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COPYRIGHT: ADAIR TURNER/PRINCETON UNIVERSITY PRESS BETWEEN DEBT AND THE DEVILBUCH VON ADAIR TURNER (EXZERPT) ANDRÉ DRAGOSCH, FERI TRUST GMBH

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COPYRIGHT: ADAIR TURNER/PRINCETON UNIVERSITY PRESS

“BETWEEN DEBT AND THE DEVIL” BUCH VON ADAIR TURNER (EXZERPT)

ANDRÉ DRAGOSCH, FERI TRUST GMBH

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TURNER (2015): BETWEEN DEBT AND THE DEVIL ZUSAMMENFASSUNG

INHALT

1. EINFÜHRUNG ..................................................................................................... 1

2. GRÜNDE FÜR DIE GLOBALE FINANZKRISE UND IHRE FOLGEN ............................ 1

3. POLITISCHE IMPLIKATIONEN .............................................................................. 3

4. FAZIT .................................................................................................................. 7

5. BIBLIOGRAPHIE .................................................................................................. 8

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TURNER (2015): BETWEEN DEBT AND THE DEVIL ZUSAMMENFASSUNG

1. Einführung

Das Buch von Turner versucht u.a. zu erklären, warum gerade Entscheidungsträger aus Politik und Finanz-welt nicht im Stande gewesen sind die globale Finanzkrise von 2008/09 vorherzusehen. Er führt diese Ohn-macht auf mehrere falsche Paradigmen zurück, die sowohl in der Wissenschaft als auch in der Finanzwelt und Politik insbesondere vor der Subprime-Krise vorherrschten.

Turner plädiert in seinem Buch deswegen für einen deutlichen Paradigmenwechsel in der Makroökonomie und leitet daraus eine veränderte Praxis für Finanzaufsicht und Geldpolitik ab. Darüber hinaus setzt sich Turner dafür ein, eine offene Diskussion über mögliche Reaktionen auf das aktuell chronisch schwache Wachstum zu führen und alternative und möglicherweise sehr effektive Instrumentarien, wie die direkte Staatsfinanzierung, nicht zu tabuisieren.

Der Name des Buches „Between Debt and the Devil“ soll verdeutlichen, dass jede Lösung für das chronisch schwache Wachstum einen schmalen Grad zwischen „Schulden“ und „dem Teufel“ (sinnbildlich für die Zer-störung des Geldsystems) darstellt. In Anlehnung daran zeigt der Buchtitel einen Ausschnitt aus Goethe’s Faust II, in dem der Agent des Teufels, Mephisto, den König dazu drängt, den Papiergeldumlauf zu erhö-hen, um die Kaufkraft zu steigern. Die Steigerung des Papiergeldumlaufs führt zur Inflation, die letztendlich das Geldsystem zerstört.1

2. Gründe für die Globale Finanzkrise und ihre Folgen

Hauptverantwortlich für die Krise ist nach Ansicht von Turner das Versagen bisheriger neoklassischer Mo-delle, die ökonomische Realität richtig abzubilden. Als Haupt-Defizit des heute herrschenden ökonomischen Paradigmas sieht Turner einerseits die Annahme der Efficient Market Hypothesis (EMH) sowie die Annahme rational handelnder ökonomischer „Agenten“, andererseits das Versagen makroökonomischer Modelle, die tatsächliche Funktionsweise des Bankensystems mit einzubeziehen.

Die EMH ist nach Ansicht von Turner ein weiterer Ausdruck des Glaubens in die selbstregulierenden Kräfte des freien Marktes, also des neoklassischen Paradigmas. Die Annahmen der EMH implizieren, dass eine weitestgehende Liberalisierung von Finanzmärkten per se zusätzliche Wohlfahrt und steigenden sozialen Nutzen erzeugen würde. Turner demonstriert anhand der Subprime-Krise, dass dies keinesfalls der Fall gewesen ist. So hatte bspw. die Liberalsierung des Verbriefungsmarktes für Hypothekenkredite in den USA die Folgen und Größe der Krise zusätzlich verstärkt und sie dadurch womöglich erst zu einer globalen Krise werden lassen.

