indische musik für tasteninstrumente

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Indische Musik für Tasteninstrumente Daniel Laumans, 2013 I Panorama Im Sommer des Jahres 1775 wurde es für Lady Scott in der Stadt Calcutta wieder unerträglich: Wie jedes Jahr um diese Zeit fuhr sie mit einem dieser einheimischen Boote den Fluss hinauf in ihre Sommerresidenz im Gebirge, um der mörderischen Hitze zu entfliehen. Dort wehte nämlich ein lauer Wind, es war allgemein erträglicher dort, und sie konnte ungestört von den lästigen Moskitos ihren Hausarbeiten und gesellschaftlichen Verpflichtungen nachgehen. Sie hatten über Nacht nahe des Landsitzes einer alten Freundin angelegt, wo sie zu einem Empfang eingeladen war. Nun, im Morgengrauen, war sie wieder zum Boot gebracht worden. Sie setzte sich an das Tafelklavier in ihrer Kajüte, und spielte die neuesten Sonaten aus Europa, von italienischen Komponisten, aber auch die guten alten Lieblingsstücke ihres Mannes vom unübertrefflichen Meister Händel. Dieses Tafelklavier war ihr ganzer Stolz, funkelnagelneu war es erst vor wenigen Monaten mit der langersehnten Bestellung aus London angelangt. Das gute alte Spinnet, auf dem sie bisher ihre Fingerübungen gemacht hatte, hat sie einer neu im Lande angekommenen jungen Dame für ein wenig Geld überlassen. Diese wollte nämlich mit einem ihrer Angestellten, einem Musiker, und seinem seltsamen Instrument, einer sogenannten Vina, gemeinsam musizieren – ein abenteuerlicher Gedanke, klang doch die hindustanische Musik so fremd und geheimnisvoll. Ein in Kalkutta weilender deutscher Komponist hat sich bereit erklärt, diese „Hindustan Airs“ aufzuschreiben, und für Cembalo zu bearbeiten … Die Krokodile im Ufermorast gähnten indes müde, aber sie würden sich gleich noch gewaltig wundern: Auf einem sandigen Hügel haben sich die 3 französischen Waldhornisten bereits aufgestellt, um den üblichen Morgenchoral zu blasen. Danach wird die Reise weiter flussaufwärts gehen, eine wochenlange Tour, langweilig und unkomfortabel – Lady Scott vertraute ihre trübseligen Gedanken ihrem neuen Instrument an, und freute sich insgeheim darauf, ihre Familie und ihre Freunde im Gebirge endlich wiederzusehen. II Kurze Geschichte des Clavieres in Indien Die Geschichte des Klavieres in Indien beginnt schon recht früh, da die stetige Nachfrage der dort lebenden Europäer nach dem feuchten Klima trotzenden Instrumenten schon recht bald nach der Einführung des Hammerklavieres auch Exemplare aus Britischen Werkstätten über Londoner Musikalienhändler nach Kalkutta, Benares, Lucknow, und die anderen Städte und Sitze der East

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Indische Musik für Tasteninstrumente

Daniel Laumans, 2013

I

Panorama

Im Sommer des Jahres 1775 wurde es für Lady Scott in der Stadt Calcutta wieder unerträglich:

Wie jedes Jahr um diese Zeit fuhr sie mit einem dieser einheimischen Boote den Fluss hinauf in

ihre Sommerresidenz im Gebirge, um der mörderischen Hitze zu entfliehen.

Dort wehte nämlich ein lauer Wind, es war allgemein erträglicher dort, und sie konnte ungestört

von den lästigen Moskitos ihren Hausarbeiten und gesellschaftlichen Verpflichtungen nachgehen.

Sie hatten über Nacht nahe des Landsitzes einer alten Freundin angelegt, wo sie zu einem

Empfang eingeladen war. Nun, im Morgengrauen, war sie wieder zum Boot gebracht worden.

Sie setzte sich an das Tafelklavier in ihrer Kajüte, und spielte die neuesten Sonaten aus Europa,

von italienischen Komponisten, aber auch die guten alten Lieblingsstücke ihres Mannes vom

unübertrefflichen Meister Händel. Dieses Tafelklavier war ihr ganzer Stolz, funkelnagelneu war

es erst vor wenigen Monaten mit der langersehnten Bestellung aus London angelangt.

Das gute alte Spinnet, auf dem sie bisher ihre Fingerübungen gemacht hatte, hat sie einer neu im

Lande angekommenen jungen Dame für ein wenig Geld überlassen. Diese wollte nämlich mit

einem ihrer Angestellten, einem Musiker, und seinem seltsamen Instrument, einer sogenannten

Vina, gemeinsam musizieren – ein abenteuerlicher Gedanke, klang doch die hindustanische

Musik so fremd und geheimnisvoll. Ein in Kalkutta weilender deutscher Komponist hat sich

bereit erklärt, diese „Hindustan Airs“ aufzuschreiben, und für Cembalo zu bearbeiten …

Die Krokodile im Ufermorast gähnten indes müde, aber sie würden sich gleich noch gewaltig

wundern: Auf einem sandigen Hügel haben sich die 3 französischen Waldhornisten bereits

aufgestellt, um den üblichen Morgenchoral zu blasen.

Danach wird die Reise weiter flussaufwärts gehen, eine wochenlange Tour, langweilig und

unkomfortabel – Lady Scott vertraute ihre trübseligen Gedanken

ihrem neuen Instrument an, und freute sich insgeheim darauf, ihre Familie und ihre Freunde im

Gebirge endlich wiederzusehen.

II

Kurze Geschichte des Clavieres in Indien Die Geschichte des Klavieres in Indien beginnt schon recht früh, da die stetige Nachfrage der dort lebenden Europäer nach dem feuchten Klima trotzenden Instrumenten schon recht bald nach der Einführung des Hammerklavieres auch Exemplare aus Britischen Werkstätten über Londoner Musikalienhändler nach Kalkutta, Benares, Lucknow, und die anderen Städte und Sitze der East

India Company, der konkurrierenden Niederländer und Dänen, den Gebieten der portugiesischen Mission, sowie bis zu ihrer eher zufälligen Eroberung durch die Engländer auch in die französischen Handelsniederlassungen und Häfen bringt. So werden Spinnet und Cembalo schon ab den 1760er Jahren stark nachgefragt, und es entwickelt sich bereits um 1800 ein lukrativer Handel mit Instrumenten und den neuesten Noten. Wir können also davon ausgehen, dass bereits um 1800 Klavier und Hammerklavier in zahlreichen indisch-europäischen Stadthäusern existierten, und die indische Bevölkerung von Anfang an an der Entwicklung der Tasteninstrumente in Form von Konzerten und Salons teilnahm. Im Zuge des Ausbaus der Aktivitäten der East India Company und der auf sozialer Ebene stattfindenden Emanzipierung gebildeter indischer Familien konnten es sich allen voran die Maharadscha-Großfamilien, davon ausgehend auch wohlhabende einheimische Kaufleute und Künstler vor allem im damaligen Königreich Oudh (Bengalen, heute teilweise Bangladesh) leisten, zur Erziehung „Weiße“, d.h. europäische Lehrer, einzustellen, darunter auch und sehr gefragt Musiklehrer. In Deutschland am bekanntesten ist die weitverzweigte Intellektuellenfamilie Tagore; deren berühmtester Spross, der Dichter-Komponist und Nobelpreisträger Rabindranath Tagore hat sich bei insgesamt 3 Aufenthalten in Deutschland auf einem Klavier intensiv mit der Musik Johann Sebastian Bachs beschäftigt. Im 19ten Jahrhundert gehörte es also „zum guten Ton“, im Salon einen Flügel zeigen zu können, auf dem dann bei gesellschaftlichen Versammlungen von Kindern und Künstlern westliche Musik, aber von Anfang an auch indische Klassik musiziert wurde. Die ersten Drucke in westlicher Notation mit hindustanischer bzw karnatischer Tradition verpflichteter Ragas, Lieder, religiöser Gesänge, und einfacher Tänze erschienen dann ab den 1860er Jahren in den Ballungszentren Bombay, Madras, Calcutta, und Lucknow. Es waren aber nicht nur Inder selber, sondern auch Europäer die sich mit dieser Musik beschäftigt haben. Mit der Mode der sogenannten „Hindustan Airs“ nach Art der Haydnschen, Beethovenschen, und Hummelschen „Welsh“, „Scotch“, oder „Irish Airs“ erschienen dann auch solche Drucke in London, von renommierten Verlagshäusern auf den Markt geworfen, wie z.B. Muzio Clementi. Britische Klavierbauer sendeten Material und Fachleute, und errichteten Klavierbaufirmen und Niederlassungen. Die üblichen gewaltigen Probleme – Leim schmolz unter der sengenden Sonne, Saiten rosteten und sprangen, Instrumente erwiesen sich als unstimmbar und unspielbar – wurden mittels harter asiatischer Hölzer versucht, tropentauglich zu machen. Nichtsdestotrotz waren wirklich gute und beständige Klaviere meist europäische Importe, und daher sehr rar. Nicht mehr gebrauchte oder zu gebrauchende Instrumente aller Art wurden in den Tageszeitungen als „neu & hochwertig“ angepriesen, und manch einer investierte Unsummen in solch ein Friedhofsinstrument, etliche Abenteurer und zwielichte Gestalten ergaunerten sich mit Schrott ihre Passage weiter nach Amerika oder zurück nach Europa. Klavichorde an und für sich wurden durch diese "London-Connection" wegen des im späten XVIII.Jahrhunderts eher spärlichen britischen Interesses daran nur selten verschifft; am ehesten wird es wohl durch seine leichte Bauweise, oder durch portugiesische oder deutsche Künstler und Missionare eingeführt worden sein, vielleicht in den Kirchen Goas, oder die Städte Bombay, Madras, Lucknow, und Kalkutta. Erhalten oder dokumentiert jedenfalls ist kein Instrument der Zeit vor 1800. Moderne Tasteninstrumente gibt es jedoch landesweit, so ein 2-manualiges

