bar · in das lernortekonzept der bundesagentur für arbeit 1.2 anliegen und anlage des...
TRANSCRIPT
Ausbildung behinderter in Betrieb und I::Jeru,••
Chancen,Erlahrung~
BAR
Schlussfolgerung aus dem Modellprojekt ltREGionale NEtzwerke zur beruflichen Rehabilitation
(lern-)behinderter Jugendlicher (REGINE)"
Beiträge und Ergebnisse einer Fachtagung am 21. April 2004 im Kleisthaus zu Berlin
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft fOr Rehabilitation (BAR) Walter-Kolb-Straße 9-11 60594 Frankfurt am Main Telefon: (069) 60 50 18-0 Telefax: (069) 60 50 18-28 E-Mail: [email protected] Internet: www.bar-frankfurt.de
Frankfurt am Main 2004
ISBN 3-9807410-4-4 ·
Ausbildung behinderter Jugendlicher in Betrieb und Berufsschule
Chancen, Erfahrungen, Grenzen
Schlussfolgerungen aus dem Modellprojekt der
Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation "REGionale NEtzwerke
zur beruflichen Rehabilitation (lern-)behinderter Jugendlicher (REGINE)"
Beiträge und Ergebnisse einer BAR-Fachtagung
am 21. April 2004 im Kleisthaus zu Berlin
Bearbeitung:
Dr. Hendrik Faßmann
Renate Steger
Institut für empirische Soziologie
an der Friedrich-Aiexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Aus den Grußworten lngo Nürnberger, Kar/ Hermann Haack, Wolfgang Rombach
"REGionale NEtzwerke zur beruflichen Rehabilitation (lern-) behinderter Jugendlicher (REGINE)" - Überblick über Anliegen, Anlage und Ergebnisse eines Modellprojekts der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation Dr. Hendrik Fassmann, Renale Steger
1 Einführung
1. 1 Der Lernort "Betriebliche Ausbildung und reha-spezifische Förderung durch einen Bildungsträger" und ihre Einordnung in das Lernortekonzept der Bundesagentur für Arbeit
1.2 Anliegen und Anlage des BAR-Modellprojekts REGINE
1.3 Produkte der Begleitforschung
2 Ergebnisse des Modellprojekts
2.1 Grundgesamtheit und Datenbasis
2.2 Die Zielgruppe des Modellprojekts
2.3 Förderstrukturen und Leistungsmerkmale des neuen Lernorts im Rahmen des Modellprojekts
2.4 Beurteilung der reha-spezifischen Förderung durch Auszubildende und Ausbildungsbetriebe
2.5 Ergebnisse der betrieblichen Berufsausbildung mit rehaspezifischer Förderung im Überblick
2.6 Ergebnisse der betrieblichen Berufsausbildung mit rehaspezifischer Förderung nach ausgewählten Merkmalen
2.7 Umsetzung von regionaler und überregionaler Vernetzung
3
5
7
13
13
16
17
18
18
18
19
22
22
26
29
2.8 Möglichkeiten und Grenzen der Regelbeschulung in der Praxis 31
2.9 Kosten der Teilhabeleistung 31
3 Fazit und Handlungsempfehlungen 33
Ergebnisse der Plenumsdiskussion Berichterstattung: Renale Steger, Dr. Hendrik Fassmann 35
-~------ ----
4
Arbeitsgruppe 1: Auswahl der Teilnehmer(innen) Moderation: Ro/f-Jürgen Maier-Lenz
Impulsreferat Margit Armoneit, Hartmut Querengässer
Diskussionsergebnisse Berichterstattung: Jochen Steinhagen
Arbeitsgruppe 2: Ausbildungsplatzakquisition und Unterstützung von Ausbildungsbetrieben Moderation: Eva U/lrich
Impulsreferat Gerd Specht
Diskussionsergebnisse Berichterstattung: Dr. Hendrik Faßmann
Arbeitsgruppe 3: Verbesserung der Unterstützung wohnortnaher Ausbildungskonzepte durch Berufsschulen Moderation: Erich Lenk
Impulsreferat Brigitte Kumbier-Jordan
Diskussionsergebnisse Berichterstattung: Birgit Lechner
Abschließende Plenumsdiskussion Berichterstattung: Renate Steger, Dr. Hendrik Fassmann
Liste der Fachtagungsteilnehmer(innen)
39
39
44
47
47
51
55
55
59
63
65
5
Vorwort
1998 gab die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) den Anstoß zum Modellprojekt REGINE: Erprobt werden sollte die Möglichkeit, behinderte Jugendliche unter "normalen" Bedingungen, d.h. in Betrieb und (Regei-)Berufsschule, auszubilden, und sie dabei reha-spezifisch durch einen Bildungsträger zu fördern. Während eines Zeitraums von fünf Jahren wurden in enger Kooperation von Rehabilitationsfachkräften, Reha-Berater(innen) und einem Begleitforschungsteam Erfahrungen mit dieser neuartigen Pflichtleistung der Bundesagentur für Arbeit zur Teilhabe am Arbeitsleben gesammelt und ausgewertet.
Die Ergebnisse der Begleitforschung zu diesem Projekt, das bundesweit an neun Standorten durchgeführt wurde und sich primär auf lernbehinderte Jugendliche konzentrierte, wurden im Dezember 2003 vom Institut für empirische Soziologie an der Friedrich-A/exander-Universität Erlangen-Nümberg vorgelegt. Sie ermutigen dazu, die Möglichkeiten einer betrieblichen Rehabilitation bei der Erstausbildung noch stärker als bisher zu nutzen. Allerdings stehen dem in der Praxis immer noch Hindernisse entgegen, die nur zu überwinden sind, wenn alle Beteiligten - Rehabilitationsträger, Betriebe, Berufsschulen und Bildungsträger- konstruktiv zusammenarbeiten.
Vor diesem Hintergrund veranstaltete die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation am 21. April 2004 unter der Schirmherrschaft des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Herrn Kar/ Hermann Haack, die Fachtagung "Ausbildung behinderter Jugendlicher in Betrieb und Berufsschule - Chancen, Erfahrungen, Grenzen" im Kleisthaus zu Berlin. Ziel dieser Veranstaltung war es,
- über das Konzept der Teilhabeleistung "Betriebliche Ausbildung und rehaspezifische Förderung durch einen Bildungsträger'' sowie
- die Anlage des BAR-Modellprojekts REGINE und seine Ergebnisse zu informieren,
- Schlussfolgerungen aus den gesammelten Erfahrungen zu den Chancen, aber auch den Grenzen einer "normalen" Ausbildung behinderter Jugendlicher zu ziehen und
- gemeinsam nach Wegen zu suchen, die Rahmenbedingungen der betrieb-lichen Erstausbildung behinderter junger Menschen weiter zu verbessern.
Die Fachtagung wurde gestaltet von am BAR-Modellprojekt REGINE beteiligten Akteur(inn)en und moderiert von Mitgliedern des Begleitforschungsteams. Knapp 100 Fachleute von Rehabilitationsträgern, Schulbehörden, Arbeitgeberschaft, Arbeitnehmervertretungen, Selbsthilfeverbänden, lntegrationsämtern, Sozialpolitik und Wissenschaft beteiligten sich an dieser Veranstaltung und trugen durch zahlreiche engagierte Beiträge zu einem erfolgreichen Verlauf bei.
---- --------------------------- - -----------
6
Mit der vorliegenden Broschüre möchte die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation die Arbeitsergebnisse und Diskussionsbeiträge dieser Fachtagung einem breiteren lnteressent(innen)kreis zugänglich machen.
Die Geschäftsführung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation dankt allen Beteiligten, die durch ihr Engagement zu einem guten Gelingen der Veranstaltung und zum Entstehen dieser Schrift beigetragen haben!
Aus den Grußworten
lngo Nürnberger
Vorstandsvorsitzender der
7
Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation
Es geht heute darum, Schlussfolgerungen aus dem BAR-Modellprojekt "REGIonale NEtzwerke zur beruflichen Rehabilitation behinderter Jugendlicher REGINE" zu ziehen.
Auf einer Tagung hier in Berlin vor einigen Wochen, die von der Bundesagentur für Arbeit ausgerichtet worden ist, hat Herr Alt, Mitglied des Vorstandes der Bundesagentur, in seiner Grundsatzrede darauf hingewiesen, dass die Bundesagentur für Arbeit künftig mehr betriebliche Ausbildung im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durchführen bzw. fördern will.
Das zeigt, dass die BAR hier offensichtlich einen guten Riecher gehabt hat. Denn sie hat bereits 1998 ein Modellkonzept erarbeitet, das zum Ziel hat, wohnortnahe Ausbildungsangebote für behinderte Jugendliche im dualen Ausbildungssystem zu vernetzen und zu erproben. Zielgruppe hierbei waren insbesondere lernbehinderte Jugendliche, die wegen Art oder Schwere der Behinderung besonderer Hilfen zur beruflichen Eingliederung bedurften, die über die so genannten ausbildungsbegleitenden Hilfen hinausgehen, die aber nicht auf ununterbrochene dichte und intensive Betreuung einer über- bzw. außerbetrieblichen Rehabilitation angewiesen sind. Es ging darum, die vorhandenen Leistungsmöglichkeiten wohnortnaher Einrichtungen zu nutzen und sie mit dem Ziel der sozialen und beruflichen Integration der Jugendlichen in einem Netzwerk zusammenzuführen. Diese koordinierenden und unterstützenden Funktionen konnten von Berufsbildungswerken, sog. sonstigen Rehabilitationseinrichtungen und freien Bildungsträgern wahrgenommen werden.
Es steht außer Zweifel, dass es Jugendliche mit Behinderungsbildern gibt, die für ihre erfolgreiche berufliche Ersteingliederung auf eine sehr intensive Unterstützung und Betreuung angewiesen sind und es kann deswegen auch nicht in Zweifel gezogen werden, dass für diesen Personenkreis die Berufsbildungswerke mit ihren komplexen, umfangreichen begleitenden Diensten, den eigenen Berufsschulen, den Internaten, der Freizeitbetreuung oftmals die einzigen geeigneten Lernorte darstellen. Aber das schließt unseres Erachtens nicht aus, dass es unter den lernbehinderten Jugendlichen eine größere Anzahl gibt, die im dualen System ausgebildet werden können, wenn hierzu ausreichende ausbildungsbegleitende Dienste und pädagogische Hilfestellungen vorgehalten werden.