Ein anderer wichtiger Punkt ist die Vernachlässigung der Funktionsweise des Bankensystems und die Rolle des Bankkredits im heutigen Wirtschaftssystem. Turner führt seine Argumentation sehr deutlich als Befür-worter der Credit Creation Theory of Banking bzw. der Kredittheorie des Geldes, welche aktuell nicht Teil des vorherrschenden ökonomischen Paradigmas ist. Er argumentiert, dass Banken keinesfalls nur als reine Intermediäre im Finanzsystem fungieren, die Spareinlagen in Kredite transformieren, sondern im Zuge ihres weitegehend unlimitierten Kreditgeschäfts ex nihilo „Kaufkraft“ in Form von Giralgeld schöpfen können.

1 Randnotiz: Goethe war nicht nur erfolgreicher Schriftsteller, sondern u.a. ab 1782 Finanzminister von Weimar.

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TURNER (2015): BETWEEN DEBT AND THE DEVIL ZUSAMMENFASSUNG

Gerade diese Eigenschaft von Banken und des Systems insgesamt ist nach Ansicht von Turner eine wichtige und weithin unterschätzte Quelle für finanzielle Instabilität. Speziell Hypothekenkredite sieht Turner aus finanzpolitischer Sicht sehr kritisch: Die Tatsache, dass Banken einerseits theoretisch unbegrenzt Geld schöpfen können, gleichzeitig aber Immobilien und Land auf der anderen Seite einen finiten Faktor darstel-len, ist der Hauptgrund für inhärente Instabilität des Finanz- und Wirtschaftssystems: Ein sehr elastisches Geldangebot trifft auf ein relativ unelastisches Angebot an Land und Immobilien, was wiederkehrende Immobilienpreisblasen zur Folge hat. Laut Turner hat insbesondere die exzessive Kreditvergabe für Immo-bilien historisch regelmäßig zu Preisblasen, Schuldenüberhang, Deflation und Krisen geführt.

Interessant ist in diesem Kontext vor allem die Feststellung, dass aus Sicht einer Privatperson nützliche Funktionen des Bankkredits (nämlich der Erwerb einer Immobilie) aus gesamtgesellschaftlicher Sicht nicht unbedingt positiv sein müssen. Kollektiv kann nämlich die exzessive Nutzung von Bankkrediten sehr schäd-liche Folgen haben. Hier sieht Turner auch eine sehr wichtige Rolle der Finanzaufsicht sowie der Geld- und Fiskalpolitik, solche Tendenzen zu unterbinden. Die individuelle Kreditvergabe erzeugt also eine „soziale Externalität“ und stellt nach Ansicht von Turner in manchen Fällen eine Art „Verschmutzung“ dar.2

Bezüglich der Geldpolitik ist Turner darüber hinaus der Ansicht, dass die aktuellen Mandate der Geldpolitik etwa in Form von Inflationszielen nicht im Stande waren, Finanzkrisen zu verhindern. So berücksichtigen Zentralbankmandate in Form von Konsumentenpreis-Inflationszielen nicht das Phänomen der Vermögens-preisinflation, was nach Ansicht von Turner, insbesondere in Bezug auf Immobilien, die größten Risiken für die Finanzstabilität birgt. So kann es dazu kommen, dass sich eine gefährliche Vermögenspreisblase etab-liert, obwohl die Zentralbank objektiv ihr Inflationsmandat erfüllt. Er spricht sich daher für eine deutliche Reform der aktuell gängigen Zentralbankmandate aus.

Die US-Subprime-Krise hat nach Ansicht von Turner eine Reihe von fundamentalen Problemen offengelegt. Durch die Krise kam es insgesamt zu einer deutlich erhöhten Staatsverschuldung in den Industrieländern, weit über das Maß hinaus, das etwa Reinhart & Rogoff (2009) oder die EU-Kommission als nachhaltig be-zeichnen.3 Die Staatsverschuldung stieg üblicherweise als Folge von geringeren Steuereinnahmen, Kosten der Bankenrettung und erhöhter Staatsausgaben für Sozialhilfe sowie für Konjunkturprogramme zur Stabili-sierung der Wirtschaft.

