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D er B ai kal see Aiif Grund der Arbeit von Hans Johansen: Der Baikalsee. Physiogeogra- phischer und biogeographischer liberhlick*). Von Prof. W. HalbfnU (Jena) Einer der interessantesten Seen der Erde, welcher zugleich bisher als der tiefste erkannt wurde und hinsichtlich der Grorje an 7. Stelle (nach dem Kaspisee, Oberer See, Victoriasee, Aralsee, Huronen- und Michigansee) rangiert, der Raikalsee, entbehrte bisher einer monographischen Darstellung. TJm so dankenswerter ist daher die vorliegende Doktordissertation, welche vorzugsweise auf umfassender Kenntnis russischer Quellen, wenn auch leider nicht auf personlicher Anschauung beruht. Morphologisch hesteht der See aus ungefahr zwei gleich grorjen und spitzwinklig zusammenstofienden Halften, welche durch die Fortsetzung des Bargusin-Horstes auf Swjatoi- StoS getrennt werden und Olchon. Es ist bemerkenswert, daB gerade im Meridian des Baikal die Streichrichtungen des altesten Scheitel Nordasiens, zu dem alle prakambirisch gefalteten Gebirgslander ge- horen, sich andern und von NW oder WNW nach NO oder ON0 iibergehen, woraus folgt, darj hier der pradestinierte Boden fur ein Faltungsbecken gegeben war. Die erste Anlage zum See ist wahrscheinlich schon im Jura gegeben, ganz sicher aber im Miocan, worauf die braunkohlefuhrenden SUB- wasserablagerungen an seinem Sudostufer deuten. Am Ende des Quartars geschah wahrscheinlich die erste groBe Veranderung des Sees, dem im Postglacial eine noch starkere folgte. Beide sind durch tektonische Bewegungen der Erdrinde zu erklaren, welche auch jetzt noch andauern. Die groBe Tiefe des Sees sol1 nach mehreren Autoren schon bei seiner ursprunglieheii Anlage vorhanden gewesen sein und wird auf - *) Mitt. der Geogr. Ges. in Munchen. XVIII, 1. 1925.

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Page 1: Der Baikalsee. Auf Grund der Arbeit von Hans Johansen: Der Baikalsee. Physiogeographischer und biogeographischer Überblick

D er B ai kal see Aiif Grund der Arbeit von H a n s J o h a n s e n : Der Baikalsee. Physiogeogra-

phischer und biogeographischer liberhlick*).

Von Prof. W. HalbfnU (Jena)

Einer der interessantesten Seen der Erde, welcher zugleich bisher als der tiefste erkannt wurde und hinsichtlich der Grorje an 7. Stelle (nach dem Kaspisee, Oberer See, Victoriasee, Aralsee, Huronen- und Michigansee) rangiert, der Raikalsee, entbehrte bisher einer monographischen Darstellung. TJm so dankenswerter ist daher die vorliegende Doktordissertation, welche vorzugsweise auf umfassender Kenntnis russischer Quellen, wenn auch leider nicht auf personlicher Anschauung beruht. Morphologisch hesteht der See aus ungefahr zwei gleich grorjen und spitzwinklig zusammenstofienden Halften, welche durch die Fortsetzung des Bargusin-Horstes auf Swjatoi- StoS getrennt werden und Olchon. Es ist bemerkenswert, daB gerade im Meridian des Baikal die Streichrichtungen des altesten Scheitel Nordasiens, zu dem alle prakambirisch gefalteten Gebirgslander ge- horen, sich andern und von NW oder WNW nach NO oder O N 0 iibergehen, woraus folgt, darj hier der pradestinierte Boden fur ein Faltungsbecken gegeben war.

Die erste Anlage zum See ist wahrscheinlich schon im Jura gegeben, ganz sicher aber im Miocan, worauf die braunkohlefuhrenden SUB- wasserablagerungen an seinem Sudostufer deuten. Am Ende des Quartars geschah wahrscheinlich die erste groBe Veranderung des Sees, dem im Postglacial eine noch starkere folgte. Beide sind durch tektonische Bewegungen der Erdrinde zu erklaren, welche auch jetzt noch andauern. Die groBe Tiefe des Sees sol1 nach mehreren Autoren schon bei seiner ursprunglieheii Anlage vorhanden gewesen sein und wird auf

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*) Mitt. der Geogr. Ges. in Munchen. XVIII, 1. 1925.