Die Nutzung solcher wohnortnaher Angebote setzt voraus, dass die Betriebe und die Verwaltung bereit und in der Lage sind, behinderte Jugendliche auszubilden. Diese Bereitschaft ist in den vergangenen Jahren zurückgegangen, und zwar in einer Situation bei gleichzeitig steigenden Schulentlass-Zahlen. Für das Zögern der Arbeitgeber sind sicherlich die schlechten wirtschaftlichen Rah-
------~~---~~-
8 /ngo Nürnberger, Kar/ Hermann Haack, Wolfgang Rombach
menbedingungen mit verantwortlich zu machen. Auch und gerade unter diesen Bedingungen müssen wir unter allen Umständen versuchen, Betriebe auf ihre Verantwortung zur Ausbildung hinzuweisen. Gleichzeitig muss und kann der Staat auch die Unternehmen dabei unterstützen, betriebliche Ausbildungsplätze bereitzustellen, eben gerade für behinderte junge Menschen. Diese Unterstützung sollte auch offensiv angeboten werden. Von großer Bedeutung ist dabei auch, dass die Länder eine angemessene Förderung behinderter Jugendlicher im Berufsschulbereich sicherstellen. Denn ein wesentliches Anliegen des BAR-Modellprojekts war es, die Ausbildung "so normal wie möglich und so speziell wie erforderlich" durchzuführen.
Das bedeutet, dass die praktische Ausbildung im Betrieb und die theoretische in Berufsschulen erfolgen sollten. Erfahrungen aus vergleichbaren Projekten zeigen, dass sich dabei das Zusammenspiel aus überregionaler oder überbetrieblicher Beratung auf der einen Seite und die regionale Integration, d.h. die regionale Unterstützung und Moderation vor Ort - z.B. in der Zusammenarbeit mit den Betrieben - auf der anderen Seite, bewährt hat. Eine weitere These unseres BAR-Konzepts war, dass Jugendliche, denen die Möglichkeit gegeben wurde, im Rahmen der betrieblichen Ausbildung ihr Können und ihre Belastbarkeit unter Beweis zu stellen, eine besonders gute Chance auf eine spätere Übernahme durch den Ausbildungsbetrieb haben. Sie werden im Lauf dieser Tagung noch die Gelegenheit haben, diese These zu überprüfen und zu diskutieren.
Ich möchte allen Beteiligten an diesem Modellprojekt meinen herzlichen Dank aussprechen. Mein persönlicher Eindruck ist, dass dieses BAR-Projekt sehr erfolgreich war. Ich bin gespannt, ob Sie ein gleiches Urteil fällen.
Kar/ Hermann Haack
Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der behinderten Menschen
Wir befassen uns heute mit den Ergebnissen eines Modellprojektes regionaler Netzwerke, das sich mit der Möglichkeit der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in der beruflichen Ausbildung befasst. Dieses Projekt hatte einen königlichen Namen: REGINE.
Ich will auf die inhaltlichen Dinge nicht eingehen, sondern stattdessen drei Dinge sagen: Diese Fachtagung steht heute im Kontext einer bundesweit geführten Auseinandersetzung über die Zukunft der beruflichen Bildung. Sie wissen, wir gehen von der Fraktion in das Geschäftsverfahren des Deutschen Bundestages das Ausbildungsp/atz-Sicherungsgesetz. Ich persönlich halte das für zu kurz gesprungen. Ich bin der Auffassung, man müsste das zum Anlass nehmen für eine grundsätzlich neue Debatte über den Stellenwert der beruflichen Bildung. Ich gehöre einer Generation an, die Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre zur Zeit der sozialliberalen Koalition das damalige ErdmannGutachten gestützt haben, welches von der Gleichwertigkeit der formalen,
---··--
Aus den Grußworten 9
theoretischen Bildung mit der beruflichen Bildung ausging. Ich habe mich damals als Kommunalpolitiker im Kreistag bei Debatten wie "Man muss Sport 'rausnehmen!", "Man mus~ allgemeine politische Bildung 'rausnehmen!", "Man muss Religionsunterricht uhd diese Dinge aus dem Kanon der theoretischen Fächer der beruflichen Bildung ·rausnehmen!" entschieden dafür eingesetzt, dass diese Inhalte Bestandteil der beruflichen Bildung bleiben. Ich halte immer noch fest an der Notwendigkeit der Verknüpfung von beruflicher und theoretischer Bildung. Sonst, wenn man das abkoppelt, wie das heute leichtfertig gefordert wird, ist das der Untergang der Facharbeiter-Qualifikation der Bundesrepublik Deutschland und damit auch standortschädigend. Ich will damit den Stellenwert der heutigen Veranstaltung unterstreichen.
Ich will ein zweites sagen. Im Zuge der Neuordnung des Rehabilitationsrechtes SGB IX, Gleichstellungsgesetz, ist des Öfteren mal die Qualifikation und die Sinnhaftigkeit der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation in Frage gestellt worden. Hier stellt die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation unter Beweis, dass sie zu innovativen Schritten in der Berufsbildungspolitik, in der Politik für Menschen mit Behinderungen durchaus fähig ist. Ich möchte Herrn Steinke und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BAR ein herzliches Dankeschön dafür sagen, dass sie gewissermaßen der "Leitstier'', wenn ich das so ausdrücken darf, dieses Projektes sind. Wenn es gilt, die Ergebnisse umzusetzen, dann sind meine Hörner auch mit dabei. Das will ich damit unterstreichen.
Das dritte, was ich ihnen sagen möchte, ist, dass wir zur Zeit dabei sind mit dem Arbeitsstab, vertreten durch Herrn Dr. Berringer, einen Workshop mit dem Haus des Handwerks vorzubereiten. Wir möchten das Projekt, 50.000 behinderte Menschen wieder in den Beruf einzugliedern, verbinden mit einer Qualifikationsoffensive "Berufliche Bildung für Menschen mit Behinderungen". Und Grundlage dieser Aktion ist genau dieses Projekt, das wir hier heute diskutieren. Ich habe die ersten Gespräche schon geführt in meiner Region, Ostwestfalen-Lippe, wo wir das RegioNet OWL haben. Es handelt sich dabei um ein regionales Netzwerk, welches die berufliche mit theoretischer Bildung, mit Betrieben, mit Mittelstandsorganisationen verknüpft. Ich freue mich, dort bereits über positive Ergebnisse aus dem Projekt REGINE berichten zu können.
Diese Ergebnisse werden auch einfließen in die Debatte um das Ausbildungsplatz-Förderungsgesetz. Wir sind mit einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten dabei, das Ganze auszuweiten, um in einem Beschluss des Deutschen Bundestags zu einer Neuordnung des Berufsschulwesens, des Ausbildungswesens in der Bundesrepublik generell zu kommen. Wenn man die Ergebnisse von PISA betrachtet, wenn man Gespräche rekapituliert, die man mit Betrieben geführt hat, dann liegen auch große Defizite an der Schnittstelle von schulischer Bildung, beruflich-schulischer Bildung und den tatsächlichen Kenntnissen und Fähigkeiten von Menschen, die in eine berufliche Qualifikation eintreten. Wir wollen versuchen mit einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten das etwas mehr in den Vordergrund zu rücken gegenüber dem Aspekt einer gegenseitigen Quotendiskussion.
10 /ngo NOrnberger, Kar/ Hermann Haack, Wolfgang Rombach
Wolfgang Rombach
Leiter der Unterabteilung Prävention, Rehabilitation und Behindertenpolitik
im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ich werde mein Grußwort hauptsächlich dazu nutzen, die Rahmenbedingungen vorzustellen, die durch die Novelle des SGB IX geschaffen wurden, das jetzt endlich auch den Bundesrat passiert hat.
Lernbehinderte Jugendliche außerhalb der Berufsbildungswerke in einem sog. Normalberuf auszubilden und zu erreichen, dass sie in diesem Beruf auch erfolgreich am Arbeitsleben teilnehmen, war und ist noch immer Neuland. Dieses Neuland wird beschritten, und wie das REGINE-Projekt belegt, zeigen sich erste Erfolge. Von 71 Jugendlichen des Modelljahrgangs 1999 hat über die Hälfte, immerhin 39 Jugendliche, ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Das ist umso erfreulicher, als bei einer großen Zahl behinderter Jugendlicher das Selbstwertgefühl nach einer schwierigen Schulzeit schon am Boden liegt. Wenn dann noch eine frustrierende Suche nach einem betrieblichen Ausbildungsplatz hinzu kommt, bei der sie feststellen, dass niemand sie will und keiner sie braucht, besteht nicht nur die Gefahr, sich ausgegrenzt zu fühlen, sondern die einer tatsächlichen Ausgrenzung aus dem Arbeitsleben. Daher freut mich dieser Erfolg besonders.
Andererseits dürfen wir die Erfolge des Projekts nicht überbewerten. Herr Nürnberger erwähnte schon, dass auch die Berufsbildungswerke einen wichtigen Stellenwert weiterhin haben werden. Wir sollten uns hüten in dieser Maßnahme ein Allheilmittel zu sehen. Natürlich wird es auch in Zukunft nicht wenige behinderte junge Menschen geben, für die nur eine Berufsausbildung im besonders fördernden und zugleich beschützenden Umfeld einer Rehabilitationseinrichtung in Frage kommt, und zwar in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse. Es müssen also alle Umstände gesehen werden, um für und mit dem Jugendlichen die richtige Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben zu finden.
ln den vergangenen Jahren wurden mit Erfolg von allen Beteiligten große Anstrengungen unternommen, um die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen zu senken. Hintergründe des Erfolges sind einerseits die progressive Gesetzgebung seit 1998, die die entsprechenden Instrumente zur Verfügung stellte, andererseits aber auch der Wille und das Zusammenwirken aller Beteiligten. Mit dem von mir schon angesprochenen Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen, dem der Bundesrat jetzt am 02. April zugestimmt hat, setzt die Bundesregierung den Weg fort, den sie eingeschlagen hat mit dem Schwerbehinderten-Förderungsgesetz und vor allem mit dem SGB IX.
Zu den Rahmenbedingungen, die ab dem 01. Mai 2004 gelten bzw. ab 01. Januar 2005, soweit es die Aufgaben der Integrationsämter betrifft: Das Gesetz verpflichtet Arbeitgeber, die über betriebliche Ausbildungsplätze verfügen und bereits nach heutigem Recht einen angemessenen Anteil dieser Ausbildungs-
------ . ----- - . ----- ---------·-- -- -----
Aus den Grußworten 11
plätze mit schwerbehinderten Jugendlichen zu besetzen haben, künftig dazu, mit dem Betriebsrat oder der Personalvertretung und der Schwerbehindertenvertretung über die Fragen der Besetzung von Ausbildungsplätzen mit schwerbehinderten Menschen zu beraten. Also eine Beratungspflicht, die die Gremien, die Vertretungen der Beteiligten, der Beschäftigten einfordern können. So sollen in den sog. Integrationsvereinbarungen insbesondere auch Regelungen zu diesem Themenkomplex, also zur Politik des Unternehmens für die Berufsausbildung behinderter Jugendlicher, abgeschlossen werden.