deutsches Cembalo der Marke Sassmann im NCPA, Mumbai, oder auch die Jazz-Experimente des Komponisten John Mayer aus Kalkutta mit Cembalo sind bekannt. Der Frankfurter Künstler John Zoffany malte das Gemälde The Morse and Cator Families 1789 in Calcutta, welches zeigt ein großes, repräsentatives Cembalo, sein Bild Colonel Blair with his

Family and an Ayah von 1786 zeigt ein Tafelklavier (das Instrument mag natürlich auch ein Klavichord darstellen). Frühe Instrumente aus dem 19ten Jahrhundert gibt es noch heute in Sammlungen, und vereinzelt auch in Privathäusern zu finden, oft freilich rein museal, verstaubt, unspielbar, oder in einigen Fällen mit wertvollen Schnitzereien und Intarsien versehen als hübsches Möbelstück ausgestellt. Zu dieser Zeit entwickelte sich eine originale Musikproduktion mit Operetten auf traditionelle Sanskrit-Texte, aber auch in den verschiedenen populären Dialekten, wie Urdu, Bengali, Hindi, usw., vergleichbar in etwa der heutigen Bollywood-Film-Industrie, in der Musik ebenfalls eine wichtige Rolle spielt, als dass vor dem eigentlichen Filmdreh meistens schon die Musik von bekannten Musikern eingespielt wird, um Produzenten wie auch Publikum einzustimmen und zu begeistern. Die Librettos wurden zusammen mit den gängigen Schlagern daraus natürlich auch in Klavierversionen veröffentlicht, bis dann um 1900 die Möglichkeit der Tonaufzeichnung ganz andere Wege und Möglichkeiten der Vermarktung eröffnete. Auch wenn in Bollywood – nicht das einzige Zentrum der Film- und Musikinsdustrie Indiens – mittlerweile in Studios und digital produziert wird, raunt man sich bei bestimmten Hits Geschichten über deren Entstehung am Klavier und ihres Komponisten zu. Mythen und Legenden bilden einen wesentlichen Teil dieser Kultur. Ich selber wurde einmal bei irgendeiner Gelegenheit von Freunden freundlich, aber sehr bestimmt immer weiter in die Slums Mumbais geführt; die Strassen wurden immer enger, mit jeder Abbiegung wurden die Häuser kleiner, und allmählich zu Hütten, bis wir nach einiger Zeit vor einer kleinen Wellblechhütte standen. Ein Vorhängeschloss wurde mit einem rostigen Schlüssel eilig entsperrt, und dort stand und funkelte, den kleinen Raum bis auf den letzten Zentimeter ausfüllend – ein Steinway-Konzert-Flügel, prächtigst in Form, absolut perfekt spielbar, gestimmt, und intoniert, und in technisch einwandfreiem Zustand. Sichtlich stolz begrüßte mich sein Besitzer, und erzählte mir die Geschichte, wie an genau diesem Flügel der Komponist Raman die Musik zum auch in Übersee überaus erfolgreichen Streifen „Slumdog Millionair“ komponierte – in Eile, weil der Produzent schnell 5 bis 6 Themen benötigte, um damit Gelder zu werben –erfolgreich, wie wir Heute wissen. Geholfen hat ihm dabei während einer durchgearbeiteten Nacht lediglich eine Flasche Whiskey, und ebendieser Flügel, der „die Melodien ganz wie von alleine spielte“, wie Raman später in einem Interview zugab. Was ich übrigens bestätigen kann – ich spielte ein wenig, und sofort lockte es dutzende Kinder aus der Nachbarschaft herbei, die sich irrsinnig über diese Abwechslung freuten. Wer es sich in Indien leisten konnte, importierte englische Möbel, Meissner Porzellan, Wiener Kristallleuchter, Rolls Royce gleich dutzendweise; die am meisten vertretenen Konzertflügel waren die der Marken Steinway und Bechstein, die regelmäßig Lieferungen nach Übersee schifften.

Im altehrwürdigen Hotel Taj Mahal am Gate of India in Mumbai steht ein solcher Steinway, vermutlich aus den 1920er Jahren, im Hotel Leela steht ein schöner Stutzflügel, auch Steinway, aber neuer. Dort arbeitet ein Pianist, der, weil er so viele verschiedene Lieder und Songs für ein bunt gemischtes Publikum aus allen Ecken und Enden der Welt unterhalten will, eine eigene Art der Notation erfunden hat, die es ihm ermöglicht, auf nur einer Zeile den Anfang eines Liedes zu schreiben, den Rest spielt er dann jeweils aus dem Gedächtnis. So schafft er es, in einer eigens dafür angelegten Kladde Hunderte von Melodien festzuhalten. Ein anderer Komponist, Vanraj Bhatia, der bei Nadia Boulanger in Paris studiert hat, komponiert seine Lieder an einem deutschen Klavier der Marke Goetz, vermutlich aus den 1920er-Jahren, konnte sich aber nicht daran erinnern, wie es eigentlich in seine so idyllisch gelegene Stadtwohnung direkt am Meer gelangt war … Als ich ihm seine eigene „Fantasy and Fugue“ darauf vorspielte, sprang plötzlich seine Katze auf die Tasten, ich hielt erschrocken inne, und die Mietze stolzierte sichtlich angetan von seines Meisters Tönen über Schwarz und Weiß, und – Lieber Leser, glaube mir! – es erklang das Thema der Katzenfuge von Domenico Scarlatti, von sanften Pfoten angeschlagen. Seit im Jahre 1903 die erste Musikschule in Kalkutta von einem Franzosen gegründet worden war, gibt es regen und regelmäßigen Bedarf an einer pianistischen Ausbildung. In Puna gibt es einen alljährlichen Wettbewerb, zu dem viele indische Meisterschüler, die es sich leisten können, strömen, um „echte westliche Technik“ von europäischen, australischen, und amerikanischen Gastdozenten zu erlernen. Natürlich gibt es vielfach billigere Keyboards in privaten Musikschulen, doch kann ein richtiges Klavier sowohl klanglich als auch optisch Jung und Alt erstaunen: Eine Jugendlicher staunte bei einem meiner Recitals im Geburtsland von Philosophie, Religion, und Kultur: „Deine Hände sind überall, die Töne kommen von überall zu mir!“, ein greiser Würdenträger ließ sich in seinem Lieblingssessel neben mich an die Tasten setzen, schaute und hörte mir ruhig eine ganze Weile zu, bis er am Ende sprach: „Keep Your faith, man!“ – er war beeindruckt von den nahezu unerschöpflichen feinen und feinsten klanglichen Möglichkeiten und Nuancen, die dieses schöne Instrument „fast von alleine aus dem Äther gebiert“. Klaviere und Flügel sind also eher spärlich vorhanden, seien sie nun spielbereit, oder Dekoration – dank guter Freunde und Beziehungen wurde ich zu einigen Verstecken geführt, und fast jedes Instrument hat seine eigene, abenteuerliche Geschichte. Man muss aber auch erwähnen, dass erst im Jahr 1991 ein staatlicher Bann auf den Import ausländischer Instrumente endgültig gelockert wurde - dieser Bann hatte eben zur Folge, dass ein Klavier 2ter Hand soviel wie ein Auto kosten konnte. Nachrichten von älteren Instrumenten gibt es nur spärlich, und meistens verstreut in der Literatur vergangener Zeiten. Zum Beispiel berichtet der italienische Reisende Giuseppe Sebastiani im Jahr 1683 beeindruckt von einer Mess-Aufführung in Goa von der Musizierlust der Inder, wobei er neben dem Chor und einigen anderen Instrumenten auch mehrere Cembali wahrnahm und sich dabei wie in Rom fühlte.-

