basistherapie bei früher rheumatoider arthritis

8
Gefördert durch den Bundesminister für Bildung und Forschung im Rahmen des Kompetenz- netzes Rheuma von 1999–2005 (Förderkennzei- chen 01 GI 0344). Z Rheumatol 2007 · 66:121–128 DOI 10.1007/s00393-007-0153-9 Online publiziert: 2. März 2007 © Springer Medizin Verlag 2007 G. Westhoff · A. Zink Forschungsbereich Rheumatologie, Deutsches Rheuma- Forschungszentrum Berlin (DRFZ) Basistherapie bei früher rheumatoider Arthritis Verzicht auf rheumatologische Mitbetreuung und Präferenz für Alternativmedizin erhöhen das Risiko einer Unterversorgung Leitthema Nach den Leitlinien deutscher wie interna- tionaler rheumatologischer Gesellschaften sollte jeder Patient mit aktiver rheumato- ider Arthritis (RA) so früh wie möglich und anhaltend mit Basistherapie („disease modifying antirheumatic drug“, DMARD) behandelt werden [10]. Die Wirksamkeit von ca. 12 verbreitet angewandten Sub- stanzen wurde in vielen Studien belegt, und mit der Zulassung der Biologika er- öffneten sich in den letzten Jahren zusätz- liche Therapieoptionen für Patienten, bei denen die bisherigen Substanzen nur un- zureichend gewirkt haben [2, 12]. Trotz gut belegter Wirksamkeit der DMARDs und erweiterter Therapie- optionen gibt es aber selbst in rheumato- logischen Versorgungseinrichtungen im- mer auch Patienten mit aktiver RA, die keine DMARDs nehmen. Über die basis- therapeutische Behandlung von RA-Kran- ken in allgemeinärztlicher Versorgung lie- gen wegen fehlender Studien nur bedingt Erkenntnisse vor [9]. Auch ist bisher erst 1-mal untersucht worden, wie RA-Kran- ke, die nach initialer Behandlung beim Rheumatologen zum Hausarzt wechsel- ten, weiterbehandelt werden [11]. Wir ha- ben deshalb in einer großen Kohorte von Patienten mit früher RA untersucht, wie viele und welche Patienten kein DMARD nahmen, wie die Behandlung bei den Pa- tienten fortgesetzt wurde, die nicht mehr zum Rheumatologen gingen, und welche Gründe Ärzte wie Patienten für den Ver- zicht auf eine DMARD-Therapie anga- ben. Damit liegen Daten aus einer Zeit vor, in der sich die Forderungen nach früher und aggressiver Therapie bereits etabliert hatten und Biologika gleichzeitig neue Be- handlungsmöglichkeiten für bisher thera- pierefraktäre Patienten boten. Die Unter- suchung liefert somit einen Einblick in die Versorgung von Patienten mit früher RA in Zeiten vergleichsweise optimaler Ver- sorgungsbedingungen. Patienten und Methoden In der Zeit von Januar 2000 bis Juni 2001 nahmen 54 rheumatologische Ein- richtungen in Deutschland konseku- tiv 1055 Patienten mit früher RA in eine 3-jährige Beobachtungsstudie auf, sofern die Patienten die ACR-Kriterien [1] er- füllten, mindestens 18 Jahre alt und nicht länger als 24 Monate lang krank waren. Nach einer klinischen Eingangsuntersu- chung mit Standarddokumentation und Röntgen von Händen und Vorfüßen wur- den die Patienten halbjährlich per Frage- bogen zum Krankheitsverlauf und zur ak- tuellen Rheumatherapie befragt. Zur Hilfe- stellung wurden die Handelsnamen der gängigen Medikamente im Fragebogen aufgelistet. Fehlende oder missverständli- che Angaben wurden telefonisch nachge- fragt und anhand der „Roten Liste“ nach Substanzen kodiert. Nach Ablauf von 3 Jahren erfolgte er- neut eine klinische Untersuchung durch den derzeit behandelnden Arzt. Die Ärzte gaben globale Einschätzungen zum bis- herigen Behandlungsverlauf ab und do- kumentierten die Gründe für DMARD- Abstinenz [Remission, Kontraindikation, schwere unerwünschte Arzneimittelwir- kungen (UAW), Kinderwunsch/Schwan- gerschaft, Non-Compliance; jeweils Ja/Nein]. Patienten, die aktuell kein DMARD nahmen, gaben anhand von 5 standardisierten Statements an, weshalb sie darauf verzichteten (Unverträglich- keit, Unwirksamkeit, sehr gute Besserung, Abneigung gegen die „Chemie“, Kinder- wunsch/Schwangerschaft/Stillzeit). Baseline und T 6 -Röntgenaufnahmen von Händen und Vorfüßen wurden ent- sprechend der Ratingen-Score-Methode (RS) befundet [8]. Es lagen von allen Pati- enten T 0 - und von 767 Patienten T 6 -Auf- nahmen vor. Erfasst wurden außerdem: F Personenmerkmale: Geschlecht, Alter, Schulbildung (≤9, ≥10 Jahre), Erwerbstätigkeit (Ja, Nein), Kranken- versicherung (gesetzlich/privat); F Komorbidität: Arztangaben anhand einer standardisierten Liste von 24 121 Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2007 |

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Page 1: Basistherapie bei früher rheumatoider Arthritis

Gefördert durch den Bundesminister für Bildung und Forschung im Rahmen des Kompetenz-netzes Rheuma von 1999–2005 (Förderkennzei-chen 01 GI 0344).

Z Rheumatol 2007 · 66:121–128

DOI 10.1007/s00393-007-0153-9

Online publiziert: 2. März 2007

© Springer Medizin Verlag 2007

G. Westhoff · A. Zink

Forschungsbereich Rheumatologie, Deutsches Rheuma-

Forschungszentrum Berlin (DRFZ)

Basistherapie bei früher rheumatoider ArthritisVerzicht auf rheumatologische Mitbetreuung und Präferenz für Alternativmedizin erhöhen das Risiko einer Unterversorgung

Leitthema

Nach den Leitlinien deutscher wie interna-

tionaler rheumatologischer Gesellschaften

sollte jeder Patient mit aktiver rheumato-

ider Arthritis (RA) so früh wie möglich

und anhaltend mit Basistherapie („disease

modifying antirheumatic drug“, DMARD)

behandelt werden [10]. Die Wirksamkeit

von ca. 12 verbreitet angewandten Sub-

stanzen wurde in vielen Studien belegt,

und mit der Zulassung der Biologika er-

öffneten sich in den letzten Jahren zusätz-

liche Therapieoptionen für Patienten, bei

denen die bisherigen Substanzen nur un-

zureichend gewirkt haben [2, 12].