Turner argumentiert, dass im gesamten System die Verschuldung permanent ansteigt und sich entweder zwischen verschiedenen Sektoren (Privatsektor vs. Staat) oder auf globaler Ebene verteilt (Inland vs. Aus-land). In Folge der Krise führte demnach das „Deleveraging“ (Schuldenabbau) des Privatsektors zu einem „Releveraging“ (Schuldenaufbau) des Staatssektors. Darüber hinaus wurde auf globaler Ebene das Deleveraging der Industriestaaten nach der Finanzkrise durch ein Releveraging der Schwellenländer, allen voran China, überkompensiert. Die Folge ist, dass seit der Finanzkrise auf globaler Ebene insgesamt kein Deleveraging stattgefunden hat und die globale Gesamtverschuldung sogar noch weiter angestiegen ist.4

2 Turner spricht in diesem Kontext von „Debt Pollution“, also einer (sozio-ökonomischen) „Verschmutzung“ durch

Verschuldung. 3 Die Maastricht-Kriterien sehen eine Staatsverschuldung von 60% des BIPs als verkraftbar an. Reinhart & Rogoff

(2009) zeigen anhand der historischen Auswertung von Staatsschuldenkrisen, dass bei einer Staatsverschuldung von 60% des BIP Risiken einer Staatspleite deutlich ansteigen. 4 Vgl. auch Buttiglione et al. (2014).

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Trotz einer Ausweitung der Gesamtverschuldung entwickelt sich das Weltwirtschaftswachstum anämisch. Die Industrieländer plagt nach Ansicht von Turner eine Mischung aus Überschuldung, sinkendem Wachs-tum der Erwerbsbevölkerung, sinkendem Produktivitätswachstum sowie steigender Einkommensungleich-heit, was insgesamt ein chronisch schwaches Wachstum in den kommenden Jahrzehnten impliziert. Folglich bekennt sich Turner zur These der secular stagnation, insbesondere in Bezug auf die Industrieländer.

3. Politische Implikationen

Turner führt aus, dass das heutige kapitalistische System insgesamt auf einer steigenden Verschuldung basiert. Um dieses System insgesamt stabiler zu gestalten, schlägt er eine Reihe von (teilweise radikalen) Reformen vor:

Abschaffung des Privilegs der privaten Kreditschöpfung/100% Reserve Banking: U.a. bekannt als der „Chicago Plan“ - ein Vorschlag von Ökonomen der Chicagoer Schule an den damaligen US Präsidenten Roosevelt im Jahre 1933 - der vorsieht, dass kommerzielle Banken tat-sächlich als reine Intermediäre fungieren und nicht mehr imstande wären, Kreditschöpfung zu be-treiben. Kommerzielle Banken müssten in diesem System 100% ihrer Giroeinlagen in Form von Zentralbankreserven unterhalten. In diesem System hätte lediglich der Staat das Privileg der Kredit-schöpfung über sog. „Fiat Money Creation“. Turner hegt einige Vorbehalte ggü. dieser Art von Fi-nanzsystem, u.a. der potentiell gefährliche exzessive Missbrauch des Staates dieses Monopols der Fiat Money Creation.5

Besteuerung von „Debt Pollution“: Kreditarten, die besondere Risiken für die Finanzstabilität in sich bergen und soziale Externalitäten erzeugen, könnten zusätzlich besteuert werden.

Förderung von Eigenkapitalfinanzierung anstatt der Finanzierung über Schuldenaufnahme: Problematisch an der Finanzierung über Kreditverträge ist u.a. die Tatsache, dass Kreditverträge weniger flexibel sind als die direkte Beteiligung an Unternehmen über Eigenkapitalbeteiligungen. Der Schuldner ist meistens verpflichtet, einen fixen Zins zu bezahlen, ohne Rücksicht auf die Verfas-sung seines Unternehmens oder die sich ändernden wirtschaftlichen Verhältnisse. Im Falle von Ei-genkapitalfinanzierung erfolgt die Gewinnbeteiligung variabel und ist daher flexibler als bei Kredit-verträgen.