III

Über Mich und mein Anliegen

Überall, wo Menschen aus dem Westen siedelten, nahmen sie früher oder später auch Clavichorde mit, da dies die am einfachsten zu pflegenden Instrumente für Organisten wie reisende Abenteuer und Musiker waren. Andere, kostspieligere Tasteninstrumente wie Cembali aus berühmten Werkstädten oder Tafelklaviere von tüchtigen Händlern kamen meist erst viele Jahre, nachdem erste Siedler die Grundsteine für die neuen Welten gelegt hatten, in die Salons der Wohlhabenden. Musikalische Kontakte zwischen den Kulturen kamen leider nur sehr selten zustande, was nicht selten auf Unkenntnis und Arroganz beruhte. Das Clavier als intimer Lebensgefährte feiner Damen oder reicher Herren wurde allerortens aber auch dazu benutzt, die neuartigen orientalischen oder phantastischen Töne, Melodie, und Rhythmen wiederzugeben, die da in der Fremde, weit weg von der alten Heimat, neben allerlei Gerüchen und Farben auf die Menschen wirkten. Ob Domenico Zipoli in den Jesuiten-Missionen Boliviens mit seinen "Africa" genannten kurzen Menuetten, ob seine portugiesischen und spanischen Vorgänger aus den Hafenvierteln Sevillas und aus Nueva Espana, die afrikanische Tänze wie Guinea und die ehemals wilde Sarabande in Notensammlungen für Orgel, Clavier, oder Harfe veröffentlichten, ob die Sonaten, Lieder und Tänze aus Nord-Amerika, der Karibik, China, Hawai, den Philippinen, die Eindrücke am Hof der Osmanischen Paschas, griechische Claviersinfonien der Spätklassik, ob ab Anfang des 19ten Jahrhunderts die ersten gedruckten oder gesammelten Musikalien in Australien, und so vieles, vieles mehr: Mutigen und offenen Menschen blieb es überlassen, nicht nur zu erobern, nicht nur die "absolute Wahrheit" zu predigen, sondern auch mit Interesse und Hingabe die so vielfältigen Eindrücke in künstlerischer Hinsicht zu verarbeiten. Ob als Bild, Kleidung, Nahrung, Benehmen, Architektur, Kunst, Poesie, oder eben als Klavierstück: Gegenseitige Interessebekundungen kamen auch über das Clavier zustande. Seit etlichen Jahren forsche ich selber nach solcher vergessener Claviermusik, lebte einige Jahre auf Jamaica, in Portugal, in Polen, besuchte fernab jeglicher Musikindustrie verstaubte Archive und modernste Bibliotheken in vielen Ländern; als ich die Gelegenheit bekam, in Indien nach solchen interkulturellen Begegnungen am Clavier zu suchen, stürzte ich mich sofort bei Ankunft in die Archive der großen Zentren, wälzte die inzwischen reichliche Fachliteratur, und kam so langsam, aber sicher den Dingen auf die Spur: Indische Claviermusik des XVIIIten Jahrhunderts existiert tatsächlich! Unsere Erde und seine Bewohner birgt ein unglaubliches Wunder in der Verschiedenheit seiner Sprachen und Kulturen! Und dieses an das Clavier zu übersetzen ist mir ein Anliegen, auf friedlichem Wege der Krisen und Kriege zu trotzen. Da es aber bekanntlich schwer fällt, über Musik zu schreiben, wie es unmöglich ist, bei Hunger über gutes Essen zu sprechen, beschränke ich mich im Folgenden auf eine kurze

Zusammenfassung dessen, was an originaler indischer Claviermusik gegen Endes des XVIIIten Jahrhunderts entstanden ist. Ein weiteres, besonderes Anliegen ist es mir, ebenso weltoffene Clavieristen dazu zu ermutigen, sich im Geiste Carl Philip Emanuel Bach'scher Freyer Phantasien der klassischen Musik Indiens und fremder Völker allgemein als eine Schatzgrube menschlicher Leistungen anzunehmen, diese Musik ernst zu nehmen als schöpferischer Ausdruck innerer Welten, und sie am Clavier aufzuführen. Ich selber habe etliche solcher Melodien und Rhythmen in der weiten Welt gehört, sie transkribiert, und führe solche neu gewonnenen Eindrucke in meinen Clavier-Recitals regelmäßig im Rahmen barocker Weltreisen auf.-

Daniel Laumans in Mumbai, 2009

Foto: Nils Visé

IV

Indische Claviermusik bis 1820 Die Ursprünge der hier besprochenen indo-europäischen Kulturbegegnungen am Clavier liegen nach ersten Versuchen und Besuchen unter den Moguln im XVIII. Jahrhundert. Von den legendären Besuchen Alexander des Großen (3tes Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung) im "Land der Glückseligen", bis zur vermuteten Orientfahrt ins "Thomasland" des mittelalterlichen Vorgängers Johann Sebastian Bachs am Leipziger Thomas-Kloster, Heinrich von Morungen (13tes Jahrhundert) [der Legende nach starb der christliche Apostel Thomas in Indien], bis zu gelegentlichen gegenseitigen Geschenken von Orgeln oder anderen wertvollen Gaben - der Orient war stets voller Projektionen europäischer Fantasien von Reichtum und Größe. Nach einzelnen früheren Begegnungen - Akbar der Grosse (geboren 1542) mit seiner Förderung orientalischer wie europäischer Künstler sei genannt, oder die weiten Reisen des Francisco de la Valle (geboren 1586), ganz zu schweigen vom großartigen lusitanischen Nationalepos Os

Lusiades des Luis Vaz de Camoes - sind einige der ersten uns näher bekannten Denkmäler jene Konzerte, die Antonio Vivaldi komponierte: Il Grosso Mogul - von denen der junge Johann Sebastian Bach eines für Orgel transkribierte. Direkte Allusionen an indische Musik gibt es nicht; doch erscheint die Melodik mit ihren alterierten Akkorden, dem Instrumental-Rezitativ des 2ten Satzes, und insbesondere der langen Kadenz, die Bach im letzten Satz auf enharmonischen Harmonien bearbeitete, ungewöhnlich. Vielleicht bediente der Komponist auch nur ironisch, was ihm in der Handelsstadt Venedig über den Orient an Geschichten, vielleicht über ausländische Gesandtschaften, zu Ohren kam.