Arbeitgeber können ab 2005 über die Leistungsmöglichkeiten der Förderinstrumente der Agenturen für Arbeit und der Rehabilitationsträger hinaus bei der Berufsausbildung behinderter Jugendlicher Prämien sowie Zuschüsse zu den Kosten der Berufsausbildung erhalten. Auch können Arbeitgeber, die zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht verpflichtet sind, z.B. weil sie weniger als 20 Personen beschäftigen, besondere Zuschüsse und Gebühren bekommen, die bei der Berufsausbildung entstehen. Hierzu zählen die Gebühren im Zusammenhang mit Prüfungen bei Kammern und Innungen. Die Integrationsfachdienste sollen z.B. die Bundesagentur für Arbeit bei der Berufsberatung und der Berufsorientierung in den Schulen unterstützen und schwerbehinderte Jugendliche bei der betrieblichen Berufsausbildung begleiten. Schwerbehinderte Auszubildende werden generell auf zwei Pflichtarbeitsplätze des Betriebes angerechnet. Sie können, wenn die Vermittlung in eine Berufsausbildungsstelle wegen der Art oder Schwere ihrer Behinderung auf besondere Schwierigkeiten stößt, auf drei Pflichtarbeitsplätze angerechnet werden, und somit bestehen mittelbare Anreize durch Einsparung von Aufwendungen für den Arbeitgeber. Bei Übernahme in ein Beschäftigungsverhältnis im Anschluss an die Berufsausbildung gilt die Mehrfachanrechnung zunächst fort.
Betriebliche und überbetriebliche Berufsausbildung werden in der Weise miteinander verzahnt, dass schwerbehinderte Jugendliche, die in einem Berufsbildungswerk oder einer anderen überbetrieblichen Bildungseinrichtung ausgebildet werden, Abschnitte dieser Berufsausbildung künftig in Betrieben erhalten sollen. Hier setzen wir auf den sog. Klebeeffekt, der ja auch von den Personalservice-Agenturen bekannt ist, der Zeitarbeit. Denn ein Arbeitgeber, der einen behinderten jungen Menschen und seine Leistungsfähigkeit kennen lernt, ist weit eher bereit, ihn auch auf Dauer in sein Unternehmen zu integrieren.
Nichts fördert das Selbstgefühl behinderter junger Menschen mehr als die Gewissheit, trotz behinderungsbedingter Einschränkungen und Belastungen eine Ausbildung an den gleichen Lernorten und zu den gleichen Bedingungen wie ihre nicht behinderten Altersgenoss(inn)en absolvieren zu können. Und diese Lernorte sind nun einmal der Betrieb und die Berufsschule. Nur dort ist eine Begegnung "auf gleicher Augenhöhe" denkbar. Das Projekt REGINE zeigt, dass dies möglich ist. ln diesem Sinne sollten wir weitermachen.
---- - -- ----
13
"REGionale NEtzwerke zur beruflichen Rehabilitation (lern-)behinderter Jugendlicher (REGINE)"
Überblick über Anliegen, Anlage und Ergebnisse eines Modellprojekts
der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation Dr. Hendrik Faßmann, Renate Steger
Institut für empirische Soziologie an der Friedrich-Aiexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Gliederung
1 Einführung 1.1 Der Lernort "Betriebliche Ausbildung und rehe-spezifische Förderung
durch einen Bildungsträger" und ihre Einordnung in das Lernortekonzept der Bundesagentur für Arbeit
1.2 Anliegen und Anlage des BAR-Modellprojekts RE GI NE 1.3 Produkte der Begleitforschung
2 Ergebnisse des Modellprojekts 2.1 Grundgesamtheit und Datenbasis 2.2 Die Zielgruppe des Modellprojekts 2.3 Förderstrukturen und Leistungsmerkmale des neuen Lernorts
im Rahmen des Modellprojekts 2.4 Beurteilung der reha-spezifischen Förderung durch Auszubildende
und Ausbildungsbetriebe 2.5 Ergebnisse der betrieblichen Berufsausbildung mit rehe-spezifischer
Förderung im Überblick 2.6 Ergebnisse der betrieblichen Berufsausbildung mit reha-spezifischer
Förderung nach ausgewählten Merkmalen 2.7 Umsetzung von regionaler und überregionalerVernetzung 2.8 Möglichkeiten und Grenzen der Rageibeschulung in der Praxis 2.9 Kosten der Teilhabeleistung
3 Fazit und Handlungsempfehlungen
1 Einführung
1. 1 Der Lernort "Betriebliche Ausbildung und reha-spezifische Förderung durch einen Bildungsträger" und ihre Einordnung in das Lernortekonzept der Bundesagentur für Arbeit
Nach dem bundesdeutschen Arbeitsförderungsrecht richten sich Art und Umfang berufsfördernder Maßnahmen für Behinderte nach dem individuellen Förderbedarf. Demnach ist jeweils die für den Einzelfall am besten geeignete Leistung oder Kombination von Leistungen zu wählen, wobei
14 Hendrik Faßmann, Renate Steger
- das Erfordernis der Maßnahmen wegen Art und Schwere der Behinderung,
der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit,
die Erfolgsaussichten der Eingliederung und
die vorrangig ortsnahe Leistungserbringung
zu berücksichtigen sind. Vor diesem Hintergrund entwickelte die Bundesagentur für Arbeit das in Abbildung 1 dargestellte gestufte Lernortekonzept Dabei sollen nach Möglichkeit wohnortnahe Ausbildungsangebote genutzt werden, wenn zu erwarten ist, dass hier die im Einzelfall erforderliche Betreuung sichergestellt ist. Jugendliche, die wegen Art und Schwere der Behinderung besonderer Hilfe bedürfen, die über die Angebote des Benachteiligtenprogramms hinausgehen, wurden in der Vergangenheit im Allgemeinen vorwiegend in überbetrieblichen Einrichtungen gefördert.
Förderung a!s a!lgemeirw Leistung ' Fi;!rdE~ruog als bf!sqodere Leistung Vorrang der Kannleistung (§ 100f SGB 111) Pf!icl,tleistung (§ 102f SGB 111) _ _;{f_(i_r s,_e_h_in_<le_rt_e_u_nd_Ni_ch_!b_e_,ll_in_<l_ert_a;_) _J {wefl'"' Art. oder Schwa~ d~~ i:lehlntl<mlllg unerliJjilJich
Betriebliche ' Ausbildung §25BBiG
··--
Abbildung 1
Betriebliche Ausbildung
mitabH § 25 BBiG (§48 BBiGI §42b HwO
_Ausnahme)
BOE (Berufs
ausbildung in außer~
betrieblichen Einrichtungen)
§ 25 BBiG (§48 BBiGI §42bHwO Ausnahme)
Betriebliche Aus~iictUnfl mit <elu;:
spezifischer Förderung durch
Sildur.gsiräger §258BiG §4S8BIGI §42b H'i>'O
RFGJNE Zielgruppe:
SRE BßW (Sonstige · (B<i\rufs-Reha-Ei.h· bild\ings-richt!lr.ger!} . wBrke} . § 25 ßBiG § 25 ßBiG § 48 BßiGI § 48 aa;Gf
=·~=~ .. ~.~j ~§-42_b_H_w__,.o
Behinderte, die nicht auf überbetriebliche Einrichtungen angewiesen sind,
allgemeine Leistungen jedoch nicht aus:reic:hen
Dieses Lernortekonzept wurde im Januar 1998 durch den Erlass lc5-6530A/ 5390n1097 ergänzt, um auch eine betriebliche Erstausbildung behinderter Personen, die nicht auf überbetriebliche Einrichtungen angewiesen sind, für die allgemeine Leistungen jedoch nicht ausreichen, im Rahmen der besonderen Leistungen fördern zu können und somit eine wohnortnahe berufliche Rehabilitation unter günstigeren Bedingungen als bisher zu ermöglichen. Dazu sollen
---······-·-------··· ---------
Oberblick über Anliegen, Anlage und Ergebnisse des Modellprojekts REGINE 15
vorhandene wohnortnahe Ausbildungsangebote im dualen Ausbildungssystem genutzt werden, d.h. die (ln der Regel) jugendlichen Adressat(inn)en werden in Betrieb und (Regel-) Berufsschule ausgebildet. Parallel hierzu erhalten sie durch Bildungsträger vor Ort intensive Unterstützung.
Damit wird angestrebt, die Eingliederungschancen behinderter Jugendlicher in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erhöhen. Es wird angenommen, dass Personen, die betrieblich ausgebildet wurden und dabei ihre Belastbarkeit unter Beweis stellen konnten, besonders gute Chancen zur Übernahme durch den Ausbildungsbetrieb ("Kiebeeffekt") und zur Eingliederung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, insbesondere im Bereich klein- und mittelständischer Betriebe, haben.
Das Konzept der "Betrieblichen Berufsausbildung und reha-spezifischen Förderung durch einen Bildungsträger" ist durch drei Phasen gekennzeichnet, wie in Abbildung 2 dargestellt sind:
1, Pl!ase: Vorbereitung der Berufsausbildung )> Bewerbungstraining ./-Ausbildungsvorbei"eiturig > Akquisition von Ausbildünglll:letrieben > Erprobungspraktikä > Aufbau I Aktivierung von Netzwerkkontakten
2. Phase: Wolmortnahe Etstausbi!du~g it> Seitlebund Regelberuf!lachule > Praktische Ausbildung Im Betrieb iAusbildungsvertragi) . l> Theoretische. Ausbildurig in der Regelberufsschule > Stütz- und Förderunterficht > lndlviduelki sozialpädagogische Betreuung l> Beratung und Unterstützung von Betrieben und Berufsschule l> Wohnortnahe Netzwerkpflege und 'llrweiterung ·
3. Phase: Nachbetreuung I Obergangshlll'en > Hilfen zur Begründung I Festigung eines Arbeitsverhältnisses > Hilfen zu weiterer Ausbildung
~er7ttU~g,. kris&ninte_rvtinti-On,-WOh-riungssuche, usw~
itiihl!lt!H~I*Iii'ft~!im~:g;;~'!l'g!iiili;iliJi§f.lt~i@~lfit~!li&1~mlRgil!~liilfll1!11!!i!fU
Abbildung 2
Demnach erfolgt die Berufsausbildung in einem "normalen" Betrieb am (offenen) Arbeitsmarkt (jedoch nicht in einer außerbetrieblichen Einrichtung wie BBW, BüE). Zwischen den Jugendlichen und den Ausbildungsbetrieben (und nicht zwischen Jugendlichen und Bildungsträgern) wird ein Ausbildungsvertrag geschlossen. Der Unterricht findet in der Regelberufsschule statt, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass hier besondere Vereinbarungen oder Arrangements (z.B. spezielle Klassen, besondere Betreuung) getroffen werden, um den behinderten Jugendlichen gerecht zu werden. Stütz- und Förderunterricht, Unter-
-~---··---·--~~---···-···-··------- -------- ------------- .