Darüber hinaus spricht sich Turner für eine gezielte Kontrolle der Kreditvergabe aus und nicht nur für eine Stabilisierung des Bankensystems etwa durch höhere Eigenkapitalforderungen.6

So ist Turner der Meinung, dass sowohl die Quantität als auch Qualität der Kreditvergabe stärker zu kon-trollieren ist. Turner schlägt in diesem Kontext folgende Reformen vor:

Restriktion der Kreditvergabe an potentiell gefährdende Sektoren (insb. Immobilien)

Beschränkung von Schattenbankfinanzierung sogar auf Kosten von geringerer Marktliquidität

Erschwerter Zugang zum Kredit aus Sicht des Schuldner’s (höhere Eigenkapitalanforderungen, höhere Loan-to-Value-Ratios uvm.)

Maßnahmen zur Unterbindung von kurzfristigen Kapitalströmen

5 Vgl. u.a. Turner (2015; 188 ff.).

6 Er plädiert damit implizit für eine Art Kreditplafondierung/Credit Gudidance durch die jew. Zentralbank. Siehe Wer-

ner in The Encyclopedia of Central Banking (2015), Kapitel: “Credit Gudiance”.

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Maßnahmen zur Sicherstellung von ausreichender Kreditvergabe für notwendige Kapitalinvestitio-nen (bspw. Förderung von Banken mit spezifischer Kreditvergabefunktion, wie z.B. die KfW).

Das aktuelle Instrumentarium der Steuerung der Kreditvergabe über Geldmarktzinsen ist nach Ansicht von Turner ungenügend. So wirkt bspw. der Zins nicht auf alle Kanäle des Bankensystems in gleicher Weise. Verschiedene Arten des Bankkredits besitzen verschiedene Elastizitäten und reagieren unterschiedlich auf Zinsänderungen. Turner ist daher der Ansicht neben der Änderung des Mandats das reguläre Instrumenta-rium der Zentralbanken allgemein zu erweitern (inkl. unkonventioneller Maßnahmen).

Turner spricht sich u.a. für die reguläre Nutzung von folgenden Instrumentarien/Mechanismen für eine Erhöhung der Finanzstabilität aus:

Höhere Eigenkapitalanforderungen der Banken: Turner plädiert für eine sukzessive Annäherung in Richtung von 20 bis 25% Eigenkapital in Relation zu den Bankaktiva (also deutlich höher als aktuell durch Basel III festgelegt). Die Anhebung in dieses neue Regime sollte jedoch sehr vorsichtig und langsam erfolgen, um den deflationären Einfluss ei-nes möglichen Deleveragings der Bankbilanzen nicht zu verstärken. Darüber hinaus spricht sich Turner für den Gebrauch von antizyklischen Kapitalpuffern (countercyclical capital buffers) aus, die gegen den Kreditzyklus auf- und wieder abgebaut werden können.

Mindestreservesatz: Zentralbanken sollten die Mindestanforderungen für Bankreserven wieder erhöhen und verstärkt einsetzen. Indirekt entfaltet dieses Instrument seine Wirkung ebenfalls über die Höhe der Zinsen, die durch die zur Verfügung stehende Menge an Zentralbankgeld bzw. Zentralbankreserven deter-miniert wird.