Ironisch und mit leichtem Augenzwinkern mag man auch die diversen "orientalisierenden" Cembalostücke von Jean Philippe Rameau, François Couperin, Christophe Moyreau u.a. sehen, die Titel tragen wie L'Egyptienne (gemeint ist eine Zigeunerin, wie 80 Jahre später in Carl Loewes Zigeuner-Sonate Opus 107), Les Sauvages, L'azem-beba Carmagniole, L’Iroquois, La

Japonoisse, La Chinoisse, usw. Weitere Forschungen in Indien und Europa haben ein etwas bunteres Bild der Musik für Tasteninstrumente ergeben: Zusätzlich zu den importierten Drucken mit Mode-Musik der Zeit, wie Haydn, Clementi, Kozeluh, oder Pleyel, die Familie Bach war unbekannt, Händel wurde sehr hoch gehalten, wie in alten Bibliotheken und Importlisten zu recherchieren steht. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über diese Literatur für Clavier geboten; bei einigen Komponisten wird ergänzt, was immer mir bei meinen Recherchen über ihr Gesamtwerk zugänglich war. Das Ganze wird in annähernd chronologischer Reihenfolge aufgelistet.- 1.- Die Manuskriptsammlung der Familie Fowke mit sogenannten "Hindostannie Airs" Ein Manuskript mit sogenannten „Hindostannie Airs“ der Familie Fowke, insbesondere auf die Bemühungen der Lady Margaret Fowke zurückgehend, ist leider nicht erhalten. Zu vermuten steht, dass dieses Transkriptionen hindustanischer Melodien enthielt, allerdings eher ohne eine hinzugefügte Bassstimme für die linke Hand am Clavier, ähnlich solcher Sammlungen vom europäischen Kontinent mit skandinavischen, iberischen, oder gälischen Liedern und Tanzsätzen. Von Sir Francis Fowke, Margarets Ehemann, ist bekannt, dass er im Jahre 1786 in Benares gemeinsam mit dem Musiker Jiwan Shah die Stimmungen von Cembalo und Bin, auch Rudra Vina genannt, einem nordindischen Zitherinstrument, verglich. Die Korrespondenz der weitverzweigten Familie Fowke ist größtenteils erhalten: Diese Briefe umspannen Jahrzehnte, wurden in Calcutta, unterwegs, oder von London geschrieben, und unterrichten uns auch von musikalischen Eindrücken und Erlebnissen. Manch interessantes Detail zu diesen Euro-Indischen Musiktreffen wird dort erläutert und erzählt. 2.- Das Album der Sophia Plowden In den 1780er Jahren entstand das Album der Sophia Plowden (datiert 1786); es ist das wichtigste und denkwürdigste erhaltene seiner Art, heute leider vom totalen Zerfall bedroht. Es enthält 76 kleine Cembalostücke, teils nur wenige Takte lang, teil mehrteilig, auf denen vor allem die späteren Drucke mit indischer Musik vor und um 1800 basieren. Ein in Lucknow wirkender Musiker namens John Breganza schrieb die Noten auf. Offensichtlich war er bei den Sessions anwesend, und konnte stenographieren, was er vernahm. So sind einige der kleinen Stücke Fragmente, andere wurden später ausgearbeitet, oder vielleicht aus der handschriftlichen Sammlung der Familie Fowke übernommen. Einige Lieder scheinen beliebt gewesen zu sein, denn sie tauchen immer wieder auf, mit bestimmten musikalischen Floskeln, ganz so, als ob während der stundenlangen Ereignisse immer wieder einmal jemand ein paar Noten mitzeichnete. Und wenn sich dann die Hausherrin, Miss Sophia Plowden, gekleidet in indische Stoffe höchstpersönlich an ihr Clavier setzte, um gemeinsam mit den Bengalen zu musizieren, war die allgemeine Freude und Erheiterung groß.

In einem beigefügten Papier erwähnt eine Nachfahrin voller Stolz, dass der König von Oudh sie darauf in den Stand einer Begum erhob - eine Fürstin, oder eine Prinzessin also.

Des weiteren enthält das Manuskript gezeichnete Szenen aus dem Salon: Es gibt dort indische Tänzerinnen und Musiker zu sehen, und Menschen in ihrer herkömmlichen Tracht und Umgebung, kleine Miniaturen passend zu den musikalischen Skizzen. Dazu kommt als dritter Bestandteil die dichterische Komponente hinzu: Persische Gedichte ergänzen in Kalligraphie diese Genrebilder aus dem Hindustan des 18ten Jahrhunderts. Es handelt sich dabei um typische Ghazals - Liebeslieder, die immer und immer wieder die Schönheit einer Angebeteten preisen, die Sehnsucht nach ihr und der Erwiderung ihrer Liebe besingen. Persisch war bis ins 19te Jahrhundert hinein eine Literatursprache in Nordindien. Noch viel später sollten dann erst wieder Musiker wie Anthony de Kontski im Buch Specimens of

the popular Poetry of Persia von Alexander Chozko als Anhang einige ähnliche persische Melodien für Klavier setzen. Die Cembalomusik sind meist ganz kurze Stücke, wohl meist aus der populären Musik und leichten Klassik entstammend, und teilweise aus dem Zusammenhang gerissen. Doch erfüllt eine ausgesuchte Serie daraus nicht nur Heute das Kuriosum des originalen "Hindustan Airs". Einige sind eher in flottem Tempo und rhythmisch pointiert, andere wieder einfühlsam und melodiebetont.

3.- William Hamilton Bird: Oriental Miscellany 1789 erschien bei Joseph Cooper in Calcutta die erste gedruckte Sammlung mit indischen Melodien für Cembalo gesetzt: The Oriental Miscellany; being a collection of the most favorite airs of

Hindostan, compiled & adapted for the piano forte & harp ... by the

late William Hamilton Bird.

Später, um 1805, erschien in Edinburgh ein Nachdruck dieser Sammlung. Dazu müssen wir bedenken, dass seit den irischen, walisischen, und schottischen Liederbearbeitungen Haydns, Hummels, und Beethovens ein offensichtlich lukrativer Markt für diese für Gesang und/oder Instrumente gesetzten „alten“, „originalen“, oder einfach nur Volkslieder- und –tänze genannten Werke, bestand. Zum Autor ist noch zu berichten, dass Bird bei den Sessions und musikalischen Salons der Sophia Plowden nachweislich öfters das Cembalo gespielt hat, und sicherlich diese Musik noch aus erster Hand empfangen konnte. Diese "Mrs Plowden" taucht dann auch in der eindrucksvollen Subskribentenliste des Druckes auf. Nichtsdestotrotz tauchen einige der Melodien aus dem genannten Album dieser so aktiven Dame auf, meist mit einigen Variationen, mit Angabe des Sängers bzw. der Sängerin, unterteilt in des Autors Meinung nach wesentliche unterschiedliche Arten indischer Klassik: Rektah, Terana, Tuppah, und Raagnie.

Im Vorwort erläutert er diese Begriffe, sowie seinen kompositorischen Ansatz, der übrigens im Ganzen eher zu wünschen übrig lässt, aber mit einigen klanglichen Nachahmungen bestimmter Ausdrücke, Instrumente, und Affekten aufwartet. Sein häufiges Verwenden von Variationsformen erklärt er damit, dass diese Stücke so kurz seien. Nach diesen Liebesliedern, Tänzen, und Variationen (eine davon a la Kanoon - das indische Hackbrett) wartet eine wahrhaftige Sonata für Violino o Flauto (plus obligatem Cembalo), mit Angaben der benutzten indischen Themen. Diese veritable Sonate hat die Sätze: Allegro maestoso, Affetuoso, Minuetto, und Jigg. Darauf folgt gleichsam als Anhang For the Guitar , eine Auswahl der Cembalowerke mit einleitender Symphony.

Abbildung 1 W.H.Bird - aus Oriental Miscellany Quelle: IMSLP

Inhalt: 1.- The Gut. // Andante - Varation 1st - Varation 2nd - Variation 3d

2.- REKTAH. Sakla! fusul beharust - Chanam. (letzterer Name ist die jeweilige Tänzerin)

3.- TUPPAH. Kia kam keen dil ne? - Dillsook. (... die Sängerin) // Largo - Variation 1st. -

Variation 2d. - Variation 3d.

4.- REKHTAH. Mutru be khoosh nuwa bego - Chanam.

5.- TUPPAH. Ouwal keh mura buh isht razee kurdee. - Dillsook.// (andante) - Variation 1st. -

Variation 2d.

6.- REKHTAH. Soonre mashookan! be wufa! - Chanam. // Amoroso. - Variation 1st. Poco

Allegro. - Variation 2d. - Variation 3d.

7.- REKHTAH. Hy bashud, o hy bashud - Chanam. // Vivace - Adagio - Vivace - Adagio - Vivace.

8. TUPPAH. Ai purri cherech! - Dillsook. // Affetuoso. Variation. poco andante.

9.- TERANA. Aute se bole, bundoo! - Serodes. // Andante. Adagio. Allegro.

10.- REKHTAH. Gid a Shumba. Bengal. // Vivace - Variation 1st. Variation 2d. Variation 3d.

11.- REKHTAH. Shushah myes bear - Serodes. // Adagio.

12.- TUPPAH. Dande ka la - Dillsook. // Affetuoso. Variation 1st. Variation 2nd.

13.- TERANA. Dandera rakee - Serodes. // Vivace.