16 Hendrik Faßmann, Renate Steger
stützung bei der Prüfungsvorbereitung, sozialpädagogische Hilfen sowie Übergangshilfen nach Abschluss der Ausbildung werden wohnortnah, nach Möglichkeit zugehend (z.B. im Kontext mit Betrieb und I oder Berufsschule) organisiert und durchgeführt. Angebote von medizinischen und psychologischen Diensten werden, so weit erforderlich, nicht vom Bildungsträger bereitgestellt, sondern unter Nutzung des wohnortnah vorhandenen institutionalisierten Versorgungsnetzes in Anspruch genommen.
Dem Rehabilitationsteam des Bildungsträgers obliegt es, im Rahmen von behinderungsbezogener Problemabklärung, Förderplanung und Förderplanfortschreibung Problemlösungen zu erarbeiten und umzusetzen, die explizit auf den Aufbau und die Nutzung vorhandener regionaler Netzwerke einschließlich der vorhandenen professionellen Dienste rekurrieren. Selbstverständlich geschieht dies im Dialog mit den Rehabilitand(inn)en, aber auch mit den anderen Kooperationspartner(inne)n (z.B. aus Betrieb, Schule, Familie). Das Team soll sein Engagement deshalb vor allem auch um Aktivitäten wie Besuche am Arbeitsplatz, Hausbesuche oder institutionelle Zusammenarbeit mit anderen Beteiligten erweitern.
Über diese Aufgaben hinaus kommen dem Bildungsträger wichtige Aufgaben im Vorfeld der Ausbildung, wie Bewerbungstraining und Hilfe bei der Suche von Praktikums- und Ausbildungsplätzen zu. Soweit erforderlich erhalten die Auszubildenden nach Abschluss der Ausbildung nachgehende Hilfen.
Deutlich erkennbar ist, dass "Betriebliche Berufsausbildung und reha-spezifische Förderung durch einen Bildungsträger" weit mehr beinhaltet als ausbildungsbegleitende Hilfen (abH nach § 241 Abs. 1 SGB 111). Letztere sehen zur Sicherung des Erfolges einer betrieblichen Ausbildung Stützunterricht und sozialpädagogische Begleitung vor, die auf Antrag des Ausbildungsbetriebes oder Maßnahmeträgers bereits zu Beginn und auch für die gesamte Zeit der Ausbildung (als allgemeine Leistungen zur beruflichen Eingliederung) in Anspruch genommen werden können (bewilligt in der Regel für ein Jahr). Erfahrungsgemäß reduzieren sich diese Hilfen in der Praxis allerdings auf Nachhilfeunterricht in Krisensituationen, also insbesondere bei drohendem Ausbildungsabbruch sowie auf die Zeit unmittelbar vor der Abschlussprüfung.
1.2 Anliegen und Anlage des BAR-Model/projekts REGINE
Anliegen der Modellinitiative der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) "REGINE- REGionale NEtzwerke zur beruflichen Rehabilitation (lern-) behinderter Jugendlicher" war es, die Ausgestaltung und Umsetzung der ortsnahen Berufsausbildung auf der Grundlage der neuen Fördermöglichkeit kontrolliert zu erproben, auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen und ggf. zu optimieren. Beginnend mit dem Schulabschlusshalbjahr 1998/99 wurden sukzessive vier Jahrgänge lernbehinderter Jugendlicher an neun Standorten bundesweit einbezogen (siehe Abbildung 3).
---~- --~ ---- ------- ~----- --~----~ ------------
Oberblick über Anliegen, Anlage und Ergebnisse des Modellprojekts REGINE 17
Abbildung3
Das Projekt, das im Dezember 2003 endete, wurde wissenschaftlich begleitet durch das Institut für empirische Soziologie an der Friedrich-A/exanderUniversität Erlangen-Nürnberg. Dabei sollte die Begleitforschung nicht nur prozessbegleitend ergebnisorientiert arbeiten (summative Evaluation), sich also auf die Feststellung von Rehabilitationserfolgen beschränken. Vielmehr sollte sie durch formative Evaluation auch einen Beitrag zur Konzeptentwicklung und -präzisierung des neuen Lernorts leisten.
1.3 Produkte der Begfeitforschung
Abgesehen von der Präsentation wichtiger Projektergebnisse in Form von Protokollen, jährlichen Berichten und anderen Publikationen konnten im Rahmen des Projekts weitere wichtige Produkte erarbeitet werden:
So wurden etwa die Dokumentationsunterlagen, die zunächst nur für Zwecke der prozessbegleitenden Evaluation vorgesehen waren, in einigen Einrichtungen in Instrumente überführt, die dort routinemäßig zum Assessment und zur Maßnahmedokumentation verwendet werden, und wurden gelegentlich sogar in das einrichtungsinterne Qualitätssicherungshandbuch aufgenommen.
Dies gilt auch im Hinblick auf die REGINE-Arbeitsstandards, die im Projektverlauf entwickelt und publiziert werden konnten: Dies geschah im Rahmen überregionaler Workshops, die von der Begleitforschung vorbereitet und moderiert wurden und an denen neben den Bildungsträgern auch die Reha-Berater(innen) der Arbeitsagenturen an den Projektstandorten sowie Vertreter(innen) von
----. ---·. ------·-·····---···--··
18 Hendrik Faßmann, Renate Steger
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und Bundesagentur für Arbeit teilnahmen.
Diese Workshops dienten darüber hinaus auch dem überregionalen Erfahrungs- und Informationsaustausch zwischen den Projektpartnem. Wie uns berichtet wurde, werden viele dieser Kontakte weiter aufrechterhalten und bei Bedarf problemorientiert in Anspruch genommen.
2 Ergebnisse des Modellprojekts
2. 1 Grundgesamtheit und Datenbasis
Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse basieren auf Datenquellen wie
- der Dokumentation von Daten der Rehabilitand(inn)en,
- Gesprächen mit Reha-Berater(inne)n der Arbeitsämter,
- Gesprächen mit Mitarbeiter(inne)n der Bildungsträger,
- mündlichen und schriftlichen Befragungen von Arbeitgeber(inne)n der Aus-bildungsbetriebe,
- mündlichen und schriftlichen Befragungen von Berufsschullehrer(inne)n und Schulleiter(inne )n,
- Gruppendiskussionen mit Vertreter(inne)n von Regelberufsschulen und Kultusadministration,
- mündlichEm und schriftlichen Befragungen der am Modellprojekt beteiligten Jugendlichen.
Im Rahmen der Rehabilitand(inn)endokumentation wurden Daten von 370 Jugendlichen erfasst, die in vier aufeinander folgenden Jahrgängen am Modellprojekt teilnahmen. Der erste Jahrgang begann die Ausbildung im Herbst 1999, der letzte im Herbst 2002. Bedingt durch die Projektlaufzeit konnten nur die Jugendlichen des ersten Modelljahrgangs während aller drei Projektphasen wissenschaftlich begleitet werden. Deshalb beziehen sich eine Reihe von Ergebnissen ausschließlich auf Jugendliche dieses Jahrgangs.
2.2 Die Zielgruppe des Modellprojekts
Die Auswahl der Auszubildenden, die im Rahmen des Modellprojekts gefördert wurden, erfolgte durch die Reha-Berater(innen) der regionalen Arbeitsämter. ln Abbildung 4 werden zentrale Merkmale aufgelistet, die kennzeichnend für die einbezogenen Teilnehmer(innen) waren. Demnach handelte es sich um eine ,.Positivauswahl" von lernbehinderten Jugendlichen: Dies ergibt sich notwendig aus den hohen Anforderungen, die eine betriebliche Ausbildung und der Besuch einer Regelberufsschule an Auszubildende mit Lernbehinderungen stellen.
Oberblick Ober Anliegen, Anlage und Ergebnisse des Modellprojekts REGINE 19
)> Leichte bis mittlere Lernbehinderulig~il » zusätzlich leichte bis mittlere Verhaltensstörungen
(ein Drittel)
)> Vorwiegend Sonder-/ Förderschüler(innen) )> Teilweise mit Hauptschulabschluss (über die. Hälfte) » Teilweise mit berufsvorbereitenden Maßnahmen
(knapp die Hälfte)
:l> · ln der Regel positives soziales Umfeld
» 15 bis 23 Jahre alf(Modtis: 17 Jahre) :J> Ausländer(innen)anten: · 20% )> Frauenanteil: 35%
Abbildung4
Nach dem einhelligen Urteil von Reha-Fachkräften spielen bei der Entscheidung für eine betriebliche Ausbildung insbesondere die sozialen Kompetenzen der Rehabilitand(inn)en eine wichtige Rolle. Verhaltensprobleme werden in der Regel von betrieblicher Seite kaum akzeptiert. Aus diesem Grund kommen hier nur Personen in Betracht, die allenfalls leichte bis mittelschwere Verhaltensauffälligkeilen aufweisen.
Der Anteil weiblicher Jugendlicher im Modellprojekt entspricht in etwa der geschlechtsspezifischen Verteilung an Förder- bzw. Sonderschulen. Ausländische Schüler(innen) sind dagegen im Modellprojekt etwas unterrepräsentiert.
2.3 Förderstrukturen und Leistungsmerkmale des neuen Lernorts im Rahmen des Modellprojekts
Wie oben gezeigt umfasst Förderung durch einen Bildungsträger Leistungen während der folgenden drei Phasen:
- 1. Phase: Vorbereitung der Berufsausbildung
- 2. Phase: Wohnortnahe Ausbildung in Betrieb und Regelberufsschule
- 3. Phase: Nachbetreuung I Übergangshilfen
ln der ersten Phase wurden im Durchschnitt etwas über 12 Stunden pro Rehabilitand(in) aufgewandt. Hinsichtlich des Förderbedarfs zeigten sich jedoch bei den Jugendlichen erhebliche Unterschiede: er reichte von einer Stunde bis zu knapp 84 Stunden.
