forensic entomology | forensische entomologie

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Rechtsmedizin 2 · 2004 | 127 Rechtsmedizin 2004 · 14 : 127–140 DOI 10.1007/s00194-004-0254-6 Online publiziert: 2. April 2004 © Springer-Verlag 2004 Weiterbildung · Zertifizierte Fortbildung J. Amendt 1 · H. Klotzbach 2 · M. Benecke 3 · R. Krettek 4 · R. Zehner 1 1 Institut für Forensische Medizin, Universitätsklinik Frankfurt am Main 2 Institut für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf 3 International Forensic Research & Consulting,Köln 4 FG Ökosystemforschung, Gesamthochschule Kassel Forensische Entomologie Zusammenfassung Die Auswertung insektenkundlicher Spuren zur Klärung kriminalistischer und rechts- medizinischer Fragestellungen fasst man unter dem Begriff der forensischen Entomo- logie zusammen.Ihr Hauptanwendungsgebiet ist die Eingrenzung der Leichenliegezeit mittels Altersbestimmung der sich an der Leiche entwickelnden nekrophagen Insek- ten bzw. der Analyse der vorgefundenen Artenzusammensetzung. Darüber hinaus sind toxikologische und molekularbiologische Untersuchungen an den Tieren möglich,die z. B. der Aufklärung der Todesursache oder Identitätsbestimmung des Verstorbenen dienlich sein können.Von Bedeutung ist in Zeiten steigender Zahlen von Pflegefällen die Möglichkeit, grobe Vernachlässigungen hilfsbedürftiger Menschen anhand des Insektenbefalls von z. B.Wunden oder des Anogenitalbereichs nachzuweisen und ggf. zeitlich einzugrenzen. Ohne eine adäquate, fachgerechte Asservierung des insekten- kundlichen Materials ist jedoch eine korrekte und v. a. gerichtsverwertbare gutachter- liche Stellungnahme erschwert, wenn nicht sogar unmöglich. Es werden deshalb nicht nur die Prinzipien und Mechanismen dieses speziellen Fachgebiets erläutert, sondern auch Asservierungstechniken vorgestellt. Schlüsselwörter Forensische Entomologie · Leichenliegezeitbestimmung · DNA-Analyse · Vernachläs- sigung · Asservierung insektenkundlicher Spuren Forensic entomology Abstract Forensic entomology involves the analysis of entomological evidence in forensic inves- tigations to clarify the circumstances of death. Its main application is the determina- tion of time since death by estimating the age of necrophagous insects which develop on the corpse, or by analysing the insect species composition. In addition, toxicologi- cal and DNA-analytical examination of these insects may reveal the cause of death or the identity of the deceased. Moreover, these studies may prove neglect of incapaci- tated people who were in need of care, by potential maggot infestation of wounds or the genito-anal region. Without the appropriate, professional collection of entomo- logical evidence, accurate and convincing expertise in court will be hampered or even impossible. The present paper describes the principles and methods of this particular discipline, as well as the techniques for collecting entomological evidence. Keywords Forensic entomology · Estimation of postmortem interval · DNA analysis · Negligence · Collection of entomological evidence Redaktion B. Madea, Bonn Die Beiträge der Rubrik „Weiterbildung · Zertifizierte Fortbildung“ sollen dem Facharzt als Repetitorium dienen und dem Wissenstand der Facharztprüfung für den Arzt in Weiterbildung entsprechen. Die Rubrik beschränkt sich auf gesicherte Aussagen zum Thema. Willkommen zur Zertifizierten Fortbildung bei Springer! Das Zertifizierungsportal von Springer http://cme.springer.de bietet Ihnen neben der Online-Version der aktuellen Fort- und Weiter- bildungsbeiträge auch die Möglichkeit, die Fragen am Ende dieses Beitrags online zu beantworten und somit wichtige Zertifizierungspunkte zu sammeln.Die Teilnahme ist kostenlos und beschränkt sich im Hinblick auf eine eindeutige Identifizierung auf Individualabonnenten der Zeitschrift. Für diese Fortbildungseinheit erhalten Sie drei Fortbildungspunkte, wenn Sie 70% der Fragen richtig beantwortet haben bzw. Ihr Ergebnis nicht unter dem Durchschnitt aller Teilnehmer liegt.Zwei Tage nach Einsendeschluss können Sie die Auswertung und damit Ihre Teilnahmebestätigung unter http://cme.springer.de abrufen. Reichen Sie Ihre Teilnahmebestätigung zur Erlangung des freiwilligen Fortbildungszertifikats bei Ihrer zuständigen Ärztekammer ein. Diese Initiative ist zertifiziert von der Landesärzte- kammer Hessen und der Nordrheinischen Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung und damit auch für andere Ärztekammern anerkennungsfähig. Für Rückfragen stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung: Springer-Verlag GmbH & Co.KG Redaktion Facharztzeitschriften CME-Helpdesk, Tiergartenstraße 17 69121 Heidelberg Fax ++49-(0)6221-487-8461 E-Mail: [email protected] http://cme.springer.de cme.springer.de

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Rechtsmedizin 2 · 2004 | 127

Rechtsmedizin 2004 · 14 : 127–140DOI 10.1007/s00194-004-0254-6 Online publiziert: 2. April 2004 © Springer-Verlag 2004

Weiterbildung · Zertifizierte Fortbildung

J. Amendt1 · H. Klotzbach2 · M. Benecke3 · R. Krettek4 · R. Zehner1

1Institut für Forensische Medizin, Universitätsklinik Frankfurt am Main2Institut für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf3International Forensic Research & Consulting, Köln4FG Ökosystemforschung, Gesamthochschule Kassel

Forensische Entomologie

ZusammenfassungDie Auswertung insektenkundlicher Spuren zur Klärung kriminalistischer und rechts-medizinischer Fragestellungen fasst man unter dem Begriff der forensischen Entomo-logie zusammen.Ihr Hauptanwendungsgebiet ist die Eingrenzung der Leichenliegezeitmittels Altersbestimmung der sich an der Leiche entwickelnden nekrophagen Insek-ten bzw.der Analyse der vorgefundenen Artenzusammensetzung.Darüber hinaus sindtoxikologische und molekularbiologische Untersuchungen an den Tieren möglich, diez. B. der Aufklärung der Todesursache oder Identitätsbestimmung des Verstorbenendienlich sein können.Von Bedeutung ist in Zeiten steigender Zahlen von Pflegefällendie Möglichkeit, grobe Vernachlässigungen hilfsbedürftiger Menschen anhand desInsektenbefalls von z. B.Wunden oder des Anogenitalbereichs nachzuweisen und ggf.zeitlich einzugrenzen. Ohne eine adäquate, fachgerechte Asservierung des insekten-kundlichen Materials ist jedoch eine korrekte und v. a. gerichtsverwertbare gutachter-liche Stellungnahme erschwert, wenn nicht sogar unmöglich. Es werden deshalb nichtnur die Prinzipien und Mechanismen dieses speziellen Fachgebiets erläutert, sondernauch Asservierungstechniken vorgestellt.

SchlüsselwörterForensische Entomologie · Leichenliegezeitbestimmung · DNA-Analyse · Vernachläs-sigung · Asservierung insektenkundlicher Spuren

Forensic entomology

AbstractForensic entomology involves the analysis of entomological evidence in forensic inves-tigations to clarify the circumstances of death. Its main application is the determina-tion of time since death by estimating the age of necrophagous insects which developon the corpse, or by analysing the insect species composition. In addition, toxicologi-cal and DNA-analytical examination of these insects may reveal the cause of death orthe identity of the deceased. Moreover, these studies may prove neglect of incapaci-tated people who were in need of care, by potential maggot infestation of wounds orthe genito-anal region. Without the appropriate, professional collection of entomo-logical evidence, accurate and convincing expertise in court will be hampered or evenimpossible. The present paper describes the principles and methods of this particulardiscipline, as well as the techniques for collecting entomological evidence.