14.- TUPPAH. Toom co sumshoura - Dillsook. // Adagio.

15.- REKHTAH. Mera peeari abia re - Rutten. // Vivace. Variation 1rst. Variation 2d.

Ein bemerkenswertes Stück! Zwar kein Meisterwerk im Sinne Mozarts oder Haydns, aber die Art, wie er das Thema suchend in Akkorde gießt, um es dann in Triolen zu steigern, bis in der 2ten Variation eine Unisono-Passage in einer der zeitgenössischen spanischen an Temperament ebenbürtigen Musik für Tasteninstrumente zum Schluss führt (Anmerkung: Ohne dass sie voneinander wissen konnten, klingt dieses Stück an eine ungefähr 20 Jahre vorher entstandene apokryphe Sonate des Spaniers José Ferrer an).- 16.- TUPPAH. kanja kia - Dillsook. // Affetuoso. Variation

Das Überschlagen der Hände in der Variation bedient sich europäischer klassischer Modelle. 17.- REKHTAH. Quoee sera que surke- Serodes. // Andante

Das zierliche Stück von 15 Takten ist - falls uns der Druck nicht täuschen sollte - vorgezeichnet mit 3 b für c-Moll, aber mit as und aufgelöstem b - also übermäßiger Sekunde.. Die beiden Teile sind ungleichmäßig: 5 Takte mit Auftakt und 10 Takte, der Schlusstakt in ausgeschriebenen Halbe-Noten, also betont langsam ausklingend. 18.- REKHTAH. Shiseh bur shrob - Bengal. // Vivace. Minore. Variation 1rst. Variation 2d.

19.- TERANA. Ya laum, ya laum.- Serodes. // Adagio

20.- REKHTAH. Dill ne danne leea re - Patan. // Andante. Variation 1rst. piu andante. Variation

2d. Variation 3d.

21.- REKHTAH. Mera Mutchelii - Rutten. // Allegro.

22.- TUPPAH. Deem tere na - Bengal. // Andante.

23.- REKHTAH. Hi bibbi mos karella - Bengal. // Vivace. Minore. Variation 1rst. Variation 2d.

Variation 3rd. poco Adagio.

Die Minore-Teile sind von W.H. Bird immer kompositorisch ergänzt, wie er selber im Vorwort beschreibt. 24.- TUPPAH. o! yaar O! - Patan. // Affetuoso. Piu Largo.

Die meisten, oder besser gesagt: fast alle dieser Stücke sind in Rondo-Form mit bezeichneten Da-Capo-Abschnitten. 25.- REKHTAH. Ley chila re - Bengal. // Allegro.

Ein fröhliches Stück, das mit seinem Schwanken zwischen kleiner und grosser Terz (Dur-Moll) kokettiert. 26.- TUPPAH. Piar mera soon Patan. // Andante. Variation 1rst. Variation 2d. Variation 3d. A la

Kanoon. Variation 4th. Presto.

Eine der ausführlicheren, sich an klassischen Modellen - Mozart comes to mind - orientierenden Stücke: In der 2ten Variation Überschlagen der Hände, die 3te Variation bietet einen Effekt "A la Kanoon" - ein indisches Hackbrett; möglicherweise ein Hinweis auf eine bestimmtes Register, oder einen beabsichtigten Effekt. Eine kurze, rauschende Variation beendet das Stück. 27.- RAAGNEY. Mun shuma - Serodes. // Largo. Variation.

Der einzige Raga bzw. Ragini der Sammlung - ursprüngliche männlich-weibliche Gegensätze in der klassischen indischen Musik. Eine schöne, elegische Melodie. 28.- REKHTAH. Bengal (Dandies). // Vivace. Variation 1rst. Variation 2d. Variation 3d.

29.- REKHTAH. Munni bibbi nocharee - Bengal. // Andante.

30.- REKHTAH. Rewannah kisty - Chanam. // Vivace. Variation 1rst. Variation 2d. Variation 3d.

Minore.

Wiederum auf klassische europäische Modelle zurückgreifend, aber aufgrund des fehlerhaften Typen-Druckes, und - man muss es so nennen - mangelhafter Kompositions-Künste eher ein langweiliges Stück. Im Ganzen schwanken sämtliche Lieder und Tänze zwischen Kuriosum und Dilettantismus, entwickeln aber die ursprünglichen selber erlebten Melodien und Stücke weiter im Sinne

westlicher Clavierkunst. Auffallend ist die Benutzung und Eingliederung typischer harmonischer und claviertechnischer Formeln.- Eine Auswahl hiervon wiederum benutzte Friedrich Freiherr von Dalberg im Anhang seines 1802 erschienen Buches Ueber die

Musik der Indier: Eine Abhandlung des Sir William Jones [Gouverneur von Bengal] nebst einer Sammlung indischer und anderer Volks-Gesänge und 30 Kupfern in einstimmiger Notation neben vermeintlichen chinesischen, türkischen, und arabischen, also im weiteren Sinne orientalischen Melodien. Übrigens hat sich ungefähr zur selben Zeit auch ein anderer mit „nazionalkarakteristischer“ Musik vor allem außereuropäischer Herkunft in der Claviermusik versucht: Abbé Georg Joseph Vogler, der sogenannte „Maler auf der Orgel“, in seinem Polymelos für Cembalo mit oder ohne Streichquartett, sowie in seinen Pièces de Clavecin: Volkslieder und –tänze mit Variationen u.a. aus China, Afrika, Finnland, Schweden, und Bayern (!). 4.- Charles Trinks: A Collection of Hindostanee Songs Circa 1795 veröffentlichte der deutsche Charles Trinks (um 1750 geboren), A Collection of Hindostanee Songs dedicated to Mrs

Bristow, by C. Trinks, Organist of St John`s Church Calcutta. Beginnend mit einer im Tempo schwankenden Overture in mehreren kurzen, wechselnden Abschnitten, gefolgt von einigen Charakterstücken wie Snake Song oder Bengalee Air, aber auch Lieder in Claviernotation mit Text, wie z.B. Hindoo Hymn, das uns heutzutage aus unseren Fußgängerzonen wohlbekannte Hare Krishna.. Wiederum benutzte der Komponist einige der Melodien, die bereits im Album der Sophia Plowden enthalten waren: Es ist also anzunehmen, dass eine ähnliche handschriftliche Sammlung (evtl das Tagebuch der Margaret Fowke? Abschriften? Unbekannte Aufzeichnungen?) in Indien und einige Jahre darauf auch in England zirkulierte. Da außer einem weiteren handschriftlichen Orgelstücke (übrigens zusammen mit einem Orgelstück von Felix Mendelssohn- Bartholdy) von diesem Komponisten bisher so gut wie gar nichts zu hören und erfahren war, möchte ich einige weitere heute noch zugängliche Drucke von ihm erwähnen: - A Collection of Sacred Music, selected from the best Authors and …

arranged fort he use of St. john`s Chruch (Calcutta) … by C. Trinks,

erschienen 1811 in London bei Clementi, Banger, Collard, Davis &

Collard for the Author.

- Sacred Songs, Hymns, &c. with an accompaniment for the piano

forte. By C. Trinks, wurde veröffentlicht ca 1835 in London von G.

Longman.

Es existiert ein Aquarell von Hubert Cornish: Garden House of Mr

Trinks the Music Master near Calcutta in der British Library, gemalt etwa um 1795, also ungefähr zu der Zeit, zu der der besagte Druck erschien - übrigens eins der wenigen aktuellen Lebenszeichen dieses Mozart-Zeitgenossen.

Im Ganzen erscheint hier ein sehr fähiger Komponist mit einer Vorliebe für das cantabile-Spiel auf dem Klavichord.

Inhalt: - Overture

- No. I. Andante Affettuoso

- No. II. Allegro Moderato

- No. III. Allegretto Pastorale: Im Anklang an die Orgel-Pastorellen des Rokoko erklingt hier ein Bordun in der linken Hand - unzweifelhaft eine Reminiszenz an das, was Trinks zuvor gehört hatte. - No. IV. Allegro moderato: Ein besonders schönes Stückchen Musik, das in mehreren Sammlungen in verschiedenen Variationen auftaucht: Im Original der Sophia Plowden ist es noch "andante" überschrieben. - No. V. Poco Vivace: In der linken Hand ein TrommelBass wie ein Murky - in Wirklichkeit der nachschlagende Klang der indischen Tabla. - No. VI. Allegretto Cantabile

- No. VII. Allegro ma non troppo.