Trotz gut belegter Wirksamkeit der

DMARDs und erweiterter Therapie-

optionen gibt es aber selbst in rheumato-

logischen Versorgungseinrichtungen im-

mer auch Patienten mit aktiver RA, die

keine DMARDs nehmen. Über die basis-

therapeutische Behandlung von RA-Kran-

ken in allgemeinärztlicher Versorgung lie-

gen wegen fehlender Studien nur bedingt

Erkenntnisse vor [9]. Auch ist bisher erst

1-mal untersucht worden, wie RA-Kran-

ke, die nach initialer Behandlung beim

Rheumatologen zum Hausarzt wechsel-

ten, weiterbehandelt werden [11]. Wir ha-

ben deshalb in einer großen Kohorte von

Patienten mit früher RA untersucht, wie

viele und welche Patienten kein DMARD

nahmen, wie die Behandlung bei den Pa-

tienten fortgesetzt wurde, die nicht mehr

zum Rheumatologen gingen, und welche

Gründe Ärzte wie Patienten für den Ver-

zicht auf eine DMARD-Therapie anga-

ben.

Damit liegen Daten aus einer Zeit vor,

in der sich die Forderungen nach früher

und aggressiver Therapie bereits etabliert

hatten und Biologika gleichzeitig neue Be-

handlungsmöglichkeiten für bisher thera-

pierefraktäre Patienten boten. Die Unter-

suchung liefert somit einen Einblick in die

Versorgung von Patienten mit früher RA

in Zeiten vergleichsweise optimaler Ver-

sorgungsbedingungen.

Patienten und Methoden

In der Zeit von Januar 2000 bis Juni

2001 nahmen 54 rheumatologische Ein-

richtungen in Deutschland konseku-

tiv 1055 Patienten mit früher RA in eine

3-jährige Beobachtungsstudie auf, sofern

die Patienten die ACR-Kriterien [1] er-

füllten, mindestens 18 Jahre alt und nicht

länger als 24 Monate lang krank waren.

Nach einer klinischen Eingangsuntersu-

chung mit Standarddokumentation und

Röntgen von Händen und Vorfüßen wur-

den die Patienten halbjährlich per Frage-

bogen zum Krankheitsverlauf und zur ak-

tuellen Rheumatherapie befragt. Zur Hilfe-

stellung wurden die Handelsnamen der

gängigen Medikamente im Fragebogen

aufgelistet. Fehlende oder missverständli-

che Angaben wurden telefonisch nachge-

fragt und anhand der „Roten Liste“ nach

Substanzen kodiert.

Nach Ablauf von 3 Jahren erfolgte er-

neut eine klinische Untersuchung durch

den derzeit behandelnden Arzt. Die Ärzte

gaben globale Einschätzungen zum bis-

herigen Behandlungsverlauf ab und do-

kumentierten die Gründe für DMARD-

Abstinenz [Remission, Kontraindikation,

schwere unerwünschte Arzneimittelwir-

kungen (UAW), Kinderwunsch/Schwan-

gerschaft, Non-Compliance; jeweils

Ja/Nein]. Patienten, die aktuell kein

DMARD nahmen, gaben anhand von 5

standardisierten Statements an, weshalb

sie darauf verzichteten (Unverträglich-

keit, Unwirksamkeit, sehr gute Besserung,

Abneigung gegen die „Chemie“, Kinder-

wunsch/Schwangerschaft/Stillzeit).

Baseline und T6-Röntgenaufnahmen

von Händen und Vorfüßen wurden ent-

sprechend der Ratingen-Score-Methode

(RS) befundet [8]. Es lagen von allen Pati-

enten T0- und von 767 Patienten T6-Auf-

nahmen vor.

Erfasst wurden außerdem:

F Personenmerkmale: Geschlecht,

Alter, Schulbildung (≤9, ≥10 Jahre),

Erwerbstätigkeit (Ja, Nein), Kranken-

versicherung (gesetzlich/privat);

F Komorbidität: Arztangaben anhand

einer standardisierten Liste von 24

121Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2007 |

Page 2: Basistherapie bei früher rheumatoider Arthritis

verbreiteten chronischen Krank-

heiten. Andere Krankheiten wurden

mitsummiert;

F Disease Activity Score, DAS28 T0 und

T6. Index aus Blutsenkungsgeschwin-

digkeit (BSG 1/h), Anzahl schmerz-

hafter und geschwollener Gelenke

(aus je 28) und Patientenurteil zum

Gesundheitszustand ([6]; <3,2 nied-

rige, 3,2–5,1 mittlere, >5,1 hohe Krank-

heitsaktivität);

F Einschätzung der Krankheitsschwere

(Arztangabe auf einer 5-stufigen

Likert-Skala: asymptomatisch, leicht,

mäßig, schwer, sehr schwer; T0 und

T6);

F Gesundheitszustand (Arzt- und Pati-

entenrating: numerische Ratingskala,

NRS 0–10);

F Funktionsfähigkeit (Selbstbeurtei-

lung: Funktionsfragebogen Hannover,

FFbH 0–100 [7]);

F Schmerzen (Selbstbeurteilung: NRS

0–10);

F subjektive Nebenwirkungen (Selbst-

beurteilung T1–T6: keine/leichte/

schwere). Ein halbes Jahr vor Stu-

dienende war auf einer Liste von

40 häufig vorkommenden uner-

wünschten Arzneimittelwirkungen

(UAW) anzukreuzen, welche UAW

in den vergangenen 6 Monaten auf-

getreten waren;

F Präferenz für Schulmedizin oder al-

ternative Medizin (Patientenrating:

3-stufige Skala: vorwiegend Schulme-

dizin, beide Schulen gleichermaßen,

vorwiegend alternative Medizin);

F jemals wegen RA an einer Patienten-

schulung bzw. medizinischen Rehabi-

litation teilgenommen (Patientenan-

gabe T6);

F Behandlung beim Rheumatologen

oder nicht spezialisierten Arzt: Patien-

tenangabe T1–T6, Arztangabe T0–T6.

