basistherapie bei früher rheumatoider arthritis
TRANSCRIPT
Gefördert durch den Bundesminister für Bildung und Forschung im Rahmen des Kompetenz-netzes Rheuma von 1999–2005 (Förderkennzei-chen 01 GI 0344).
Z Rheumatol 2007 · 66:121–128
DOI 10.1007/s00393-007-0153-9
Online publiziert: 2. März 2007
© Springer Medizin Verlag 2007
G. Westhoff · A. Zink
Forschungsbereich Rheumatologie, Deutsches Rheuma-
Forschungszentrum Berlin (DRFZ)
Basistherapie bei früher rheumatoider ArthritisVerzicht auf rheumatologische Mitbetreuung und Präferenz für Alternativmedizin erhöhen das Risiko einer Unterversorgung
Leitthema
Nach den Leitlinien deutscher wie interna-
tionaler rheumatologischer Gesellschaften
sollte jeder Patient mit aktiver rheumato-
ider Arthritis (RA) so früh wie möglich
und anhaltend mit Basistherapie („disease
modifying antirheumatic drug“, DMARD)
behandelt werden [10]. Die Wirksamkeit
von ca. 12 verbreitet angewandten Sub-
stanzen wurde in vielen Studien belegt,
und mit der Zulassung der Biologika er-
öffneten sich in den letzten Jahren zusätz-
liche Therapieoptionen für Patienten, bei
denen die bisherigen Substanzen nur un-
zureichend gewirkt haben [2, 12].
Trotz gut belegter Wirksamkeit der
DMARDs und erweiterter Therapie-
optionen gibt es aber selbst in rheumato-
logischen Versorgungseinrichtungen im-
mer auch Patienten mit aktiver RA, die
keine DMARDs nehmen. Über die basis-
therapeutische Behandlung von RA-Kran-
ken in allgemeinärztlicher Versorgung lie-
gen wegen fehlender Studien nur bedingt
Erkenntnisse vor [9]. Auch ist bisher erst
1-mal untersucht worden, wie RA-Kran-
ke, die nach initialer Behandlung beim
Rheumatologen zum Hausarzt wechsel-
ten, weiterbehandelt werden [11]. Wir ha-
ben deshalb in einer großen Kohorte von
Patienten mit früher RA untersucht, wie
viele und welche Patienten kein DMARD
nahmen, wie die Behandlung bei den Pa-
tienten fortgesetzt wurde, die nicht mehr
zum Rheumatologen gingen, und welche
Gründe Ärzte wie Patienten für den Ver-
zicht auf eine DMARD-Therapie anga-
ben.
Damit liegen Daten aus einer Zeit vor,
in der sich die Forderungen nach früher
und aggressiver Therapie bereits etabliert
hatten und Biologika gleichzeitig neue Be-
handlungsmöglichkeiten für bisher thera-
pierefraktäre Patienten boten. Die Unter-
suchung liefert somit einen Einblick in die
Versorgung von Patienten mit früher RA
in Zeiten vergleichsweise optimaler Ver-
sorgungsbedingungen.
Patienten und Methoden
In der Zeit von Januar 2000 bis Juni
2001 nahmen 54 rheumatologische Ein-
richtungen in Deutschland konseku-
tiv 1055 Patienten mit früher RA in eine
3-jährige Beobachtungsstudie auf, sofern
die Patienten die ACR-Kriterien [1] er-
füllten, mindestens 18 Jahre alt und nicht
länger als 24 Monate lang krank waren.
Nach einer klinischen Eingangsuntersu-
chung mit Standarddokumentation und
Röntgen von Händen und Vorfüßen wur-
den die Patienten halbjährlich per Frage-
bogen zum Krankheitsverlauf und zur ak-
tuellen Rheumatherapie befragt. Zur Hilfe-
stellung wurden die Handelsnamen der
gängigen Medikamente im Fragebogen
aufgelistet. Fehlende oder missverständli-
che Angaben wurden telefonisch nachge-
fragt und anhand der „Roten Liste“ nach
Substanzen kodiert.
Nach Ablauf von 3 Jahren erfolgte er-
neut eine klinische Untersuchung durch
den derzeit behandelnden Arzt. Die Ärzte
gaben globale Einschätzungen zum bis-
herigen Behandlungsverlauf ab und do-
kumentierten die Gründe für DMARD-
Abstinenz [Remission, Kontraindikation,
schwere unerwünschte Arzneimittelwir-
kungen (UAW), Kinderwunsch/Schwan-
gerschaft, Non-Compliance; jeweils
Ja/Nein]. Patienten, die aktuell kein
DMARD nahmen, gaben anhand von 5
standardisierten Statements an, weshalb
sie darauf verzichteten (Unverträglich-
keit, Unwirksamkeit, sehr gute Besserung,
Abneigung gegen die „Chemie“, Kinder-
wunsch/Schwangerschaft/Stillzeit).
Baseline und T6-Röntgenaufnahmen
von Händen und Vorfüßen wurden ent-
sprechend der Ratingen-Score-Methode
(RS) befundet [8]. Es lagen von allen Pati-
enten T0- und von 767 Patienten T6-Auf-
nahmen vor.
