die zukunft der telekommunikation in der schweiz

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Die Zukunft der Telekommunikation in der Schweiz Die Telekommunikation hat sich in den letzten 20 Jahren rasant entwickelt und drastisch verändert. Einstmals klar getrennte Funktionen und Übertragungskanäle sind ver- schmolzen. Die Kommunikationsmöglichkeiten und das Medienangebot haben sich vervielfacht. Das vorliegende Dokument ist als Synthese des SATW Forums «Zukunft der Telekommunikation» vom 26. Mai 2014 in Bern entstanden. Es beschreibt Ent- wicklungspotenziale der Telekommunikation in der Schweiz für den Zeitraum der nächsten fünf bis zehn Jahre. Am Forum präsentierten Redner von verschie- denen Telekommunikationsunternehmen (Telkos) ihre Sichtweise zu unterschiedlichen Themen. Es ging dabei um allgemeine Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) und um spezi- fische Aspekte der Telekommunikation. Business Trends Telekommunikation ist schon lange nicht mehr Telefon und Telegraf. Die heutigen (und sicher auch die künftigen) An- forderungen sind vielfältig und fordern die Telkos stark. Ökosysteme ICT vernetzt alle Akteure und Inhalte, wodurch das Ge- schäft der Telkos zusammen mit steigender Leistungs- fähigkeit und zunehmender Bandbreite angetrieben wird. Mehrwerte werden umfassender wahrgenommen, das Nutzererlebnis wird vielfältiger und dafür wird auch bezahlt. Die systematische Vernetzung in allen Berei- chen fördert interdisziplinäre Zusammenarbeit, Innovati- on, Produktivität und Effektivität: Die «E-Economy» als neues Ökosystem wird Realität und eine treibende Kraft moderner Volkswirtschaften. Infrastruktur Die dafür notwendigen Komponenten werden zuneh- mend zentralisiert und virtualisiert (Cloud). Die Netze (Kupfer, Glasfaser oder drahtlos) müssen laufend opti- miert werden, um den rasant wachsenden Datenmengen gerecht zu werden.

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Page 1: Die Zukunft der Telekommunikation in der Schweiz

Die Zukunft der Telekommunikation in der Schweiz

Die Telekommunikation hat sich in den letzten 20 Jahren

rasant entwickelt und drastisch verändert. Einstmals klar

getrennte Funktionen und Übertragungskanäle sind ver-

schmolzen. Die Kommunikationsmöglichkeiten und das

Medienangebot haben sich vervielfacht.

Das vorliegende Dokument ist als Synthese des

SATW Forums «Zukunft der Telekommunikation» vom

26. Mai 2014 in Bern entstanden. Es beschreibt Ent-

wicklungspotenziale der Telekommunikation in der

Schweiz für den Zeitraum der nächsten fünf bis zehn

Jahre. Am Forum präsentierten Redner von verschie-

denen Telekommunikationsunternehmen (Telkos) ihre

Sichtweise zu unterschiedlichen Themen. Es ging

dabei um allgemeine Entwicklungen der Informations-

und Kommunikationstechnologien (ICT) und um spezi-

fische Aspekte der Telekommunikation.

Business Trends

Telekommunikation ist schon lange nicht mehr Telefon und

Telegraf. Die heutigen (und sicher auch die künftigen) An-

forderungen sind vielfältig und fordern die Telkos stark.

Ökosysteme

ICT vernetzt alle Akteure und Inhalte, wodurch das Ge-

schäft der Telkos – zusammen mit steigender Leistungs-

fähigkeit und zunehmender Bandbreite – angetrieben

wird. Mehrwerte werden umfassender wahrgenommen,

das Nutzererlebnis wird vielfältiger und dafür wird auch

bezahlt. Die systematische Vernetzung in allen Berei-

chen fördert interdisziplinäre Zusammenarbeit, Innovati-

on, Produktivität und Effektivität: Die «E-Economy» als

neues Ökosystem wird Realität und eine treibende Kraft

moderner Volkswirtschaften.

Infrastruktur

Die dafür notwendigen Komponenten werden zuneh-

mend zentralisiert und virtualisiert (Cloud). Die Netze

(Kupfer, Glasfaser oder drahtlos) müssen laufend opti-

miert werden, um den rasant wachsenden Datenmengen

gerecht zu werden.