Statistik

Nach der Anzahl von Halbjahresmesszeit-

punkten (MZP; einschließlich Baseline)

mit DMARD-Therapie wurden 4 Grup-

pen gebildet:

F 1: nie DMARD-Therapie,

F 2: 1–3 MZP,

F 3: 4–6 MZP und

F 4: 7 MZP bzw. immer DMARD.

Mittels deskriptiver Verfahren wurde be-

rechnet, welcher Zusammenhang zwi-

schen demographischen oder klinischen

Baselineparametern sowie der Art der Be-

treuung (hausärztlich oder rheumatolo-

gisch, Teilnahme an einer Patientenschu-

lung oder medizinischen Rehabilitation)

und Kontinuität der DMARD-Therapie

bestand. Die statistisch signifikanten Zu-

sammenhänge (χ2-Test) werden kreuzta-

bellarisch vorgestellt.

Mittels multivariater logistischer Re-

gressionsanalyse wurde schließlich be-

rechnet, welche der berücksichtigten Pa-

rameter voraussagen konnten, ob nach

3 Jahren noch eine DMARD-Therapie

bestand. Geprüft wurden die Einflüs-

se von Alter, Geschlecht, Schulbildung

(</≥10 Jahre), Krankenversicherung (ge-

setzlich/privat), Komorbidität (keine,

1–2, 3–4, ≥5), spezialisierte oder nicht spe-

zialisierte Betreuung, Teilnahme an einer

medizinischen Rehabilitation und/oder

Patientenschulung, Bevorzugung der ei-

nen oder anderen Medizinschulen, Rheu-

mafaktor (pos., neg.), Krankheitsaktivität

(DAS28 T0 oder T6, 3 Strata), Krankheits-

schwere (Arztrating T0, 3 Strata), Schmer-

zen T6 (NRS ≤2, 3–6, ≥7) und Gelenkzer-

störung T0 oder T6 (RS, 0, 1, 2–5, ≥6) bzw.

Progression.

Da die Ärzte bei vielen Patienten meh-

rere Gründe für die DMARD-Abstinenz

angaben, wurde aus den Mehrfachnen-

nungen eine hierarchische Variable gebil-

det, die jeweils nur das stärkste Argument

berücksichtigte:

1. Kinderwunsch/Schwangerschaft,

2. Kontraindikation und/oder schwere

UAW,

3. Remission,

4. Non-Compliance.

Wegen großer Überschneidungen von

Kontraindikation und UAW wurden die-

se beiden Gründe zusammengezogen.

Anhand einiger Outcome-Parame-

ter wird gezeigt, wie sich die Gruppen

ohne DMARD von den Patienten mit

DMARD unterschieden. Wegen des Be-

obachtungsdesigns der Studie wurde keine

Signifikanzprüfung der Unterschiede vor-

genommen.

Ergebnisse

Studienteilnehmer

Von den 1055 Patienten schlossen 916

(89,5%) die 3-jährige Beobachtung ab. 32

(3,0%) wurden nachträglich ausgeschlos-

sen, da sich die RA-Diagnose nicht bestä-

tigt hatte, 45 (4,4%) Patienten verstarb-

en während der 3 Jahre, 34 (3,3%) schie-

den wegen schwerer Krankheit aus, 5 we-

gen außergewöhnlicher Belastungen, 22

(2,2%) ohne nähere Angaben, und 9 re-

agierten nicht auf mehrfaches Anschrei-

ben. Die 115 RA-kranken Dropouts waren

mit 66 Jahren deutlich älter und kränker.

Die . Tab. 1 zeigt die Baselinedaten

der 916 Patienten mit vollständigem Fol-

low-up.

Tab. 1 Patienten der RA-Frühfallkohorte bei Studieneintritt

RA-Frühfall-Kohorte

Bei Studieneintritt n=916

Frauen [%] 645 70,4

Alter (Jahre, μ±SD)a 56,6±13

≤50 Jahre [%]

>70 Jahre [%]

267

164

28,1

17,9

Krankheitsdauer (Monate, μ±SD) 11,9±6,8

≥10 Jahre Schulbildung [%] 419 45,1

Zahl weiterer Krankheiten (μ±SD) 1,8±1,7

Keine (%)

≥3 [%]

269

254

29,4

27,7

Rheumafaktor positiv [%] 564 61,6%

Krankheitsaktivität (DAS28; μ±SD) 4,79±1,5

Erosive RA (RS; %) 598 65,3%aMittelwert und Standardabweichung

122 | Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2007

Leitthema

Page 3: Basistherapie bei früher rheumatoider Arthritis

DMARD, nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und Glukokortikoide im Verlauf von 3 Jahren

Die erste DMARD-Therapie wurde

durchschnittlich 7,6±6,3 Monate nach

Symptombeginn verordnet (Median 5,8).

Bei Studieneintritt nahmen 95,2% der Pa-

tienten mindestens 1 DMARD. Der Anteil

fiel in den kommenden 3 Jahren stetig auf

zuletzt 81,3%. Knapp 72% der Patienten

nahmen – abgesehen von kurzen Unter-

brechungen – kontinuierlich DMARDs,

und gut 87% blieben mindestens 2 der

3 Jahre unter DMARD-Therapie. Die

meisten Therapieabbrüche erfolgten in

den ersten 1,5 Jahren nach Studienein-

tritt. Nur 25 (2,7%) Patienten hatten nie

ein DMARD.

Der Anteil Patienten mit DMARD-

Kombination stieg von 7,6% bei Studien-

eintritt auf 21,8% nach 3 Jahren, während

der Anteil mit Dreierkombinationen zu

jeder Zeit bei rund 3% lag. Insgesamt hat-

ten 39% der Patienten jemals eine Kombi-

nationstherapie erhalten, ein Drittel von

ihnen während der gesamten Beobach-

tungszeit. Der Anteil Patienten mit Biolo-

gika stieg von 1,6% 6 Monate nach Studi-

eneintritt auf 7,4% nach 3 Jahren; 74 (8,1%)

Patienten hatten jemals ein Biologikum.