Risikogewichtungen der Aktiva, welche soziale und nicht private Risiken reflektieren: Die aktuell geltenden internationalen Eigenkapitalanforderungen basieren auf der Sicht der Bank selbst und der erwarteten Risiken für eine bestimmte Investition. Daraus resultiert, dass die Risiko-gewichtung von Hypothekenkrediten mit hoher Bonität lediglich 10% oder 5% betragen kann, we-niger Eigenkapital erfordert und somit aus Sicht der Bank deutlich attraktiver erscheint. Auf der an-deren Seite werden meist für riskante, jedoch notwendige Investitionskredite an Klein- und Mittel-ständische Unternehmen 100% Eigenkapital veranschlagt. Letztere Kreditart ist sozial gesehen je-doch wichtiger und Erstere potentiell gefährlich, so dass Eigenkapitalanforderungen entsprechend angepasst werden sollten.

Um dem sog. „Debt Overhang“ (Schuldenüberhang) zu entkommen, der nach Ansicht von Turner aktuell eines der Hauptprobleme der Weltwirtschaft darstellt, gäbe es eine Reihe von Möglichkeiten:

Aktuell ist die kombinierte Verschuldungsquote (privat & öffentlich) in den Industrieländern so hoch wie unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg. Infolge des Krieges erreichte damals das Vereinigte Königreich eine Gesamtverschuldungsquote von 250% des BIPs, war jedoch im Stande, diese bis zum Jahre 1970 auf ledig-lich 50% zu reduzieren. Turner erwähnt, dass diese Reduktion keinesfalls auf einer absoluten Reduktion der ausstehenden Schulden basierte. Die Verschuldungsquote reduzierte sich aufgrund der Tatsache, dass das nominale BIP-Wachstum für 25 Jahre ca. 7% p.a. betrug, während die Zinsen durchschnittlich deutlich da-runter lagen. Das nominale BIP-Wachstum ergab sich laut Turner aus einer Mischung von ca. 4% Inflations-rate (deutlich über aktuellen Zentralbankmandaten) und ca. 3% realem BIP-Wachstum. Der Anstieg resul-tierte aus einem steigenden Produktivitätswachstum sowie auch einem demographischen Wachstum.

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Darüber hinaus wuchs die Verschuldung des Privatsektors ebenfalls langsam an, wurde jedoch durch quan-titative credit controls (sprich: Kreditplafondierung) streng kontrolliert. Turner erwähnt, dass Immobilien-kredite damals lediglich durch Building Societies vergeben wurden und nicht durch Banken. In anderen eu-ropäischen Ländern wurde die Schuldenlast des öffentlichen Sektors meist durch hohe Inflationsraten oder auch Schuldenschnitte reduziert.

Auf Basis dieser Beobachtungen gibt es nach Ansicht von Turner objektiv nur folgende Lösungen, um die Schuldenquote des öffentlichen Sektors (bzw. den globalen Schuldenüberhang) zu reduzieren:

„Defaults“/Schuldenschnitte

Schuldenabbau/Deleveraging/Austerität

Inflation

Reales Wachstum

Finanzielle Repression/geringe Zinsen (u.a. erreicht durch unkonventionelle Geldpolitik)

Turner spricht sich insgesamt gegen Schuldenschnitte als auch gegen Austerität bzw. ein Deleveraging des Staatssektors aus. Beide Maßnahmen hätten deutlich negative Effekte auf die Realwirtschaft zur Folge. Als Beispiel nennt er die negativen Effekte der jüngsten Austeritätspolitik mancher Staaten der Eurozone, die keineswegs Erfolg hatten, die Schuldenquote tatsächlich zu reduzieren. Ferner findet Turner, dass die heu-tigen unkonventionellen Maßnahmen vieler Notenbanken zwar implizit auch die Zinslast verringern, aller-dings potentiell schwerwiegende Nebenwirkungen wie erneute Vermögenspreisblasen erzeugen, welche wiederum eine Krise und damit zusätzliche Fiskalausgaben/Verschuldung in der Zukunft implizieren. Da-rüber hinaus ist Turner der Meinung, dass die bisherigen Notenbank-Maßnahmen bislang ineffektiv waren, genügend Wachstum sowie Inflation zu erzeugen.

