die grundlagen der chemotherapie

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KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 7. JAHRGANG Nr. 3z 5. AUGUST x928 OBERSICHTEN. DIE GRUNDLAGEN DER CHEMOTHERAPIE*. gaben sie dem Chemiker AnstoB, durch Modellierung des Von Dr. WALTER SEIFFERT. Aus dem Hygienischen Institut der Universit~t Freiburg i. Br. (Direktor: Geheimrat UHLENHUTH). I. Die Existenz chemisch definierbarer Heilmittel gegen tnfektionskrankheiten ist seit langem bekannt. Chinin, Arsen und Quecksilber wurden schon vor Jahrhunderten als Spezifica gegen Malaria oder Syphilis unserem Arzneischatz einverleibt. Doch erst als es gelang, in den ausgedehnten Reihen des Tierversuches Infektionskrankheiten systematisch und regelm~13ig zu erzeugen, waren die Grundlagen ffir eine wissenschaftliche Bearbeitung chemotherapeutischer Pro- bleme gegeben. Der Gedanke, unsere Desinfektionsmittel auch zur Ver- nichtung der Krankheitserreger in vivo zu benutzen, lag ja nicht fern. So suchten ROBERT KOCH und EMIL VON BE}tRING ihre mit Milzbrand-, Diphtherie- oder Tuberkelbacillen in- fizierten Tiere dutch Sublimat, Carbols~ure, Gold usw. zu heilen. Diese Versuche scheiterten an tier hohen Giftigkeit der: Desinfizientien ffir den Organismus selbst, und die grol3en Erfolge der Serumtherapie lenkten ffir die n~chsten Jahrzehnte yon weiterer Arbeit in dieser Richtung ab. PAUL EttRLICH war es, der die Chemotherapie als exakte Wissenschaft begriindete. Im AnschluB an seine Unter- suchungen fiber Vitalf~rbung prfifte er eine groBe Reihe yon Farbstoffen auf ihre Wirksamkeit gegen die Infektion unserer kleinen Nager mit Trypanosomen durch. Die ausgezeichneten Erfolge, die mit den Benzidinfarbstoffen Try.p.anrot und Trypanblau erzielt wnrden, leiteten eine neue Ara chemo- therapeutischer Forschung ein. Bald wurden den Farbstoffen die Arsenikalien zur Seite gestellt. Schon LAVERAN und MESNIL hatten die Trypanosen der Ratten und M~use mit Natrium arsenicosum erfolgreich beeinflussen kGnnen. Einen gewaltigen Fortschritt bedeutete die Einffihrung des bis dahin nur in der Dermatologie (BLu- MENTHAL) verwendeten Atoxyls, einer aromatischen Arsen- verbindung, durch THOMAS und BREINL, MESNILS und NICOLLE, AYRES KOPKE U. a. ROBERT KOCH begab sich nach Afrika, um bier mit Hilfe des neuen Mittels den Kampf gegen die Schlafkrankheit aufzunehmen. Zu jener Zeit setzten auch im Reichsgesundheitsamte die ausgedehnten Arbeiten UHLENHUTHS und seiner Mitarbeiter WOITHE, GROSS, BICKEL, WEIDANZ, HOFFMANN, ROSCHER und MULZER ein, um auf experimentellem Wege einen Einblick in den Wirkungsbereich des Atoxyls zu erlangen. Von einschneidender Bedeutung ffir die weitere Entwick- lung der Chemotherapie wurde die Ausdehnung dieser Ver- suche auf Spiroch~tosen durch UHLENHUTH und GROSS. Ermutigt durch die gl~nzenden Ergebnisse bei der Spirillose der Hfihner, wendeten sie sich den Spiroch~tosen des Menschen zu. UHLENHUTH und seine Mitarbeiter fiberzeugten sich zun~chst an Affen und Kaninehen, dann aber anch --gleich- zeitig mit SALMON-- am Menschen yon der Heilwirkung des Atoxyls gegen Syphilis, Die Versuehe yon UHLENHUTH und MULZER batten der 'Chemotherapie der Syphilis die Grundlagen geschaffen: Durch die systematische GewGhnung der Spirochaete pallida ~tn das Kauinchen (ira Anschlul3 an Versuche yon BER- TARELLI und TRUFFI) errichteten sie die Basis ffir die experi- mentelle Syphilisforschung fiberhaupt; dutch den Nachweis tier hervorragenden antiluetischen Wirkung des Atoxyls Vorgetragen am ~3- Mai I928 in der NaturforschendenGeseUschaftzu Freiburg i. Br. Klinische Wochenschr|ft, 7. Jahrg. PrAparates nach neuen, ffir den Menschen noch geeigneteren Medikamenten zu suchen. Hier setzte die Arbeit PAUL EHRLICHS ein. Nachdem BERTHEIM die bis dahin bestehenden Irrtfimer fiber die Struktur des At0xyls in sorgfAltigen Analysen berichtigt hatte, untersuchte er, unterstiitzt yon HATA, im Laufe der Jahre eine Unzahl Pr~parate, die yon ihm und BERTHEIM aus dem Atoxyl hergestellt worden waren, um das ungiftigste und zugleich wirksamste herauSzufinden. ]:)as 606, Pr~parat war das Salvarsan. Unleugbar bedeuten das Salvarsan und seine Derivate, die aul3er EHRLICH in letzter Zeit besonders KOLLE studiert hat, den Gipfel, den die Chemotherapie bis auf den heutigen Tag erreichte, Doch schon sind zahlreiche AnsAtze erkennbar, die weiteren Ausbau verheil3en. Das Antimon hat sich -- vor allem in jenen organischen Verbindungen, die UHLEN- HUTH und seine Mitarbeiter MULZER, H/3GEL, KUHN, SCHMIDT und W. SEIFFERT untersuchten -- gegen verschiedene Tropen- krankheiten vorzfiglich bewghrt. Das Wismut wurde yon LEVADITI nnd SAZERAC im Trepol nnd Neotrepol als Anti- lueticum, yon IfHLENHUTH und W. SEIFFERT im Bismuto- Yatren A als Specificum gegen die Weilsche Krankheit empfohlen. Im Germanin (Bayer 205) wurde ein Harnstoff- derivat dargestellt, das bei Trypanosen an Heilkraft alles fibertraf, im Plasmochin ein neues Therapeuticum gegen Malaria. Auch die Chemotherapie bakterieller Erkrankungen ist in den letzten Jahren (namentlich yon MORGENROTH und seinen Sehfilern) ein gutes Stfick weitergeffihrt worden. II. So herrscht wohl fiber die Zukunftsaussichten, die sich der Chemotherapie in der praktischen SeuchenbekAmpfung erGffnen, allgemeine ~bereinstimmung. Anders steht es um die ErklArungsversuche, die den Mechanismus der chemo- therapeutischen Heilwirkung zu analysieren trachten. Die Bedeutung der chemischen Struktur wird allerseits an- erkannt. Welt weniger als auf den Gehalt an Arsen oder Antimon oder Wismut kommt es auf den Bau der Verbindung an. Auch hier ist es EHRLICHS groBes Verdienst, dem wissen- schaftlichen Erkennen die rechte Bahn gewiesen zu haben. Besonders bedeutungsvoll war die Feststellung, dab ganz bestimmte chemische Gruppen, wie die Amino- nnd Oxy- gruppe, den therapeutischen Effekt des Atoxyls betr~chttich steigern, andere, wie die Methyl- oder Nitro- oder Nitroso- gruppe, erheblich herabsetzen. Auch in den Versuchen yon UHLENHUTH und seinen Mitarbeitern fiber die Wirksamkeit der verschiedenen Antimonverbindungen oder yon MORGEN- ROTH fiber die der verschiedenen Chinolinderivate trat der EinfluB der chemischen Struktur auf den Gift- und Heil- weft deutlich hervor. Erst derartige Befunde heben die Chemotherapie aus der herumtastenden Empirie des blinden Probierens heraus. Doch lebhaft divergieren die Meinungen fiber die Art der Wirkung der Chemotherapeutica im Organismus. Gewil3 war es die einfachste u wenn man eine direkte Ver- nichtung der Mikroorganismen im TierkGrper dutch die Medikamente selbst annahm, eine Therapia steriliaans magna, wie EHRLICH es nannte. -Es muBte aber bald zugegeben werden, dab den Pr~parafen, so wie sie waren, eine sterili- sierende Wirkung kaum einger~umt werden konnte: die meisten yon ihnen vermochten (zum mindesten in den an- gewandten Dosen) die Krankheitserreger in Vitro fiberhaupt nicht abzutGten, sondern hGehstens in ihrer Entwicldung zu hemmen (EHRLICH ffir die Benzidinfarbstoffe gegen 95

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Page 1: Die Grundlagen der Chemotherapie

KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 7. J A H R G A N G Nr. 3z 5. A U G U S T x928

OBERSICHTEN. DIE GRUNDLAGEN DER C H E M O T H E R A P I E * . gaben sie dem Chemiker AnstoB, durch Modellierung des

Von

D r . WALTER SEIFFERT. Aus dem Hygienischen Institut der Universit~t Freiburg i. Br.

