"bettlerhauptstadt". bedrohungs- und feindbilder in der berichterstattung über...

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"Bettlerhauptstadt": Bedrohungs- und Feindbilder in der Berichterstattung uber Armutsmigrant_innen STEFAN BENEDIK 1 Betteln wird in der allgemeinen Wahrnehmung als eine Erscheinung der StraBe, als ein soziales Phanomen des offentlichen Raums, verstanden. In diesem Beitrag behaupte ich, dass das nur zum Teil stimmt und dass wir unseren Blick auf die vielfaltigen Formen, in denen Diskussionen uber Betteln ausgetragen werden, richten mussen, um zu verstehen, warum die Gegenwart von Bettler_innen im offentlichen Raum zu einem dermaBen brisanten Thema in zentraleuropaischen Gesellschaften geworden ist. Dafur konnen youtube-Clips genauso entscheidend werden wie Parlamentsdebatten- fur unsere Wahrnehmung sind diese Schauplatze oft weitaus pragender als Erfahrungen auf der StraBe oder konkrete Begegnungen Fur die kritische Lekture dieses Beitrags danke ich Daniela Karner und Gernot Reinisch sehr herzlich. Fur die Scharfung der Argumentation und Uberarbeitung des Textes waren Anmerkungen von Katharina Scherke ungemein hilfreich. In den folgenden FuJ3noten, in denen ich auf das hegemoniale cffentlich-mediale Sprechen verweise, fuhre ich aus Platzgrunden immer nur ein Beispiel exempla- risch an. Mehrere Belege fur Auftreten und Verwendungsvarianten bestimmter Diskursformationen oder Narrative liste ich in der Monographie "Die imaginierte Bettlerflut" auf, aus der ich die meisten der hier aus den Grazer Medien analysier- ten Fallen bezogen habe; ich danke Heidrun Zettelbauer und Barbara Tiefenbacher. Vg!. Stefan Benedik, Barbara Tiefenbacher, Heidrun Zettelbauer, Die imaginier- te .Bettlerflut''. Temporare Migrationen von Roma/Romnija. Konstrukte und Positionen, (= drava diskurs), Klagenfurt/Celovec 2013, S. 35-81.

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"Bettlerhauptstadt": Bedrohungs- undFeindbilder in der Berichterstattung uber

Armutsmigrant_innen

STEFAN BENEDIK 1

Betteln wird in der allgemeinen Wahrnehmung als eine Erscheinung der StraBe,als ein soziales Phanomen des offentlichen Raums, verstanden. In diesem Beitrag

behaupte ich, dass das nur zum Teil stimmt und dass wir unseren Blick auf dievielfaltigen Formen, in denen Diskussionen uber Betteln ausgetragen werden,richten mussen, um zu verstehen, warum die Gegenwart von Bettler_innen imoffentlichen Raum zu einem dermaBen brisanten Thema in zentraleuropaischen

Gesellschaften geworden ist. Dafur konnen youtube-Clips genauso entscheidendwerden wie Parlamentsdebatten - fur unsere Wahrnehmung sind diese Schauplatzeoft weitaus pragender als Erfahrungen aufder StraBe oder konkrete Begegnungen

Fur die kritische Lekture dieses Beitrags danke ich Daniela Karner und Gernot

Reinisch sehr herzlich. Fur die Scharfung der Argumentation und Uberarbeitung des

Textes waren Anmerkungen von Katharina Scherke ungemein hilfreich.

In den folgenden FuJ3noten, in denen ich auf das hegemoniale cffentlich-mediale

Sprechen verweise, fuhre ich aus Platzgrunden immer nur ein Beispiel exempla­

risch an. Mehrere Belege fur Auftreten und Verwendungsvarianten bestimmter

Diskursformationen oder Narrative liste ich in der Monographie "Die imaginierte

Bettlerflut" auf, aus der ich die meisten der hier aus den Grazer Medien analysier­

ten Fallen bezogen habe; ich danke Heidrun Zettelbauer und Barbara Tiefenbacher.

Vg!. Stefan Benedik, Barbara Tiefenbacher, Heidrun Zettelbauer, Die imaginier­

te .Bettlerflut''. Temporare Migrationen von Roma/Romnija. Konstrukte und

Positionen, (= drava diskurs), Klagenfurt/Celovec 2013, S. 35-81.

76 ISTEFAN BENEOIK

mit Bettlerjnnen, Schlielllich werden in ihnen alte Vorurteile aktiviert unddureh seheinbare Fakten untermauert und uns somit eine Brille zur Verfugunggestellt, dureh die hindureh wir dann konkrete Alltagssituationen (etwa im of­fentliehen Raum) sehen und deuten. Deshalb untersuehe ieh in diesem kurzenBeitrag Material aus der offentlich-medialen Beriehterstattung, Aussendungen

politischer Parteien , aber aueh Mal3nahmen der Verwaltung und von NGOs, diesich mit Migrant_innen in der Gegenwart beschaftigen und frage danaeh, welcheGeschiehte die darin verwendeten Argumente haben. Ich gehe dabei aufzwei ver­sehiedene Stadte ein, Salzburg und Graz, urn zu ergriinden , wie wir erklaren kon­nen, warum ein- und dasselbe Phanomen so untersehiedlich dargestellt wird. Inbeiden dieser Stadte nimmt Betteln heute einen grol3enStellenwert in der Arenader gesellschaftspolitisehen Diskussionen ein, das ist aber nieht das erste Mal inder Gesehiehte so. Durch die Tradition der Vorurteile, die dabei verbreitet werden,und ihren Allgemeingiiltigkeitsanspruch, sind Vorstellungen von Bettler_innenin der Offentlichkeit untrennbar mit Mythen verbunden, die inzwischen so gelau­fig sind, dass sie mit ganz alltaglichen Begriffen verknupft sind. Vollig neutraleWorte wie "organisiert" genugen in diesem Zusammenhang sehon, urn ganz spezi­fische Geschiehten abzurufen . Selbstverstandlich organisieren sieh Bettler_innenfur Fahrgemeinschaften, Quartiere, Verpflegung.' Das ist aber - seheinbar ganz

selbstverstandlich - nicht gemeint, wenn von "organisiertem Betteln" gespro­chen wird. "Organisation" wird stattdessen als gleiehbedeutend mit "kriminellerOrganisation" gehandhabt. Aueh der Rassismus hinter dieser Gleichsetzung ist

kaum versteckt: In den offentlichen Diskussionen wird unausgesprochen voraus­gesetzt, dass es sieh bei den Bettlerjnnen urn migrierende .Roma" handeln wur­de. Unterstellt wird dann, dass eine Organisation bei einer solehen Gruppe nurkriminell sein konne, ohne dass das naher erklart oder gar bewiesen werden muss­

te. Entspreehend wertend lassenjene Formulierungen, die im Zusammenhang mitBetteln verwendet werden, jede Neutralitat vermissen (die Rede ist dann davon,dass ein "Capo" oder .Bandenboss" .Kruppel" "herkarren" und "abkassieren"wurde), In diesem Beitrag werde ich soIche Erzahlungen und Spraehbilder mitBeispielen aus Salzburg und Graz kurz vorstellen, ihre Herkunft und Funktionthematisieren. Ieh tue das aus der Perspektive eines Kulturwissensehafters,der sieh dafur interessiert, warum bestimmte Themen in Vergangenheit undGegenwart Aufregung verursachen, Aggressionen weeken. Wenn ieh mieh dabeimit Darstellungs- und Erzahlweisen beschaftige, bedeutet das nicht, dass das dieerfahrbare Welt aussehliel3en wurde . Auseinandersetzungen uber Betteln in derStadt Salzburg zeigen beispielsweise sehr deutlieh, dass Diskussionen untrenn-

2 Vg!. zu Forrnen der Selbstorganisation unter Bettler_innen Benedik , Tiefenbacher,

Zettelbauer, Die irnaginierte .Bettlerflut" , S. 28, S. 33.