Der Anteil der mit oralen Glukokor-

tikoiden behandelten Patienten sank

kontinuierlich von 67% bei Studienein-

tritt auf 52% nach 3 Jahren, während die

mittlere Glukokortikoiddosis im glei-

chen Zeitraum um 4 mg abnahm (zuletzt

4,5±6,3 mg). Der Anteil Patienten mit täg-

licher NSAR-Einnahme fiel bereits inner-

halb des 1. Halbjahres von 50% auf rund

40% und blieb im weiteren Verlauf unver-

ändert.

DMARD-Kontinuität

Die Dauer unter DMARD-Therapie war

unabhängig von allen geprüften soziode-

mographischen Merkmalen. Demnach

hatten weder Alter, noch Geschlecht,

Schulbildung, Krankenversicherung oder

Erwerbstätigkeit einen Einfluss darauf,

ob und wie kontinuierlich DMARDs ge-

nommen wurden. Lediglich in der Kom-

bination von niedriger Krankheitsak-

tivität (DAS28 <3,2) und Schulbildung

Zusammenfassung · Abstract

Z Rheumatol 2007 · 66:121–128 DOI 10.1007/s00393-007-0153-9

© Springer Medizin Verlag 2007

G. Westhoff · A. Zink

Basistherapie bei früher rheumatoider Arthritis. Verzicht auf rheumatologische Mitbetreuung und Präferenz für Alternativmedizin erhöhen das Risiko einer Unterversorgung

Zusammenfassung

Erste Maßgabe bei der Behandlung von Pa-

tienten mit rheumatoider Arthritis (RA) ist

die früh begonnene und dauerhaft beibe-

haltene Therapie mit „disease modifying an-

tirheumatic drugs“ (DMARD). In einer Kohor-

te von 916 Patienten mit früher RA (ACR-Kri-

terien, Krankheitsdauer <2 Jahre) wurde un-

tersucht, welche Patienten nach 3 Jahren kei-

ne DMARD-Therapie hatten und wie Ärzte

oder Patienten dies begründeten. Alle Pati-

enten wurden zu Beginn der Beobachtung in

rheumatologischen Einrichtungen betreut.

Der Anteil Patienten mit DMARD-Therapie

fiel im Verlauf von 3 Jahren von 95 auf 87%.

Gründe für den Verzicht auf DMARDs (n=171)

waren: Kinderwunsch/Schwangerschaft

(5%), Kontraindikationen und/oder schwe-

re unerwünschte Ereignisse (28%), Remissi-

on (54%) und Non-Compliance (12%, Mehr-

fachnennungen). Unabhängige Prädiktoren

für DMARD-Abstinenz waren ausschließlich

hausärztliche Weiterbetreuung (OR 4,6; 95%-

KI 3,2–6,7), negativer Rheumafaktor

(OR 2,6; 95%-KI 1,8–3,8), keine Patienten-

schulung (OR 2,2; 95%-KI 1,5–3,4), Bevorzu-

gung der alternativen Medizin (OR 8,2; 95%-

KI 4,0–16,8) und ≥10-jährige Schulbildung

(OR 1,8; 95%-KI 1,3–2,7). Alter, Geschlecht,

Komorbidität oder Krankheitsaktivität hatten

keinen Einfluss. Angesichts des starken Ein-

flusses der Präferenz für die alternative Me-

dizin sollte untersucht werden, welche the-

rapiebezogenen Einstellungen die Präferenz

umfasst. Der positive Einfluss einer Patienten-

schulung unterstreicht deren Bedeutung.

Schlüsselwörter

Rheumatoide Arthritis · Frühfallkohorte ·

„Disease modifying antirheumatic drug“

(DMARD) · Rheumatologische Versorgung ·

Therapiekontinuität

Basic treatment of early rheumatoid arthritis. Abstaining from rheumatological care and preferring alternative medicine increase the risk of undertreatment

Abstract

The major challenge in the management of

rheumatoid arthritis (RA) is the early initia-

tion and long-term continuation of disease-

modifying antirheumatic drug (DMARD) ther-

apy. A total of 916 RA patients (ACR crite-

ria, disease duration <2 years) were investi-

gated in regard to frequency and reasons for

DMARD discontinuation. All patients were

under rheumatological care at the start of the

observation and almost all were receiving

DMARDs at study entry (95%). The propor-

tion decreased to 87% within 3 years. Of the

171 patients without DMARD, 5% abstained

due to (planned) pregnancy, 28% due to con-

traindications and/or severe adverse events

and 54% due to remission. Only 12% were

non-compliant. Multivariate regression anal-

ysis revealed non-specialised care (OR 4.6;

59% CI 3.2–6.7), RF seronegativity (OR 2.6;

95% CI 1.8–3.8), no patient education (OR 2.2;

CI 95% 1.5–3.4), preference for alternative

medicine (OR 8.2; 95% CI 4.0–16.8) and ≥10

years of education (OR 1.8; 95% CI 1.3–2.7)

as independent risks for DMARD abstention.

Age, sex, comorbidity or disease activity did

not influence adherence to DMARD therapy.

Since preference for alternative medicine was

the strongest risk predictor, further investiga-

tions are needed to determine the character-

istics of this preference regarding compliance

with DMARD medication in RA. The positive

influence of patient education on DMARD

continuation emphasizes its importance.

Keywords

Rheumatoid arthritis · Early RA inception

cohort · Disease modifying antirheumatic

drug · Rheumatological care · Continuation

of therapy

123Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2007 |

Page 4: Basistherapie bei früher rheumatoider Arthritis

zeigte sich, dass Patienten mit mindes-

tens 10 Schuljahren deutlich häufiger kein

DMARDs nahmen als Patienten mit we-

niger Schuljahren (27,0 vs. 19,0%).

Der einzige klinische Baselinepara-

meter, der auf Kontinuität der DMARD-

Therapie schließen ließ, war der RF.

RF-negative Patienten hatten deut-

lich seltener kontinuierlich DMARDs.

Krankheitsaktivität (DAS28), Hö-

he des CRP-Wertes, Gelenkzerstörung

(RS), Schmerzen, Dauer der Morgen-

steifigkeit, Funktionsfähigkeit (FFbH)

oder Zahl komorbider Krankheiten

standen in keinem Zusammenhang

mit der Therapiekontinuität. Dage-

gen bestand ein deutlicher Zusammen-

hang zwischen der ärztlichen Einschät-

zung der Krankheitsschwere (3 Strata)

und DMARD-Einnahme. Patienten, de-

ren RA bei Studieneintritt als „leicht“

eingeschätzt wurde, hatten deutlich häu-

figer die DMARD-Therapie unterbro-

chen oder abgesetzt als Patienten mit

als „schwer/sehr schwer“ eingeschätzter

RA.