(Direktor: Geheimrat UHLENHUTH).

I.

Die Existenz chemisch definierbarer Heilmit tel gegen tnfektionskrankheiten ist seit langem bekannt. Chinin, Arsen und Quecksilber wurden schon vor Jahrhunderten als Spezifica gegen Malaria oder Syphilis unserem Arzneischatz einverleibt. Doch erst als es gelang, in den ausgedehnten Reihen des Tierversuches Infektionskrankheiten systematisch und regelm~13ig zu erzeugen, waren die Grundlagen ffir eine wissenschaftliche Bearbeitung chemotherapeutischer Pro- bleme gegeben.

Der Gedanke, unsere Desinfektionsmittel auch zur Ver- nichtung der Krankheitserreger in vivo zu benutzen, lag ja nicht fern. So suchten ROBERT KOCH und EMIL VON BE}tRING ihre mit Milzbrand-, Diphtherie- oder Tuberkelbacillen in- fizierten Tiere dutch Sublimat, Carbols~ure, Gold usw. zu heilen. Diese Versuche scheiterten an tier hohen Giftigkeit der: Desinfizientien ffir den Organismus selbst, und die grol3en Erfolge der Serumtherapie lenkten ffir die n~chsten Jahrzehnte yon weiterer Arbeit in dieser Richtung ab.

PAUL EttRLICH war es, der die Chemotherapie als exakte Wissenschaft begriindete. Im AnschluB an seine Unter- suchungen fiber Vitalf~rbung prfifte er eine groBe Reihe yon Farbstoffen auf ihre Wirksamkeit gegen die Infektion unserer kleinen Nager mit Trypanosomen durch. Die ausgezeichneten Erfolge, die mit den Benzidinfarbstoffen Try.p.anrot und Trypanblau erzielt wnrden, leiteten eine neue Ara chemo- therapeutischer Forschung ein.

Bald wurden den Farbstoffen die Arsenikalien zur Seite gestellt. Schon LAVERAN und MESNIL hat ten die Trypanosen der Rat ten und M~use mit Natr ium arsenicosum erfolgreich beeinflussen kGnnen. Einen gewaltigen Fortschri t t bedeutete die Einffihrung des bis dahin nur in der Dermatologie (BLu- MENTHAL) verwendeten Atoxyls, einer aromatischen Arsen- verbindung, durch THOMAS und BREINL, MESNILS und NICOLLE, AYRES KOPKE U. a. ROBERT KOCH b e g a b s ich nach Afrika, um bier mit Hilfe des neuen Mittels den Kampf gegen die Schlafkrankheit aufzunehmen. Zu jener Zeit setzten auch i m Reichsgesundheitsamte die ausgedehnten Arbeiten UHLENHUTHS und seiner Mitarbeiter WOITHE, GROSS, BICKEL, WEIDANZ, HOFFMANN, ROSCHER u n d MULZER ein, um auf experimentellem Wege einen Einblick in den Wirkungsbereich des Atoxyls zu erlangen.

Von einschneidender Bedeu tung ffir die weitere Entwick- lung der Chemotherapie wurde die Ausdehnung dieser Ver- suche auf Spiroch~tosen durch UHLENHUTH und GROSS. Ermut ig t durch die gl~nzenden Ergebnisse bei der Spirillose der Hfihner, wendeten sie sich den Spiroch~tosen des Menschen zu. UHLENHUTH und seine Mitarbeiter fiberzeugten sich zun~chst an Affen und Kaninehen, dann aber anch - -g l e i ch - ze i t ig mit SALMON - - am Menschen yon der Heilwirkung des Atoxyls gegen Syphilis,

Die Versuehe yon UHLENHUTH und MULZER bat ten der 'Chemotherapie der Syphilis die Grundlagen geschaffen: Durch die systematische GewGhnung der Spirochaete pallida ~tn das Kauinchen (ira Anschlul3 an Versuche yon BER- TARELLI und TRUFFI) errichteten sie die Basis ffir die experi- mentelle Syphilisforschung fiberhaupt; dutch den Nachweis tier hervorragenden antiluetischen Wirkung des Atoxyls

Vorgetragen am ~3- Mai I928 in der Naturforschenden GeseUschaft zu Freiburg i. Br.

Klinische Wochenschr|ft, 7. Jahrg.

PrAparates nach neuen, ffir den Menschen noch geeigneteren Medikamenten zu suchen.

Hier setzte die Arbeit PAUL EHRLICHS ein. Nachdem BERTHEIM die bis dahin bestehenden Irrtfimer fiber die Struktur des At0xyls in sorgfAltigen Analysen berichtigt hatte, untersuchte er, untersti i tzt y o n HATA, im Laufe der Jahre eine Unzahl Pr~parate, die yon ihm und BERTHEIM aus dem Atoxyl hergestellt worden waren, um das ungiftigste und zugleich wirksamste herauSzufinden. ]:)as 606, Pr~parat war das Salvarsan.

Unleugbar bedeuten das Salvarsan und seine Derivate, die aul3er EHRLICH in letzter Zeit besonders KOLLE studiert hat, den Gipfel, den die Chemotherapie bis auf den heutigen Tag erreichte, Doch schon sind zahlreiche AnsAtze erkennbar, die weiteren Ausbau verheil3en. Das Antimon hat sich -- vor allem in jenen organischen Verbindungen, die UHLEN- HUTH und seine Mitarbeiter MULZER, H/3GEL, KUHN, SCHMIDT und W. SEIFFERT untersuchten -- gegen verschiedene Tropen- krankheiten vorzfiglich bewghrt. Das Wismut wurde yon LEVADITI nnd SAZERAC im Trepol nnd Neotrepol als Anti- lueticum, yon IfHLENHUTH und W. SEIFFERT im Bismuto- Yatren A als Specificum gegen die Weilsche Krankheit empfohlen. Im Germanin (Bayer 205) wurde ein Harnstoff- derivat dargestellt, das bei Trypanosen an H e i l k r a f t alles fibertraf, im Plasmochin ein neues T h e r a p e u t i c u m gegen Malaria. Auch die Chemotherapie bakterieller Erkrankungen ist in den letzten Jahren (namentlich yon MORGENROTH und seinen Sehfilern) ein gutes Stfick weitergeffihrt worden.

II.

So herrscht wohl fiber die Zukunftsaussichten, die sich der Chemotherapie in der praktischen SeuchenbekAmpfung erGffnen, allgemeine ~bereinst immung. Anders steht es um die ErklArungsversuche, die den Mechanismus der chemo- therapeutischen Heilwirkung zu analysieren trachten.

Die Bedeutung der chemischen Struktur wird allerseits an- erkannt. Welt weniger als auf den Gehalt an Arsen oder Antimon oder Wismut kommt es auf den Bau der Verbindung an. Auch hier ist es EHRLICHS groBes Verdienst, dem wissen- schaftlichen Erkennen die rechte Bahn gewiesen zu haben. Besonders bedeutungsvoll war die Feststellung, dab ganz best immte chemische Gruppen, wie die Amino- nnd Oxy- gruppe, den therapeutischen Effekt des Atoxyls betr~chttich steigern, andere, wie die Methyl- oder Nitro- oder Nitroso- gruppe, erheblich herabsetzen. Auch in den Versuchen yon UHLENHUTH und seinen Mitarbeitern fiber die Wirksamkeit der verschiedenen Antimonverbindungen oder yon MORGEN- ROTH fiber die der verschiedenen Chinolinderivate t r a t der EinfluB der chemischen Struktur auf den Gift- und Heil- weft deutlich hervor. Ers t derartige Befunde heben die Chemotherapie aus der herumtastenden Empirie des blinden Probierens heraus.