20 Hendrik Faßmann, Renate Steger
Abbildung 5 bietet einen Überblick über den Zeitaufwand, der auf die einzelnen Aktivitäten entfiel.
Persönliche
Betreuung 30,9%
AbbildungS
Netzwerkaktivitäten
17,9%
Bewerbungstraining . 4,4%
Kontakt zu abgebenden Institutionen 4,3%
Sonstige 5,7%
Ausbildungsplatzakquise 36,8%
Etwas mehr als ein Drittel der Jugendlichen schied nach der Vorbereitungsphase aus dem Modellprojekt aus, da keine Ausbildung zustande kam. Die wichtigsten Gründe für das Scheitern einer "REGINE-Ausbildung" waren:
- Ein Drittel der Rehabilitand{inn)en erwies sich für eine betriebliche Ausbildung mit reha-spezifischer Förderung als ungeeignet. Am häufigsten wurde dies von den Bildungsträgem mit mangelnder Motivation und einem damit einhergehenden entsprechenden Verhalten der Jugendlichen begründet.
- Bei einem Viertel der Jugendlichen scheiterte eine Fortsetzung der Maßnahme daran, dass kein geeigneter Arbeitsplatz gefunden werden konnte.
- Ein weiteres Viertel erklärte sich im Verlauf der Vorbereitungsphase von sich aus nicht mehr an diesem Lernort interessiert.
Von den 370 Jugendlichen, die in eine Ausbildung eintraten, wurden insgesamt 47 verschiedene Berufe gewählt. Über die Hälfte davon verteilten sich auf die folgenden fünf Berufe:
- (Fach-)verkäufer(in), Warenkaufleute im Einzelhandel (19,6%)
- Maler(in) und Lackierer(in) (16,3%}
- Friseur(in) (11 ,2%)
Oberblick über Anliegen, Anlage und Ergebnisse des Modellprojekts REGINE 21
- Bäcker(in) I Konditor(in) (6,5%)
- Koch I Köchin (6,5%)
Aus Abbildung 6 geht hervor, dass die lernbehinderten Jugendlichen im Rahmen des Modellprojekts fast ausschließlich von Mikro- und Kleinbetrieben ausgebildet wurden.
33,9%
Abbildung6
10,7% 1,7%
53,7%
EI Mikrounternehmen: unter 10 Mitarbeiter(innen)
D Kleines Unternehmen: 10 bis 49 Mitarbeiter(innen)
ITl Mittelgrosses Unternehmen: 50 bis 249 Mitarbeiter(innen)
ITl Grosses Unternehmen: ab 250 Mitarbeiter(innen)
Insgesamt wurden die Rehabilitand(inn)en während der gesamten Ausbildung im Durchschnitt vier Stunden pro Woche vom Bildungsträger gefördert. Der Stütz- und Förderunterricht und die sozialpädagogische Betreuung fanden zu einem Großteil als Einzelbetreuung statt. Dies ist neben dem intensiven Förderbedarf auch durch das breite Berufsspektrum und die Notwendigkeit bedingt, den zeitlichen Restriktionen Rechnung zu tragen, die sich aus den betrieblichen und schulischen Erfordernissen ergeben. Hinzu kommt die Notwendigkeit einer möglichst wohnortnahen Förderung. Abbildung 7 zeigt, um welche Arten von Förderung es sich hier im Einzelnen handelte.
Mit insgesamt fast zwei Dritteln stellen Fachtheorie und die Vermittlung allgemeiner Grundlagen (z.B. Deutsch und Mathematik) den Schwerpunkt der laufenden Förderung dar. Dies ist vor allem auch darauf zurückzuführen, dass die berufsbildenden Schulen ihrem Auftrag nicht nachkommen (können), die vorliegenden behinderungsspezifischen Defizite der Jugendlichen durch adäquate Förderung auszugleichen.
--------··· ·---·-····--
22
Sozial-
Fachpraxis 18%
Abbildung7
18%
Hendrik Faßmann, Renate Steger
Allgemeine Grundlagen
26%
Fachtheorie 38%
Zusätzlich zur kontinuierlichen Förderung wurden von den Bildungsträgern bei Bedarf ergänzende Maßnahmen durchgeführt. Meist ging es dabei um Krisenprävention, Krisenintervention oder den Umgang mit akuten Abbruchgefährdungen. Im Mittel benötigten die Jugendlichen während ihrer Ausbildung drei solcher Interventionen. Meist handelte es sich dabei um ein Bündel von Einzelmaßnahmen, das durchschnittlich vier unterschiedliche Aktivitäten pro Intervention umfasste. Neben dem Jugendlichen wurden dabei häufig Betrieb und Berufsschule in die Krisenbewältigung mit einbezogen; in einigen Fällen waren auch die Eitern der Jugendlichen und der I die zuständige Reha-Berater(in) daran beteiligt. Andere Stellen wie z.B. Jugend- oder Sozialamt spielten dem gegenüber eine eher untergeordnete Rolle.
Bei der Analyse der Förderung nach Abschluss der Ausbildung konnten - bedingt durch die Projektlaufzeit - nur die Daten des ersten Modelljahrgangs berücksichtigt werden. Knapp 40% der Jugendlichen, die im ersten Jahrgang ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hatten, erhielten nachgehende Hilfen. 75% davon dienten der Begründung oder Festigung eines Arbeitsverhältnisses.
2.4 Beurteilung der reha-spezifischen Förderung durch Auszubildende und Ausbildungsbetriebe
Der Stellenwert einer individuellen, reha-spezifischen Förderung durch einen Bildungsträger kommt sowohl in den Befragungsergebnissen der Rehabilitand(inn)en als auch in jenen der Ausbildungsbetriebe zum Ausdruck:
------------ --- ----------------
Oberblick aber Anliegen, Anlage und Ergebnisse des Modellprojekts REGINE 23
- Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, waren alle Jugendlichen, die sich an der Befragung beteiligten, mit der Unterstützung durch ihren Bildungsträger sehr zufrieden.
- Der Bildungsträger wurde von den Rehabilitand{inn)en mit fast 63% mit Abstand am häufigsten als die Stelle genannt, die Unterstützung bei Ausbildungsproblernen bot. Alle Jugendlichen teilten mit, sie seien bei der Prüfungsvorbereitung vom Bildungsträger unterstützt worden. Demgegenüber wurden Betriebe in diesem Zusammenhang nur von der Hälfte der Auszubildenden, Berufsschullehrer{innen) und Elternhaus sogar nur jeweils von etwas über einem Drittel der Rehabilitandlnnen genannt.
- Ähnlich positiv beurteilten Vertreter{innen) der Ausbildungsbetriebe die Unterstützung durch den Bildungsträger: 75% sahen in dieser besonderen Förderung das wesentliche Kriterium für den Ausbildungserfolg.
2.5 Ergebnisse der betrieblichen Berufsausbildung mit reha-spezifischer För-derung im Oberblick
Zum Ausbildungserfolg lagen nur vom ersten Modelljahrgang vollständige Daten vor. Vom zweiten Jahrgang standen noch die Ergebnisse aus von Wiederholungsprüfungen, Ausbildungsabschlüssen von Rehabilitand{inn)en, die während der Maßnahme den Beruf gewechselt hatten, sowie von Jugendlichen, die eine dreieinhalbjährige Ausbildung absolvierten. Vom zweiten Modelljahrgang können deshalb nur Daten über den Verbleib der Auszubildenden dargestellt werden, die ihre Ausbildung Ende 2003 erfolgreich abgeschlossen. Die Ergebnisse über den Verbleib der Jugendlichen beziehen sich auf die Zeit unmittelbar nach Ausbildungsende. Eine Nachbefragung zu einem späteren Zeitpunkt war im Rahmen der Projektlaufzeit nicht möglich.
Abbildung 8 bezieht sich auf alle Jugendlichen, die im Jahre 1999 eine betriebliche Ausbildung mit reha-spezifischer Förderung im Rahmen des Modellprojekts REGINE begannen. Demnach schloss mehr als die Hälfte dieser Personengruppe die Ausbildung erfolgreich ab. Weitere 15,5% beendeten die Maßnahme zwar vorzeitig, erlernten jedoch an einem anderen Lernort einen Beruf. Meist handelte es sich dabei um ein Berufsbildungswerk oder eine sonstige Reha-Einrichtung. Dieses Ergebnis zeigt, dass ein Teil der ausgewählten Jugendlichen trotz intensiver Förderung durch einen Bildungsträger an den hohen Anforderungen einer betrieblichen Ausbildung scheiterte. Deutlich wird jedoch auch, dass der neue Lernort zu anderen Qualifizierungsmöglichkeiten hin durchlässig ist. Gleichwohl hat über ein Fünftel die Maßnahme ohne weitere Berufsförderung beendet: Es ist zu befürchten, dass viele dieser Jugendlichen endgültig auf eine qualifizierte Ausbildung verzichten und deshalb langfristig die daraus resultierenden Nachteile bei der Teilhabe am Erwerbsleben in Kauf nehmen müssen. Ein weiterer, relativ geringer Teil der Auszubildenden hat die Abschlussprüfung endgültig nicht bestanden.
24
AbbildungS
Abbildung 9
Hendrik Faßmann, Renate Steger
8,5%
El Erfolgreicher Ausbildungsabschluß
El Lernortwechsel
El Ohne Ausbildungsabschluß
54,9%
1111 Vorzeitige Beendigung ohne weitere Berufsförderung
--------- -------- -----------------
Oberblick über Anliegen, Anlage und Ergebnisse des Modellprojekts REGINE 25
Den Status, den die Rehabilitand(inn)en des ersten Modelljahrgangs mit erfolgreichem Ausbildungsabschluss zuletzt innehatten, zeigt Abbildung 9. Demnach war mehr als die Hälfte der Jugendlichen entweder im Ausbildungsbetrieb oder in einem anderen Betrieb tätig. Nach Aussagen der Bildungsträger handelte es sich bei all diesen Beschäftigungsverhältnissen um eine ausbildungsadäquate Tätigkeit. Somit ist bei diesen Personen der erwartete "Kiebeeffekt" tatsächlich eingetreten, wobei dies in Betrieben mit weniger als 1 0 Mitarbeiter(inne )n besonders häufig der Fall war. Andererseits war jedoch mehr als ein Drittel der Absolvent(inn)en nach Ausbildungsende zunächst einmal Arbeit suchend und damit arbeitslos. Möglicherweise traten beim ersten Ausbildungsjahrgang Bemühungen um einen möglichst nahtlosen Übergang von der Ausbildung in eine dauerhafte berufliche Integration gegenüber dem Erreichen des Ausbildungsziels etwas in den Hintergrund.
