diagnostik von persönlichkeitsstörungen im jugendalter
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Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen
im Jugendalter
Luzern, 15.03.2019
Klaus SchmeckKinder- und Jugendpsychiatrische KlinikUniversitäre Psychiatrische Kliniken Basel
Stabilität und Verlauf von PS
• PS-Symptome
tauchen in späterer Kindheit und Jugend auf,
haben ihren Gipfel im jungen Erw.alter
nehmen dann wieder ab.
• Die kategoriale Stabilität von PS ist sowohl bei
Adoleszenten als auch Erwachsenen gering.
• Die dimensionale Stabilität ist mittelgradig.
• Remission (d.h. keine kategoriale Diagnose mehr)
muss aber nicht bedeuten, dass diese remittierten
Patienten gesund sind!
Grundlegende Irrtümer
1. Entwicklung spielt sich in Kindheit und Jugend ab und
ist mit dem 18. Lebensjahr weitgehend abgeschlossen
2. Persönlichkeitsstörungen sind unveränderbar
→ nicht therapierbar
→ lebenslanges Schicksal
→ Stigmatisierung bei Diagnose im Kindes- oder
Jugendalter
Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen
in verschiedenen Lebensabschnitten
Roberts & DelVecchio
Begrenzung durch Messfehler
Problem der (vermuteten) Stigmatisierung von PS
Fonagy (2015):
• PS sind unter unseren BerufskollegInnen hoch
stigmatisiert.
→ verbunden mit der Selbst-Stigmatisierung der Patienten
→ führt zur Verzögerung wirksamer Interventionen
→ führt zu falschen Diagnosen und iatrogener Schädigung
→ führt zu schlechterer Prognose und Chronifizierung
Cluster
Spezifische
Persönlichkeits-
Störungen
Symptome
Einteilung von Persönlichkeitsstörungen
Mangelnde Anpassungin Selbstregulation und interpersonellen Beziehungen
(durchgehend und überdauernd)
A B C
Paranoid
Schizoid
Schizotyp
Anankast.
Ängstl.verm.
Dependent
Borderline
Antisozial
Histrionisch
Narzisstisch
sensitiv
eifersüchtig
kalt
distanziert
affektarm
zwanghaft
perfektionist.
ängstlich
besorgt
klammernd
impulsiv
unverantwortlich
ausbeuterisch
verführerisch
arrogant
Beeinträchtigung
Persönlichkeits-
Struktur
Borderline-Persönlichkeitsstörung (DSM-IV /-5)
Allgemein: durchgehendes Muster von Instabilität in zwischen-menschlichen Beziehungen, Selbstbild und Gefühlen; ausgeprägte Impulsivität
Weiterhin müssen mindestens fünf der folgenden Kriterien erfüllt sein:
1. verzweifeltes Bemühen, Alleinsein zu verhindern
2. intensive, aber instabile zwischenmenschliche Beziehungen; Wechsel zwischen Überidealisierung und Entwertung
3. Identitätsstörung
4. Impulsivität bei mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Aktivitäten
5. wiederholte Suiziddrohungen oder –versuche, Selbstverletzungen
6. affektive Instabilität
7. chronisches Gefühl der Leere
8. übermäßig starke Wut; Unfähigkeit, Wut zu kontrollieren
9. dissoziative Symptome; stressabhängige paranoide Phantasien
Diagnose, wenn 5 von 9 Kriterien erfüllt sind
Alternatives Modell der Persönlichkeitsstörungen im DSM-5
Persönlichkeitsstörungen als Einschränkungen in den beiden
zentralen Funktionsbereichen:
1. „Selbst-bezogene Persönlichkeitsfunktionen“
(Identität und Selbstlenkung)
2. „Interpersonale Persönlichkeitsfunktionen“
(Empathie und Intimität)
8
Definition: Beeinträchtigung in selbstbezogenen und interpersonellen Persönlichkeitsfunktionenund Vorhandensein pathologischer Persönlichkeitstraits.
DSM-5Pathologische Persönlichkeits-Traits
| 914. März 2019Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch |
Negative
AffektivitätDissozialität
(Antagonism)mangelnde
Impuls-
kontrolle
(Disinhibition)
Distanziert-
heit
(Detachment)
Psychoti-
zismus
Vorgehen bei der Diagnose von PS (DSM-5 Kap.III)
Liegen Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsfunktionen vor?
A. „moderate or greater impairment“ in Persönlichk.funktionen (selbst/interpers.)
B. Ein oder mehrere pathologische Persönlichkeits-Traits?
Sind Kriterien für eine der 6 spezifischen PS erfüllt?
PS klassifizieren +
Schweregrad bestimmen
Profil mit 5 patholog. Persönlichk.traits und 25 Trait-Facetten
Kriterien für PD-TS erfüllt?
Patholog.Traits bestimmen
Fa
lls f
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ll-K
on
ze
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ich
Fallbeispiel
www.capmh.com
Persönlichkeitsstörungen PTT. 18(1):6-15
Konzeptualisierung von PS im ICD-11:Kategoriale Klassifikation eines dimensionalen Konstrukts
(WHO, 2018)
| 1314. März 2019Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch |
Keine
Persönlichk.
pathologie
Persönlichk.
Schwierig-
keiten
Leichte
Persönlichk.
störung
Mittelgrad.