Erfasst wurden außerdem:
F Personenmerkmale: Geschlecht,
Alter, Schulbildung (≤9, ≥10 Jahre),
Erwerbstätigkeit (Ja, Nein), Kranken-
versicherung (gesetzlich/privat);
F Komorbidität: Arztangaben anhand
einer standardisierten Liste von 24
121Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2007 |
verbreiteten chronischen Krank-
heiten. Andere Krankheiten wurden
mitsummiert;
F Disease Activity Score, DAS28 T0 und
T6. Index aus Blutsenkungsgeschwin-
digkeit (BSG 1/h), Anzahl schmerz-
hafter und geschwollener Gelenke
(aus je 28) und Patientenurteil zum
Gesundheitszustand ([6]; <3,2 nied-
rige, 3,2–5,1 mittlere, >5,1 hohe Krank-
heitsaktivität);
F Einschätzung der Krankheitsschwere
(Arztangabe auf einer 5-stufigen
Likert-Skala: asymptomatisch, leicht,
mäßig, schwer, sehr schwer; T0 und
T6);
F Gesundheitszustand (Arzt- und Pati-
entenrating: numerische Ratingskala,
NRS 0–10);
F Funktionsfähigkeit (Selbstbeurtei-
lung: Funktionsfragebogen Hannover,
FFbH 0–100 [7]);
F Schmerzen (Selbstbeurteilung: NRS
0–10);
F subjektive Nebenwirkungen (Selbst-
beurteilung T1–T6: keine/leichte/
schwere). Ein halbes Jahr vor Stu-
dienende war auf einer Liste von
40 häufig vorkommenden uner-
wünschten Arzneimittelwirkungen
(UAW) anzukreuzen, welche UAW
in den vergangenen 6 Monaten auf-
getreten waren;
F Präferenz für Schulmedizin oder al-
ternative Medizin (Patientenrating:
3-stufige Skala: vorwiegend Schulme-
dizin, beide Schulen gleichermaßen,
vorwiegend alternative Medizin);
F jemals wegen RA an einer Patienten-
schulung bzw. medizinischen Rehabi-
litation teilgenommen (Patientenan-
gabe T6);
F Behandlung beim Rheumatologen
oder nicht spezialisierten Arzt: Patien-
tenangabe T1–T6, Arztangabe T0–T6.
Statistik
Nach der Anzahl von Halbjahresmesszeit-
punkten (MZP; einschließlich Baseline)
mit DMARD-Therapie wurden 4 Grup-
pen gebildet:
F 1: nie DMARD-Therapie,
F 2: 1–3 MZP,
F 3: 4–6 MZP und
F 4: 7 MZP bzw. immer DMARD.
Mittels deskriptiver Verfahren wurde be-
rechnet, welcher Zusammenhang zwi-
schen demographischen oder klinischen
Baselineparametern sowie der Art der Be-
treuung (hausärztlich oder rheumatolo-
gisch, Teilnahme an einer Patientenschu-
lung oder medizinischen Rehabilitation)
und Kontinuität der DMARD-Therapie
bestand. Die statistisch signifikanten Zu-
sammenhänge (χ2-Test) werden kreuzta-
bellarisch vorgestellt.
Mittels multivariater logistischer Re-
gressionsanalyse wurde schließlich be-
rechnet, welche der berücksichtigten Pa-
rameter voraussagen konnten, ob nach
3 Jahren noch eine DMARD-Therapie
bestand. Geprüft wurden die Einflüs-
se von Alter, Geschlecht, Schulbildung
(</≥10 Jahre), Krankenversicherung (ge-
setzlich/privat), Komorbidität (keine,
1–2, 3–4, ≥5), spezialisierte oder nicht spe-
zialisierte Betreuung, Teilnahme an einer
medizinischen Rehabilitation und/oder
Patientenschulung, Bevorzugung der ei-
nen oder anderen Medizinschulen, Rheu-
mafaktor (pos., neg.), Krankheitsaktivität
(DAS28 T0 oder T6, 3 Strata), Krankheits-
schwere (Arztrating T0, 3 Strata), Schmer-
zen T6 (NRS ≤2, 3–6, ≥7) und Gelenkzer-
störung T0 oder T6 (RS, 0, 1, 2–5, ≥6) bzw.
Progression.
Da die Ärzte bei vielen Patienten meh-
rere Gründe für die DMARD-Abstinenz
angaben, wurde aus den Mehrfachnen-
nungen eine hierarchische Variable gebil-
det, die jeweils nur das stärkste Argument
berücksichtigte:
1. Kinderwunsch/Schwangerschaft,
2. Kontraindikation und/oder schwere
UAW,
3. Remission,
4. Non-Compliance.
Wegen großer Überschneidungen von
Kontraindikation und UAW wurden die-
se beiden Gründe zusammengezogen.
Anhand einiger Outcome-Parame-
ter wird gezeigt, wie sich die Gruppen
ohne DMARD von den Patienten mit
DMARD unterschieden. Wegen des Be-
obachtungsdesigns der Studie wurde keine
Signifikanzprüfung der Unterschiede vor-
genommen.
Ergebnisse
Studienteilnehmer
Von den 1055 Patienten schlossen 916
(89,5%) die 3-jährige Beobachtung ab. 32
(3,0%) wurden nachträglich ausgeschlos-
sen, da sich die RA-Diagnose nicht bestä-
tigt hatte, 45 (4,4%) Patienten verstarb-
en während der 3 Jahre, 34 (3,3%) schie-
den wegen schwerer Krankheit aus, 5 we-
gen außergewöhnlicher Belastungen, 22
(2,2%) ohne nähere Angaben, und 9 re-
agierten nicht auf mehrfaches Anschrei-
ben. Die 115 RA-kranken Dropouts waren
mit 66 Jahren deutlich älter und kränker.
Die . Tab. 1 zeigt die Baselinedaten
der 916 Patienten mit vollständigem Fol-
low-up.
Tab. 1 Patienten der RA-Frühfallkohorte bei Studieneintritt
RA-Frühfall-Kohorte
Bei Studieneintritt n=916
Frauen [%] 645 70,4
Alter (Jahre, μ±SD)a 56,6±13
≤50 Jahre [%]
>70 Jahre [%]
267
164
28,1
17,9
Krankheitsdauer (Monate, μ±SD) 11,9±6,8
≥10 Jahre Schulbildung [%] 419 45,1
Zahl weiterer Krankheiten (μ±SD) 1,8±1,7
Keine (%)
≥3 [%]
269
254
29,4
27,7
Rheumafaktor positiv [%] 564 61,6%
Krankheitsaktivität (DAS28; μ±SD) 4,79±1,5
Erosive RA (RS; %) 598 65,3%aMittelwert und Standardabweichung
122 | Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2007
Leitthema
DMARD, nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und Glukokortikoide im Verlauf von 3 Jahren
Die erste DMARD-Therapie wurde
durchschnittlich 7,6±6,3 Monate nach
Symptombeginn verordnet (Median 5,8).
