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1 Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik in den 1960er Jah- ren. 1 I. Ein eigener Mythos. Die "1968er"-Bewegung 2 war international, hatte ihren Ausgang in den USA genommen 3 und Anlässe des Protests in jedem Land gefunden, das von ihr erreicht wurde. Gemeinsam war den verschiedenen "1968er"-Bewegungen der Charakter des Generationenprotests ei- ner bürgerlichen, universitär gebildeten Jugend 4 ; länderspezifisch waren die Themen des Protests. In der Bundesrepublik war die nationalsozialistische Vergangenheit ein Hauptt- hema und "Faschismus" sozusagen das dritte Wort. Ein seit allerfrühester Nachkriegszeit von publizistischen und politischen Minderheiten geäußertes Unbehagen an einer nicht vollzogenen, weil nicht gewollten Entnazifizierung gipfelte "1968" auf und hatte die stu- dentischen Massen erreicht. Wenn vom Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundes- republik in den 1960er Jahren gehandelt werden soll, wird also von den "1968ern" die Re- de sein müssen, ohne freilich dem Irrtum zu verfallen, es hätte vor der Studentenbewegung an erbitterten Klagen über das Hineinragen der NS-Zeit in die Bundesrepublik gefehlt. Die Veränderungsdynamik der 1960er Jahre ist mit der Bemerkung kommentiert worden, das Deutschland der 1950er Jahre habe dem 19. Jahrhundert nähergestanden als dem Jahre 1968. 5 Für die deutschen Protagonisten gilt 1968 als Schaltjahr, in dem die Republik auf Modernität datiert wurde: Ist nicht die Bundesrepublik durch die "1968er" zu einem mo- dernen und liberalen Land geworden, ja, erscheint die "1968er"-Generation nicht als geis- tig-kulturelle Avantgarde und neue Reflexionselite, die Deutschland-West vor seiner nati- onalsozialistischen Vergangenheit gerettet hat, indem sie die Gegenwart dieser Vergan- genheit bewußt machte und darauf hinwies, "daß nahezu alle westdeutschen Eliten durch- webt waren von dem Mitläufern und Mittätern des Adolf Hitler"? 6 Es wurden erregte Fa- schismusdebatten geführt, deren Zweck "nicht nur das Interesse an einer Erklärung der na- tionalsozialistischen Vergangenheit, sondern (...) auch die Anklage der Gesellschaft der 1 Publ. in: Axel Schildt, Detlef Siegfried, Karl Christian Lammers (Hg.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000 (Hamburger Schriften für Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 37), S.114-147 2 Ich bediene mich der Ausdrücke "1968" oder "68er"-Bewegung als einem Etikett für eine große und medial vermittelte Protest- und Erneuerungsbewegung mit vorwiegend studentischen Akteuren, ohne damit den re- alhistorischen Prozeß etwa auf dieses Jahr zu beschränken. 3 Siehe: Ingrid Gilcher-Holtey (Hg.), 1968. Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, Göt- tingen 1998 (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 17). 4 Siehe: Eric Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Mnchn., Wien 5 1997, S.358. 5 Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Ffm. 1992, S.532. 6 Joschka Fischer, Ein magisches Jahr, in: Spiegel special, 9/1998, S.59-61, S.60.

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Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik in den 1960er Jah-ren.1

I. Ein eigener Mythos.

Die "1968er"-Bewegung2 war international, hatte ihren Ausgang in den USA genommen3 und Anlässe des Protests in jedem Land gefunden, das von ihr erreicht wurde. Gemeinsam war den verschiedenen "1968er"-Bewegungen der Charakter des Generationenprotests ei-ner bürgerlichen, universitär gebildeten Jugend4; länderspezifisch waren die Themen des Protests. In der Bundesrepublik war die nationalsozialistische Vergangenheit ein Hauptt-hema und "Faschismus" sozusagen das dritte Wort. Ein seit allerfrühester Nachkriegszeit von publizistischen und politischen Minderheiten geäußertes Unbehagen an einer nicht vollzogenen, weil nicht gewollten Entnazifizierung gipfelte "1968" auf und hatte die stu-dentischen Massen erreicht. Wenn vom Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundes-republik in den 1960er Jahren gehandelt werden soll, wird also von den "1968ern" die Re-de sein müssen, ohne freilich dem Irrtum zu verfallen, es hätte vor der Studentenbewegung an erbitterten Klagen über das Hineinragen der NS-Zeit in die Bundesrepublik gefehlt. Die Veränderungsdynamik der 1960er Jahre ist mit der Bemerkung kommentiert worden, das Deutschland der 1950er Jahre habe dem 19. Jahrhundert nähergestanden als dem Jahre 1968.5 Für die deutschen Protagonisten gilt 1968 als Schaltjahr, in dem die Republik auf Modernität datiert wurde: Ist nicht die Bundesrepublik durch die "1968er" zu einem mo-dernen und liberalen Land geworden, ja, erscheint die "1968er"-Generation nicht als geis-tig-kulturelle Avantgarde und neue Reflexionselite, die Deutschland-West vor seiner nati-onalsozialistischen Vergangenheit gerettet hat, indem sie die Gegenwart dieser Vergan-genheit bewußt machte und darauf hinwies, "daß nahezu alle westdeutschen Eliten durch-webt waren von dem Mitläufern und Mittätern des Adolf Hitler"?6 Es wurden erregte Fa-schismusdebatten geführt, deren Zweck "nicht nur das Interesse an einer Erklärung der na-tionalsozialistischen Vergangenheit, sondern (...) auch die Anklage der Gesellschaft der

1 Publ. in: Axel Schildt, Detlef Siegfried, Karl Christian Lammers (Hg.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre

in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000 (Hamburger Schriften für Sozial- und Zeitgeschichte,

Bd. 37), S.114-147 2 Ich bediene mich der Ausdrücke "1968" oder "68er"-Bewegung als einem Etikett für eine große und medial

vermittelte Protest- und Erneuerungsbewegung mit vorwiegend studentischen Akteuren, ohne damit den re-alhistorischen Prozeß etwa auf dieses Jahr zu beschränken. 3 Siehe: Ingrid Gilcher-Holtey (Hg.), 1968. Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, Göt-

tingen 1998 (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 17). 4 Siehe: Eric Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Mnchn., Wien

51997, S.358. 5 Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Ffm. 1992, S.532.

6 Joschka Fischer, Ein magisches Jahr, in: Spiegel special, 9/1998, S.59-61, S.60.

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Gegenwart mit kapitalistischen Strukturen und 'faschistoiden' Dispositionen bildete".7 An-ti-Faschismus gehörte zu den Antriebskräften der außerparlamentarischen Opposition8; Faschismusthema und Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, vor allem seinem personalen wie strukturellen Fortwirken, waren für die Studentenbewegung der 1960er Jahre "konstitutiv"9 und bildeten den kleinsten gemeinsamen Nenner einer vielgestaltigen Bewegung. In ihr ist der "Antifaschismus" ein Faden, aber es ist der rote Faden. Argu-mentgeschichtlich läßt sich auf den "1968er"-Antifaschismus noch die patzige Abfuhr an den ehemaligen Weltkriegsoffizier Helmut Schmidt zurückführen, mit seinen gepriesenen Sekundärtugenden Pflicht und Leistung könne man "ein KZ betreiben".10 Der durch das Symboljahr 1968 markierte Bruch zwischen den Generationen, so lesen wir11, sei in der Bundesrepublik und West-Berlin von der Auseinandersetzung mit der na-tionalsozialistischen Vergangenheit der Eltern "befeuert" worden und habe bei den Jünge-ren damaliger Zeit zu einer antifaschistischen Grund-Orientierung geführt. Zu dieser "Be-feuerung" trug die für die Nachkriegszeit einmalige Generationenlagerung unzweifelhaft bei.12 Sie war bis Mitte der 1960er Jahre durch Überalterung und einen sehr hohen Anteil Sechzigjähriger geprägt, also durch Menschen, die häufig im Nationalsozialismus Karriere gemacht hatten und in der Bundesrepublik der APO-Zeit zum "Establishment"13 gezählt wurden. Ab 1960 schoben sich die Zwanzigjährigen statistisch nach vorne; mithin ist für die Zeit um 1970 ein außergewöhnlich hoher Anteil Dreißigjähriger kennzeichnend, und dieser Gruppe gelang in relativ niedrigem Alter die berufliche Etablierung - sie war im richtigen Kondratieff -, wogegen für die Jahre bis etwa 2025 von einer zunehmenden Al-terslastigkeit der deutschen Gesellschaft auszugehen ist.14

7 Hans-Ulrich Thamer, Die NS-Vergangenheit im politischen Diskurs der 68er-Bewegung, in: Der gesell-

schaftliche Ort der 68er-Bewegung (Westfälische Forschungen 48/1998), S.39-53, S.39. 8 Nina Grunenberg, Der verspätete Anti-Faschismus und die 68er: die BRD, in: Dies., Antifaschismus - ein

deutscher Mythos, Reinbek 1993, S.145-170, S.145. 9 Christel Hopf, Das Faschismusthema in der Studentenbewegung und in der Soziologie, in: Heinz Bude,

Martin Kohli (Hg.), Radikalisierte Aufklärung. Studentenbewegung und Soziologie in Berlin 1965 bis 1970, Weinheim u. Mnchn. 1989, S.71-86, S.71. 10

Cora Stephan, Der Betroffenheitskult. Eine politische Sittengeschichte, Bln. 1993, S.104. 11

Ebd., S.102. 12

Siehe: Heinz Bude, The German Kriegskinder: Origins and Impact of the Generation of 1968, in: Mark Roseman (Hg.), Generations in Conflict. Youth Revolte and Generation Formation in Germany 1770 - 1968, Cambridge 1995, S.290-305. 13

Ein zeitgenössischer Terminus, der hier fortan in demselben Sinn gebraucht werden soll wie um 1968: Deckbegriff für das etablierte, veränderungsfeindlich-verstockte und zu großen Teilen NS-verstrickte Bürger-tum. 14

Rainer Mackensen, Bevölkerung und Gesellschaft in Deutschland. Die Entwicklung 1945 - 1978, in: Joachim Matthes (Hg.), Sozialer Wandel in Westeuropa. Verhandlungen des 19. Deutschen Soziologentages 1979, Ffm., New York, 1979, S.443-465, S.458, S.461. Diese bevölkerungsstatistische Tatsache erklärt mit, warum es Post-"1968ern" - auch dem Verf. - nicht immer leicht fällt, über "1968er" zu schreiben. Heinz Bude erläutert: "The fact that immediately after this generation employment opportunities were in effect doubly hit, first because the expansion of jobs came to a rapid end, and secondly because so many of the men in senior positions were relatively young, explains why the members of 1968 generation are not particularly

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Noch der am ehesten auf das pure Jung-sein der Protestierenden bezogene Slogan "Trau keinem über dreißig" hatte seine Pointe in der Wahrscheinlichkeit einer NS-Verstrickung der über Dreißigjährigen.15 So ist es sinnvoll, von der "Befeuerung" durch die Generatio-nenlagerung zu sprechen, aber das Erklärungselement "Generationenkonflikt" verfehlt und vernebelt die historische Situation, wenn monokausal behauptet wird, es hätte sich bei der "1968er"-Bewegung einschließlich der Thematisierung der NS-Zeit um nichts als einen "Generationenkonflikt" gehandelt. Damit würde die politische mit der biologischen Bühne vertauscht und ein aufrichtiges politisches Anliegen eskamotiert.16 Das gilt ebenso für die Überlegung, ob studentische Aktionsformen der 1960er Jahre - Sit-in und Go-in als Ter-rainverhalten; Niederbrüllen und Charivari als Rügebrauchtum und Provokationsritual - nicht typische und traditionelle Erscheinungen jugendlich-viriler Aufsässigkeit sind.17 Inzwischen gewinnt die Auffassung an Boden, die "1968" entstandene Mentalität sei "eine der Negation und des Vaterhasses (...), häßliche Frucht aus der Vereinigung eines verord-neten mit einem libertären bis psychopathischen Antifaschismus"18; die Bewegung von 1968 - so eine weitere Stimme19 - habe es eben "nicht mit einem ingrimmig vormund-schaftlichen Staat zu tun" gehabt, "so daß sie sich weithin ins Leere und bisweilen ins Lä-cherliche verlor". Halten wir dagegen fest: Für das "antifaschistische" Anliegen der "1968er" - einschließlich manch greller Eristik und übertreibender Aufdeckungsbegierde - gab es Ursachen, die nicht mit dem Hinweis auf die Nöte Halberwachsener und ihrer Ge-nerations- und Väterkonflikte abgetan werden können.20 Ein studentischer Engagé der 1960er Jahre - versetzen wir uns 'historistisch' in dessen Wahrnehmungshorizont - konnte

well loved by the generation that followed them." (Heinz Bude, The German Kriegskinder, a.a.O, S.298.) Die kaustische Pointierung dieses Arguments liefert ein 1968 geborener Politikwissenschaftler und damit "1968er"-Verlierer: "Dabei wollten sie (die "1968er"/B.-A.R.) alles verändern: das Denken, die Gesellschaft, den Staat. Leidenschaftlich interessiert hat sie jedoch vor allem der Verwaltungsapparat. A 16, B 2, C 4, das sind die Beutetrophäen ihres revolutionären Marsches." (Lutz Meyer, Ergraute Weltverbesserer, in: Die Zeit, 14.3.1997.) 15

Deutsches Literaturarchiv, Protest! Literatur um 1968, Marbach 1998 (Marbacher Kataloge 51), S.49 f. 16

Allerdings hat vor einiger Zeit ein "1968er"-Veteran in einer unsäglichen Erzählung das Berliner Apo-Geschehen vollkommen unter den Aspekt des Pubertären und Unerledigt-Menschlichen gezwungen. (Siehe: Friedrich Christian Delius, Amerikahaus und der Tanz der Frauen, Reinbek 1997.) 17

Siehe: Bernd-A. Rusinek, Das Glück der Provokation. Gewalt in historischen Jugendkulturen. In: Wilfried Breyvogel (Hg.), Lust auf Randale. Jugendliche Gewalt gegen Fremde, Bonn 1993, S.83-105. 18

Botho Strauß, Anschwellender Bocksgesang, in: Spiegel 6/1993, S.202-207, S.204. 19

Christian Graf von Krockow, Von deutschen Mythen. Rückblick und Ausblick, Stgt. 1995, S.201. 20

"Jugend", so rief dagegen Schelsky im "Unreife"-Kapitel seines Ernst-Bloch-Verrisses aus, sei Not des Erwachsenwerdens, Zurückträumen in die Heimat der Familie und des "gelebten Mutterschoßes" (sic!), und in "diese (...) Rückwärtsorientierung von Jugendhoffnungen fügt sich der marxistische Jugendprotest der End-60er/Anfang-70er Jahre in der Bundesrepublik und darüber hinaus im ganzen Westen folgerichtig ein". (Helmut Schelsky, Die Hoffnung Blochs. Kritik der marxistischen Existenzphilosophie eines Jugendbeweg-ten, Stgt. 1979, S.115 f.) Neben Volksverhetzung im Stile der Springer-Presse wurde Schelsky in einer Re-zension seines Ernst-Bloch-Buches vorgeworfen, es nicht ertragen zu können, daß sich dessen "skeptische Generation" 1967/68 als das entpuppt habe, was sie sei: "als ideologisches Wirtschaftswunder-Wunschgebilde". (Hans-Martin Lohmann, Das sogenannte Prinzip Erfahrung. Helmut Schelsky merkwürdige Beschäftigung mit Ernst Bloch, in: Frankfurter Rundschau, 21.7.1978.)

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eine ganze Reihe von Gründen herzählen, sich vom "Faschismus" und von "Faschisten" geradezu umzingelt zu fühlen. Dazu gehörten: - Das Kleinschreiben der NS-Vergangenheit; - die nicht endenden Skandale um ehemalige Nationalsozialisten in bundesdeutschen Füh-rungspositionen, nicht zuletzt im universitären Milieu der 1950er und 1960er Jahre; - Ludwig Erhards "Pinscher"-Vorwurf an die Adresse der Intellektuellen und seine nim-mermüden "Maßhalte"-Appelle, - die geplanten Notstandsgesetze21, die man gern "NS-Gesetze" abkürzte22; - ab 1966 eine Große Koalition mit miniaturisierter parlamentarischer Opposition; - das Wiedererstarken des Rechtsradikalismus; - der Krieg in Vietnam, bei dem sich die westliche Führungsmacht in der nämlichen Weise als Völkermörder verhalten würde wie einstmals NS-Wehrmacht und SS23; - die Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit Diktatoren wie Tschombé24 und den grie-chischen Obristen25. Wer nach "faschistischen" Strukturen, Netzwerken und Akteuren - "Strukturnazis"26 - in führenden Stellungen suchte, wurde schnell fündig. Der studentische Engagé der 1960er Jahre hatte das Personal des Nationalsozialismus auf Schritt und Tritt vor Augen; das aber, verbunden mit der Selbstgerechtigkeit des bundesdeutschen Establishments, ließ einen Hang zur Entlarvung und Personalisierung entstehen. Auf der Seite der Verklagten war die rhetorische Routine des Hinweises auf "Ostzonenpropaganda" ungeeignet, die kritischen Studierenden zu beruhigen. Der 2. Juni 1967 erzeugte bei vielen studentenbewegten Akt-euren ebenso das Gefühl, sich bereits im "Notstand" zu befinden27, wie der 11. April 1968 - eine Woche nach dem Mord an Martin Luther King in Memphis -, als ein rechtsradikaler Jungarbeiter das beinahe tödliche Attentat auf Rudi Dutschke verübte.

21

Siehe allgemein: Michael Schneider, Demokratie in Gefahr? Der Konflikt um die Notstandsgesetze: Sozi-aldemokratie, Gewerkschaften und intellektueller Protest (1958-1968), Bonn 1986. 22

Siehe: Arnulf Baring (in Zusammenarbeit mit Manfred Görtemaker), Machtwechsel. Die Ära Brandt-Scheel, Stgt., 1982, S.97. 23

Diese anti-amerikanische Aversion erinnert streckenweise an die rechte und konservative Zivilisa-tionskritik der Weimarer Zeit sowie an die Dreck-am-Stecken-Vorwürfe deutscher Rechter nach 1945, um den USA die moralische Kompetenz für Re-education und Verurteilung deutscher Kriegsverbrecher abzu-sprechen. 24

Siehe das Flugblatt vom Dezember 1964: "Was hat der Mörder Tschombé bei uns zu suchen?", abgedr. in: Jürgen Miermeister, Jochen Staadt (Hg.), Provokationen. Die Studenten- und Jugendrevolte in ihren Flugblät-tern 1965 - 1971, Darmstadt 1980, S.74 f. Darin heißt es u.a.: "Der exclusive Rhein-Ruhr-Club, der seinerzeit Hitler finanzierte (...), entblödete sich nicht, den Mörder Lumumbas zu einem Vortrag einzuladen (...)" 25

Über die Trauergäste bei der Beerdigung Konrad Adenauers schrieb der Bonner SDS: "Welche Grüße überbringt der Vertreter des neuen griechischen Terrorregimes? Die der 10.000 KZ-Häftlinge?" (Siehe: "Nachruf", abgedr. in: Ebd., S.45 f.) 26

Gerhard Fels, Der Aufruhr der 68er. Zu den geistigen Grundlagen der Studentenbewegung und der RAF, Bonn 1998, S.19. 27

Pavel A. Richter, Die Außerparlamentarische Opposition in der Bundesrepublik Deutschland 1966 bis 1968, in: Ingrid Gilcher-Holtey (Hg.), 1968, a.a.O., S.35-55, S.48.

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Trotzdem der mit viel Nostalgie gefeierte "Mythos der 68er Generation (...) einer ihrer großen Erfolge ist"28, sollten wir die Ernsthaftigkeit des antifaschistischen Anliegens in den Jahren um 1968 unterstellen, aber davon "Faschismus"-Vorwürfe späterer Zeit unter-scheiden, die zur rhetorischen Leier verkamen und den nationalsozialistischen Unrechts- und Vernichtungsstaat objektiv bagatellisierten. Dafür drei Beispiele: - Die Bezeichnung von Fahrscheinkontrollen im öffentlichen Nahverkehr als "tendenziell faschistisch"29; - Alfred Anderschs 1975 publiziertes Gedicht "Artikel 3 (3)", worin die "Berufsverbote" mit Auschwitz gleichgesetzt wurden ("das neue kz ist schon errichtet / die radikalen sind ausgeschlossen / vom öffentlichen dienst / also eingeschlossen / ins lager / (...) / ein geruch breitet sich aus / der geruch einer maschine / die gas erzeugt"30); - 1977 die Stiftung eines Zusammenhangs von Widerstand gegen das NS-Regime und Wi-derstand gegen die Kernenergie-Nutzung in der Bundesrepublik, indem Robert Jungk sein Anti-Kernenergie-Buch "Der Atomstaat" keinem anderen als Eugen Kogon widmete, dem Verfasser des Standardwerkes "Der SS-Staat"31. In einem 1968 populären Song wurden die Maßhalte-Appelle Ludwig Erhards als schein-heilige Phraseologie der Aufbau-Generation dargestellt und an die NS-Zeit zurückgebun-den: "Ja, der alte Notar Bolamus, der hat sich gut durch die Zeit gebracht, weil: er war immer ein bißchen dafür und ein bißchen dagegen, und er gab immer acht. 'Nur Auschwitz', sagt er, 'das war ein bißchen zu viel.' Und er zitiert seinen Wahlspruch: 'Alles mit Maß und mit Ziel'."32 Am 3. Juni 1967, einen Tag nach dem gewaltsamen Tod von Benno Ohnesorg, sprach der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer, ein Lieblingsordinarius der "1968er", den vier-tausend versammelten Berliner FU-Studierenden aus dem Herzen, als er ausführte, die stu-dentische Jugend werde das Aufkommen des Faschismus heute nicht mehr so gleichgültig hinnehmen wie 35 Jahre zuvor.33

28

Konrad H. Jarausch, Deutsche Studenten 1800 - 1970, Ffm. 1984, S.236. Das 1968er-Kapitel in Cora Ste-phans "Betroffenheitskult" trägt den Titel "Arbeit am Mythos". (Cora Stephan, Der Betroffenheitskult, a.a.O, S.77-119.) 29

Ebd., S.104. 30

Alfred Andersch, Artikel 3 (3), in: Ders., empört euch der himmel ist blau. Gedichte und Nachdichtungen 1946 - 1977, Zürich 1977, S.109-114, S.114. 31

Robert Jungk, Der Atom-Staat, Mnchn. 1977, S.V. 32

Franz Josef Degenhardt (geb. 1931), "Notar Bolamus" (1967). Transkription von der Schallplatten-aufnahme. 33

FU-Spiegel 58, Juni 1967, Sondernummer, zit.n.: Christel Hopf, Faschismusthema, a.a.O., S.73. An der

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Die Entstehung des damit propagierten neuen Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit - sowohl mit der seit Bestehen als strukturell NS-verstrickt angeklagten bundesdeutschen Gesellschaftsformation wie auch mit dem schamlos-unbelehrbaren Trei-ben einstiger Nationalsozialisten in dieser Gesellschaft - wird in diesem Beitrag rekonstru-iert und gewürdigt. Nicht von oben herab zu taxieren, sondern am Material panoramatisch zu entfalten ist, ob wir es mit einem "libertären bis psychopathischen Antifaschismus" zu tun haben oder - wofür hier plädiert wird - für dessen historische Herleitung besser auf den psychiatrisierenden Jargon verzichten. Wir werden sehen, daß die Sensibilität und Heuristik bezüglich der nationalsozialistischen Vergangenheit und ihres Weiterwirkens nicht erst "1968" entstand, sondern Ende der 1950er Jahre vollständig entwickelt war. Al-lein - sie hatte damals nicht die Diskursherrschaft erlangen können. Die Diskursblockade beendet zu haben, kann als Verdienst der "1968er" und ihrer medienwirksamen, spektakel-haften Kreativität angesehen werden. Wir werden uns auf die Universitätssituation und auf die von Intellektuellen gelesenen Zeitschriften konzentrieren, wenn von der "1968er"-Bewegung und ihrem Vorlauf die Rede ist. Diese Bewegung war in der Bundesrepublik zuvörderst ein Universitätsphänomen.34 Die Kritik an der nationalsozialistischen Erblast der deutschen Universität, bei der sich schnell herausstellte, daß 'Bewältigung' des Natio-nalsozialismus genauso viel mit der Vergangenheit wie mit der Gegenwart zu tun hatte, wurde bis zum Beginn der großen "Ringvorlesungen"35 1964 in der Regel nicht von innen heraus und aus den Universitäten formuliert, sondern von außen angestoßen, teils tatsäch-lich aus dem Ausland, teils von zwei Blättern mit Pionierverdiensten, auf deren Berichte im folgenden immer wieder zurückzugreifen ist: "Spiegel" und "Zeit". Bei den "1968er"-Fächern ragen Soziologie36 und Germanistik hervor, nicht aber die Ge-schichtswissenschaft. Sie, auf die aus aktuellem Anlaß in diesem Beitrag verschiedentlich eingegangen wird, hat sich im Gegensatz zu den beiden anderen genannten Disziplinen in den 1960er Jahren nicht zum Massen-, Mode- und Gesellschaftsveränderungsfach entwi-ckelt. Es wird hier die Auffassung vertreten, daß die Germanistik37 und ihr publizistisches

bemerkenswerten Verkennung der Rolle von Studenten und ihren Organisationen im Prozeß der natio-nalsozialistischen "Machtergreifung", die Gollwitzers Formulierung "gleichgültig hinnehmen" dokumentiert, sei hier vorbeigegangen. 34