Doch lebhaft divergieren die Meinungen fiber die Art der Wirkung der Chemotherapeutica im Organismus. Gewil3 war es die einfachste u wenn man eine direkte Ver- nichtung der Mikroorganismen im TierkGrper dutch die Medikamente selbst annahm, eine Therapia steriliaans magna, wie EHRLICH es nannte. -Es muBte aber bald zugegeben werden, dab den Pr~parafen, so wie sie waren, eine sterili- sierende Wirkung kaum einger~umt werden konnte: die meisten yon ihnen vermochten (zum mindesten in den an- gewandten Dosen) die Krankheitserreger in Vitro fiberhaupt nicht abzutGten, sondern hGehstens in ihrer Entwicldung zu hemmen (EHRLICH ffir die Benzidinfarbstoffe gegen

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Trypanosomen, UHLENHUTH ffir Atoxyl gegen Trypanosomen und Htihnerspirillen).

So k a m denn EHRLICH (zull~chst fiir die Arsenderivate) zu der Anschauung, daft die Chemotherapeutica ir~ vivo i~ber- haupt erst in trypanocidwirkende Substanz umgewandelt wi~rden

er dachte vor allem all Reduktionsprozesse -- und nur in dieser Form dell K6rper sterilisierten. Analoge Vorg~knge in vivo nahln SCHMIDT ftir die organischen AlltimorLverbindungen an, mit denen UHLENHUTH gearbeitet hatte, denn ihr ffinf- wertiges Antimon, das nach den Untersuchungen yon KOLLE unwirksam ist, kann durch Reduktion leicht in das hochwirk- same dreiwertige fibergeftihrt werden. Damit erhob sich die Frage llach dem Orte einer solchen Umwandlung.

Auf der einen Seite kam als solcher das Serum in Betracht. Doch zwei Momente sprachen dagegen: eine Umwandlung im Serum h~tte doch wohl auf der Stelle einsetzen und sich auswirken mfissen, es dauerte aber ttir gew6hnlich Stunden, ja Tage, bevor eine Verminderullg der Parasiten erkennbar wurde. Vor allem aber w~re dann die Applikation des Thera- peuticums einige Zeit vor der Infektion besonders erfolg- versprechend gewesen, da ja nun die Trypanosomen direkt in die inzwischen entstandenen trypanocidell Substrate ein- gespritzt worden wAren. Es blieb jedoch eine solche pro- phylaktische Behandlung im grol3en und ganzen erfolglos (UYILENHUTH und WOITHE).

Die Funkt ion der fraglichell Umwandlung wurde denn such bald der K6rperzelle zugeschrieben, und tatsAchlich haben gerade die Untersuchungen der neuesten Zeit die lebhafte Beteiligung des Organismus an dem chemotherapeu- tischen E]]ekt sichergestellt. Einmal gelang es, die Speicherung der Medikamente teils im erkranktell Gewebe, teils in dell Organen des reticulo'-endothelialen Systems nachzuweisen (IGERSI-IEIMER, KOLLE, VOEGTLIN, BULMER USW.), ist doch z. B. Trypanblau fiberhaupt das dominierende ,,Blockade"- Mittel. Dann abet liei3 sich dutch die Ausschaltung dieses Apparates der Erfolg der verschiedenen Chemotherapeutica mehr oder minder hintanhalten (KoLPIKOW, KRITSCHEWSKI und MEERSOI-IN, JUNGEBLUT, FELDT und SCHOTT U. a.); die von den verschiedenen Autoren verzeichneten Differenzen im Grade dieser Beeintr~chtigung sind wohl auf Differenzen im Gelingen der Ausschaltung zurtickzuftihren.

Sobald die K6rperzelle als Vermittler der chemotherapeu- tischen Wir]cung anerlcannt wurde, bot sich neben der von Ehrlieh und seinen Schi~lern angenommenen chemischen Um- setzungen der injizierten Pr4parate in die dire]ct parasitocide Substanz noeh eine zweite MSglichlceit der Erkldrung, ftir die sich vor allem UHL~NHUTH und seine Mitarbeiter eingesetzt haben: yon den Medikamenten mobilisiert, konnte der Organis- mus yon sieh aus die biologische Abwehr der In]elction i~ber- nehmen. Da als Vermittler der Wirkung gerade jene Organe in Frage kamen, zu deren wichtigsten Funktionen eine solche Abwehr gehSrt, hat te diese Annahme von vornherein vim Wahrscheinlichkeit ftir sich.

I I I .

Diese Wahrscheinlichkeit war um so gr613er, als sich a priori gegen die Ehrlichschen Hypothesen verschiedene Be- denken erheben lassei1, insbesondere gegen jene Vorstellungen, die dem K6rper die Oberftihrung atoxischer Substanzen in toxische zumuten.

EHRLICI-I n immt z. ]3. als das in vivo wirksame Derivat des Atoxyls das Paraaminophenylarsinoxyd an. Diese Ver- bindung ist jedoch nicht nut ftir Trypanosomen, sondern auch ftir den Organismus fiberaus giftig, darum verbietet sich ja ihre direkte Verwendung zu Heilzwecken. Unzweifelhaft ist ftir diese Giftwirkung ein erhebliches Werm6gen, sich an d ie K6rperzelle zu binden, Voraussetzung; als bindender Apparat kommt wohl auch hier in erster Linie das speichernde reticulo-endotheliale System in Betracht. Is t es nun n~cht eine Contradietio in adiecto, daft die Organe Pine in ihnen entstehende oder entstandene Verbindung abstoflen sollen, zu der sie selbst Pine solehe A]]initdt besitzen? Wenn sie unter deren Eillflul3 erkranken und absterben wfirden, w~re vielleicht eine Deutung mSglich. Sie bleiben jedoch, wie die Aus-

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scheidungsversuche zeigen, vollauf funktionstfichtig. Darum lassen sich auch die (yon UHLENHUTH und WOITt~E fibrigens nicht best~tigten) Reagensglasversuche rol l LEVADITI und YAMANOUCHI, BREINL und ~IERENSTEIN U. a., ill denen ein Gemisch yon -- natfirlich abgestorbellen -- Lebersttickchen und Atoxyl trypanocide Eigenschaften gewann (auff~lliger- weise aber keine spirillociden), nicht als Analogoll heran- ziehen.

Besonders deutlich decken die bisherigen Untersuchungen tiber das Antimon das biologische Durcheinallder dieser All- schauungen auf. Denll w~hrelld auf der einen SPite, wie er- wAhllt, eille l~berffihrung der ungiftigen ftinfwertigen Sb-Ver- billdungen durch Reduktion in giftige dreiwertige angenommen wird, muB gleichzeitig nach den Untersuchungell rol l BocK dem Organismus eine Entgif tung des dreiwertigen in das ftinfwertige durch Oxydatioll zugeschrieben werden. Als Tr~ger der Prozesse kommt in beiden F~llen wohl nur das reticulo-endotheliale System in Frage, das also bald nach der toxischen, bald naeh der atoxischen Seite bin umwandeln soll -- wie es gerade in die Theorie hineinpafit. Sollten unsere bio- logischen Vorstellungen tats~chlich einem solchen Gegen- einander zug~nglich sein?

Recht nachdenklich mul3 auch die Tatsache stimmen, dal~ der Heileffekt des Atoxyls ill dem Mal3e sinkt, ill dem die Geschwindigkeit seiner Ausscheidullg steigt. So ergaben die Versuche yon UHLLNI~UTH und WOITHE fiber die Heilung der Dourine bei dell schnell auscheidenden Hunden vim schlech- tere Resultate als bei M~tusen, 1Ratten oder Kaninchen, die das Atoxyl erheblich l~nger im KSrper zurtickhalten. Auch sonst hat die Erfahrung immer wieder die Tatsache best~tigt, dub Pin Pr~parat die Parasiten um so weniger beeinflul3t, je schneller sich der Organismus seiner entledigt, such wenn es vorher irgendwo gespeichert wurde. So gehen die toxische und trypanocide Wirksamkeit der Arsinoxyde (stark wirk- sam), der Arsellobenzolverbindungell (mittelwirksam) und der Arsills~urell (schwachwirksam) llmgekehrt proportional der Ausscheidullg: yon Paraoxymetaaminophenylarsinoxyd wer- den in den ersten 6 Stundell 4,24%, roll Neosalvarsai1 34,48 %, yon der ParaoxymetaaminophellylarsinsAure 79,88 % ausgeschieden (VOEGTLIN ulld THOMPSON). Doch mi~flte nieht gerade der schnelle Abbau eine hohe Konzentration de~ Substrates im Blur herbei/i~hren und somit seine Wirksamkei t untersti~tzen, da in allen Desinfektionsversuchen ill vitro Pine kurz anhaltende, aber starke Desinfektion die Mikroorganis- men mit gr613erer Sicherheit abt6tet als eine lange, abet schwache Beeinflussung ?