Anders als die klinischen Parameter

hatten solche der Betreuung deutlichen

Einfluss auf die DMARD-Kontinuität.

Patienten, die nicht mehr oder nicht min-

destens halbjährlich zum Rheumatologen

gingen oder die nicht an einer Patienten-

schulung oder medizinischen Rehabili-

tation teilgenommen hatten, waren nach

3 Jahren deutlich häufiger DMARD-abs-

tinent.

> Die Betreuung der Patienten hat deutlichen Einfluss auf die DMARD-Kontinuität

Am deutlichsten war die Einstellung

der Patienten zur Schulmedizin bzw. al-

ternativen Medizin mit DMARD-Konti-

nuität assoziiert. Die kleine Gruppe Pa-

tienten mit Präferenz für die alternati-

ve Medizin hatte sehr viel seltener kon-

tinuierlich DMARDs erhalten als Pati-

enten mit Präferenz für die Schulmedizin

(. Tab. 2). Zwischen der Präferenz für

die eine oder andere medizinische Schule

und Krankheitsaktivität oder Krankheits-

schwere bestand kein Zusammenhang. Es

waren v. a. (eher jüngere) Frauen, die die

alternative Medizin favorisierten (6,4 vs.

1,8% der Männer). Die Präferenz stand je-

doch in keinem Zusammenhang damit,

ob die Patienten sich von Rheumatologen

oder ausschließlich hausärztlich betreuen

ließen (nicht gezeigt).

Gründe für Verzicht auf DMARD-Therapie

Bei knapp 60% der Patienten ohne

DMARD begründeten die Ärzte den

Verzicht mit Remission. Hausärzte nann-

ten diesen Grund bei 66% und Rheu-

matologen bei 51% ihrer Patienten oh-

ne DMARD. Das Remissionskriterium

DAS28 <2,6 traf auf 59% der von Haus-

ärzten und 67% der von Rheumatologen

als Remissionsfälle eingestufte Patienten

ohne DMARD zu.

Wegen Kontraindikationen erhiel-

ten 18 Patienten kein DMARD. Sie wa-

ren deutlich älter (65 vs. 56 Jahre) und

schwerer krank. Zwei hatten jüngst einen

Schlaganfall erlitten, 10 litten an malignen

Neoplasien, 3 an Lymphomen bzw. Leu-

kose, 4 an Diabetes mellitus Typ II, 8 an

Bluthochdruck, je 2 an chronischen Nie-

ren- oder Lebererkrankungen, und 3 hat-

ten schwere gastrointestinale Beschwer-

den (Mehrfachnennung). Alle hatten ei-

ne aktive RA und eher stärkere Erosionen

als der Durchschnitt der Studienteilneh-

mer. Schwere UAW wurden häufig zusätz-

lich genannt.

Vergleichbar hohe Krankheitsakti-

vität hatten die 33 Patienten, die wegen

schwerer UAW kein DMARD bekamen.

Diese Patienten waren häufiger Frauen (85

vs. 70%), etwas älter (59 vs. 56 Jahre) und

deutlich multimorbider (2,7 vs. 1,7 wei-

tere Krankheiten). Sie litten deutlich häu-

figer an Herzkrankheiten, Diabetes mel-

litus Typ II, chronischen Nierenschäden,

gastrointestinalen Beschwerden und Stö-

rungen an Haut oder Schleimhaut. Die

Patienten gaben ihrerseits deutlich häu-

figer Übelkeit, Appetitlosigkeit, Magen-

schmerzen, Gewichtsabnahme, Reizhus-

ten, Schwindel, Kopfschmerzen, Schlaf-

störungen und depressive Verstimmun-

gen an. Zwei Drittel von ihnen besuchten

weiterhin rheumatologische Einrich-

tungen.

Zehn Patientinnen nahmen wegen

Kinderwunsch, Schwangerschaft oder

Stillzeit kein DMARD. Bei zweien war

die RA asymptomatisch; die anderen hat-

ten vergleichbare subjektive Beschwerden

und Krankheitsaktivität wie der Durch-

schnitt der Studienteilnehmer.

Bei 34 (3,7%) Patienten wurde die

DMARD-Abstinenz u. a. mit Non-Com-

pliance erklärt. Diese Patienten waren

deutlich älter (62 vs. 56 Jahre), multimor-

bider (2,3 vs. 1,7) und hatten höhere Krank-

heitsaktivität als Patienten mit DMARD

(DAS28 5,2 vs. 4,8). Auch schätzten sie

Tab. 2 Dauer unter DMARD-Therapie nach demographischen und krankheitsbezo-

genen Merkmalen [%]. Abgebildet werden nur signifikant unterschiedliche Zusammen-

hänge

Halbjahresmesszeitpunkte mit DMARD

Nie 1–3 4–6 T0–T6 p

RF positiv [%]

RF negativ [%]

564

352

2,0

4,0

6,0

13,9

15,8

17,6

76,2

64,5

0,000

Arzt T0

„RA leicht“ [%]

„RA schwer/sehr schwer“ [%]

284

145

6,3

0

12,7

6,9

13,7

13,8

67,3

79,3

0,000

T5 beim Rheumatologen

Ja [%]

Nein [%]

654

261

2,0

4,6

4,6

19,9

13,1

24,9

80,3

50,6

0,000

RA-Patientenschulung und/oder Rehabilitation

Ja [%]

Nein [%]

346

570

0,6

4,0

5,5

11,2

15,6

17,0

78,3

67,7

0,000

Präferenz für...

Schulmedizin [%] 479 1,3 7,5 14,6 76,6 0,000

Beide Schulen [%] 391 2,6 9,7 17,6 70,1

Alternative Medizin [%] 46 19,6 19,6 26,1 34,8

Total [%] 916 2,7% 9,1 16,5 71,7

124 | Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2007

Leitthema

Page 5: Basistherapie bei früher rheumatoider Arthritis
Page 6: Basistherapie bei früher rheumatoider Arthritis

Schmerzen (NRS 5,1 vs. 3,8), Morgenstei-

figkeit (NRS 4,1 vs. 3,5), Funktionsfähig-

keit (FFbH 64 vs. 76) und Gesundheitszu-

stand (NRS 5,1 vs. 4,0) deutlich schlechter

ein. Diese Patienten waren bei Studienen-

de mit 38% doppelt so häufig seit mindes-

tens 1 Jahr nicht mehr beim Rheumatolo-

gen als Patienten, die nicht als non-com-

pliant klassifiziert wurden (16%).