Bei Studieneintritt nahmen 95,2% der Pa-
tienten mindestens 1 DMARD. Der Anteil
fiel in den kommenden 3 Jahren stetig auf
zuletzt 81,3%. Knapp 72% der Patienten
nahmen – abgesehen von kurzen Unter-
brechungen – kontinuierlich DMARDs,
und gut 87% blieben mindestens 2 der
3 Jahre unter DMARD-Therapie. Die
meisten Therapieabbrüche erfolgten in
den ersten 1,5 Jahren nach Studienein-
tritt. Nur 25 (2,7%) Patienten hatten nie
ein DMARD.
Der Anteil Patienten mit DMARD-
Kombination stieg von 7,6% bei Studien-
eintritt auf 21,8% nach 3 Jahren, während
der Anteil mit Dreierkombinationen zu
jeder Zeit bei rund 3% lag. Insgesamt hat-
ten 39% der Patienten jemals eine Kombi-
nationstherapie erhalten, ein Drittel von
ihnen während der gesamten Beobach-
tungszeit. Der Anteil Patienten mit Biolo-
gika stieg von 1,6% 6 Monate nach Studi-
eneintritt auf 7,4% nach 3 Jahren; 74 (8,1%)
Patienten hatten jemals ein Biologikum.
Der Anteil der mit oralen Glukokor-
tikoiden behandelten Patienten sank
kontinuierlich von 67% bei Studienein-
tritt auf 52% nach 3 Jahren, während die
mittlere Glukokortikoiddosis im glei-
chen Zeitraum um 4 mg abnahm (zuletzt
4,5±6,3 mg). Der Anteil Patienten mit täg-
licher NSAR-Einnahme fiel bereits inner-
halb des 1. Halbjahres von 50% auf rund
40% und blieb im weiteren Verlauf unver-
ändert.
DMARD-Kontinuität
Die Dauer unter DMARD-Therapie war
unabhängig von allen geprüften soziode-
mographischen Merkmalen. Demnach
hatten weder Alter, noch Geschlecht,
Schulbildung, Krankenversicherung oder
Erwerbstätigkeit einen Einfluss darauf,
ob und wie kontinuierlich DMARDs ge-
nommen wurden. Lediglich in der Kom-
bination von niedriger Krankheitsak-
tivität (DAS28 <3,2) und Schulbildung
Zusammenfassung · Abstract
Z Rheumatol 2007 · 66:121–128 DOI 10.1007/s00393-007-0153-9
© Springer Medizin Verlag 2007
G. Westhoff · A. Zink
Basistherapie bei früher rheumatoider Arthritis. Verzicht auf rheumatologische Mitbetreuung und Präferenz für Alternativmedizin erhöhen das Risiko einer Unterversorgung
Zusammenfassung
Erste Maßgabe bei der Behandlung von Pa-
tienten mit rheumatoider Arthritis (RA) ist
die früh begonnene und dauerhaft beibe-
haltene Therapie mit „disease modifying an-
tirheumatic drugs“ (DMARD). In einer Kohor-
te von 916 Patienten mit früher RA (ACR-Kri-
terien, Krankheitsdauer <2 Jahre) wurde un-
tersucht, welche Patienten nach 3 Jahren kei-
ne DMARD-Therapie hatten und wie Ärzte
oder Patienten dies begründeten. Alle Pati-
enten wurden zu Beginn der Beobachtung in
rheumatologischen Einrichtungen betreut.
Der Anteil Patienten mit DMARD-Therapie
fiel im Verlauf von 3 Jahren von 95 auf 87%.
Gründe für den Verzicht auf DMARDs (n=171)
waren: Kinderwunsch/Schwangerschaft
(5%), Kontraindikationen und/oder schwe-
re unerwünschte Ereignisse (28%), Remissi-
on (54%) und Non-Compliance (12%, Mehr-
fachnennungen). Unabhängige Prädiktoren
für DMARD-Abstinenz waren ausschließlich
hausärztliche Weiterbetreuung (OR 4,6; 95%-
KI 3,2–6,7), negativer Rheumafaktor
(OR 2,6; 95%-KI 1,8–3,8), keine Patienten-
schulung (OR 2,2; 95%-KI 1,5–3,4), Bevorzu-
gung der alternativen Medizin (OR 8,2; 95%-
KI 4,0–16,8) und ≥10-jährige Schulbildung
(OR 1,8; 95%-KI 1,3–2,7). Alter, Geschlecht,
Komorbidität oder Krankheitsaktivität hatten
keinen Einfluss. Angesichts des starken Ein-
flusses der Präferenz für die alternative Me-
dizin sollte untersucht werden, welche the-
rapiebezogenen Einstellungen die Präferenz
umfasst. Der positive Einfluss einer Patienten-
schulung unterstreicht deren Bedeutung.
Schlüsselwörter
Rheumatoide Arthritis · Frühfallkohorte ·
„Disease modifying antirheumatic drug“
(DMARD) · Rheumatologische Versorgung ·
Therapiekontinuität
Basic treatment of early rheumatoid arthritis. Abstaining from rheumatological care and preferring alternative medicine increase the risk of undertreatment
Abstract
The major challenge in the management of
rheumatoid arthritis (RA) is the early initia-
tion and long-term continuation of disease-
modifying antirheumatic drug (DMARD) ther-
apy. A total of 916 RA patients (ACR crite-
ria, disease duration <2 years) were investi-
gated in regard to frequency and reasons for
DMARD discontinuation. All patients were
under rheumatological care at the start of the
observation and almost all were receiving
DMARDs at study entry (95%). The propor-
tion decreased to 87% within 3 years. Of the
171 patients without DMARD, 5% abstained
due to (planned) pregnancy, 28% due to con-
traindications and/or severe adverse events
and 54% due to remission. Only 12% were
non-compliant. Multivariate regression anal-
ysis revealed non-specialised care (OR 4.6;
59% CI 3.2–6.7), RF seronegativity (OR 2.6;
95% CI 1.8–3.8), no patient education (OR 2.2;
CI 95% 1.5–3.4), preference for alternative
medicine (OR 8.2; 95% CI 4.0–16.8) and ≥10
years of education (OR 1.8; 95% CI 1.3–2.7)
as independent risks for DMARD abstention.