1Dberhaupt haben die Einw~tnde, die yon der Dosierung aus gegen die Theorie der Sterilisation in vivo erhoben wurden, kaum die Beachtung gefunden, die sie verdienen. Gewil3. sind die reduzierten Derivate der Phenylarsins~ure auch schon in kleinen I)osen trypanocid, dem entspricht abet such eine hohe Toxizit~t. Wir dtirfen llicht tibersehen, dab jede keimt6tende Wirkung durch die Gegenwart yon Eiweil3 -- wahrscheinlich auf Grund seiner adsorbierenden Eigenschaf-- ten (BEcI-IHOLD, W. SEIFFERT, HAHN U, a.) -- stark beein- trAchtigt wird; eigelle Versuche mit Gelltiallaviolett ergaben z. ]3. die Herabsetzullg des keimt6tenden Werm6gens durch Zusatz yon einer I proz. Deuteroalbumose um das 4 o- bis 5ofache. Ob wir unter diesei1 Umst~nden tats~chlich ohne weiteres anllehmen dfirfen, dab die zur direktell Trypanocidie im Blut mit s e i n e n 6 - -8% SerumeiweiI3 erforderlichen 1Viellgen der reduzierten Derivate unter der organtoxischen Dosis bleibell, mit anderen Worten, ob llicht das Ausbleiben toxischer Erscheinungen auch gegen die Anwesenheit der zur Trypanocidie oder such n u t zur Entwicklungshemmung not- wendigen Mengen spricht, erscheint zum milldesten fraglich..

Aul3er diesen grundsi~tzlichen Erw~gungell liegen nun noch Pine Reihe experimenteller Einzelbeobachtungen vor,. die sich, wenigstens in dera ]eweiligen t"all, mi t einer direlcten cheraischen AbtStung der Parasiten nicht in Einklang bringen lassen. Nur die auff~11igsten seien bier herausgehoben:

Die Benzidinfarbstoffe sind in vitro nicht trypanocid. Ill vivo erfahren sic keine Umsetzung, sondern weisen die gleiche Struktur auf wie in vitro. Trotzdem sind im Tier-

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versuch Trypanblau, Trypanrot usw. vorzfigliche Thera- peutica gegen Trypanosen (EHRLICH).

In Rat ten kommen gar nicht so selten spontan Try- panosomen (Tr. Lewisii) vor. Diese Trypanosomen sind gegen alle chemotherapeutischen Eingriffe gefeit (UHLENI-IUTH). Wo- her sie gegen Chemikalien gefestigt sein sollen, ist nicht er- sichtlich. Die sog. ,,natfirliche Festigkeit" ist doch nur eine Umschreibung und keine Erkl~irung.

Die M6glichkeit, ein mit Syphilis infiziertes Kaninchen durch Salvarsan zu sterilisieren, h~ingt nicht allein yon der Salvarsanmenge, sondern auch yon dem Intervall zwischen Infektion und Behandlung ab, mit anderen Worten, in einem seit 1Angerer Zeit erkrankten Tier wirkt sich das Salvarsan nicht aus. Je gr6Ber dieser Zeitraum ist, um so geringer sind die Aussichten auf Sterilisierung, trotz gr6Bter Dosen (KoLLE).

Das Serum yon gesunden Miiusen, die Atoxyl erhielten, hat nicht die geringste Schutzkraft gegen die Infektion mit Trypanosomen, ebensowenig das Serum trypanosomen- infizierter unbehandelter MAuse, dagegen kommt eine ge- wisse Schutzkraft dem Serum infizierter und mit Atoxyl be- handelter Tiere zu (NISSLE).

Rivanol fibt in lebenden M~usen und Meerschweinchen eine deutliche Wirkung gegen Staphylokokken aus, doch nicht in toten M~usen, auch nicht in lebenden Fr6schen (NODEKE).

Viele Chemotherapeutica (Trypaflavin, Trypanblau, Bayer 205, Hydrochinin, Goldpr~parate usw.) wirken in -ci-co auf Parasiten in kleineren Dosen erheblich intensiver ein als in groBen: Effectus contrarius bei groBen Dosen (ScI-IIEMANN, NEUFELD, FELDT, MAYER und ZEISS, BAUMGARTEN, FELTON und DOUGHERTY).

Es wird denn auch kaum bestritten, dab diese Befunde eindeutig auf eine Beteiligung der K6rperzellen am chemo- therapeufischen Ergebnis hindeuten. Die Frage kann nur dahin gestellt werden, ob fiberhaupt eine direkte maiSgebliche Beeinflussung der Parasifen durch die applizierten Chemi- kalien vorliegt oder nicht Da6 EHRLICH und seine Schule bei all diesen Bedenken nur auf Grund gewichtiger experimen- teller Befunde an der direkten Therapia sterilisans festhielten, versteht sich yon selbst; war doch EHRLICH der erste, der eine indirekte Heilung durch Anregung der cellul~ren Abwehr in Erw~gung zog. Doch leuchtet es wohl ein, daft die Bedenken, die erhoben wurden, stark genug sind, um eine direkte chemische Abt6tung abzulehnen, wenn 8ie nicht tatsdchlich positiv bewiesen wird.

IV. Den positiven Beweis fiir eine direkte Beeinflussung der

Parasiten in vivo sah EHRLICH in Folgendem: Behandelt man trypanosomeninfizierte Ratten oder

M~use mit subtherapeutischen Dosen, so gew6hnen sich die Flagellaten an die Behandlung dermaBen, dab ihnen bald auch gr6Bere und gr6Bte Dosen nichts mehr anzuhaben -cer- m6gen. A priori k6nnte natfirlich diese Gew6hnung, da es sich ja um Versuche in vivo handelt, den mobilisierten Ab- wehrstoffen des Organismus ebenso gut gelten wie den Chemi- kalien. EHRLICH stellte jedoch lest, dab die Resistenz der Trypanosomen dem chemischen Aufbau der yon ibm -cer- wendeten Pr~parate parallel ging. Trypanblau festigte such gegen andere Benzidinfarbstoffe, aber nicht gegen Triphenyl- methanfarbstoffe oder Arsenikalien, irgendein Triphenyl- methanfarbstoff gegen die fibrigen Farbstoffe seiner Reihe, aber nicht gegen Benzidinfarbstoffe oder Arsenikalien, Arsenikalien festigten gegeneinander, aber weder gegen Ben- zidin- noch gegen Triphenylmethanfarbstoffe.

Die Festigkeit, die die Flagellaten gegen die Behandlung bzw. ihre wirksamen Faktoren erlangten, wies also in diesen Versuchen enge Beziehungen zu der chemischen Struktur der applizierten Medikamente auf. Daraus schloB EHRLIC~ auf eine Festigkeit, die gegen die Medikamente selbst gerichtet sei. Waren aber die Trypanosomen gegen die Medikamente gefestigt worden, so muBten sie auch yon ihnen beeinfluBt worden sein. Es wurden somit diese Be/unde, in deneu die t'estigkeit der Parasiten der chemischen Zusammengeh6rigkeit der Therapeutica entsprach, die experimenteUe Sti~tze ]i~r die

Annahme einer direkten Parasitocidie. Sobald jedoch Befunde erhoben werden konnten, in denen sich die Festigkeit mit der chemischen Zusammengeh6rigkeit der Medikamente nicht deckte, wurde selbstverst~ndlich dieser Annahme die ex- perimentelle Stfitze zerschlagen.

Im einzelnen dachte sich EHRLICH die Parasitocidie zu- n~chst als einen chemischen Vorgang: Er supponierte den Trypanosomen strukturspezi]ische Chemoceptoren, d. h. er nahm in ihrem Protoptasma hier eme chemische Gruppe an, die sich mit Arsen zu verbinden vermochte, dort eine andere, die mit Benzidinfarbstoffen reagierte, drfiben eine drit te fiir Triphenylmethanfarbstoffe usw. Und in den letzten Jahren wollten dann VOEGTLIN, D ~ R und LEONHARD ffir die Arsenikalien sogar den entsprechenden Chemoceptor im Protoplasms als Sulfhydrylgruppe HS definiert haben.