" BETTLERHAUPTSTAOT" - BEOROHUNGS- UNO F EINDBILDER IN OER B ERICHTERSTATTU NG I77

bar mit Handlungen verbunden sind: Die stete Radikalisierung der Meinungenlibel' Betteln in Medien und Politik ab 2012 fuhrte dazu, dass auf Facebook so­gar gefordert wurde , Bettler_innen in Mauthausen zu vergasen, ' und mundetesehliel3lieh im Fruhjahr 2014 aueh darin , dass die improvisierten Quartiere vonBettler_innen angezundet und diese auf offener Stral3e gewalttatig angegriffenwurden .' Zu diesem Zeitpunkt waren sehon zwei Jahre lang Ubergriffe gegenRoma (Manner) und Romnija (Frauen) im Land Salzburg aktenkundig geworden.'Das ist genau jener Zeitraum , in dem Betteln zu einem der zentralen politischenThemen geworden war. Attaekiert wurden aber nieht nur bettelnde Mensehen.

Vielmehr stand dahinter ein offener Rassismus , del' sieh dezidiert verbal und tat­lieh gegen eine ,ethnisehe Gruppe' riehtete. AIs in Graz wie in Salzburg die Turenvon Notsehlafstellen, in denen Bettler_innen iibernaehteten, mit der Forderung

besehmiert wurden , die NS-Verniehtungspolitik wieder aufzunehmen ("Romains Gas" oder "KZ"), waren das Ziel der Mordphantasien nieht Bettler_innen,sondern Rom_nija ganz pauschal." SoIche Handlungen sind Teil del' Diskurse ­sie haben ihren Ursprung und ihren Ort in den Medien, werden in diesen dannverurteilt, entsehuldigt, besproehen, interpretiert, heruntergespielt, bekampft .'Spreehen und Handeln sind also unmittelbar miteinander verstriekt, aueh in allenfolgenden Beispielen.

BETTELN ALS AUSNAHMEZUSTAND - POPULlSTISCHE

INSTRUMENTALlSIERUNG VON ARMUT

Mediale Diskussionen von Betteln liegen am Sehnittpunkt der offentlichenAuseinandersetzung mit ,Fremdheit' und Armut. Sie traten in den .westeuropa­

isehen' Medien mit der zunehmenden Effektivitiit sozialstaatlicher Strukturennach dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer mehr in den Hintergrund und

3 Vg\. Salzburger Nachrichte n, 1.5.2014.

4 Vg\. Standard , 28.4 .2014.

5 Die Selbstvertretungsorganisation Rorna Service listet auf ihrern Blog alle diese

Gewalt- und Hetztaten auf, vg!. dROMa-Blog, 3.5.2014. Vg!.dazu auch salzburg .orf.at,

2.5.2014.

6 Vg\. Stefan Benedik, ,Zigeunerlieder' und Viehwaggons . Verweise auf historische

Diskursforrnationen in Debatten urn Grazer Bettler_innen seit 1989, in: Historisches

Jahrbuch der Stadt Graz 42 (2012), S. 503-532, hier S. 521-523.

7 Vg\. dazu grundsatzlich Claudia Breger, Ortlos igkeit des Frernden. "Zigeunerinnen"

und .Z igeuner" in der deutsch sprachige n Literatur urn 1800, (= Literatur-Kultur­

Geschlecht 10), Koln 1998, S. 366.

78 I S TEFAN B ENEDlK

kommen erst in den letzten Jahren, in denen die soziale Ungleichheit innerhalb

Zentraleuropas wieder stark angestiegen ist, erneut aufs Tapet. Ein wesentliches

Merkmal dieser offentlichen Auseinandersetzungen ist, dass sie nicht vorrangig

als Sozialdebatten gefuhrt werden, sondern als Diskussionen iiber Migration, die

stark von Rassismen gepragt sind. Entsprechend pendelt die offentlich-mediale

Auseinandersetzung mit Betteln haufig zwischen den Positionen migrations­

feindlicher politischer Parteien und jenen von Akteur_innen der Zivilgesellschaft

oder von NGOs. Die Diskussionen lassen sich dabei nicht einfach entlang des

Schemas politischer Ideologien oder bestimmter Medienformate einordnen. An

der pauschalen Darstellung von Betteln als kriminelle, bedrohliche Tatigkeit

haben sich Boulevardzeitungen genauso beteiligt wie offentlich-rechtliche

Rundfunkanstalten oder Qualitatsmedien. Sie verwenden dafiir unterschiedli­

che Sprache, doch die verbreiteten Erzahlungen weichen wenig voneinander ab.

Einflussreich sind dabei besonders Leserjnnenbriefe und Kommentare, wah­

rend umfangreichere Recherchen ein komplizierteres, meist weniger rassisti­

sches Bild vermitteln, unabhangig vom Medium.Wie in alien langer offentlich gefuhrten Diskussionen sind auch fur das

Sprechen iiber Betteln unausgesprochene Vorannahmen entscheidend, die vor­

ausgesetzt werden, ohne dass sie erklart werden miissen. Eine solche Annahme

ist die Definition von Betteln als Problem. Sie stand am Anfang der gesellschaft­

liche Verhandlung iiber Betteln in Graz vor mehr als einem Vierteljahrhundert,

genauso aber auch in Salzburg vor wenigen Jahren: Im Zuge dessen wurde

die Aufmerksamkeit nicht auf die Probleme gelenkt, die Armut verursachen

oder die durch Armut verursacht werden. Stattdessen wurden die Armen zum

Problem erklart, In Salzburg geschah dies durch die Regionalpolitik, deren

Vertreter_innen bekanntgaben, "das Bettlerproblem in Salzburg ist virulent."!

In Graz begann der mediale Konflikt 1989 mit der rhetorischen Frage einer

Leserinnenbriefschreiberin, ob es notwendig sei, dass die Grazer "Altstadt

belagert ist mit Bettlem. " Hinter dies en unterschiedlichen Formulierungen

steckt die gemeinsame Vorstellung eines Ausnahmezustandes, einer Situation,

in der rasches (und gegebenenfalls auch hartes) Durchgreifen notwendig sei.

Beachtenswert ist das deshalb, weil diese Aufforderungen genauso wie die zahl­

reiehen folgenden so gut wie nichts iiber das Betteln aussagen. Stellungnahmen,

die behaupten, dass es eine akute Gefahr gabe, fuhren nie aus, worin diese ei­

gentlich zu suchen sei. Politiker_innen ordnen in Osterreich Bettelverbote meist

im Bereich der Sicherheitsgesetze ein, ohne zu erortern, wessen Sicherheit da­

mit gemeint und in welcher Form diese gefahrdet ist. "Sicherheitszonen" war

8 Vizebiirgermeister Harry Preuner (GVP) in Salzburg24.at, 4.5.2010.

9 Leserinnenbrief, Kleine Zeitung , 24.3.1989.

"BETTLERHAUPTSTADT" - B EDROHUNGS- UND F EINDBILDER IN DER B ERICHTERSTATTUNG 179

die Wortschopfung, mit der eine Partei in der Salzburger Stadtregierung 2014

offentlich fur Bettelverbotsbereiche warb.'?

Zu dieser Darstellung als Bedrohung passt, wenn in Zeitungsreportagen

iiber Betteln durch die Verwendung polizeilicher Sprache der Eindruck vermit­

telt wird, dass Betteln gefahrlich sei: 2010 ging die Polizei in Salzburg erstmals

gegen Menschen in Elendsquartieren vor. Nachdem es zu diesem Zeitpunkt kei­

ne Notschlafstelle gab, in der Migrant_innen kurzfristig unterkommen konnten,

mussten Bettlerj nnen in leerstehenden Hausern oder in Zelten iibernachten.

Dabei handelt es sich im schlimmsten Fall urn Verwaltungsiibertretungen, fur

die die renommierten Salzburger Nachrichten die Formulierung verwendeten,

dass die Beamten .fundig" geworden waren und .funf Rumanen stellen" konn­

ten. Der Eindruck eines Verbrechens, das eine schnelle Reaktion erfordert, ent­

steht hier nur durch die Wortwahl: "Die Polizei inspektion iibernahm die notigen

Sofortmafmahmen,'?' Abgesehen davon, dass iiberhaupt zu fragen ware, wel­

che polizeilichen "Mal3nahmen" hier notig gewesen sein soliten, entsteht durch

Ubertreibungen und Betonungen der Eindruck besonderer Gefahrlichkeit, So

dringlich kann ein Problem nur sein, wenn von ihm eine akute Bedrohung ausgeht.