Der Zustrom von Arbeitern und Jungarbeitern zur APO in der Phase nach dem 2. Juni 1967 (Erschießung von Benno Ohnesorg) war eher Wunsch als Wirklichkeit: "And yet, when it (SDS/B.-A.R.) mounted its chal-lenge to the gouvernment it found, in contradistinction to France, that the working class was not there to sup-port it." (Ronald Fraser, 1968. A Student Generation in Revolt, London 1988, S.234.) 35

Zu den "Ringvorlesungen" siehe den Beitrag XXXXXXXXX in diesem Band. 36

Der Soziologie, insbesondere der "Frankfurter Schule", ist in diesem Band ein eigener Beitrag gewidmet, siehe: XXXXXXXXX. 37

Siehe als Überblicksdarstellungen und Einführungen: Wilfried Barner, Christoph König (Hg.), Zei-tenwechsel. Germanistische Literaturwissenschaft vor und nach 1945, Ffm. 1996; Petra Boden, Rainer Ro-senberg (Hg.), Deutsche Literaturwissenschaft 1945-1965. Fallstudien zu Institutionen, Diskursen, Personen, Bln. 1997; Karl Otto Conrady, Völkisch-nationale Germanistik in Köln. Eine unfestliche Erinnerung, Schern-feld 1990; ders., Literatur und Germanistik als Herausforderung. Skizzen und Stellungnahmen, Ffm. 1974; Jost Hermand, Geschichte der Germanistik, Reinbek 1994, sowie das auf die Debatten der 1960er Jahre

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Umfeld eine herausragende Rolle bei der Entstehung des neuen Redens über den Faschis-mus gespielt hat - altmodisch geredet: das literarische und künstlerische Leben im weiten Sinne und einschließlich des Films. Auf die "deutsche Wissenschaft"38, auf die Literatur und die Literaten ist daher ein genauerer Blick zu werfen. Was die Präponderanz der Literaten, der Literatur und der Literaturwissenschaft für die Aufarbeitung der braunen Hochschulvergangenheit und der fadenscheinig übertünchten Hochschulgegenwart betrifft und damit das Fundament des "1968er"-Umgangs mit der na-tionalsozialistischen Erblast, so ist darauf hinzuweisen, daß die bundesdeutschen Pioniere dieser Aufarbeitung vorwiegend selbst ausgebildete Philologen und Germanisten gewesen sind und zur literarischen Szenerie gehörten. Dazu zählten etwa Walter Boehlich, Jonas Fränkel39, Walter Jens, Rudolf Walter Leonhardt, Ernst Loewy40, Hans Werner Richter, Franz Schonauer41. Die Protagonisten des kritischen Faschismus-Diskurses seit Ende der 1950er Jahre waren mit der Germanistik sowie mit den Philologien und den Kunstwissen-schaften mehr verbunden als mit anderen Wissenschaften. Das bestimmte auch die Blick-richtung dieser Protagonisten. Umgekehrt, von der anderen Seite der Barrikade aus be-trachtet, waren es Schriftsteller wie Böll, Enzensberger, Grass, Hochhuth, Weiss, die das Verhältnis zwischen Literatur / Kunst und Gesellschaft neu definieren wollten, in der Bun-desrepublik für die kommenden Jahrzehnte das Bild des kritischen Intellektuellen prägten und von der Gegenseite zu Zielscheiben ausersehen wurden: Schriftsteller als "Pinscher", Peter Weiss' Auschwitz-Stück als Kitzel und Sensationsmache ... Weiter ist - auch vor dem Hintergrund der Debatten um die Geschichtswissenschaft seit dem Frankfurter Historikertag 1998 - zu bedenken, daß es in den 1950er Jahren gerade auf dem Feld der Literaturgeschichte weit verbreitete Publikationen gab, worin völkisch argu-mentiert und gewertet wurde wie in der NS-Zeit. Es gab dagegen in den 1950er Jahren kei-ne verbreiteten und allgemein anerkannten historischen Standardwerke, die etwa Fritz Martinis Literaturgeschichte an die Seite zu stellen gewesen wären.42 Über Martinis Buch etwa, 1963 bei Kröner in der 12. Auflage erschienen, bemerkte Ernst Loewy, man könne sich "nur wundern", daß in einer zeitgenössischen Literaturgeschichte Begriffe wie "er-

selbst einwirkende Pionierwerk von Joseph Wulf, Kunst und Kultur im Dritten Reich, Bd. 2, Literatur und Dichtung im Dritten Reich, Ffm. 1963. 38

Eberhard Lämmert, Walther Killy, Karl Otto Conrady, Peter von Polenz, Germanistik - eine deutsche Wissenschaft, Ffm. 41970. 39

Siehe: Dichtung und Wissenschaft, Heidelberg 1954. Darin vor allem: Verratene Wissenschaft. Ein nicht-gedruckter Nekrolog (1941), S.256-264. 40

Siehe: Literatur unterm Hakenkreuz. Das Dritte Reich und seine Dichtung, Ffm. 1966 41

Siehe: Deutsche Literatur im 3. Reich, Olten u. Freiburg 1961. 42

Zwar könnte für das Fach Geschichte die "Weltgeschichte der Neuzeit 1750 - 1950" des Meinecke-Schülers und dezidiert nationalsozialistischen Historikers Otto Westphal (Stgt. 1953) als Ausnahme genannt werden, aber diese "Selbstkritik des Nationalsozialismus" (ebd., S.5) durch einen Historiker, der "ohne Rückhalt" bekannte, "das Dritte Reich geistig mitvertreten zu haben" (ebd., S.9), fand nicht von Ferne eine Martinis Literaturgeschichte vergleichbare Verbreitung und gleichsam kanonische Anerkennung.

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strebter völkischer Symbolgehalt" oder "schmerzlich vermißter politisch-völkischer Ro-man" noch im Tonfall ernsten Referierens Verwendung fänden.43 Für die Geschichtswis-senschaft und ihr Bild bis in die 1960er Jahre ist im übrigen zu erwägen, daß die "Histo-rismus"-Schelte im "Dritten Reich", insbesondere Walter Franks Feldzug gegen Hermann Oncken und die ganze "Historiker-Bourgeoisie in Rankes Hermelin"44, nach 1945 als Rechtfertigung erscheinen mochte, und zwar besonders, weil eher auf die universitäre, we-niger auf die außeruniversitäre Geschichtswissenschaft der NS-Zeit geblickt wurde45. Ihr Konservatismus hatte sich in den Augen der Zunftgrößen bewährt.46 Drei weitere Gründe für die Vorrangstellung von Literaturbetrieb und Li-teraturwissenschaft seien angeführt: - Das Fach Germanistik stand in den einschlägigen Debatten über die nicht vollzogene in-haltliche und personelle Entnazifizierung im Mittelpunkt öffentlichen Interesses; die De-batten über die Rolle der Germanistik als Mitarchitektin und Nutznießerin des völkischen und nationalsozialistischen Denkens erreichten auf dem 1966er Germanistentag ihren Ze-nit; sie hatten bereits 1945 begonnen, als mit Josef Nadler ins Gericht gegangen wurde, dem Begründer der stammesorientierten Literaturgeschichtsschreibung47. Wer vom Fa-schismus sprach, so könnte variiert werden, durfte von der Germanistik als Ideologie-

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Ernst Loewy, Literatur unterm Hakenkreuz, a.a.O., S.311. 44

Siehe: Helmut Heiber, Liberale und nationale Geschichtsschreibung, in: Universitätstage 1966. Na-tionalsozialismus und die deutsche Universität, Bln. 1966 (Veröffentlichung der Freien Universität Berlin), S.109-125, S.110; zu Walter Frank allgemein natürlich: Ders., Walter Frank und das Reichsinstitut für Ge-schichte des neuen Deutschland, Mnchn. 1966 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 13). Zur Ge-schichtswissenschaft der NS-Zeit und ihrer Verarbeitung nach 1945 siehe: Winfried Schulze, Deutsche Ge-schichtswissenschaft nach 1945, Mnchn. 1993 (zuerst: HZ, Beiheft 10/1989; Schulze betrachtet die Entwick-lung allerdings nur bis 1958 <ebd., S.2>); Hans-Erich Volkmann, Deutsche Historiker im Banne des Natio-nalsozialismus, in: Wilfried Loth, Bernd-A. Rusinek (Hg.), Verwandlungspolitik. Nationalsozialistische Eli-ten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Ffm., New York 1998, S.285-311. 45

Dieser Gesichtspunkt gilt auch für die Universität als Institution allgemein: Sie ging konservativ, zu Teilen reaktionär in das "Dritte Reich", wurde vielfach von nationalsozialistischen Heißspornen angegriffen und konnte sich daher nach 1945 als verfolgt und damit in den Strukturen gerechtfertigt sehen. Musterbeispiel ei-nes nationalsozialistischen Angriffs auf die Universität als Institution von studentischer Seite wäre: Andreas Feickert, Studenten greifen an. Nationalsozialistische Hochschulrevolution, Hamburg 1934. In der traditio-nellen Universität sah Feickert 1934 einen "Staat im Staate", den es zu "vernichten" gelte (S.8); schon wüch-sen neben den traditionellen Hochschulen "eine Unmenge" nationalsozialistischer "Führerschulen" heran (S.9); man sei sich klar, "daß eine Reihe der Alten (der Professor/B.-A.R.) zu übernehmen sind, daß wir aber endgültig erst gesiegt haben werden, wenn unsere Generation (...) die Lehrstühle dieser Hochschule besetzt haben wird" (S.11); die Hochschule sei ein "Rattennest innerer Querverbindungen (S.18). (Feickert war in der Bundesrepublik SPD-Mitglied, pädagogischer Mitarbeiter der Heimvolkshochschule Jagdschloß Göhrde und Veranstalter vielbeachteter "Europa"-Seminare; siehe: Lutz Hachmeister, Der Gegnerforscher, a.a.O., S.50). 46

Siehe: Hans Ulrich Wehler, Geschichtswissenschaft heute, in: Jürgen Habermas (Hg.), Stichworte zur 'Geistigen Situation unserer Zeit', 2. Bd.: Politik und Kultur, Ffm. 1979, S.709-753, S.709. 47

Siehe: Otto Nickel, Literaturgeschichte hintenherum oder Dichter, Menschen und Nadler, in: Die Wand-lung, 1. Jg. 1945/46, S.383-397, sowie: Auditur et altera pars. Leserbriefe und Bemerkungen des Herausge-bers zur Polemik gegen Nadlers Literaturgeschichte, in: Ebd., 1. Jg. 1945/46, S.866-884. Zu Nadler siehe ak-tuell: Wendelin Schmidt-Dengler, Nadler und die Folgen. Germanistik in Wien 1945 bis 1957, in: Wilfried Barner, Christoph König (Hg.), Zeitenwechsel, a.a.O., S.35-46.

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Lieferant nicht schweigen. - Erschien die Germanistik bis 1945 als Symbiose von Dichtkunst und Kriegshandwerk, so war einer der Ausgangspunkte der internen und externen Kritik an der aktuellen Germanis-tik der Hiatus zwischen Literaturwissenschaft und aktuellem Literaturbetrieb: Die Gegen-wartsliteratur präludierte mit dem "deutschen Literaturwunder" von 1959 die kommenden Auseinandersetzungen um den Nationalsozialismus und die "Strukturnazis", und sie prägte auch die Form dieser Auseinandersetzung, aber die zuständige Wissenschaft schlug um die aktuelle Literatur einen Bogen. - In der ersten Hälfte der 1960er Jahre gab es in der bundesdeutschen Germanistik zwei weit über das Fach hinaus wirkende Skandale um nationalsozialistische Verstrickungen etablierter Professoren, die Fälle Heinz Otto Burger und Hugo Moser 1963 und 196448; zugleich hatte sich mit Persönlichkeiten wie etwa Karl Otto Conrady und Peter Szondi eine jüngere, frisch etablierte Wissenschaftlergeneration viel früher fachkritisch zu Wort ge-meldet, als das etwa in der Geschichtswissenschaft der Fall gewesen ist. Für die vorliegende Untersuchung verlangt die Grundlegung des neuen öffentlichen Re-dens über die nationalsozialistische Vergangenheit durch die kritische literarische Elite ein anderes Vorgehen als das alleinige unreflektierte Beobachten von 'Politik'. Zunächst wird ein Bild der Situation um "1968" und der Faschismusdebatten dieser Zeit gegeben, um dann in einem zweiten Teil auf die 1950er und frühen 1960er Jahre zurückzu-schauen. Im "Facit" werden die Ergebnisse zusammengefaßt, und es wird auf Mängel des neuen Umgangs mit der NS-Vergangenheit hingewiesen. Schließlich ist zu überlegen, wa-rum die "1968er"-Bewegung an den Universitäten erfolgreich war, und wir werden auf ei-

48

Zu diesen beiden paradigmatischen Skandalen siehe unten. Wehler spricht von sechs Kontroversen in der Geschichtswissenschaft der 1960er Jahre, deren kumulative Auswirkungen das Fach modernisiert hätten (Ge-schichtswissenschaft heute, a.a.O., S.710 f.). Aber dieser innovative Streit verlief eher wissenschaftsintern. Vergleichbare Skandale wie bei den Germanisten hat es bei den Historikern mit Ausnahme von Götz Freiherr von Pölnitz' wegen dessen NS-Vergangenheit erzwungenem Rücktritt als Gründungsrektor von Bamberg im Jahre 1965 nicht gegeben. In der vor dem großen gebildeten Publikum ausgetragenen Fischer-Kontroverse ab 1961 dagegen (sieh etwa: Spiegel, 29.11.1961, Wilhelm der Eroberer), dem "1968" der Geschichtswissen-schaft vor "1968" (siehe: Bernd-A. Rusinek, Die Kritiker-Falle: Wie man in Verdacht geraten kann. Goldha-gen und der Funktionalismus, in: Johannes Heil, Rainer Erb <Hg.>, Geschichtswissenschaft und Öffentlich-keit. Der Streit um Daniel J. Goldhagen, Ffm. 1998, S.110-130, S.119 ff.) trat dem vom konservativen Mainstream abweichenden jüngeren Historiker Fritz Fischer, der einst Stipendiat von Walter Franks "Reichs-institut" gewesen war, mit Gerhard Ritter ein Wissenschaftler und konservativer Patriot entgegen, der zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus gehört hatte und sich um den umgekehrten Überpatriotismus der kommenden Historikergeneration sorgte (so die Schlußworte von Ritters Fischer-Rezension: Eine neue Kriegsschuldthese? Zu Fritz Fischers "Griff nach der Weltmacht", in: HZ 194<1964>, S.646-668, S.668); es ging in dieser Kontroverse um eine These, nicht um die nationalsozialistische Verstrickung von Historikern: Eine völlig andere Konstellation als in den Germanistik-Skandalen der 1960er Jahre! Es gab zwar einen Pro-testbrief gegen die Entscheidung des Auswärtigen Amtes, eine Vortragsreise Fischers durch die USA zu stornieren, aber sie war von zwölf amerikanischen bzw. in den USA lehrenden Geschichtsprofessoren unter-zeichnet (siehe: Ein Protestbrief, Die Zeit, 24.4.1964), es gab keine Erklärung deutscher Geschichtsprofesso-ren, die mit der "Erklärung der Sieben" im Streit um den Bonner Germanisten Moser vergleichbar gewesen wäre (siehe: Erklärung der sieben deutschen Germanisten, Die Zeit, 4.12.1964). Die öffentlichen Großkont-roversen der Geschichtswissenschaft kamen später: Ernst Nolte, dessen Werk "Der Faschismus in seiner Epoche" auch seine wissenschaftlichen Gegner anerkennen (Wehler, Geschichtswissenschaft heute, a.a.O., S.730), wurde erst in den 1970er Jahren zur bête noire der linken Intellektuellen, und der "Historikerstreit" ab 1986 liegt ganz außerhalb der hier zu betrachtenden Zeit. Die Irving-Debatte wurde 1977 geführt und betraf einen 'Revisionisten' aus England; 1978 kam es zu dem Skandal um Hellmut Diwalds "Geschichte der Deut-schen", worin wenig verhohlen Positionen der Auschwitz-Leugner eingenommen wurden.

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ne objektive Allianz über die aufgetürmten Barrikaden hinweg stoßen.

II. "(...) offenes Bekenntnis des Rektorats zum Faschismus (...)" Das folgende längere Zitat stammt aus einem Flugblatt des SDS von 1966, das zwei Jahre später in dem aufsehenerregenden Buch "150 Jahre Klassenuniversität", der Gegen-Festschrift zum Bonner Universitätsjubiläum, abgedruckt worden ist: "Die Forderung nach öffentlicher Diskussion der Frage der Ehrensenatorschaft eines KZ-Baumeisters hatte zur Folge, daß der Rektor eine Notstandsübung der Polizei befahl, die die Treibjagd auf Studenten und das Herausgreifen von Rädelsführern probte. (...) Höchster Einsatzleiter dieses Polizeiterrors war Prorektor Gassner (Corpsbruder von KZ-Lübke), da Rektor Schneemelcher vor Studenten, die Diskussion fordern, durch Gassner sich vertreten zu lassen pflegt. Man konnte diesen höchsten Einsatzleiter gegen 20.30 h am Geländer der Festtreppe stehen sehen, wie er genüsslich lächelnd den Pogrom der Polizei gegen die Studenten beobachtete (...) Das Rektorat hat sich mit seinem Vorgehen offen mit KZ-Baumeistern als Ehrensenatoren solidarisiert. Daß es diese Solidarität gegen Anträge auf Diskussion mit dem Einsatz von Schlägertrupps verteidigen läßt, bedeutet ein offenes Bekenntnis des Rektorats zum Fa-schismus."49 Ausgangspunkt des Flugblattes war der Protest gegen die dem Bundespräsidenten und "KZ-Baumeister" Heinrich Lübke angetragene Ehrensenatorschaft der Universität Bonn. Derartige Ehrungen standen in der Zeit der Studentenbewegung, als die Aufbaugeneration in das Ordens- und Ehrenzeichen-Alter kam, vielfach im Kreuzfeuer der Kritik.50 Ehren- 49

Zit.n.: Studentengewerkschaft Bonn (Hg.), 150 Jahre Klassenuniversität. Reaktionäre Herrschaft und de-mokratischer Widerstand am Beispiel der Universität Bonn, Bonn 1968, S.160. 50

Die Geschichte der Ordens- und Preisverleihungen in den 1950er und 1960er Jahren ist ein wichtiges De-siderat. Sie könnte Aufschluß geben über die Weitherzigkeit der Reintegrationsbereitschaft und das allmähli-che Aufkommen kritischer Stimmen. Ernst Bertram (1884-1957) etwa, der bekannte völkisch-nationale Ger-manist, Lyriker und Befürworter des Nationalsozialismus, erhielt 1942 den Görrespreis, 1944 den Rheini-schen Literaturpreis und 1954 den Literaturpreis seiner Heimatstadt Wuppertal (siehe: Karl Otto Conrady, Völkisch-nationale Germanistik in Köln, a.a.O., S.14). Die Auszeichnung des ehemals nationalsozialistischen Dichters Friedrich Griese mit dem Mecklenburgischen Kulturpreis der Heimatvertriebenen, verliehen in An-wesenheit schleswig-holsteinischer Landesminister, rief dagegen bereits Proteste hervor (siehe: Die Zeit, 3.7.1964, "Sind wir wieder soweit?", sowie die Leserbriefe in: Ebd., 24.7.1964). Es hätte nicht viel gefehlt, und kein anderer als Adolf Bartels, einer der infamsten antisemitischen Hetzer auf dem Sektor der Literatur-geschichtsschreibung, wäre in Dithmarschen zu neuen Ehren gekommen (siehe: Karl Otto Conrady, Miter-lebte Germanistik. Ein Rückblick auf die Zeit vor und nach dem Münchner Germanistentag von 1966, in: Diskussion Deutsch, <100> 1988, S.126-143, S.134). Eine wichtige Quelle für die Geschichte der Ordensver-leihungen in der Bundesrepublik sind die "Ordensakten" mit Hintergrundrecherchen und internen Stellung-nahmen im Vorfeld der Verleihung von Bundesverdienstkreuzen. Ein Beispiel: 1954 sollte Abraham Esau, einer der wichtigsten Physiker des "Dritten Reiches", auf Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik geehrt werden. Das zuständige Bundespräsidialamt erkundigte sich bei dem Nobelpreisträger Max von Laue. Dieser beschrieb Esau als einen besonders gefährlichen Natio-nalsozialisten und warnte: "Die in Rede stehende Ordensverleihung scheint mir geeignet, im Inland das An-sehen des Verdienstkreuzes herabzusetzen und im Ausland die dort grassierende Meinung zu stützen, daß bei

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doktorate waren Kampffeld in den Auseinandersetzungen um die NS-Vergangenheit und die altüberkommenen universitären Strukturen. Das Anti-Lübke-Flugblatt ist somit Teil ei-ner Spezies und behandelte ein Hauptthema der Flugblattproduktion ab Mitte der 1960er Jahre. Das verdeutlicht ein Blick auf die Technische Hochschule Aachen (RWTH) und den Fall Prof. Kurt Hansen. Wie zuvor von der Universität Bonn, so sollte der Bayer-Vorstandsvorsitzende Hansen zu seinem 65. Geburtstag 1969 auch von der RWTH mit dem Ehrendoktorat ausgezeichnet werden. In einem Flugblatt der Aachener Fachschaft Chemie wurde jedoch behauptet, Hansen hätte während des Krieges bei der Giftgasproduk-tion mitgewirkt, die Verbindungsstelle zwischen Wehrmacht und Chemie-Wirtschaft gelei-tet und wäre als IG-Farbenfunktionär über verbrecherische Medizinversuche an Kon-zentrationslager-Häftlingen zumindest informiert gewesen; auch in der Gegenwart wäre Bayer Leverkusen an der Produktion chemischer Kampfmittel beteiligt, und zwar für die Amerikaner im Vietnamkrieg. Die RWTH wolle, so die Vorhalte der Studierenden, mit der Hansen-Ehrung einen Militärforscher und Drittmittel-Spender ebenso an sich binden wie sie mit Professor Hertel bereits einen "technologischen Schergen der Flugzeugindustrie des dritten Reiches" geehrt habe; die Hochschule setze mithin konsequent eine kriegswissen-schaftliche, im Faschismus gipfelnde Tradition fort, für die auch der prominente Aachener Atomphysiker Wilhelm Fucks stünde, RWTH-Rektor von 1950 bis 1952.51 Der Senat der RWTH Aachen zog den Antrag auf Ehrung Hansens zurück.52 Erstmals wurde die vorge-sehen Verleihung einer Ehrendoktorwürde von Studenten gestoppt - so schien es zu-nächst, doch wurde der Antrag kurze Zeit später erneuert53 und Hansen der Ehrendoktor-titel am 17.7.1970 verliehen. Wurden bei den Aachener Vorgängen Giftgasproduktion während des Nationalsozialismus und aktuelle Militärforschung miteinander verknüpft, so bei dem Bonner Protest gegen die Lübke-Ehrung der "KZ-Baumeister" und die aktuelle Diskussion über die Notstandsgeset-ze. Der Nationalsozialismus ragte in dieser Optik über Strukturen der Wirtschaft und der Politik sowie über das Personal der ab Sechzigjährigen unmittelbar in die Bundesrepublik hinein: der höchste Repräsentant der Republik ein "KZ-Baumeister", der Prorektor und damit zweite Repräsentant der Universität dessen "Corpsbruder" und zugleich "Einsatzlei-

uns ehemalige 'Parteigenossen' eine Vorzugsbehandlung genössen." (NWHStAD <Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv Düsseldorf>, NWO, Ordensakte Esau) 51

RWTH Aachen, Rektoratsarchiv, Akte "Ehrungen", Flugblatt "Hansen - Dr.h.c.?", div. Flugblätter vom Herbst 1969 sowie: ASTA-Info, RWTH, 26.5.1970. Siehe auch: Aachener Zeitung, 20.12.1969, "Kein Eh-rendoktor für den ersten Mann der Bayer-Werke". Um durch Ehrenpromotionen belasteter Industrieller er-hoffte Drittmittel-Einwerbung zu vereinfachen, schlugen die Studierenden ironisch vor: "Die RWTH Aachen verleiht ab sofort den Dr.-Titel e.h. (h.c.) ohne Ansehen der Person, des Standes, der wissenschaftlichen Leis-tung etc., an den Meistbietenden, Mindestsumme DM 5,--" (Ebd., Ergebnisprotokoll der Sitzung des Studen-tenparlaments, 29.1.1970.) 52

"Kein Ehrendoktor ...", a.a.O.; FAZ, 22.12.1969, "Ehrendoktor-Antrag unter Studentendruck zurück-gezogen" 53

Handelsblatt, 24.12.1969, "Fakultät erneuert Antrag".