- No. VIII. Allegretto Amoroso.

- No. IX. Allegro Scherzando: Eine Version eines bekannten Liedes, das ebenfalls öfter auftaucht in den einschlägigen Sammlungen. - No. X. Vivace: Der Bordunbass in der linken Hand ist zwar unverkennbar der indischen Tanbura nachgeahmt, erinnert in seiner Spielweise aber an ähnliche Sätze und Tänze wie z.B. aus der Virginal-Musik. - No. XI. Allegretto Arioso.

- No. XII. Snake Song. Andante con Espress:

- No. XIII. Subjo ka tullay hoe

- No. XIV. Bengalee Air. Allegro Moderato: Ebenfalls wieder mit einem Tabla-ähnlichen Murkybass. - No. XV. Hindoo Hymn (mit unterlegtem Text hurry kisnoo = hare krishna, bekannt aus heutigen Fußgängerzonen)

Charles Trinks - No. X.

Quelle: British Library Board P/W 100 Mit freundlicher Genehmigung der British Library

5.- Manuskripte in Dublin und Edinburgh Wie zu vermuten, zirkulierten gegen Ende des XVIIIten Jahrhunderts tatsächlich mehrere solche handschriftlichen Sammlungen mit Hindoostan Airs, die in Europa auf Auktionen gehandelt wurden. So gibt es sowohl im berühmten Trinitiy College zu Dublin ein Manuskript aus dem Jahre 1808 mit gälischen Liedern, sowie Stücken des berühmten blinden Harfenisten O'Carolan; dazwischen erscheinen einige Hindustanee Airs, und ein Malay Tune. Ein ähnliches Manuskript, oder eine Kopie davon existiert in der National Library of Scotland. Neben den oben erwähnten Clavier- oder Harfenfassungen mit ergänzter Bass-Stimme der Werke O'Carolans gibt es - ebenfalls sehr orientalisch angehaucht - ein ganz ähnliches Verfahren in Ungarn um 1800: Dort transkribierte, notierte, und arrangierte Julianna Lissznyay frühe Verbunkos-Musik für Klavichord, eine Musik, die später Franz Liszt und Johannes Brahms so berühmt machen sollten ... doch das ist ein anderes Kapitel in der wunderbaren Geschichte der Claviermusik. 6.- James Satchell: Olio, or, Hindoostannie Airs

Arranged as a Trifle for the Piano-Forte

In der Zeitschrift Harmonicon (Jahrgang 1830, p.468) berichtet der in Warwick ansässige Komponist James Satchell in einem Artikel

über die Music of the Hindoos: Er erzählt, dass er ein kurioses Manuskript in einer „gebirgigen Landschaft aufgekauft habe“ und versuchte also, die Begleitung eines Dhronen-Basses mit ihrer wilden Melodie für Pianoforte zu arrangieren. Dazu beschreibt er das Manuskript folgendermaßen: „ Das originale Manuskript enthält zusätzlich zu den Hindu-Wörtern, welche in römischen Buchstaben zur Musik gesetzt sind, 6 andere Stücke im persischen Dialekt. Die einzige Begleitung ist ein Dhronen- Bass auf der Tonika während des ganzen Stückes. Nichtsdestotrotz besitzt die Melodie von Fünfen davon etwas so außergewöhnlich wildes, aber dennoch angenehmes, dass ich sie einer weiteren Bearbeitung für würdig erachtete: dies versuchte ich, indem ich sie für Pianoforte arrangierte.“ Hier spricht nun der Beethoven-Zeitgenosse in einer musikalischen Sprache, der nicht verleugnen kann, was er satztechnisch gelernt hat. Ein Potpourri kurzer Abschnitte ergibt ein Tongemälde, dass an Mannheimer Sinfonien erinnert, denn an Transkription orientalischer Rhythmen: Introduction.Adagio. - Allegretto. - Andante con Affettuoso. (sic!) - Allegro Moderato. - Largo. - Allegro Vivace. Aber man muss feststellen: Es ist echter, handwerklich erstaunlich sicher bewerkstelligter Claviersatz. 7.- T.G.Williamson, Twelve Original Hindostanne Airs, Opera 4 Second Collection of twelve original Hindostanee Airs, Opera 9 Schon bald scheint die Welle dann über den Ozean geschwappt zu sein, denn - 1798 bzw ab 1800 erschienen dann in London bei W.Napier Twelve Original Hindostanee Airs. Compiled & Harmonized by

T.G.Williamson. Opera 4., sowie 1801 wegen des Erfolges als Auftragsdruck eine Second Collection of twelve original Hindostanee

Airs, compiled & harmonized by T.G.Willamson. Opera 9., printed &

sold for the Author, by Goulding, Phipss & D´Almaine.

Captain Thomas George Williamson (geboren London 1758-9) absolvierte seinen Armeedienst in Indien; dort lernte er Land und Leute kennen, was ihn dazu veranlasste, The East India Vade-

Mecum („The Complete Guide to Gentlemen intended for the Civil, Military, or Naval Service of the Hon. East India Company”) zu verfassen, einen lange Jahre erfolgreichen Reise- und Benimmführer für Europäer seines Standes. Gleichsam als Beweis für die von mir weiter oben angeführte Behauptung, die Veröffentlichung der Hindustan Airs sei damals auf der Erfolgswelle der Volksliedbearbeitungen von Haydn, Hummel, Beethoven, und vielen anderen erfolgt, ist ein weiterer wichtiger Druck von ihm: Twenty Five national airs fort he Piano-Forte; Being a Collection of

Original Melodies in the Scoth, Welch, Irish, & English Stiles; & well

adapted to the Violin, with a Violoncello Accompaniment of the Bass

part. 1st (2nd) Part of Opera 3rd.(London, T.G.Willamson, 1802).

Dieser Mann nutzte die Auslandserfahrungen und den Erfolg seines Vade Mecum optimal, um sich weiter zu vermarkten; zu Beobachten ist, dass er die folgenden Veröffentlichungen des schönen Erfolges halber selber veranstaltete und finanzierte. Im Folgenden biete ich eine Liste seiner weiteren Kompositionen mit Opuszahlen: Opus 1: 6 Favorite Sonatinas für Clavier Opus 2: 6 Canzonettas für Stimme und Clavierbegleitung Opus 5: 20 Small Pieces für Clavier, Flöte, Violine Opus 6: 6 Grand Troops with Quick Steps & 6 Marches im Claviersatz Opus 7: 30 Little Airs für 2 Flöten oder Violinen mit Cello ad libitum Opus 8: 10 Easy Lessons für Clavier Einige Lieder wurden auch ohne Opuszahlen verkauft, oder einzeln nachgedruckt. Die Hindostanee Airs sind als kleine Charakterstücke in Bengali oder Hindititeln plus italienischen Tempoangaben gestaltet, darunter Dandies Song. A Song of Kannums, A Dancing Tune of Kannum`s, (Kannum war eine schon von W.H.Bird her bekannte legendäre, aber hässliche Sängerin, die als vollendete Tänzerin Mann wie Frau verzauberte), Bearers Dance – The Fandango of Hindostan . Wiedererkennbar sind uns einige der ursprünglichen Motive aus dem Album der Sophia Plowden, nunmehr seltsam geglättet und dressiert, claviermässig aber weiter entwickelt in Richtung eines gefälligen, eindeutig das orientalische betonende Idiom. Von den Waghalsigkeiten der Auftragsschreiber von Sophia Plowden, wie z.B. ein # und b gleichzeitg als Notationsvorgabe, oder Bordunimitationen, von irregulären und freien Rhythmen ganz zu Schweigen…Im Laufe der Zeit wurden diese Stücke immer weiter europäisiert, so dass man sie am Ende eigentlich gar nicht mehr als original indisch bezeichnen möchte, wiewohl sie immer noch etwas "indische Luft" verströmen. Weiterhin sind zu erwähnen die Truppenmärsche des Captains, die u.a. The Bengal Artillery, oder 1st und 2nd Regiment of Bengal European Infantry gewidmet sind – auch hier tritt das Phänomen einer lebenslangen Bindung innerhalb des Militärs deutlich zutage.