Ein niichterner Blick zeigt hingegen, dass nachvollziehbare Gefahren meist nur fur

die Bettelnden bestehen. Durch die Umkehrung der Perspektive wird allerdings

den Lesenden die Opferrolle angeboten, wie das Beispiel eines anderen Berichts

iiber ein desolates Haus in Salzburg zeigt, in dem mutmal3lich bettelnde Migrant_

innen untergebracht waren. Medien attestierten dabei ganz allgemein "Gefahr im

Verzug". Eigentlich hatten die dort einquartierten Menschen in Sicherheit gebracht

werden miissen, dargestellt wurde das aber so, als wiirde eine (nicht naher definier­

te) Gefahr fur .die Einheimischen' , ja fur ganz Salzburg bestehen. "

In der sozialen Praxis entsteht aus dem Betteln keine Gefahr - die meis­

ten real en Bedrohungen sind fur die Bettlerjnnen selbst gegeben. Fiir sie sind

Praktiken von Polizei und Behorden, beispielsweise in Wien bedrohlich, wo

Eingriffe in die Intimsphare von Bettler_innen und Gewalt in den Polizeistuben

haufig dokumentiert, ja sogar als Regelfall kr itisiert wurden." Fiir Passant_in-

10 Vg\. Mein Bezirk, 11.5.2014.

11 Salzburger Nachrichten, 4.5.2010.

12 Vg\. ORF Salzburg, 10.6.2012. Die dahinterstehende Opfer-Taterinnen-Umkehr

zahlt zum klassische n Repriisentat ionsrepertoire von Migration , wie sich an den ver­

festigten Topoi uber "Elendsquart iere" oder .J llegale Fluchtlingslager" ganz allge­

mein als "Argernis" oder "Zumutung" bzw. .Bedrohung'' der "Einheimischen" zeigt.

13 Vg\. Ferdinand Koller, Brauchen wir Bettelverbote, in: Monik a Jarosch et a\. (Hg.),

Gaismair-Jahrbuch 2015. Gegenstimmen, Innsbruck-Wien-Bozen 2014, S. 34-40,

hier S. 39.

80 I STEFAN BENEOIK

nen mag Betteln unangenehm sein, aber nicht gefahrlich, In den Medien wird

es dennoch als Gefahr prasentiert - ein Widerspruch, den der Mainstream der

Berichterstattung mit kriminalisierenden Etiketten ubertuncht." Als Synonyme

fur .Bettler" werden am haufigsten "Bande" und "Mafia" verwendet, in

Zeitungsinterviews ist es Passanten aber auch nicht zuviel, sie als "Gauner" zu

bezeichnen." Verurteilungen in diesem Stil gehen jedoch nicht auf aggressive

"kleine Leute" zuriick, die als .Mob' iiberschieJ3end auf Migrationen reagieren.

Besonders drastisch zeigt sich die pauschale Unterstellung, dass Bettler_innen

kriminell seien, namlich bei Vertreter_innen von Polizei oder Politik, die be­

tont bedauernd zu Protokoll geben, dass es "keine Handhabe" gabe, bettelnde

Menschen einfach zu vertreiben oder zu bestrafen." Die Offenheit, mit der

diese eklatante Missachtung von Menschenrechten eingestanden wird - allen

voran die Behandlung von Unbescholtenen als Kriminelle" - erinnert verbluf­

fend an die Erste Osterreichische Republik, in der sich Landesregierungen wie­

derholt lautstark dariiber beschwerten, dass die Grundrechte in der Verfassung

der Republik ihren Plan verhinderten, jene Menschen einfach samt und sonders

aus dem eigenen Zustandigkeitsbereich abzuschieben, die als "Zigeuner" oder

"Zigeunerinnen" betrachtet wurden."

14 Vg!. Nando Sigona, Nidhi Trehan, The (re)Criminalization of Roma Communities in

a Neoliberal Europe, in: Salvatore Palidda (Hg.), Racial crirninalization of migrants

in the 21st century, (= Advances in Criminology), Farnham-Burlington 2011, S. 119­

132;Nando Sigona, Locating "The Gypsy Problem", The Roma in Italy, Stereotyping,

Labelling and "Nomad Camps", in: Journal of Ethnic and Migration Studies 31

(2005), S. 741-756.

15 Vg!. Kurier, 24.8.2012. Vg!. dazu auch: Hi1de Bohm, Der Armut ins Gesicht sehen,

Megaphon Nr. 20 (1997), S. 4.

16 Vg!. Mein Bezirk, 25.7.2012; Wortliches Protokoll der 30. Sitzung des Wiener

Landtags in der 18. Wahlperiode, 26.3.2010.

17 Zur Beurteilung von bettelfeindlichen Politiken in der Praxis aus einer men­

schenrechtlichen Perspektive vg!. Wolfgang Benedek, Das Bettelverbot in der

Steiermark aus mensclienrechtlicher Sicht, in: Beatrix Karl et a!. (Hg.), Steirisches

Jahrbuch fur Politik 2011, Graz 2012, S. 77-81; Barbara Weichselbaum, Betteln als

Verwaltungsstraftatbestand - die grundrechtliche Sicht am Beispiel des Verbots

"gewerbsmiiJ3igen Bettelns", in: Journal fur Rechtspolitik 19 (2011), S. 93-109;

Barbara Weichselbaum, Die Bettelverbote in der Judikatur des VfGH, in: Gerhard

Baumgartner (Hg.), Jahrbuch Offentliches Recht 2013, Wien 2013, S. 37-75.

18 Vg!. zB Amt der niederosterreichischen Landesregierung Z. L.A. 1/6a - 1967/61

14 V171 NHnc10 Si170na Nidhi Trehan. The (re)Criminalization of Roma Communities in

"BETTLERHAUPTSTAOT" - BEOROHUNGS- UNO FEINOBILOER IN OER BERICHTERSTATTUNG I81

Die pauschale Unterstellung, Bettler_innen seien kriminell, ist aber nicht

das einzige Standbein, auf das die Behauptung gestellt wird, dass Betteln ein

"Sicherheitsrisiko" sei. Eine andere Gruppe von Sprachbildern kleidet dieses

soziale Phanomen in die Hiille des Militarischen, Etwa wird ganz ausdriicklich

unterstellt, dass Bettler_innen "generalstabsmaJ3ig geplant" "rekrutiert" wurden,

damit eine .Bettler-Armee" ihre "Invasion" durchfuhren konne." Mit solchen

Formulierungen kann das Bild von Menschen, die urn Hilfe bitten, sehr rasch vom

Eindruck in den Hintergrund gedrangt werden, dass die .eigene' Stadt angegriffen

wiirde. Aus Hilfesuchenden werden dann Titter_innen. Zu dieser Gruppe der mili­

tarischen Bilder gehort iibrigens auch der haufig zu findende Ausdruck, Bettler_in­

nen wiirden die Stadt oder einzelne StraJ3en "besetzen".20 Formulierungen dieser

Art schaffen konkrete Bedrohungsbilder, die wiederum ihrerseits dazu dienen,

besonders harsche MaJ3nahmen zur "Bekampfung" zu rechtfertigen. Auf diese

Weise wirkt die Vorstellung eines Ausnahmezustands, der durch Migrationen

herbeigefuhrt wird genauso wie die oben beschriebene Klassifikation als

"Sicherheitsthema": Wenn Betteln gefahrlich ist, sind auch harte MaJ3nahmen da­

gegen bzw. iiberhaupt eine Einschrankung nicht nur angebracht, sondern sogar un­

umganglich. Im Europa der Gegenwart werden so konstruierte Szenarien auch als

Rechtfertigung fur pogromartige Ausschreitungen verwendet, in denen Romani

Siedlungen niedergebrannt und Rom _nija wahllos attackiert werden."