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ter" von "Schlägertrupps", die an die SA der Machtergreifungsphase gemahnten. Nicht nur der Blick auf die Täter, auch der Blick auf ihre studentischen Opfer sollte die buchstäbliche Fortdauer des Nationalsozialismus bezeugen: Die Opfer forderten "Diskus-sion", also Plausibilisierung im Medium freier Rede als Kennzeichen entwickelter Demo-kratie; sie wurde entweder vom Rektor grundsätzlich verweigert oder durch "Polizeiterror" erstickt, und dieser Terror, dem der Prorektor "genüsslich lächelnd" zusah, wie es einst ein SS-Führer bei den Vorgängen am 9. November 1938 getan haben mochte, wurde als "Pog-rom" bezeichnet. Die Verfasser des Flugblattes rückten damit die protestierenden Kommi-litonen in die Rolle der Juden während des NS-Regimes bis zum Kriege. Somit wurde die gesamte innenpolitische Frontstellung des Nationalsozialismus herbeizitiert: Sinistre Kum-panei auf der Täterseite der KZ-Baumeister und Corpsbrüder; Treibjagden auf Rädelsfüh-rer, Polizeiterror, Pogrome. Dieser direkte Bezug auf den Nationalsozialismus in der Bundesrepublik kann als Reaktion auf ein Bestreben der Politik und weiter Kreise der Bevölkerung verstanden werden, das in den 1980er Jahren als schlechte Historisierung des Nationalsozialismus kritisiert werden sollte. Hatte Ludwig Erhard in seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler am 18.10.1963 formuliert, nicht nur die Bundesrepublik, die ganze Welt sei im Begriff, aus der Nachkriegszeit herauszutreten, so führte er in seiner zweiten Regierungserklärung am 10.11.1965 aus: "Zwei Drittel unseres Volkes waren im Jahre 1933 Kinder oder noch nicht geboren. Für nahezu die Hälfte aller Menschen in unserem Lande sind die Jahre 1933 bis 1945 ge-schichtliche Vergangenheit ohne persönliche Erinnerung." Auf derartige Historisierungsplädoyers reagierten die kritischen Studierenden - wie am Beispiel des Bonner Flugblattes gezeigt - mit der demonstrativen Enthistorisierung des Nationalsozialismus und seiner direkten Einbeziehung in die Gegenwart. Netze 'alter Kameraden' aus der NS-Zeit namhaft zu machen, gehörte zur Heuristik der "1968er", und der Weg zur personalistischen Banalisierung einschließlich der Verschwö-rungstheorie war oft nicht weit. Selbstverständlich wurde auf der 'anderen Seite' ebenso versucht, unsaubere Netzwerke aufzuspüren. Nazistische standen gegen linksradikale Drahtzieher. So wurde in einem Schreiben des Bayer-Vorstands in Sachen der Aachener Ehrenpromotion des Vorstandsvorsitzenden Hansen darauf hingewiesen, der Kleinaktionär X., der Hansen wegen der angeblichen Giftgasproduktion von Bayer 1969 öffentlich ange-griffen hatte, sei "als führende Persönlichkeit der linksradikalen Gruppen an der Universi-tät Bonn bekannt"; "unser Kleinaktionär" X. - so weiter - habe an der Broschüre "150 Jah-re Klassenuniversität" mitgearbeitet.54

54

RWTH Aachen, Rektoratsarchiv, Akte "Ehrungen", Vorstand der Bayer Werke an Senat der RWTH Aachen, 23.12.1969.

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In dem Bonner Flugblatt gegen die Ehrung des Bundespräsidenten sind mit "KZ-Lübke" und den Corps-Studenten zwei konkrete Fälle angesprochen, die das unvermittelte Hinein-reichen der nazistischen Vergangenheit in die bundesdeutsche Gegenwart besonders ak-zentuierten und bei den Lesern entsprechende Assoziationsketten hervorriefen. Das farbentragende und gar das schlagende Studententum war für die kritischen Studieren-den und Lehrenden seit den frühen 1950er Jahren ein Symbol vordemokratisch-autoritärer Mentalitätsbestände.55 Bereits im Frühjahr 1953 hatten sich einige überregionale und lo-kale Studentenverbände gegen die "Renaissance studentischer Korporationen" zum "Ring Freier Studenten" zusammengeschlossen; dieser Ring veranstaltete im Juli 1953 eine weit-hin beachtete Gegendemonstration, als anläßlich der 1.000-Jahr-Feier der Stadt Göttingen 600 Corpsstudenten in vollem Wichs aufmarschierten.56 1963 war es für die Berliner Stu-dierenden von bewußtseinsbildender Kraft, daß es in einer Urabstimmung mit 70 Prozent Beteiligung gelang, die Wahl des "Saravia"-Burschenschafters Eberhard Diepgen zum ASTA-Vorsitzenden rückgängig zu machen.57 Diese Assoziationskette war in dem Bon-ner Flugblatt an die Bemerkung geknüpft, Prorektor Gassner sei "Corpsbruder von KZ-Lübke". Noch sinnfälliger und plakativer als der Hinweis auf den "Corpsbruder" mußte bereits die bloße Erwähnung von Heinrich Lübke sein. Er war für die "1968er" Symbol der verknö-cherten, unbelehrbaren Ewiggestrigen und Witzfigur zugleich. Die Satire-Zeitschrift "Par-don" hatte bereits einen Meinungsbutton "I like Lübke" vertrieben, als sie 1968 mit der Schallplatte "Heinrich Lübke, ... redet für Deutschland" auf eine Pro-Lübke-Broschüre der Bundeszentrale für politische Bildung reagierte.58 Die LP enthielt unter anderem Kom-mentare von Rudolf Augstein59 und brachte mit Auszügen aus Lübke-Reden voller gro-tesker rhetorischer Schnitzer müde Parties in Schwung. Als Symbolfigur vertrottelten Es-tablishments60 gehörte Heinrich Lübke zur politischen Folklore der kritischen Intelligenz; der "KZ-Baumeister"-Vorwurf61 fügte dem Ridikülen das Barbarische hinzu.

55

Siehe etwa Gerd Tellenbachs Diskussionsbeitrag von 1952 "Über die Korporationen" in: Ders., Der sibyl-linische Preis. Schriften und Reden zur Hochschulpolitik 1946 - 1963, Freiburg 1963, S.118-119. 56

Wolfgang Kraushaar, Die Protest-Chronik 1949-1959, 4 Bde., Hamb. 1996, S.741 f., S.862 f. 57

Siehe: Christel Hopf, Das Faschismusthema, a.a.O., S.74. 58

Heinrich Lübke, ... redet für Deutschland. Pardon verteidigt den Bundespräsidenten, Schallplatte der Serie Antholog, Pressung für Zweitausendeins, Ffm. o.J. (1968). Die folgenden Einzelheiten von Platte und Cover. 59

Augstein wird mit den Worten zitiert: "Nicht, daß Heinrich Lübke einfachen Geistes ist, kann und soll ihm vorgeworfen werden; denn Charaktergaben können eine Menge wettmachen. Aber die Fehleinschätzung sei-ner Geistesgaben, kombiniert mit seiner unerschütterlichen Selbstgerechtigkeit, entfaltet sich allgemach zu einem politischen Skandal." 60

Auch Lübkes äußerst wohlwollender Biograph Rudolf Morsey kann ihm nicht attestieren, ein brillanter Kopf gewesen zu sein; vielmehr hält er Lübke für einen Umstandskrämer und schwachen Redner (siehe: Ru-dolf Morsey, Heinrich Lübke. Eine politische Biographie, Paderborn, Mnchn., Wien, Zürich 1996, S.245-251 <"Umständliche Arbeitsweise - mangelndes Rednertalent - labile Gesundheit">, sowie ebd., S.587-593 <"Die Bilanz: Zwiespältig, mit einem 'Hauch von Tragik'">). 61

Dieser Vorwurf fehlt auf der "Pardon"-Platte - vermutlich aus juristischen Gründen.

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Lübke stand bereits seit 1959 im Visier von Albert Norden, SED-ZK-Sekretär für Agitati-on und Propaganda.62 Im Januar 1966 kam die DDR groß aufgemacht mit angeblich sen-sationellem Material heraus: Lübke hätte als stellvertretender Leiter der Baugruppe Schlempp ab Mai 1944 das Konzentrationslager Neu-Staßfurt projektiert, entworfen, er-richten lassen sowie 500 französische Häftlinge aus Buchenwald für dieses Lager angefor-dert, von denen 110 umgekommen seien. Als Beweis wurden von Lübke unterschriebene Bauzeichnungen vorgelegt, wovon die erste Gruppe in einen Aktendeckel mit der Auf-schrift "Vorentwurf zur Erstellung eines KZ.-Lagers (...)" geheftet war.63 Da Lübke weder prozessierte noch zurücktrat, weder das Gegenteil beweisende Dokumente vorlegen noch die DDR-Dokumente eindeutig als Fälschungen nachweisen konnte, blieb etwas vom "KZ-Baumeister"-Vorwurf hängen. Er schien um so glaubhafter, als er ein Bild rundete. Für die einen war es das Pech der Bundesrepublik, für die anderen Symptom ihrer Malaise, daß sie in der Zeit der größten intellektuellen und moralischen Herausforderung durch so wenig intellektuelle und moralische Kompetenz und so viel nationalsozialistische Verstri-ckung und oberlehrerhafte Selbstgerechtigkeit repräsentiert wurde. Es seien einige Beispie-le genannt. Am 11.7.1965 büßte Bundeskanzler Ludwig Erhard bei der kritischen Reflexi-onselite seine intellektuelle und moralische Kreditlinie ein, als er auf dem Düsseldorfer Wirtschaftstag der CDU/CSU gegen die literarische Linke wetterte, da höre der Dichter auf, da fange "der ganz kleine Pinscher an".64 Damit nicht genug, erging er sich zwei Tage später in Köln über "Intellektualität, die in Idiotie umschlagen" könne, sowie über "Entar-tungserscheinungen" der modernen Kunst.65 Erhards Nachfolger Kurt Georg Kiesinger, Kanzler der Großen Koalition von 1966 bis 1969, war nicht der Mann solcher Entgleisun-gen. Heinrich Böll hatte im Vorwort einer Kiesinger-Broschüre geschrieben, dieser sei nie ordinär gewesen, er sei ein feiner Mann mit Glacéhandschuhen - damit aber "hinterließ er sehr wenig Fingerabdrücke".66 Die Broschüre war von jener Beate Klarsfeld publiziert worden, die Kiesinger am 7.11.1968 auf dem Berliner CDU-Parteitag, "Nazi! Nazi!" ru-fend, mit Ohrfeigen traktierte. Kiesinger war seit 1933 Mitglied der NSDAP und während 62

Als maßgebende, den "Fall" zusammenfassende DDR-Propagandaschrift siehe: Nationalrat der Nationalen Front des demokratischen Deutschland (Hg.), Aufstieg und Fall des Heinrich Lübke. Die Geschichte einer Karriere, Bln. (DDR) 1969. 63

Morsey, Heinrich Lübke, a.a.O., S.511. Vermutlich waren die Unterschriften unter die Baracken-Zeichnungen echt, die kompromittierenden Aktendeckel aber gefälscht. (Einen Rest von Unsicherheit konze-diert auch Morsey, ebd., S.535.) Zu den KZ-Baumeister-Vorwürfen gegen Lübke aus der DDR, insbesondere dem "Stern" vom MfS zugespielte gefälschte Dokumente, siehe: Falco Werkentin, Die Reichweite politischer Justiz in der Ära Ulbricht, in: Bundesministerium der Justiz (Hg.), Im Namen des Volkes? Über die Justiz im Staat der SED. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung des Bundesministeriums der Justiz, Leipzig 1994, S.179-196, insbes. S.188-192. 64

Zit.n.: Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition. 1963-1969, Stgt. 1984 (Geschichte der Bun-desrepublik, Bd. 4), S.119 f. Anlaß dieser Entladung war das kurz zuvor in Berlin für den Wahlkampf gebil-dete "Wahlkontor deutscher Schriftsteller" zur Unterstützung der SPD (siehe: Deutsches Literaturarchiv, Pro-test!, a.a.O., S.30 f.). 65

Ebd., S.120 66

Zit.n.: Baring, Machtwechsel, a.a.O., S.40.

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des Krieges "Verbindungsmann des Auswärtigen Amtes in Rundfunkangelegenheiten" gewesen, also Mitarbeiter im Propaganda-Apparat des Regimes.67 "Wir haben (...) einen ehemaligen Nazipropagandisten als Bundeskanzler!", hieß es in einem studentischen Handzettel von 1967 in Anspielung auf diese Aktivitäten Kiesingers.68 Von Fällen wie den genannten ausgehend, wurde in dem Handzettel der NS-Vorwurf gegen das Establish-ment in einer typischen, grob holzschnittartigen Weise verallgemeinert: "Holen wir nach, was 1945 versäumt wurde (...), machen wir endlich eine richtige Entnazi-fizierung. (...) Nazi-Richter, Nazi-Staatsanwälte, Nazi-Gesetzgeber aller Couleur, Nazi-Polizisten, Nazi-Beamte, Nazi-Verfassungsschützer, Nazi-Lehrer, Nazi-Professoren, Nazi-Pfaffen, Nazi-Journalisten, Nazi-Propagandisten, Nazi-Bundeskanzler, (...) Nazi-Kriegsgewinnler, Nazi-Fabrikanten, Nazi-Finanziers."69 Niemand, der neuere Publikationen über ehemalige Nationalsozialisten in der Bundesre-publik gelesen hat, wird behaupten wollen, daß die erhobenen Vorwürfe haltlos gewesen wären.70 Blenden wir, um das für die Universitäten zu verdeutlichen, an dieser Stelle kurz in das Jahr 1945 zurück, in die letzten Tage des NS-Regimes. Am 8.3.1945 fand in Berlin-Wannsee eine SD-Besprechung statt, zu der eine illustre Runde intellektueller SS-Männer zusammengekommen war. Thema war eine Buchreihe, "die die deutschen Ordnungsleis-tungen während des Krieges herausstellen" sollte. Für die 'Zeit danach' wurden nationalso-zialistische Rechtfertigungsschriften entworfen, um etwas von der Substanz der NS-Ideologie hinüberzuretten. Die Betrachtung der Nachkriegskarrieren dieser Männer nun liest sich wie ein Restaurationsalptraum und verleiht noch der holzschnittartigsten "1968er"-Pauschalbehauptung von alten 'Nazis' in Kultur und Wissenschaft der Bundesre-publik einen Anflug seriösen Charakters. Es nahmen an der SD-Besprechung im Frühjahr 1945 also teil und durchliefen in der Bundesrepublik die folgenden Karrieren: - SS-Hauptsturmführer Prof. Dr. Franz, später Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule Stuttgart-Hohenheim71; 67

Siehe dessen eigene Darstellung mit Hinweisen auf seine damals durchgängig antinationalsozialistische Gesinnung: Kurt Georg Kiesinger, Dunkle und helle Jahre. Erinnerungen 1904 - 1958, Stgt. 1989, S.230-234, S.236-241. 68

"Organisieren wir den Ungehorsam gegen die Nazi-Generation", verteilt anläßlich der Kampagne gegen den Film "africa addio", abgedr. in: Deutsches Literaturarchiv, Protest!, a.a.O., S.43 f. 69

Ebd. 70

Siehe etwa: Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergan-genheit. Mnchn. 1996; Ulrich Herbert, Best, Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903 - 1989, Bonn 1996; Wilfried Loth, Bernd-A. Rusinek (Hg.), Verwandlungspolitik, a.a.O. 71

Von dem Historiker Günther Franz wird unten noch die Rede sein.

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- SS-Sturmbannführer Prof. Dr. Löffler, später PH-Professor in Heidelberg; - Prof. Dr. Karl Heinz Pfeffer, Großbritannien-Experte im Deutschen Aus-landswissenschaftlichen Institut, ab 1962 Ordinarius in Münster72; - SS-Obersturmbannführer Dr. Rößner, nach dem Krieg Lektor zunächst im Stalling-, spä-ter im Piper-Verlag; - SS-Hauptsturmführer Dr. Schneider, später als Hans Schwerte Professor in Aachen73; - SS-Hauptsturmführer Prof. Dr. Schwalm, später Professor in Tübingen.74 War diese konkrete Begebenheit in den 1960er Jahren nur den Beteiligten bekannt, so sorgte das Establishment selbst doch für hinreichend anderes Material. Dieses führte in der zitierten Flugschrift von 1967 zu den staccatohaften "Nazi"-Anwürfen. Die Flugschrift en-dete mit der Losung:

"Bereiten wir den Aufstand gegen die Nazi-Generation vor."

Wir erkennen die nämliche, nur schärfer und provokativer herausgearbeitete Konfiguration wie in dem Flugblatt gegen Lübke und die Bonner Universitätsspitze. Auf diese Konfigu-ration - direktes Hineinragen des Faschismus / Nationalsozialismus über Strukturen, Per-sonen und Netzwerke in die Bundesrepublik der 1960er Jahre, Hinein-Imaginieren der kri-tischen Studierenden in die Rolle der Opfer des NS-Regimes - stoßen wir bei der Lektüre von Flugblättern und Aufrufen der Jahre um 1968 immer wieder: - In einem Nachruf auf den im April 1967 verstorbenen Konrad Adenauer schrieb der Bonner SDS, der Altbundeskanzler habe "durch aktive Förderung nationalsozialistischer Elemente und durch autoritäre Regierungspraktiken alle Ansätze einer breiteren Reorgani-sation der Gesellschaft im wirklich demokratischen Sinn vereitelt"75; - in einer Erklärung des SDS vom 9.6.1967, eine Woche nach dem Tod Benno Oh-

72

Pfeffer, Großbritannien-Experte im Deutschen Auslandswissenschaftlichen Institut, geboren 1906, Freyer-Schüler, Soziologe, Volks- und Landeskundler, Großbritannien-Spezialist. 1940 außerordentlicher Professor, von 1943 bis 1946 ordentlicher Professor in Berlin. Veröffentlichungen unter anderem: "Das Judentum in der Politik" im "Handbuch der Judenfrage" von 1938. Nach dem Krieg Mitherausgeber der "Zeitschrift für Geo-politik verbunden mit der Zeitschrift Weltpolitik und Weltwirtschaft". Im Rahmen der Entnazifizierung zu-nächst Amtsverlust. 1951 Leiter der Abteilung Auslandsforschung im Bremer Ausschuß für Wirtschaftsfor-schung, ab 1952 in führender Position im Hamburger Weltwirtschaftsarchiv; 1959 bis 1962 Professor an der Universität Lahore / Pakistan, von 1962 bis zu seinem Tod im Jahre 1971 Ordinarius an der Universität Münster (Sozialforschungsstelle). 1956 erschien Pfeffers kleines "Handwörterbuch der Politik" (Darmstadt 1956). Seine Erläuterungen zu den Begriffen "Führer", "Judentum" und "Nationalsozialismus" führten zum Neonazi-Vorwurf im "Vorwärts", in der "Neuen Gesellschaft", im "colloquium", schließlich in der "Zeit" und im "Monat". Pfeffer beantragte daraufhin im Oktober 1956 die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens gegen sich. Zu den Pressevorwürfen erklärte er u.a., die geistige Richtung der Rezensenten gehe schon daraus her-vor, daß Teile der Rezension aus dem "Vorwärts" im Ost-Berliner "Neuen Deutschland" nachgedruckt wor-den seien. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren am 8.2.1957 ein. (Siehe: NWHStAD, BR-PE 3435.) 73

Zu Schneider/Schwerte siehe: Bernd-A. Rusinek (Bearbeiter), Zwischenbilanz der Historischen Kom-mission zur Untersuchung des Falles Schneider / Schwerte und seiner zeitgeschichtlichen Umstände, Düssel-dorf 1996 (Gutachten für das Wissenschaftsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen). 74

Siehe: Ebd., S.147. 75

Zit.n.: Miermeister, Staadt (Hg.), Provokationen, a.a.O., S.46.

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nesorgs76, hieß es, das "postfaschistische System in der BRD" sei "zu einem präfaschisti-schen geworden"77; - in einem weiteren Flugblatt zum Tod Ohnesorgs wurde behauptet, der Kommandeur der West-Berliner Schutzpolizei sei 1942 als SS-Mann und Einsatzleiter in Rußland für Mas-senhinrichtungen verantwortlich gewesen78; - ebenfalls 1967 wurde parallelisiert, Julius Streicher habe im "Stürmer" zum Judenmord gehetzt, Axel C. Springer hetze nun zum "Studentenmord"79, die Studenten seien von der Springer-Presse "zu den 'Juden' des Antikommunismus gemacht worden"80; - an den Universitäten, so hieß es, herrsche die gleiche vergreiste Verfassung und Bürokra-tie, "die die Machtergreifung des Faschismus beförderte oder sie als Tragik der Geschichte hinnahm", und dieselben professoralen Versager würden heute die kritischen Studierenden als faschistisch denunzieren81. Die Erbitterung in diesen Verlautbarungen, der empörte Gestus des Aufspürens und Ent-larvens, die zitierten staccatohaften "Nazi"-Anwürfe des Flugblattes von 1967, dessen An-stoß der künstlerisch gemeinte Film "africa addio" gewesen ist - das alles hatte einen lan-gen Vorlauf. Er wird im folgenden skizziert.

III. "(...) Augiasstall nationalistischer und postfaschistischer Forschung (...)" Bei dem Festakt zur Wiedereröffnung der Universität Marburg nach Ende des Zweiten Weltkrieges verkündete Rektor Julius Ebbinghaus den Studierenden ein Gelöbnis der Pro-fessoren: "Wir geloben zuerst und zuoberst, daß wir den Geist der Wissenschaft und der freien Kritik in Ihnen entzünden und Ihnen alle bloß nachgesprochene Rede unerträglich machen wol-len. (...) Wir wollen Ihnen (...) helfen, die wahre Idee des Vaterlandes und der Vaterlandsliebe zu verstehen. Zu verstehen, daß der Mensch kein Vaterland haben kann außer da, wo Recht und Gesetze herrschen und er selbst als ein gleichberechtigtes Mitglied an dieser Gesell-

76

Ohnesorg wurde in Hannover beigesetzt. 77

Zit.n.: Miermeister, Staadt (Hg.), Provokationen, a.a.O., S.110. 78

Zit.n.: Ebd., S.111. 79

Zit.n.: Ebd., S.145. 80

Zit.n.: Ebd., S.109. 81

Zit.n.: Ebd., S.65. Der Vorwurf, die stets "Faschisten" demaskierenden SDS-Studenten seien selbst "Fa-schisten", war als billige Retourkutsche schnell zur Hand, erreichte aber eine neue Dimension, nachdem auch Jürgen Habermas am 9.6.1967 in der Erregung vom "linken Faschismus" gesprochen hatte. Einen Vergleich zwischen nationalsozialistischen Studenten bis 1933 und "1968ern" zogen in der seriösen neueren Literatur etwa Rüdiger Safranski in seiner Heidegger-Biographie und Lutz Hachmeister in seiner Arbeit über Six, ohne daß es darüber zu einer wissenschaftlichen Debatte gekommen wäre (Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Mnchn., Wien 1994, S.302; Lutz Hachmeister, Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six, Mnchn. 1998, S.51).