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palaozoische Faltung zuruckgefuhrt. Die aus den Vorkommen ge- wisser Tierarten! im See hervorgegangene Meinung, ihn fur einen Reliktensee zu halten, also fur einen Teil eines ehemaligen Meeres, ist schon seit Credner unhaltbar geworden, der zuerst darauf hinge- wiesenl hat, daB marine Tierformen sogar in kleinen Kraterseen vorkommen, fur welche jeder friihere Zusammenhang mit dem Meer als ausgeschlossen erscheint.

An Tiefe wird der See von dem gleichfalls tektonisch bedingten Tanganjika beinahe erreicht (I522 m gegen 1435 m). Da die Tiefenver- haltnisse des letzt,eren bisher nur sehr mangelhaft bekannt, sind, jst es durchaiis nicht ausgeschlossen, daB uns in dieser Beziehung noch Uberraschungen heuorstehen. Unerreicht. steht der Baikal aher als Kryptodepression da, da die tiefste Stelle des Bodens 1060 ni unter dem Meeresspiegel lie@ ; die zweittiefste Einsenkung unter den1 Meeresspiegel stellt bekanntlich der Kaspisee dar (-- 972 m). AuBer- ordentlich steile Boschungen finden sich haufig; die Halde bei Cap Tolstyi, siidlich der Unteren -4ngara ist. z. R . iinter mehr als 30° geneigt. Hier findet sich auch die groI3te Tiefe des Sees (I522 m) nur 3 km vom Westufer entfernt. Eine auI3ergewohnliche Ausdehnung besitzt die Tiefenregion, d. h. der Teil des Sees, der iiber 700 m Tiefe erreicht, namlich 60 "/o der ganzen Seeflache. Sowohl in physikalischer wie in biologischer Beziehung ist diese Tatsache von weittragender Bedeu- tung. Die Tiefenregion bildet jedoch kein einheitliches Becken, sondern zwei durch die Selengaschwelle getrennte Mulden, von denen die siidliche zwar die groBte Mittel- aber nicht die absolut groote Tiefe hesitzt. Die griiflte Tide der Selengasc,hwelle erreicht nur 531 m, wahrend heide 'I'eilhecken absolute Tiefen uber 1300 bzw. 1400 m besitzen.

Die chemische Untersiichung der Bodenproben, welche Drishenko 1902 in der Tiefe von ca. 1000 m sarnme1t.e) ergab einen verhaltnis- maBig sehr hohen Prozent,satz an loslichen SiO, (29%) und reich- liches Vorkommen von Fe,O, (6.3 o//u), ferner 4.6% A1,0,, 1.37" CaO und 1 yo MgO, 2.6{!4, orgainische Bestandteile. Die chemische Ana- lyse des Wassers, die his jetzt nur einmal vorgenommen wurde (I877), ergab, daI3 vom Kuckstand (69 nigr voni Liter) 57.87" auf CaC203, 13O/, auf MgC203, 3.80/, auf Na,C20,, 4 yo auf NaC1, 3.1% auf KC1, nur 0.8% auf SO,, aul3erdem 6.9% freie CO, und 12:4 (!) auf organische Bestandteile entfallen. Der Totalgehalt an Mineralbestand- teilen ist also gering, ubertrifft aberirnmerhin den des Onegasees (49 mg),