Nun stellt sich die Frage, wie solchen verdrehten Darstellungen begegnet

werden kann. Die Auseinandersetzungen iiber Betteln in Graz konnen darauf

Antworten geben, tritt dort doch schon seit 1996 eine NGO mit katholischem

Hintergrund bettelfeindlichen Berichten in den Medien entgegen. Durch ver­

mittelte Interviews mit Bettlern, Reportagen aus der Notschlafstelle und regel­

mafiige Antworten auf problematische Berichte und Leser_innenbriefe ist ein

deutlich vielschichtigeres Bild in den Medien entstanden und eine Anderung

in der Haltung vieler Grazer_innen zum Betteln eingetreten. Am offensicht­

lichsten wurde das 2011, als gegen ein geplantes generelles Bettelverbot im

Land Steiermark mehr als 10.000 Menschen unterschrieben haben. Manche

nahmen erstmals in ihrem Leben an einer Demonstration teil, zum Beispiel,

weil sie zu einem bestimmten Mann, den sie als "ihren Bettler" vereinnahm­

ten, iiber die Jahre hinweg eine Verbindung aufgebaut, Verstandnis und

Verantwortungsgefuhl entwickelt hatten. NGOs kann es mit Lobbyarbeit in

den Medien also gelingen, Migration als Erfahrung einzelner Menschen zu-

19 Steirerkrone, 5.12.1996; Der neue Grazer, 29.4.1999; Der neue Grazer, 2.12.2005.

20 Grazer im Bild, 2.12.2005.

Rt:dlrlt:fL'rgung-l\lr- pbgnlm'ii'mge-Ausscnrermrigen' verwenner; -tIf oenen Komam

Siedlungen niedergebrannt und Rom _nija wahllos attackiert werden."

82 I STEFAN BENEOIK

ganglich zu machen und Betroffenheit auszulosen . Das bedeutet aber nicht,

dass Stereotype und Vorurteile verschwinden. Vielmehr haben sich in der

Grazer Berichterstattung durch die jahrzehntelange offentliche Diskussion

neue Unterscheidungen gebildet, beispielsweise zwischen "unseren bekann­

ten Bettlern" und den "rumanisch-bulgarischen Roma-Gruppen.t'" Die ers­

te Gruppe wird als hilfsbedurftig betrachtet, die zweite dient weiterhin als

Zielscheibe fur alle bekannten und neuen Anfeindungen, aber eben auch al s

Rechtfertigung fur weitere Beschrankungen und "MaJ3nahmen"Y

CAS "BETTLERPROBLEM" - WIE AUS MIGRANT _ INNEN

"RUMANEN", "BETTLER" UNO "ROMA" WEROEN

Diese medialen Verzerrungen zielen nicht aufEinzelpersonen ab, sie inszenieren

nicht eine einzelne Bettlerin oder einen einzelnen Bettler als Gefahrenquelle.

Zugrunde liegt all diesen Vorstellungen eine extrem verallgemeinernde Sicht

auf be stimmte Menschengruppen . Die Rede ist dann nur von ,einer Gruppe',

hinter der Per sonen vollig unsichtbar werden." Damit hangen mehrere Prozesse

zusammen: Erstens werden alle Be ttler_innen als eine einheitliche, zusammen­

gehorige Erscheinung dargestellt , die zweitens die gleiche Geschichte hat und

drittens wird behauptet, dass die Community der Rom _nija mit der Gruppe der

Bettler_innen deckungsgleich sei."1996, als diese Gleichsetzung in Graz langsam begann, gab es noeh kei­

ne Sprache fur die offentliche Auseinandersetzung mit Betteln, Sprachbilder

22 Der neue Grazer, 7.4.2013.

23 Das ist selbstverstandlich eine verkiirzte Zusammenfassung des hegemonialen

Sprechens. Weiterhin sind die Positionierungen und Narrative ambivalent und fragil ,

es lasst sich aber fur die zentralen, einflussreich sten Texte der Zeit ab 2010 eine ge­

wisse Verdichtung entlang der hier angefiihrten Dichotomien nachweisen .

24 Vg\. Rogers Brubaker, Ethnici ty without groups , in: Montserrat Guibernau, John

Rex (Hg.), The Ethnicity Reader. Nationalism, Multiculturalism and Migration,

Cambridge-Maiden 2010, S. 33-45.

25 Vg\. zu diesen Rassifizierungsprozessen ausfiihrlicher: Stefan Benedik, Define the

Migrant , Imagine the Menace . Remarks on Narratives in Recent Roma ni Migrations

to Graz, in: Helmut Konrad, Stefan Benedik (Hg.), Mapping Contemp orary Histor y II,

25 Years of Contemporary Histor y Studies at Graz University 125 Jahre Zeitgeschichte

an der Universitat Graz, Wien-Koln-Weimar 2010, S. 159-176 . Zur Analyse soIcher

zu sammeif: Efsfens· werae"tfarie*emer~:lhn(:"ii"ats-eine-elll tteifficne,-i iisammen­gehorige Erscheinung dargestellt, die zweitens die gleiche Geschichte hat und

" B ETTLERHAUPTSTAOT" - BEOROHUNGS- UNO FEINOBILOER IN OER BERICHTERSTATTUNG I83

mussten erst erfunden und ausgehandelt werden. So wurden die Migrant_in­

nen genauso .Roma" genannt wie .Z igeuner und Sandler"." Als in Salzburg

Betteln siebzehn Jahre spater zur groJ3en Proj ektionsflache fur weltanschauli­

che Auseinandersetzungen wurde, war langst schon ein zentrales Etikett zur

Beschreibung gefunden: "organisiert". "Di e organisierten Bettlerbanden" lautet

der Uberbegriff, der am haufigsten eingesetzt wird, urn die Bettler_innen als ein­

heitliche Gr uppe vorzustellen , aber auch, urn eine ,ethnische' Herkunft anzudeu­

ten. Diese steckt auch hinterdem so oft angegebenen Herkunftsland Rumanien, das

nicht nur tatsachlich ein Staat mit einer groJ3en Romani Community ist , sondern

vor allem so klingt, als wiirde seine Bezeichnung aufRom_nija verweisen (auch

wenn sie es nicht tut). Das passiert unabhangig von der tatsachlichen Herkunft:

In Salzburg stammten .R umanen" auch schon aus der Slowakei oder Ungarn,"

in Graz wurden Wohnwagen mit gut sichtb arem belgischem Kennzeichen schon

als "rumanisch" beschrieben, nur weil sie Sinti_zze gehorten, Schnell werden

auch Menschen, die Osterreich nie verlassen haben, zu Mitgliedern einer "siid­

osteuropaischen Bande" oder .Osteuropaer", sobald sie bettelnd in Zeitungen

abgebildet werden." An diese Herkunftsvorstellungen werden auch rassistische

Bilder geknupft, Zu Prominenz brachte es erstens die Idee der Bande, mit der

auf Geschichten von Ausb eutung und Abhangigkeit angespielt wird, und zwei­

tens jene von vorgespielten Behinderungen. In Osterreich speisen sich aus dies em

Reservoir (wie in den meisten europaischen Fallen) " so gut wie alle bettelfeind­

lichen Darstellungen. Beide Erzahlungen entstehen durch eine Vermischung von

extrem stereotypen Ideen von ,Rasse', Geschlecht, Migration, Korper, und dem

europaischen ,Osten'. Rassistische Zuschreibungen werden aber genauso in bet­

telfreundlichen Kommentaren und Berichten verbreitet, die zeigen wollen, dass

Betteln ein Beruf sei, und folglich legitim und nicht kriminell. Ich stelle hier nicht

in Frage, dass Betteln analytisch als Form von Erwerb sarb eit eingeordnet werden

kann, aber wenn die bettelfreundlichen Kommentare zu erklaren versuchen, dass

die angebliche Ausbeutung von Bettelnden als "typisch" fur die Kultur der Rom_

nija zu sehen ist oder aber behauptet wird, Bettl er_ innen wurden eben in grolieren

Gruppen auftreten, weil das die "traditionelle Clanstruktur" erz winge, ist das ein­

fach die Wied ergabe rassistischer Feindbilder unter umgekehrten Vorzeichen."