KeywordsForensic entomology · Estimation of postmortem interval · DNA analysis · Negligence ·Collection of entomological evidence

RedaktionB. Madea, Bonn

Die Beiträge der Rubrik „Weiterbildung · ZertifizierteFortbildung“ sollen dem Facharzt als Repetitoriumdienen und dem Wissenstand der Facharztprüfung für den Arzt in Weiterbildung entsprechen. Die Rubrikbeschränkt sich auf gesicherte Aussagen zum Thema.

Willkommen zur ZertifiziertenFortbildung bei Springer!

Das Zertifizierungsportal von Springerhttp://cme.springer.de bietet Ihnen neben derOnline-Version der aktuellen Fort- und Weiter-bildungsbeiträge auch die Möglichkeit, die Fragenam Ende dieses Beitrags online zu beantwortenund somit wichtige Zertifizierungspunkte zusammeln. Die Teilnahme ist kostenlos undbeschränkt sich im Hinblick auf eine eindeutigeIdentifizierung auf Individualabonnenten derZeitschrift.

Für diese Fortbildungseinheit erhalten Sie dreiFortbildungspunkte, wenn Sie 70% der Fragenrichtig beantwortet haben bzw. Ihr Ergebnis nichtunter dem Durchschnitt aller Teilnehmer liegt. ZweiTage nach Einsendeschluss können Sie dieAuswertung und damit Ihre Teilnahmebestätigungunter http://cme.springer.de abrufen. Reichen SieIhre Teilnahmebestätigung zur Erlangung desfreiwilligen Fortbildungszertifikats bei Ihrerzuständigen Ärztekammer ein.

Diese Initiative ist zertifiziert von der Landesärzte-kammer Hessen und der Nordrheinischen Akademiefür Ärztliche Fort- und Weiterbildung und damitauch für andere Ärztekammern anerkennungsfähig.

Für Rückfragen stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung:

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| Rechtsmedizin 2 · 2004128

Lernziel: Die forensische Entomologie nutzt die Besiedelung menschlicher Leichendurch Insekten und andere Gliedertiere zur Klärung von rechtsmedizinischen und kri-minalistischen Fragestellungen wie z. B. der Bestimmung der Leichenliegezeit. Dervorliegende Beitrag macht den Leser mit den Prinzipien der Leichenliegezeitbestim-mung vertraut und erläutert weitere Möglichkeiten, aber auch Grenzen der forensi-schen Entomologie. Darüber hinaus kann der Leser Grundkenntnisse in der fachge-rechten und somit gutachterlich auswertbaren Asservierung des insektenkundlichenMaterials erwerben.

Definition und Anwendung

Die Auswertung insektenkundlicher Spuren zur Klärung kriminalistischer und rechts-medizinischer Sachverhalte fasst man unter dem Begriff der forensischen Entomologie(� Insektenkunde) zusammen [1, 7]. Ihre wichtigste Aufgabe ist die Eingrenzung derLeichenliegezeit. Zahlreiche weitere für die Ermittlungen bedeutsame Informationen,wie z. B. die zeitliche Rekonstruktion des Tatgeschehens, können an die Kenntnis die-ses Zeitraums gebunden sein.Toxikologische und molekularbiologische Untersuchun-gen der Insekten können z. B. bei der Aufklärung der Todesursache oder Identität desOpfers helfen; auch die Vernachlässigung lebender,pflegebedürftiger Menschen ist mitHilfe dieser Gliedertiere nicht nur nachweisbar, sondern in manchen Fällen auch zeit-lich einzugrenzen (⊡ Tabelle 1).

Leichenliegezeitbestimmung

Die Todeszeitbestimmung ist eine der wichtigsten Aufgaben der Rechtsmedizin. Mitzunehmender Liegezeit ist das Todeszeitintervall jedoch immer schwieriger einzu-grenzen. Etwa 24–48 h nach Todeseintritt stehen keine zufriedenstellenden rechtsme-dizinischen Methoden zur Eingrenzung der Leichenliegezeit mehr zur Verfügung.Hierkann man sich die Besiedelung der Leichen durch Insekten und andere Gliedertiere zuNutze machen.

Lebenszyklus nekrophager Insekten

Bereits kurz nach Todeseintritt versammeln sich die ersten nekrophagen Insekten amLeichnam.Hervorzuheben sind hier die Fliegen (Diptera),welche die mit dem Tod ein-hergehenden Veränderungen des Körpers bereits registrieren, wenn diese für Men-schen noch nicht wahrnehmbar sind. Als typische Erstbesiedeler zeigen sich in der

� InsektenkundeDie wichtigste Aufgabe der forensischenEntomologie ist die Eingrenzung der Lei-chenliegezeit

24–48 h nach Todeseintritt kann die Lei-chenliegezeit rechtsmedizinisch nicht mehrzufriedenstellend eingegrenzt werden

Bereits kurz nach Todeseintritt versammelnsich die ersten nekrophagen Insekten amLeichnam

Tabelle 1

Die wichtigsten Anwendungsmöglichkeiten der forensischen Entomologie

Fragestellung Beantwortung durch Beispiel

Leichenliegezeit Berechnung von Leichenliegezeiträumen mittels Alterbestimmung der Insekten [8, 10]

und Analyse des Artenspektrums

Zuordnung Täter – Tatort Nachweis von fundortspezifischen Insekten am Täter oder an dessen Kleidung [7]

Intoxikation des Opfers Nachweis des Medikamenten- und/oder Drogenkonsums des Opfers [6]

durch toxikologische Analyse der sich an ihm entwickelnden Insekten

Opferidentifizierung Nachweis und Identifizierung menschlicher DNA in Fliegenmaden [14, 15]

Vernachlässigung pflegebedürftiger Menschen Aufdeckung und zeitliche Eingrenzung eines zu Lebzeiten des Opfers [5]

stattgefundenen Insektenbefalls

Tatrekonstruktion Differenzierung tatrelevanter Blutspritzer von durch Insektenaktivität entstandenen [4]

Artefakten

Rechtsmedizin 2 · 2004 | 129

Weiterbildung · Zertifizierte Fortbildung

Regel die Schmeißfliegen (Diptera: Calliphoridae),deren Eigelege oft bereits nach weni-gen Stunden oder sogar Minuten nach Todeseintritt an der Leiche festgestellt werdenkönnen (⊡ Abb. 1).

Die weitere Entwicklung folgt nach einem einheitlichen Schema (⊡ Abb. 2): Aus den Eiern schlüpfen die 1–2 mm großen Fliegenmaden. Diese häuten sich während des Wachstums 2-mal und verlassen nach Abschluss der Nahrungsaufnahme meist die Leiche,um sich zu verpuppen.Aus dem Puparium schlüpfen die erwachsenen Flie-gen, diese sind nach wenigen Tagen geschlechtsreif, der Kreislauf beginnt von neuem.Die Geschwindigkeit dieses Entwicklungszyklus wird im Wesentlichen von zwei Para-metern beeinflusst,der Umgebungstemperatur und der Artzugehörigkeit der Fliege [2,13].