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schaft teilnehmen kann. (...) Wir geloben (...), daß wir die Höhe der Aufgabe, die uns durch unsere Wissenschaft ge-stellt ist, niemals zum Anlaß nehmen wollen zu einer unziemlichen Überschätzung unseres Standes und unserer Personen."82

Hätte die Oberhand gewonnen, was Ebbinghaus im erhabenen Stil beteuerte - Überwin-

dung der nationalsozialistischen Bevormundung durch einen kritischen Geist in freiheitlich

liberaler Gesellschaft, offene und bescheidene statt dünkelhaft-reaktionäre Hochschulleh-

rer-Attitüde -, es wäre 1968 nicht nötig gewesen, von einer vergreisten Universität zu spre-

chen, deren Professoren die "Machtergreifung" befördert hätten und trotzdem noch immer

das große Wort führten. Ebbinghaus zählte zu den wackeren Männern, die in den Jahren 1945 bis 1948 "voll bester Absichten am Werk" waren, "entschlossen, die Hochschulen zu reformieren".83 Aber be-reits vor Kriegsende, im März 1945, beobachtete der rheinisch-bergische Autor Emil Barth "zahllose Akteure der lokalen Tyrannis", die sich "gleichsam auf offener Szene" um-schminkten, sich "für betrogene Idealisten ausgebend, ja mehr noch, auf die Vergeßlichkeit der Menge bauend, ihre Identität mit sich selber verleugnend in plötzlich auftretender Am-nesie."84 Manfred Hausmann schrieb in früher Nachkriegszeit, die "deutsche Frechheit" sei bereits wieder obenauf.85 Explizit wurde der Vorwurf der "Restauration" erstmals 1950 von Walter Dirks erhoben.86 Zu Beginn der 1950er Jahre war vom "nationalsozialis-tischen Gesindel unter den Studenten" die Rede, "das sich in Göttingen, Marburg und Er-langen schon wieder in alter Frische öffentlich breit machen" dürfe87, waren "Professoren, die einst Kafkas Bücher verbrannt hatten", auf ihre Lehrstühle zurückgekehrt "und prüften jetzt Studenten über Kafka"88. Daher waren denn 1955 im Editorial der Studentenzeit-schrift "Plädoyer", die in den 1960er Jahren unter dem Titel "Konkret" eine politische Macht gewesen ist, an das Gelöbnis von Julius Ebbinghaus aus dem Jahre 1945 erinnernde Formulierungen zu lesen:

82

Zit.n.: Die Gegenwart, 24.2.1946, S.1 (Julius Ebbinghaus, geb. 1885, hist. und systematische Philosophie). 83

Rudolf Walter Leonhardt, Die deutschen Universitäten 1945-1962, in: Hans Werner Richter, Bestands-aufnahme. Eine deutsche Bilanz 1962, Mnchn., Wien, Basel 1962, S.351-359, S.351. 84

Emil Barth, Rheinische Tage 1945. Aufzeichnungen und Meditationen (Eintragung vom 27.3.1945), in: Die Gegenwart, 30.11.1946, S.29. 85

Zit. n.: Klaus Harpprecht, Thomas Mann. Eine Biographie, Bln. 1995, S.1501. 86

Walter Dirks, Der restaurative Charakter der Epoche, in: Frankfurter Hefte, 1950, S.942-954. 87

Friedrich Hielscher, Fünfzig Jahre unter Deutschen, Hamburg 1954, S.437. Zu den Studierenden der frü-hen Nachkriegszeit siehe: Waldemar Krönig, Klaus-Dietrich Müller, Nachkriegssemester. Studium in Kriegs- und Nachkriegszeit, Stgt. 1990. 88

Rudolf Walter Leonhardt, Die deutschen Universitäten, a.a.O., S.351.

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"Herausgeber und maßgebende Mitarbeiter sind Studenten, die etwas aus der Vergangen-heit gelernt haben: Verführung, Verbrechen, Knechtschaft und Drill bis zur Willenlosig-keit. Deshalb nehmen wir uns das Recht, alle Studenten aufzufordern, sich bewußt zu wer-den, daß unsere eigene akademische Zukunft von politischen Machtfaktoren maßgebend bestimmt wird! (...) Wo uns aber Propaganda überfällt, blenden und verbiegen will, werden wir auf die natürliche Leidenschaft unserer Jugend nicht verzichten (...)"89 Ein israelischer Journalist, der 1964/65 die Bundesrepublik und die DDR bereiste, erlebte die westdeutsche Universität als "eine Hochburg der Restauration, dergleichen man lange suchen muß"; zwar würde unter "Restauration" meist jene des nationalen Konservatismus verstanden, aber die westdeutsche Universität sei "vielleicht das krasseste Beispiel dieser Restauration", und sie scheine mitschuldig zu sein an ihrer Sterilität.90 In einem frühen Campus-Roman unter dem sprechenden Titel "Wenn man aufhören könnte zu lügen" - handelnd 1949 und mit Germanistik-Studenten als Hauptpersonen - ist vom Karneval die Rede. "Die Maske", so sagt ein Professor auf einer Karnevalsfeier, "ist unser wahres Gesicht. Je mehr wir uns bemalen, um so mehr scheint es durch."91 Der Professor wendet sich sodann der Freundin des Studenten zu, um sie mit den Worten zu taxieren:

"(...) prächtiges Ding, diese Marion, genetische Spitzenleistung, stolzes Abendland."92

In einem anderen für die Zeichnung des Universitätsklimas vor "1968" paradigmatischen Roman, "Heißer Sommer", werden Professoren als von ihrer Position entzückte, Pfauenrä-der werfende Institutskönige geschildert. Ein Germanistik-Professor beginnt sein Seminar: "Er betritt den Seminarraum Sogleich wird es ruhig. Während der nach vorn zu dem Tisch geht, klopfen alle. Hinter ihm geht sein Assistent, hinter dem geht seine wissenschaftliche Hilfskraft. (...) Er wartet, bis es ganz ruhig (...) ist. Dann sagt er: Wir werden heute versuchen, das Prob-lem, das wir in der letzten Seminarsitzung schon angeschnitten hatten, nochmals zu entfal-ten, weil uns scheint, daß dessen Bedeutung bis heute, auch in der neuesten Forschung, nicht die erforderliche Beachtung gefunden hat, größtenteils nicht einmal erkannt wurde, wie zum Beispiel in der Arbeit des doch immerhin anerkannten Kollegen ... Jemand hustet. Er spricht nicht weiter und blickt in die Richtung, aus der gehustet wird. Dabei runzelt er

89

Zit.n.: Deutsches Literaturarchiv, Protest!, a.a.O., S.291. 90

Amos Elon, In einem heimgesuchten Land. Reise eines israelischen Journalisten in beide deutsche Staaten, Mnchn. 1966, S.318. 91

Paul Schallück, Wenn man aufhören könnte zu lügen, Leverkusen u. Köln 1977 (zuerst 1951; Gesamtwerk Bd. 3; Reihe Rückblick Nr.5), S.114. 92

Ebd., S.115.

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die Stirn."93 Zeitzeugen bezeichnen ein solches Seminar-Klima als typisch für die Zeit vor "1968".94 Daraus lassen sich unschwer zwei Schlußfolgerungen für kritische Studierende damaliger Zeit ableiten: - Erstens tat man besser daran, keine 'dummen Fragen' zu stellen, insbesondere nicht nach dem Verhalten des jeweiligen Groß-Ordinarius in der NS-Zeit; - zweitens wird das für die meisten Professoren Unerhörte, für die Studierenden aber Sub-versive und Befreiende des Ausrufs "Diskussion!" bewußt - denken wir nur an die Be-merkung aus dem zitierten Bonner Flugblatt, daß der Rektor "vor Studenten, die Diskussi-on fordern, (...) sich vertreten zu lassen pflegt". Im Rahmen einer germanistischen Berufungsangelegenheit in den 1950er Jahren wurde der Versuch, einen Kandidaten wegen dessen Engagement in der NS-Zeit anzuschwärzen, mit einem Argument abgewehrt, das für die nationalsozialistische Verstrickung der Hochschul-lehrer bezeichnender nicht sein konnte:

"Wenn man so in der politischen Vergangenheit von angesehenen Gelehrten herum-schnüffle, könne man überhaupt keinen Professor mehr berufen, der in der NS-Zeit in Deutschland im Amt gewesen sei."95

Diese Stellungnahme aus in mehrfachem Sinn berufenem Munde ist der geeignete Auftakt, um im folgenden zwei Beispiele nationalsozialistischer Verstrickung und anschließender Karriere in der Bundesrepublik fast beliebig herauszugreifen. Solche Karrieren hatte vor Augen, wer sich in den 1960er Jahren von "Nazis" und "Faschisten" umzingelt sah. Sie hatten noch einen weiteren Effekt für die Scientific Community nach 1945, der nicht über-sehen werden sollte: Wer als Wissenschaftler tatsächlich Skrupel wegen seiner nationalso-zialistischen Vergangenheit empfand und daran dachte, seine Vergangenheit zu bekennen und von ihr abzuschwören, schwieg doch angesichts der offenkundigen Impertinenz von verstrickten Kollegen, die wieder obenauf waren und eine Kultur der Unaufrichtigkeit schufen. Zu diesen Vertretern zählte der Pädagoge und Psychologe Gerhard Pfahler. Gerd Tellen-bach nennt ihn "einen der reinsten nationalsozialistischen Idealisten", die ihm vorgekom-men seien.96 Pfahler97 (1897 - 1976) war im Ersten Weltkrieg Stoßtruppführer gewesen

93

Uwe Timm, Heißer Sommer, Mnchn., Gütersloh, Wien 1974, S.33. 94

Der israelische Deutschlandreisende Amos Elon empfand es als ungeheuerlich, trotz fest vereinbarten Termins länger als eine Stunde vor der Tür eines Groß-Ordinarius warten zu müssen; als er wagte, sich bei der Sekretärin in Erinnerung zu rufen, wurde ihm gesagt: "Daran müssen Sie sich gewöhnen. Das ist halt so bei großen Männern." (In einem heimgesuchten Land, a.a.O., S.321.) 95

Benno von Wiese, Ich erzähle mein Leben. Erinnerungen, Ffm. 1982, S.297. 96

Gerd Tellenbach, Aus erinnerter Zeitgeschichte, Freiburg 1981, S.49.

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und hatte nach Studium und Volksschullehrerstelle 1924 die Promotion, 1928 die Venia Legendi für Pädagogik und Psychologie erhalten. Von früh an völkisch engagiert, konnte er in der NS-Zeit die Ernte einfahren, hatte er sich doch mit Schriften wie "Vererbung als Schicksal" (1932) empfohlen. 1934 wurde er o. Prof. für Psychologie und Pädagogik sowie Leiter des Instituts für experimentelle Psychologie und Pädagogik an der Universität Gie-ßen, 1934 bis 1937 war er deren Rektor. Der Professor für "Psychologie, Pädagogik, Erb-charakterologie, Rassenseelenkunde", wie er sich im Kürschner von 1940/41 empfahl, war nach Einstellung des Lehrbetriebs ab 1.9.1944 Leiter des Volkssturms Tübingen. Im Juni 1945 wurde Pfahler von der französischen Militärregierung suspendiert und interniert, im Oktober 1945 aus dem Ordinariat entlassen, im August 1948 im Zuge der Entnazifizierung unter Belassung der Lehrbefugnis in den Ruhestand versetzt und 1952 durch Gnadenerlaß rehabilitiert. Pfahler war ab Juli 1953 "ordentlicher Professor für Psychologie und Erzie-hungswissenschaft zur Wiederverwendung mit den Rechten eines entpflichteten ordentli-chen Professors" an der Universität Tübingen. Von 1956 bis 1964 hatte er dort den Lehr-auftrag für Entwicklungspsychologie, Tiefenpsychologie und Psychagogik inne. Zu seinen Nachkriegspublikationen zählt "Der Mensch und seine Vergangenheit. Eine Psychologie der Tiefe für Helfer und Hilfesuchende".98 Das mehrfach aufgelegte Buch enthält auch nicht irgendeinen Hinweis auf jene Vergangenheit, die uns angesichts von Pfahlers Bio-graphie interessiert. Der einstige Bonner Curtius-Assistent und spätere Suhrkamp-Cheflektor bis 1968 Walter Boehlich sah es als seine publizistische Aufgabe an, "den Augiasstall nationalistischer und postfaschistischer Forschung auszumisten".99 Diesen Satz schrieb er im Rahmen einer Kontroverse mit dem Sprachwissenschaftler Johannes (Leo) Weisgerber (1899 - 1985), ei-nem Bonner Groß-Ordinarius. Der Streit zwischen Boehlich und Weisgerber war bereits 1955 entstanden.100 Weisgerber war Sprachwissenschaftler und führender Keltologe in zwei Systemen.101 Als Volksschullehrerssohn in Metz geboren, war er bis Kriegsende 1918 Reservist und studierte dann Vergleichende Sprachwissenschaft, Germanistik, Ro-manistik, um 1923 im Bereich Keltologie zu promovieren und es in demselben Jahr zum Abteilungsleiter für Siedlungs- und Kulturgeschichte der rheinischen Frühzeit am Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande der Universität Bonn zu bringen. 1925 er-warb Weisgerber die Venia legendi für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissen-schaft. 1932 erhielt er die Goethe-Medaille des Freien Deutschen Hochstifts. Nach Statio-

97

Zum folgenden siehe: Alexander Hesse, Die Professoren und Dozenten der preußischen Pädagogischen Akademien (1926 - 1933) und Hochschulen für Lehrerbildung (1933 - 1941), Weinheim 1995 (darin: alpha-betisch geordnete Kurzbiographien, S.129-816.) 98

Tübingen 1950 (41957). 99

Walter Boehlich, Irrte hier Walter Boehlich?, in: Frankfurter Hefte, 1964, S.731-734, S.731. 100

Ebd. 101

Zu Weisgerber siehe im folgenden: Hesse, Professoren, a.a.O.

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nen als Privatdozent und als Professor in Bonn, Rostock, Marburg wurde Weisgerber 1940 beim Militärbefehlshaber in Frankreich als Sachverständiger im Rang eines Sonderführers zum Aufbau des Rundfunkprogramms für die Bretagne beim Sender Rennes eingesetzt. Weisgerber war von 1942 bis 1967 Professor in Bonn, zudem Mitglied des 1949 gegründe-ten Deutschen Germanistenverbandes und der 1951 gegründeten Vereinigung der deut-schen Hochschulgermanisten, seit 1954 Mitglied der Klasse für Geisteswissenschaften der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, 1955 bis 1964 Leiter des DFG-geförderten Gesprächskreises Sprache und Gemeinschaft, 1964 Mitbegründer des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim; er gab die Zeitschriften "Rheinische Viertel-jahrsblätter", "Lexis", "Wirkendes Wort" und "Sprachforum" mit heraus, war 1961 erster Preisträger des Konrad-Duden-Preises des Bibliographischen Instituts der Stadt Mann-heim, 1965 folgte die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Leuven (Belgien) und 1975 das Verdienstkreuz I. Klasse des Verdienstordens der Bundes-republik Deutschland. Walter Boehlich warf diesem hochdekorierten Mann nun vor, sein Nationalismus von ehe-dem sei "durch verräterischen Wortwechsel nicht eliminiert worden", auch wenn er sich "heute gelegentlich auf Europa berufe, wo er früher sein Volk zu verherrlichen belieb-te"102; er - Boehlich - werde Weisgerber nicht glauben, daß ihm Europa etwas bedeute, wenn "jede seiner Schriften" erfüllt sei "von der Überzeugung der Sonderstellung des Deutschen und der Deutschen"103. Boehlich belegte seine Anschuldigung durch eine Kernsätze- und Zitatenlese. Wir sehen an dieser seit 1955 geführten Polemik Boehlichs gegen Weisgerber, daß die Kri-tik an "faschistischen Augiasställen" keineswegs mit den "1968ern" begonnen hatte. Viel-mehr setzte auf breiter Front um 1957 ein Wandel im Umgang mit den Schuldigen und Be-lasteten ein, für den der Eichmann-Prozeß 1961 als Endpunkt angesehen werden kann. Die Jahre von 1957 bis 1961 "waren zugleich prägend für die anschließend intensivierte De-batte um Schuld und Verantwortung, welche in die Proteste der '68er Generation' münde-te".104 1957 erschien Enzensbergers Gedichtband "Verteidigung der Wölfe", der im Zeichen der Aufarbeitung der Vergangenheit und der Kritik an der Einführung der Bundeswehr stand: "lies keine oden, mein sohn, lies die fahrpläne: sie sind genauer. roll die seekarten auf, ehe es zu spät ist. sei wachsam, sing nicht. der tag kommt, wo sie wieder listen ans tor

102

Boehlich, Irrte hier Walter Boehlich?, a.a.O., S.732. 103

Ebd., S.734. Weisgerber replizierte in: Frankfurter Hefte, 1965, S.197-205 ("Die Lehre von der Sprach-gemeinschaft"). 104

Ulrich Brochhagen, Nach Nürnberg. Vergangenheitsbewältigung und Westintegration in der Ära Ade-nauer, Hamburg 1994, S.13.

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schlagen und machen den neinsagern auf die brust zinken (...)"105 Sind in Bölls "Billard um halbzehn" die "Büffel" Metaphern für alt-neue Nationalsozialis-ten, so bei Enzensberger die "Metzger": "zu unterrichten ist vom sichern endsieg der metzger und in der herstellung von kadavern die jugend"106 1958 begann der Ulmer Einsatzgruppenprozeß, in demselben Jahr wurde unter dem Ein-druck dieses Prozesses die Ludwigsburger Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialis-tischer Verbrechen gebildet; 1958/59 wurde die Öffentlichkeit des In- und Auslands durch Schändungen von Synagogen und jüdischen Friedhöfen sowie durch Hakenkreuzschmiere-reien alarmiert - insgesamt waren es bis Ende Januar 1960 mehr als 450 solcher Strafta-ten107; am 24.5.1960 debattierte der Bundestag über den Antrag der SPD-Fraktion gegen die Verjährung von Totschlag und schwerer Körperverletzung bei nationalsozialistischen Gewaltdelikten, und an demselben Tag meldeten die Zeitungen die Festnahme von Adolf Eichmann108; über den Eichmann- sowie den Frankfurter Auschwitz-Prozeß wurde inten-siv berichtet. Der Auschwitz-Prozeß vom Dezember 1963 bis August 1965 ging der Stu-dentenbewegung unmittelbar voraus. Von entscheidender Bedeutung für den Bewußtseinswandel ist das Jahr 1959: Zunächst in Karlsruhe, anschließend in Berlin wurde Reinhard Streckers Ausstellung "Ungesühnte Na-zijustiz" gezeigt, organisatorisch getragen vom SDS und der Deutsch-Israelischen Studien-gruppe DIS.109 Die Filme "Die Brücke" von Bernhard Wicki und "Rosen für den Staats-anwalt" von Wolfgang Staudte wurden erstaufgeführt. Vor allem vollzog sich 1959, "auf dem Höhepunkt der ersten großen Welle von Vergangenheitsaufarbeitung"110, mit Hein-rich Bölls "Billard um halbzehn", Günter Grass' "Blechtrommel" und Uwe Johnsons "Mutmaßungen über Jakob" das "deutsche Literaturwunder".111 Es war die Literatur, die

105

Hans Magnus Enzensberger, verteidigung der wölfe, Ffm. 1963 (zuerst 1957), S. 85 ("ins lesebuch für die oberstufe"). 106

Ebd., S. 68 f. ("option auf ein grundstück"). 107

Michael Kohlstruck, Zwischen Erinnerung und Geschichte. Der Nationalsozialismus und die jungen Deutschen, Bln. 1997 (Dokumente, Texte, Materialien / Zentrum für Antisemitismusforschung der Techni-schen Universität Berlin; Bd. 22), S.62. 108

Albrecht Götz, Bilanz der Verfolgung von NS-Straftaten, Köln 1986, S.143. 109

Siehe: Christel Hopf, Das Faschismusthema, a.a.O., S.75. 110

Hans-Ulrich Thamer, Die NS-Vergangenheit, a.a.O., S.45. 111

Siehe: Ebd., S.44 f., sowie insbesondere: Elisabeth Endres, Die Literatur der Adenauerzeit, Mnchn. 1983, S.231-275 ("Das bundesdeutsche Literaturwunder und die Neuanfänge"). In Bölls Roman eines Frustrierten spricht Dr. Robert Frähmel vom Nationalsozialismus als einer Zeit, "wo eine Handbewegung, ein falschver-standenes Wort das Leben kosten konnte". Er müsse sich nun gegen die "Büffel" behaupten. Als "Büffel" werden die ehemaligen Nationalsozialisten bezeichnet. Taucht bereits in Bölls "Billard um halbzehn" das Motiv des Irrenhauses auf, indem eine Frau in der NS-Zeit, die sich in einen Juden verliebt hatte und mit ihm

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Neuland rodete und die Gegenwart der nationalsozialistischen Vergangenheit in das Be-wußtsein hämmerte; es war die Literaturwissenschaft, die diese Literatur nicht zur Kennt-nis nahm. Der Abstand zwischen dem Literaturwunder von 1959 mit seinen aufregend neuen, heute kanonischen, der nationalsozialistischen Vergangenheit und ihrer Nicht-Bewältigung kompromißlos ins Auge blickenden Romanen und der deutschen Literatur-wissenschaft jener Zeit konnte schroffer nicht ausfallen. Es ist daher kein Zufall, daß eben-falls 1959 eine ätzende und wortmächtige Polemik gegen die deutsche Germanistik er-schien, für die es in den anderen Geisteswissenschaften in dieser Zeit keine Parallele gibt: die Germanisten-Schelte von Rudolf Walter Leonhardt.112 Ausgangspunkte des Autors waren gleichrangig die abgrundtiefe Trennung zwischen Universitätsgermanistik und lite-rarischem Leben in der Bundesrepublik sowie die Klage eines skandinavischen Germanis-ten, über der bundesdeutschen Germanistik schwebe noch immer das Hakenkreuz.113 Über die besondere Bedeutung nationalsozialistischer Verstrickung für die Disziplinen Germanistik und Geschichtswissenschaft hob Leonhardt hervor, jemand habe Mitläufer des NS-Regimes und dennoch guter Verwaltungsbeamter, ja, sogar guter Romanist sein kön-nen - aber:

"Germanisten und Historiker waren die einzigen, für die auch das kleinste politische Zuge-ständnis Verrat bedeuten mußte."114

Doch nahm Leonhardt die Germanistik für den faschistischen Diskurs und seine Inszenie-rung wichtiger als die Geschichtswissenschaft: "Uralte und jüngste Traditionen haben es mit sich gebracht, daß der 'deutsche Geist' in das Ressort der Germanistik fällt"115; das im 19. Jahrhundert absolut gesetzte "Völkische" sei die "Erbsünde" der Germanisten gewe-sen116. Wenn 1961 der promovierte Germanist und bereits damals namhafte Schriftsteller Martin Walser in der von ihm herausgegebenen "Alternative"117 für die Bundesrepublik ein hoff-nungsvoll gestimmtes sozialdemokratisches Zukunftstableau gab, so ließ der gelernte

in ein Konzentrationslager gehen wollte, von ihrem Vater aus Vorsicht in eine Heilanstalt gesteckt worden war, so findet es sich bei Grass in der "Blechtrommel" wieder: Oskar Matzerath ist Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt. Er wurde 1924 in Danzig geboren und beschloß in seinem dritten Lebensjahr, nicht weiter zu wachsen. Sein Vater ist ein Danziger Kleinbürger und Faschist. Bei der Befreiung von Danzig zwingt Oskar ihn, das Parteiabzeichen der NSDAP zu fressen und auf diese Weise Selbstmord zu begehen. 1945 siedelt Oskar als Flüchtling nach Düsseldorf über. 112

Rudolf Walter Leonhardt, Der Sündenfall der deutschen Germanistik. Vorschläge zur Wiederbelebung des literarischen Bewußtseins in der Bundesrepublik, Zürich 1959 (Schriften zur Zeit im Artemis Verlag / Heft 21). 113

Ebd., S.5 f. 114

Ebd., S.34. 115

Ebd., S.31. 116

Ebd., S.32. 117

Martin Walser (Hg.), Die Alternative oder Brauchen wir eine andere Regierung. Reinbek 1961.