Age, sex, comorbidity or disease activity did
not influence adherence to DMARD therapy.
Since preference for alternative medicine was
the strongest risk predictor, further investiga-
tions are needed to determine the character-
istics of this preference regarding compliance
with DMARD medication in RA. The positive
influence of patient education on DMARD
continuation emphasizes its importance.
Keywords
Rheumatoid arthritis · Early RA inception
cohort · Disease modifying antirheumatic
drug · Rheumatological care · Continuation
of therapy
123Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2007 |
zeigte sich, dass Patienten mit mindes-
tens 10 Schuljahren deutlich häufiger kein
DMARDs nahmen als Patienten mit we-
niger Schuljahren (27,0 vs. 19,0%).
Der einzige klinische Baselinepara-
meter, der auf Kontinuität der DMARD-
Therapie schließen ließ, war der RF.
RF-negative Patienten hatten deut-
lich seltener kontinuierlich DMARDs.
Krankheitsaktivität (DAS28), Hö-
he des CRP-Wertes, Gelenkzerstörung
(RS), Schmerzen, Dauer der Morgen-
steifigkeit, Funktionsfähigkeit (FFbH)
oder Zahl komorbider Krankheiten
standen in keinem Zusammenhang
mit der Therapiekontinuität. Dage-
gen bestand ein deutlicher Zusammen-
hang zwischen der ärztlichen Einschät-
zung der Krankheitsschwere (3 Strata)
und DMARD-Einnahme. Patienten, de-
ren RA bei Studieneintritt als „leicht“
eingeschätzt wurde, hatten deutlich häu-
figer die DMARD-Therapie unterbro-
chen oder abgesetzt als Patienten mit
als „schwer/sehr schwer“ eingeschätzter
RA.
Anders als die klinischen Parameter
hatten solche der Betreuung deutlichen
Einfluss auf die DMARD-Kontinuität.
Patienten, die nicht mehr oder nicht min-
destens halbjährlich zum Rheumatologen
gingen oder die nicht an einer Patienten-
schulung oder medizinischen Rehabili-
tation teilgenommen hatten, waren nach
3 Jahren deutlich häufiger DMARD-abs-
tinent.
> Die Betreuung der Patienten hat deutlichen Einfluss auf die DMARD-Kontinuität
Am deutlichsten war die Einstellung
der Patienten zur Schulmedizin bzw. al-
ternativen Medizin mit DMARD-Konti-
nuität assoziiert. Die kleine Gruppe Pa-
tienten mit Präferenz für die alternati-
ve Medizin hatte sehr viel seltener kon-
tinuierlich DMARDs erhalten als Pati-
enten mit Präferenz für die Schulmedizin
(. Tab. 2). Zwischen der Präferenz für
die eine oder andere medizinische Schule
und Krankheitsaktivität oder Krankheits-
schwere bestand kein Zusammenhang. Es
waren v. a. (eher jüngere) Frauen, die die
alternative Medizin favorisierten (6,4 vs.
1,8% der Männer). Die Präferenz stand je-
doch in keinem Zusammenhang damit,
ob die Patienten sich von Rheumatologen
oder ausschließlich hausärztlich betreuen
ließen (nicht gezeigt).
Gründe für Verzicht auf DMARD-Therapie
Bei knapp 60% der Patienten ohne
DMARD begründeten die Ärzte den
Verzicht mit Remission. Hausärzte nann-
ten diesen Grund bei 66% und Rheu-
matologen bei 51% ihrer Patienten oh-
ne DMARD. Das Remissionskriterium
DAS28 <2,6 traf auf 59% der von Haus-
ärzten und 67% der von Rheumatologen
als Remissionsfälle eingestufte Patienten
ohne DMARD zu.
Wegen Kontraindikationen erhiel-
ten 18 Patienten kein DMARD. Sie wa-
ren deutlich älter (65 vs. 56 Jahre) und
schwerer krank. Zwei hatten jüngst einen
Schlaganfall erlitten, 10 litten an malignen
Neoplasien, 3 an Lymphomen bzw. Leu-
kose, 4 an Diabetes mellitus Typ II, 8 an
Bluthochdruck, je 2 an chronischen Nie-
ren- oder Lebererkrankungen, und 3 hat-
ten schwere gastrointestinale Beschwer-
den (Mehrfachnennung). Alle hatten ei-
ne aktive RA und eher stärkere Erosionen
als der Durchschnitt der Studienteilneh-
mer. Schwere UAW wurden häufig zusätz-
lich genannt.
Vergleichbar hohe Krankheitsakti-
vität hatten die 33 Patienten, die wegen
schwerer UAW kein DMARD bekamen.
Diese Patienten waren häufiger Frauen (85
vs. 70%), etwas älter (59 vs. 56 Jahre) und
deutlich multimorbider (2,7 vs. 1,7 wei-
tere Krankheiten). Sie litten deutlich häu-
figer an Herzkrankheiten, Diabetes mel-
litus Typ II, chronischen Nierenschäden,
gastrointestinalen Beschwerden und Stö-
rungen an Haut oder Schleimhaut. Die
Patienten gaben ihrerseits deutlich häu-
figer Übelkeit, Appetitlosigkeit, Magen-
schmerzen, Gewichtsabnahme, Reizhus-
ten, Schwindel, Kopfschmerzen, Schlaf-
störungen und depressive Verstimmun-
gen an. Zwei Drittel von ihnen besuchten
weiterhin rheumatologische Einrich-
tungen.