Die � Temperaturabhängigkeit der Wachstumsrate der wechselwarmen Insekten lässtsich durch die Tatsache erklären, dass alle biochemischen und physiologischen Pro-zesse eines Organismus,wie z. B.die Enzymaktivität, in hohem Maße temperaturabhän-gig sind. Dabei existieren sog. untere und obere Schwellenwerte, die nicht unter- bzw.überschritten werden dürfen, da sonst die Entwicklung gestoppt wird oder das Tierstirbt.

Die Geschwindigkeit dieses Entwicklungs-zyklus wird im Wesentlichen von der Um-gebungstemperatur und der Artzugehörig-keit der Fliege beeinflusst� Temperaturabhängigkeit der Wachs-

tumsrate

Abb. 1 ▲ Typisches Gelege mit Schmeißfliegeneiern, die oft zuerst inden natürlichen Körperöffnungen, wie z. B. der Nase, platziert werden Abb. 2 ▲ Entwicklungszyklus einer Schmeißfliege; im Uhrzeigersinn

dargestellt sind die einzelnen Entwicklungsstadien vom Ei über die 3 morphologisch unterscheidbaren Larvenstadien bis hin zum Pupa-rium und den aus diesem schlüpfenden erwachsenen Fliegen

Abb. 3 � Entwicklung der Schmeißfliege Lucilia sericata vom Zeitpunkt des Schlup-fes bis zur Verpuppung unter 10 unterschiedlichen Temperaturbedingungen; diePfeile markieren den Übergang vom 1. zum 2. bzw. vom 2. zum 3. Larvenstadium.(Nach [9a])

| Rechtsmedizin 2 · 2004130

Für den erfolgreichen Abschluss der Entwicklung bzw. eines einzelnen Entwick-lungsstadiums ist die Akkumulierung einer bestimmten Temperaturmenge im Insektnotwendig. Diese Temperaturmenge wird in sog. Tages- oder Stundengraden angege-ben und entspricht quasi einer physiologischen Entwicklungszeitspanne. Unter kon-stanten Bedingungen stellt sie das Produkt aus Temperatur (Differenz zwischen realgemessener Temperatur und dem unteren Schwellenwert) und Zeit (gemessen in Stun-den bzw. Tagen) dar [2, 8]. Die Temperaturgrenzen der Entwicklung und die zu durch-laufenen Zeiträume unter verschiedenen Temperaturbedingungen müssen im Laborund ggf. im Freiland experimentell und/oder mathematisch ermittelt werden.

Die für die Entwicklung vom Ei bis zum Schlüpfen des adulten Insekts notwendi-ge Temperaturmenge ist für jede Insektenart innerhalb einer engen Variationsbreitekonstant (sog. Wärmekonstante) (⊡ Tabelle 2). Zwischen den einzelnen Arten gibt esjedoch Unterschiede,die auch bei sehr nah verwandten Spezies zu beobachten sind unddurchaus deutlich ausfallen können. Diese � Artspezifität der Wachstumsrate macht esunbedingt erforderlich,eine genaue Bestimmung des jeweiligen Insekts zu gewährleis-ten.

Nach erfolgter Artbestimmung ist es dann möglich, die Zeit zu ermitteln, die dieasservierten Insekten unter den Temperaturbedingungen des Fundortes bis zum Errei-chen des vorgefundenen Entwicklungsstadiums benötigt haben. Für zahlreiche foren-sisch relevante Insektenarten existieren solche Daten bereits (⊡ Abb. 3 und ⊡ Tabelle 3),sodass bei optimaler Datenlage in den ersten Wochen nach Todeseintritt eine bis auf denTag genaue Eingrenzung möglich ist.

Für den erfolgreichen Abschluss eines Ent-wicklungsstadiums ist die Akkumulierungeiner bestimmten Temperaturmenge imInsekt notwendig

Die für die Entwicklung vom Ei bis zumSchlüpfen des adulten Insekts notwendigeTemperaturmenge ist für jede Insektenartinnerhalb einer engen Variationsbreite kon-stant (sog.Wärmekonstante)� Artspezifität der Wachstumsrate

Tabelle 2

Durchschnittliche minimale Entwicklungsdauer der einzelnen Stadien der Schmeißfliege Lucilia sericata. (Nach [9a])

Stadium Dauer (h)

15°C 17°C 19°C 20°C 21°C 22°C 25°C 28°C 30°C 34°C

Ei 31 28 24 22 19 17 14 11 10 8.5

L1 56 39 27 24 23 19 16 11 10 9.5

L2 70 54 42 35 29 26 19 16 15 12

L3 115 79 60 53 47 46 36 30 27 27

Postfeeding 340 200 118 108 103 94 87 87 87 82

Puppe (a) 442 293 209 158 137 125 120 119 120

Ingesamt (a) 842 564 451 379 339 297 275 268 259

L1–L3: die 3 morphologisch gut voneinander unterscheidbaren Larvenstadien; (a): kein Schlupf adulter Tiere bei 15°CPostfeeding: Larvenstadium, das die Fressaktivitäten eingestellt hat und sich auf die Verpuppung vorbereitet

Tabelle 3

Temperaturparameter (°C) verschiedener nekrophager Fliegenarten. (Nach [11a])

Fliegenart Niedrigster Wärme- Summe der effektiv benötigten Temperatur Schwellenwert konstante für die Entwicklung vom Ei zum Puparium

Calliphora vicina 2,0 388,0 191,0

Calliphora vomitoria 3,0 472,0 213,0

Protophormia terraenovae 7,8 251,0 191,0

Lucilia sericata* 9,0 207,0 –

Chrysomya albiceps 10,2 186,0 123,0

Phormia regina 11,4 148,0 101,0

Muscina stabulans 7,2 269,0 139,0

Muscina assimilis 7,9 240,0 102,0

Boettcherisca septentrionalis 7,8 279,0 117,0

Piophila foveolata 6,4 434,0 278,0

* nach Kozhanchikov (1961)

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Artensukzession an Kadavern

An einer Leiche werden sich im Laufe des Zersetzungsprozesses zahlreiche Insektenartenund Vertreter anderer Gliedertiere einfinden. Ihre Anwesenheit bedeutet jedoch nichteine sofortige Eiablage bzw. Besiedelung. Die Tiere werden zwar von spezifischen Sig-nalen des organischen Verfalls angezogen, aber je nach ökologischer und biologischerPräferenz zu unterschiedlichen Zeiten den Körper besiedeln oder sich,wie diverse Räu-ber nekrophager Arten, dem Leichnam an sich gar nicht widmen. In Anlehnung anSmith [13] sind � 4 ökologische Kategorien von Leicheninsekten zu unterscheiden:

1. Nekrophage Arten, die sich vom Leichengewebe ernähren.2. Räuber und Parasiten diverser Insekten und anderer Arthropoden. Hier finden

sich auch solche Spezies, die zu Beginn ihrer larvalen Entwicklung vom Leichen-gewebe fressen um später zu einer räuberischen Lebensweise überzugehen.

3. Omnivore Arten, wie z. B.Wespen,Ameisen oder verschiedene Käferarten, dienicht auf das Vorkommen von Kadavern angewiesen sind, aber sich durchaus vonLeichengewebe oder den sich an diesem entwickelnden Leicheninsekten ernährenkönnen.

4. Andere Arten, wie z. B. Spinnen oder Springschwänze, die das Fundorthabitatbesiedeln und die Leiche als Ausdehnung ihres Lebensraums betrachten.

In der forensischen Entomologie finden v. a.die beiden erstgenannten Gruppen Berück-sichtigung.

Für die Eingrenzung der Leichenliegezeit bedeutend ist, dass diese Insekten je nachArt einen unterschiedlichen Verwesungszustand des Leichnams bevorzugen, welcherdemzufolge je nach Zerfallsstadium von einer typischen Leichenfauna besiedelt ist.