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Buchhändler, Nestor der "Gruppe 47" und Schriftsteller Hans Werner Richter 1962 in sei-ner "Bestandsaufnahme" in 36 Einzelbeiträgen ein bedrückendes Tableau der Nachkriegs-geschichte präsentieren. Eine Reihe von Autoren war in beiden Bänden vertreten. In der "Bestandsaufnahme" wurde bezeichnenderweise die Germanistik als einzige Geisteswis-senschaft einer Analyse unterzogen.118 Ihr Befund fiel traurig aus und bezog sich pars pro toto auf zwei Nachkriegsstandardwerke der Literaturgeschichtsschreibung, auf Georg Rieds "Wesen und Werden deutscher Dichtung", 1961 in der 16. Auflage, sowie auf Hans Schwertes Beitrag über das 20. Jahrhundert in Heinz Otto Burgers "Annalen der deutschen Literatur".119 In dem Schwerte-Beitrag fand Jens viel über Kolbenheyer, nichts über Jo-seph Roth; üble Verrisse Thomas Manns, Loblieder auf den im Nationalsozialismus gefei-erten Wilhelm Schäfer120; irritiert mußte Jens feststellen, daß Schwertes Beitrag für Heinz Otto Burgers "Annalen" jede Menge Sentenzen enthielt, die 1938 oder 1942 hätten ge-schrieben sein können121. Heinz Otto Burger, von Benno von Wiese geradezu als Mann des Widerstands darge-stellt122, war nach dem Krieg Professor und schließlich Rektor der Universität Erlangen gewesen, wechselte 1962 nach Frankfurt und wurde dort für das Amtsjahr 1963/64 eben-falls zum Rektor gewählt.123 1964 beging die Frankfurter Universität ihr 50-jähriges Stif-tungsfest. Es war - wie hervorzuheben ist - ein eben in Frankfurt promovierter amerikani-scher Jungwissenschaftler, der es wagte, auf Publikationen Burgers aus der NS-Zeit hin-zuweisen, worin es hieß, die Literaturwissenschaft habe sich dem rassischen Verständnis der Gemeinschaft zu fügen etc. Burger trat angesichts dieser Vorwürfe an die Universität sowie an das hessische Kultusministerium heran und bat um Empfehlungen, was er tun sol-le. Ergebnis der Besprechungen war, daß Burger angesichts des nahenden Universitätsjubi-läums auf sein Amt verzichtete. Dem fügte er sich, unterließ aber nicht, dem amerikani-schen Jungwissenschaftler vorzuwerfen, von organisierten Drahtziehern nur vorgeschickt worden zu sein. In der Optik Benno von Wieses begann mit dem Rücktritt Burgers von seinem Frankfurter Rektor-Amt die "Krise der Universität", zumal dieser Fall das Vorbild zu der "Kampagne" vom Herbst 1964 gegen den Bonner Rektor Hugo Moser abgegeben hätte.124 118

Walter Jens, Völkische Literaturbetrachtung - heute, in: Hans Werner Richter, Bestandsaufnahme, a.a.O., S.344-350. 119

Hans Schwerte, Der Weg ins zwanzigste Jahrhundert. 1889 - 1945, in: Heinz Otto Burger (Hg.), Annalen der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Eine Gemeinschaftsarbeit zahlreicher Fachge-lehrter, Stgt. 1952, S.719-840. Zu Schwerte siehe: Bernd-A. Rusinek, Zwischenbilanz, a.a.O. 120

Autor der "Anekdoten" und wagnerisierender Geschichtsdilettant (z.B.: Die dreizehn Bücher der deut-schen Seele, Mnchn. 1922, 110. Tausend). 121

Walter Jens, Völkische Literaturbetrachtung, a.a.O., S.348. 122

"Zwischen uns herrschte, gleichsam mit Auguren-Lächeln, ein stillschweigendes Einverständnis über das uns widerwärtige Zeitalter." (Benno von Wiese, Ich erzähle mein Leben, a.a.O., S.157.) 123

Zum folgenden siehe: Spiegel 48/1963, Rektorwahl. Beinahe harmlos. 124

Benno von Wiese, Ich erzähle mein Leben, a.a.O., S.350.

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Der Alt-Germanist und Volkskundler Hugo Moser, geb. 1909, Mitautor in Burgers bereits genanntem "Annalen"-Band, hatte 1937 über ein zeitgemäßes Stammes- und Volksgrup-pen-Thema promoviert, die Mundart und Sitte der Sathmarer Schwaben125, und 1949 über "Uhlands Schwäbische Sagenkunde und die germanistische volkskundliche Forschung der Romantik" habilitiert; das Stammesthema beschäftigte Moser auch nach dem Zweiten Weltkrieg126. Dieser Gelehrte wurde im Wintersemester 1964 Rektor der Bonner Univer-sität. Wie 1959 war auch das Jahr 1964 ein Quellpunkt in den Auseinandersetzungen um die Entnazifizierung der Universitäten. Das Panorama der nicht enden wollenden Affären um nationalsozialistische Verstrickungen und 'Strukturnazis' verdient, mit einigen Strichen skizziert zu werden, bevor wir dem Fall Moser näher betrachten. 1964 begannen Studentenzeitschriften wie die "notizen" der Universität Tübingen und "5 vor 12" der Universität Marburg damit, die NS-Vergangenheit einzelner Hochschullehrer herauszustellen127, woraufhin es im Wintersemester 1964/65 in Tübingen zu der legendä-ren "Ringvorlesung" über die Hochschulen im Nationalsozialismus und in Marburg zu ei-ner Podiumsdiskussion zwischen Professoren der verschiedenen Fakultäten über das Ver-halten der Universitäten im "Dritten Reich" kam128; zugleich erschien der erste Band von Rolf Seeligers "Braune Universität"129. Währenddessen schwelte seit Januar 1964 in Göt-tingen die Affäre um den Ordinarius für Medizingeschichte Prof. Dr. Alexander Berg130: Dieser, als SS-Obersturmführer von Himmler für die Leitung einer Abteilung "Volksmedi-zin" in der SS-Lehr- und Forschungsgemeinschaft "Das Ahnenerbe" vorgesehen131, hatte 1942 habilitiert und in demselben Jahr gemeinsam mit dem SS-Hauptsturmführer Bern-ward Gottlieb ein rassistisches medizinhistorisches Machwerk über den germanischen Arzt in vier Jahrhunderten132 verfaßt. War Bernward Gottlieb 1960 apl. Professor für Medizin-geschichte an der Saar-Universität geworden, so ließ sich Berg 1963 von Berlin nach Göt-tingen umhabilitieren. Ihm sollte "wieder eine aktive Mitarbeit in seiner Fachwissenschaft"

125

Sathmarer Schwaben: Deutsche Volksgruppe im Nordwesten Rumäniens, überwiegend kath., überwie-gend in der Landwirtschaft tätig, zwischen 1712 und 1815 eingewandert. 126

Z.B.: "Der Stammesgedanke im Schrifttum der Romantik und bei Ludwig Uhland", 1948; Stammescha-rakter und Volkssage, 1953. 127

Hans-Ulrich Thamer, Die NS-Vergangenheit, a.a.O., S.47. 128

Siehe: Rolf Seeliger, Braune Universität. Deutsche Hochschullehrer gestern und heute. Eine Doku-mentation, Heft 1, Mnchn. 1964, S.7 f. 129

Siehe dazu unten. 130

Siehe: Die Zeit, 13.2.1965, "Affäre Berg". Oder: Ein deutscher Ordinarius kann sich nicht irren. Dort, wenn nicht anders angegeben, auch das Folgende. 131

Michael H. Kater, Das "Ahnenerbe" der SS 1935 - 1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Rei-ches, Mnchn. 21997, S.258. Berg war auch Mitarbeiter in dem von Göring und Himmlers "Ahnenerbe" ge-tragenen "Wald und Baum"-Projekt. (Siehe: Bernd-A. Rusinek, "Wald und Baum in der arisch-germanischen Geistes- und Kulturgeschichte" - Ein Forschungsprojekt des "Ahnenerbe" der SS <im Druck>.) 132

Bernward Gottlieb, Alexander Berg, Das Antlitz des germanischen Arztes in vier Jahrhunderten. Mit ei-nem Geleitwort von Reicharzt-SS E. R. Grawitz, Bln. 1942.

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ermöglicht werden. Der Einspruch kam von außen, von dem Zürcher Medizinhistoriker und amerikanischen Staatsbürger Erwin H. Ackerknecht. Seitens der Universität Göttingen gab es zunächst die Erklärung, Berg wäre 1942 zur Mitarbeit an dem rassistischen Buch von 1942 gezwungen worden etc., aber im Juni 1964 entzog ihm die Medizinische Fakultät der Universität Göttingen die Venia legendi.133 Am 1.7.1964 wurde Heinrich Lübke für weitere fünf Jahre zum Bundespräsidenten ge-wählt; die SPD hatte keinen eigenen Kandidaten aufgestellt, die FDP dagegen Ewald Bu-cher präsentiert, Jurist, "Pg." der NSDAP und auch noch Träger des Goldenen HJ-Abzeichens ...134 An der Universität Hamburg wurde eine Demonstration des Liberalen Studentenbundes gegen Lübkes Wiederwahl vom Rektorat untersagt. Die dortige Universi-tätsbibliothek richtete einen Giftschrank für "SBZ-Literatur" ein. Studenten, die Bücher aus der DDR lesen wollten, mußten um Sondergenehmigung einkommen.135 Vor diesem angedeuteten Panorama ist es zu sehen, daß sich Walter Boehlich entschloß, den Fall Moser zum Anlaß für einem Generalangriff gegen das zu nehmen, was er in seiner Auseinandersetzung mit dem Sprachwissenschaftler Weisgerber den "faschistischen Augi-asstall" genannt hatte.136 Mit dem Artikel "Der neue Bonner Rektor. Die Maßlosigkeit und die Mäßigung eines Phi-lologen" eröffnete Boehlich am 23.10.1964, also etwa zu Beginn des für die kritische Auf-arbeitung des Nationalsozialismus in den Universitäten so wichtigen Wintersemesters 1964/65 einen Kampf, der von vornherein auf die geistige Situation der westdeutschen Universitäten insgesamt bezogen sein sollte: Die Universität Bonn, so Boehlich, sei seit je-her durch hervorragende Lehrer ausgezeichnet und durch "Makel nationalistischer Ver-blendung" gezeichnet, speziell dadurch, daß sie Thomas Mann im Dezember 1936 den Eh-rendoktor aberkannt habe. Weil man sich aber nicht nur in Bonn, sondern "allenthalben an den Universitäten der Bundesrepublik" weigere, "die Frage nach der Rolle der Universitä-ten im Dritten Reich und nach ihrer Schuld zu stellen", habe es dazu kommen können, ei-nen Wissenschaftler wie Moser zum Rektor zu wählen. Dieser habe einst in dem nazisti-schen Aufsatz "Auslandsdeutschtum und völkische Erziehung", erschienen im "Deutschen

133

Die Zeit, 12.3.1965, Zuschrift der Medizinischen Fakultät Göttingen. 134

Arnulf Baring, Machtwechsel, a.a.O., S.36. 135

Siehe: Die Zeit, 12.2.1965, "Die übliche Sprachregelung. Hamburgs Magnifizenz und die DDR." 136

Das Thema Moser / Universität Bonn lohnte eine monographische Darstellung. Zum Folgenden siehe: Walter Boehlich, Der neue Bonner Rektor. Die Maßlosigkeit und Mäßigung eines Philologen (Die Zeit, 23.10.1964); ders., Noch einmal: Der neue Rektor (Die Zeit, 6.11.1964. Darin auch die "Erklärung" der Uni-versität Bonn, Stellungnahme der Bonner "Sonderkommission", Boehlichs "Antwort", Thomas Manns Brief an den Dekan der Universität Bonn von Neujahr 1937, die Aberkennung seines Bonner Ehrendoktorats be-treffend, sowie Leserbriefe); Fortsetzung der Berichte in der Zeit, 13.11.1964; Die Zeit, 20.11.1964 (Stel-lungnahme von Rudolf Walter Leonhardt); Die Zeit, 27.11.1964 (u.a. Dokumentation einer Erklärung des Bonner Universitätssenates sowie "Kommentar" von Rudolf Walter Leonhardt); Die Zeit, 4.12.1964 (u.a. "Erklärung der Sieben"); Die Zeit, 1.1.1965 (Leserbriefe); Die Zeit, 7.1.1965 (Leserbriefe); Die Zeit, 29.1.1965 (Karl Otto Conrady, Germanistik in der Diskussion. Über einige Prinzipien der Auseinanderset-zung mit ihrer Vergangenheit).

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Erzieher. Kampfblatt der im Nationalsozialistischen Lehrerbund geeinten Erzieherschaft des Gaues Württemberg-Hohenzollern", die These verfochten, Doppelsprachigkeit schädi-ge den Charakter und führe zu kultureller Unfruchtbarkeit; des weiteren sei Moser Mither-ausgeber eines Buches "Lieder unseres Volkes", das unter anderem ein Sammelsurium na-tionalsozialistischer "Kampflieder" enthielt und 1942 in erweiterter Fassung nochmals er-schienen sei. Wie bei seiner Polemik gegen Weisgerber beließ es Boehlich auch in Sachen Moser nicht bei Hinweisen auf Veröffentlichungen bis 1945. Er wandte sich der Nach-kriegsproduktion zu, spürte in Mosers "Deutscher Sprachgeschichte" von 1955 den Aus-druck "Weltjudentum"137 auf, sah sich einem Geschichtsdenken gegenüber, das den Nati-onalsozialismus und die deutsche Teilung offenbar "wie einen Schnupfen" erklärte, und bemerkte abschließend in einer an Karl Kraus geschulten hintergründigen Sprachkritik:

"Die mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache ist in dieser Ecke der Germanistik nichts Ungewohntes und ruft längst kein Erstaunen mehr hervor."

Dixit. Die Bonner Universität reagierte unter anderem mit dem Hinweis, die von Boehlich präsentierten Zitate aus Mosers NS-Schriften seien aufgebauscht und aus dem Zusammen-hang gerissen; sie stellte die signifikante Behauptung auf, Moser habe mit seinen national-sozialistischen Schriften nur das "damals Übliche" getan; sie deutete etwas von anonymen Zuschriften aus Frankfurt an. Nicht anders als v. Wiese über Burger, behauptete eine in Bonn gebildete "Sonderkommission" über Moser, er sei in der NS-Zeit dem Umfeld des "Widerstandes" zuzurechnen gewesen.138 Subkutan wurde mit bewährten akademischen Mitteln gefochten, und Rudolf Walter Leonhardt, Feuilleton-Chef der "Zeit", mußte Walter Boehlich vier Wochen nach Erscheinen des "Maßlosigkeits"-Artikels gegen den von der Universität Bonn verbreiteten Vorwurf in Schutz nehmen, er hätte seinen Angriff aus blo-ßem Ressentiment und Futterneid geschrieben, da er trotz Assistentenstelle bei Curtius in Bonn akademisch nichts geworden sei und nun - der Fuchs und die Trauben - sein Leben als Lektor im Suhrkamp-Verlag fristen müsse. In der ersten Leserbriefserie auf Boehlichs Artikel finden wir die Feststellung, viele habili-tierte Hochschulwissenschaftler, die tatsächlich Anti-Nationalsozialisten gewesen waren, hätten in der Bundesrepublik keinen Lehrstuhl bekommen, wogegen man bei der Wieder-einstellung ehemaliger Nationalsozialisten mit wenig Skrupeln vorgegangen sei; deprimiert wurde erwartet, die angekündigte Tübinger Ringvorlesung werde das Thema Wissenschaft und Nationalsozialismus wohl nur unverbindlich-akademisch abhandeln; man war der Auf-

137

Siehe auch: Unsere Sprache. Weltjudentum, in: Die Zeit, 13.11.1964. (Das "Weltjudentum", so wird Mo-ser zitiert, sei von der "Katastrophe" des Zweiten Weltkrieges "betroffen" worden.) 138

Die Ausweitung des Streites um Moser auf die Schmähung Thomas Manns durch die Bonner Universität braucht hier nicht zu interessieren. Im Anschluß an den Moser-Streit ist dazu eine voluminöse Monographie entstanden: Paul Egon Hübinger, Thomas Mann, die Universität Bonn und die Zeitgeschichte. Drei Kapitel deutscher Vergangenheit aus dem Leben des Dichters 1905 - 1955, München, Wien 1974

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fassung, Moser solle das Recht auf politischen Irrtum ebenso eingeräumt werden wie es die FDP bei ihrem Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten, Ewald Bucher, getan habe, der das Goldene HJ-Abzeichen besaß. Es gelang nicht, Moser zu stürzen, aber Boehlich brachte mit seinen Artikeln eine "Lawine des Unbehagens ins Rollen".139 Der Fall Moser verschärfte den Generationsgegensatz in der Germanistik und spielte auch in den Germanistenverband hinein. Dessen erster Vorsit-zender war 1965 - 1966 Benno von Wiese, zweiter Vorsitzender war Moser.140 Der furio-se Münchner Germanistentag von 1966 war ein Einschnitt in der Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft.141 Moser blieb im Rektoren-Amt, und als im Juni 1965 eine weitere Affäre an der Universität Bonn für Aufsehen sorgte, war er daran beteiligt, sie durch Schweigen und Verschleppen 'auszusitzen'. Diese Affäre betraf den Mediziner Siegfried Ruff, Leiter des Bonner Instituts für Flugmedizin. Ruff war während des Krieges im Konzentrationslager Dachau an Versu-chen beteiligt gewesen, bei denen Häftlinge in Unterdruckkammern einer simulierten Höhe von ca. 15.000 Metern ausgesetzt wurden. Die Versuche endeten oftmals tödlich. Ruff war im Nürnberger Ärzteprozeß angeklagt, aber freigesprochen worden, da ihm die Verwick-lung in die verbrecherischen Menschenversuche nur auf dem Indizienwege nachgewiesen werden konnte. Ein Bonner 'Mittelbauer' nun hatte 1965 auf den in der Fachwelt längst be-kannten Fall Ruff142 aufmerksam gemacht, woraufhin dieser mit juristischen Schritten drohte. Für Ruff verlief die Sache im Sande; aber der junge 'Mittelbauer', Assistent am Physiologischen Institut, verlor seinen Lehrauftrag.143 Dagegen ließ die nordrhein-westfälische Landesregierung den Erziehungswissenschaftler und einstigen Hamburger Senator für Schul- und Hochschulwesen Prof. Hans Wenke, 1963 zum Gründungsrektor der neuen Universität Bochum ausersehen, nach Protesten wegen seiner rassistischen und nazistischen Äußerungen im "Dritten Reich" 1965 fallen - ein Entschluß, "der ob seiner Seltenheit allgemeine Beachtung fand".144 Wie bereits hervorgehoben, war 1964 wie 1959 ein wichtiges Jahr für die Auseinanderset-zung um den Nationalsozialismus in den Universitäten, aber der Auffassung von Rolf See-liger, diese Auseinandersetzungen wären im wesentlichen von Studenten provoziert wor-

139

So Rudolf Walter Leonhardt in einem ersten Resümee der Affäre. Siehe: Ders., "Kommentar", in: Die Zeit, 27.11.1964. 140

Benno von Wiese, Ich erzähle mein Leben, a.a.O., S.353. 141

Siehe: Karl Otto Conrady, Miterlebte Germanistik, a.a.O.; Eberhard Lämmert et al., Germanistik - eine deutsche Wissenschaft, a.a.O. 142

In der internationalen Scientific Community der Luftfahrtmediziner blieb Ruff ein KZ-Arzt, der tödliche Versuche mit Häftlingen durchgeführt hatte. 1961 und 1965 mußten in der Bundesrepublik geplante Welt-kongresse für Luftfahrtmedizin abgesagt und ins Ausland verlegt werden, weil Anstoß an der Teilnahme von Ruff genommen wurde. 143

Siehe: Affäre Ruff. Tadel verpflichtet, in: Spiegel, 48/1965, S.76-77. 144

Amos Elon, In einem heimgesuchten Land, a.a.O., S.325.

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den, kann nach den bisherigen Darlegungen nicht zugestimmt werden.145 Zu konzedieren ist dagegen, daß 1964 das Scharnierjahr gewesen ist, in dem die Kritik der braunen Ver-gangenheit der Universitätslehrer von den Studierenden verstärkt selbst in die Hand ge-nommen wurde. Ein Indiz dafür sind die zwischen 1964 und 1968 von Rolf Seeliger erar-beiteten und herausgegebenen Dokumentationsbändchen "Braune Universität".146 Sie enthielten Viten eindeutig belasteter und inzwischen wieder zum Establishment zählender Gelehrter; ab dem dritten Band bat Seeliger die Angegriffenen um Stellungnahmen, die er gleichfalls zu publizieren gedachte. Insgesamt hat Seeliger 84 Hochschullehrer in seine Reihe aufgenommen: 29 Juristen und Staatswissenschaftler 11 Wirtschaftler und Volkswirtschaftler 10 Theologen, in überwiegendem Maße Protestanten 8 Historiker 5 Biologen / Anthropologen 4 Germanisten, Sprach- und Literaturwissenschaftler 3 Pädagogen / Erziehungswissenschaftler 3 Soziologen 2 Kunstwissenschaftler 2 Mediziner 2 Publizisten 2 Volkskundler 1 Anglist 1 Landesplaner 1 Physiker 1 Theaterwissenschaftler Es wimmelt also von staatstragenden Juristen; Naturwissenschaftler sind extrem unterre-präsentiert, was mit den Kenntnissen und Neigungen Seeligers zusammenhängen mochte sowie damit, daß Naturwissenschaftler nicht nationalsozialistische Traktate geschrieben, sondern effizienzsteigernd nationalsozialistisch gehandelt hatten; angesichts der Tatsache, daß ein Benno von Wiese die Meinung vertrat, wenn man in der politischen Vergangenheit angesehener Germanisten herumschnüffle, könne man keinen Professor mehr berufen, der in der NS-Zeit in Deutschland im Amt gewesen sei, verwundert die niedrige Zahl der bei Seeliger figurierenden Vertreter dieser Wissenschaft. Mit Ausnahme von Gerhard Fricke, der einst in Köln die Bücherverbrennungsrede hielt, begegnet uns keiner der prominenten

145

Rolf Seeliger, Braune Universität. Deutsche Hochschullehrer gestern und heute. Eine Dokumentation, Bd. 1, Mnchn. 1964, S.7. 146

Rolf Seeliger, Braune Universität. Deutsche Hochschullehrer gestern und heute. Eine Dokumentation, Bd. 1, a.a.O.; Bd. 2, Mnchn. 1965; Bd. 3 (ab nun mit dem geänderten Untertitel "Dokumentation mit Stellung-nahmen"), Mnchn. 1965; Bd. 4 (Sonderheft Westberlin), Mnchn. 1966; Bd. 5 (Doktorarbeiten im Dritten Reich. Dokumentation mit Stellungnahmen), Mnchn. 1966; Bd. 6 unter Mitarbeit von Dieter Schoner und Hellmut Haas, Mnchn. 1968. (Zu den Prozessen, die gegen Seeliger angestrengt wurden, siehe: Amos Elon, In einem heimgesuchten Land, a.a.O., S.328 ff.)