Zehn Patientinnen nahmen wegen
Kinderwunsch, Schwangerschaft oder
Stillzeit kein DMARD. Bei zweien war
die RA asymptomatisch; die anderen hat-
ten vergleichbare subjektive Beschwerden
und Krankheitsaktivität wie der Durch-
schnitt der Studienteilnehmer.
Bei 34 (3,7%) Patienten wurde die
DMARD-Abstinenz u. a. mit Non-Com-
pliance erklärt. Diese Patienten waren
deutlich älter (62 vs. 56 Jahre), multimor-
bider (2,3 vs. 1,7) und hatten höhere Krank-
heitsaktivität als Patienten mit DMARD
(DAS28 5,2 vs. 4,8). Auch schätzten sie
Tab. 2 Dauer unter DMARD-Therapie nach demographischen und krankheitsbezo-
genen Merkmalen [%]. Abgebildet werden nur signifikant unterschiedliche Zusammen-
hänge
Halbjahresmesszeitpunkte mit DMARD
Nie 1–3 4–6 T0–T6 p
RF positiv [%]
RF negativ [%]
564
352
2,0
4,0
6,0
13,9
15,8
17,6
76,2
64,5
0,000
Arzt T0
„RA leicht“ [%]
„RA schwer/sehr schwer“ [%]
284
145
6,3
0
12,7
6,9
13,7
13,8
67,3
79,3
0,000
T5 beim Rheumatologen
Ja [%]
Nein [%]
654
261
2,0
4,6
4,6
19,9
13,1
24,9
80,3
50,6
0,000
RA-Patientenschulung und/oder Rehabilitation
Ja [%]
Nein [%]
346
570
0,6
4,0
5,5
11,2
15,6
17,0
78,3
67,7
0,000
Präferenz für...
Schulmedizin [%] 479 1,3 7,5 14,6 76,6 0,000
Beide Schulen [%] 391 2,6 9,7 17,6 70,1
Alternative Medizin [%] 46 19,6 19,6 26,1 34,8
Total [%] 916 2,7% 9,1 16,5 71,7
124 | Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2007
Leitthema
Schmerzen (NRS 5,1 vs. 3,8), Morgenstei-
figkeit (NRS 4,1 vs. 3,5), Funktionsfähig-
keit (FFbH 64 vs. 76) und Gesundheitszu-
stand (NRS 5,1 vs. 4,0) deutlich schlechter
ein. Diese Patienten waren bei Studienen-
de mit 38% doppelt so häufig seit mindes-
tens 1 Jahr nicht mehr beim Rheumatolo-
gen als Patienten, die nicht als non-com-
pliant klassifiziert wurden (16%).
Nach Berücksichtigung aller kli-
nischen Gründe für DMARD-Abstinenz
(Remission, Kontraindikation, schwere
UAW, Kinderwunsch/Schwangerschaft)
blieben nur 22 Patienten (2,4%), die trotz
aktiver RA (DAS28 >3,2) kein DMARD
nahmen. Sie hatten bereits bei Studien-
eintritt tendenziell höhere Krankheits-
aktivität als der Durchschnitt, und sie
verschlechterten sich im weiteren Ver-
lauf noch einmal. Sie unterschieden sich
weder nach Alter noch Geschlecht von
den anderen Patienten, wohl aber in ih-
rer Präferenz für die alternative Medizin
(26 vs. 5%).
Die . Tab. 3 zeigt anhand der
hierarchisch gelisteten DMARD-Absti-
nenzgründe RF-Serologie, Schmerzstär-
ke, Funktionsfähigkeit, Krankheitsakti-
vität und Röntgenprogression (RS) der
Patienten ohne DMARD gegenüber Pa-
tienten mit DMARD. Patienten ohne
DMARD waren unabhängig vom Absti-
nenzgrund deutlich seltener seropositiv.
Der Outcome-Vergleich zwischen den
Patienten, die ohne klinische Indikation
kein DMARD nahmen, und Patienten
mit DMARD unterstrich den Vorteil der
DMARD-Therapie (. Tab. 3).
Die Patienten begründeten die
DMARD-Abstinenz am häufigsten mit
Unverträglichkeit (32,8%), sehr guter Bes-
serung der Symptomatik (28%) und „Ab-
neigung gegen die Chemie“ (23,2%; bei
Mehrfachnennung). Dass die Therapie
nicht gewirkt habe, gaben nur 8,0% an.
Nur ein Fünftel der Patienten, die die Abs-
tinenz mit der Abneigung gegen die Che-
mie begründeten, gaben gleichzeitig Un-
verträglichkeit oder sehr gute Besserung
an. Zwischen Krankheitsaktivität oder
-schwere und Abneigung gegen die Chemie
bestand kein Zusammenhang, wohl aber
mit Präferenz für die alternative Medizin.
Patienten ohne DMARD mit einer Abnei-
gung gegenüber der Chemie favorisierten
zu 44,8% die alternative Medizin, wäh-
rend nur 9,4% der Patienten ohne diese
Abneigung sich so positionierten.
Adjustierte Risiken, nach 3 Jahren kein DMARD zu nehmen
Die multivariate logistische Regressions-
analyse bestätigte, dass Alter, Geschlecht,
Krankenversicherung, Komorbidität (kei-
ne vs. ≥4), Schmerz oder Krankheitsakti-
vität (DAS28, 3 Strata) bei Studieneintritt
oder bei Studienende keinen Einfluss dar-
auf hatten, ob nach 3 Jahren ein DMARD
genommen wurde. Auch zwischen Ge-
lenkzerstörung bei Studieneintritt (RS,
4 Strata), der Höhe der CRP-Werte bei
Studieneintritt oder -ende, der Arztein-
schätzung der Krankheitsschwere und
DMARD-Therapie bestand in der mul-
tivariaten Analyse kein Zusammenhang.