T.G.Williamson: Nr. 18 aus der 1rst Collection Quelle: British Library Board P/W 99 Mit freundlicher Genehmigung der British Library

8.- Thomas Attwood, Märsche Auch der Mozart-Schüler Thomas Attwood hat solche den indischen Truppen gewidmete Märsche im Claviersatz hinterlassen. Ein solcher Armeemarsch besteht im Claviersatz mit gelegentlichen Instrumentenangaben wie „Corni“, „Flauti“, oder „Tutti“, und, wie im Fall des Stückes Composed for H:M: 91st. HIGHLAND Regiment aus den Teilen Preludio-Adagio-Allegretto-Troop off-Quick Step-March. Im Druck wurde sogar angepriesen: This sett of Six Troops are so

arranged that Masters may easily form the parts for their Full Bands.- 9.- Thomas Carter, Claviermusik Ein anderer, der uns zwar keine Claviermusik mit indischer Thematik hinterlassen hat, aber ebenfalls nachweislich als Theatre Music Director eine zeitlang in Calcutta verbracht hatte, bevor er aus Gesundheitsgründen zurück nach England ging, ist der 1769 in Dublin geborene Thomas Carter. Von ihm gibt es neben Vokalmusik u.a. Six Easy Lessons for the

Harpsichord or Pianoforte Op III , und eine Sonata for the pianoforte– erhalten in alten Drucken ohne Orts- und Jahresangaben. 10.- Edward Jones: Lyric Airs Musical Curiosities Da ich mich in diesem Artikel vornehmlich auf die indisch inspirierte Musik für Tasteninstrumente beschränken möchte, folgt als nächstes London 1804: Lyric Airs; consisting of specimens of Greek, albanian,

Walachian, Turkish, Arabian, Persian, chinese and Moorish National

Songs and Melodies; … to which are added, Basses fort he Harp or

Piano Forte. Likewise … Notes on the figures and movements of the

modern Greek Dances; with a short dissertation on the origin of the

ancient Greek Music des Edward Jones, Bard of Henblas, gefolgt 1811 von Musical Curiosities; or a Selection of the most

characteristic National Songs, & Airs … Consisting of Spanish,

Portuguese, Russian, Danish, Lapland, Malabar, New South Wales,

French, Italian, Swiss, and … English, and Scotch National Melodies,

to which are added Variations for the Harp, or the Piano-Forte … by

E.Jones.

Das Interesse an allem “scherzenden, als sonstwie tändelndem” jener Epoche wird in diesen beiden auf eigene Kosten gedruckten Bänden inklusive einer ausführlichen Abhandlung zur alt-griechischen Musik deutlich in der auch aus Irland wohlbekannten Tradition dieses walisischen Barden seiner Majestät, des Prinzen von Wales, der auf seiner Harfe die Welt (v)erklärt. Wer sich schon einmal in der uralten keltischen wie indischen Welt von Mysterium und Wahrheit sowohl in Glaubens-, Literatur-, als auch Musikfragen bewegt hat, weiß wohl, wovon ich hier rede. Lediglich die epochemachenden anderen Drucke dieses Menschen möchte ich noch erwähnt haben: The Musical and Poetical Relicks of the Welsh Bards seit 1784 in diversen Fortsetzungen; Popular Cheshire Melodies von 1798; Musical Remains von 1796 beweisen dann seine überlegene Fachkunde. Die keltischen Barden nicht erst seit Turlough O`Carolan, jenem legendären Bach-Zeitgenossen und berühmtem irischen Komponisten, führen ihren Stammbaum gerne und vielleicht nicht ganz ohne Grund auf altgriechische oder orientalische Wurzeln zurück. 11.- William Crotch: Specimens Von Dr. William Crotch (geb 1775 zu Norwich) wurde vermutlich 1808 dann die erste Lieferung der Specimens of various Styles of

Music, referred to in a Course of Lectures, read at Oxford and

London, and adapted to Keyed Instruments, etc., gedruckt und veröffentlicht von Rt. Birchall for the Author; von 1808 bis 1845 gab es in Folge mehrere Auflagen mit corrections & additions. Außer Chorwerken, Liedern, Clavierbearbeitungen von Werken Mozarts, Beethovens, Geminianis und Händels gibt es von diesem Herrn heute noch in Auswahl zu entdecken: - 3 Sonatas for piano – forte or harpsichord.(1793) - 30 rounds for the pianoforte intended as an introduction to playing

from score

- A Collection of National English airs, consisting of ancient song,

ballad & dance tunes / preceded by an essay on English minstrelsy,

the airs harmonized for the pianoforte by W. Crotch (was vielleicht wieder den hohen Gebrauchswert solcher nationalen Lieder zu jener Zeit bestätigt)

- Diverse Divertimenti for Piano - Forte - Elements of Musical Composition : comprehending the Rules of

Thorough Bass, and the Theory of Tuning (vielleicht zum Zeitpunkt des Druckes 1812 bereits etwas antiquiert) - Orgelfugen auf Themen verschiedener Komponisten - Nı [1-3] of original airs, in various & familiar styles : for the piano

forte ; composed by John & William Crotch

- Einige 4-händige Werke wie March & Waltz - Prelude and air for the Pianoforte - Preludes for pianoforte to which are prefixed the rudiments of playing

that instrument

Sicherlich ein fleißiger und nicht zu unterschätzender Meister jener Zeit des Übergangs von der Klassik zur Romantik. Im Vorwort zu den 3 Bänden gibt er jeweils die Quellen seiner umfangreichen Recherchen an; wegen seiner für uns in diesem Zusammenhang wichtigen Hinweis setze ich den Abschnitt daraus zur indischen Musik nach dem Wortlaut folgendermaßen:

Das Charakteristikum orientalischer Musik, wie bereits erwähnt,

gebrochenes Zeitmass, ist sehr gut nachvollziehbar in Ostindischer

Musik.

No. 321 wurde von Lady Clive herübergebracht; 321 ist aus einer

Manuskriptsammlung, welche mir Lady Metcalfe lieh. No. 322 wurde

mir von Mr. Cornish vom Exeter College, Oxford, übermittelt. Die

Nummern 326, 327, 328, die erste Edition von No. 329, die Nummern

330 – 335, die erste Edition von No. 336, die Nummern 337, 338,

und 339 sind aus einer wirklich unschätzbaren Manuskriptsammlung

aus dem Besitz der Mrs. Plowden, welche, wie ich glücklich

ankündigen kann, irgendwann in naher Zukunft gedruckt werden

wird.

Die Nummer 327, 329, 330, 332, und 334 sind besonders hübsch.

No. 336 ist das Lied, mit dem die Einheimischen eine Schlange

beschwören.

No. 338 ist eine Elegie, welche beim Feste der Mohurrum in

Erinnerung an gewisse Begebenheiten im Leben Mahomets

gesungen wird.

Eine weitere Manuskriptsammlung mit Ostindischer Musik wurde mir

von the Hon. Miss Mercer Elphinstone überlassen; No. 331 ist, wie

in dieser Sammlung erwähnt, ein Bengal Air; dieselbe Melodie wird

in Jone´s Lyric Airs persisch genannt.

(…)

Die Nummern 340 und 341 kommen von einer weiteren

Manuskriptsammlung ostindischer Musik. Die 2te Edition von No.

329, die 2te Edition von No. 336, die Nummern 344 – 348 kommen

von einem Werk namens Oriental Miscellany, or Airs of

Hindoostan,, gedruckt in Calcutta von William Hamilton Bird; und

No. 348 dieser Sammlung ist vielleicht das feinste Stück ostindischer

Musik.