Page 2: Die Zukunft der Telekommunikation in der Schweiz

Neue professionelle Dienste

Mit dem «Internet of Everything» können industrielle

Systeme und technische Haushaltsgeräte über öffentli-

che Netze verbunden, gesteuert und überwacht werden.

Voraussetzung dafür sind zuverlässige und kostengüns-

tige Netze und Zugänge. Allerdings werden so kritische

Infrastrukturen, Daten und Dienstleistungen global ver-

fügbar und damit auch verwundbar.

Dienstfähigkeit

Damit die nachgefragten Dienste angeboten und genutzt

werden können, müssen leistungsfähige Infrastrukturen

bereitgestellt werden. Zu diesem Zweck sind entspre-

chende Systeme, Prozesse und Dienste wie Identity und

Access Management (IAM) oder Bezahlungssysteme

bereitzustellen, aber auch Sicherheit und Regelkonformi-

tät (Compliance) einzuhalten. International anerkannte

Standards sind zu entwickeln und zu befolgen.

Business Modelle

Der Ausbau der Infrastrukturen, vor allem der Netze, ist

eine mittel- bis langfristige Aufgabe. Deren Rendite und

Amortisation ist schwierig, weil die höchste Wertschöp-

fung nicht durch die Bandbreiten, sondern durch Dienste

entsteht. Dies könnte zu einer Trennung zwischen Infra-

struktur- und Servicebereich führen. Die riesigen Da-

tenmengen auszuwerten, ist Gegenstand von «Big Data

Analytics». Solche Datenanalysen und personalisierte

Angebote werden für alle Anwendungsgebiete zuneh-

mend erfolgskritisch und finanziell relevant.

Im Vergleich zu global führenden und entsprechend ag-

gressiv auftretenden Regionen wie Asien wird die Entwick-

lung in der Schweiz als eher bedächtig wahrgenommen.

Dies hat unter anderem auch mit der Sprache zu tun: Viele

Referenzmodelle und Lösungen stehen bislang nur in Eng-

lisch zur Verfügung. Lokaler beziehungsweise lokalisierter

Inhalt ist deshalb dringend nötig.

Consumer Trends

Digitalisierte Inhalte und Dienste stehen heute in hoher Qua-

lität auf jedem beliebigen Endgerät auf Abruf bereit. Dies

führt zum Prinzip des «Anything, Anywhere, Anytime». Zu

den Inhalten zählen vor allem hochauflösendes Fernsehen

(HDTV), schon bald Ultra HDTV, High-End-Musikformate,

Fotos, Videos und soziale Medien, die auf Grund neuer

Verbrauchsmuster und Geschäftsmodelle nach Belieben

produziert, konsumiert und verbreitet werden.

Dank einfacher Bedienung und einer Fülle attraktiver

Funktionen und Anwendungen (Apps) hat sich das

Smartphone als primäres Standardgerät und als persön-

licher Assistent etabliert. Damit eröffnen sich einerseits

beinahe unbegrenzte Nutzungsmöglichkeiten und ein

hoher Komfort, das heisst, die richtige Information steht

zur richtigen Zeit und am richtigen Ort zur Verfügung.

Die Entwicklung bringt andererseits auch Risiken und

Gefahren mit sich, zum Beispiel bezüglich Sicherheit

und Schutz von Daten und Privatsphäre, Missbrauch

und Überwachung. Gemäss der bisherigen Wahrneh-

mung wiegen jedoch die Vorteile die Nachteile bei wei-

tem auf. Vor allem der Mehrwert, das Nutzererlebnis, die

Produktivität, die Effizienz und das Innovationsspektrum

überzeugen die Anwender.