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Verstrickten. Acht Historiker hat Seeliger aufgenommen, allerdings keine Prominenz der ersten Garni-tur. Es handelte sich um Rudolf Buchner (Mittlere und Neuere Geschichte, Göttingen)147, Günther Franz (Geschichte und Agrargeschichte, Hohenheim)148, von dem oben bereits bei der kurzen Schilderung des makabren SS-SD-Gesprächs im Frühjahr 1945 am Berliner Wannsee die Rede war, Herbert Grabert (Zeitgeschichte, Tübingen)149, Götz Freiherr von Pölnitz (Schwerpunkt Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Erlangen; Gründungsrektor der Universität Regensburg)150, Georg von Rauch (Osteuropageschichte, Kiel)151, Bolko von Richthofen (Vor- und Frühgeschichte)152, Gustav Riek (Urgeschichte, Tübingen)153, Reinhard Wittram (Mittlere und Neuere Geschichte, Göttingen)154. Von 54 um einen Kommentar gebetenen Professoren antworteten 33. Ausgesprochen un-verfroren und auf seinen nationalsozialistischen Positionen beharrend war die Stellung-nahme des Staatswissenschaftlers Alexander Görner.155 Er fand es passend, ihr das Motto "Der Jid schlogt - un schrajt 'gewalt'" als "jidisches Sprichwort" voranzustellen, und be-merkte zu seinen antisemitischen Ausfällen während der NS-Zeit, sie entsprächen den Grundeinsichten des Historischen Materialismus und fänden eine Stütze bei Max Weber und Werner Sombart.156 Von den acht Historikern haben drei in Seeligers Reihe Stellung genommen157: v. Pölnitz,

147

Seeliger, a.a.O., Bd. 3, S.32 ff. 148

Ebd., Bd. 1, S.17 ff. Zu Franz siehe demnächst: Wolfgang Behringer, Von Krieg zu Krieg. Neue Per-spektiven auf das Werk von Günther Franz, in: Hans Medick, Benigna von Krusenstern (Hg.), Zwischen All-tag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, Göttingen 1999 149

Seeliger, a.a.O., Bd. 1, S.19 ff. 150

Ebd., Bd. 2, S.51 ff. v. Pölnitz war von der bayerischen Landesregierung als Gründungsrektor der neuen Universität Regensburg vorgesehen gewesen, und als man auf seine einschlägigen Publikationen aus der NS-Zeit hinwies, stellte sich Kultusminister Huber zunächst mit dem Argument hinter ihn, er hätte während der NS-Zeit "zur Sicherheit seiner wirtschaftlichen Existenz (...) zu Mitteln der Tarnung greifen müssen". Als immer mehr belastende Schriften auftauchten, trat von Pölnitz schließlich 1965 selbst zurück. (Siehe: Amos Elon, In einem heimgesuchten Land, a.a.O., S.325.) 151

Ebd., S.53 ff. 152

Ebd., S.56 f. 153

Ebd., S.58. 154

Ebd., S.72 ff. Siehe: Hans-Erich Volkmann, Von Johannes Haller zu Reinhard Wittram. Deutschbaltische Historiker und der Nationalsozialismus, in: ZfG 45 (1997), S. 21-46. 155

1939 Dozent an der deutschen Universität Prag und dort 1942 apl. Professor; ab 1956 Lehrbeauftragter an der TH Karlsruhe sowie Präsident des Bundesbeirats des Bundes Deutscher Kriegsopfer. 156

Siehe: Seeliger, a.a.O., S.66 f., Stellungnahme Prof. Görner. 157

Günther Franz äußerte sich 1981 an anderer Stelle über sein Engagement in der NS-Zeit: "(...) auch ich war damals Nationalsozialist." Er verwies auf Gerhard Ritters Aufsätze "Der deutsche Professor im 'Dritten Reich'" (Die Gegenwart, 1945) und "Deutsche Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert" (GWU, 1950), worin hervorgehoben worden sei, auch der Nationalsozialismus hätte "hier und da" Anstoß zu neuen For-schungsrichtungen und Fragestellungen gegeben, und zwar besonders auf dem Gebiet der "agrar- und bevöl-kerungswissenschaftlichen Studien". Auf diesem Sektor aber habe er - Franz - geforscht. Franz insistierte darauf, wohl Nationalsozialist und Historiker, aber noch lange nicht nationalsozialistischer Historiker gewe-sen zu sein. Sein Volksbegriff sei auch nicht vom Nationalsozialismus, sondern von der Jugendbewegung

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Wittram und Buchner. Götz Freiherr von Pölnitz wies darauf hin, daß das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultur die erhobenen Vorwürfe untersucht und nichts Belastendes herausgefunden hätte158; Wittram bekannte sich zu seinen früheren Äußerun-gen, bedauerte sie zutiefst und führte Schriften aus früher Nachkriegszeit an, worin er seine Positionen aus der NS-Zeit einer Revision unterzogen habe159; Buchner, insbesondere aufgrund seiner Tätigkeit in den Adolf-Hitler-Schulen belastet, machte geltend, daß die zu-ständigen Behörden bei seiner Wiedereinstellung nach dem Kriege das Erzieher-Seminar der Adolf-Hitler-Schulen "als eine wissenschaftliche, nicht politische Anstalt anerkannt" hätten, und führte - einmal in Fahrt gekommen - aus, wenn man aufgrund aus dem Zu-sammenhang gerissener Äußerungen die jetzigen Universitäten als "braun" bezeichnen wolle, so könne man sie genau so gut als "rot" ansehen: "Wie viele ehemalige Kommunis-ten lehren an ihr!"160 Kann es angesichts solch einer Haltung maßgebender Professoren verwundern, daß die an-gebotenen universitären Lehrveranstaltungen studentischen Wünschen nach neuer, frischer Wahrheit in der Regel nicht entgegenkamen? Das Meiste, so ergibt eine Auswertung von Vorlesungsverzeichnisse von Aachen, Bonn, Frankfurt, Heidelberg und Köln zwischen dem WS 1959/60 und dem WS 1970/71, blieb angenagelt auf dem alten Gleise, und es bie-tet sich als Kommentar der erste Satz des bereits genannten Campus-Romans von 1949 an:

"Albert Conradi gähnt. Er kommt aus der Vorlesung und gähnt, gähnt unaufhörlich, fast regelmäßig."161

Allerdings ist für eine wertende Durchsicht von Vorlesungsverzeichnissen einzuschränken, daß viele Lehrveranstaltungen, vor allem im Grundstudiums- und im Examenskandidaten-sektor, keine inhaltsbezogenen Titel aufwiesen, sondern als "Proseminar" oder als "Kollo-quium" firmierten, und daß angegebene Titel in die Irre führen. Wenn etwa Arnold Geh-len162 an der TH Aachen im WS 1964/65 "Deutsche Sozialgeschichte seit 1848" anbot, so

geprägt worden. Franz nahm in Anspruch, sein Aufsatz "Gesellschaft und Rasse" in der Festschrift für K. A. von Müller 1943 sei der einzige Aufsatz eines Fachhistorikers während der NS-Zeit gewesen, der kritisch zum Rasse-Begriff Stellung genommen hätte. (Günther Franz, Das Geschichtsbild des Nationalsozialismus und die deutsche Geschichtswissenschaft, in: Oswald Hauser <Hg.>, Geschichte und Geschichtsbewußtsein. 19 Vorträge für die Ranke-Gesellschaft Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben, Göttingen, Zürich 1981, S.91-111, S.106 f.) Der einstige SS-Hauptsturmführer Günther Franz hat seine nationalsozialistischen Aktivitäten allerdings stark zurücknuanciert. Franz war - wie oben berichtet - Mitglied der SS-Intellektuellenrunde, die sich am 8.3.1945 in Berlin-Wannsee traf, um die Schriftenreihe über die deutschen Ordnungsleistungen während des Krieges zu planen (siehe oben, zu Anm. XXXXXX). 158

Seeliger, a.a.O., Bd.2, S.57 f. 159

Ebd., S.74 f. 160

Ebd., Bd.3, S.35. 161

Paul Schallück, Wenn man aufhören könnte zu lügen, a.a.O., S.5. 162

Zu Gehlen siehe: Gerwin Klinger, Arnold Gehlen - Theoretiker der Führung und Mitläufer, in: Helmut König (Hg.), Der Fall Schwerte im Kontext, Opladen, Wiesbaden 1998, S.128-137.

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mutet das modern an, hatte allerdings mit dem zu jener Zeit noch kaum eingeschlagenen 'Bielefelder Weg' gar nichts und um so mehr mit einer Tradition im Sinne Wilhelm Hein-rich Riehls zu tun.163 Wie Gehlen Sozialgeschichte der Kultur betrieb, hatte er im übrigen etwa zeitgleich in einem zu Aachen gehaltenen Festvortrag "Soziologische Beiträge zur Kritik der modernen Literatur" vorgeführt164, die ein kleiner Vorgeschmack auf den 'großen', von Emil Staiger ausgelösten Zürcher Literaturstreit von 1966 war165. Gehlen begründete seine 'sozialgeschichtliche' These vom Verfall der heutigen Literatur damit, daß die tragende Oberklasse von Altadel, Neuadel, Bankiers und altem Bürgertum nicht mehr existiere, die dem Künstler einst ein Gerüst und eine moralische Generallinie gegeben hät-ten, wogegen sie nun unter der Gürtellinie operierten. In Aachen gab es die Institution des Studium generale für Hörer aller Fakultäten, um eine naturwissenschaftliche Vereinseitigung der Studierenden zu vermeiden, und ab WS 1964/65 die Philosophische Fakultät. Betrachten wir die Lehrveranstaltungen ab dem WS 1959/60 nach den Angeboten in den Fächern Geschichte, Germanistik sowie Philosophie, Politologie, Soziologie. Im Studienjahr166 1960/61 wurde im Fach Geschichte das klas-sisch zu nennende Kalte-Kriegs-Thema "Die Ostbedrohung Europas seit Peter dem Gro-ßen" angeboten; im Studienjahr darauf folgte ein "Kolloquium über Marxismus". Die His-toriker hielten sich im übrigen bis Sommersemester 1968 (Proseminar "Die soziale Frage"; im Semester darauf "Hitlers Vorstellungen von Geschichte und Politik") stark zurück. In-nerhalb der germanistischen bzw. literaturgeschichtlichen Angebote fällt im Sommerse-mester 1968 - als Thema einer N.N.-Vorlesung - erstmals der Name Brecht. Hans Schwerte erwies sich, immer nach den Titeln der VL-Verzeichnisse, in Aachen als wahrer Neulandpflüger: "Deutsche Lyrik nach 1945" (WS 1966/67); ab WS 1966/67 eine Folge interdisziplinärer privatissime-Veranstaltungen "Mathematische Methoden der Sprach- und Literaturanalyse"; im Sommer 1967 "Literatursoziologie"; im Sommer 1968 "Brecht. Lyrik und Prosa" sowie das Oberseminar "Forschungsprobleme der Trivialliteratur"; im Sommer 1972 "Ausgewählte Kapitel aus der deutschen Literatur 1933 - 1970"; schließlich im Sommer 1977 und kurz vor der Emeritierung - dieser Ausblick sei gestattet - das Seminar "Literatur im nationalsozialistischen Deutschland". Überraschend modern in seinen Veran-staltungsthemen war in Aachen auch Klaus Mehnert167, Professor für Politologie. Er ver-

163

Siehe: Wilhelm Heinrich Riehl, Die Naturgeschichte des deutschen Volkes. Zusammengefaßt und her-ausgegeben von Gunther Ipsen, Lpz. 1935. 164

Siehe: Arnold Gehlens Kraut und Rüben. Eine weniger festliche Rede, in: Die Zeit, 16.10.1964. 165

Siehe: Emil Staiger, Literatur und Öffentlichkeit (Rede vom 17.12.1966), in: Sprache im technischen Zeitalter, Heft 21-24/1967, S.90-97 (dort auch die weiteren Dokumente zu dieser Kontroverse). Staiger sah in der modernen Literatur weithin Verfall und Schmutz. Peter Weiss' Bühnenstück "Die Ermittlung" über den Frankfurter Auschwitzprozeß war nach Staigers Auffassung nur der kalkulierte Kitzel mit Schmutz und Scheußlichkeiten (ebd., S.93). 166

Die RWTH Aachen ging ab Herbst 1963 zur Semesterzählung über. 167

Zu Mehnert siehe: Michael Kohlstruck, Der Fall Mehnert, in: Helmut König (Hg.), Der Fall Schwerte im Kontext, a.a.O., S.138-172.

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anstaltete im Studienjahr 1962/63 ein Seminar über China, im WS 1964/65 ein Obersemi-nar "20.7.1944", im Sommer 1965 ein Seminar über die Sowjetunion sowie im WS 1966/67 eines über die "Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus aufgrund neuer Veröffentlichungen in der BRD". Für das Aachener Lehrangebot können wir ab Sommer-semester 1968 eine allmähliche Umorientierung konstatieren. Nun setzten auf breiter Front Veranstaltungen wie "Unruhige Jugend in Ost und West", "Politische Institutionen in der BRD: Idee, Norm und Wirklichkeit", "USA - Weltmacht in der Krise", "Deutsche Klassik und Arbeiterbewegung" ein. Das gilt in gewisser Hinsicht auch für die Universität Bonn. In der Geschichtswissenschaft boten die Bonner Osteuropa-Historiker im Sommersemester 1960 eine Vorlesung "Ge-schichte der Sowjetunion 1917 - 1941" an, ließen sie also mit dem deutschen Angriff en-den; drei Semester später erfolgte eine kursorische "Geschichte der deutsch-russischen Be-ziehungen 1815 - 1945". Im Fach Neuere Geschichte gab es im Sommersemester 1962 ei-ne Vorlesung "Geschichte des jüdischen Volkes im 20. Jahrhundert", deren Untertitel al-lerdings lautete: "und ihre Bedeutung für die allgemeine Geschichte"168; acht Semester später folgte eine Vorlesung "Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert". Im WS 1966/67 bot Franz Petri die Vorlesung "Geschichte der deut-schen Westgrenze" an. Angesichts der persönlichen Geschichte dieses Gelehrten ist das Thema der Vorlesung nur delikat zu nennen.169 Wer wollte, konnte im WS 1966/67 auch eine Vorlesung "Zur Problematik des historischen Urteils: Sonderleistungen und Sonder-verfehlungen in der Gesamtbilanz der deutschen Geschichte" hören. Dann folgte über drei Semester nichts, bis Professor Repgen im WS 1968/69 über "Hauptprobleme der deutschen Geschichte 1918 - 1933" las. Die Zeitmauer 1933 wurde im Sommersemester 1970 von ei-nem jüngeren Kollegen mit der "Einführung in die Tatsachen der Zeitgeschichte (1933 - 1945)" übersprungen. Wer an der Universität Bonn etwas über den Komplex Nationalsozi-alismus / Faschismus lernen oder sogar selbst darüber arbeiten wollte, wandte sich besser der Politologie zu. Hier nahm Karl Dietrich Bracher, Verfasser des Standardwerkes "Die Auflösung der Weimarer Republik" von 1955, ungefähr die Rolle ein, die Mehnert in Aachen spielte. Bracher, der sich vergeblich nach Köln beworben hatte170, bot im Som-

168

Hervorhebung von mir/B.-A.R. 169 Petri war im "Dritten Reich" Haupt einer Sprach- und Rasseforschung annexionistisch-antifranzösischer

Stoßrichtung gewesen. Nach seiner Auffassung endete der Kulturraum der Germanen - also deren "West-grenze" - keineswegs am Rhein, sondern an der unteren Seine und am Loire-Knie. Aus 'deutsch bleibt der Rhein' sollte sozusagen 'deutsch wird die Seine' werden. Zu Petri siehe: Karl Ditt, Die Kulturraumforschung zwischen Wissenschaft und Politik. Das Beispiel Franz Petri (1903 - 1993), in: Westfälische Forschungen 46 (1996), S.73-176; Peter Schöttler, Die historische "Westforschung" zwischen "Abwehrkampf" und territoria-ler Offensive, in: Ders. (Hg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft. 1918-1945, Ffm. 1997, S.204-261. 170

"Ehe Bracher aus Berlin auf den Bonner Lehrstuhl für Politik ging (...), scheiterte seine (von den Histori-kern unterstützte) Berufung auf Brünings Kölner Professur für Politikwissenschaft an vehementem klerikal-konfessionalistischen Widerstand, dessen reaktionäre Skurrilitäten ich als Kölner Doktorand verfolgt habe." (Wehler, Geschichtswissenschaft heute, a.a.O., S.723, Fn. 19.)

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mer 1960 "Das Problem des Rechtsradikalismus" an, im Winter 1960/61 "Der moderne Nationalismus", im Sommer darauf "Das faschistische und das nationalsozialistische Herr-schaftssystem im Vergleich", im Winter 1962/63 "Der Nationalsozialismus. Geschichte und Struktur", ab Winter 1965/66 die zweiteilige Vorlesung "Der Nationalsozialismus. Ge-schichte und Herrschaftssystem", im Sommer 1970 sogar - einzig dastehend im Bonner Angebot - "Theorien des Faschismus". Dieses Sommersemester 1970 nun war in Bonn wie an den weiteren genannten Universitäten gegenüber dem WS 1959/60 von gänzlich anderem Profil: Während 1959/60 über die hier interessierenden Probleme und For-schungsbereiche Fehlanzeige zu melden war, konnte man sich - immer mit der Einschrän-kung, daß nicht alle Veranstaltungen inhaltsbezogene Titel trugen - zehn Jahre später in die "Tatsachen der Zeitgeschichte (1933 - 1945)" einführen lassen und bei Bracher "Theo-rien des Faschismus" vermittelt bekommen. Bis auf zwei Seminare über Brechts Dramen und Dramaturgie im WS 1965/66 und im Sommersemester 1968 findet sich im germanisti-schen Lehrangebot der Bonner Alma Mater für die Jahre von 1960 bis 1968/69 nichts. Ab dem Sommersemester 1969 wurde auf die neuen Zeitströmungen und die Bedürfnisse der Studentenschaft behutsam reagiert: "Thomas Manns späte Romane" (Sommersem. 1969), "Probleme der Periodisierung II (1859 - 1950)", "Dramen von Dürrenmatt und Frisch" (Sommersem. 1970). Der Bonner Germanist Hugo Moser, von dem im Zusammenhang mit der Bonner Rektoratsaffäre bereits ausführlich die Rede war, führte dagegen ins Gotische ein, seine Kollegen wie eh und je ins Altnordische und berieten "namenskundliche Arbei-ten". Johannes (Leo) Weisgerber - auch von ihm war bereits die Rede - las bis zur Emeri-tierung 1967 seine Sprachgemeinschaftsvorlesungen, gegen die Boehlich als in der Wurzel faschistisch zu Felde gezogen war. Ab Sommer 1970 aber konnten sich interessierte, von "1968" bewegte Bonner Studierende mit den Dramen von Dürrenmatt und Frisch beschäf-tigen. Vielleicht ist es symbolisch, daß Benno von Wiese, "Bildnis eines Großordinari-us"171, in diesem Sommersemester 1970 seine mit Pasquills gegen den kritischen Zeitgeist gespickte Abschiedsvorlesung hielt. Sozusagen die Versinnbildlichung eines Groß-Or-dinarius der Adenauer-Zeit, war v. Wiese eine erzkonservative Bastion der Germanistik, wird aber in seinem Verhalten gegenüber den "1968ern" als Opportunist geschildert.172 Was die Politologie in Aachen und Bonn, das waren in unserer Betrachtungszeit von WS 1959/60 bis WS 1970/71 in Frankfurt Philosophie und Soziologie, wobei selbstverständ-

171

So der Titel einer Karikatur der Studentenvertretung des FU-Instituts für Germanistik (Deutsches Litera-turarchiv, Protest!, a.a.O., S.159); siehe auch: Peter Schütt, Benno v. Wiese. Porträt eines Doyens, in: Karl-heinz Deschner (Hg.), Wer lehrt an deutschen Universitäten?, Wiesbaden 1968, S.143-170 172

Mitteilung von Hannes Heer an Verf., Hamburg, 15.11.1997. In den Erinnerungen Benno von Wieses ist insbesondere von Hannes Heer, dessen Name heute mit der Wehrmachtsausstellung verbunden ist, als stadt-bekanntem Apo-Rebellen die Rede. v. Wiese bezeichnet ihn als fanatischen, intoleranten, aber intelligenten Ideologen, den er dennoch als Doktoranden akzeptiert hatte. Selbstverständlich habe Georg Lukács im Zent-rum der geplanten germanistischen Dissertation gestanden, aber Heer wechselte, wie v. Wiese erleichtert be-richtet, "an die sogenannte Reformuniversität Bremen". (Benno von Wiese, Ich erzähle mein Leben, a.a.O., S.357 f.)

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lich die Namen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer zuerst zu nennen sind.173 Ein Großteil der Vorlesungen Adornos floß kurze Zeit später in die aufblühende Suhrkamp-Kultur ein: "Philosophische Terminologie", "Ästhetik", "Negative Dialektik". Bei den Frankfurter Neuhistorikern stach Professor Kluke hervor, im WS 1961/62 mit der Vorle-sung "Weimarer Republik", im Sommer 1962 mit der Vorlesung "Deutschland unter dem Nationalsozialismus", die er vier Jahre später auf zwei Semester ausgedehnt wiederholte. Für die Frankfurter Germanistik ist dagegen bis zum WS 1966/67, als ein Unterseminar "Brecht" angeboten wurde, Fehlanzeige zu melden. Aber dieses Semester war das letzte von der alten Art. Künftig konnten die Studierenden die Seminare und Vorlesungen "Kafka und Musil" (WS 1967/68), "Der zeitkritische Roman 1930 - 1965", "Deutsche Literatur zwischen 1918 und 1933" (Sommer 1968) hören, im Sommer 1969 "Emigrantenliteratur 1933 - 1945" und im WS 1970/71 sogar "Gesellschaftliche Funktion literarischer Formen in der BRD" sowie "Strukturalismus und Marxismus". Sehr rührig und in seinen Veranstal-tungsthemen modern war der von Erlangen nach Frankfurt berufene Prof. Heinz Otto Bur-ger, der uns oben bereits beschäftigt hat. In Heidelberg sehen wir bei den Neuhistorikern Werner Conze als Vorreiter. Er war wich-tigster Repräsentant der Sozialgeschichte bis 1970.174 Conze bot im WS 1959/60 die Vor-lesung "Das nationalsozialistische Reich 1933 - 1945" an, im Sommer 1964 die Vorlesung "Allgemeine Geschichte 1914 bis 1945", im WS 1966/67 das Oberseminar "Sozialge-schichte des Deutschen Reiches 1871 - 1914". Unter den Doktorarbeiten, die Mitte der 1960er Jahre bei Conze entstanden, sei nur Katers Studie über das SS-"Ahnenerbe" her-vorgehoben.175 Im Verzeichnis der Heidelberger Philosophen ragen die Vorlesungen "Hegel und Marx" von Karl Löwith im Sommer 1961 und "Revolution und Tradition. So-zialphilosophie des 18. und 19. Jahrhunderts" von Jürgen Habermas im Sommer 1962 her-aus, während im übrigen sehr traditionelle Themen geboten wurden. In der Germanistik gab es von WS 1959/60 bis Sommersemester 1968 ganze drei Lehrveranstaltungsthemen, die auch Gegenwartsliteratur zu berühren versprachen. Sozusagen den Scharnier zur 'neuen Zeit' bildete im Winter 1968/69 ein Kolloquium "Strukturalismus und Literaturwissen-schaft". Was Werner Conze in Heidelberg, war Theodor Schieder in Köln.176 Seine Vorlesung vom Winter 1961/62, "Allgemeine Geschichte im Zeitalter der Imperialismen" nimmt sich

173

Zur "Frankfurter Schule" siehe den Beitrag XXXXXXXXX in diesem Band. 174

"Conze haben offenbar die Erfahrungen aus eigenem empirischen agrar- und bevölkerungswissen-schaftlichen Studien zusammen mit Interessen, die von der Ipsensschen historischen Soziologie ('Volksge-schichte') genährt wurden, ursprünglich zur Sozialgeschichte geführt, deren wichtigster öffentlicher Reprä-sentant er dann seit ca. 1955 rd. 15 Jahre lang gewesen ist." (Hans Ulrich Wehler, Geschichtswissenschaft heute, a.a.O., S.725, Fn. 23.) 175

A.a.O., 21997, zuerst Diss. Heidelberg 1966. 176

"Schieder, eine der Schlüsselfiguren der westdeutschen Geschichtswissenschaft zwischen 1950 und 1975, hat zahlreiche Probleme, die in den letzten 15 Jahren (bis 1980/B.-A.R.) diskutiert worden sind, als erster aufgegriffen." (Hans Ulrich Wehler, Geschichtswissenschaft heute, a.a.O., S.725, Fn. 23.)

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ebenso wie Frickes Seminar "Trakl" vom Sommer 1961 fast wie ein Fremdkörper im Vor-lesungsverzeichnis aus. 1960 wurde im Prinzip nichts anderes gelehrt als 1950; das Angebot von 1970 hatte ein ra-dikal anderes Profil. Die Betrachtung der Vorlesungsverzeichnisse belegt den Erfolg der "1968er". Gleichwohl ist festzuhalten, daß auch von einstigen "Nazis" zukunftsweisende und moderne Themen angeboten wurden. Wäre Frickes Kölner "Trakl"-Seminar ebenso delikat zu nennen wie Petris Bonner Vorlesung im WS 1966/67 über die Westgrenze? Petri hatte im "Dritten Reich" die annexionistischen Stichworte für eine nationalsozialistische Frankreichpolitik geliefert, Fricke177 die literarische Moderne den Flammen übergeben. Auf diese Frage wird im folgenden Abschnitt noch einmal einzugehen sein.