Diese chronologische Abfolge des Auftretens von Arten bzw- Artengemeinschaftenin einem sich verändernden Lebensraum bezeichnet man in der Ökologie als � Suk-zession. Schmeißfliegen bevorzugen z. B. die Besiedelung der frischen Leiche in denersten Tagen und Wochen. Die Käsefliege hingegen legt ihre Eier ab, wenn der Zerset-zungsprozess bereits fortgeschritten ist, weil sie erst dann die für ihre Nachkommengeeignete Nahrungsquelle lokalisiert hat. Während die Fliegenmaden die trockenenorganischen Substanzen nicht als Nahrung verwerten können,fühlen sich manche Käferhiervon geradezu angezogen. So besiedeln Speckkäfer die Leiche im fortgeschrittenenVerwesungsstadium, wenn der Leichnam zu trocknen beginnt.

Auch die Lagerung des Leichnams kann Einfluss auf die Artenzusammensetzunghaben: Schmeißfliegen können z. B. begrabene Körper nicht besiedeln, Buckelfliegen(Phoridae) ist dies jedoch möglich.

Aufgrund der vorgefundenen Artenzusammensetzung ist es dem Entomologen mög-lich, die Leichenliegezeit einzugrenzen. Da die Geschwindigkeit der Zersetzungsprozes-se aber von den unterschiedlichsten internen und externen Faktoren beeinflusst wirdund somit nie auf einer konkreten Zeitachse einzuordnen ist, handelt es sich meist umeine grobe Annäherung, wie z. B. eine jahreszeitliche Eingrenzung oder die Angabeeines Monats der Ausbringung des Leichnams [2]. Die Leichenliegezeit kann so alsoüber einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg noch in gewissen Grenzen ange-geben werden.

DNA-analytische Untersuchungen an Insekten

Identifikation nekrophager Insekten

Aufgrund der oben erwähnten artspezifischen Unterschiede in der Entwicklung ist für jede weiterführende entomologische Untersuchung die richtige Identifizierung der vorgefundenen Insekten notwendig. Es finden sich jedoch nur noch wenige Spezi-alisten, die aufgrund morphologischer Strukturen des Insektenkörpers die unter-schiedlichen Entwicklungsstadien einer bestimmten Insektenart zuordnen können,

� 4 ökologische Kategorien vonLeicheninsekten

Die Leichenfauna ist abhängig vomjeweiligen Zerfallsstadium

� Sukzession: chronologische Abfolgedes Auftretens von Arten

Aufgrund der vorgefundenen Arten-zusammensetzung kann der Entomologedie Leichenliegezeit eingrenzen

Voraussetzung jeder weiterführenden ento-mologischen Untersuchung ist die richtigeIdentifizierung der vorgefundenen Insekten

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besonders die mehr oder weniger gleichförmigen Larven stellen hier eine große Her-ausforderung dar.

So können z. B. die larvalen Stadien der Fleischfliegen (Sarcophagidae) nicht aufArtniveau bestimmt werden. Ihre Aufzucht zum erwachsenen und damit einfacher zuidentifizierenden Tier ist zeitaufwendig und keineswegs immer unproblematisch.Zudemdürfen nicht alle Maden bei der Asservierung abgetötet werden, sondern es muss auchlebendes Material für die Zucht zum erwachsenen Tier vorliegen. Hier kann die Mole-kularbiologie helfen, indem sie von eindeutig identifizierten Insekten die Sequenzenausgewählter Genbereiche bestimmt. Diese Sequenzen dienen dann als Referenz um z. B. unbekannte Fliegenmaden einer bekannten Art zuzuordnen [2, 16].

Voraussetzung zur Durchführung einer Sequenzanalyse ist die erfolgreiche Extrak-tion der DNA. Hier existieren in der forensischen Biologie verschiedene, bereits eta-blierte Standardmethoden, wie die Phenol/Chloroform-Extraktion oder die Chelex-Extraktion,darüber hinaus finden sich mittlerweile diverse kommerzielle Extraktions-Kits im Handel. Der � fachgemäßen Lagerung des Materials muss hier eine besondereBedeutung zugemessen werden,da das Gewebe bzw.die DNA der Tiere sonst der Gefahrder Degradation ausgesetzt ist.Es empfiehlt sich deshalb,70%ig oder höher konzentriertesEthanol zu verwenden.

Da Fliegen die forensisch bedeutsamsten Insekten darstellen, ist die Sequenzanaly-se dieser Tiere bereits am weitesten fortgeschritten [2].Häufig wird als Zielbereich dasGen für die Untereinheit I der mitochondrialen Zytochromoxidase untersucht. EineÜbereinstimmung der ausgewählten, mehrere 100 Basen langen Sequenz des unbe-kannten Tieres mit der Sequenz einer Referenzart weist auf identische Spezies hin.DerUmkehrschluss ist problematischer: Einzelne Abweichungen müssen nicht einen Aus-schluss bedeuten. Hierfür müssen genauere Informationen zur intraspezifischen Vari-abilität der Referenzarten vorliegen, d. h. es müssen zahlreiche Individuen einer Artuntersucht werden, um sich über die Variablität eines Genbereichs im Klaren zu sein.

Die � Sequenzanalyse ist heute aufgrund ihrer Aussagekraft im Vergleich zu ande-ren Techniken die Methode der Wahl bei der molekularbiologischen Artbestimmung.Die Anwendung anderer Methoden,wie der PCR-RFLP,bietet lediglich begrenzte Infor-mationen.Bei alleiniger Anwendung dieser Methode zur Artbestimmung ist jedoch dieGefahr eines falschen Ausschlusses gegeben,wenn eine Erkennungssequenz des Restrik-tionsenzyms intraspezifischer Variabilität unterworfen ist.

Sequenzanalysetechniken dagegen sind mittlerweile molekularbiologischer Alltag inden forensischen Labors,es existieren zahlreiche Analyse-Kits sowie computergestützteSequenzer und Auswertungsprogramme. Darüber hinaus bieten viele Unternehmenheute die Möglichkeit der Sequenzanalyse ‚auf Bestellung‘ zu erschwinglichen Kondi-tionen an.

Nachweis und Typisierung menschlicher DNA in Insektenlarven

Der Nachweis und die Typisierung von � aus Maden extrahierter menschlicher DNA isteine weitere Anwendung molekularbiologischer Techniken innerhalb der forensischenEntomologie. Eine derartige Analyse kann z. B. dann von Bedeutung sein, wenn dieNahrungsquelle der im entomologischen Gutachten untersuchten Maden strittig ist.Kann es zu einem Vertauschen der Proben gekommen sein? Haben sich die Tiere auf ver-dorbenen Lebensmitteln in unmittelbarer Nähe des Leichnams entwickelt und diesensekundär besiedelt? Auch wenn derartigen Szenarien Seltenheitswert zukommt, ist esim konkreten Einzelfall von erheblicher Relevanz, eine zweifelsfreie Zuordnung derentsprechenden DNA mittels einer forensisch validierten Methode durchführen zu kön-nen [14].