Nach Berücksichtigung aller kli-

nischen Gründe für DMARD-Abstinenz

(Remission, Kontraindikation, schwere

UAW, Kinderwunsch/Schwangerschaft)

blieben nur 22 Patienten (2,4%), die trotz

aktiver RA (DAS28 >3,2) kein DMARD

nahmen. Sie hatten bereits bei Studien-

eintritt tendenziell höhere Krankheits-

aktivität als der Durchschnitt, und sie

verschlechterten sich im weiteren Ver-

lauf noch einmal. Sie unterschieden sich

weder nach Alter noch Geschlecht von

den anderen Patienten, wohl aber in ih-

rer Präferenz für die alternative Medizin

(26 vs. 5%).

Die . Tab. 3 zeigt anhand der

hierarchisch gelisteten DMARD-Absti-

nenzgründe RF-Serologie, Schmerzstär-

ke, Funktionsfähigkeit, Krankheitsakti-

vität und Röntgenprogression (RS) der

Patienten ohne DMARD gegenüber Pa-

tienten mit DMARD. Patienten ohne

DMARD waren unabhängig vom Absti-

nenzgrund deutlich seltener seropositiv.

Der Outcome-Vergleich zwischen den

Patienten, die ohne klinische Indikation

kein DMARD nahmen, und Patienten

mit DMARD unterstrich den Vorteil der

DMARD-Therapie (. Tab. 3).

Die Patienten begründeten die

DMARD-Abstinenz am häufigsten mit

Unverträglichkeit (32,8%), sehr guter Bes-

serung der Symptomatik (28%) und „Ab-

neigung gegen die Chemie“ (23,2%; bei

Mehrfachnennung). Dass die Therapie

nicht gewirkt habe, gaben nur 8,0% an.

Nur ein Fünftel der Patienten, die die Abs-

tinenz mit der Abneigung gegen die Che-

mie begründeten, gaben gleichzeitig Un-

verträglichkeit oder sehr gute Besserung

an. Zwischen Krankheitsaktivität oder

-schwere und Abneigung gegen die Chemie

bestand kein Zusammenhang, wohl aber

mit Präferenz für die alternative Medizin.

Patienten ohne DMARD mit einer Abnei-

gung gegenüber der Chemie favorisierten

zu 44,8% die alternative Medizin, wäh-

rend nur 9,4% der Patienten ohne diese

Abneigung sich so positionierten.

Adjustierte Risiken, nach 3 Jahren kein DMARD zu nehmen

Die multivariate logistische Regressions-

analyse bestätigte, dass Alter, Geschlecht,

Krankenversicherung, Komorbidität (kei-

ne vs. ≥4), Schmerz oder Krankheitsakti-

vität (DAS28, 3 Strata) bei Studieneintritt

oder bei Studienende keinen Einfluss dar-

auf hatten, ob nach 3 Jahren ein DMARD

genommen wurde. Auch zwischen Ge-

lenkzerstörung bei Studieneintritt (RS,

4 Strata), der Höhe der CRP-Werte bei

Studieneintritt oder -ende, der Arztein-

schätzung der Krankheitsschwere und

DMARD-Therapie bestand in der mul-

tivariaten Analyse kein Zusammenhang.

Die Krankheitsaktivität (DAS28, 3 Strata)

gewann auch dann keine Bedeutung,

wenn alle anderen Krankheitsschwere-

parameter aus der Analyse entfernt wur-

den. Lediglich Remission nach 3 Jahren

(DAS28 <2,6) war leicht mit DMARD-

Tab. 3 Gründe für den Verzicht auf DMARD-Therapie (Arztangabe), Konsultation beim Rheumatologen im letzten Halbjahr,

Rheumafaktor und Outcome nach 3 Jahren

Gründe Kein DMARD T6 Alle

Patienten

T6 beim

Rheumato-

logen

RF positiv Schmerzen

NRS

Funktion

FFbH

DAS28 Progression

RS

Hierarchisch n 171 [%] n 916 [%] [%] [%] μ±SD μ±SD μ±SD μ±SD

Kinderwunsch 10 5,84 1,09 60,0 50,0 3,40±3,3 87,5±13,7 3,21±1,4 10,8±9,8a

Kontraindikation

und/oder schwere

UAW

49 28,65 5,35 59,2 51,0 4,76±2,9 64,9±26,0 4,18±1,5 2,8±5,5

Remission 90 52,63 9,83 46,8 39,4 2,56±2,4 84,4±17,4 2,60±1,2 0,6±6,8

Non-Compliance 22 12,87 2,40 40,9 45,5 4,73±2,4 66,4±25,5 4,41±1,4 7,6±10,4

Total: Patienten

ohne DMARD T6

171 18,67 45,0 42,7 3,46±2,8 76,6±22,5 3,46±2,8 2,42±8,1

Total: Patienten mit

DMARD T6

745 81,33 84,1 66,3 3,91±2,4 75,6±20,7 3,70±1,5 2,71±6,7

aEs lagen nur von 6 Patientinnen T6-Röntgenaufnahmen vor.

Tab. 4 Adjustierte Odds Ratios, 3 Jahre nach Studieneintritt kein DMARD zu nehmen

(ORs und 95%-KI)

n Referenz n OR 95%-KI p

RF negativ 349 RF positiv 563 2,61 1,79–3,79 0,000

Hausarzt 261 Rheumatologe 651 4,61 3,16–6,71 0,000

Keine RA-Pati-

entenschulung

und/oder Reha-

bilitation

570 RA-Patienten-

schulung und/oder

Rehabilitation

345 2,24 1,48–3,39 0,000

Alternative

Medizin

46 Schulmedizin 476 8,21 4,03–16,75 0,000

Beide

Medizinschulen

390 Schulmedizin 476 1,43 0,97–2,11 0,068

≥10 Jahre Schule 402 <10 Jahre 479 1,83 1,26–2,67 0,002

126 | Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2007

Leitthema

Page 7: Basistherapie bei früher rheumatoider Arthritis

Abstinenz assoziiert (adjustierte OR 1,60;

95%-KI 1,08–2,37; p=0,020).