IV. Facit Wir haben in einem Überblick für die Jahre von 1945 bis 1968 verfolgen können, wie zu-nächst in Potsdam-Deutschland, dann in Deutschland-West ein intellektueller Diskurs über die nationalsozialistische Vergangenheit entstand, dessen Verbissenheit und Empörung mit dem Maß der Indolenz des Establishments wuchs. Anfang der 1960er Jahre entrollten Stu-denten auf der Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus am Berliner Steinplatz das Transparent "Oberländer, Globke, Schröder".178 Es hätte darauf ebenso stehen kön-nen: "Lübke, Kiesinger, Bucher", oder, auf die Universitäten bezogen: "Weisgerber, Ruff, Berg". Die Erbitterung über die Entnazifizierungskomödien der frühen Jahre und das ungenierte Stornierungsverhalten späterhin steigerte sich bis zu den staccato-haften "Nazi"-"Nazi"-Vorwürfen des oben ausführlich zitierten, gegen den Film "africa addio" gerichteten Flug-blattes von 1967. Darin aber wurde im Prinzip nichts anderes ausgesagt als das, was ein Walter Boehlich seit 1955 propagiert hatte. Spätestens ab 1959, einem entscheidenden Scharnierjahr, erreichte die Debatte über die NS-Vergangenheit eine neue Qualität. Das hatte der ehemalige Polizeidirektor von Memel nicht auf der Rechnung, als er 1958 vor dem Arbeitsgericht Ulm schamlos seine Wieder-einstellung in den Staatsdienst betrieb. Aber aufgrund von Berichten einer aufmerksamer 177

Fricke war nach 1933 kometengleich aufgestiegen. Bei der Bücherverbrennung in Köln hatte er die Rede gehalten. Folgen wir der Darstellung des bei diesem Thema Übertreibungen unverdächtigen Benno von Wie-se: "Er (Fricke/B.-A.R.) rettete sich zwar nach dem Zusammenbruch in die Türkei, konnte später sogar noch Ordinarius in Köln werden, blieb aber innerlich ein gebrochener Mann, der den Zwiespalt in seiner Brust mit sich selbst austragen mußte, und war bis zu seinem Tod ständig mehr oder weniger verfemt." (Ich erzähle mein Leben, a.a.O., S.150.) Es war die "Zeit", die 1965 bei Gelegenheit einer wiederaufgelegten Schiller-Ausgabe Frickes nationalsozialistische Vita herausstellte. Er wurde dadurch veranlaßt, seine Vorlesung mit einer ausführlichen Stellungnahme zu seiner braunen Vergangenheit zu unterbrechen. Siehe: Rede Gerhard Frickes vor seinen Studierenden zu Beginn des Sommersemesters 1965 in Köln, abgedruckt in: Petra Boden, Rainer Rosenberg (Hg.), Deutsche Literaturwissenschaft, a.a.O., S.85-95. 178

Heinz Bude, Martin Kohli (Hg.), Radikalisierte Aufklärung, a.a.O., S.75.

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gewordenen Presse wurde der Mann von einem Leser angezeigt, und die weitere Entwick-lung dieses Vorgangs bis zum Ulmer Einsatzgruppenprozeß wegen Massenerschießungen littauischer Juden und zur Einrichtung der Ludwigsburger Zentralen Stelle ist bekannt.179 Das vermehrte Interesse an der nationalsozialistischen Vergangenheit läßt sich auch dem "Deutschen Bücherverzeichnis" entnehmen: Unter dem Stichwort "Nationalsozialismus" finden wir 7 Eintragungen für die Jahre 1951 bis 1955, für 1956 bis 1960 sind es 127, für 1961 bis 1965 zählen wir 228 - gewiß grobe Zahlen zu einem Schlagwort, aber sie indi-zieren einen Quanten- und Qualitätssprung. Sollte der verzögerte Beginn der Auseinan-dersetzung mit der NS-Vergangenheit für Hermann Lübbes prominente These von der Notwendigkeit und positiven Seite des Beschweigens der nationalsozialistischen Vergan-genheit sprechen?180 Lübbe argumentiert, das Beschweigen dieser Vergangenheit sei in den 1950er Jahren nicht "Verdrängung" gewesen, sondern bewußtes Handeln, zerknirsch-ter Selbstschutz der Verstrickten und Schutz der Gesellschaft vor einer Selbstzer-fleischung; erst die materielle Sedierung durch das Wirtschaftswunder und die individuelle durch die verflossene Zeit - so Lübbe in Umkehrung der meist negativen Bewertung dieser Phase - habe die Basis für eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bereit-gestellt. Beiläufig sollte damit auch die zum geflügelten Wort gewordene These von Wer-ner Abelshauser widerlegt werden, die Bundesrepublik habe keine Geschichte, sie habe ei-ne Wirtschaftsgeschichte.181 Aber die Arroganz und Selbstgerechtigkeit des bundesdeut-schen Establishments, die dreiste Borniertheit, wie sie etwa in dem Argument zum Aus-druck kam, ein Antisemit könne sich immerhin auf Sombart und Max Weber berufen - solche Attitüden wollen sich der Lübbe-These nicht fügen. Die Argumente, man sei in Wahrheit im "Widerstand" gewesen182 oder zu inkriminierten Schriften gezwungen worden, wurden schließlich nur noch verlacht. Die Glaubwürdigkeit des Establishments wäre durch ein ehrliches Bekenntnis zum Opportunismus größer gewe-sen als durch die Lüge von der Wandlung.183 "Bereiten wir den Aufstand gegen die Nazi-

179

Michael Kohlstruck, Zwischen Erinnerung und Geschichte, a.a.O., S.61 f. 180

Siehe: Hermann Lübbe, Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewußtsein, in: Historische Zeitschrift, 236 / 1983, S.579-599, S.585. 181

Werner Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland (1945-1980), Ffm. 1983, S.8 et passim. 182

In seinem Song "Vatis Argumente" von 1968, worin es darum geht, was "Vati" Rudi Dutschke sagen würde, träfe er ihn an, hat Franz Josef Degenhardt diese argumentative Routine karikiert: "Als ich so alt war wie Sie, da habe ich mir auch nichts gefallen lassen! Immer Krach gehabt: Mit dem Fähnleinführer, mit dem Spieß. Um ein Haar, und ich wäre bei der Strafkompanie gelandet. Aber bei aller Aufsässigkeit: Wenn Not am Mann war, da hieß es doch: ÄRMEL AUFKREMPELN, ZUPACKEN, AUFBAUEN!" (Transkription von der Schallplattenaufnahme.) 183

Gerd Tellenbach berichtet, er sei in den 1930er Jahren einem Wissenschaftlerkollegen begegnet, der plötzlich und trotz mancher zuvor geäußerter Bedenken in die NSDAP eingetreten war: "Man möchte doch

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Generation vor", hatte es in einem ausführlich zitierten Flugblatt geheißen. Zu Beginn der 1960er Jahre stand diese "Nazi-Generation" noch in vollem Flor; Mitte der 1960er Jahre begann sie abzutreten. Bis dahin war ihre Macht in dem für die Auseinandersetzung um die NS-Vergangenheit paradigmatischen Bereich der Universitäten so groß, daß Anstöße von außen notwendig waren, um die Diskussion in Gang zu bringen. Wir haben diese Anstöße immer wieder beobachtet: - Die Klage eines skandinavischen Wissenschaftlers, über der bundesdeutschen Germanis-tik schwebe noch immer das Hakenkreuz, hatte zu Rudolf Walter Leonhardts Germanistik-Schelte geführt; - von dem israelischen Journalisten Amos Elon stammte die ätzende, gegen den restaurati-ven Charakter der bundesdeutschen Universitäten gerichtete Kritik, und sie wurde im "Spiegel" vorabgedruckt184; - in diese Reihe gehört auch das "Braunbuch" der DDR, gegen das auf Frankfurter Buch-messen immer wieder polizeilich eingeschritten wurde185, wenngleich es den Angegriffe-nen die angenehme Möglichkeit bot, die Nazifizierungsvorwürfe in toto als "Ostzonen"-Propaganda abzutun; - Walter Boehlich und Rudolf Walter Leonhardt waren universitär hochgebildete, aber au-ßerhalb der Universität stehende Publizisten, die zu den Fundamentlegern der Universi-tätskritik zu zählen sind, und Boehlich mußte sich anhören, die akademische Karriere sei ihm versagt geblieben, seine Polemiken beruhten auf Frustration; - von der Literatur, namentlich vom deutschen Literaturwunder 1959, gingen wesentliche Impulse aus; - es war ein amerikanischer Jungwissenschaftler, der auf Publikationen Burgers aus der NS-Zeit hinwies; - der Einspruch gegen Alexander Bergs, des einstigen SS-Medizinhistorikers, Umhabilita-tion nach Göttingen im Jahre 1963 kam von einem Zürcher Wissenschaftler; - die internationale Scientific Community weigerte sich wegen der steilen und geradezu obszönen Karriere des Luftfahrtmediziners Ruff, Weltkongresse für Luftfahrtmedizin in der Bundesrepublik durchzuführen; - die Gegenprobe mußte ein junger Bonner 'Mittelbauer' 1965 an sich selbst erleben: Er hatte 1965 auf den Fall Ruff aufmerksam gemacht und verlor seinen Lehrauftrag. Um 1965 war die Führung des öffentlichen Diskurses über die NS-Vergangenheit bereits von den kritischen Studierenden übernommen worden. Für die öffentliche Wahrnehmung der Studentenbewegung sorgte nicht zuletzt die Springer-Presse. Der Konzern kontrollierte

auch einmal einen Ruf haben." Tellenbach akzeptierte diese Erklärung, da er "ein ehrliches Bekenntnis zur Opportunität einer unbewußt verlogenen Wandlung vorzog." (Aus erinnerter Zeitgeschichte, a.a.O., S.38.) 184

Siehe: Der Esel aus dem Schoß des Tigers. Beobachtungen in der Bundesrepublik und in der DDR, in: Spiegel 1966, Heft 40. 185

So etwa auf der Frankfurter Buchmesse von 1967: "In einem ausgestellten 'Braunbuch' des Staatsverlags der DDR, 'Naziverbrecher in der Bundesrepublik' (denen auch Bundespräsident Lübke subsumiert wird) sieht der Vorsteher des Frankfurter Börsenvereins, der Verleger Friedrich Georgi, einen Fall für den Staatsanwalt. Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer lehnt es zwar ab einzugreifen, aber ein Frankfurter Amtsrich-ter läßt am letzten Messetag das Buch dann doch polizeilich beschlagnahmen." (Deutsches Literaturarchiv, Protest!, a.a.O., S.293.)

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32,7 Prozent aller Zeitungen und Zeitschriften.186 Inhaltlich geht das Haßverhältnis zur Manipulationsmacht Springer erstens auf Vergleiche mit der Spätphase der Weimarer Re-publik zurück, als die reaktionäre Hugenbergpresse die "Machtergreifung" vorbereiten half; zweitens wurde der Springer-Presse vorgeworfen, sie untergrabe durch Manipulation die Möglichkeit einer freien Diskussion in einer liberalen Öffentlichkeit und somit ein Es-sential aller "1968er"-Forderungen; drittens wurde Springers Macht mit der Spiegel-Affäre von 1962 zusammengesehen: gegen kritische Berichterstattung schritt die Polizei ein, die reaktionäre Presse, insbesondere Springers "Bild-Zeitung", wiegelte die Polizei gegen kri-tische Studierende auf. Es indizierte für die "1968er"-Studenten "Faschismus", wenn in der Demon-strationsberichterstattung der "Bild-Zeitung" von "Polizeihiebe(n) auf Krawallköpfe" die Rede war, "um den möglicherweise doch vorhandenen Grips locker zu machen"187 - aber es wurde doch berichtet, so daß wir von einem nutznießenden Feindschaftsverhältnis zwischen Springer-Presse und Studentenbewegung reden können. Die Springer-Presse trug mit dazu bei, daß noch nie eine Protestbewegung so sehr im Zentrum der Medien-Aufmerksamkeit gestanden hatte wie die der kritischen Studierenden von "1968".188 Wahrscheinlich kann man sagen, daß Rudi Dutschke, Rainer Langhans, Benno Ohnesorg und Fritz Teufel die ersten deutschen Studenten seit Carl Ludwig Sand gewesen sind189, die den unmittelbaren Zeitgenossen als Personen ein Begriff waren190. Die führenden stu-dentischen Akteure waren Medienstars und mit ihren Aktivitäten in Funk, Fernsehen und Zeitungen präsent. Flotte Sprüche wurden zu geflügelten Worten; Provokationsrituale machten die Runde und diffundierten in die Trivialkultur.191 Die Studentenrevolte war die erste Revolte in der entwickelten Mediengesellschaft, und sie inszenierte sich medienge-recht und ästhetisch vor dem Hintergrund eines politischen Ästhetikbegriffs - wurde der

186

Ebd., S.123. 187

Zit.n.: Peter Mosler, Was wir wollten, was wir wurden. Studentenrevolte - zehn Jahre danach, Reinbek 1977, S.26. 188

Es ist trivial, daß dieses Medien-Echo die Wahrnehmung des Demonstrationsgeschehens stärker be-stimmte als die pure Statistik der Demonstrationen selbst. Keineswegs war die numerische Demonstrati-onsfrequenz so dramatisch wie zeitgenössische Wahrnehmung und nachträgliche Mythologisierung sugge-rierten. (Zur Statistik der Demonstrationen siehe: Dieter Rucht, Die Ereignisse von 1968 als soziale Bewe-gung. Methodologische Überlegungen und einige empirische Befunde, in: Ingrid Gilcher-Holtey <Hg.>, 1968, a.a.O., S.116-130.) 189

Der Theologie-Student Sand hatte den "Vaterlandsverräter" und "russischen Agenten" Kotzebue er-mordet, was zu den "Karlsbader Beschlüssen" führte. 190

Das gilt nicht für die 1943 hingerichteten Studenten der "Weißen Rose", deren Widerstand in den 1950er Jahren Norm- und Vorbildcharakter erhielt. "Weiße Rose" und "20. Juli" wurden dem von der DDR auf den Schild erhobenen kommunistischen und Arbeiterjugend-Widerstand gegenübergestellt. In der offiziellen Pro-klamierung von Widerstand rettete die "Weiße Rose" das Bild der Studierenden im "Dritten Reich" ebenso wie der "20. Juli" das Bild des Wehrmachtssoldaten des Zweiten Weltkrieges retten sollte. 191

So etwa in dem Film "Zur Sache Schätzchen" von May Spils und Werner Enke mit seinem heute schwer erträglichen Gag über den Reichstagsbrand 1933. Zu Film und (Trivial-)Kultur in den 1960er Jahren siehe: The Roaring Sixties. Der Aufbruch in eine neue Zeit, Amsterdam 1992 (Time-Life-Books; ohne Herausge-bernamen).

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Faschismus doch mit Walter Benjamin, dessen Schriften ab "1968" eine Renaissance erleb-ten, als Ästhetisierung der Politik gedeutet, auf die mit einer Politisierung der Ästhetik zu antworten war.192 Schauen wir auf die Formseite der studentenbewegten Aktionen, so werden wir wieder auf den Zusammenhang von Kunst und gesellschaftlichem Protest hin-gewiesen, der sich schon biographisch sowohl bei den jungen studentischen Aktivisten wie Gudrun Ensslin193 als auch bei den "1968er"-Bezugsdenkern wie Adorno, Benjamin, Bloch oder Lukács aufweisen läßt. Es fügt sich in diese Sicht ein, daß Rudi Dutschke und Bernd Rabehl 1962/63 in Berlin die "Subversive Aktion" als Ableger der entsprechenden Münchner Gruppe gründeten. Diese, zu der auch Dieter Kunzelmann gehörte, hatte sich gebildet, nachdem ihre Mitglieder aus der avantgarde-künstlerischen "Situationistischen Internationale" ausgeschlossen worden waren.194 Der Zusammenhang von Kunst und Protest war in diesem Beitrag einige Male hervorzuhe-ben, weil die konstitutive Rolle des Imaginären und Ästhetischen von einer hausbackenen, allein politikgeschichtlich orientierten Darstellung des Diskussions- und Protestgeschehens in den 1960er Jahren verkannt würde. "Ohne Provokationen", so wird der Student und "Kommunarde" Rainer Langhans zitiert, "werden wir nicht wahrgenommen."195 Peter Handke, der prominenteste aus der "1968er" Zeit hervorgegangene Autor, sah einen Zusammenhang der studentenbewegten Aktions-formen mit dem modernen Theater:

"Das engagierte Theater findet heute nicht in Theaterräumen statt (...), sondern in Hörsälen (...), wenn Professoren durch eingeschlagene Türen blinzeln, wenn von Galerien Flugblät-ter auf Versammelte flattern (...)"196

Diese Ästhetisierung wurde gegen ein Establishment inszeniert, dem man in einer Situation nichts mehr abnahm, in der sozusagen allmonatlich ein neuer Nazi-Skandal aufgedeckt wurde. Das aber hatte Konsequenzen für die Verfahrensweise der energisch nachgeforder-

192

"So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus ant-wortet ihm mit der Politisierung der Kunst." (Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner techni-schen Reproduzierbarkeit <zuerst 1934/35>, in: Ders., Illuminationen. Ausgewählte Schriften, Ffm. 1977, S.136-S.169, S.169.) 193

Die Studentin der Philosophie, Anglistik und Germanistik brachte gemeinsam mit ihrem Verlobten Bernward Vesper den Sammelband "Gegen den Tod" heraus und verfolgte weitere Projekte im Bereich der engagierten neuen Literatur. Einer der Vertrauensdozenten der Studienstiftungsstipendiatin Gudrun Ensslin war Walter Jens, dessen Kolloquien über zeitgenössische Literatur auf viele spätere "1968er" wie eine Er-leuchtung wirkten. (Deutsches Literaturarchiv, Protest!, a.a.O., S.20 f.) 194

Rudi Dutschke, Aufrecht gehen. Eine fragmentarische Autobiographie, hg. v. Ulf Wolter, Bln. 1981, S.195 f.; Michael A. Schmidtke, Die Kunst des radikalen Nebeneinanders. Die künstlerische Avantgarde der Happening-Kunst und die politische Protestbewegung der 60er Jahre, in: Der gesellschaftliche Ort der 68er-Bewegung, a.a.O., S.21-37, S.32. 195

Zit.n.: Franz Schneider, Dienstjubiläum, in: Ders. (Hg.), Dienstjubiläum einer Revolte. "1968" und 25 Jahre, Mnchn. 1993, S.9-79, S.29. 196

Zit.n.: Deutsches Literaturarchiv, Protest!, a.a.O., S.197 f.

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ten Entnazifizierung: Sie geriet auf den Pfad der Personalisierung; nach dem Motto 'Einmal Nazi, immer Nazi!' wurde ein statischer Identitätsbegriff unterlegt; das Denken reduzierte sich vielfach auf ein bipolar-oppositionelles Profil, bei dem das Gegenteil von dem, was die "Faschisten" sagten, "antifaschistisch" legitimiert erschien. Das häufig theorieschwache und reduktionistische Zeigen auf das Personal197 lag in einer Situation nahe, in der bald im Bundeskanzleramt, bald an einer Universität, bald in einem Großunternehmen immer neue "Nazis" entdeckt wurden. Zu Ämtern und Ehren aufgestie-gen, leugneten sie ihre frühere Rolle oder marginalisierten sie nach dem Muster 'Was hätte ich denn tun sollen?' - wenn sie sich nicht gar als "Widerstandskämpfer" umzudeuten suchten. Für all diese Strategien wurden in diesem Beitrag Beispiele präsentiert. Wenn wir aber nicht nur darauf schauen, was jene gesagt und getan haben, die dem neuen Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik proklamierten, sondern auch auf die Interaktion zwischen den Akteuren dieses Diskurses und den beklagten einstigen "Nazis", so erkennen wir, daß auf die systematische Kleinmacherei des NS-verstrickten Personals mit einer aggressiv gestimmten ebenso systematischen Großmacherei reagiert wurde. Zugleich war diese Großmacherei und der Hang zur Focussierung auf Namen und Personen die Reaktion auf einen die frühe Bundesrepublik dominierenden Diskurs, den Adorno in einer sprachkritischen Untersuchung zur "deutschen Ideologie" analysiert hat: den vom konkreten Einzelnen absehenden Verdränger-Jargon198, der bis in die 1960er Jahre hinein die Oberherrschaft besaß und heute als ein absonderliches vulgär-existenzialistisches Schwadronieren erscheint. Nehmen wir als Beispiel einen Beitrag aus dem Jahre 1949, "Goethe-Feier 1949"199, eine 'existenzialistische' Standardschrift, die Adorno zur Vorlage hätte dienen können. Ausgangspunkt ist ein Zitat von José Ortega y Gasset, einem Lieblingsdenker der Westdeutschen in der Nachkriegszeit. Mit Ortega wird zunächst ein "Goethe für Ertrinkende" gefordert und ein "Tribunal der Schiffbrüchigen". Noch nie, so lesen wir weiter, sei "unser Volk" so sehr vor die Frage seiner "Existenz" ge-stellt gewesen wie jetzt, und es müsse diese Frage beantworten, "um daraus Einsicht und Mut zum Bekenntnis der Möglichkeit seines Daseins zu schöpfen". Von der "Not unseres entblößten Daseins" wird gesprochen, vom "Strudel des großen Schiffbruchs", von "uns Deutschen", die "in diesen Untiefen und in diesem Versagen nur allzu bewandert" seien, von der "Sorge der Völker" und der "Wahrheit des Seins", endlich vom "historischen Schutt", der "beiseite zu räumen" sei ... Fraglos ist im Medium von "Mensch", "Dasein",

197

Hier ist die Rede vom öffentlichen intellektuellen Umgang mit dem Nationalsozialismus in den 1960er Jahren, nicht aber von den strukturorientierten neuen Konzepten, die zeitgleich in der Geschichtswissenschaft entstanden und vor allem mit dem Namen Hans Mommsen verbunden sind (siehe: Ders., Betrachtungen zur Entwicklung der neuzeitlichen Historiographie in der Bundesrepublik, in: Géza Alföldy, Ferdinand Seibt, Albrecht Timm <Hg.>, Probleme der Geschichtswissenschaft, Düsseldorf 1973, S.124-155). 198

Theodor W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie, Ffm. 81977. 199

Hans Schwerte, Goethe-Feier - 1949, in: Erlanger Universität, Akademische Semesterblätter, 8.7.1949, S.57 f. Dort die folgenden Zitate.

