das bringt den darm auf trapp

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26 MMW-Fortschr. Med. Sonderheft 1 / 2013 (155. Jg.) AKTUELLE MEDIZIN KONGRESSBERICHTE fühl. Für die meisten Betroffenen ist die chronische Obstipation keine Befind- lichkeitsstörung, sondern eine Krank- heit, die zu einer gravierenden Beein- trächtigung der Lebensqualität führt. Zunächst die Ursache abklären Die chronische Obstipation kann durch unterschiedliche primäre oder sekun- däre Störungen des Darms und/oder des Beckenbodenbereichs verursacht sein. „Vor Einleitung der Behandlung sollte immer eine diagnostische Abklärung der Genese angestrebt werden“, so Layer. Vom Müsli bis zum Skalpell gegen chronische Verstopfung Das bringt den Darm auf Trapp Die chronische Obstipation ist mehr als eine Befindlichkeitsstörung, da sie die Lebensqualität wesentlich beeinträchtigen kann. Bevor eine Therapie einge- leitet wird, sollte die Ursache abgeklärt sein. Das Spektrum der zur Verfügung stehenden Therapiekonzepte ist breit. Es reicht von der ballaststoffreichen Er- nährung über Prokinetika bis hin zur Operation. _ Ca. 15% der deutschen Erwachsenen leiden unter einer chronischen Verstop- fung, wovon Frauen doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. Früher defi- nierte man die Obstipation in erster Li- nie über die Stuhlfrequenz, nämlich we- niger als drei pro Woche. „Heute stehen die Beschwerden des Patienten im Vor- dergrund“, sagte Prof. Peter Layer, Chef- arzt der Medizinischen Abteilung im Israelitischen Krankenhaus in Hamburg. Zu den geklagten Symptomen gehören neben der gestörten Stuhlentleerung insbesondere Blähbauch und Völlege- Dabei geht es primär darum, funktio- nelle oder strukturelle Stuhlentleerungs- störungen zu erkennen, um ggf. eine kausale Therapie einleiten zu können. Zu den unverzichtbaren diagnos- tischen Maßnahmen gehört die ano-rek- tale Funkstionsdiagnostik mit Ertasten des Beckenbodens und einer Funktions- prüfung des Schließmuskels. Auch sollte eine Rektozele ausgeschlossen sein. Liegt die Ursache in der Darmmoto- rik, so spricht man von einer primären Obstipation. „Auch hier gilt es, eine Rei- he von Erkrankungen differenzialdia- gnostisch abzuklären“, erklärte Layer. Dazu gehört z. B. der Ausschluss einer Hypothyreose. Auch neurologische Er- krankungen wie M. Parkinson oder Mul- tiple Sklerose können mit hartnäckiger Obstipation einhergehen. Bei den medi- kamentösen Ursachen stehen neben den Opiaten Antidepressiva und Antihyper- tensiva, v. a. Kalziumantagonisten, im Vordergrund. Auch Bewegungsmangel, ballaststoffarme Ernährung und zu ge- ringe Flüssigkeitszufuhr fördern die Obs- tipation. „Bei Diabetikern sollte an eine autonome Neuropathie als Ursache der Obstipation gedacht werden“, so Layer. Erste Maßnahme: Ernährung umstellen und Sport treiben Für die Behandlung der chronischen Obstipation empfiehlt sich ein Stufen- konzept. „Die Wahl der Therapie hängt davon ab, wie stark die Symptome sind, wie gut der Patient auf die entspre- chenden Maßnahmen anspricht und ob er diese verträgt“, erläuterte Dr. Viola Andresen von der Medizinischen Klinik des Israelitischen Krankenhauses in Hamburg. Bei leichten Formen helfe es oft schon, wenn der Patient mehr Bal- laststoffe und Flüssigkeit zu sich nimmt und häufiger Sport treibt. Führen lebensdiätetische Maßnah- men nicht zum Erfolg, ist die Gabe von Abführmitteln durchaus sinnvoll. „Wenn sie gut wirken und der Patient sie ver- Verstopfung unter Opioiden Lieber den Schmerz ertragen als die Obstipation? Die Obstipation ist eine übliche Neben- wirkung einer Opioidtherapie, denn Opioide aktivieren Opioid-Rezeptoren im Gastrointestinaltrakt, vermindern die Freisetzung von Neurotransmittern, unterbrechen die rhythmischen Darm- kontraktionen, die für eine normale intestinale Motilität notwendig sind, und reduzieren außerdem die norma- le mukosale Sekretion. Dies kann für Schmerzpatienten zu einem großen Problem werden. „Je nach Substanz sind 90% der Patienten mit nicht tumorbe- dingten Schmerzen mehr oder weniger stark obstipiert“, sagte Dr. James Allen Blunk, Oberarzt am Schmerzzentrum der Universitätsklinik für Anästhesiologie in Köln. Nur selten entwickeln Patienten eine Toleranz bezüglich dieser Opioid- nebenwirkung, und in der Regel nimmt die Nebenwirkung mit der Erhöhung der Opioiddosis zu. „Gelegentlich gibt es sogar Patienten, die eher ihren Schmerz ertragen möchten als die Obstipation“, so Blunk. Um die Darmentleerung bei Schmerzpa- tienten zu fördern, werden oft gleichzei- tig mit den Opioiden Laxanzien verord- net, die jedoch nur bei jedem zweiten Betroffenen eine zufriedenstellende Wirkung entfalten. Ein anderer Ansatz ist die gleichzeitige Gabe von Opioid-Antagonisten. So wur- de kürzlich Methylnaltrexon in Europa zur Behandlung der opioidinduzierten Obstipation zugelassen. Die Substanz wird subkutan injiziert, führt in der Regel innerhalb von vier Stunden zur Darm- entleerung und wird im Allgemeinen gut toleriert. Die Kombination von Naloxon und Oxycodon verbessert ebenfalls die Darmfunktion ohne Verminderung der analgetischen Wirkung von Oxycodon. Eine erste Studie mit dem Prokinetikum Prucaloprid zeigte auch bei Schmerz- patienten mit einer Opioidtherapie eine gute Wirkung. Aber auch für diese Indikation ist die Substanz bisher nicht offiziell zugelassen.