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steht aber demjenigen des Peipussees (106mg) zuriick. Wo die Probe entnommen wurde, ist nicht gesagt. Auffallig ist der hohe Prozent- satz organischer Bestandteile. Sauerstoffbestimmungen sind bisher nur sehr wenige gemacht worden; im offenen See sol1 der Gehalt an 0 im Mittel 5.5 ccm/liter betragen, womit naturlich sehr wenig ge- sagt ist. Nach dieser Richtung gibt es im Baikal vie1 zu tun. Die Farbe wird als hellgriin hezeichnet, die Dnrchsichtigkeit, mittels der Secchi- schen Scheibe gemessen, scheint 23 m nicht zu ubersteigen, oft aber auch erheblich daruiiter zu liegen. Messungen zur Feststellung der Grenze der absoluten Dunkelheit sind bisher noch nicht gemacht worden, in 150 m Tiefe wurden hisher keine Algen mehr angetroffen wohl aber in 80 m. Das Sehvermogen der Tiere gibt bekanntlich iiber die Lichtgrenze keine sichere Auskunft, denn blinde Formen sonst mit Augen begabter Gattungen, z. B. Gammoriden, koinmen erst in grofier Tiefe uber 500 m vor.

Die zahlreichen Temperaturmessungen ergaben, da13 fur den Warme- haushalt des Sees in erster Linie seine Beckenform ausschlaggebend ist, d. h. seine groBenTiefen stellen ein Kalte- bzw. Warmereservoir dar, welches mit den Einflussen der Atmosphare auf das Oberflachenwasser erfolgreichen Kampf fuhrt. Die bei weitem groote Masse des Seewassers hat Jahraus Jahrein in allen Jahreszeiten beinahe konstante Tempe- ratur unter 4O (3.9-3.4O), nur ganz vereinzelt wurden noch tiefere Temperaturen bis 3.2O gemessen. Dagegen ergaben sich fur die oberen G m-Schichten jahrlkhe Schwankungen bis zu 16O. Die eisfreien Tage im Jahre richten sich nach der Ortlichkeit, im Allgemeinen schwanken sie zwischen 210 und 230 Tagen. Gewohnlich steht der See erst von Mitte Januar ab endgiltig und geht erst im Monat Mai wieder auf' lediglich infolge der Sonnenstrahlung und der Zerstorungsarbeit der Winde ; die Zuleitung von Warme von unten ist aufierordentlich gering. Die maximale Dicke des Ekes (1 m) wird meist im Marz erreicht, sie schwankt sonst zwischen 70 und 130 cm und ist an der Ostseite etwas gro13er als an der Westseite, bei Schneebedeckung nimmt die Eis- dicke erheblich ah. So war sie bei einer Beobachtung ohne SchneP gerade 1 m, sank aber bei einer Schneedecke von 80 cm auf 58 crn. nurch Eispressungen entstehen bei der Bildung Eiswalle, im Russi- schen Tovossa genannt ; bei der Bildung der Eisdecke ubersteigen sic selten eine Hohe von 1 m, beim Aufgehen jedoch eine solche von 3 m und daruber.

Sehr erheblich ist der Einflufi des Sees aiif die Temperatur seiner

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Umgebung auf eine Entfernung von 6-8 km vom Ufer. Die Ufer- stationen zeigen im Sommer ein Defizit gegenuber dem Fevtland bis zu 5.3O, dagegen im Winter einen UberschuB bis zu 10.9. Die groBten Jahresschwankungen ermaBigen sich fur erstere um etwa 440 und endlich liegt die Mitteltemperatur der Seestationen sechs Monate im Jahre uber Oo, der Festlandstationen nur funf Monate.

Weil der Baikal im. Sommer kuhler, im Winter warmer ist als seine Umgebung, bildet sich dort ein lokales Maximum des Luftdrucks mit Temperaturinversion und haufigen Windstillen, hier dagegen ein lo- kales Minimum mit, direkter Luftschichtung und einstromenden Fallwinden.

Uber den Wasserhaushalt des Sees lassen sich sichere Angahen bisher noch nicht machen ; die Gesamtwasserziifuhr irri Jahre berechnet Johansen auf 50 cbkm, also etwa so viel, wie der Rodensee Wasser enthalt; davon entfallen etwa 20 auf die Niederschlagsmenge im Seebecken selber. Rei der Wasserabfuhr spielt die direkte Verdiinstung des Sees bei der meist trockenen Luft, eine bedeutende Rolle, doch fehlen fur einen zahlenmaBigen Ausdruck die notigeii Anhaltspunkte. Der Jahresniederschlag durfte im Mittel 340 mm nicht ubersteigen, Die mittlere Jahresamplitude der Schwankungen des Wasserspiegels ist infolge der Tatsache, da13 die Niederschlage sich zu 50% auf die drei Sommermonate Juni -August konzentrieren, im Verhaltnis zur GroSe des Sees sehr bedeutend, namlich 79 cm (Tanganjika 75 , Kaspi nur 42). Exakte Seichesmessungen sind bisher nicht angestellt worden. Die Moglichkeit einer Gezeitenbewegung ist nicht von der Hand zu weisen.