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"Not", "Strudel" und "Existenz" von der nationalsozialistischen Vergangenheit die Rede, aber es wird niemand genannt, und der Verfasser war auch noch ein bedeutender SS-Funktionär gewesen, der nun unter falschem Namen lebte. Vor dem Hintergrund eines sol-chen typischen Textes ist zu erkennen, daß die Entlarvung ehemaliger Nationalsozialisten einschließlich der reduktionistischen Schwäche die repersonalisierende Gegenbewegung zur Depersonalisierung im Verstrickten-Argot der 1940er und 1950er Jahre gewesen ist. Eine mit der Personalisierung verbundene weitere Schwäche des Umgangs mit der NS-Vergangenheit in den 1960er Jahren war der statische Identitätsbegriff, der zu suggerieren schien, das Denken einst nationalsozialistischer Wissenschaftler, Politiker, Unternehmer sei unverrückbar. Dagegen hat aber der kurze Blick auf die Lehrveranstaltungsthemen aus-gewählter Hochschulen zwischen 1960 und 1970 für unsere Überlegungen ergeben, daß im Nationalsozialismus belastete Wissenschaftler wie Burger, Fricke und Schwerte, Conze, Mehnert und Theodor Schieder moderne und vorwärtsgewandte Themen anboten. Zur oben untersuchten vehementen Kritik von Walter Boehlich an Hugo Moser und dessen Bonner Rektorat wurde von einer der Kleinmacherei unverdächtigen Seite bemerkt, sie sei überzogen gewesen, hätte eine vergleichsweise harmlose Person aufgespießt und sich auf einzelne Formulierungen gestützt - immerhin sei Moser nach dem Krieg Professor in den Niederlanden gewesen.200 Aber vielleicht war auch in diesem Fall die Polemik gegen her-ausgegriffene einzelne Hochschullehrer die lustvolle Kompensation des immer wieder be-obachteten Löschverhaltens dieser Personen als Gruppe oder der Reaktion offizieller Uni-versitätsgremien. Eine ganze Reihe von Äußerungen der in den Seeliger-Bänden zu Wort gekommenen NS-belasteten Hochschullehrer haben zum Topos von der Unbelehrbarkeit dieser Generation beigetragen. Wandlungsfähigkeit und Lernprozesse ehemaliger Natio-nalsozialisten201 wurden im Umgang mit der NS-Vergangenheit während der 1960er Jah-re kaum in Erwägung gezogen, obgleich diese Zeit als ein der Pädagogik und den Lernpro-zessen sehr aufgeschlossenes Jahrzehnt bezeichnet werden kann. Das als ehedem national-sozialistisch angegriffene Personal wurde auch deshalb statisch aufgefaßt, weil andernfalls die These von der Kontinuität des Faschismus in der Bundesrepublik bedroht gewesen wä-re. Aber der bedeutendste blinde Fleck im hier beobachteten Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik der 1960er Jahre waren die Juden und der jüdische Staat. Der Auffassung eines Joseph Roth, der Jude habe ein Recht auf Palästina, nicht, weil er aus diesem Lande komme, sondern, weil ihn kein anderes Land haben wolle202, konnte man sich ebensowenig anschließen wie jener von einem historisch legitimierten Sonder-

200

Karl Otto Conrady, Miterlebte Germanistik, a.a.O., S.134. 201

Zur Wandelbarkeit ehemaliger Nationalsozialisten am Beispiel de Man siehe die trotz enigmatischen Ti-tels sehr aufschlußreiche Schrift: Jacques Derrida, Wie Meeresrauschen auf dem Grund einer Muschel ... Paul de Mans Krieg. Mémoires II, hg. v. Peter Engelmann, Wien 1988 (Edition Passagen 20) 202

Joseph Roth, Juden auf Wanderschaft, in: Ders., Werke, Bd. 3, Amsterdam 1976, S.291-357, S.303.

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recht der Notwehr des israelischen Staates. Könnte eine Erklärung für die argumentative Bekämpfung des jüdischen Staates abermals in dem bipolar-oppositionellen Profil des "Antifaschismus"-Diskurses der 1960er Jahre erblickt werden? Für diesen Bipolarismus sprechen einige Indizien: - Die Juden standen an der Spitze der Verfolgtenhierarchie im offiziellen Nationalsozia-lismus-Gedenken der Bundesrepublik; - es war Konrad Adenauer gewesen, der sich im Dezember 1951 in London mit Nahum Goldmann getroffen hatte und die deutsch-israelischen Wiedergutmachungsverhandlungen im Juni 1952 in seinem Rhöndorfer Haus zum Durchbruch führte203; - es war sodann ausgerechnet der Haßfeind Nummer 1 der "1968er", Axel C. Springer, der sich größte Verdienste um die Aussöhnung mit Israel erworben hatte, als freigiebiger Mä-zen auftrat und dessen Zeitungen nicht müde wurden, Positives über den jüdischen Staat zu berichten. Als schließlich die Ausläufer der "1968er"-Bewegung in das Fahrwasser des DKP- oder des maoistischen Marxismus gerieten, hatte das eine Verstärkerwirkung für den "Antizio-nismus". Die marxistisch orientierten Ausläufer der "1968er" marginalisierten die Juden als die Haupt-Opfergruppe des Nationalsozialismus erstens durch die Rezeption der Dimit-roff'schen Faschismus-These, die den Völkermord an den Juden nicht erklären kann, zwei-tens dadurch, daß sie die Widerstands- und Verfolgtenhierarchie umbauten204, indem statt der Juden als passiv-duldende Objekte der Verfolgung nun kommunistische Arbeiter als aktiv-kämpferische Subjekte des Widerstands an die Spitze gestellt wurden. Handelte es sich um ein Phänomen des Antisemitismus und wäre der "Antizionismus", der sich gegen die Rückkehr der Juden nach Israel und ihr Lebens- und Wohnrecht dort wandte und die Juden des Rassismus und Faschismus anklagte, nur ein schlecht drapierter Antise-mitismus gewesen?205 Man hat in dem gelegentlich militanten antizionistischen Vokabu-lar, das mit der Studentenbewegung aufgekommen sei, in der Pauschalität der An-schuldigungen, in der "Entlarvung" des Zionismus als Rassismus den Ausdruck einer noch immer stark emotional geprägten antijüdischen Feindseligkeit gesehen.206 Dagegen aber wurde von den "1968ern" zugetaner Seite eingewandt, Antisemitismus und Anti-Zionismus unterschieden sich kategorial strikt voneinander, ginge es doch bei jenem um den Haß auf eine ethnische Gruppe, bei diesem aber um den Haß auf die Politik eines Staa-

203

Siehe: Adolf M. Birke, Nation ohne Haus. Deutschland 1945-1961, Bln. 1989 (Die Deutschen und ihre Nation 6), S.289 ff. 204

Zum Kampf um die Widerstands- und Verfolgtenhierarchie in der Bundesrepublik siehe: Bernd-A. Ru-sinek, Jugendwiderstand und Kriminalität. Zur neueren Bewertung der "Edelweißpiraten" als Wider-standsgruppe, in: Gerd R. Ueberschär (Hg.), Der 20. Juli. Das andere Deutschland in der Vergangen-heitspolitik nach 1945, Bln. 21998, S.366-387, insbesondere S.366-370 ("Die Erforschung von Widerstand und Verfolgung als historisches Phänomen"). 205

Fritz May, Israel zwischen Blut und Tränen. Der Leidensweg des jüdischen Volkes, Asslar 1987, S.23. 206

Geschichte des modernen Antisemitismus in Deutschland, Darmstadt 1983, S.182.

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tes.207 Aber vielleicht wird damit die Abgründigkeit des Problems gerade in Deutschland übersehen.208 Es ist beschämend, daß in Handkes "Publikumsbeschimpfung" von 1965, mit dem der erfolgversprechende 'Literaturbeatle' die Bühne betrat, exklamiert wurde:

"Ihr Saujuden!"209

Was die euphorische Dimitroff-Rezeption betrifft, durch die der Völkermord an den Juden marginalisiert wurde, und die "Gebetsmühlen orthodoxer marxistisch-leninistischer Defini-tionen" ohne empirischen Ertrag in den Wissenschaften210, so handelt es sich um Nach-wirkungen und Ausläufer von "1968". Diese aber können hier nicht eingehend betrachtet werden.211 Es hat den Anschein, als ob das Produktive und Vorwärtsweisende vor dem Jahr 1968 entwickelt, danach aber dementiert wurde, nicht zuletzt durch einen "rigorosen Politizis-mus"212, der sich etwa in der Parole vom Tod der Literatur213 und in Walter Boehlichs "Autodafé" vom Tod der Literaturkritik214 äußerte. Über den berühmten 1966er Germa-nistentag, der eine produktive Fachkritik von höchstem Niveau gewesen ist, wurde be-merkt, er habe keine Fortsetzung gefunden und sei "von der sog. Studentenbewegung sozu-sagen überrollt" worden.215 Die niveauvolle und für andere Wissenschaften beispielhafte

207

Werner Bergmann, Rainer Erb, Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnisse der em-pirischen Forschung von 1946 - 1989, Opladen 1991, S.173. 208

Zu den beängstigenden, schwindelerregenden Fernwirkungen von "1968" gehört, ohne "1968" und RAF-Terrorismus ineinssetzen zu wollen, was Jochen Hörisch über Christian Klar, Schleyer und die Juden ausge-führt hat: "Der von RAF-Terroristen ermordete Hans-Martin Schleyer (...) war ein übler SS-Mann. Zu den deutschen Antinomien, die einem schier das Hirn zerspringen lassen können, gehört, daß er von Leuten ent-führt wurde, die sich in der hocheffektiven Terroristenorganisation SS bestens gemacht hätten. Christian Klar ist der Phänotyp eines nachgeborenen, in seiner entschlossenen rücksichtslosen Effektivität sehr deutschen SS-Mannes. (...) In Palästinenserlagern haben die RAF-Terroristen gelernt, was auch die Militanten aus der Generation ihrer Nazi-Eltern begrüßt und millionenfach getan haben: Juden töten." (Jochen Hörisch, "Ver-haften Sie die üblichen Verdächtigen." Unheimliche Dimensionen in den Fällen Schwerte/Schneider, de Man, Jauß, in: Wilfried Loth, Bernd-A. Rusinek <Hg.>, Verwandlungspolitik, a.a.O., S.181-195, S.192.) 209

Peter Handke, Publikumsbeschimpfung, in: Ders., Prosa, Theaterstücke, Hörspiele, Aufsätze, Ffm. 1969, S.180-211, S.209. 210

Wehler, Geschichtswissenschaft heute, a.a.O., S.731. 211

Vor den theoretischen und methodologischen Problemen einer solchen Betrachtung sei gewarnt. Was heißt Ausläufer? Wie verhielten sich Zentrum und Peripherie einer Bewegung? Wie "1968er" und RAF-Ter-rorismus? Was war Konsequenz, was Renegatentum? 212

So der Vorwurf von Hans Egon Holthusen, einem der mächtigsten Literaturkritiker der 1950er und 1960er Jahre, in einer autobiographischen Verteidigungsschrift gegen studentenbewegte Kritiker, die er nach 1968 vermutlich nicht mehr veröffentlicht hätte (Freiwillig zur SS, in: Merkur 223/1966, S.912-939, ebd., 224/1966, S.1037-1049, S.1041). Holthusen, geboren 1913, Pfarrerssohn aus Norddeutschland, SS-Angehöriger, nach dem Kriege als Autor eines christlichen Existenzialismus hervorgetreten, war ab 1961 Leiter des Kulturprogramms des Goethe-Hauses New York. 213

Hans Magnus Enzensberger, Gemeinplätze, die Neueste Literatur betreffend, in: Kursbuch 15, 1968, S.187-197 214

Ebd., Kursbogen. 215

Karl Otto Conrady, Miterlebte Germanistik, a.a.O., S.143.

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Germanistik-Kritik sowie die erkämpfte aufrichtige Vergangenheitskultur verband nichts mit der puerilen Blutbad-Rhetorik der Parole "Schlagt die blaue Blume tot / färbt die Ger-manistik rot".216 Rückblickend wird die Auffassung vertreten, das Fach sei in den 1970er Jahren durch "die umstandslose Forderung nach Teilnahme an der Weltrevolution" ins Schleudern geraten; viele gute Germanisten seien zum Schweigen gebracht worden.217 In der Silvester-Umfrage der "Süddeutschen Zeitung" - "Was hat sich für mich 1968 ver-ändert?" - konfrontierte Alfred Andersch den Bürgerhaß eines studentenbewegten Nach-wuchslyrikers mit seiner eigenen Erfahrung im "Dritten Reich":

"Im neuen Heft des 'Kursbuch' lese ich ein Gedicht eines gewissen Friedrich Christian De-lius, in dem im Ton großen Vergnügens geschildert wird, wie ein Pulk junger Revolutionä-re die Bibliothek (...) eines Intellektuellen konfisziert (...) Da ich einmal habe zusehen müssen, wir mir meine Bücher konfisziert wurden, gestehe ich, daß mir der Sinn für den satten Humor dieses Gedichtes fehlt".218

Anläßlich eines "Iphigenie"-Vortrages von Theodor W. Adorno im Juli 1967 an der FU Berlin wurden Flugblätter verteilt, worin vom "feisten Teddy" die Rede war, der sich "zu Tode adornieren" möge, und davon, daß man lieber Mao lese als Goethe oder gar A-dorno.219 Was die Mao- und China-Euphorie als eine der Wirkungen von "1968" betrifft, so ist konservativen Kritikern schwer zu widersprechen:

"Man faßt sich an den Kopf, wie Studenten in München, Hamburg und Berlin durch die Straßen ziehen konnten, in der einen Hand die Mao-Bibel, in der anderen das Transparent für kritische Wissenschaft, ohne bei jedem Schritt über den Widerspruch zwischen beiden zu stolpern."220

Oder waren die Auswirkungen von "1968" - so der Mao-Kult, der Seminar-Marxismus und die Auffassung, die Universität sei ausschließlich vom Kapital abhängig und deshalb nicht von innen, sondern nur von außen und revolutionär veränderbar - Ausbruchsversu-che aus einer verfahrenen Situation? Die Frage, ob es eine Verbindung zwischen normativer Modernisierungsforderung im Sin-ne von Demokratie und Überwindung nationalsozialistischer Residuen und einer Moderni-sierungsforderung im Sinne kapitalistischer Dynamisierung gegeben hat, kann hier nur an-

216

Eine Parole, mit der die Berliner Tagung des Germanistenverbandes im Oktober 1968 "umfunktioniert" werden sollte. (Deutsches Literaturarchiv, Protest!, a.a.O., S.161.) 217

Gert Kaiser, Die Rückkehr des Citoyen, in: Düsseldorfer Uni-Zeitung, 2/1997, S.16-19, S.17. 218

Süddeutsche Zeitung, 31.12.1968, Beilage "SZ am Jahresende", "Unsere Silvester-Umfrage: Was hat sich 1968 für mich verändert?" Es handelt sich um Friedrich Christian Delius' Gedicht "Armes Schwein", in: Kursbuch 15, 1968, S.144. 219

Ebd., S.133 f. 220

Winfried Schlaffke, Franz Schneider, Maoismus. Kulturrevolution - Späte Einsichten, in: Franz Schneider (Hg.), Dienstjubiläum einer Revolte. "1968" und 25 Jahre, Mnchn. 1993, S.80-96, S.86

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gerissen werden. Den massiven Ausbau der Hochschulen forderte das "Establishment" schon lange, und es war Ludwig Erhard, der in seiner oben zitierten Regierungserklärung vom 18.10.1963 unterstrichen hatte, Bildung und Forschung besäßen für unsere Zeit den gleichen Stellenwert wie die soziale Frage im 19. Jahrhundert. Über die Notwendigkeit ei-nes energischen Hochschulausbaus und der Rekrutierung von Studierenden aus der gesam-ten Bevölkerung anstatt aus bildungsprivilegierten Schichten waren alle etablierten politi-schen Kräfte der 1960er Jahre einig. Wie wir in diesem Beitrag vielfach gehört haben, kritisierten linksliberale Publizisten und studentenbewegte Engagierte ab den 1950er Jahren das noch immer vorhandene streng hie-rarchische Ordinarienprinzip an den Universitäten als sinnfälligen Ausdruck einer nicht vollzogenen Bewältigung des "Dritten Reiches". Es gilt nun als geläufige Tatsache, daß die Parole "Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren", im Herbst 1967 in der Hambur-ger Universitäts-Aula entrollt und von den Medien in alle Welt verbreitet, gleichsam die Essenz der "1968er"-Forderungen darstellt. Aber bereits einige Jahre vor 1968 und in der bürgerlichen bis konservativen Presse wurden die Verkrustungen in Universitäten sowie die hemmenden Institutsstrukturen beklagt. Die Groß-Ordinarien gerieten dabei in die Schußlinie, aber diese Klagen kamen aus einer ganz anderen Richtung als jener der "1968er". Aufsehen erregte Anfang der 1960er Jahre ein Beitrag von Frederick Seitz, Prä-sident der National Academy of Sciences in Washington, über die Effektivität des Depart-mentsystems in den amerikanischen Instituten. Dort werde mit großem Erfolg die Team-Arbeit gefördert; Deutschland dagegen sei weniger willens, "Neuerungen in der Organisa-tion der Naturwissenschaften einzuführen, als irgendeines der übrigen technisch fortge-schrittenen westlichen Länder". Seitz führte das auf die Wissenschaftlergeneration der Jah-re nach 1945 zurück. Die leitenden Wissenschaftler seien vorwiegend ältere Herren gewe-sen, und diese hätten nach den Erfahrungen mit der NS-Herrschaft die Uhr auf die beste Zeit zurückgestellt, die sie gekannt hatten, "nämlich die Zeit vor dem Ersten Welt-krieg".221 Die von Seitz erhobene Forderung nach Dynamisierung der Strukturen und Ab-flachung der Hierarchien wurde von der 'bürgerlichen' Presse unterstützt. "Wir müssen vom alten Geheimratssystem bei der Besetzung der leitenden Posten endlich wegkom-men", hieß es in der "Stuttgarter Zeitung".222 Die Machtfülle von Institutsleitern wurde als "Diskriminierung" bezeichnet und gefordert, man müsse den "Oberbau abbauen, damit der Mittelbau für den Nachwuchs interessant wird". Es wurde die "Aufgliederung der bis-herigen Hierarchie in wissenschaftlich wirksame Forschungsteams nach amerikanischem Vorbild" vorgeschlagen. Darunter verstand man den Zusammenschluß von Instituten und Lehrstühlen zu einer Arbeitsgemeinschaft, dem Department. Ein solches Department war

221

Frederick Seitz, Wissenschaft im Vormarsch, zit.n.: Richard Clausen, Stand und Rückstand der For-schung in Deutschland in den Naturwissenschaften und den Ingenieurswissenschaften, Wiesbaden 1964, S.5. 222

Stuttgarter Zeitung, 26.5.1966, "Die Verwaltung versteht die Forscher nicht. Wissenschaftliche Institute wollen sich vom Gängelband des Staates lösen". Dort auch die folgenden Zitate.

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das Gegenteil eines klassischen Ordinarien-Instituts; es sollte von einer kleinen Gruppe Professoren geleitet werden, deren Zusammensetzung von Jahr zu Jahr wechselte. Dieses dynamisierte System der Institutsleitung war in den 1960er Jahren in der Bundesre-publik unlösbar mit dem Namen des deutschen Nobelpreisträgers und Vorzeige-Physikers Rudolf Ludwig Mößbauer verknüpft. Geboren 1929, Schüler von Heinz Maier-Leibnitz, war er seit 1960 Senior Research Fellow und Professor of Physics am California Institute of Technology in Pasadena/USA und erhielt 1961 den Nobelpreis für die Entdeckung des nach ihm benannten Effekts, den er in seiner Dissertation beschrieben hatte. 1964 kehrte Mößbauer nach Deutschland zurück und ging nur unter der Bedingung an die TH Mün-chen, daß dort die neue, gegen die Ordinarien gerichtete Organisationsform des Depart-ments eingeführt werde. Von dem stets aufgeschlossenen Maier-Leibnitz, der 1957 zu den Unterzeichnern der "Göttinger Erklärung" gegen die Atomrüstung der Bundeswehr gehört hatte, wurde Mößbauer in seinen Bestrebungen unterstützt. Das Departmentsystem wurde ein voller Erfolg, und es strahlte von der TH München auf andere naturwissenschaftliche Institute der Bundesrepublik aus. Man sprach von einem "zweiten Mößbauer-Effekt".223 Vom "Muff unter den Talaren" war auch Mößbauer überzeugt. Der kleine Ausflug in die Organisationsgeschichte der Naturwissenschaften läßt erkennen, daß die Forderungen nach Demokratisierung in den Universitäten noch von ganz anderer Seite als jener der "1968er"-Studenten der Geisteswissenschaften erhoben wurden. Die ei-nen wollten Dynamisierung der Forschung und Überwindung naturwissenschaftlich-technischer Rückstände, die anderen mit den Groß-Ordinarien und deren autoritärer Affek-tiertheit den Geist der NS-Zeit austreiben und verlangten modernere, der Aktualität ange-paßte Lehrangebote. Aber beide Seiten waren - ob den Akteuren bewußt oder nicht224 - in der Kritik an den Ordinarien einig; beide verband die Frage, ob es mit dem "restaurati-ven" Charakter der Universitäten nach deren Ausbau weitergehen solle. Antifaschistisch und effektivitätsbezogen-dynamisch motivierte Forderungen nach Abflachung universitä-rer Hierarchien bildeten mithin eine Schnittmenge. Es ist auffällig, daß ein liberales Blatt wie die "Zeit", auf deren Verdienste bei der Entste-hung eines neuen Umgangs mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik ausführlich hingewiesen wurde, genauso häufig über ehemalige und verkappte Nationalsozialisten an den deutschen Hochschulen berichtete wie über einen universitären Schlendrian, dessen Ineffektivität den Herausforderungen der Moderne nicht gewachsen sei. Zu Beginn des massiven Ausbaus der Universitäten stellte sich die Frage, ob auf den alten Gleisen fortge-

223

Christ und Welt, 10.3.1967, "Der ewige Kampf. Neuer Fall Mößbauer oder die Hindernisse für die For-schung". 224

Mößbauer gehört zu den scharfen Kritikern der "1968er" und ihrer "unerträglich(en) Politisierung der Hochschulen". Eine innere Verwandtschaft zwischen den konkurrierenden Forderungen nach Dynamisierung und Demokratisierung in den Hochschulen, die an der Ordinarien-Kritik deutlich wird, erkennt er nicht an. (Siehe: Rudolf L. Mößbauer, Universität im Umbruch, in: Heinz Maier-Leibnitz <Hg.>, Zeugen des Wissens, Mainz 21986, S.285-317, bes. S.295 ff.)

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fahren werden sollte, um so dringlicher. Die "Zeit" verklammerte die beiden unterschied-lich motivierten Modernisierungsforderungen einmal eher beiläufig: Inmitten einer Leser-briefseite zum Skandal um den Bonner Rektor Moser findet sich die Photographie eines neuerrichteten, futuristisch anmutenden Auditorium Maximum. Das Photo trägt die Unter-schrift:

"Der Geist von gestern in den Hörsälen für Morgen?"225

So stand - in der Sprache der "1968er" geredet - die Kritik an "Nazis" und "Strukturnazis" in den Universitäten objektiv auch im Dienste einer kapitalistischen Effektivitätssteige-rung. Wir können eine ungewollt modernisierende Funktion der Proteste erkennen und frustriert konstatieren, daß sich bei Modernisierungseffekten, die durch soziale Bewegun-gen angestoßen werden, vieles "hinter dem Rücken der Akteure" vollzieht, "Veränderun-gen nur halbbewußt oder latent" bleiben, planvolle Eingriffe nicht intendierte Effekte er-zeugen und "Absichten in ihr Gegenteil verkehrt" werden".226 Es ist möglich, den Ultra-radikalismus in der Nachfolge der "1968er" als Reaktion auf diese verfahrene Lage zu deu-ten. Schon die auf den Schild erhobene These Herbert Marcuses von der "repressiven Tole-ranz" als besonders raffinierter Variante faschistoider Repression, der mit Intoleranz be-gegnet werden müsse, da deren Toleranz gefährlich sei227, war ein willkommenes Ange-bot an Fundamentalkritiker, die es erleben mußten, bei vielen Kritisierten offene Türen einzurennen. Es war das literarisch-ästhetische Feld, wo die überschießende Radikalisierung zuerst ein-gefordert wurde. Enzensberger verzweifelte an der Resorptionsfähigkeit der Gesellschaft für "Kulturgüter" beliebiger Sperrigkeit228, Friedrich Christian Delius schloß sein Gedicht "Armes Schwein", worin ein Stoßtrupp Bücher und Platten eines bürgerlichen Kritikers be-schlagnahmt und das Alfred Andersch an seine eigenen Erfahrungen im Na-tionalsozialismus erinnert hatte, mit den Zeilen: "Es wurde hell. Wir schleppten das Zeug endlich raus, da bot er uns das Du an. Das, fanden wir, ging zu weit. Da haben wir doch einen Fehler gemacht."229

225

Die Zeit, 6.11.1964, "Meinungsstreit um Moser" (Leserbriefseite). 226

Dieter Rucht, Modernisierung und Neue Soziale Bewegungen. Deutschland, Frankreich und USA im Vergleich, Ffm., New York 1994 (Theorie und Gesellschaft, Bd. 32), S.508 f. 227

Herbert Marcuse, Repressive Toleranz, in: Ders., Schriften, Bd. 8, Ffm. 1984, S.136-161 (in der Bundes-republik zuerst publiziert in: Robert Paul Wolff, Barrington Moore, Herbert Marcuse, Kritik der reinen Tole-ranz, Ffm. 1966, S.93-128.) 228

Gemeinplätze, die Neueste Literatur betreffend, a.a.O., S.194. 229

Armes Schwein, a.a.O.

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Bernd-A. Rusinek (Düsseldorf)