26 Vg\. Salzburger Nachrichten, 28.11.1996; Steirerkrone, 18.6.1996.

27 Vg\. Wiener Zeitung , 17.10.2012.

28 Vg\. Steirerkrone, 16.12.2006.

29 Vg\. Benedik , Tiefenbacher, Zett elbauer : Die imaginierte .Bettlerflut'', S. 39-40.

30 Ich nenne hier jeweil s die ersten Erscheinungsformen dieser Leg itimatio nsstrategien

aUl"(Jt;SCnn;nn!nnvbI'I Au s'\jelnling una Aon ang'lgKelt' arigespiett wi ra , uno zwel­

tens jene von vorgespielten Behinderungen. In Osterreich speisen sich aus diesem

84 ISTEFAN BENEDIK

Durch die permanente gemeinsame Erwahnung verweisen ganz unter­

schiedliche Begriffe auf das Phanomen Betteln. In Graz ist der Name des

Dorfes, aus dem in der popularen Vorstellung alle Bettler_innen stammen, zum

Schlagwort geworden." Wie problematisch diese enge Verknupfung werden

kann, zeigt auch die Berichterstattung uber einen Mord im Land Salzburg Ende

2012. Die Tatverdachtigen werden quer durch alle Medien bis hin zur fur genaue

Recherchen bekannten Suddeutschen Zeitung als .Rumanen", oder "Bettler"

bezeichnet, obwohl das Verbrechen nicht in Zusammenhang mit Betteln, son­

dern mit einem Uberfall begangen wurde." In der Abendzeitung Munchen kul­

minierte der gedachte Zusamrnenhang schlieBlich in der Schlagzeile "Bettel­

Mafia totet Rentnerin':" womit sowohl die Mafia-Erzahlung wiederholt wird,

als auch die Gefahrlichkeit von Betteln und dessen Nahe zur Kriminalitat

scheinbar bestatigt wird. Betteln wird nicht mehr als Tatigkeit betrachtet, son­

dern als Eigenschaft, vielleicht sogar als bestimmendes Charakteristikum einer

ganzen Gruppe.

WOHER OAS ALLES KOMMT - HISTORISCHE UNO

ANOERE VERWEISE

Mit einem solchen Blick auf die Debatte stellt sich die Frage, wie es uberhaupt

moglich ist, dass dermal3en krasse Fehleinschatzungen quer durch die gesam­

te Berichterstattung verbreitet sind. Hier kann eine Perspektive helfen, die in

die Vergangenheit gerichtet ist und die Diskussion uber die konkrete Region hi­

naus verbreitert. In den Diskussionen uber Betteln haben wir es einerseits oft

mit Bildern zu tun, die als "antiziganistisch" bezeichnet werden konnen, also

mit Stereotypen gegenuber als "Zigeunerinnen" oder "Zigeunern" bezeichneten

Menschen. Andererseits werden diese Vorstellungen aber hier nur deshalb so

wirkmachtig, weil sie mit etablierten Images uber Migration, den Osten oder

(Post-)Kommunismus verbunden werden.

Sprache und Darstellung haben eine Geschichte, die oft erst ihre aktuelle

Wahrnehmung erklart - genau dasselbe gilt fur Handlungen. Im Bereich von

Behorden und Exekutive lassen sich zahlreiche Beispiele fur eine kontinuierli­

che, sehr langfristige Verfolgungspolitik finden: 2010 forderte der Salzburger

Vizeburgerrneister, dass das osterreichische Innenministerium ein "zentrales

31 Vg\. Kleine Zeitung, 17.7.1999.

32 Vg\. heute [Tageszeitung], 23.1.2013; Suddeutsche Zeitung, 21.1.2013.

33 Abendzeitung Munchen, 24.1.2013.

. B ETTLERHAUPTSTADT" - BEDROHUNGS- UND FEINDBILDER IN DER BERICHTERSTATTUNG I85

Bettelregister" anlegen solle." Das war keine neue Idee - die bayrische Polizei

fuhrte selbst in den 1990er-Jahren noch eine Kartei, die explizit Rom_nija er­

fasste." Auch in Osterreich hatte schon einmal eine "Zigeunerkartothek"

existiert, angelegt wurde sie noeh in der demokratischen Ersten Republik, die

N'S-Behorden zogen sie als Grundlage fur Deportationen in Konzentrations­

und Vernichtungslager heran." Diese Listen erklaren unter anderem, wa­

rum von den osterreichischen Rom_ nija nur ein aulierst geringer Anteil die

Verfolgungsmal3nahmen der NS-Herrschaft uberlebte." Bei der Forderung nach

einem .Bettelregister'' 2010 fallt aber ein weiterer Aspekt auf. Als (vermeintli­

che) Begrundung fur die polizeiliche Registrierung gab der Vizeburgerrneister

die vorbeugende Bekampfung von kriminellen Banden an. Das erinnert - ohne

dass dieser Bezug dem Urheber bewusst gewesen sein muss - unmittelbar an

jenen Scheingrund, mit dem die Nationalsozialist_innen rechtfertigten, dass

sie Menschen, die sie als .Zigeuner" oder "Zigeunerinnen" klassifizierten, in

Konzentrationslager einwiesen - als Ursache fur die Inhaftierung nannten sie

.vorbeugende Verbrechensbekampfung"."

Einen ahnlichen historischen Kontext hat die Darstellung von Rom_nija

als .Parasiten", Wenn Bettler_innen als "richtiggehende Heimsuchung'?? oder

"einfallende"40 "Schwarme"11 beschrieben wurden, fuhrt uns das erstens zuruck

zu nationalsozialistisch gepragten Sprachbildern (gegen Jiidinnen/Juden und

34 Vizeburgerrneister Harry Preuner (OVP) in Salzburger Nachrichten, 4.5.2010.

35 Vg!. Sybil Milton, Sinti and Roma in Twentieth-Century Austria and Germany, in:

German Studies Review 23 (2000), S. 317-331, hier S. 317.

36 Vg!. Heimo Halbrainer, Gerald Lamprecht, Ursula Mindler, unsichtbar. NS­

Herrschaft. Widerstand und Verfolgung in der Steiermark, Graz 2008, S. 89-90.

37 Florian Freund, Gerhard Baumgartner, Harald Greifeneder, Veroffcntlichungen

der Osterreichischen Historikerkommission. Verrnogensentzug wahrend der NS­

Zeit sowie Ruckstellungen und Entschadigungen seit 1945 in Osterreich, Bd. 2312,

Verrnogensentzug, Restitution und Entschadigung der Roma und Sinti, Wien 2002,

S. 50-55; Florian Freund, Gerhard Baumgartner, Der Holocaust an den osterreichi­

schen Sinti und Roma, in: Michael Zimmermann (Hg.), Zwischen Erziehung und

Vernichtung. Zigeunerpolitik und Zigeunerforschung im Europa des 20. Jahrhunderts,

Stuttgart 2007, S. 87-95.

38 Sybil Milton weist auf exakt diese Analogie in der Institutionalisierung der

Kriminalisierung von Rom_nija im Bayem der 1990er-Jahre hin. Vg!. Milton, Sinti

and Roma, S. 317.