Die Krankheitsaktivität (DAS28, 3 Strata)
gewann auch dann keine Bedeutung,
wenn alle anderen Krankheitsschwere-
parameter aus der Analyse entfernt wur-
den. Lediglich Remission nach 3 Jahren
(DAS28 <2,6) war leicht mit DMARD-
Tab. 3 Gründe für den Verzicht auf DMARD-Therapie (Arztangabe), Konsultation beim Rheumatologen im letzten Halbjahr,
Rheumafaktor und Outcome nach 3 Jahren
Gründe Kein DMARD T6 Alle
Patienten
T6 beim
Rheumato-
logen
RF positiv Schmerzen
NRS
Funktion
FFbH
DAS28 Progression
RS
Hierarchisch n 171 [%] n 916 [%] [%] [%] μ±SD μ±SD μ±SD μ±SD
Kinderwunsch 10 5,84 1,09 60,0 50,0 3,40±3,3 87,5±13,7 3,21±1,4 10,8±9,8a
Kontraindikation
und/oder schwere
UAW
49 28,65 5,35 59,2 51,0 4,76±2,9 64,9±26,0 4,18±1,5 2,8±5,5
Remission 90 52,63 9,83 46,8 39,4 2,56±2,4 84,4±17,4 2,60±1,2 0,6±6,8
Non-Compliance 22 12,87 2,40 40,9 45,5 4,73±2,4 66,4±25,5 4,41±1,4 7,6±10,4
Total: Patienten
ohne DMARD T6
171 18,67 45,0 42,7 3,46±2,8 76,6±22,5 3,46±2,8 2,42±8,1
Total: Patienten mit
DMARD T6
745 81,33 84,1 66,3 3,91±2,4 75,6±20,7 3,70±1,5 2,71±6,7
aEs lagen nur von 6 Patientinnen T6-Röntgenaufnahmen vor.
Tab. 4 Adjustierte Odds Ratios, 3 Jahre nach Studieneintritt kein DMARD zu nehmen
(ORs und 95%-KI)
n Referenz n OR 95%-KI p
RF negativ 349 RF positiv 563 2,61 1,79–3,79 0,000
Hausarzt 261 Rheumatologe 651 4,61 3,16–6,71 0,000
Keine RA-Pati-
entenschulung
und/oder Reha-
bilitation
570 RA-Patienten-
schulung und/oder
Rehabilitation
345 2,24 1,48–3,39 0,000
Alternative
Medizin
46 Schulmedizin 476 8,21 4,03–16,75 0,000
Beide
Medizinschulen
390 Schulmedizin 476 1,43 0,97–2,11 0,068
≥10 Jahre Schule 402 <10 Jahre 479 1,83 1,26–2,67 0,002
126 | Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2007
Leitthema
Abstinenz assoziiert (adjustierte OR 1,60;
95%-KI 1,08–2,37; p=0,020).
Kein DMARD zu nehmen war dem-
nach von der Art der Betreuung (Haus-
arzt/Rheumatologe), dem RF und den
Einstellungen der Patienten zu den medi-
zinischen Schulen abhängig. Seronegative
und ausschließlich hausärztlich betreute
Patienten hatten ein deutlich höheres Ri-
siko. Unabhängig davon erhöhten v. a. die
Präferenz für alternative Medizin sowie
mindestens mittlere Schulbildung das Ri-
siko, kein DMARD zu nehmen, während
die Teilnahme an einer Patientenschu-
lung und/oder medizinischen Rehabili-
tation das Risiko deutlich verkleinerten
(. Tab. 4).
Eine weitere logistische Regressionsa-
nalyse mit den 767 Patienten, von denen
T6-Röntgenaufnahmen vorlagen, bestä-
tigte, dass weder die Gelenkzerstörung
bei Studieneintritt noch die Röntgenpro-
gression einen Zusammenhang mit der
DMARD-Einnahme aufwiesen. Patienten
ohne Progression hatten nach Berücksich-
tigung aller anderen Variablen nicht häu-
figer eine DMARD-Therapie als Patienten
mit starker Progression.
Diskussion
Die Untersuchung zeigte, dass die Emp-
fehlung, RA-Kranke möglichst früh und
anhaltend mit DMARD zu behandeln,
in rheumatologischen Einrichtungen
umgesetzt wird. Annähernd alle Pati-
enten hatten zumindest zeitweise eine
DMARD-Therapie, und die meisten be-
hielten sie kontinuierlich bei. Drei Jah-
re nach Studieneintritt nahmen nur 19%
der Studienteilnehmer kein DMARD,
über die Hälfte von ihnen wegen Remis-
sion und ein Drittel wegen Kontraindi-
kationen, schweren UAW oder Kinder-
wunsch bzw. Stillzeit.
Bei nur 12% der Patienten ohne
DMARD bzw. gut 2% aller Patienten
dieser Kohorte erklärten die Ärzte die
DMARD-Abstinenz mit Non-Compli-
ance. Dabei handelte es sich häufiger um
Patienten, die sich nicht mehr vom Rheu-
matologen behandeln ließen. Es handelte
sich aber auch um Patienten, die deutlich
älter, multimorbider und funktionsbeein-
trächtigter waren. Es kann vermutet wer-
den, dass zumindest ein Teil dieser Pati-
enten wegen krankheitsbedingter Pro-
bleme – und nicht nur wegen mangeln-
der Einsicht in eine notwendige Therapie
– schwieriger zu behandeln war und mög-
licherweise auch deshalb keine optimale
Versorgung bekam.
E Als ein guter Indikator für
DMARD-Abstinenz erwies sich die
„Abneigung gegen die Chemie“ bzw.
die Bevorzugung der alternativen
Medizin gegenüber der Schulmedizin.
Zwar bekannten sich nur wenige Patienten
dazu, Anhänger der alternativen Medizin
zu sein, aber von diesen verschloss sich
mehr als die Hälfte einer DMARD-Thera-
pie. Damit wurde die Bevorzugung der al-
ternativen Medizin unabhängig von allen
hier berücksichtigten Personen-, Krank-
heits- oder Betreuungsmerkmalen zum
stärksten Prädiktor für DMARD-Absti-
nenz, der die Ärzte offensichtlich nicht
wirksam entgegentreten konnten.