Bald jedoch h~uften sich Beobachtungen, die die Verh~lt- nisse fiberaus komplizierten. Zun~chst entsprachen die Befunde der angezfichteten Festigkeit nicht der bei chemi- schen Reaktionen gewohnten Regelm~Bigkeit. Es war schon auffallend, dab man Trypanosomen niemals mit dem stark trypanociden Brechweinstein zu festigen vermochte, w~hrend sich eine Brechweinsteinfestigkeit dutch Vorbehandlung mit Arsenderivaten erzielen lieB (EHRLICH). Doch bedeutete Arsenfestigkeit durchaus nicht immer Antimonfestigkeit; im Gegensatz zu ~ORGENROTHS arsacetinfesten St~mmen wurden die arsacetinfesten St~mme EHRLICHS "con Brechweinstein noch beeinfluBt; RAMSlN UriC1 SCHNITZER festigten mit Hilfe yon Salvarsan auBer gegenArsacetin gegen das antimonhaltige Stibenyl, doch nicht gegen Brechweinstein. EHRLICH ver- mochte mit Hilfe yon arseniger S~ure gegen Brechweinstein, abet nicht gegen arsenige S~ure selbst zu iestigen. So sah sich EHRLICH genbtigt, der chemischen Spezifit~t die bio- logische Aviditdt fiberzuordnen: Neben die chemische Bin- dungsf~ihigkeit setzte er eine biologische Empfindlichkeit des Protoplasma gegen die Therapeutica, nicht den chemischen Apparat selbst, sondern diese biologische Empfindlichkeit glaubte er bei den arzneifesten St~immen ver~ndert, und diesen biologischen Ver~inderungen schob er auch die erwAhn- ten individuellen Schwankungen zu.

Mit dieser Hypothese war bereits der experimentelle Boden der Chemoceptorentheorie verlassen worden. Hatte sie sich doch darau] au]gebaut, daft gerade die Festigung als solche der chemischen Struktur entsprach. Nun abet wurde die Festigkeit nicht ehemisch, sondern biologisch erkldrt.

Neuere Befunde werfen fiberhaupt alle chemischen Spezifizi- ti~ten durcheinander. Wahllos werden die I:Y~parate im Rahmen der Festigkeit vergesellschaftet oder getrennt: das Harnstoffderivat Germanin (Bayer 2o5) festigt gegen Arsen und Antimon und Trypanblau, Arsenderivate gegen Antimon und Germanin, gegen Trypanblau aber nicht, Trypanblau gegen Germanin, doch weder gegen Arsen noch gegen Antimon, Acridinfarbstoffe wie Trypaflavin gegen Arsen, aber nicht gegen Antimon; ebensowenig festigt Trypafla-cin gegen jenen anderen Acridinfarbstoff Rivanol; der Triphenylmethanfarb- stoff Parafuchsin festigt im Rahmen seiner Reihe gegen Tryparosan, aber weder gegen Brillantgrfin noch gegen Pyoktanin (EHRLICH, MORGENROTH, LEVPOLD, COLLIER, LEWY und GUREWITSCH U. a.); Wo ist hier noch jene Struktur- spezifizit~t wahrzunehmen, auf der sieh die Chemoceptoren- theorie aufbaut ?

Unter diesen Umst~nden ist es wohl kaum verwunderlich, dab SCHNITZER und SILBERSTEIN die Sulfhydrylhypothese VOEGTLINS nicht bestlitigen konnten: Nach ihren Unter- suchungen reagieren Sulfhydryl-cerbindungen in vivo fiber- haupt nicht mit den trypanociden Therapeuticis; das Sulf- hydrylradikal des Protoplasma kommt also als Bindungs- gruppe nicht in Frage.

Und schlieBlich bedarf auch das , ,Interferenzph~nomen" (BROWNING und GULBRANSEN, SCHNITZER und SILBERSTEIN) der Erwiihnung: Behandelt man eine Maus, die mit Trypano- somen infiziert wurde , mit kleinen Parafuchsinmengen vor, so ist sie wenige Stunden darauf dutch Trypaflavin, Brech- weinstein, Salvarsan usw. nicht mehr zu heilen.

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Derlei l~Bt sich mit chemischen Vorstellungen fiberhaupt nicht in Einklang bringen. SCHNITZER hat versucht, auch diesen Vorgang chemoceptorisch vorstellbar zu gestalten: aus jedem Receptor EHRLICHS macht er einen ganzen Komplex yon Chemoceptoren mit pluripotenten und prim~ren sowie spezifischen sekund~ren Bindungskernen; jedem Trypanosom wird eine Vielheit dieser komplexen Systeme zugeschrieben, und dann sollen noch diese k0mplizierten Gebilde sich wechsel- rol l fiberschneiden und auBerordentlich wandelbar sein. Ob dieSer komplizierte Bau wirklich ffir die ErklArung s~mtlicher experimenteller Befunde ausreicht, l~Bt sich dabei kaum entscheiden, denn das Ganze ist viel z u unfibersichtlich ge- Worden, nm noch klar beurteil t werden zu k6nnen. Man fragt sich nur erstaunt, warum man sich fiberhaupt auf solche verzwickten Konstruktionen einl~Bt. Immer wieder muff betont werden, daft die Grundlage ]i~r die gesamte Chemo- ceptorentheorie und damit auch ]i~r die Annahme einer direkten Parasitocidie ]ene ersten Untersuchungen waren, welehe die t)bereinstimmung zwischen der Festigkeit der Trypanosomen und der chemischen Spezi/izitdt der Prgparate zu beweisen sehlenen. I n dem Augenblick, zoo diese t]bereinstimmung nicht mehr besteht, ergibt sich doch wohl als n~iehstliegende Folgerung, die aus ihr gezogenen Schli~sse /allen zu lassen. Nur unter einer einzigen Bedingung w~ren sie vielleicht noch aufrechtzu- erhalten: wenn es ffir die experimentellen Befunde keine anderen Erkl~rungsm6glichkeiten gabe.

V.

Derartige Erkl~rungsm6glichkeiten sind aber vorhanden. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dab auch die

Anh~nger der Chemoceptorentheorie gezwungen sind, sowohl im Verlaufe der direkten parasitociden Wirkung wie auch v611ig selbst~ndig neben ihr Abwehrvorg~nge des Organismus anzunehmen. Es fragt sich nun, ob sich nicht die verschie- denen Formen der Festigkeit, die sich die Parasiten unter den verschiedenen Pr~paraten bei der Applikation subthera- peutischer Dosen zulegen, ebenfalls indirekt erkl~ren lassen. Wir mfissen uns stets vor Augen halten, dab sich die nach- gewiesene Festigkeit nicht auf das Pr~parat, sondern auf die Behandlung erstreckt.

Ganz gewiB verffigt der K6rper fiber derartig zahlreiche und verschiedene Formen der Abwehr, dab wir uns von vorn- herein auch verschiedene Formen der Festigkeit bald gegen diese, bald gegen jene Abwehrvorrichtung vorstellen k6nnen, eventuell auch eine Festigkeit gegen verschiedene Abwehr- formen zugleich.

Zun~chst ist eine Stimulierung der Antik6rperbildung in ihrer bunten Mannigfaltigkeit denkbar (Ictus immunisatorius ]~HRLICIIS). Sie mag vielleicht dort in Frage kommen, wo die Immuni t~t frfih einsetzt, z. ]3. bei der Spirillose der Hfihner (UHLENHUTH und GROSS). Bei der Weilschen Krankheit da- gegen, wo erst zu Beginn der drit ten Woche Schutzstoffe im Serum nachweislich sind, spielt sie wohl eine geringere Rolle, insbesondere wo in den Versuchen yon UHLENHUTH und W. SEXFFERT der Ein t r i t t der Immunit~t im Laufe der chemotherapeutischen Behandlung unabh~ngig yon dem Augenblick, in dem die Behandlung einsetzte, und unabh~ngig yon der Dosis des Chemotherapeuticums erfolgte.