Dies gilt ebenso, wenn sich an einem offensichtlichen Leichenlagerungsort, wie z. B. dem Kofferraum eines als Transportmittel verwendeten PKW, nur noch Maden,aber keine Leiche befinden. Der � individualspezifische Nachweis menschlicher DNAim Verdauungstrakt der Maden mit üblichen molekularbiologischen Methoden kannim optimalen Fall den Nachweis von DNA einer konkreten Person erbringen [15]. Eine

Molekularbiologisch bestimmte DNA-Sequenzen eindeutig identifizierter Insek-ten dienen als Referenz für unbekannteFliegenmaden

� Fachgemäße Lagerung des Materials

Häufig wird als Zielbereich das Gen für dieUntereinheit I der mitochondrialen Zyto-chromoxidase untersucht

� Sequenzanalyse: Methode der Wahl

� Aus Maden extrahierte menschlicheDNA

� Individualspezifischer Nachweis

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Weiterbildung · Zertifizierte Fortbildung

Untersuchung artspezifischer mitochondrialer Sequenzen erlaubt den Nachweis tieri-scher DNA. Voraussetzung für die erfolgreiche Anwendung dieser Methode ist aller-dings die Anwesenheit fressaktiver Maden. Fliegenpuppen sind ebenso wenig zu ver-wenden wie bereits aktiv von der Leiche abgewanderte Maden. Hier hat sich der Ver-dauungstrakt bereits geleert und es ist keine DNA-Analyse der Nahrung möglich.

Forensische Entomotoxikologie

Die sich von einem Leichnam ernährenden Larven können im Rahmen ihrer Nah-rungsaufnahme � Drogen oder Medikamente aufnehmen,die von dem Verstorbenen zuLebzeiten konsumiert wurden.Der Nachweis solcher Substanzen in nekrophagen Insek-ten und die Analyse der � Auswirkungen dieser Stoffe auf die Entwicklung der Tiere istUntersuchungsobjekt der Entomotoxikologie [6].

Leichen im Zustand fortgeschrittener Verwesung können für toxikologische Analy-sen ein Problem darstellen,da sie ungenügende Mengen an brauchbarem Gewebe oderKörperflüssigkeiten wie Blut und Urin aufweisen. Hier könnten die sich auf der Leicheentwickelnden Insekten eine brauchbare Alternative darstellen.Nach Mazeration der Lar-ven und fachgerechter Aufbereitung kann die so gewonnene Lösung klassischen toxi-kologischen Untersuchungen, wie z. B. einer Dünnschicht- oder Gaschromatographie,unterzogen werden.

Auch eine Analyse der sich aus den Larven entwickelten adulten Tiere oder diverserLarvenreste bzw. leerer Puparien ist durchführbar.Besonders die letztgenannten Frag-mente sind relevant, da sie am Fundort noch über Jahre hinweg erhalten bleiben kön-nen. Es muss jedoch deutlich herausgestellt werden, dass ein negativer Befund bei derInsektenanalyse nicht zwangsläufig mit dem Fehlen einer Substanz im Leichnam gleich-zusetzen ist.Zu variabel scheint die Anreicherung und der Abbau im Insektenkörper zusein.

Es ist auch nicht von einer völlig homogenen Verteilung einer chemischen Substanzin allen Abschnitten des Leichengewebes auszugehen, sodass die Tiere nicht kontinu-ierlich die gleiche Konzentration der Noxe aufnehmen. Dies erklärt die Tatsache, dassInsekten in der Entomotoxikologie bislang nicht zur quantitativen Analyse herange-zogen werden können, sondern nur der � qualitative Nachweis eines Stoffes möglichist.

Insekten können also nützliche Helfer bei der toxikologischen Aufarbeitung eines Lei-chenfundes darstellen.Gleichzeitig offenbaren zahlreiche Laborexperimente den mög-lichen Einfluss der unterschiedlichsten Stoffklassen auf die Entwicklung dieser Tiere.Es ist naheliegend, hierin potenzielle Fehlerquellen für eine korrekte Bestimmung derLeichenliegezeit zu vermuten [2]. So verändern z. B. Kokain und Heroin nachweislichdie Entwicklungsgeschwindigkeit von Maden verschiedener Fliegenarten, wobei dieArt des Einflusses,also eine Beschleunigung oder Verlangsamung der Entwicklung,vonSpezies zu Spezies variiert.

Nachweis einer Vernachlässigung

Einige Leichen besiedelnde Insekten finden sich auch in massiven,den Tieren zugäng-lichen � Wunden lebender, oft geschwächter Menschen [3, 12]. Es handelt sich vorwie-gend um Larven der grün und blau schillernden Schmeißfliegen (Calliphoridae). Sieernähren sich vom durch die Entzündung zersetzten, abgestorbenen Gewebe, was inder sog. „Madentherapie“ zur Reinigung insbesondere durch multiresistente Keimeverunreinigter, chronischer und schlecht heilender Wunden zum Tragen kommt [10].Da Pflegevernachlässigungen – mit oder ohne Todeseintritt – zunehmend mehr Beach-tung geschenkt wird,kann im Falle einer Insektenbesiedelung von Wunden das � Alterdieser Tiere zur Bestimmung der Dauer der Vernachlässigung des Betroffenen dienen[3, 5].

Handelt es sich nicht um Wunden, sondern um Verschmutzungen eines Körpers(beispielsweise im Anogenitalbereich wegen nicht gewechselter Windeln),so sind nicht

Voraussetzung ist die Anwesenheit fress-aktiver Maden

� Drogen oder Medikamenten-nachweis in Insekten

� Auswirkungen auf die Entwicklung

Auch eine Analyse diverser Larvenrestebzw. leerer Puparien ist durchführbar

� Qualitativer Nachweis

Kokain und Heroin verändern die Entwick-lungsgeschwindigkeit von Maden

� Wunden

� Alter der Tiere

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Schmeißfliegen, sondern v. a. Stallfliegen (Muscidae) und andere von Kot und Urinangezogene Gliedertiere von Bedeutung. Sie besiedeln im Grunde nicht den Körper,sondern die Verschmutzung [3,5].Es ist daher wichtig,auch die � Kleidungsstücke nachInsekten zu durchsuchen.Auch diese Tiere erlauben nach kritischer Einzelfallbetrach-tung eine Abschätzung des Ausmaßes und der Dauer der Vernachlässigung [3].

Postmortale Artefakte durch Insektenfraß

Intravitale und postmortale Insektenaktivität kann zu Leichenveränderungen führen,die bei der Leichenschau durch forensisch unerfahrene Personen zunächst irrtümlichals Zeichen zu Lebzeiten entstandener und möglicherweise todesursächlicher Gewalt-einwirkung interpretiert werden [12].Exemplarisch können hier Schaben und Ameisengenannt werden,die in der rechtsmedizinischen und forensisch-entomologischen Lite-ratur vereinzelt in Fallbeschreibungen auftauchen.Da seitens der Rechtsmediziner fun-dierte Kenntnisse zum Phänomen des postmortalen Tierfraßes bestehen und sich diesozioökonomischen Strukturen verbessert haben,sind in der heutigen Zeit derartige Fälleweitgehend nur noch von historischem Interesse.

Asservierung und Auswertung insektenkundlichen Materials

Die entomologische Analyse und gutachterliche Bewertung insektenkundlichen Mate-rials ist von einer fachgerechten Asservierung der Tiere abhängig [1, 3] (⊡ Abb. 4). Hierkönnen verschiedene Teilaspekte unterschieden werden.

Wo?

An der LeicheDie Besiedelung verschiedener Körperregionen duch Insekten kann unterschied-lich schnell erfolgen, gerade in den ersten Tagen nach dem Tode weisen Leichen in derRegel ein � typisches räumliches Besiedelungsmuster durch Fliegenmaden auf (Augen/Nase/Mund/Ohren, Genitale/Analbereich, Achselhöhlen). In diesem Zeitraum kanneine dichte Besiedelung in einer anderen Körperregion auf eine – möglicherweise

� Kleidungsstücke

Insektenaktivität kann zu Leichenverände-rungen führen, die wie Zeichen von Gewalt-einwirkung aussehen

� Typisches räumlichesBesiedelungsmuster

Abb. 4 ▲ Manual zur insektenkundlichen Asservierung an Leiche und Fundort

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mit dem Tode in Verbindung stehende – Wunde hinweisen. Daher muss sichergestelltsein, dass verschiedene Körperregionen, wie z. B. Kopf und Genitalbereich, sowie ggf.unterschiedliche Wunden bzw. Madenansammlungen untersucht und � besammeltwerden.