39 Steirerkrone, 8.7.1999.

40 Ebda.

41 Steirerkrone, 5.12.1996.

86 j STEFAN BENEOIK

"Zigeunerinnen"/"Zigeuner"), zweitens zu Vorurteilen aus der wissenschaftli­

chen "Zigeunerforschung" und drittens zu allgemein verbreiteten Bildern des

"Schmarotzens". Vermittelt wird der Eindruck, eine .gute', .wertvolle' Gruppe

wurde von einer anderen Gruppe .ausgesaugt', die folglich nur ,schlecht' und

.wertlos' sein kann." Solche vermeintlich eindeutigen Unterschiede konnen nur

hergestellt werden, indem auf die Biologie und deren Vokabular zurtickgegriffen

wird: Uber die Auswirkung eines Parasiten kann es keine geteilten Meinungen

geben. Grundsatzlich ist dieser Angriff nicht auf Rom_nija beschrankt, sondern

lasst sich allgemein gegenuber Migrant_innen oder armen Menschen feststel­

len. In der osterreichischen Diskussion ist besonders haufig die Rede davon,

dass das osterreichische Sozialsystem von Bettler_innen ausgebeutet wurde,

was in sich widerspruchlich ist, da Menschen ja eben betteln mussen, weil we­

der Wirtschaftssystem noch Transferleistungen in den Herkunftslandern ein

Uberleben errnoglichen und Migrant_innen der Zugang zum Sozialstaat im

Zielland verwehrt bleibt. Auch im folgenden Zitat erfindet die dahinter stehende

Salzburger Stadtpartei Plane, Steuermittel fur Bettler_innen einzusetzen, nur als

Schreckensszenario. Mit dem Bild, dass der Staat auf das Geld der Leser_innen

zugreife, verschleiert sie, dass Betteln auf Freiwilligkeit und zivilgesellschaftli­

chem Engagement beruht: "Sicher ist nur, dass die Belastigungen enorm zuneh­men werden und unsere Steuerzahler die Zeche des ganzen Blodsinns werden

blechen mussen,"?

Viele populate Bilder, die eine lange Tradition in rassistischen, migrations­

feindlichen Kampagnen haben, werden gegen Bettler_innen in einer speziel­

len Form eingesetzt. Wenn davon die Rede ist, dass Bettier_innen in .Wellen"

auftreten wurden, oder gar eine .Bettlerflut'' zu beobachten sei, dann wird

damit wie auch schon bei den vorhin beschriebenen Bildern das Individuum

unsichtbar gemacht hinter einer anonymen Masse." Zusatzlich dazu wird mit

Begriffen wie "Lawinen"45 oder "Uberschwemmung"46 der schon beschriebene

Ausnahmezustand ganz konkret, die Bedrohung wird greifbar in der Vorstellung

eines besonders massenhaften, riesigen Phanomens. Unterstutzt wird das durch

die Behauptung, dass es Bettlerjnnen "an jeder StraBenecke" gabe." Betteln

42 Vg!. Markus End, Antiziganismus in der deutschen Offentlichkeit. Strategien und

Mechanismen medialer Kommunikation, Heidelberg 2014, S. 150, S. 216.

43 Presseaussendung GVP Salzburg, 4.10.2013.

44 Vg!. Leo R. Chavez, Covering Immigration, Popular images and the politics of the

nation, Berkeley-Los Angeles 2001, S. 71.

45 Graz im Bild, 28.12.2006.

46 Steirerkrone,5.12.1996.

47 Krone Salzburg, 5.5.2014.

"BETTLERHAUPTSTAOT" - BEOROHUNGS- UNO FEINOBILOER IN OER BERICHTERSTATTUNG I87

erscheint damit nicht mehr als menschengemacht, sondern als naturhaft und ka­

tastrophenartig. So lasst sich auch eine unmenschliche politische Antwort recht­fertigen."

"REICHE PFLASTER" - WAS MAN NUR BEl EINER

NABELSCHAU SIEHT

All den Begriffen und Bildern, Vorstellungen und Schreckensszenarien,die bisher erortert wurden, ist gemeinsam, dass sie sich wie erwahnt auf

eine eindeutige, ganz klar abgegrenzte Gruppe beziehen: die gedachten

.Anderen', Wirklich verstehen lassen sich die extremen Emotionen, die mit

der Berichterstattung uber verarmte Migram_innen hervorgerufen werden,

aber nur, wenn wir auch diejenige Gruppe berucksichtigen, die sich durch die­

se Gegenuberstellung selbst bestatigt: Den .Anderen' gegenuber steht ein ein­deutiges und klares ,Wir'.49 Das .eigene' Selbstverstandnis, also Vorstellungen

davon, was die ,eigene Gesellschaft' ausmacht und ausmachen sollte, wovon

sie sich abgrenzen kann und wie sie sich entwickeln sollte, sind oft entschei­

dender als das, was im Zusammenhang mit Migration tatsachlich passiert.

Sichtbar wird das an Vorstellungen, was denn die ,eigene Stadt' sei, oder, ge­

nauer gesagt, welche Eigenschaften del' ,eigenen Stadt' denn durch das Betteln

sichtbar werden: Schon 1998 bundelte die Ortsparteigruppe del' Gra,zer FPO

die zu diesem Zeitpunkt zwei Jahre lang kolportierten Ubertreibungen und

Bedrohungsvorstellungen in der Formel von Graz als .Bettlerhauptstadt"."

Gemeint ist mit diesem dystopischen Negativ-Stadtmarketing, dass Graz beson­

ders naiv oder zu menschenfreundlich sei. Die zugrundeliegende Behauptung,

48 Vg!. dazu ausfuhrlicher Benedik, Tiefenbacher, Zettelbauer, Die imaginierte

.Bettlerflut", S. 46-56.

49 Vg!. dazu grundsatzlich die Klassiker von Julia Kristeva, Fremde sind wir uns

selbst, (= Edition Suhrkamp), Frankfurt am Main 1990; Hall, Stuart, Old and New

Identities, Old and New Ethnicities, in: Anthony King (Hg.), Culture, Globalisation

and the World-System. Contemporary Conditions for the Representation of Identity,

Minneapolis 1997, S. 31-68; Elisabeth Bcck-Gernshcim, Wir und die Anderen.

Kopftuch, Zwangsheirat und andere Miflverstandnisse, Frankfurt am Main '2007;

Mario Erdheim, Das Eigene und das Fremde . Ob er ethnische Identitat, in: Andrea

Wolf (Hg.), Neue Grenzen. Rassismus am Ende des 20. Jahrhunderts, Wien 1997,

S.99-124.

50 Unser Bezirk Heute [Mitteilungen der FPG Stadtpartei], 10/1998; Unser Bezirk

Heute,3/1999.

88 IS TEFAN BENEDIK

dass es in Graz mehr Bettler_innen gabe als anderswo, ist nicht das Ergebnis se­

rioser Vergleiche, sondern einer Selbsteinschatzung, wie ein Vergleich mit den

Selbstwahrnehmungen anderer Stadte vor Augen fuhrt, Die Bundeshauptstadt

reklamiert fur sich ebenso den Status als die Stadt mit den meisten Bettler in­

nen Osterreichs." Dass die Formulierung in Graz so viel fruher auftaucht liegt

an den in Graz sehr fruh eingespielten temporaren Migrationen zum Betteln

- besonders Rom_nija aus der Siidslowakei kommen seit 1996 regelrnafiig nach

Graz und werden hier seither auch in Notschlafstellen fur die wenigen Wochen,

die sie in der Steiermark verbringen, urn durch Betteln Geld zu verdienen, ver­

sorgt. Das konkrete Bild der .Bettlerhauptstadt" hat sich ausgehend von Graz

dann iiber ganz Osterreich verbreitet, aber nicht dariiber hinaus." Auch wenn

anderswo die angebliche "Uberzahl" von Bettelnden auch eine Rolle spielt, ent­

wickelt sich kein solcher Negativwettlaufunter einzelnen Gemeinden und regi­

onalen Medien. In Osterreich hingegen wanderte diese Bezeichnung zuerst von

Graz nach Salzburg," bis 2014 die Kronen Zeitung im Rahmen einer Kampagne

auch fur die Hauptstadt Oberosterreichs warnte, "Linz verkommt zur Bettler­

Hauptstadt"." Diese Selbsteinschatzungen bestatigen neben Boulevardmedien

auch die Unterstiitzer_innen von Bettler_innen, wenn sie fur dringliche

HilfsmaBnahmen Aufmerksamkeit gewinnen wollen. NGOs treten dann auchmit der Behauptung gegenuber der Lokalpolitik auf, dass eben an diesem be­

stimmten Ort ihrer Tatigkeit besonders viele Menschen ihre Betreuung brau­

ehen wiirden und die Politik deshalb in dieser aulsergewohnlichen Lage ge­

fordert sei, zu helfen. Dabei wird unterschlagen, dass Betteln fur keine dieser

Regionen typisch ist und Betteln in den meisten Zusammenhangen sehr ver­

gleichbar ablauft, Ein Blick iiber die jeweils eigenen Stadte hinaus wiirde offen­

baren, dass es sich bei Betteln urn ein europaisches Phanornen handelt. Diese

Regel gilt auch fur die Herkunftsregionen von migrierenden Bettler_innen, in

denen genauso Menschen vor Superrnarkten und in EinkaufsstraBen urn eine

Spende bitten. Auch die Aufforderung, die Migrant_innen mogen in Rumanien,

Bulgarien oder der Slowakei auf der StraBe sitzen, geht also ins Leere.