Kein DMARD zu nehmen war dem-

nach von der Art der Betreuung (Haus-

arzt/Rheumatologe), dem RF und den

Einstellungen der Patienten zu den medi-

zinischen Schulen abhängig. Seronegative

und ausschließlich hausärztlich betreute

Patienten hatten ein deutlich höheres Ri-

siko. Unabhängig davon erhöhten v. a. die

Präferenz für alternative Medizin sowie

mindestens mittlere Schulbildung das Ri-

siko, kein DMARD zu nehmen, während

die Teilnahme an einer Patientenschu-

lung und/oder medizinischen Rehabili-

tation das Risiko deutlich verkleinerten

(. Tab. 4).

Eine weitere logistische Regressionsa-

nalyse mit den 767 Patienten, von denen

T6-Röntgenaufnahmen vorlagen, bestä-

tigte, dass weder die Gelenkzerstörung

bei Studieneintritt noch die Röntgenpro-

gression einen Zusammenhang mit der

DMARD-Einnahme aufwiesen. Patienten

ohne Progression hatten nach Berücksich-

tigung aller anderen Variablen nicht häu-

figer eine DMARD-Therapie als Patienten

mit starker Progression.

Diskussion

Die Untersuchung zeigte, dass die Emp-

fehlung, RA-Kranke möglichst früh und

anhaltend mit DMARD zu behandeln,

in rheumatologischen Einrichtungen

umgesetzt wird. Annähernd alle Pati-

enten hatten zumindest zeitweise eine

DMARD-Therapie, und die meisten be-

hielten sie kontinuierlich bei. Drei Jah-

re nach Studieneintritt nahmen nur 19%

der Studienteilnehmer kein DMARD,

über die Hälfte von ihnen wegen Remis-

sion und ein Drittel wegen Kontraindi-

kationen, schweren UAW oder Kinder-

wunsch bzw. Stillzeit.

Bei nur 12% der Patienten ohne

DMARD bzw. gut 2% aller Patienten

dieser Kohorte erklärten die Ärzte die

DMARD-Abstinenz mit Non-Compli-

ance. Dabei handelte es sich häufiger um

Patienten, die sich nicht mehr vom Rheu-

matologen behandeln ließen. Es handelte

sich aber auch um Patienten, die deutlich

älter, multimorbider und funktionsbeein-

trächtigter waren. Es kann vermutet wer-

den, dass zumindest ein Teil dieser Pati-

enten wegen krankheitsbedingter Pro-

bleme – und nicht nur wegen mangeln-

der Einsicht in eine notwendige Therapie

– schwieriger zu behandeln war und mög-

licherweise auch deshalb keine optimale

Versorgung bekam.

E Als ein guter Indikator für

DMARD-Abstinenz erwies sich die

„Abneigung gegen die Chemie“ bzw.

die Bevorzugung der alternativen

Medizin gegenüber der Schulmedizin.

Zwar bekannten sich nur wenige Patienten

dazu, Anhänger der alternativen Medizin

zu sein, aber von diesen verschloss sich

mehr als die Hälfte einer DMARD-Thera-

pie. Damit wurde die Bevorzugung der al-

ternativen Medizin unabhängig von allen

hier berücksichtigten Personen-, Krank-

heits- oder Betreuungsmerkmalen zum

stärksten Prädiktor für DMARD-Absti-

nenz, der die Ärzte offensichtlich nicht

wirksam entgegentreten konnten.

Die förderliche Wirkung der Teilnah-

me an einer Patientenschulung bzw. ei-

ner medizinischen Rehabilitation auf die

Therapiekontinuität zeigte dagegen, dass

umfassende Informationen die Thera-

pie-Compliance verbessern können. Da-

bei dürfte das Eingehen auf die Befürch-

tungen der Patienten mindestens so wich-

tig sein wie die Vermittlung von Krank-

heitswissen. Neame und Hammond [5]

zeigten, dass sich RA-Kranke, die sich

nicht nach den Therapievorgaben richte-

ten, v. a. durch stärkere Befürchtungen vor

unerwünschten Arzneimittelwirkungen

von den therapietreuen Patienten unter-

schieden. Dagegen fanden sich keine Un-

terschiede im Umfang des Krankheitswis-

sens oder der Einsicht in die Notwendig-

keit der medikamentösen Therapie. Ver-

gleichbare Ergebnisse liegen auch aus Un-

tersuchungen anderer Krankheitspopula-

tionen vor [3, 4]. Der sehr starke Zusam-

menhang zwischen „Abneigung gegen

die Chemie“ und Präferenz für alternati-

ve Medizin könnte darauf hinweisen, dass

sich Patienten im Dilemma zwischen Nut-

zen und Risiken einer immunsuppres-

siven Therapie der alternativen Medizin

zuwenden, weil sie dort weniger Medika-

mentenrisiken ausgesetzt sind.

Unabhängig von der Präferenz für die

alternative Medizin erhöhte auch eine

mindestens 10-jährige Schulbildung das

Risiko für DMARD-Abstinenz. Die uni-

variate Analyse hatte allerdings gezeigt,

dass dies nur auf Patienten mit geringer

Krankheitsaktivität zutrifft. Demnach

leisten sich vorwiegend Patienten, de-

nen die Symptomatik einen Ermessens-

spielraum vergönnt, auf die Therapie zu

verzichten. Zu ihnen gehören auch häu-

figer die RF-negativen Patienten. Mögli-

cherweise sind Ärzte eher geneigt, bei oh-

nehin widerstrebenden Patienten auf die

Überzeugungsarbeit zu verzichten, wenn

diese sero negativ sind. Dass dies fatal sein

kann, zeigt sich an den schlechten Out-

comes der als non-compliant beschrie-

benen Patienten. Sie hatten neben den

Patientinnen, die wegen Kinderwunschs

oder Schwangerschaft kein DMARD nah-

men, die stärkste Röntgenprogression in

den 3 Jahren. Damit bestätigte sich – oh-

ne dass das bei dieser Untersuchung in-

tendiert gewesen wäre – der Vorteil einer

DMARD-Therapie.