In der Umgebung der LeicheEs muss nicht nur die Leiche selbst auf Insekten und andere Gliedertiere hin untersuchtwerden, sondern auch die unmittelbare Umgebung des Leichnams. Dies erklärt sichdadurch,dass ein Großteil der mit Leichen assoziierten Arten nach Abschluss ihrer lar-valen Entwicklung zur Verpuppung und Komplettierung ihres Entwicklungszyklus denKadaver verlassen. Im Freiland bedeutet dies, dass sich noch in einer Entfernung vonbis zu ca. � 4 m im Erdreich und der Blattstreu abgewanderte Maden oder Puppensta-dien finden können. In der Wohnung suchen die Tiere dunkle Nischen oder Spaltenwie Fußbodenleisten,Teppiche etc.auf.Auch das Verlassen des Raumes, in dem sich dieLeiche befindet, ist nicht ungewöhnlich.

Was?

Es sollten alle auf den ersten Blick als verschieden erkennbare Formen und Entwick-lungsstadien (Ei,Larve,Puppe,leeres Puparium,wenn möglich,auch erwachsene Insek-ten) asserviert werden (⊡ Abb. 5). Diese Definition beinhaltet auch unterschiedlicheGrößenausprägungen ansonsten gleich aussehender Maden.Aufgrund der oben erwähn-ten Verhaltensweise des Abwanderns von der Leiche müssen unter dem Leichnam unddessen Umgebung mehrere � Bodenproben bis etwa 30 cm Tiefe entnommen werden.

Wie?

Wichtig sind � lebende und sofort abgetötete Tiere der verschiedenen Entwicklungs-stadien. So hält man sich zum einen verschiedene Berechnungsmöglichkeiten für dieLeichenliegezeitbestimmung offen und kann zum anderen nach einer Weiterzucht derLarven am erwachsenen Tier in problematischen Fällen eine Artidentifizierung durch-führen. Falls zunächst keine Übergabe der Tiere geplant ist und auch nicht die Mög-lichkeit bzw.das Interesse besteht,die Larven weiterzuzüchten,können sämtliche asser-vierten Insekten abgetötet werden.

� Besammlung verschiedener Körper-regionen

� 4 m im Umkreis

Es sollten alle auf den ersten Blick als ver-schieden erkennbare Formen und Entwick-lungsstadien asserviert werden

� Bodenproben bis etwa 30 cm Tiefe

� Lebende und sofort abgetötete Tiere

Abb. 5 � Unterschiedliche Erscheinungsformen und Entwicklungs-stadien sich an Leichen entwickelnder Fliegen- und Käferfamilien.1: Eigelege einer Schmeißfliege (Calliphoridae), 2: Käsefliegenlarven(Piophilidae), 3: Stubenfliegenlarven (Fanniidae), 4: Fleischfliegen-larve (Sarcophagidae), 5: Schmeißfliegenlarven (Calliphoridae),6: Schmeißfliegenpuparien (Calliphoridae), 7: Speckkäferlarven (Dermestidae). Hinsichtlich der Morphologie gilt grundsätzlich: Käfer-larven sind immer bebeint, Fliegenmaden beinlos

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Lebende Tiere1. Die Tiere einer Fundstelle (z. B.Kopf) werden mit einem Löffel und/oder einer Pin-

zette in ein nummeriertes bzw.eindeutig � beschriftetes Gefäß gegeben.Wenn mög-lich, sollten dabei nur gleich aussehende Tiere in ein und dasselbe Gefäß gegebenwerden.

2. Das Gefäß ist gut zu verschließen. Es sollte bei einer geplanten Zwischenlagerungvon mehreren Stunden aber durch kleine (� Cave: Maden können entweichen!!)Löcher für Luftzufuhr gesorgt sein.

3. Auf einem Protokollblatt ist unter der entsprechenden Gefäßnummer der � genaueSammelort/die genaue Sammelstelle zu protokollieren und auf einem Körperschemadie besammelte Region zu markieren.

4. Mit weiteren Fundstellen/Körperregionen entsprechend der Punkte 1–3 verfahren.5. Die Tiere frostfrei,aber � kühl lagern; so können diese mindestens 24 h bis zu einer

Übergabe überdauern.Die Temperatur der Lagerung protokollieren.Eine Beschrei-bung zur Technik der Weiterzucht der Larve zum erwachsenen Tier würde hier zuweit führen,kann aber problemlos in der einschlägigen Literatur (z. B.[13]) in Erfah-rung gebracht werden.

Tote TiereBei der Asservierung kann wie im Kapitel Lebende Tiere Punkt 1–4 vorgegangen wer-den.Im optimalen Fall sollten die Larven mit sehr heißem,nicht mehr kochendem Was-ser abgetötet und anschließend in mindestens 70%igen Alkohol überführt und gela-gert werden.Die erwachsenen Tiere können bei –20°C abgetötet und dann ebenfalls inentsprechend konzentriertem Alkohol gelagert werden. Ist dies nicht möglich, könnensämtliche Tiere (Adulte und Larven) bei –20°C abgetötet und gelagert oder direkt in dasKonservierungsmittel Alkohol gegeben werden.Es darf � keinesfalls Formalin zur Lage-rungverwendet werden,da dies die Ausformung des Larvenkörpers verändert und oft-mals den Verwesungsprozess der Tiere nicht verhindert, da die zähflüssige Substanznicht in die Larven eindringen kann.

Wieviel?

Prinzipiell gilt: besser zu viel als zu wenig.Als Richtwert können ca. 60 Individuen proMaden- bzw. Puppenansammlung gelten, von denen die eine Hälfte abgetötet und dieandere Hälfte lebend aufbewahrt wird. Bei den lebenden Individuen sollte aber daraufgeachtet werden, dass die Sammelgefäße nicht zu voll gemacht werden, da sonst dieGefahr des Absterbens der Tiere besteht. Die Gefäße sollten zu etwa einem Drittel mitTieren gefüllt werden.

Begleitende Datenaufnahme

Unverzichtbar bei der Erstellung entomologischer Gutachten sind die Temperaturbedin-gungen des Fundortes.Die Entwicklungsgeschwindigkeit der nekrophagen Larven wirdmaßgeblich von der Umgebungstemperatur gesteuert, sodass diese einen wichtigenParameter bei der Berechnung der Leichenliegezeit darstellt. Deshalb müssen die � Temperaturen vom Zeitpunkt des Auffindens bzw.der Spurenasservierung bis ca.3–5 Tagenach Auffinden ununterbrochen mit z. B. einem Data-Logger aufgezeichnet werden.

Diese Daten werden dann mit den Temperaturmessungen der nächstgelegenen Wet-terstation verglichen. Ist eine Übereinstimmung der Daten gegeben, können die Tem-peraturwerte der Wetterstation unmittelbar für die Berechnungen herangezogen wer-den.Im Falle einer Abweichung muss versucht werden,mittels mathematischer Metho-den,z. B.einer linearen Regression,die Temperaturbedingungen am Leichenfundort zurekonstruieren. Zudem sollte eine � detaillierte fotografische Dokumentation der Auf-findesituation und des Leichenfundortes durchgeführt werden,denn nicht immer ist derentomologische Gutachter selbst vor Ort.