Abbildung 10
Beim zweiten Modelljahrgang ergab sich allerdings ein deutlich positiveres Bild (vgl. Abbildung 10}: Von den erfolgreichen Auszubildenden wurden insgesamt fast 80% entweder vom Ausbildungsbetrieb übernommen oder von einem anderen Betrieb eingestellt. Auch diese Rehabilitand(inn)en übten nach Angaben der Bildungsträger ausbildungsadäquate Tätigkeiten aus. Dieses Ergebnis erscheint - insbesondere angesichts der schwierigen Arbeitsmarktlage - als ein starkes Argument für den neuen Lernort, sofern die Jugendlichen aufgrund ihrer Behinderung in der Lage sind, die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen.
26 Hendrik Faßmann, Renate Steger
2.6 Ergebnisse der betrieblichen Berufsausbildung mit reha-spezifischer För-derung nach ausgewählten Merkmalen
Um Aussagen darüber machen zu können, welcher Personenkreis sich für diese Form der Rehabilitation besonders gut eignet, wurde der Zusammenhang zwischen Ausbildungserfolg und folgenden Variablen überprüft:
- Grad der intellektuellen Beeinträchtigung
- Vorliegen von Verhaltensstörungen
- Geschlecht und Nationalität
- Schulabschluss und berufsvorbereitende Maßnahmen
- Ausbildungsberuf und Betriebsgröße
- Vergleich zwischen neuen und alten Bundesländern
Um einen besseren Überblick über die ermittelten Zusammenhänge zu bieten, wird in den Abbildungen 11 bis 13 jeweils die Abweichung der betrachteten Gruppe vom Mittelwert aller Jugendlichen dargestellt.
ln Abbildung 11 wird deutlich, dass sich die Chancen einer erfolgreichen betrieblichen Rehabilitation mit reha-spezifischer Förderung mit zunehmender intellektueller Beeinträchtigung verschlechtern. Allerdings schnitten als mittelschwer beeinträchtigt eingeschätzte Jugendliche nur um zwei Prozentpunkte schlechter ab als der Durchschnitt aller lernbehinderten Auszubildenden dieses Jahrgangs. Die Maßnahme erscheint also auch für diese Personengruppe durchaus vertretbar. Sehr viel gravierender als eine mittelschwere Lernbehinderung wirken sich offensichtlich Verhaltensstörungen auf den Erfolg einer betrieblichen Ausbildung aus, auch wenn es sich dabei nur um leichtere Störungen handelt. Solchermaßen beeinträchtigte Personen brachen von sich aus häufiger die Ausbildung ab und waren auch häufiger von einer Auflösung des Ausbildungsvertrags durch den Ausbildungsbetrieb betroffen. Außerdem beendeten solche Jugendlichen die Maßnahme überdurchschnittlich oft ohne weitere Berufsförderung.
Zwischen Geschlecht, Nationalität und Ausbildungserfolg ergaben sich folgende Zusammenhänge (siehe Abbildung 12): Weibliche Auszubildende waren etwas erfolgreicher als ihre männlichen Kollegen. Weitaus bemerkenswerter ist jedoch der deutlich höhere Ausbildungserfolg ausländischer Jugendlicher im Vergleich zu ihren deutschen Kolleg(inn)en. Vielleicht ist er darauf zurückzuführen, dass die Personen mit Migrationshintergrund häufiger wegen mangelnder Sprachkenntnisse als lernbehindert eingestuft werden und dann eine entsprechende Schulkarriere durchlaufen. Bei intensiver Förderung scheinen Lern- und Leistungsrückstände, die auf solchen Defiziten beruhen, jedoch eher kompensierbar als von der Altersnorm abweichende Leistungs- und Verhaltensformen, die auf anderen Störungen und I oder Beeinträchtigungen beruhen.
Oberblick über Anliegen, Anlage und Ergebnisse des Modellprojekts REGINE
Abweichung vom Durch· schnitt in %-Punkten
Grad der intellektuellen Verhaltensstörung Beeinträchtigung
10 ~==============~------~============= 8 ~~~-------------------------------------6
4
2
0
·2 f--------4
-6
-8
·10
-12 -14 L_ ____________________ ~~~
leicht (n = 18)
mittel (n =51)
schwer (n=2)
nein (n =51)
ja (n = 19)
Abbildung 11
Abweichung vom Durch· schnitt in %-Punkten
25+------------4~------------~======~ 20+-------------~
15+-------------~
10+----s.:z-------~
5-1---0 t-....----
-5
-10 +----------·15 +---------------------------::; ~oL-----------------------~-------------
f!;t
Abbildung 12
I!! in .,~
'C II
" " .. _ SN a."' .,..,
:I II "E II .. '() " ::~:.S. u..-
~~ .. 3' .:i ""' .5 II ·-II " II JLs .s. " .s.
27
28 Hendrik Faßmann, Renale Sieger
Die positive Auswirkung eines Hauptschulabschlusses auf den Ausbildungserfolg entspricht den allgemeinen Erwartungen. Weniger einhellig war dagegen zu Ausbildungsbeginn die Einschätzung hinsichtlich der Auswirkung berufsvorbereitender Maßnahmen auf den Ausbildungserfolg. Nach den vorliegenden Ergebnissen wirken sie sich ebenfalls positiv auf den Ausbildungserfolg aus.
Eine Ermittlung von Erfolgsquoten für die einzelnen Ausbildungsberufe war aufgrund des großen Berufsspektrums und der geringen Fallzahlen nicht möglich. Stellt man jedoch die Gruppe der Berufe, die während des gesamten Modellzeitraums besonders selten (d.h. nur von maximal drei Auszubildenden) gewählt wurde, den restlichen Berufen gegenüber, so zeigt sich, dass die Erfolgsquote in der ersten Gruppe mit 75% besonders hoch ist (Erfolgsquote des 1. Jahrgangs insgesamt: 55%). Es handelte sich dabei um gängige Berufe wie z.B. Mechaniker, Ver- und Entsorger, Glaser, aber auch um Berufe wie Fachkraft für Fruchtsafttechnik u.ä .. Gemeinsam ist diesen Berufen, dass sie für die hier im Mittelpunkt stehende Personengruppe als eher untypisch und nicht selten auch als problematisch eingeschätzt wurden. Deshalb wurde die berufliche Eignung und Neigung der Rehabilitand(inn)en bei der Wahl dieser Berufe durch die Reha-Berater(innen) bzw. die Bildungsträger besonders eingehend geprüft. Insofern legen die Ergebnisse nahe, dass auch die Förderung unkonventioneller Berufswünsche nach gründlicher Abklärung der vorliegenden Voraussetzungen durchaus befürwortet und somit im Sinne des Postulats "So normal wie möglich- so speziell wie erforderlich!" ausgebildet werden kann.
Abweichung vom DurchSchnitt in %-Punkten
Abbildung 13
Alte und neue Bundesländer
..J ~
IDQ) "' "' cuu II
= c c .. _ -c ..J ID .. -iä
.. ..c .. ·c c:; -"' _gll 0 c ... -.... i
Betriebsgröße
.. ..c .. ·-~
... _ -"' 1:n c c ·--..
S2
Oberblick über Anliegen, Anlage und Ergebnisse des Modellprojekts REGINE 29
Die Abbildung 13 zeigt, dass der Ausbildungserfolg in Betrieben mit weniger als 10 Mitarbeiter(inne)n deutlich geringer ist als in Betrieben mit 10 und mehr Beschäftigten. Offensichtlich sind größere Betriebe eher in der Lage, behinderungsadäquate Ausbildungsbedingungen zu bieten als Mikrobetriebe. Die erheblich höhere Erfolgsquote in den neuen Bundesländern im Vergleich zu jener in den alten Bundesländern ist insofern erstaunlich, als die Probleme am Stellen- und Ausbildungsmarkt eher das Gegenteil erwarten ließen. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass die lernbehinderten Jugendlichen gerade wegen der schwierigen Arbeitsmarktsituation ihre Chance, eine qualifizierte Ausbildung zu erhalten, besonders hoch einschätzen. Aufgrund dessen entwickeln sie eine besonders hohe Motivation, die sich dann auch als Erfolgsfaktor auswirkt. Allerdings erscheint diese Variable alleine kaum in der Lage, den Unterschied von über 25 Prozentpunkten zu erklären. Die Ergebnisse der Studie bieten jedoch kaum Hinweise darauf, auf welche Faktoren die ermittelten Unterschiede außerdem zurückzuführen sein könnten.
2. 7 Umsetzung von regionaler und überregionaler Vemetzung
Konzeptionsgemäß ist es Anliegen des neuen Lernortkonzepts, den Rehabilitand(inn)en alle Stütz- und Förderhilfen und sonstigen Dienstleistungen wohnortnah zu bieten, die sie benötigen, um ihre duale Ausbildung erfolgreich zu absolvieren.
Aufbau wohnortnaher
Abbildung 14
30 Hendrik Faßmann, Renate Steger
Demgemäß suchen die Auszubildenden - so weit dies praktikabel und zumutbar ist - die in der Nähe von Wohnung, Arbeitsplatz oder Berufsschule gelegenen Räumlichkeiten des jeweiligen Bildungsträgers auf, um dort gefördert zu werden, oder sie erfahren zu Hause, im Betrieb oder in der Schule sogar eine zugehende Förderung durch das Einrichtungspersonal ("stammhauszentrierte Förderung", siehe dazu und zum Folgenden Abbildung 14).