Die förderliche Wirkung der Teilnah-
me an einer Patientenschulung bzw. ei-
ner medizinischen Rehabilitation auf die
Therapiekontinuität zeigte dagegen, dass
umfassende Informationen die Thera-
pie-Compliance verbessern können. Da-
bei dürfte das Eingehen auf die Befürch-
tungen der Patienten mindestens so wich-
tig sein wie die Vermittlung von Krank-
heitswissen. Neame und Hammond [5]
zeigten, dass sich RA-Kranke, die sich
nicht nach den Therapievorgaben richte-
ten, v. a. durch stärkere Befürchtungen vor
unerwünschten Arzneimittelwirkungen
von den therapietreuen Patienten unter-
schieden. Dagegen fanden sich keine Un-
terschiede im Umfang des Krankheitswis-
sens oder der Einsicht in die Notwendig-
keit der medikamentösen Therapie. Ver-
gleichbare Ergebnisse liegen auch aus Un-
tersuchungen anderer Krankheitspopula-
tionen vor [3, 4]. Der sehr starke Zusam-
menhang zwischen „Abneigung gegen
die Chemie“ und Präferenz für alternati-
ve Medizin könnte darauf hinweisen, dass
sich Patienten im Dilemma zwischen Nut-
zen und Risiken einer immunsuppres-
siven Therapie der alternativen Medizin
zuwenden, weil sie dort weniger Medika-
mentenrisiken ausgesetzt sind.
Unabhängig von der Präferenz für die
alternative Medizin erhöhte auch eine
mindestens 10-jährige Schulbildung das
Risiko für DMARD-Abstinenz. Die uni-
variate Analyse hatte allerdings gezeigt,
dass dies nur auf Patienten mit geringer
Krankheitsaktivität zutrifft. Demnach
leisten sich vorwiegend Patienten, de-
nen die Symptomatik einen Ermessens-
spielraum vergönnt, auf die Therapie zu
verzichten. Zu ihnen gehören auch häu-
figer die RF-negativen Patienten. Mögli-
cherweise sind Ärzte eher geneigt, bei oh-
nehin widerstrebenden Patienten auf die
Überzeugungsarbeit zu verzichten, wenn
diese sero negativ sind. Dass dies fatal sein
kann, zeigt sich an den schlechten Out-
comes der als non-compliant beschrie-
benen Patienten. Sie hatten neben den
Patientinnen, die wegen Kinderwunschs
oder Schwangerschaft kein DMARD nah-
men, die stärkste Röntgenprogression in
den 3 Jahren. Damit bestätigte sich – oh-
ne dass das bei dieser Untersuchung in-
tendiert gewesen wäre – der Vorteil einer
DMARD-Therapie.
Daneben ist auch der Verzicht auf
rheumatologische Mitbetreuung deutlich
mit DMARD-Abstinenz assoziiert. Über
die kausale Abfolge kann hier nur spe-
kuliert werden. Wir haben keine Belege
dafür, dass Hausärzte die Therapie ak-
tiv abgesetzt oder die Überweisung zum
Rheumatologen verweigert hätten. Wahr-
scheinlicher ist, dass sich Patienten mit
Abneigung gegen oder Befürchtungen vor
DMARDs ihrem Rheumatologen entzo-
gen haben oder dass schwer kranke Pati-
enten mit Kontraindikationen und/oder
schweren UAW auf den Rheumatologen-
besuch verzichteten, da sie die eigentliche
Therapie ohnehin nicht mehr nehmen
konnten. Dass Patienten in Remission ver-
mehrt keinen Rheumatologen mehr auf-
suchten, war dagegen in vielen Fällen in-
tendiert. Viele hatten die Empfehlung be-
kommen, erst bei Problemen wieder zum
Rheumatologen zu gehen. Somit wäre den
Hausärzten allenfalls vorzuhalten, dass sie
es einigen ihrer RA-Patienten möglicher-
weise leichter machen als die Rheumato-
logen, kein DMARD zu nehmen.
Fazit für die Praxis
Die weitaus meisten RA-Patienten, die
früh in rheumatologische Betreuung
kommen, bleiben während der ersten
127Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2007 |
Jahre kontinuierlich unter DMARD-Thera-
pie. Die häufigsten Anlässe für DMARD-
Abstinenz sind Remission und Kontrain-
dikationen und/oder schwere UAW. Un-
abhängig von krankheitsbedingten Ab-
stinenzgründen führen auch persönliche
Einstellungen gegenüber der Schulmedi-
zin und/oder Sorgen wegen Therapieri-
siken bei wenigen Patienten zur DMARD-
Verweigerung. Da die Verweigerung mit
einem deutlich schlechteren Outcome
einhergeht, bedürfen diese Patienten be-
sonderer Beachtung. Die Würdigung ih-
rer Befürchtungen bzw. die Teilnahme an
einer Patientenschulung könnten förder-
lich auf die Therapie-Compliance wirken.
Korrespondierender AutorG. WesthoffForschungsbereich Rheumatologie, Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ)Charitéplatz 1, 10117 [email protected]
Danksagung. Wir danken allen kooperierenden
rheumatologischen Einrichtungen für die Dokumen-
tation der Patienten. Unser besonderer Dank gilt den
Einrichtungen, die jeweils mindestens 15 Patienten für
die Studie rekrutiert haben (genannt werden die je-
weiligen Leiter): S. Wassenberg, Ratingen; M. Hammer,
Sendenhorst; W. Demary und U. von Hinüber, Hildes-
heim; F. Hamann und A. Teich, Leipzig; K.L. Schmidt,
Bad Nauheim; E. Gromnica-Ihle, Berlin; G. Hein, Je-
na; R. Haux, Berlin; R. Dreher, Bad Kreuznach; D. Pick,
Grafschaft-Holzweiler; M. Stoyanova-Scholz, Duis-
burg; H. Menninger, Bad Abbach; H. Zeidler, Hannover;
H.E. Schröder, Dresden; M. Braun, Cuxhaven; J. Braun,
Herne; J. Lautenschläger, Bad Pyrmont; B. Lang, Baden-
Baden; A. Thiele, Wuppertal; W.L. Gross, Bad Bramstedt.