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26 MMW-Fortschr. Med. Sonderheft 1 / 2013 (155. Jg.)

AKTUELLE MEDIZIN–KONGRESSBERICHTE

fühl. Für die meisten Betroffenen ist die chronische Obstipation keine Befind-lichkeitsstörung, sondern eine Krank-heit, die zu einer gravierenden Beein-trächtigung der Lebensqualität führt.

Zunächst die Ursache abklärenDie chronische Obstipation kann durch unterschiedliche primäre oder sekun-däre Störungen des Darms und/oder des Beckenbodenbereichs verursacht sein. „Vor Einleitung der Behandlung sollte immer eine diagnostische Abklärung der Genese angestrebt werden“, so Layer.

Vom Müsli bis zum Skalpell gegen chronische Verstopfung

Das bringt den Darm auf TrappDie chronische Obstipation ist mehr als eine Befindlichkeitsstörung, da sie die Lebensqualität wesentlich beeinträchtigen kann. Bevor eine Therapie einge-leitet wird, sollte die Ursache abgeklärt sein. Das Spektrum der zur Verfügung stehenden Therapiekonzepte ist breit. Es reicht von der ballaststoffreichen Er-nährung über Prokinetika bis hin zur Operation.

_ Ca. 15% der deutschen Erwachsenen leiden unter einer chronischen Verstop-fung, wovon Frauen doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. Früher defi-nierte man die Obstipation in erster Li-nie über die Stuhlfrequenz, nämlich we-niger als drei pro Woche. „Heute stehen die Beschwerden des Patienten im Vor-dergrund“, sagte Prof. Peter Layer, Chef-arzt der Medizinischen Abteilung im Israelitischen Krankenhaus in Hamburg. Zu den geklagten Symptomen gehören neben der gestörten Stuhlentleerung insbesondere Blähbauch und Völlege-

Dabei geht es primär darum, funktio-nelle oder strukturelle Stuhlentleerungs-störungen zu erkennen, um ggf. eine kausale Therapie einleiten zu können.

Zu den unverzichtbaren diagnos-tischen Maßnahmen gehört die ano-rek-tale Funkstionsdiagnostik mit Ertas ten des Beckenbodens und einer Funktions-prüfung des Schließmuskels. Auch sollte eine Rektozele ausgeschlossen sein.

Liegt die Ursache in der Darmmoto-rik, so spricht man von einer primären Obstipation. „Auch hier gilt es, eine Rei-he von Erkrankungen differenzialdia-gnostisch abzuklären“, erklärte Layer. Dazu gehört z. B. der Ausschluss einer Hypothyreose. Auch neurologische Er-krankungen wie M. Parkinson oder Mul-tiple Sklerose können mit hartnäckiger Obs tipation einhergehen. Bei den medi-kamentösen Ursachen stehen neben den Opiaten Antidepressiva und Antihyper-tensiva, v. a. Kalziumantagonisten, im Vordergrund. Auch Bewegungsmangel, ballaststoffarme Ernährung und zu ge-ringe Flüssigkeitszufuhr fördern die Obs-tipation. „Bei Diabetikern sollte an eine autonome Neuropathie als Ursache der Obstipation gedacht werden“, so Layer.

Erste Maßnahme: Ernährung umstellen und Sport treibenFür die Behandlung der chronischen Obstipation empfiehlt sich ein Stufen-konzept. „Die Wahl der Therapie hängt davon ab, wie stark die Symptome sind, wie gut der Patient auf die entspre-chenden Maßnahmen anspricht und ob er diese verträgt“, erläuterte Dr. Viola Andresen von der Medizinischen Klinik des Israelitischen Krankenhauses in Hamburg. Bei leichten Formen helfe es oft schon, wenn der Patient mehr Bal-laststoffe und Flüssigkeit zu sich nimmt und häufiger Sport treibt.