Zweitens k6nnen jene besonderen Abwehrorgane an- geregt werden, deren spezielle Funktion in der Beseitigung parenteral eingedrungener Fremdk6rper durch Phagocytose besteht. L~Bt sich doch bereits in vitro und durch recht harmlose Mittel (Caseosan, Deuteroalbumose. Pepton Milch- s~ure usw.) die M6glichkeit einer gesteigerten Phagocytose ex- perimentell demonstrieren (NEISSER, BECHHOLD. W. SEIFFERT). Hier kommen vor allem jene FAlle in Betracht, wo sich eine serologische ImmunitAt nicht erweisen lASt, z. ]3. bei den meisten experimentellen Infektionen mit Trypanosomen (UHLENHUTH), oder wo nach der Applikation des Medikaments gerade der reticulo-endotheliale Apparat parasitenfrei gefunden wird; so sail z. B. PRIGGE bei der Behandlung syphilitischer Kaninchen mit Salvarsan kurz nach der Injektion die Poplitealdrfisen spirochAtenffei, einige Zeit danach hat ten sic sich jedoch von

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anderen Organen her wieder in den Drfisen angesiedelt. Mit der Anregung dieses Abwehrsystems ist wohl vor allem dort zu rechnen, wo die Parasiten schlagartig verschwinden.

Drit tens kann der gesamte Organismus eine Umstimmung erfahren. Eine solche Allergie t r i t t vor allem im Laufe der Syphilis ein (UHLENHUTH, KOLLn). Diese Umst immung braucht durchaus nicht immer gleichzeitig den gesamten Orgauismus zu ergreifen: zu einer Zeit, wo der Kaninchenhoden auf das Syphilisvirus nicht mehr reagiert, k6nnen an der Hornhaut noch Rezidive auftreten (FREY). Sie kommt in erster Linie bei chronischen Infektionen in Betracht.

Viertens finden wir noch Abwehrvorg~nge am Erkrankungs. herde selbst. DaB sich z. B. bei Syphilis das Salvarsan in den luischen Tumoren speichert, ist schon seit l~ngerem be- kannt (s. o.). DaB es hier auch wirklich auf die Zellen ein- wirkt, zeigen einige Beobachtungen anl~Blich der Auswerfung organischer Antimonpr~parate (U~LnNHUTH und W. SEIF- FERT): AuI den Effectus contrarius bei kleinen Dosen, wo subtherapeutische Mengen des Heilmittels eine Verschlim- merung der lokalen Prozesse nach sich ziehen, hat te schon EHRLICH aufmerksam gemacht; er faBte in Anlehnung an das Arndt-Schulzesche Grundgesetz diese Verschlimmerung als eine Reizung der Spiroch~ten und ihrer Virulenz dutch die kleine Dosis auf. Bei unseren Antimonversuchen wurde jedoch mehrere Male die Wahrnehmung gemacht, dab ein Kaninchen mit doppelseitigen Hodentumoren nach Ein- verleibung kleiner Dosen auf der einen Seite ausheilte, auf der anderen dagegen ein exzessives Tumorwachstum aufwies. So war wohl eine einheitliche Spiroch~tenreizung auszu- schliel~en. Nur Differenzen im EntzfindungsprozeB selbst konnten eine Erkl~rung liefern: es ist z. B. denkbar, dab die kleinen Dosen -- zu gering, um den allgemeinen Abwehr- apparat des K6rpers in ]3ewegung zu setzen -- die weir empfindlicheren kranken Zellen beeinfluBt und je nach dem Zustande dieser Zellen bier eine Abwehr bis zur Heilung, dort nur ein Aufflammen der Entzfindung hervorgerufen haben.

Ein weiteres Beispiel ffir die Vorg~nge am Krankheitsherde Selbst liefern die chemotherapeutischen Versuche yon UHLEN- HUTH und W. SEIFFERT gegen die Weilsche Krankheit. Nach der Einspritzung des klinisch fiberaus wirksamen ]3ismuto- Yatren A wurden die Tiere nicht etwa spiroch~tenfrei, die Erreger lieBen sich vielmehr bis zum Eint r i t t der serologischen Immunit~t in Organen und K6rperflfissigkeiten nachweisen, doch die fiblichen morphologischen Ver~nderungen (Haut- blutungen, Lungenblutungen, Ikterus) blieben aus.

Offensichtlich handelt es sich bei dieser Form der Abwehr weniger um eine Vernichtung der Krankheitserreger als um eine Resistenz gegen deren krankheitserregenden Sto]]e. Damit erkl~rt sich auch die so h~ufige Gebundenheit des Heil- effektes an eine m6glichst langsame Ausscheidung der Medika- mente: Eine solche Resistenz ist im groSen und ganzen wohl nur so lange denkbar, wie die therapeutische Beeinflussung w~hrt, und doch muB sie, um den t6dlichen Ausgang zu ver- hindern, so lange anhalten, bis die entstehende Immunit~t die Parasiten erledigt. Es wfirde also ein l~nger ausgedehntes Verweilen der Erreger im Organismus trotz fehlender Krank- heitserscheinungen fiir die Y[obilisierung solcher lokalen Resistenz sprechen, w~hrend ihr schnelles Verschwinden auf Reizung der allgemeinen (serologischen oder cellul~ren) Abwehr hinweist.

Jedenfalls kommen yon seiten des Organismus derartig viele und verschiedene AbwehrmSglichkeiten in Frage, dab wir ohne weiteres bei den verschiedenen Medikamenten mit verschiedenen Angriffspunkten und Abwehrformen rechnen k6nnen. ~hnlich gebaute Pr~parate werden gewiB ~hnliche Abwehrreaktionen ausl6sen. Aueh die Theorie der indirekten Wirkung erkennt die Bedeutung der chemisehen Struktur voU- kommen an. Je wirksamer das Pr~parat ist, um so gr6Ber wird der Komplex der angeregten Abwehrvorrichtungen sein. Und wenn wir die Resistenz der Parasiten nach subthera- peutischen Injektionen als Resistenz gegen die Abwehr- vorrichtungen des K6rpers auffassen, so wird sich die Be- seha]]enheit dieser Resistenz immer gerade auf ?'ene Formen der

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Abwehr richten, die das ]eweilige Therapeuticum anregt. Ihr Um/ang abet wird sich au/ alle Therapeutica erstrecken, die au/ den Organismus in i~hnlicher Weise einwirken.

VI. Gehen wir nun noch zu jenen Einzelbefunden fiber, die

chemoceptorisch so schwer zu deuten sind Biologisch er- k S r t es sich ohne groBe Schwierigkeit, dab solche PrXparate, welche die Abwehr in zu geringem MaBe mobilisieren, um parasitocid zu wirken, den K6rper doch immerhin so weir aktivieren, wie es zur Festigung der Parasiten erforderlich ist. Verm6gen wir doch auch im Reagensglas die Mikro- organismen in stark verdfinnten Antiseris an groBe Anti- k6rpermengen zu gew6hnen. Es w~re demnach gar nichts besonders AuffMliges, wenn Trypanosomen durch das nicht trypanocide Kal iumhexatantala t gegen ]3rechweinstein ge- festigt werden k6nnen (Versuche von MORGENROTH).

Es wfirde auch nur dem gr6Beren biologischen Wirkungs- bereich des Salvarsans entsprechen, wenn ein Parasit, der an die durch Salvarsan in weitem MaBe ausgel6ste Abwehr gefestigt wurde, gleichzeitig gegen die engere Wirkung des Brechweinsteins geschfitzt ist, abet nicht umgekehrt, ebenso wie es sich biologisch verstehen l~iBt, dab der Organismus auf kleine Salvarsandosen nicht in jedem Falle mit der ganzen Vielseitigkeit der Abwehr reagiert (s. o.).

]3ei derartigen Vorstellungen wfirden ferner jene I)iffe- renzen kaum als etwas ]3esonderes auffallen, die in dem Wir- kungsmechanismus der verschiedenen Medikamente zutage treten: Es heilt z B. unter Salvarsan und Antimon die Hodensyphilis der Kaninchen zieililich unvermit te l t aus, die Tumoren werden schnell kleiner, bleiben jedoch ffir ge- w6hnlich, solange sie palpabel sind, hart ; unter Wismut t r i t t dagegen eine allmiihliche Erweichung ein, die sich nach unseren Beobachtungen fiber Wochen hinziehen kann. In ~ihnlicher Weise klingen die Trypanosen bet M~usen und Rat ten unter Parafuchsin und Tryparosan vim pl6tzlicher ab, als unter Brillantgrfin und Pyoktanin (LEwY und GURE- WITSCH). Es greift eben das Wismut im Organismus an anderen Punkten ein als Salvarsan und Antimon, Brillant- grfin und Pyoktanin an anderen Punkten als Parafuehsin oder Tryparosan. DaB eine etwaige Festigkeit der Erreger sich nach diesem Angrif fspunkte richter, verstehtsich vonselbst.