Daneben ist auch der Verzicht auf

rheumatologische Mitbetreuung deutlich

mit DMARD-Abstinenz assoziiert. Über

die kausale Abfolge kann hier nur spe-

kuliert werden. Wir haben keine Belege

dafür, dass Hausärzte die Therapie ak-

tiv abgesetzt oder die Überweisung zum

Rheumatologen verweigert hätten. Wahr-

scheinlicher ist, dass sich Patienten mit

Abneigung gegen oder Befürchtungen vor

DMARDs ihrem Rheumatologen entzo-

gen haben oder dass schwer kranke Pati-

enten mit Kontraindikationen und/oder

schweren UAW auf den Rheumatologen-

besuch verzichteten, da sie die eigentliche

Therapie ohnehin nicht mehr nehmen

konnten. Dass Patienten in Remission ver-

mehrt keinen Rheumatologen mehr auf-

suchten, war dagegen in vielen Fällen in-

tendiert. Viele hatten die Empfehlung be-

kommen, erst bei Problemen wieder zum

Rheumatologen zu gehen. Somit wäre den

Hausärzten allenfalls vorzuhalten, dass sie

es einigen ihrer RA-Patienten möglicher-

weise leichter machen als die Rheumato-

logen, kein DMARD zu nehmen.

Fazit für die Praxis

Die weitaus meisten RA-Patienten, die

früh in rheumatologische Betreuung

kommen, bleiben während der ersten

127Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2007 |

Page 8: Basistherapie bei früher rheumatoider Arthritis

Jahre kontinuierlich unter DMARD-Thera-

pie. Die häufigsten Anlässe für DMARD-

Abstinenz sind Remission und Kontrain-

dikationen und/oder schwere UAW. Un-

abhängig von krankheitsbedingten Ab-

stinenzgründen führen auch persönliche

Einstellungen gegenüber der Schulmedi-

zin und/oder Sorgen wegen Therapieri-

siken bei wenigen Patienten zur DMARD-

Verweigerung. Da die Verweigerung mit

einem deutlich schlechteren Outcome

einhergeht, bedürfen diese Patienten be-

sonderer Beachtung. Die Würdigung ih-

rer Befürchtungen bzw. die Teilnahme an

einer Patientenschulung könnten förder-

lich auf die Therapie-Compliance wirken.

Korrespondierender AutorG. WesthoffForschungsbereich Rheumatologie, Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ)Charitéplatz 1, 10117 [email protected]

Danksagung. Wir danken allen kooperierenden

rheumatologischen Einrichtungen für die Dokumen-

tation der Patienten. Unser besonderer Dank gilt den

Einrichtungen, die jeweils mindestens 15 Patienten für

die Studie rekrutiert haben (genannt werden die je-

weiligen Leiter): S. Wassenberg, Ratingen; M. Hammer,

Sendenhorst; W. Demary und U. von Hinüber, Hildes-

heim; F. Hamann und A. Teich, Leipzig; K.L. Schmidt,

Bad Nauheim; E. Gromnica-Ihle, Berlin; G. Hein, Je-

na; R. Haux, Berlin; R. Dreher, Bad Kreuznach; D. Pick,

Grafschaft-Holzweiler; M. Stoyanova-Scholz, Duis-

burg; H. Menninger, Bad Abbach; H. Zeidler, Hannover;

H.E. Schröder, Dresden; M. Braun, Cuxhaven; J. Braun,

Herne; J. Lautenschläger, Bad Pyrmont; B. Lang, Baden-

Baden; A. Thiele, Wuppertal; W.L. Gross, Bad Bramstedt.

Interessenkonflikt. Es besteht kein Interessenkon-

flikt. Der korrespondierende Autor versichert, dass kei-

ne Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in

dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Kon-

kurrenzprodukt vertreibt, bestehen. Die Präsentation

des Themas ist unabhängig und die Darstellung der In-

halte produktneutral.

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128 | Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2007

Lernprozesse beeinflussen die SchmerzwahrnehmungNeuer Erklärungsansatz für chronische

Schmerzen

Lerneffekte sind ein wichtiger Faktor bei

der Entstehung von Schmerzkrankheiten.

Dass dies völlig unbewusst geschehen

kann, wurde jetzt erstmals von Mannheimer

Forschern nachgewiesen: Sie steigerten

die Schmerzempfindlichkeit von gesunden

Studienteilnehmern erheblich, ohne dass die

sich dessen bewusst wurden.

Den Studienteilnehmern wurden über

eine so genannte Thermode Hitzereize auf

die Hand gegeben, wobei die Probanden

selbst die Möglichkeit hatten die Intensität

zu regulieren. Ihre Aufgabe lautete, die ge-

fühlte Reizstärke konstant zu halten. In einer

Gruppe wurde eine Sensibilisierungsreaktion

durch eine anschließende weitere Tempera-

turabsenkung verstärkt, Gewöhnungsreak-

tionen hingegen durch eine anschließende

Temperaturerhöhung bestraft. In der zweiten

Gruppe verhielt es sich umgekehrt: hier

wurde Gewöhnung verstärkt und Sensibilisie-

rung bestraft.

In der Gruppe, in der Sensibilisierung

verstärkt wurde, vermehrten sich die Sensibi-

lisierungsreaktionen gegenüber Hitzereizen,

während in der anderen Gruppe mehr Ge-

wöhnungsreaktionen gefunden wurden.

In der Gruppe mit erlernter Sensibilisie-

rung wurde außerdem nachgewiesen, dass

bei objektiv abnehmenden Reizstärken die

subjektive Empfindungsstärke gleich blieb.

Die Studienteilnehmer waren sich dieser

im Verlauf des Experiments allmählich

zunehmenden erhöhten Schmerzempfind-

lichkeit nicht bewusst. Solche unbemerkten

Lernprozesse könnten bei der Entstehung

erhöhter Schmerzempfindlichkeit sowie bei

chronischen Schmerzleiden, wie dem Rü-

ckenschmerz, eine wichtige Rolle spielen.

Publikation:

Hölzl R, Kleinböhl D, Huse E (2005) Implicit

operant learning of pain sensitization. Pain

115/1–2: 12–20

Quelle:

Deutsche Gesellschaft zum Studium

des Schmerzes e.V. (DGSS)

http://www.dgss.org

Fachnachrichten