Auch wenn der ironische Titel der "Bettlerhauptstadt" kein konsensfa­higer Begriff ist, verweist er also auf einen scheinbaren Gemeinplatz, auf

den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Positionen zum Betteln in einer

51 Vgl. Kurier, 3.7.2014.

52 Mit der einzigen Ausnahme einer Bezugnahme in einem Blog eines Volontars

des Berliner Kuriers . http://blogs.berliner-kurier-online.de/volldasleben/?p= 125

[10.10.2014].

53 Vgl. Kurier, 19.10.2012.

54 Krone Oberosterreich, 17.5.2014.

" BETTLERHAUPTSTADT" - B EDROHUNGS- UND F EINDBILDER IN DER B ERICHTERSTATT UNG I89

osterreichischen Stadt, dass namlich Betteln gerade hier, gerade in diesem

Fall besonders prasent, besonders relevant sei (gleichgtiltig, welche Region

das ist). Daraus lassen sich leicht Vorstellungen von Bedrohung ableiten, wie

ich sie schon angesprochen habe. Genauso ist diese Idee von der Stadt, die

fur Bettlerjnnen besonders attraktiv sei, aber auch einfach abzuwandeln ineine Erklarung, die besonders weit von der Realitat von Migrationen abweicht.

Sowohl Regionalpolitiker in Wien , Graz wie auch Salzburg rechtfertigten sich

offentlich fur bettelfeindliche Positionen mit der Behauptung, dass die .ver­

fehlte Integrationspolitik Osteuropas" oder die .Probleme der Rorna" nicht in

der jeweiligen osterreichischen Stadt gelost werden konnten. " Die europaische

Perspektive wird also eingesetzt, aber nur, um zu behaupten, dass die eige­

ne Stadt am starksten "belastet" sei. Im Versuch, eine verantwortungsvolle

Position zu signalisieren, wird Betteln als Ergebnis von Armut angesprochen,

gleichzeitig aber die Bedingungen, mit denen das dem Migrationsdiskurs un­

tergeordnet wird, nicht verandert, Offen signalisiert wird mit dies en Aussagen,

dass es um Armut geht, die man den Armen schlecht zum Vorwurf machen

kann. Gleichzeitig wird aber betont, dass es sich um eine ,fremde' Armut

handelt, fur die man eben unzustandig sei. Ignoriert wird damit iibrigens,

dass strukturelle Probleme in den postkommunistischen Staaten mit einem

Wirtschaftssystem zusammenhangen, das moglichst niedrige Steuersatze u.a.

durch die Reduktion von Transferleistungen finanziert, wovon osterreichische

Firmen direkt profitiert haben. Der Umstand, dass beispielsweise Menschen

mit Behinderung in Bulgarien weder arbeiten noeh von Renten iiberleben kon­

nen oder dass die slowakischen Familienbeihilfen regelmaflig weiter gekiirzt

werden, hat auch viel mit internationalen Zusarnmenhangen zu tun. Daraus

konnte auch eine politische Verantwortung von .westeuropaischen' Staaten fur

die monierten "sozialen Missstande" im Postkommunismus abgeleitet werden,

doch stattdessen werden diese mit teils rassistischen und den Osten Europas

abwertenden Pauschalformulierungen scheinbar begriindet: "Die Roma" sind

ein Problem und "der Osten" produziert Probleme.

55 Vgl. pars pro toto fur Graz die Aussage von Landeshauptrnann Voves (SPO):

Steirerkrone, 3.5.2011;fur Salzburg das Statement von Burgermeister Schaden (SPO):

Salzburger Nachrichten, 25.4.2014.

90 I STEFAN BENEOIK

Diese Selbstwahrnehmung von Stadten karikierte das graz .museum, indem es

fureine Ausstellung 2011eine Ortstafel mit der Aufschrift.Bettlerhauptstadt" aus­

stellte. Nicht ironisch war hingegen die genau gleiche Form der Darstellung durch

die Salzburger GVP im Gemeinderatswahlkampf 2014 gemeint. Dort wurde der

Spitzenkandidat mit einer Ortstafel, auf der "Organisierte Bettlerbanden" durch­

gestrichen wurde, inszeniert oder ein solches Verkehrsschild mit der Aufschrift

"Salzburg / Stadt der organisierten Bettlerbanden?" affichiert." Die Wanderung

dieses Begriffs von Graz nach Salzburg zeigt , wie sieh solche Etikettenbegriffe

entwickeln, wie sie durch unterschiedliche Bereiche der Diskussionen weiterge­

reicht und akzeptierter werden . Selbst fur die FPG-Stadtpartei in Graz war der

"Bettlerhauptstadt"-Begriffnur fur die Uberschrift einer Parteizeitschrift geeig­

net. Rund zwanzig Jahre spater ist er also osterreichweit verbreitet und findet sich

als zentraler Aufhanger von politischen oder medialen Kampagnen wieder. Das

lasst sich vor allem mit der Zeit erklaren, die seither vergangen ist und in der das

Thema Betteln zu einem der am heftigsten diskutierten Gegenstande offentlicher

Auseinandersetzung wurde.

Die linke Kritik an diesen Ubertreibungen und an den teilweise sehr ag­

gressiv gefiihrten politischen Konflikten, die damit begrundet werden, hat

sich in Salzburg ebenso stark an den etablierten Stadtbildern or ientiert. Urn

polemisch gegen Bettelverbote zu argumentieren, wurde vor allem behaup­

tet, es gehe den Bettelfeind_innen lediglich urn das touristische Image, urn

Salzburg als groBe barocke Idylle, die nicht durch sichtbare Armut gestort wer­

den durfe. Das trifft in gewisser Hinsicht zu , wenn man die Stellungnahmen

von Kaufleuten in Medien berucksichtigt, die Bettler_innen zwar als nicht

"geschaftsschadigend", aber trotzdem "nicht gut fur das Altstadtbild'" ? ein­

schatzen, Dabei wird auch die Oberflache der Stadt in den Vordergrund ge­

ruckt, aber es ist unklar, ob sich das nur auf den Vermarktungswert als

Reiseziel bezieht. In der kritischen Auseinandersetzung mit bettelfeindlichen

Stellungnahmen wurde hervorgehoben, dass in Salzburg Betteln oft als asthe­

tische Krankung betrachtet wurde, als Schonheitsfleck, der dem Stellenwert

als Mozartstadt schaden wurde . Mit dies er Betonung wird ein lokales

Spezifikum der Salzburger Auseinandersetzung ubersehen: Geschaftsleute ge­

ben bei Interviews in Zeitungen namlich eher zu Protokoll, dass sie sich urn

die Attraktivitat der Stadt fur Kund_innen sorgen, von Tourismus sprechen

sie dabei ausdrucklich nicht." Jene Salzburger Lokalpolitiker schlieBlich, die

56 OVP-Werbematerial zur Gemeinderatswahl am 9.3.2014, vg!. auch Salzburger

Nachrichten, 26.2.2014.