Turner befürwortet eine Mischung aus erhöhter Inflationsrate sowie realem Wachstum, in manchen Fäl-len sogar Defaults bzw. Schuldenschnitte, was jedoch von Land zu Land unterschiedlich gestaltet werden müsste. Angesichts der zuvor genannten Problematik des niedrigen Produktivitätswachstums, des niedrigen Wachstums der Erwerbsbevölkerung sowie der Zurückhaltung des Privatsektors, sich neu zu verschulden, bleibt nach Ansicht von Turner lediglich die Möglichkeit über erhöhte Staatsausgaben das nominale Wirt-schaftswachstum zu stimulieren.

Turner befürwortet in diesem Kontext die Sichtweise von Milton Friedman, dass eine defizitäre nominale Nachfrage in einem monetären System niemals ein Problem darstellen sollte. Falls eine Volkswirtschaft eine defizitäre Nachfrage aufweist, sollte die Regierung Banknoten drucken und sie mit Hilfe eines Helikopters unter der Bevölkerung verteilen.7 Ein gewisser Anteil der heruntergefallenen Banknoten würde höchst-wahrscheinlich wieder in Form erhöhter Nachfrage in Umlauf gebracht werden, so die Logik. Der Effekt wäre sicherlich gering bei einer kleinen Menge an Banknoten, jedoch potentiell groß, falls die Banknoten ein Vielfaches des BIP betragen würden. In solch einem Fall würden die Banknoten laut Turner höchstwahr-scheinlich zunächst einmal nur eine höhere Inflationsrate erzeugen, da reales Output-Wachstum kurzfristig durch Angebotsfaktoren determiniert wird. Nach Ansicht von Turner könnte man jedoch solch eine Maß-nahme so kalibrieren, dass sie wenig schädliche Inflation erzeugen würde, dafür potentiell jedoch die ge-wünschten Effekte einer höheren Nachfrage. Turner nennt als Beispiel die Kolonie von Pennsylvania in den 1720er Jahren sowie auch die Amerikanische Union im Jahre 1860/61, wo diese Art der Staatsausgaben durch das Drucken von Banknoten erfolgreich praktiziert wurde.

7 Dieser Ansatz, erhöhte Staatsausgaben durch „helicopter money“ zu finanzieren, wurde auch von Ben Bernanke,

dem ehemaligen Präsidenten der US Federal Reserve Bank, bereits mehrfach ins Spiel gebracht.

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Die Finanzierung von Staatsausgaben durch sog. Fiat Money Creation des Staates würde im heutigen mo-dernen Geldsystem über die Gutschrift von Giroguthaben höchstwahrscheinlich genauso effektiv sein, wie das Drucken von neuen Banknoten. Darüber hinaus ist Turner überzeugt, dass Probleme des sogenannten „Crowding Out“ oder der „Ricardian Equivalence“ nicht zu befürchten wären, da die erhöhten Staatsausga-ben nicht über ein erhöhtes Defizit des Staates finanziert, sondern ex nihilo geschöpft werden würden.8

Turner erwähnt in diesem Kontext drei Arten der Umsetzung der sog. „Overt Money Finance“ (OMF):

1. “Bernanke’s Helikopter” Im Jahre 2003 schlug der ehem. Gouverneur der Federal Reserve Ben Bernanke vor, dass Japan zu seiner Zeit eine moderne Version des Helikopter-Abwurfs von Banknoten hätte durchführen sollen. Bernanke schlug entweder eine Steuersenkung oder erhöhte Fiskalausgaben vor, die mit Hilfe von neu geschöpftem Zentralbankgeld finanziert würden und keine neue Schuldenaufnahme des Staa-tes impliziert hätten. Turner ist davon überzeugt, dass diese Art der Finanzierung sowohl Japan damals mehr geholfen hätte, ein höheres nominales Wachstum zu erreichen, als auch in den Industriestaaten nach 2008 zu einer weniger scharfen Rezession sowie einer schnelleren Erholung verholfen hätte. Turner fin-det diese Mischung aus Fiskal- und Geld-Politik um ein Vielfaches effektiver und weniger riskant als die unkonventionellen Maßnahmen der heutigen Zentralbanken, durch Aufkauf von Wertpapieren via Vermögenspreisinflation die Wirtschaft zu stimulieren.