Interessenkonflikt. Es besteht kein Interessenkon-
flikt. Der korrespondierende Autor versichert, dass kei-
ne Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in
dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Kon-
kurrenzprodukt vertreibt, bestehen. Die Präsentation
des Themas ist unabhängig und die Darstellung der In-
halte produktneutral.
Literatur
1. Arnett FC, Edworthy SM, Bloch DA et al. (1988) The
American Rheumatism Association 1987 revised
criteria for the classification of rheumatoid arthri-
tis. Arthritis Rheum 31: 315–324
2. Chernajovsky Y (2005) Gene therapy for arthritis–
where do we stand? Arthritis Res Ther 7: 227–229
3. Horne R (2006) Compliance, adherence, and con-
cordance: implications for asthma treatment.
Chest 130: 65S–72S
4. Horne R, Weinman J (1999) Patients‘ beliefs about
prescribed medicines and their role in adherence
to treatment in chronic physical illness. J Psycho-
som Res 47: 555–567
5. Neame R, Hammond A (2005) Beliefs about me-
dications: a questionnaire survey of people with
rheumatoid arthritis. Rheumatology (Oxford) 44:
762–767
6. Prevoo ML, Hof MA ‚t, Kuper HH et al. (1995) Mo-
dified disease activity scores that include twenty-
eight-joint counts. Development and validation in
a prospective longitudinal study of patients with
rheumatoid arthritis. Arthritis Rheum 38: 44–48
7. Raspe HH, Hagedorn U, Kohlmann T, Mattussek S
(1990) Der Funktionsfragebogen Hannover (FFbH):
Ein Instrument zur Funktionsdiagnostik bei polyar-
tikulären gelenkerkrankungen. In: Siegrist J (Hrsg)
Wohnortnahe Betreuung Rheumakranker. Ergeb-
nisse sozialwissenschaftlicher Evaluation eines
Modellversuchs. Schattauer, Stuttgart, S 164–182
8. Rau R, Wassenberg S, Herborn G et al. (1998) A
new method of scoring radiographic change in
rheumatoid arthritis. J Rheumatol 25: 2094–2107
9. Ruof J, Hulsemann JL, Mittendorf T et al. (2004)
Comparison of estimated medical costs among
patients who are defined as having rheumatoid ar-
thritis using three different standards. Eur J Health
Econ 5: 64–69
10. Schneider M, Lelgemann M, Abholz HH et al.
(Hrsg) (2005) Interdisziplinäre Leitlinie Manage-
ment der frühen rheumatoiden Arthritis. DGRh-
Leitlinie. Steinkopff, Darmstadt
11. Strangfeld A (Hrsg) (2002) Ambulante Versorgung
von Patienten mit rheumatoider Arthritis. Ver-
gleich von Krankheitsverläufen unter rheumatolo-
gischer und hausärztlicher Betreuung. Humboldt
Universität (Medizinische Dissertation)
12. Zwerina J, Redlich K, Schett G, Smolen JS (2005)
Pathogenesis of rheumatoid arthritis: targeting cy-
tokines. Ann N Y Acad Sci 1051: 716–729
128 | Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2007
Lernprozesse beeinflussen die SchmerzwahrnehmungNeuer Erklärungsansatz für chronische
Schmerzen
Lerneffekte sind ein wichtiger Faktor bei
der Entstehung von Schmerzkrankheiten.
Dass dies völlig unbewusst geschehen
kann, wurde jetzt erstmals von Mannheimer
Forschern nachgewiesen: Sie steigerten
die Schmerzempfindlichkeit von gesunden
Studienteilnehmern erheblich, ohne dass die
sich dessen bewusst wurden.
Den Studienteilnehmern wurden über
eine so genannte Thermode Hitzereize auf
die Hand gegeben, wobei die Probanden
selbst die Möglichkeit hatten die Intensität
zu regulieren. Ihre Aufgabe lautete, die ge-
fühlte Reizstärke konstant zu halten. In einer
Gruppe wurde eine Sensibilisierungsreaktion
durch eine anschließende weitere Tempera-
turabsenkung verstärkt, Gewöhnungsreak-
tionen hingegen durch eine anschließende
Temperaturerhöhung bestraft. In der zweiten
Gruppe verhielt es sich umgekehrt: hier
wurde Gewöhnung verstärkt und Sensibilisie-
rung bestraft.
In der Gruppe, in der Sensibilisierung
verstärkt wurde, vermehrten sich die Sensibi-
lisierungsreaktionen gegenüber Hitzereizen,
während in der anderen Gruppe mehr Ge-
wöhnungsreaktionen gefunden wurden.
In der Gruppe mit erlernter Sensibilisie-
rung wurde außerdem nachgewiesen, dass
bei objektiv abnehmenden Reizstärken die
subjektive Empfindungsstärke gleich blieb.
Die Studienteilnehmer waren sich dieser
im Verlauf des Experiments allmählich
zunehmenden erhöhten Schmerzempfind-
lichkeit nicht bewusst. Solche unbemerkten
Lernprozesse könnten bei der Entstehung
erhöhter Schmerzempfindlichkeit sowie bei
chronischen Schmerzleiden, wie dem Rü-
ckenschmerz, eine wichtige Rolle spielen.
Publikation:
Hölzl R, Kleinböhl D, Huse E (2005) Implicit
operant learning of pain sensitization. Pain
115/1–2: 12–20
Quelle:
Deutsche Gesellschaft zum Studium
des Schmerzes e.V. (DGSS)
http://www.dgss.org
Fachnachrichten