Des weiteren wfirde das gew6hnliche Versagen der chemo- therapeutischen Prophylaxe begreiflich werden, wenn wir uns die ]3eteiligung der durch den Erreger alterierten Zelle an der Abwehr your Augen halten; denn diese Abwehr kann natfirlich nur dann in Aktion treten, wenn krankhafte Alte- ration und Behandlung zusammenfallen. Sobald die PrA- parate ausgeschieden sind, ist sie ausgeschaltet, und es ist gar nicht verwunderlich, wenn Atoxyl, prophylaktisch ge- geben, den Ablauf der Trypanosen h6chstens verz6gert (UHLENHUTH und WOITHE) oder Welln Neosalvarsan nur so lange gegen die spAtere Bartonelleninfektion entmilzter Rat ten schfitzt, wie es sich im K6rper aufhglt (MAYER, BORCHARDT und I~IKUTH).

Was nun das Interferenzph~nomen anbelangt, so ist es freilich bei unseren mangelnden Kenntnissen fiber biologische Vorg~nge aueh im Rahmen der Abwehrprozesse des Organis- mus noch nicht ill seinen Einzelheiten klar zu legen, doch erinnert es trotz aller Verschiedenheiten lebhaft an einen bekannten biologischen Vorgang, die Anaphylaxie: die Ober- empfindlichkeit, die nach der Vorbehandlung mi t EiweiB auftrit t , kann durch Applikation minimaler Dosen aufgehoben werden.

Wenn nach alldem die Festigkeit der Parasiten gegen die Behandlung als eine Festigkeit gegen die Abwehrvorg~inge im Organismus aufgefaBt werden soil, so ist es natfirlich u dab sich die fraglichen Parasiten auch wirklich in diesem Sinne festigen lassen. Diese M6glichkeit ist Wohl unbestreibar. Am klarsten zeigte das E. HERRMANN, als sie die Spirochaete ictero-haemorrhaglca in vi tro an das eigene Immunserum gew6hnte. Auch die Persistenz der Spiroch~iten in altsyphilitischen Kaninehen ist bier zu erwiihnen.

Besonders instruktiv ist in diesem Zusammenhange das schon einmal erwiihnte ]3eispiel jener Trypanosomen, die ziemlich hliufig in gesunden 1Ratten angetroffen werden (Tr. Lewisii]. Die Rat ten erkranken nicht, sind also gegen diese Trypanosomen immun. Das Vorliegen ether Immuni tg t gegen pathogene Erreger tiiBt sich beweisen, wenn man den Abwehrproze8 dutch Entmilzung st6rt; dann geht ein groBer Teil der Tiere unter lebhafter Vermehrung der Trypanosomen akut ein (REGENDANZ und TROPP). Die Trypanosomen halten sich ihrerseits ofienbar darum in den Ratten, well sie gegen die Immunstoffe gefestigt sind (UHLENHUTH). Nun ist es jedoch, wie erw~hnt, nicht m6glich, sie chemotherapeutisch zu beseitigen, sie sind also gleichzeitig arzneifest, Somit haben wit hier einen tats~chlichen ]3efund, in dem Arznei- festigkeit und Immunfestigkeit Hand in Hand gehen. Und wenn man nun als allgemeines Ergebnis der Untersuchungen SILBERSTEINS liest, dab Immunstoffe und Chemotherapeutica aller Wahrscheinlichkeit nach den Parasiten an derselben Stelle angreifen, dab Chemoceptor und Immunreceptor, die ja auch yon ]~HRLICH. KOLLE a. a. in enge Beziehung zueinander gesetzt werden, im Bindungsort identisch sind, dann ergibt sich doch eigentlich nur jener eine SchluB, der sich auch bet diesen Rattenversuchen aufdrAngt: daft die bet der Chemotherapie wirksamen Agenzien eben die Immun- stol]e sind. Wir k6nnen - - das zeigen die Differenzen im Wirkungsbereich aufs Deutlichste unm6glich an Anti- k6rpern und chemischen Priiparaten die gleiche t3indungs- spezifizitiit annehmen.

Jeden]alls sehen w~r aus aUedem, da]~ zur Deutung der vor- lgegenden experimenteUen Be]uncle die Annahme ether direkten Parasitocidie dutch die Chemotherapeutica selbst keineswegs er]orderlich ist. Vielmehr reihen sich gerade die indirekten Erkldrungsversuche ringsum in altvertraute biologische Vor- steUungen ein.

Um so lebhafter muB es bedauert werden, dab sich die hier vermutete direkte Beteiligung der K6rperzelle am chemotherapeutischen Effekt noch nicht mit genfigenden histolog;~schen Befunden belegen l~flt. Es ist wohl dem ver- hXngnisvollen EinfluB der Dogma gewordenen Hypothese yon der direkten Parasitocidie zuzuschreiben, dab sich die pathologische Histologie der Chemotherapie bisher so gut wie verschlossen hat. Is t doch noch nicht einmal die Ausheilung der Kaninchensyphilis histologisch bearbeitet worden, obwohl gerade hier die Differenzen zwischen der Arsen- und Wismut- wirkung und der spontanen Ausheilung zu solchen Unter- suchungen geradezu herausfordern. EbellSO bedfirfen jeneVor- g~nge, die das Angehen spiroch~tenreicher Hodensttickehen in altsyphilitischen Kaninchen verhindern, oder jene UIn- stellung d e r Meerschweinchenlunge unter Bismuto-Yatren, die die \u Erkrankung hintanh~lt, der histologischen Aufkl~rung. Vielleicht lieBe es sich auch histologisch erfassen, ob sich z. B. Salvarsan und Wismut in den gleichen Zellen des Organismus speichern. Erst wenn wit i2ber den Ablaul der cellul~ren Vorgd~nge unter dem Ein]lufl der verschiedenen Chemotherapeutica einigermaflen orientiert sind, werden wit uns i2ber den Mechanismus der Ausheilung klarere VorsteUungen machen k6nnen.

Derartige histologische und biologische Untersuchungen sind um so dringender, als es ganz often zugegeben werden muB, dal3 die praktische Chemotherapie yon der Chemo- ceptorentheorie kaum eine F6rderung erfahren hat. Die Versuche der Chemiker, die Chemoceptoren zu analysieren, sind fehlgeschlagen, und die Chemoceptorentheorie ist nut ein h6chst unglfickseliger MaBstab geworden, der so manchen praktisch v611ig bedeutungslosen Befund nur datum in das Bereich des Interessanten erhebt, weil er ihr widerspricht.

Ganz gewiB kann und will auch die Annahme der in- direkten Heilwirkung der chemischen Mitarbeit nicht ent- behren. Dazu ist die tats~chliche Bedeutung der chemischen Struktur der Pr~parate ffir den Heileffekt yon EHRLICH vim ZU sicher fundiert worden. Doch wird sie den Angri]]spunlct der wirksamen chemischen Gruppen in der KSrperzelle und nicht in den Parasiten suchen.

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Die Chemoceptorentheorie ist einen verh~ingnisvollen Weg gegangen, als sie die biologischen Vorg~inge des Organismus durchaus in die Vorstellungen des chemischei1 Laboratoriums hineinpressen wollte. GewiB haben chemische Prozesse aueh im Rahmen biologischer Vorg~inge eine hohe Bedeutung, doch bei allen Prozessen in vivo muB sich stets die ehemische Kon- struktion dem biologischen Denken unterordnen. Gewalt- samkeiten wie sie in den letztert Jahren im Namen der Chemo- ceptorentheorie verfibt wurden, erzeugen nur Gebilde, die zuguterletzt weder chemiseh noch biologisch vorstellbar sind.

VII. Bei dem Hinundwiderspiel chemischer und biologiseher

Vorg~nge, wie es die Chemoceptorentheorie treibt, ist es viel- leicht noch angebracht, auch yon biologiseher Seite aus den chemotherapeutischen Spezi]izit~tsbegrl]] zu beleuchten.

Wir nennen z. B. Salvarsan ein Spezifikum gegen Syphilis, es ist aber nicht das einzige antisyphilitische Spezificum: auch Quecksilber, Wismut und Anthnon beeinflussen die Lues in giinstigem Sinn. ~hnlich bei den Trypanosenl Bencidin-, Acridin-, Triphenylmethanfarbstoffe, Harnstoff- derivate, Arsen- und Arltimonpr~parate -- alle sind wirksam.