Wir sehen: Damals wie Heute stehen uns so ziemlich dieselben schriftlichen Quellen zur Verfügung. Und vielleicht wird eines schönen Tages aus einem Nachlass oder aus einem Speicher noch ein solches vergessenes Manuskript wieder ans Licht der Welt gelangen. 12.- L.Walckiers: A Collection of twenty-four Hindostanee and other tunes (-Clementi) Als nächstes folgt im Lauf der Zeiten der Druck in Calcutta von circa 1815: A Collection of twenty-four Hindostanee and other tunes set for

the Piano forte, etc. dank der Bemühungen des ehrenswerten L.Walckiers; diese Ausgabe wurde vom berühmten Agenten Muzio Clementi 1817 in London eiligst nachgedruckt – Clementi war nicht nur als Pianist Wettstreiter mit Mozart, sondern auch ein guter Komponist, tüchtiger Verleger, und tatkräftiger Unternehmer.-

aus L.Walckier's Collection

Quelle: British Library Board g 443 i (20) Mit freundlicher Genehmigung der British Library

Die einzelnen Stücke, teilweise immer noch irgendwie erkennbar sind die uralten Modelle der Manuskripte von Sophia Plowden und wahrscheinlich diejenigen Melodien aus der Sammlung Fowke - sind nun ihrer (vermutlichen) Herkunft nach überschrieben. 24 kurze Stücke mit Bezeichnungen wie Maratha Tune, Hindostany Song, A Guth or Hindostany

Dance, Punjube [Punjabi] Song, Bearer's Dance, Cachemiriann [Cashmere] Song, Bengaly

Tune, oder Persean Song. Der Claviersatz ist nun merksam geglättet und wesentlich entwickelt, die kurzen Sätze sind dem typischen Idiom der Zeit verbunden, und im Gegensatz zu den meisten der vorigen Veröffentlichungen reichlich mit Artikulationszeichen oder Dynamikangaben versehen.- 13.- Muttuswami Dikshitar

Auch unter den bekanntesten indischen Musikern bemühten sich indes Künstler und Gelehrte um solche künstlerischen Begegnungen: Muttuswami Dikshitar (geboren 1775, ein Stern am Himmel der südindischen [karnatischen] Musik) veröffentlichte in bester südindischer Tradition seine European Airs and Melodies allerdings für Violine oder Clavier ohne Bass; darunter befinden sich das herkömmliche God save the Queen, oder irische Melodien wie The Rakes of Malloe. Er gab ihnen neue Texte und Inhalte in verschiedenen Sprachen und Dialekten.

Muttuswami Dikshitar

Quelle: Wikipedia

Die Geschichte geht, der Sammler Mr. Brown aus Madras habe ihn gebeten, zu einigen bekannten europäischen Melodien neue Texte zu komponieren. Dikshitar kam der Bitte nach und schrieb zu 11 Liedern einen Sanskrittext. Hier eine vollständige Liste: 1. Santatam Pahimam zu der Britischen Nationalhymne „God

save our Noble Queen“ (die auch in anderen Drucken der Zeit auftaucht, z.B.bei Sourindro Mohun Tagore,… bei diesem allerdings mit originalem Text, aber mit neu hinzukomponierter Hindumelodie) 2. Vande Meenakshi auf die berühmte irische Melodie Limerick 3. Varasikthivahanam – Castilian Maid von Thomas Moore 4. Peetavarnam Bhaje – Melodie von Taza-ba-Taza 5. Jagadeesa guruguha - zu Lord McDonald’s Reel

6. Subramanyam Suraseyyam – zu British Grenadiers, einem Regimentsmarsch, den auch Rabindranath Tagore gesungen hat 7. Kancheesam Ekambaram – zum alten Country Dance 8. Ramachandram Rajeevaksham – zu Let us lead a life of

pleasure

9. Sakalasuravinuha – zu einem Quick March (ähnlich wie gewisse Osmanische Herrscher hatte z.B. auch der Herrscher von Tanjore eine Vorliebe für Militärmusik, und komponierte diese teilweise selber) 10. Sakthi Sahitha Ganapathim – auf das frivole Voulez-Vous

dancer

11. Sowri Vidhinute - auf das bekannte englische Lied Oh

whistle, and I will come to You, my lad.

Ausserdem veröffentlichte Dikshitar noch seinen Band Nottuswara

Sahithyas: 29 Lieder in der westlichen Tonart C-Dur mit gelegentlichen Vorzeichen im Notentext. Das indische Äquivalent zu C_Dur sind der hindustanische Bilaval Thal bzw der karnatische Sankarabaranam, wennauch sie hier deutlich in C-Dur erscheinen und auch genau so gestaltet sind. Viel später sollten Komponisten wie Raja Mohun Tagore, Allaoudin Moulabux und andere, die international gut vernetzt waren, ihre traditionellen Ragas auf Wunsch einiger Leute aus dem Westen für Klavier folgendermaßen setzen:

Sourindro Mohun Tagore: Ragini für clavier Quelle: Internet Archive

Moulabux_No.10

Quelle: British Library Board F 1575 Mit freundlicher Genehmigung der British Library

Eine andere Sache ist der gegenseitige Austausch von Kenntnissen im Instrumentenbau: Der Einfluss irischer Fiddler auf karnatische Musik wie Instrumentenbau, die lange Geschichte der Laute und Gitarre, oder die Geheimnisse des Orgel- und Harmoniumbaus.-

V

Fazit: Die wenigen erhalten Werke mit original indischer Claviermusik basieren entweder auf einigen wenigen, mutigen interkulturellen Begegnungen, und wurden im Sog der beliebten exotischen Liedersammlungen immer und immer wieder umgearbeitet und neu verkauft, oder es wurden zeitgenössische Drucke mit den Modekomponisten der Zeit - Händel, Haydn, Clementi, usw. aus Europa geliefert. Grandes Sonates oder längere Spielstücke für Clavier und Klavichord gibt es am ehesten in Form von importierten Werken der Zeit der Klassik, z.T. erhalten in südindischen Archiven, oder werden in Import-Listen genannt. Das, was erhalten ist, sind kleine, feine Miniaturen, die, wie die bekannten Mogul-Malereien auf engem Raum orientalischen Geist versprühen - für den, der lauschen mag ... Wohl wissend, dass die von mir beschriebenen Werke allesamt keine mustergültigen Meisterwerke gemessen an den Werken europäischer Hochkultur sind, und oft genug unbeholfen notiert oder gedruckt worden waren, von Musikern, die teilweise nicht so recht wussten, wie mit dem Gehörten umzugehen sei. Dennoch haben einige dieser Melodien ihren ganz eigenen Charme, und versprühen - richtig interpretiert - etwas vom würzigen Duft des Orients.

Es ist mir ein Anliegen, anderen Clavieristen diese Welt näher zu bringen, sich mit der "Gegenseite", der klassischen oder leichten Klassik Indiens zu beschäftigen, die alten Stücke aus den genannten Sammlungen in einen größeren Konzertrahmen einzufügen, oder die ursprüngliche Kunst des Improvisierens im Sinne der Familie Bach zu erlernen. Die Vollendung allen Musizierens liegt dann darin, auf die Natur einwirken zu können: Vom berühmten Komponisten Tansen unter Akbar dem Großen wird erzählt, er habe durch seinen Gesang eine Dürreperiode beenden können: Durch seine vergeistigte Interpretation des urzeitlich-pentatonischen, mit Zauber verbundenen Raga Malkosh bzw. Malkauns rief er den lang ersehnten Regen herbei. Die großen Meister wären nicht sie selber geworden ohne all diejenigen, heute vergessenen, die ihnen mit Mühe und Entsagung den Weg ebneten. Manch eine Entdeckung am Wegesrand birgt auch Schätze, die es allemal wert sind, die gängigen Wege einmal für eigene Erkundungen zu verlassen. Das sage ich sowohl im Hinsicht auf unser Klassik-Publikum, als auch im Sinne auf Pädagogen und Clavieristen, die sich nur mit dem mainstream und technischen Problemen beschäftigen. Ich hoffe sehr, Ihnen so etwas Appetit auf diese besondere Claviermusik und auf Entdeckungen in der weiten Welt und abseits der großen Modeströme im Allgemeinen gemacht haben zu können. Das Repertoire für Clavier und insbesondere für Klavichord im Indien des ausgehenden XVIIIten Jahrhunderts ist eher schmal, aber mit gutem Geschmack und vor allem der Bereitschaft, sich auch auf die klassische indische Musik Hindustans und der karnatischen Traditionen einzulassen, lässt sich ein interessantes, abwechslungsreiches Konzert-Programm zusammen stellen. Dann lässt sich Mozarts alla turca vielleicht ganz anders wahrnehmen... Nachtrag: Matthew Peter King (1773-1823) Three Indian Rondos for the Piano-forte The Subjects taken from some of the most favourite Airs of Hindostan, Composed by M.P.King.

Garden House of Mr Trinks the Music Master near Calcutta - Hubert Cornish, 1795 Quelle: British Library

The Morse and Cator Family - Johann Zoffany, 1789 Quelle: Aberdeen Art Gallery & Museums

Abbildung 2:Akbar und der berühmte Musiker Tansen besuchen Swami Haridas in Vrindavan. Um 1750. Quelle: Wikipedia

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