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PROF. DR. STEPHAN FISCHER Digitaler Wandel: Die Mischung macht’s Agilität ist kein Patentrezept für Erfolg INSIGHTS | TTS FORUM 2018

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PROF. DR. STEPHAN FISCHER

Digitaler Wandel: Die Mischung mach t’s

Agilität ist kein Patentrezept für Erfolg

6INSIGHTS | TTS FORUM 2018

Ist die Rede von digitaler Transformation, so taucht unwei­

gerlich ein Begriff auf: Agilität. Dabei scheint „agil“ ein geradezu

magischer Zustand zu sein, in dem der digitale Wandel

mühelos gemeistert werden kann und den es für Unternehmen

unbedingt zu erreichen gilt. Doch ist Agilität tatsächlich

ein Garant für betriebliches Überleben in der digitalen (R)Evolu­

tion? Nun, es kommt darauf an. Doch worauf?

Die Wissenschaft gibt darauf jeden-

falls (noch) keine Antwort: Es gibt auch

2018 weltweit keine einzige Studie,

die eine Korrelation zwischen Agilität

und Unternehmenserfolg nachgewie-

sen hat. Dies lässt allerdings nicht den

Schluss zu, dass kein Zusammenhang

existiert. Dass der empirische Beweis

bis dato ausblieb, mag auch an der

Schwierigkeit liegen, andere Einfluss-

faktoren auf den betrieblichen Erfolg

statistisch auszuschließen. Weiterer

Knackpunkt ist das Fehlen einer Über-

einkunft darüber, wie sich Agilität ei-

gentlich definiert.

Scrum ist nicht genug Ein weit verbreitetes Missverständnis:

Agiles Vorgehen ist gleich Scrum. Bei

Scrum handelt es sich lediglich um

eine spezifische Methode im Projekt-

management – das ist damit nur ein

kleines Puzzleteil von vielen: „Sie wer-

den nicht erfolgreich sein, wenn Sie

nur an einer Schraube drehen“, pro-

phezeit Prof. Dr. Fischer, Experte für

die Förderung agiler Strukturen. Nä-

her kommen wir dem Ganzen mit dem

Gedanken, der hinter Scrum steht:

kurze Arbeitsetappen, in denen stark

kollaborativ gearbeitet wird und auf

die eine Review- bzw. Feedbackrun-

de folgt. Das Konzept lässt erahnen:

Hinter Agilität steht die Art und Wei-

se, wie gearbeitet wird, aber auch, mit

welcher Einstellung. Noch vor weni-

gen Jahrzehnten waren Unternehmen

mit starken hierarchischen Struktu-

ren und klarer Machtverteilung eine

Normalität, in die sich die Mitarbeiter

fügen mussten. Heute fordern die Ar-

beitnehmer ganz selbstverständlich

eine Feedbackkultur, Transparenz bei

den Arbeitsabläufen und einen hohen

Grad der Selbstbestimmung. Die Aus-

wirkungen auf die Unternehmen sind

weit reichend und komplex. Damit

stellen die digitale Transformation so-

wie der Ruf nach mehr Agilität vor al-

lem HR-Experten und Führungskräf-

te vor neue Herausforderungen. Doch

sind Unternehmen, deren Mitarbeiter

ein „agiles Mindset“ haben, automa-

tisch erfolgreicher? Nicht immer,

denn Agilität ist kein Allheilmittel.

Agil ist, wer sich anpassen kannDie Erkenntnisse der Evolutionsbio-

logie sind direkt auf die Nachhaltig-

keit des Unternehmenserfolgs über-

tragbar: Wer sich anpassen kann,

überlebt. Für Unternehmen, die auf

den digitalen Wandel flexibel reagie-

ren, stehen die Chancen auf langfris-

tigen Erfolg sehr gut. Doch wie viel

Flexibilität ist gefragt? Wer mit kleine-

ren Innovationen an verfügbaren Pro-

dukten und Services auf Veränderun-

gen reagieren kann, schafft dies eher

mit Stabilität denn mit Agilität. Wer

sich jedoch einem disruptiven Wan-

del gegenübersieht, der kann nur mit

echten Innovationen bestehen und

muss sich selbst komplett neu erfin-

den. Das Problem: Veränderte Kun-

denbedarfe oder Ideen des Wettbe-

werbs bleiben für ein Unternehmen

trotz Marktanalysen ein Buch mit sie-

ben Siegeln: Selbst mit noch längeren

Akkulaufzeiten oder ansprechende-

ren Designs hätten die damaligen

Marktführer für Mobiltelefone mit Ein-

führung der Smartphones ihre Stel-

lung niemals halten können. Das gro-

ße Interesse an Fotos und Musik für

unterwegs war Nokia und Co. offen-

sichtlich verborgen geblieben.

