej pod wzgl~dem narodowym organizacji posrednic
twa parcelacyjnego [ ... ] polski stan posiadania zierni zmniejszaé si~ b~dzie
cil!gle, a ruski stan posiadania zierni b~dzie si~ zwi~kszaé.<< (Slowo Polskie,
XVIII!, 8 marca 1910, 1-2)
In diesem von einer eindeutig nationalistischen Logik getragenen Text wird der Konflikt um Raum in Ostgalizien nicht nur auf einen polnisch-ruthenischen Gegensatz beschrankt, sondem auch eine Verbindung zum polnisch-deutschen Konflikt im deutschen (ehemals preuBi
schen) Teilungsgebiet gezogen: Als Ergebnis dieser Perspektive erscheinen Polen als von allen Seiten bedrangte Opfer und nicht als Vertreter einer begrenzt dominanten Kultur in Galizien, die Druck auf andere ausübte - was am Beginn des Texts noch in einer sich selbst versichemden Offenheit zum Ausdruck gebracht wurde. Die Brüchigkeit kultureller Hegemonie im Raum lieB somit die Grenzen nationalistischer Herrschaftsparadigmen erkennen, die keinen gemeinsamen Rahmen für eine plurinationale Gesellschaft formulieren wollten und
konnten.
56 1 KLEMENS KAPS
KONKLUSION
Aufgrund des dichten Interaktionsgeflechts der galizischen Gesellschaft sowoh1 im Inneren a1s auch über die regiona1en Grenzen hinweg
ergaben sich zah1reiche Mog1ichkeiten für die Formierung von sozia-1en und nationa1en Identitaten, die stets vor der eingangs erwahnten prekliren okonomischen Lage der Region stattfanden. Neben den herkomm1ichen Dichotomien zwischen dem Kron1and und dem imperia-1en Zentrum bzw. den ku1turell-ethnischen oder nationa1en Gruppen wurde der re1ative und fragmentarische Charakter sowoh1 von raumlichen Konstrukten a1s auch nationalen Identitaten deutlich gemacht. Die unterschiedlichen Ansprüche von Subaltemitlit und Dominanz zwischen Imperium und Region 1assen sich durch eine sozialkritische Perspekti ve a1s partiku1are Konzepte dekonstruieren, die die V ertei-1ung von Macht, Ressourcen und gesellschaftlicher Partizipation regu-1ierten. Dabei 1asst sich um die Jahrhundertwende ein Wande1 vom imperia1en »divide et impera« zu einer nationalistischen Logik festste1-1en, die anstelle der homogenisierenden Integration die rlium1iche und gesellschaftliche Segregation setzte.
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Ruthenische Folklore
lm Fokus der polnischen Folkloristik
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KATHARINA SCHWITIN
EINFÜHRUNG
Das gesamte 19. Jahrhundert hindurch aber auch in der Modeme stellte Folklore eine wichtige Grundlage für die Existenzberechtigung und nationale Selbstdefinition eines Volkes dar. Damit hi:i.ngt zusammen, dass Folklore sich zu einem wichtigen Merkmal der Abgrenzung ge¡enüber anderen ethnischen und nationalen Gruppen entwickelte. Da
her wurde folkloristisches Kulturgut nicht selten umkampft und von unterschiedlichen Seiten für die eigenen nationalen Belange beansprucht.1 Innerhalb der Vielvéilkergebiete Mittel- und Osteuropas stell
ten si eh die Fragen der nationalen Beanspruchung und Vereinnahmung von Folklore oft mit besonderer Scharfe. Dies war vor allem dann der Fall, wenn die konkurrierenden Parteien einerseits kulturell viele
Ein Beispiel für die mehr oder weniger bewusst undifferenzierte und ver
einnahmende nationale Haltung hinsichtlich volkskultureller Erscheinun
gen im europiiischen Kontext des 19. Jahrhunderts in Westeuropa ist das
jenige der Friesisch sprechenden Gemeinschaft Mitte des 19. Jahrhunderts
in den Niederlanden und in Danemark, deren materielle Kultur von zwei
unterschiedlichen Nationen für sich beansprucht und für die eigene natio
nale Legitimation instrumentalisiert wurde. (Stoklund 1999, 10)