57 Kurier, 24.8.2012 .

58 Vg!. Salzburger Nachrichten, Lokalausgabe Salzburg Stadt , 13.4.2014.

" B ETTLERHAU PTSTAOT" - BEOROHUNGS- UNO FE INOBILOER IN OER BERICHTERSTATT UNG 191

Bettler_innen am scharfsten angegriffen haben, betonen, dass Betteln nicht

des Tourismus wegen ein Problem sei, sondern wegen der "Beschwerden von

Salzburgern"." An der Salzach erscheinen die Bettler_innen also eher als

Argernis fur die Einheimischen denn fur die bezahlenden Fremden, zumindest

in der politischen Argumentation. Diese feinen Unterschiede mochte ich zum

Ausgangspunkt fur einen Vergleich nehmen, weil die Konstellation in Graz

eine ganz andere war. Wahrend sich in Salzburg die meisten Diskussionen urn

Behinderung und angebliche Kriminalitat drehten, wurde in der steirischen

Landeshauptstadt die Optik des Bettelns zum zentralen Streitpunkt in bettel­

feindlichen AuBerungen erhoben. Das Grazer Stadtbild wurde durch "organi­

siertes Bettlerwesen verschandelt'"? oder "gestOrt ".61 Die Auseinandersetzung

urn die Bettlerjnnen fand ihren symbolischen Mittelpunkt schon sehr bald

in der Frage, wieviele Menschen in der Herrengasse urn Hilfe bitten durften.

Die Herrengasse wird dabei als Aushangeschild der Stadt betrachtet, das durch

die Anwesenheit von Bettler_innen besonders arg in Mitleidenschaft gezogen

wurde, Warum aber war die Aufregung daruber, dass vermeintlich ,schmutzi­

ge' Bettler_innen auf die .schone' Stadt abfarben konnten, in der Steiermark so

viel grofler als in Salzburg? In beiden Fallen sind Vorstellungen vom ,drecki­

gen Zigeuner' und .hasslicher Armut' wohl gleich weit verbreitet." In beiden

Fallen sind die sozialen Praktiken des Bettelns sehr ahnlich, trotzdem wird

es nur in Graz als tatsachliche Bedrohung fur das Image der Stadt gesehen.

Ausgerechnet die etablierte Tourismusstadt Salzburg regt Betteln nicht als

fremdenverkehrsfeindlich auf. Genau diese Widerspruche legen sehr deutlich

frei, dass Betteln in offentlich-medialen Diskussionen zur Reibungsflache

wird, an der Unsicherheiten in den eigenen Gesellschaften, schmerzhafte

Diskussionen uber die eigene Position, Beflirchtungen und Irritationen aus der

eigenen Geschichte offenliegen. Die Migrant_innen und ihre Sichtbarkeit in

der Offentlichkeit sind die Folie, auf die ,wir' das projizieren, wessen wir ,uns

selbst' nicht sicher sind . Salzburg muss nicht urn seine Position als beruhmtes

Tourismusziel kampfen, deshalb entzundet sich auch die Auseinandersetzung

nicht vordergrundig daran. Graz hingegen ist noch nicht lange im Wettbewerb

urn den Stadtetourismus, dementsprechend treten in den Leser_innenbrie­

fen seit den 1990er-Jahren immer "auslandische Gaste", .Besucher'' oder

59 salzburg.orf.at, 7.4.2014; Salzburg Krone, 8.4.2014.

60 Leserbrief, Steirerkrone, 16.12.2006.

61 Grazer im Bild, 14.4.2006.

62 Vg!. End, Antiziganismus, S. 124-133, S. 200 ; Michail Krausnick, Daniel Straull,

Von Antiziganismus bis Zigeunerrnarchen. Informationen zu Sinti und Roma in

Deutschland, Neckargemiind 2008, S. 73.

92 ISTEFAN BENEOIK

"Touristen" als Referenzgrofie auf. Wenn diese sich beschweren, so lautet der

Vorwurf, sei allerhochste Zeit zum Handeln.

Gesellschaften orientieren sich aber nicht nul' an aktuellen okonornischen oder

kulturellen Bediirfnissen, sondern auch am kulturellen Gedachtnis, Fur Stadte

wie Salzburg oder Graz speisen sich daraus ganz unterschiedliche sinnstiftende

Erzahlungen: In Salzburg mogen es Elemente wie .Festspiel- und Musikstadt"

oder ahn liche Etiketten sein, die das Selbstverstandnis ausmachen, Eben diese

Stichwor te finden sich auch in Bette ldebatten wieder, aber die wirk liche Emporung

entziindet sich eher am "Mafia"-Vorwurf, weil doeh sicher scheint , dass die ba­

rocke Stadtfassade nicht an den Bettlerjnnen zerbrockeln wird und die Stadt urn

ihre Position, ihren Reichtum nicht furchten muss . "Die Stadt Salzburg gilt als be­

sondel's attraktiv, weil hohe Betrage zu holen sind ,"?' So klingt dementsprechend

auch die zentrale Vorstellung von Salzburg als wohlhabende, gut situierte Stadt.

In einem solchen Zusammenhang muss die Mafiageschichte im Zentrum stehen,

schlieJ3lich wurde sich in Salzburg das Geschaft lohnen, auch fur angeblich kri­

minelle Bettelorganisationen. In Graz stutzt das regionale kulturelle Gedachtnis

das Selbstbewusstsein auf ganz andere Weise, namlich mit martialischen

Bedrohungsszenarien, wie den .Bollwerkv-Mytben, die die steirische Hauptstadt

im 19, Jahrhundert als belagerte und gefahrdete Aul3enfestung des .Deutschtums'

prasentierten. Vor diesem Hinte rgrund entzundet sieh die Disk ussion uber Betteln

in Graz an anderen Angsten. In Graz wur de del' Strei t von Befurchtungen in Gang

gebracht, die Stadt konnte einer .Verbalkanisierung" zum Opfer fallen." Auch

wenn militarische Metaphern in diesem Zusammenhang immer wieder verwendet

wurden, urn die Anwesenheit von Bettler_innen als gefahrlich darzustellen, war

das nicht der Aspekt, del' Betteln als "balkanisch" erscheinen liel3. Vielmehr wur­

de das Aussehen und die optische Wirkung der Bettler_innen bzw. der Gegensatz

zwischen der .schonen' Stadt und sichtbar armen Menschen als Grund genannt,

del' die Reputation del' Stadt gefahrden wurde, ja eben die Position von Graz als

,westliche' Stadt in Frage stellen wurde, Was in del' Geschichte die vorgestellte

Gefahrdung durch ,slawische Horden' war; " dem entspricht in del' Gegenwart die

Konjunktur von "Ostbanden" in den Leser_innenbriefen.

63 Krone Salzburg, 19.1.2014.

64 Vgl. Leserbrief, Kleine Zeitung, 24.4.1993.

65 Vgl. Heidernarie Uhl , .Bollwerk deutscher Kultur". Kulturelle Reprasentationen und

"nationale" Politik in Graz urn 1900, in: Heidernarie Uhl (Hg.), Kultur - Urbanitat

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1900, (=Studien zur Moderne 4), Wien 1999, S, 39-81; Heidrun Zettelbauer, "Die

Liebe sei Euer Heldentum", Geschlecht und Nat ion in volkischen Vereinen del'

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" B ETT LERHAUPTSTAOT" - BE OROHUNGS- UNO F EINOBILOER IN OER B ERICHTERSTATTUNG I93

Diese Gegenuberstellung zeigt deutlich, dass Betteln nicht der Bettler_in­

nen wegen zum Gegenstand hitzig gefiihrter offentlich-medialer Auseinan­

dersetzungen wird. AIs Phanomen liegt es am Schnittpunkt zweier Tabus del'

vorherrschenden gesellschaftlichen Wahrnehmung: offentlich gezeigte Armut

und ,Fremdheit', Zweifelsohne ist es die Anwesenheit von Bettler_innen, die

diese in Frage stellt, an ihnen ruttelt, in die etablierte Wahrnehmung del' Stadt

interveniert. Entscheidend fur die Geschichten und Bilder, die dann uber die­

se Menschen erzahlt werden, sind aber die Angste und Konflikte in ,unseren'

Gesellschaften.

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