� Beschriftetes Gefäß

� Cave: Maden können entweichen!!

� Genauer Sammelort

� Kühl lagern

Larven sollten mit sehr heißem, nicht mehrkochendem Wasser abgetötet werden

� Keinesfalls Formalin

� Temperaturaufzeichnung für 3–5 Tage

� Detaillierte fotografische Dokumentation

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Grenzen und Fehlerquellen

Die forensische Entomologie stellt bislang die zuverlässigste Methode dar, in den erstenWochen nach Todeseintritt eine auf den Tag genaue Eingrenzung der Leichenliegezeitvorzunehmen.Liegt ein noch längerer Zeitraum vor,so kann zumindest eine grobe jah-reszeitliche Eingrenzung oder die Nennung eines konkreten Monats als wahrschein-licher Besiedelungszeitraum genannt werden.

Es muss jedoch klar sein: Der im Rahmen einer forensisch-entomologischen Unter-suchung ermittelte � Zeitraum macht in erster Linie eine Aussage darüber, wann derLeichnam von Insekten besiedelt wurde.Dieser ist nicht selten nahe am Todeszeitpunkt,muss es jedoch nicht zwangsläufig sein.

Eine entsprechende Verpackung der Leiche oder ein metertiefes Vergraben kann dieZugänglichkeit für Insekten erschweren oder unmöglich machen,niedrige Temperaturenoder starker Regen die Insektenaktivität auf ein Minimum drosseln oder ganz zumErliegen bringen und so die Besiedelung des Leichnams verzögern bzw. verhindern.Auch legen viele Insektenarten nur selten bei Dunkelheit ihre Eier ab.Es ist also durch-aus möglich,dass der Tod früher eingetreten ist,als es die entomologisch ermittelte Lei-chenliegezeit zunächst annehmen lässt.

Zudem orientieren sich die entomologischen Gutachten an der zunächst vorliegen-den Fallgeschichte, d. h. sie beinhalten die Annahme, dass die asservierten Insektensich unter den � Bedingungen des Fundortes entwickelt haben. Sollte der Leichnamzuvor bereits an einem anderen unbekannten Ort gelegen haben und dort besiedeltworden sein, könnte das eine mögliche Fehlerquelle für die Berechnung darstellen, dadie spezifischen Bedingungen dieses ersten Lagerortes (wie z. B. Temperatur) nicht indem Gutachten berücksichtigt werden konnten.Somit liefert das entomologische Gut-achten in der Regel eine sog. � minimale Leichenliegezeit, die die Gegebenheiten desFundortes berücksichtigt.

Ein besonderes Augenmerk muss auf die korrekte Identifizierung der nachgewiese-nen Arten geworfen werden.Fehler bei der Speziesidentifizierung hätten aufgrund derartspezifischen Entwicklungsunterschiede weitreichende Konsequenzen bei der Berech-nung der Leichenliegezeit. Während die klassische Methode der Bestimmung anhandmorphologischer Merkmale der Tiere eine entsprechende Erfahrung des Bearbeiters vor-aussetzt und somit einen entomologischen Laien vor große Schwierigkeiten stellt,mussderzeit auch bei der Determination mittels molekularbiologischer Methoden zur Vor-sicht geraten werden: Nicht bei allen Arten ist die inter- und intraspezifische Variabilitätbekannt, d. h. vor allem bei einem Ausschluss anhand der vorliegenden genetischenInformationen ist je nach Spezies abzuklären, in welchem Ausmaß die erwähnten Vari-abilitäten untersucht wurden.

Ein in jüngster Zeit Beachtung findender Faktor ist die Möglichkeit � geographischerVariabilität der Entwicklungsgeschwindigkeit. Entwickelt sich z. B. Lucilia sericata auseiner Population in Südfrankreich bei 25°C genauso schnell wie Lucilia sericata ausNorddeutschland? Es liegen erste Erkenntnisse vor, die dies verneinen und somit kon-sequenterweise die Verwendung von z. B. in Südfrankreich erhobenen Entwicklungs-daten für eine Leichenliegezeitberechnung in Norddeutschland in einem kritischenLicht beleuchten.Zukünftige Untersuchungen werden zeigen,inwieweit die forensischeEntomologie hier tatsächlich mit einem ernsthaften Problem konfrontiert sein könnte,denn bislang existieren nur wenige Untersuchungen, die für die jeweiligen Arten geo-graphische Unterschiede zur Leichenliegezeitberechnung belegen.

Bei jeder entomologischen Untersuchung zur Leichenliegezeit muss über die Mög-lichkeit einer Veränderung der Entwicklungsgeschwindigkeit aufgrund toxikologischerEinflüsse nachgedacht werden.Auch eine Lebendbesiedelung könnte in Frage kommen,die (rechts)medizinische Praxis zeigt,dass derartige Fallkonstellationen durchaus nichtunrealistisch sind.

In den ersten Wochen nach Todeseintrittkann eine auf den Tag genaue Eingrenzungder Leichenliegezeit erfolgen

� Zeitraum der Insektenbesiedelung

Der Tod kann früher eingetreten sein, als esdie entomologisch ermittelte Leichenliege-zeit annehmen lässt

� Bedingungen des Fundortes

� Minimale Leichenliegezeit

Fehler bei der Speziesidentifizierung kön-nen zur falschen Berechnung der Leichen-liegezeit führen

� Geographische Variabilität

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Fazit

Die Bestimmung der auf einer Leiche befindlichen Insekten macht die Eingrenzung der minima-len Leichenliegezeit auf den Tag genau in den ersten Wochen nach Todeseintritt möglich.Voraus-setzung ist eine fachgerechte Asservierung des insektenkundlichen Materials an Leiche undFundort. Dann sind auch weiterführende Fragen wie z. B. einer eventuellen Intoxikation des Ver-storbenen zu beantworten. Länger zurückliegende Leichenliegezeiten können mit Hilfe der Suk-zession eingegrenzt werden.Nützliche Internetadressen:http://www.eafe.orghttp://www.rechtsmedizin-frankfurt.de/rechtsmed22/forschung/index.htmlhttp://www.medical-zoology.com/fe.htmlhttp://www.benecke.comhttp://folk.uio.no/mostarke/forens_ent/forensic_entomology.html

Korrespondierender AutorDr.J. Amendt

Institut für Forensische Medizin, Kennedyallee 104, 60596 Frankfurt am MainE-mail: [email protected]

Interessenkonflikt: Der korrespondierende Autor versichert, dass keine Verbindungen mit einer Firma, derenProdukt in dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt, bestehen.

Literatur

1. Amendt J, Zehner R, Bratzke H (2003) Forensische Insektenkunde – ein aktueller Forschungszweig in der Rechtsmedizin.Dtsch Ärztebl 100: A3382–3385

2. Amendt J, Krettek R, Zehner R (2004) Forensic entomology. Naturwissenschaften 91:51–653. Benecke M (2004) Forensic entomology: Arthropods on corpses. In: Tsokos M (ed) Forensic pathology reviews, vol 2, Huma-

na,Totowa/NY (in press)4. Benecke M, Barksdale L (2003) Distinction of bloodstain patterns from fly artifacts. Forensic Sci Int 137: 152–1595. Benecke M, Lessig R (2001) Child neglect and forensic entomology. Forensic Sci Int 120: 155–1596. Gagliano-Candela R, Aventaggiato L (2001) The detection of toxic substances in entomological specimens. Int J Legal Med

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Wichtige Hinweise:Online-Einsendeschluss: 20. Juni 2004Geben Sie die Antworten bitte über das CME-Portal ein: cme.springer.dePer Fax oder Brief eingesandte Antworten können nicht berücksichtigt werden.