"Wohnortnähe" bedeutet jedoch nicht, dass die Bildungsträger alle erforderlichen Rehabilitationsleistungen vor Ort selbst erbringen müssen. Vielmehr kann ihre Funktion auch darin bestehen, Förderbedarfslagen zu ermitteln und darauf zugeschnittene Angebote im Sinne von Case Management im Umfeld der Rehabilitand(inn)en zu erschließen. Dies gilt vor allem dort, wo Bildungsträger in großen Einzugsbereichen agieren müssen: Nicht selten wohnen Auszubildende 60 bis 70 km entfernt und könnten deshalb nur mit beträchtlichem Aufwand durch Personal der Bildungsträger wohnortnah gefördert werden. Dieses zeitund kostenintensive Arrangement lässt sich jedoch aus ökonomischen Gründen auf Dauer kaum aufrechterhalten. Aus diesen Gründen kommen neben den traditionellen stammhauszentrierten Komm- und Bringstrukturen sukzessive oder parallel andere Strategien zur Sicherstellung wohnortnaher Förderung von behinderten Personen zum Einsatz: So entschlossen sich einige Projektstandorte zur Gründung von Zweig- bzw. Außenstellen, um Klienten wohnortnah fördern zu können. Zudem wurde die unmittelbare Betreuung der Rehabilitand(inn)en gelegentlich an Ausbilder(innen), Berufsschullehrer(innen) und Honorarkräfte vor Ort delegiert.
Insgesamt wurde im Modellzeitraum deutlich, dass sich die ursprünglich intendierte Netzwerkbildung in der geplanten Form aus Sicht der Bildungsträger als nicht erforderlich erwies. Dies ist vor allem mit dem Hilfebedarf der Klientel zu erklären, der sich im Wesentlichen auf Teilhabeleistungen beschränkte, welche in Zusammenhang mit der Berufsausbildung standen. Stütz- und Förderunterricht sowie sozialpädagogische Unterstützung führten die Bildungsträger zum größten Teil selbst durch, um möglichst während des gesamten Förderzeitraums eine kontinuierliche Betreuung durch das gleiche Förderpersonal sicherzustellen. Dadurch erübrigte sich - von einigen Ausnahmen abgesehen - die Kooperation mit anderen Bildungseinrichtungen am Wohnort der Rehabilitand(inn)en.
Das zentrale. regionale Kommunikationsgeflecht (rehabilitand(inn)enzentrierte Basisnetzwerk, siehe dazu Abbildung 15) zur reha-spezifischen Förderung entwickelte sich deshalb hauptsächlich zwischen den Kernpartnern Rehabilitationsberater(in), Betrieb, Berufsschule und Bildungsträger, die das Basisnetzwerk bildeten. Als eher peripher sind Netzwerkpartner wie z.B. abgebende Förderschulen, Kammern, Sozial- oder Jugendhilfeeinrichtungen anzusehen, die nur in einzelnen Phasen oder punktuell bei Bedarf mit einbezogen wurden. Die wohnortnahe Erschließung von Leistungen wie z.B. ärztliche Versorgung, Unterstützung bei der Freizeitgestaltung oder Beratung, war bei den meisten Jugendlichen des Modellprojekts nicht erforderlich. Dass es sich bei einer lnstitu-
Oberblick über Anliegen, Anlage und Ergebnisse des Modellprojekts REGINE 31
tionen übergreifenden Zusammenarbeit weitgehend um Neuland handelt, wurde auch daran deutlich, dass selbst der Aufbau des Basisnetzwerks relativ viel Zeit in Anspruch nahm.
Förderschule
Eltern
Reha-
Abbildung 15
medizin. L..-1psychctlogJ}..j sozial andere
Bildungs· träger
Regel· Berufs· schule
2.8 Möglichkeiten und Grenzen der Rege/beschulung in der Praxis
Im Rahmen des Modellprojekts zeigte sich rasch, dass an den meisten Berufsschulen keine adäquaten Lernbedingungen für (lern-)behinderte Auszubildende gegeben sind. Demnach müssen diese Jugendlichen in der Regel heterogen zusammengesetzte Klassen mit normaler Klassenstärke (20 bis 30 Schüler) besuchen und erfahren dort keine besondere Unterstützung (z.B. durch sonderpädagogisch qualifizierte Lehrer(innen) oder Förderunterricht).
Im Rahmen von Diskussionsrunden mit Vertreter(inne)n von Berufsschulen und Kultusadministration an sechs Projektstandorten wurden diese Probleme vor allem unter dem Blickwinkel möglicher Lösungsansätze thematisiert. Die Teilnehmer(innen) stimmten im Wesentlichen überein, dass entscheidende Verbesserungen nur zu erwarten sind, wenn der Unterricht in kleineren Klassen stattfindet und mehr sonderpädagogisch ausgebildetes Personal als bisher eingesetzt wird. Insbesondere aufgrundfinanzieller Überlegungen wurden Veränderungsmöglichkeiten der Rahmenbedingungen allerdings prinzipiell skeptisch eingeschätzt. Dies erscheint insofern bedenklich, als generell ein Trend in Richtung zunehmend problematischerer Schüler in der Berufsschule zu beobachten ist. So weit es innerhalb des derzeit bestehenden Rahmens um Verbesserungen der gegenwärtigen Situation geht, wurden die Handlungsspielräume unter-
··---------
32 Hendrik Faßmann, Renale Steger
schiedlich beurteilt. ln Abbildung 16 werden Lösungsmöglichkeiten aufgelistet, die an einzelnen Standorten zumindest ansatzweise praktiziert werden, um dem Förderbedarf der lernbehinderten Auszubildenden gerecht zu werden.
? Reduzienmg von Klassenstärken • spezifische Anrechnungsschlüssel für Jugendliche mit
Lernbehinderungen I Benachteiligungen • Bildung von Sonderklassen • Bildung von Schwerpunktschulen für bestimmte Berufe
> Förderung in Regelklassen • äußere I innere Unterrichtsdifferenzierung • fachspezifisch unterschiedliche Klassenstärken
.> Sondsrpädagog!sche QuaHfikation der Lehrkräfte • Fortbildungsangebote Sonderpädagogik • Unterstützung des Unterrichts durch Sonderpädagoglnnen
> Intensive Kooperation m!t Netzwerkpartnern • fallspezifische, zeitnahe Kommunikation • fallübergreifend kontinuierlicher fachlicher Austausch
Abbildung 16
2.9 Kosten der Teilhabeleistung
Bei Einführung des neuen Lernorts war für die Bundesagentur für Arbeit grundlegend, dass die Kostensätze hier unter denen sonstiger Reha-Leistungen liegen sollten.
Ein Kostenvergleich zwischen Teilhabeleistungen unterschiedlicher Lernorte zeigte, dass unter Berücksichtigung aller anfallenden Kosten (einschließlich der Ausbildungszuschüsse für den Ausbildungsbetrieb sowie der Berufsausbildungsbeihilfe) eine "Betriebliche Berufsausbildung mit reha-spezifischer Förderung durch einen Bildungsträger" wesentlich kostengünstiger ist als eine berufliche Erstausbildung in einer außerbetrieblichen Rehabilitationseinrichtung: So ist für eine Ausbildung am neuen Lernort lediglich ein Drittel der Mittel aufzubringen, die bei stationärer Ausbildung in einem Berufsbildungswerk anfallen. Im Vergleich zu einer ambulanten Ausbildung in einem BBW ist der neue Lernort etwa um die Hälfte günstiger. Verglichen mit einer ambulanten Leistungserbringung in einer Sonstigen Rehabilitationseinrichtung fallen nur etwa zwei Drittel der Kosten an, die dort aufzubringen sind.
Allerdings sind Vergleiche mit anderen Lernorten problematisch, werden dort doch -eine sorgfältige Teilnehmer(innen)auswahl vorausgesetzt- Adressat(in-
----~------~------ ----~-------- -------
Oberblick über Anliegen, Anlage und Ergebnisse des Modellprojekts REGINE 33
n)engruppen mit ganz anders geartetem Unterstützungsbedarf gefördert. Insofern lässt sich aus solchen Kostenvergleichen ohne genaue Prüfung der betreffenden Klientel keineswegsunbesehen ableiten, nunmehr andere kostspieligere Lernorte durch die neue Tellhabeleistung zu ersetzen.
3 Fazit und Handlungsempfehlungen
ln einer Zeit, in der trotz erheblichen Einsatzes finanzieller Förderinstrumentarien allenthalben ein dramatischer Rückgang der Ausbildungsbereitschaft der Betriebe beklagt wird, hat das Modellprojekt REG/NE gezeigt, dass es möglich ist, Jugendliche mit (Lern-)Behinderungen unter "normalen" Bedingungen erfolgreich und kostengünstig auszubilden: Bedingung ist, dass dabei nicht nur die Auszubildenden, sondern auch die Betriebe und Berufsschulen im Vorfeld und während der Lehrzeit durch Bildungsträger unterstützt werden. Kann dieses den Arbeitgebern plausibel vermittelt und erfahrbar gemacht werden, so sind diese durchaus bereit, Menschen mit Behinderungen auszubilden.
Allerdings gilt es jedoch noch eine Reihe von Problemen zu lösen, um die Ausbildungserfolge zu optimieren: Demnach ist es erforderlich, die Teilnehmer(innen)-Auswahl zu verbessern, die bisher oftmals zu spät erfolgt und sich nicht immer als passgenau erweist. Zudem gelingt es vielfach nicht, adressat(inn)engerechte Ausbildungsbetriebe zu akquirieren. Als "Achillesferse" des neuen Lernorts muss schließlich die (Regei-)Berufsschule angesehen werden, kann sie doch in der Regel den Bedürfnissen gerade von lernbehinderten Auszubildenden nicht gerecht werden. Diese Defizite müssen daher von den eingebundenen Bildungsträgern kompensiert werden. Damit finanziert aber die Arbeitsverwaltung weiterhin Pflichtaufgaben, die eigentlich von der Kultusadministration übernommen werden müssen.