Persönlichk.
störung
Schwere
Persönlichk.
störung
Keine PS-Diagnose PS-Diagnose
Konzeptualisierung von PS im ICD-11:Die Art der Persönlichkeitsstörung wird durch die Ausprägung von Persönlichkeits-Traits bestimmt.
| 1414. März 2019Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch |
Negative
EmotionalitätDissozialität mangelnde
Impuls-
kontrolle
(Disinhibition)
Zwang-
haftigkeit
(Anankastia)
Distanziert-
heit
(Detachment)
«PS-Profil»
Assessment of Identity Development in Adolescence
AIDA Assessment of Identity Development in Adolescence
(Goth et al., 2012)
Diskontinuität
InkohärenzKohärenz
Kontinuität
ID-Integration
gesund
ID-Diffusion
PS
?
?
AIDA Mittelwerte im Vergleich zwischen Diagnosegruppen und Normpopulation
| 1714. März 2019Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch |
0
20
40
60
80
100
120
140
BPS PS INT EXT NORM Gesund
d=3.7
AIDA-Fallbeispiel: zwei 16jährige Jungen
| 18 14. März 2019
Pat. 1 nur 2 Sub-
skalen im durch-
schnittl. Bereich
Pat. 2 Alle Skalen
im durchschnitt-lichen Bereich
Inkohärenz
i1: Konsistentes Selbst
I2: Autonomie
I3: kogn. Selbstreflektion
Diskontinuität
d1: Stabilität in Eigenschaften
d2: Stabilität in Rollen/Beziehungen
d3: emotionale Selbstreflektion
D…D…
20
25
30
35
40
45
50
55
60
65
70
75
80T
-Sco
res
Phänotyp: beide nach aussen sehr selbstsicher, prätentiös, oberflächlich
Pat. 1: narzisstische PS + Depression Pat. 2: ADHD
AIDA-Fallbeispiel: 15-jährige Adoleszente
Symptomatik:
› Selbstverletzendes Verhalten
(Ritzen)
› Akute Schulprobleme
› Affekt-Dysregulation (heftige
Gefühlsschwankungen)
› Trennungsängstlichkeit von der Mutter
Äussere Erscheinung: schwarze Kleider,
schwarze Haare, schwarzer Lippenstift
und Nagellack, Piercing.
Auf der Symptomebene erfüllte sie die
Kriterien einer grenzwertigen BPS
(4 von 9 Kriterien)
| 19
20
25
30
35
40
45
50
55
60
65
70
75
80
48
41
57
46
39
32
45 45
T-W
ert
e
Diagnostik:
› Klare und kohärente
Selbstbeschreibung
› Kohärente und differenzierte
Beschreibung von bedeutsamen
Anderen
› Sichere Beziehungen zu peers
und Eltern
› klare Vorstellung von der Zukunft
› Verwirrung über die Veränderung
(ich bin total anders als früher)
und Wunsch nach Änderung
2024.03.2017Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch |
LoPF-Q 12-18 Level of Personality Functioning(Goth, Birkhölzer, Schmeck, 2016; 2018)
A I : Identität
Ich-Integration vs. Ich-Diffusion
A. Selbst-bezogene PF Intrapersonale Pathologie
B. Sozial-bezogene PF Interpersonale Pathologie
A II : Selbst-lenkung
Selbstverwirk-lichung vs. Willens-pathologie
B I : Intimität / Bindung
Persönliche vs. beeinträchtigte nahe Bezieh. (nah vs fern)
B II : Empathie / Sozialverhalten
Prosoziale vs. beeinträchtigte Sozialfunktionen (warm vs kalt)
Vier zentrale Persönlichkeitsfunktionen (PF) definieren im DSM-5 die Kernbeeinträchtigungen, die Persönlichkeitsstörungen grundlegend kennzeichnen sollen (Kriterium A).
Dysfunktionale Persönlichkeitsstrukturen – Das LoPF-Modell
| 2214. März 2019Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch |
2324.03.2017Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch |
Vier Achsen (Dimensionen)
1. Beziehung
2. Konflikt
3. Struktur
4. Behandlungsvoraussetzungen
Achse “Struktur” (DSM-5)
› Steuerung (Self-Direction)
› Identität (Identity)
› Interpersonalität (Empathy)
› Bindung (Intimacy)
OPD-KJ-2 Operationalisierte PsychodynamischeDiagnostik im Kindes- und Jugendalter
(Resch, Romer, Schmeck und die OPD-KJ-2 Taskforce, 2016)
Persönlichkeitsfunktionen
| 25 14. März 2019Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch |
academic-tests.com
| 2614. März 2019Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch |
Basler Sprechstunde zur Früherkennung von
Persönlichkeitsstörungen
Verwendete Verfahren:
1. Semi-strukturiertes Interview SKID-II
2. MINI Internationales Neuropsychiatrisches Interview (M.I.N.I.-KID)
3. Junior Temperament und Charakter Inventar JTCI 12-18 R
4. Levels of Personality Functioning (LoPF Q 12-18)
5. Assessment of Identity Development in Adolescence (AIDA)
6. Beck-Depressions-Inventar (BDI-II)
7. Youth Self Report (YSR) und Child Behavior Checklist (CBCL)
8. Childhood Trauma Questionnaire (CTQ)
2924.03.2017Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch |
Andrew Chanen, Carla Sharp, Perry Hoffman and the Global Alliance for Prevention and Early Intervention for Borderline Personality Disorder
Prevention and early intervention for borderline personality disorder: a public health priority
World Psychiatry (2017)
3014.03.2019Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch |
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!