Die Lösungen der Zertifizierten Fortbildung aus Ausgabe 1/2004 lauten: 1c, 2c, 3b, 4b, 5e, 6d, 7c, 8d, 9e, 10c

Fragen zur Zertifizierung (nur eine Antwort ist möglich)

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4. Eine max. 24 h vor Auffinden verstor-bene, pflegebedürftige Person sollentomologisch begutachtet werden.Welcher der folgenden Befunde kannaus insektenkundlicher Sicht als Indizfür eine Vernachlässigung gelten?

a) Ausschließlicher Befall des Anogenital-bereichs mit 10–15 mm großen Fliegen-maden.

b) Ausschließlicher Befall von Augen undNase mit Fliegeneiern und 2–3 mmgroßen Fliegenmaden.

c) Keinerlei Insektenbefall des Leichnams.d) Einzelne tote Fliegen auf der Fensterbank.e) Zahlreiche lebende Fliegen an Wand,

Fenster und Zimmerlampe.

5. Die an einem Mordopfer aufgefunde-nen, unterschiedlichen Typen vonFliegenmaden werden abgetötet undin Formalin aufbewahrt. Vier Wochenspäter werden die Tiere vermessen,identifiziert und unter Berücksichti-gung der Temperaturbedingungeneine minimale Leichenliegezeit desOpfers berechnet. Was ist falsch andieser Vorgehensweise?

a) Es wurden unterschiedliche Madentypenasserviert.

b) Es wurden Temperaturmessungen amFundort durchgeführt.

c) Es wurde Formalin zur Konservierungverwendet.

d) Die Bestimmung der Tiere erfolgtemittels morphologischer und molekular-biologischer Methoden.

e) Die Bestimmung der Tiere erfolgte erst 4Wochen nach der Asservierung.

1. Im Mai wird in einer Wohnung ein imZustand fortgeschrittener Verwesungbefindlicher Leichnam entdeckt. DerKörper weist einen massiven Befallmit Maden der Schmeißfliege Luciliasericata auf. Diese sind durch alle 3 fressaktiven Larvenstadien reprä-sentiert. Temperaturmessungen inder Wohnung ergeben konstanteEntwicklungsbedingungen von 22°C.Von welcher minimalen Leichenliege-zeit ist auszugehen?

a) 33 h.b) 62 h.c) 92 h.d) 6 Tage.e) 8 Tage.

2. Welcher der genannten Faktoren ver-zögert/verhindert eine Insektenbe-siedelung?

a) Pollenflug.b) Starker Regen.c) Geringe Körpergröße des Leichnams.d) Stark blutende Wunden.e) Starker Lärm.

3. Für eine fachgerechte entomologi-sche Untersuchung werden nebeninsektenkundlichen Spuren zusätz-liche Daten benötigt. Welche der fol-genden Daten sind nicht notwendig?

a) Temperaturdaten vom Fundort.b) Temperaturdaten der nächstgelegenen

Wetterstation.c) Mageninhalt des/der Verstorbenen.d) Bodenproben.e) Fotografische Dokumentation des Fund-

ortes und der Auffindesituation.

6. Bei der im Rahmen der Ermittlungenin einem Tötungsdelikt durchgeführ-ten Untersuchung des Autos einesTatverdächtigen werden im Koffer-raum 3 ca. 10 mm große Schmeißflie-genmaden gefunden. Laut Aussagedes Wagenbesitzers hätten sich diesewohl an den Resten eines Grillhähn-chens entwickelt, das er dort verges-sen und erst tags zuvor entdeckt bzw.entsorgt habe. Welche Möglichkeitbietet sich dem forensischen Ento-mologen, um diese Aussage zu über-prüfen?

a) Toxikologische Analyse der Maden.b) Identifikation der Fliegenart.c) DNA-Analyse des Kropfinhaltes der

Maden.d) Altersbestimmung der Maden.e) Durchzucht der Maden zum erwachse-

nen Tier.

7. Auf dem Areal des Hamburger Con-tainer-Hafens wird ein bereits starkskelettierter Leichnam entdeckt, eineIdentifizierung ist zunächst nichtmöglich. In Bodenproben finden sichzahlreiche verlassene Fliegenpupariender Art Calliphora vicina. Welche derfolgenden Schritte ist aus entomolo-gischer Sicht sinnvoll?

a) Eine DNA-Analyse der Fliegenpuparienwird die Identifizierung des Opfersermöglichen.

b) Eine toxikologische Untersuchung derFliegenpuparien könnte die Frage einesmöglichen Drogen- und Medikamenten-konsums des Opfers klären.

c) Die Identifizierung der Fliegenart erlaubteine auf den Tag genaue Eingrenzung derLeichenliegezeit.

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9. Bei Erdarbeiten im Rahmen desUmbaus des Frankfurter Kreuzeswerden eine männliche und eineweibliche Leiche in 1,5 m Tiefe frei-gelegt. Die weibliche Leiche zeigtstarke Besiedelung durch Schmeiß-fliegenlarven, bei der männlichenstellt man lediglich Bodenorganis-men und Buckelfliegenlarven fest.Welche Aussage kann der forensischeEntomologe treffen?

a) Die Leichenbesiedelung ist starkgeschlechtspezifisch und die gefundenenUnterschiede normal.

b) Die weibliche Leiche wurde im Frühjahr,die männliche im Sommer begraben.

c) Die weibliche Leiche war bereits vor derVerbringung ins Erdreich von Schmeiß-fliegen besiedelt

d) Die Leichen wurden nachts begraben.e) Die Opfer haben noch gelebt, als sie

begraben wurden.

d) Die Identifizierung der Fliegenart erlaubteine Aussage darüber, ob Fundort auchgleich Tatort ist.

e) Die Verteilung der Puparien im Bodenzeigt auf, ob das Opfer stark geblutet hat.

8. Auf einem einsamen Parkplatz wirdin einem ausgebrannten Cabrio eineverkohlte Leiche gefunden. Bei derObduktion werden in der Schädel-höhle des Opfers zahlreiche tote,10 mm lange Maden der Schmeißflie-ge Lucilia sericata gefunden. Welchesder folgenden Szenarien lässt sichallein mit diesen entomologischenBefunden begründen?

a) Das Opfer starb nicht im Auto.b) Zum Zeitpunkt des Brandes war das

Opfer bereits einige Tage tot.c) Es wurden insektentötende Brandbe-

schleuniger verwendet.d) Das Opfer starb 3 Tage vor Auffinden.e) Das Opfer starb 6 Tage vor Auffinden.

10.Welche Aussage über Insektenbesie-delung in Körperregionen lebenderMenschen ist richtig?

a) Fliegenmadenbefall von Wunden führtregelhaft zu schweren septischen Krank-heitsbildern.

b) Diabetes mellitus, periphere Verschluss-krankheit und Alkoholabusus kommteine protektive Wirkung in Bezug aufintravitalen Madenbefall zu.

c) Das Vorkommen von Fliegenmaden imAnogenitalbereich am Leichnam einesKleinkindes kann u. U. Rückschlüsse aufeine Vernachlässigung des Kindes zu Leb-zeiten erlauben.

d) Von allen Insektenarten werden Ameisenund Küchensschaben an verschmutztenKörperregionen chronisch vernachlässig-ter Personen am häufigsten beobachtet.

e) Nach dem Tode eines Individuums, beiwelchem bereits zu Lebzeiten eine offeneWunde durch Fliegenlarven besiedeltwurde, verteilen sich die Maden sofortgleichmäßig über den gesamten Körper.