KEYNOTE | PROF. DR. STEPHAN FISCHER

„Hinter Agilität steht die Art und Weise, wie gearbeitet wird,

aber auch, mit welcher Einstellung.“

7INSIGHTS | TTS FORUM 2018

Empowern Sie schon oder micro-managen Sie noch?Die digitale Transformation erfordert

neben der Anpassung an den Markt

auch ein Umdenken innerhalb der

Organisation. Wer Führungsverant-

wortung trägt, sieht sich heute einer

neuen Konstellation gegenüber: Mit-

arbeiter erwarten von ihren Vorgesetz-

ten Kommunikation und Zusammen-

arbeit auf Augenhöhe. „Der Ansatz

,Command-and-Control‘ funktioniert

nicht mehr“, ergänzt Fischer. Statt

engmaschiger Kontrolle von Arbeits-

ergebnissen ist Vertrauen gefragt,

konstruktives Feedback in beide Rich-

tungen löst Lob und Tadel „von oben“

immer mehr ab. Als Faustregel gilt:

Je weniger Machtzentren im Unter-

nehmen, umso besser funktioniert

agiles Arbeiten. Der damit verbunde-

ne Vertrauensvorschuss fällt beiden

Seiten nicht immer leicht – auf der ei-

nen Seite der Führungskraft, die ein-

fach nicht loslassen kann, im Wissens-

transfer eine Gefährdung ihrer Macht

und somit ihrer Position in der Orga-

nisation wittert. Auf der anderen Sei-

te dem unsicheren oder überforder-

ten Mitarbeiter, der in klaren Struktu-

ren mit exakten Vorgaben bessere

Leistungen bringt. Die gute Nachricht:

Für Unternehmen ist es sogar von

Vorteil, wenn nicht alle agil sind. Ei-

ne ausgewogene Mischung aus agi-

lem und traditionellem Vorgehen ist

durchaus gesund. Jede Organisation

muss dabei seine eigene Balance fin-

den, ein Patentrezept gibt es nicht.

Agilität macht attraktiv2013 zeigte eine Studie – befragt wur-

den allerdings nur Ingenieure techni-

scher Unternehmen –, dass sich der

Agilitätsgrad signifikant und positiv

auf das Image eines Unternehmens

auswirkt. Im Kampf um Nachwuchs-

talente und Fachkräfte könnte dies

ein entscheidender Wettbewerbsvor-

teil sein. Wie gut ein Unternehmen

diesen Vorteil nutzt, hängt davon ab,

inwieweit das Thema Agilität bei Re-

cruiting, Personalentwicklung und

Mitarbeiterbindung zum Tragen

kommt. Kein einfaches Unterfangen:

Den HR- Experten steht derzeit kein

Werteinventar zur Verfügung, um im

Auswahl prozess den Agilitätsgrad bei

Bewerbern zu testen, auch in der Eig-

nungsdiagnostik fehlen entsprechen-

de Methoden. Die Frage, mit welchen

Anreizsystemen Mitarbeiter mit Affini-

tät zur Agilität motiviert werden kön-

nen, entwickelt sich zur Grundsatz-

diskussion. In einer agilen Kultur, die

kollaboratives Arbeiten fördern will,

wären individuelle Zielvereinbarun-

gen kontraproduktiv. Ohne konkrete

Handlungsanweisungen bleibt das Ri-

siko des „Mismatch“ zwischen Unter-

nehmen und Kandidaten demnach

bestehen.

Erscheint es angesichts all dieser Un-

wägbarkeiten nicht verlockend, der

Agilität wenig oder gar keine Beach-

tung zu schenken? Davor warnt Fi-

scher: „Wenn Sie es nicht tun, macht

es ein anderer!“

KEYNOTE | PROF. DR. STEPHAN FISCHER

Facts & Figures

• Prof. Dr. Stephan Fischer ist

1966 geboren und steht nach

eigenen Aussagen „an der

Grenze zur Generation X“.

• Seine aktuellen Arbeiten

befassen sich mit der Frage,

welche Bedingungen und

Veränderungsprozesse

in Organisationen Agilität

fördern.

• Seit 2013 ist er Studiendekan

für den Masterstudiengang

„Human Resources Manage-

ment“ an der Hochschule

Pforzheim.

• Seit 2012 leitet er das Institut

für Personalforschung an der

Hochschule Pforzheim.

• Aktuelle Arbeiten befassen

sich mit der Frage, welche

Be dingungen und Verände-

rungsprozesse in Organi-

sationen Agilität fördern.

• Er hat Soziologie, Jura und

BWL/VWL studiert.

„Eine ausgewogene Mischung aus

agilem und traditionel­lem Vorgehen

ist durchaus gesund.“

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