Und umgekehrt: ein Pr~parat wie Salvarsan beeinfluBt glelchzeitig Trypanosomen, Syphilis- und Recurrensspiro- ch~iten, Malariaplasmodien, 1V[ilzbrand- und Sehweinerotlauf- bacillen, das invisible Virus der Pferdebrustseuche die Bar- tonelleninfekfion der Rat ten - - freilich in siimtlichen F~illen nu t im KrankheitsprozeB, in vitro ist es wirkungslos.

Auf der anderen Seite vernichtet die Salvarsaninjektion ira Tierversuch zwar sltmtliehe Trypanosomen -- doch das Trypanosoma Lewisii nicht. Der Syphilis gegenfiber ist es im Menschen mindestens ebenso wirksam wie Atoxyl (nach den Ehrlichschen Theorien doeh wohl ein Beweis dafiir, dab es auch im 5ienschen die erforderliche Aufspaltung in wirk- sames Agenz erfithrt) -- trotzdem ist es bei der mensehliehen Schlafkrankheit dem Atoxyl welt unterlegen. Dabei l~iBt es sieh ira Kaninchen sowohl gegen die Pallida- wie gegen Trypano- someninfektionen mit gutem Erfolge verwenden. -- Ahnlich steht es um das Antimon. Es entfaltet in 1Vf~iusen und Rat ten eine hohe Wirkung gegen Trypanosomen, nur nichs gegen das Trypanosoma Lewisii. Gegen Recurrensspiroch~iten nutz t es nichts. Daffir heilt es die Kaninchensyphilis ebenso energisch aus wie Salvarsan. Im 1Vienschen ist es wiederum gegen Syphilis wirkungslos, gegen Leishmaniosen dagegen eines der besten Therapeutica. Auch gegen Piroplasmosen hat es sich bew~ihrt.

Ergibt dies alles nicht, sobald wit die direkte parasitocide Wirkung annehmen, einen heillosen Wirrwarr? Chemische Spezifizit~t, biologische Spezifit~it des Krankheitserregers, biologische Spezifizit,,it des erkrankten Organismus -- nichts will sich deckenl

So leitet uns auch der Spezifizitiitsbegriff zu cellul~iren Vorstellungen hin: die Chemotherapeutica wirken krankheits- spezi]iseh. Unter dieser Auffassung verstehen sich alle Dif- ferenzen innerhalb der einzelnen Krankheitserreger sowie inne rha~ der erkrankten Organismen ganz yon selbst, denn jede Krankheit n immt ihren eigenen Verlauf und ein und derselbe Erreger 16st bei den verschiedenen Tierarten verschie- dene Krankheitsprozesse aus. Es m6gen Ahnlichkeiten be- stehen, die es erm6glichen, den Tierversuch als weiten Rah- men ffir Modellversuche chemotherapeutischer Wirkung zu benutzen, doch immer werden wir es als ein besonderes Gltiek begrfiBen miissen, wenn ein 1V[edikament, das im Tierversuch heilt, auch dem 5{enschen dienlich ist; das zeigt das Versagen der Farbstoffe gegenfiber der Schlafkrankheit, das Versagen des Antimons gegenfiber der humanen Syphilis.

Nicht gegen den Krankheitserreger, sondern gegen den Krankheitsprozefi gilt es, das wirlcsamste Mittel zu linden, und in der Abwehrreaktion der unter der krankha]ten Reizung stehen- den Zelle muff man woht in erster Linie die Deutung der chemo- therapeutisehen Er]olge suchen.

Die Annahme einer Krankheitsspezifizit~it reiht nun die Chemotherapie, worauf ieh mir bereits vor Jahren hinzuweisem

erlaubte, zwanglos als H6hepunkt jener anderen Therapie an, die wir als ,,unspezifische" zu bezeichnen pflegen. In Wirk- Iichkeit gibt es gar keine v611ig ,,unspezifische" Therapie. Auch die sog. ,,unspezifi.schen" Therapeutica entfalten alle eine Sonderwirkung: Deuteroalbumose steigert die Anti- k6rperbildung in ganz anderem MaBe als Nucleins~iure (WEICHARDT und SCHRADER), bei chronischen Gelenkerkran- kungen wirkt Yatren welt gfinstiger als Milch u. dgl. (BIER und ZIMMER), syphilitische Tumoren k6nnen durch Deutero- albumose zum Aufflammen gebracht werden, durch Yatren nicht (W. SEIFFERT), und das Yatren selbst, an sich das Paradigma ,,unspezifischer" Heilmittel, wird gegen Am6ben- ruhr als Spezificum empfohlen (Mf3HLENS).

Umgekehrt wirken die sog. Chemotherapeutica auch un- spezifisch; Atoxyl regt die Agglutininbildung an (AGAzZI, NISSLE) und bef6rdert das Wachstum des M~usecarcinoms (UHLEN~UTH und H~_NDEL), Chinin ist ein ganz allgemeines Protoplasmagift, Trypanblau wirkt genau wie Tusche oder Pferdeserum auch gegen die orale Paratyphusinfektion der M~kuse (W. SEIFFERT) USW. Allen diesen PrAparaten ist eben eine allgemeine Wirkung und eine Sonderwirkung eigen; die- jenigen Pr~parate, deren Sonderwirkungen dem Arzte be- sonders dienlieh sind, bezeichnen wir ffir den Fall, indem sie wirken, als ,,spezifisches Chemotherapeuticum", auch dann, wenn sie gegen IO versehiedene Krankheiten verwendbar sind. Ihre spezifische Sonderwirkung verdanken sie wahrscheinlich jenen chemischen Gruppen, deren Bedeutung ftir den Heil- effekt EHRLICHS eingehende Untersuchungen aufgedeckt haben. Von der chemischen Struktur hlingt die Schnelligkeit der Aufnahme, die Intensit~it der Wirkung, die Dauer der Speicherung im Organismus ab.

de mehr es gelingt, die Beziehungen zwischere Medikament und KSrperzelle, insbesondere auch der erkrankten K6rperzelle, klarzulegen, um so eher wird sick voraussichtlich der Ausbau der so vielversprechenden Chemotherapie vollenden lassen. Gerade wo das eifrigste Trachten, direkte parasitocide Wir- kungen zu analysieren, yon keinerlei Erfolg begleitet worden ist, scheint der andere Weg doppelt verheiBungsvoll.

Schlu/3s~tze. I, Schon heute wird es allgemein anerkannt, dab an dem

chemotherapeutischen Effekt zahlreiche und bedeutungsvolle Reaktionen des Organismus selbst beteiligt sind. Die direkte Parasitocidie (EHRLICH) wird nu t noch als Tell der Gesamt- wirkung aufgefaBt. Damit erhebt sich die Frage, ob ihr fiber- haupt noch eine Gfiltigkeit zugesproehen werden kann.

2. Bewiesen ist die direkte Parasitocidie nicht. Die experi- mentellen Befunde, aus denen sie gefolgert wurde : der Paralle- lismus zwischen der Arzneifestigkeit der Krankheitserreger und der chemischen Struktur der Chemotherapeutica -- sind nacll den Ergebnissen der letzten Jahre nicht mehr gegeben. Die Arzneifestigkeit entspricht der chemischen Struktur der Pr~parate, gegen die sie sich zusammenfassend richten, keines- wegs.

3. Erforderlich zur Deutung irgendwelcher experimen- teller oder klinischer Befunde ist die Annahme einer direkten Parasitocidie ebenfalls nicht. Alle Befunde lassen sich auch aus der indirekten Abwehr der Krankheitsprozesse dutch den Organismus (UHLENHUTH) erkl~iren.

4. Die Annahme einer direkten Parasitocidie ist jedoch nicht nur unbewiesen und fiberflfissig, sie steht auch in direk- tem Widerspruch zu vielen experimentellen Tatsachen, zu unseren Spezifizit~itsbegriffen und zu unseren biologischen Vorstellungen.

5. Es wird darum der Versuch unternommen, die chelno- therapeutischen Heilerfolge ausschlieBlich auf eine Mobili- sierung des Organismus zurfickzuffihren und somit als Sonder- f~ille in den weiten Rahmen der sog. ,,unspezifischen" Therapie einzuordnen. Die besondere Wirksamkeit der Chemothera- peutiea gegentiber den ,,unspezifischen" Heilmitteln wird im AnschluB an EHRLICFI der besonderen chemisehen Struktur der Prkparate zugeschrieben, allerdings wird die Bedeutung dieser Struktur nur organotrop gewertet.