2. Abschreibung öffentlicher Schulden Im Falle von Japan erwähnt Turner, dass die Nettostaatsverschuldung Japans in Folge der Anleihen-käufe der Bank of Japan bis zum Jahre 2017 lediglich 65% des BIPs betragen könnte. Die Anleihen-käufe machen den Eindruck einer direkten Staatsfinanzierung. Das erklärte Ziel dieser Maßnahmen ist jedoch nicht die Finanzierung des Staatsdefizits, sondern die Stimulierung der Wirtschaft mit der Erwartung, dass diese Anleihen eines Tages wieder an den Markt zurückverkauft werden und die Anleihen mit Hilfe erhöhter Staatseinnahmen bedient werden können. Die offiziellen Statistiken über die Staatsverschuldung beziehen daher die Anleihenbestände der Bank of Japan mit ein. Turner schlägt daher vor, die Bestände an japanischen Staatsanleihen an einem bestimmten Punkt auf der Aktivseite der Zentralbankbilanz einfach abzuschreiben und mit einer unbefristeten zins-freien Schuld („perpetual non-interest bearing debt“) des Staates an die Bank zu ersetzen. Der Ein-fluss auf das Einkommen der Bank oder des Staates wäre nach Aussage von Turner in diesem Fall gleich null, da aktuell die Zinsen, die die Bank of Japan vom Staat erhält, wieder an den Staat zu-rückgeführt werden. Diese Maßnahme würde nach Ansicht von Turner also lediglich die ökonomi-sche Realität in Einklang mit der aktuellen Kommunikation der Bank of Japan bringen, hätte jedoch den Vorteil, dass der Privatsektor erneutes Vertrauen in die Nachhaltigkeit des Staatshaushaltes gewinnt und dadurch positive Effekte auf Vertrauen und nominale Nachfrage haben könnte.

8 Der „Crowding Out“-Effekt resultiert aus dem Zinsanstieg durch erhöhte Schuldenaufnahme des Staates über

Anleihenemission. Die Theorie besagt, dass die höheren Zinsen zu einer Verdrängung von Investitionen des Privatsek-tors führen und somit der Effekt der erhöhten Staatsausgaben (partiell) konterkariert wird. Die Theorie der „Ricardian Equivalence“, benannt nach dem klassischen Ökonomen David Ricardo (1772 - 1823), besagt, dass erhöhte Staatsaus-gaben heute Haushalte und Unternehmen dazu veranlassen könnte, ihre Sparquote zu erhöhen und ihre Ausgaben zu reduzieren, in Antizipation höherer Steuern in der Zukunft.

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3. Banken-Rekapitalisierung Die dritte Möglichkeit würde sich weniger um die erhöhte Staatsverschuldung kümmern, sondern um eine schnelle Bereinigung der Altlasten des Bankensystems, und somit den Fortschritt in Rich-tung eines gesunden Finanzierungskanals beschleunigen. Obgleich Turner für insgesamt höhere Ei-genkapitalanforderungen der Banken in der Zukunft plädiert, verstärken die erhöhten Eigenkapital-anforderungen aktuell das Deleveraging der Banken und damit das Problem der defizitären Nach-frage durch eine restriktivere Kreditvergabe. Das Problem der Banken-Rekapitalisierungen durch Eigenkapitalzuwendungen des Staates in Folge der Finanzkrise war bekanntlich eine erhöhte Staatsverschuldung. Dies war politisch sensitiv vor dem Hintergrund der Privatisierung von Gewin-nen und Sozialisierung von Verlusten. Eine Rekapitalisierung von Banken muss allerdings nicht zwangsweise zu einer Erhöhung der Staatsverschuldung führen, sofern sie durch einen permanen-ten Anstieg von Zentralbankgeld finanziert wird. Nach Turner wäre diese Variante von OMF wahr-scheinlich sogar politisch am akzeptabelsten, da hier am ehesten davon ausgegangen werden könn-te, dass dies nicht öfters passieren würde.