Kommunikationstechnologie

Bis vor kurzem sind für jede Anwendung im Kommu-

nikations- und Medienbereich separate Technologien

zum Einsatz gekommen. Heute wird die elektronische

Kommunikation durch die Computertechnologie domi-

niert. Bereitstellung, Betrieb und Unterhalt der Endge-

räte und der Verbreitungsmittel sind weitgehend in-

dustrialisiert, standardisiert und automatisiert. Vieles

kann auf Abruf, virtualisiert, flexibel und skalierbar zur

Verfügung gestellt werden. Kostengünstige, intelligen-

te Geräte wie Mobiltelefone und Tabletcomputer ver-

Page 3: Die Zukunft der Telekommunikation in der Schweiz

ändern die Szene. Jeder und jede bringt das eigene

Gerät mit (Bring your own device) und ist damit per-

manent online. Mobile und festinstallierte Geräte wie

Smart TV nähern sich in ihren Möglichkeiten an. Ge-

trieben wird die Entwicklung von digitalisierten Inhal-

ten und Diensten aller Art, von günstiger und leis-

tungsfähiger Computerhardware sowie von weltweiten

Hochleistungs-Breitbandnetzen und -anschlüssen auf

TCP/IP-Basis.

Mit der Digitalisierung und Virtualisierung steigt die

Menge und Auswertung der produzierten Daten ex-

plosionsartig an. Speicherkapazitäten werden daher

auch sehr kritisch. Dabei sind neben Verfügbarkeit,

Leistung und Preis auch Standort, Vereinbarung und

geltendes Recht ausschlaggebend.

Zugangssysteme und WiFi-Netze

Festnetz-Anschlüsse: Ein Hausanschluss mit Kupfer-

leitung erlaubt heute Datenraten bis 100 Mb/s, mit

Glasfaser sind 1 Gb/s und mehr möglich. Aktuell sind

keine Anwendungen für Private bekannt, die eine Da-

tenrate von mehr als einigen Mb/s benötigen; die ge-

forderte Übertragungsrate dürfte auch in den nächsten

Jahren 50 Mb/s nicht übersteigen. Glasfaseranschlüs-

se an Wohnhäuser (FTTH) sind damit vorderhand nur

für Mehrfamilienhäuser mit mehreren Nutzern gerecht-

fertigt. Die Versorgung von Quartieren mit Glasfasern

ist dagegen zwingend notwendig – vor allem für Fir-

men. Diese benötigen in einzelnen Fällen bereits heu-

te hohe Datenraten bis in den Gb/s-Bereich. Zudem

ist die Qualität der Verbindung von entscheidender

Bedeutung.

Mobile Konnektivität ist für den Konsumenten heute

unabdingbar. Zu unterscheiden sind Anwendungen, die

via WiFi bedient werden können, und echte Outdoor-

Verhältnisse, die UMTS und seine Nachfolger wie LTE

und 5G nötig machen.

WiFi-Netze sind in der Regel in Gebäuden installiert und

ermöglichen hohe Datenraten auf kurze Distanz. Bereits

heute führt das starke Wachstum von WiFi-Accesspoints

lokal zu gravierenden Interferenzproblemen. Zudem

erschweren Akzeptanzprobleme gegenüber Antennen

und Strahlungsgrenzwerte den Ausbau eines technisch

optimalen Netzes.

Internet der Dinge

Neue Ansprüche wird das Internet der Dinge stellen. Die

Datenraten pro «Ding» (Gerät, Sensor und weiteres)

sind zwar in der Regel bescheiden. Sie werden jedoch in

riesiger Anzahl Zugang zum Internet benötigen, mehr-

heitlich über Festnetz oder WiFi. Mobile Technologien

wie UMTS eignen sich dafür weniger und sind teuer.

Drahtlose Verbindungen in nicht regulierten Frequenzbe-

reichen könnten eine stärkere Rolle spielen.

Herausforderung Backbone

Steigt der Datendurchsatz beim Endnutzer künftig mas-

siv an, führt dies bei den zuführenden Netzen und ins-

besondere in den Backbone-Netzen zu Engpässen.

Denn dort wird der Datenverkehr aller Anschlüsse ge-

bündelt. Die Frage wird sich stellen, wer diesen kost-

spieligen Infrastrukturausbau finanzieren kann und soll.

Möglicherweise braucht es künftig, wie beim Stromnetz,

eine nationale Netzbetreibergesellschaft.