Die Zahl der im See vertretenen Algen wird auf 169 angegeben, davon treffen allein 112 auf Diatomeae, 39 auf Chlorophyceae, 16 auf Cyanophyceae und nur 2 auf Flagellatae. Unter den Diatomeen ist der Gigantismus stark verbreitet, wahrscheinlich beeinflufit durch die niedrige Temperatur des Seewassers. Da das Baikalwasser arm an Kalksalzen ist und mineralische und organische Stoffe uberhaupt wenig vorhanden sind, ist die pelagische Region fast protozoenfrei und planktonarm. Die Ahnlichkeit mit dem Plankton des Ladogasees fallt auf ; das Zooplankton ist artenreicher als das Phytoplankton.

Gegenuber der Ansicht, als deute die Fauna des Sees auf einen ma- rinen Charakter hin, stellt Johansen auf Grund der zahlreichen uber diesen Gegenstand erschienenen Schriften folgendes fest : Die Mehr- zahl der Mollusken, die meisten Wiirmer, die groBeren Krebse, ferner

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die Halfte der Fische sind ganz endemisch, d. h. ihre Verhreitung beschrankt sich auf den Baikal, aber durch die zentrale Lage des Sees als Zwischenstation der Mongolischen Selenga und der zum Eismeer flieBenden Unteren Angara, an einer wichtigen VogelzugstraBe, ist die haufige Moglichkeit p a s s iver T i e re in w a n d e rung, sowohl von Nor- den wie von Siiden her, ganz von selbst gegeben, so da8 ein friiherer Zusammenhang mit dem Meere, mithin ein mariner Ursprung dieser Tierformen, durchaus nicht notwendig erscheint. Andererseits ver- dankt die Tierwelt des Sees ihre Eigenart sowohl der langanhaltcnden Isolierung des Sees, der mit Sicherheit schon im Miocan bestand, als auch der sehr gleichmafligen auBergewohnlich niedrigen Tempe- ratur der tieferen Wasserschichten, durch welche hesonders gegen Temperaturschwankungen empfindliche Ordnungen, wie Planarien, zur hohen Entwicklung gelangen konnten. Wenige Fischarten und die Robbe, dort Nerpa genannt, stammen unzweifelhaft vom Nordl. Eis- meer. Aber die nordische Meerestransgression und die breiten Ur- stromtaler wahrend der Clazialzeit macht diese Einwanderung sehr plausibel. Der Baikal hatte aber damals eine kiirzere und breiterever- bindung mit dem Eismeer Was speziell die Robbe angeht, so kommt sie aul3er im Baikal auch im Oron, einem nordostlich vom Baikal gelegenen kleinen See, wie auch im Ladoga, im Saima (Finnland) und im Caspisee vor. Auch in Nordamerika wird sie im Champlainsee und im Ontario angetroffen.

P.S. Beim Lesen der Korrektur erhalte ich Kenntnis von den durch Scho- stakowitsch veranlaBten neueren Messungen der Durchsichtigkeit des Wassers. Darnach ist in einzelnen Fdlen die Secchische Scheibe. erst in 40.5 m Tiefe dem Auge' des Beobachters entschwunden, und der Baikalsee besitzt das klarste Seewasser, das bisher angetroffen wurde (vgl. Hydrogr. Referat in Heft 3/4).

Notix der Sckriftleitung: Eine Karte des Baikalsees mit Tiefelzanyaben wivd einem dcmnachst ersckeinenh erganzenden Aufsatx beigegeben werden, den wir wan unseren russisoken Mitarbeiterr, erbetem haben.