4. Fazit

Turner’s „Between Debt and the Devil” kann zunächst als Manifest zu einem neuen ökonomischen Denken angesehen werden. Turner’s Ansichten provozieren nicht nur die vorherrschende ökonomische Orthodoxie, sondern bieten auch neue Lösungsansätze für das chronisch defizitäre Wachstum im Zeitalter säkularer Stagnation, auf Grundlage der realen Funktionsweisen des heutigen Finanz- und Wirtschaftsystems.

Um diesen kontroversen Lösungsvorschlag zu machen ist Turner praktisch gezwungen, abseits allgemein akzeptierter Paradigmen zu denken. Turner zeigt, dass unter Einbeziehung neuer Instrumente wie „OMF“ die Politik keinesfalls „Out of Ammunition“ sein müsste, da OMF bei Vorliegen einer generellen Nachfrage-schwäche ein sehr potentes Instrument darstellen könnte. Formen der direkten Staatsfinanzierung durch die Notenbank werden nach Ansicht von Turner womöglich zu Unrecht tabuisiert, auf Kosten von noch höheren sozialen und ökonomischen Kosten der bisherigen Ansätze.

Nach Ansicht von Turner geht es bei dem Tabuthema OMF weniger um ein technisches Problem, sondern um ein politisches. In der potentiellen Effektivität dieses alternativen Instruments liegt nämlich auch die Gefahr des exzessiven Missbrauchs. Hier sieht Turner den eigentlichen Diskussionsbedarf.

Trotz einer sehr exakten Problemanalyse, sowie einer sachlogisch unbestreitbar richtigen Argumentation hinsichtlich der möglichen Potenz einer OMF-Politik, fehlt dem Buch eine kritische Reflexion zu möglichen „Risiken und Nebenwirkungen“. Turner hinterfragt nur unzureichend mögliche negative Rückwirkungen auf das Wirtschafts- und Finanzsystem, die Stabilität der Währungsordnung sowie Potentiale einer echten Finanz- oder Währungskrise. Dies sind jedoch legitime und sehr gewichtige Fragestellungen.

Auch mögliche Implikationen für Vermögenspreise oder Vermögenskategorien, höchst relevante Frage-stellungen aus Sicht von Investoren und Vermögensinhabern, werden von Turner nicht weiterverfolgt.

Trotz dieser Defizite ist das Buch ein klarer und nicht zu unterschätzender Hinweis darauf, in welche Rich-tung sich künftig, vor dem Hintergrund anhaltender globaler Wachstumsschwäche, die öffentliche Diskussi-on entwickeln könnte. Da die bisherige Notenbank-Politik des „quantitative easing“, zumindest in der Euro-Zone und in Japan, inzwischen zu Recht als wirkungslos oder sogar gescheitert bewertet wird, sind neue politische Vorstöße zur ökonomischen „Stimulierung“ (und Sanierung) in nächster Zeit sicher zu erwarten.

Das Buch von Turner gibt Investoren diesbezüglich eine gute Vorschau, die ernst genommen und für Fragen des individuellen Vermögensschutzes genutzt werden sollte.

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5. Bibliographie

Buttiglione, L., Lane, P., Reichlin, L., & Reinhart, V. (2014). Deleveraging, what deleveraging? The 16th Gene-va Report on the world economy. Geneva: ICMB International Centre for Monetary and Banking Studies and London: CEPR Centre for Economic Policy Research.

Reinhart, C. M., & Rogoff, K. (2009). This time is different. Eight Centuries of Financial Folly, Princeton Uni-versity, Princeton and Oxford.

Rochon, L. & Rossi, S. (2015). The Encyclopedia of Central Banking. Edward Elgar Publishing Ltd.

Turner, A. (2015). Between Debt and the Devil: Money, Credit, and Fixing Global Finance. Princeton Univer-sity Press.

Werner, R. A. (2005). New paradigm in macroeconomics. Basingstoke: Palgrave Macmillan.

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