Regulierung und juristische Aspekte

Zum Thema Glasfaser gehen die Meinungen weit

auseinander. Einerseits wird für eine stärkere gesetz-

liche Regelung plädiert, um Investitionssicherheit zu

gewähren. Andererseits wird aber auch auf den Erfolg

der bisherigen «Nicht-Regulierung» hingewiesen: Die

Glasfaser wurde bis anhin bewusst nicht geregelt, um

die Innovationsbereitschaft der verschiedenen Akteure

nicht zu bremsen.

Beim Thema «Anything, Anywhere, Anytime, On Demand»

wird auf offene, rechtliche Fragen in den Bereichen Urhe-

ber- und Nutzungsrecht sowie die Konkurrenzierung des

öffentlich-rechtlichen Fernsehens hingewiesen.

Im Zentrum stehen Aspekte des Schutzes und der siche-

ren Verwendung von persönlichen Daten in vernetzten

Umgebungen. Es geht dabei um die Privatsphäre als

Page 4: Die Zukunft der Telekommunikation in der Schweiz

Grundvoraussetzung der Demokratie, um Macht, Mono-

pole, Kartelle und Nutzungssymmetrien.

Weitere Themen von juristischer Relevanz sind:

Verfügbarkeit, Zugang, Transparenz und Nutzung

der Netze, insbesondere unter dem Aspekt der

Netzneutralität

Relevanz der (personalisierten) Daten und Informa-

tionen als «Währung» des Internet

monetärer Wert persönlicher Daten in vernetzten

Umgebungen und die Frage nach einer entspre-

chenden Entschädigung dafür

Differenzierung des Datenschutzes und Steige-

rung der Wirksamkeit entsprechender Massnah-

men: Transparenz als unterste Stufe des Daten-

schutzes, gefolgt von Opt-in und Wettbewerbs-

recht

soziale und pädagogische Aspekte

Schlussfolgerungen

Folgende Trends und Herausforderungen werden als

besonders wichtig angesehen:

Immer höhere Rechenleistungen werden auf Endge-

räten aller Art verfügbar sein. Die Technologie wird

immer einheitlicher und «skalierbar». Gleiche Diens-

te (mit unterschiedlicher Leistung) sind somit auf

ganz verschiedenen Geräten möglich.

(Persönliche) Daten haben hohen Wert. Big Data Ana-

lytics verspricht hohes Wertschöpfungspotenzial bei

entsprechenden Business-Modellen. Den Nutzern (von

Diensten) ist der Wert ihrer Daten dagegen zu wenig

bewusst.

«Big Brother» als Kehrseite der starken Zunahme von

Datenflüssen und Datenspeicherung. Sicherheit,

Schutz von Daten und Privatsphäre und Vertrauens-

würdigkeit werden an Bedeutung gewinnen, weil immer

raffiniertere Angriffe rasch zunehmen werden.

Mit dem «Internet der Dinge» werden auch Indust-

rieanlagen angreifbar durch Cyberattacken.

Preisgestaltung: Obwohl der Markt bereit ist, für

Hightech, Mehrwert und Prestige höhere Preise zu

entrichten, werden vorteilhafte, wenn auch «minder-

wertige» Schnäppchen oft bevorzugt.

Lokaler «Content» ist von hohem Wert. Hingegen

wird es sich nicht lohnen, die Dienste globaler An-

bieter wie Amazon oder Google zu «helvetisieren».

Für das Funktionieren der Schweiz ist eine ausrei-

chend grosse Kapazität im Zufuhrnetzwerk und

Backbone von hoher strategischer Bedeutung.

Der Ausbau dieser Kapazitäten muss auch in Zu-

kunft zuverlässig finanziert werden. Die Wertschöp-

fung durch Services wird zunehmen, für die Betrei-

ber der Netzwerke dürfte sie zurückgehen.

Ob dies zu einer Trennung von Services und Netz

respektive zur Bildung einer nationalen Netzgesell-

schaft auch bei den Telekommunikations-Backbones

führt, ist allerdings umstritten.

Impressum

Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften

www.satw.ch

Juni 2014

Autoren: Markus Fischer, Christine D’Anna-Huber, Rolf Hügli

Redaktion und Gestaltung: Claudia Schärer und Beatrice Huber

Bilder: Fotolia