Führen lebensdiätetische Maßnah-men nicht zum Erfolg, ist die Gabe von Abführmitteln durchaus sinnvoll. „Wenn sie gut wirken und der Patient sie ver-

Verstopfung unter Opioiden

Lieber den Schmerz ertragen als die Obstipation?

Die Obstipation ist eine übliche Neben-wirkung einer Opioidtherapie, denn Opioide aktivieren Opioid-Rezeptoren im Gastrointestinaltrakt, vermindern die Freisetzung von Neurotransmittern, unterbrechen die rhythmischen Darm-kontraktionen, die für eine normale intestinale Motilität notwendig sind, und reduzieren außerdem die norma-le mukosale Sekretion. Dies kann für Schmerzpatienten zu einem großen Problem werden. „Je nach Substanz sind 90% der Patienten mit nicht tumorbe-dingten Schmerzen mehr oder weniger stark obstipiert“, sagte Dr. James Allen Blunk, Oberarzt am Schmerzzentrum der Universitätsklinik für Anästhesiologie in Köln. Nur selten entwickeln Patienten eine Toleranz bezüglich dieser Opioid-nebenwirkung, und in der Regel nimmt die Nebenwirkung mit der Erhöhung der Opioiddosis zu. „Gelegentlich gibt es sogar Patienten, die eher ihren Schmerz ertragen möchten als die Obstipation“, so Blunk.

Um die Darmentleerung bei Schmerzpa-tienten zu fördern, werden oft gleichzei-tig mit den Opioiden Laxanzien verord-net, die jedoch nur bei jedem zweiten Betroffenen eine zufriedenstellende Wirkung entfalten.

Ein anderer Ansatz ist die gleichzeitige Gabe von Opioid-Antagonisten. So wur-de kürzlich Methylnaltrexon in Europa zur Behandlung der opioidinduzierten Obstipation zugelassen. Die Substanz wird subkutan injiziert, führt in der Regel innerhalb von vier Stunden zur Darm-entleerung und wird im Allgemeinen gut toleriert. Die Kombination von Naloxon und Oxycodon verbessert ebenfalls die Darmfunktion ohne Verminderung der analgetischen Wirkung von Oxycodon. Eine erste Studie mit dem Prokinetikum Prucaloprid zeigte auch bei Schmerz-patienten mit einer Opioidtherapie eine gute Wirkung. Aber auch für diese Indikation ist die Substanz bisher nicht offiziell zugelassen.

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trägt, können Laxanzien auch länger eingesetzt werden“, meinte Andresen. Dazu gehören neben osmotisch wirksamen Substanzen wie Polyethylenglykol-haltige Trinklösungen, Laktulose und Sorbitol. Darüber hinaus stehen stimulierende Substanzen wie die pflanzlichen Anthrachinone oder Bisaco-dylpräparate zur Verfügung.

Den Darm medikamentös anregenHelfen diese Laxanzien nicht oder werden sie nicht vertragen, besteht die Indikation für die Gabe eines Prokinetikums. „Der 5-HT4-Agonist Prucaloprid ist eine gute neue Thera-pieoption“, so Andresen. Diese Substanz unterstütze die ge-störte Darmmotilität direkt. In der Mehrzahl der Fälle werde eine erhebliche Verbesserung von Stuhlfrequenz und Symp-tomen der Obstipation erreicht. Die Substanz ist jedoch bis-her nur für Frauen zugelassen. Der Erfolg sollte erst nach ei-ner vierwöchigen Therapie beurteilt werden. Eine längerfris-tige Behandlung ist nur sinnvoll, wenn der Patient auf das Medikament anspricht. In der klinischen Entwicklung sind weitere prokinetische Wirkstoffe, nämlich Linaclotid und Lu-biproston, welche die Wasser- und Elektrolytsekretion in den Darm anregen und so den Darm auf Trapp bringen. „Diese beiden Substanzen sind jedoch bisher in Deutschland nicht zugelassen und können ausschließlich „off label“ eingesetzt werden“, so Andresen.

Ultima Ratio: OperationBei der sehr schweren und therapierefraktären Obstipation kommen auch interventionelle Verfahren zum Einsatz. Dazu gehören die Sakralnervenstimulation, auch Darmschrittma-cher genannt, und die operative Entfernung von Dickdarman-teilen. „Voraussetzung ist eine umfassende funktionsdiagnos-tische Untersuchung des Patienten“, so Layer. Auch sollten die-se Verfahren nur in einem Zentrum mit entsprechender Er-fahrung und im interdisziplinären Konsens zwischen Gastro-enterologen und Viszeralchirurgen durchgeführt werden.

DR. MED. PETER STIEFELHAGEN ■

■ Quelle: Kongress „Viszeralmedizin 2012“, 19.–22.09.2012 in Hamburg

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