Literatur:
Faßmann, H.; Lechner, B.; Steger, R. 2003: Qualitätsstandards fOr den Lernort "Betriebliche Berufsausbildung und reha-spezifische Förderung durch einen Bildungsträger" - Ergebnisse einer Modellinitiative der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation .REGionale NEtzwerke zur beruflichen Rehabilitation (lern-) behinderter Jugendlicher (REGINE)". Materialien aus dem Institut für empirische Soziologie an der Friedrich-Aiexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Heft 4/2003, Nürnberg: lfeS
Faßmann, H.; Lechner, B.; Steger, R.; Zimmermann, R. 2004: .REGionale NEtzwerke zur beruflichen Rehabilitation (lern-) behinderter Jugendlicher (REGINE)" -Abschlußbericht der wissenschaftlichen Begleitung einer Modellinitiative der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation. Materialien aus dem Institut für empirische Soziologie an der Friedrich-Aiexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Heft 1/2004, Nürnberg: lfeS. URL: http:llwww.bmgs.bund.de/deu/gra/publikationenlp_forschung.cfm. Stand: 21. Juni 2004
35
Ergebnisse der Plenumsdiskussion
Berichterstattung: Renate Steger, Dr. Hendrik Faßmann, Institut für empirische Soziologie an der Friedrich-Aiexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Stellenwert der betrieblichen Rehabilitation: theoretischer Anspruch und gesellschaftliche Entwicklung
Herr Prof. Dr. Seyd nahm mit einem längeren Beitrag zunächst zum Verhältnis zwischen dem Anliegen des Modellprojekts und der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung im Bereich der beruflichen Bildung behinderter Jugendlicher Stellung. Er konstatierte eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem propagierten Ziel einer verstärkten Einbeziehung von Betrieben in die Erstausbildung behinderter Personen und der tatsächlichen Entwicklung. Demnach steht der Intention des Modellprojekts, die berufliche Rehabilitation Jugendlicher in Betrieben zu fördern, ein tendenzieller Rückzug der Betriebe aus der Mitwirkung an diesen Eingliederungsbemühungen gegenüber. Herr Prof. Seyd wies in diesem Zusammenhang auch auf den Bericht der Bundesregierung hin, nach dem von 1,1 Mio. Ausbildungsplätzen der privaten Wirtschaft nur 5.300 mit schwerbehinderten Jugendlichen besetzt sind, was weniger als 5 Promille anstelle der angestrebten 5 Prozent entspricht.
Im Gegensatz zur erforderlichen Ausweitung von Berufsorientierung und Berufsvorbereitung führe das BVB-Fachkonzept der Bundesagentur für Arbeit zu einer Reduzierung dieser Maßnahmen. Außerhalb des Modellprojekts betrage der Anteil der "Aitbewerber" unter den (lern-)behinderten Auszubildenden mittlerweile fast 58%. Der staatliche Anteil an Ausbildungsplätzen liege heute über 50%, ohne dass dem wirksam entgegengesteuert werde. Auch wenn die Bundesagentur für Arbeit in einem Papier vom 02.04.2004 ein eindeutiges Bekenntnis zur Strukturverantwortung für die berufliche Rehabilitation von Jugendlichen und Erwachsenen abgelegt und für das Jahr 2004 insgesamt 3,3 Milliarden Euro für die berufliche Rehabilitation von Jugendlichen und Erwachsenen vorgesehen habe, was einer Steigerung um 300.000 Euro entspreche, bezweifelte er, ob hierbei die richtigen Prioritäten gesetzt würden.
Herrn Prof. Dr. Seyd ging dann auf das zur Verabschiedung anstehende Gesetz zur Förderung der Ausbildung Schwerbehinderter ein: Aufgrund von Modifikationen des Vermittlungsausschusses sei im Grunde nichts anderes übrig geblieben als ein betriebsinternes Instrument zur Entscheidung über den Einsatz von Ressourcen. Die vorgesehenen Integrationsvereinbarungen zwischen Betrieben und Betriebsräten seien keineswegs als gleichwertiger Ersatz für eine Pflichtquote anzusehen. Nach seiner Auffassung ist eine solche Quote erforderlich, weil "sich in der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland für behinderte Menschen nichts tut, wenn es nicht irgendwelche Instrumente gibt, die wehtun."
--- """"""" ""-""" --- ----- ""-"·--·---·""""-
36 Renate Steger, Dr. Hendrik Faßmann,
Weiter wies Herr Prof. Dr. Seyd, insbesondere im Hinblick auf den Kostenvergleich im REGINE-Projekt, auf die Unterschiede zwischen der einbezogenen Klientel und jener der Berufsbildungswerke hin: Erstere stellten hinsichtlich ihres sozialen Umfelds, ihres Schulabschlusses und ihrer bisherigen Biografie eine Positivauswahl dar. Trotz der mangelnden Vergleichbarkeit zwischen den Zielgruppen von Berufsbildungswerken und betrieblichen Ausbildungen mit reha-spezifischer Förderung mache jedoch die hohe berufliche Eingliederungsquote nach Ausbildungsabschluss im Modellprojekt Mut, diese Möglichkeit stärker als bisher in das Spektrum der beruflichen Rehabilitation zu integrieren. Als enttäuschend bezeichnete er allerdings die geringe Rehabilitand(inn)enzahl, die im Rahmen des Modellprojekts für diesen Lernort ausgewählt wurde und äußerte den Verdacht einer mangelnden Zuarbeit der für die Auswahl der Teilnehmer(innen) zuständigen Stellen.
Die Erfahrungen im Modellprojekt mit der Rageibeschulung bezeichnete er als "eine einzige Katastrophe" und verwies dabei auf die beiden weitgehend erfolglosen Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur integrativen Beschulung behinderter und nichtbehinderter Schüler(innen). Sein Fazit: "Die Regelberufsschule ist nicht geeignet und wird sich auch nicht entsprechend ändern, dass sie als echter Baustein im System der Berufsausbildung behinderter Menschen in Frage kommt." Als weiteren Kritikpunkt nannte Herr Prof. Seyd die mangelnde Vernetzung mit Institutionen am Wohnort der Jugendlichen.
Die im Rahmen des Modellprojekts erarbeiteten Qualitätsstandards beurteilte er aufgrund ihres Umfangs als etwas unübersichtlich, bezeichnete sie jedoch gleichzeitig als wertvolle Arbeitshilfe bei der Akquise von Ausbildungsbetrieben und der Zusammenarbeit mit ihnen.
Möglichkeiten, Betriebe stärker an der Ausbildung behinderter Jugendlicher zu beteiligen
Um Ansatzpunkte zu finden, Betriebe stärker an der Ausbildung behinderter Jugendlicher zu beteiligen, wurde zunächst nach den Motiven der Arbeitgeber gefragt, (lern-)behinderte Jugendliche auszubilden. Herr Dr. Faßmann berichtete, die im Rahmen des Projekts geführten Gespräche mit Arbeitgebern hätten gezeigt, dass neben dem sozialem Engagement der Betriebe vor allem der Ausbildungszuschuss, der sich in der Regel auf 60% (in besonderen Ausnahmefällen sogar 100%) der Ausbildungsvergütung des dritten Ausbildungsjahres belief und während der gesamten Ausbildungsdauer bezahlt werde, eine wesentliche Rolle spiele.
Eine im Bereich berufsvorbereitender Maßnahmen tätige Teilnehmerio betonte den hohen Stellenwert, der Betriebspraktika bei der Erlangung eines Ausbildungsplatzes zukomme.
ln diesem Zusammenhang wurde auch die Frage aufgeworfen, inwieweit bei der Stellenakquise Integrationsämter in Anspruch genommen wurden. Diese verfügten bekanntlich über gute Kontakte zu Betrieben, die behinderten Menschen gegenüber besonders aufgeschlossen sind. Dazu wies Herr Dr. Faß-
---·····""····-·--- ---·---
Ergebnisse der Plenumsdiskussion 37
mann darauf hin, dass nur sehr wenige schwerbehinderte Jugendliche in das Modellprojekt einbezogen waren, für die diese Behörde zuständig gewesen wäre. Allerdings griffen die beteiligten Bildungsträger bei der Suche nach Ausbildungsplätzen häufig auf Kontakte zu Arbeitgebern zurück, die bereits früher behinderte oder benachteiligte Personen eingestellt hatten. Daneben konnte eine Reihe von Betrieben durch lnformationsveranstaltungen, Gespräche und Verhandlungen dafür gewonnen werden, sich auf die Ausbildung lernbehinderter Jugendlicher einzulassen.
Über die Wirkung von Sanktionen gegenüber Betrieben, die sich nicht an der Ausbildung behinderter Jugendlicher beteiligen, wurde kontrovers diskutiert: Meinten die einen, Mittel- und Grassunternehmen sei ein finanzieller Ausgleich für eine fehlende Ausbildungsbereitschaft durchaus zuzumuten, zumal damit gezielte Hilfen und Modellprojekten finanziert werden könnten, berichteten andere aufgrund eigener Projekterfahrungen, das Zugehen auf Arbeitgeber, der Abbau von Berührungsängsten, die Beratung und gezielte Hilfsangebote in Krisensituationen und bei Konflikten seien eher dazu geeignet, Betriebe zu motivieren, behinderte Jugendliche auszubilden als Sanktionen.
Berufliche Integration und Abbruchgeschehen bei einer betrieblichen Ausbildung von behinderten Jugendlichen
Auf die Frage von Herrn Bar/sen, inwieweit es im Projektverlauf möglich war, Kriterien für eine optimale Teilnehmer(innen)auswahl zu entwickeln, um dadurch die Abbruchquote zu senken, teilte Herr Dr. Faßmann mit, dass es die Anzahl der Ausbildungsabbrecher(innen) und die begrenzte Projektlaufzeit nicht zuließen, solche Kriterien empirisch zu entwickeln und zu überprüfen.
Frau Steger ging näher auf das Abbruchgeschehen ein: Dieses entwickle sich in der Regel während eines längeren Zeitraums. Nur selten sei es monokausal begründet, meist spielten mehrere Faktoren eine Rolle. Am häufigsten wurden Abbrüche von den Bildungsträgern des Modellprojekts mit fehlender Motivation der Rehabilitand(inn)en begründet, die allerdings oft einherging mit massiven Problemen in der Regelberufsschule. Bei der Auswertung der Ergebnisse wurd~ auch deutlich, dass Personen mit Verhaltensstörungen die Lehre sehr viel häufiger abbrachen als Jugendliche, die "nur" lernbehindert waren. Bei Letzteren gelang es eher, Abbrüche durch Kriseninterventionen zu vermeiden. Scheiterte die Ausbildung dennoch, so kam bei dieser Probandengruppe etwas häufiger ein Lernortwechsel zustande als bei verhaltensauffälligen Jugendlichen, die oftmals ohne weitere Förderung abbrachen. Herr Steinhagen, der als Projektleiter im BBW Harnburg am Modellprojekt mitwirkte, ergänzte, dass viele Betriebe Verhaltensprobleme von Jugendlichen nur während eines begrenzten Zeitraums von wenigen Wochen tolerierten. Bei länger andauernden Schwierigkeiten würden die meisten Arbeitgeber auf eine Beendigung des Ausbildungsverhältnisses dringen.
Auf die Frage nach einem Vergleich der Erfolgsquoten von betrieblichen Ausbildungen mit reha-spezifischer Förderung und anderen Lernorten erläuterte
--~ -~~---------
38 Renale Steger, Dr. Hendrik Faßmann,
Frau Steger die mangelnde Vergleichbarkeit zwischen den Eingliederungsquoten von Berufsbildungswerken und den Ergebnissen des Modellprojekts:
- Bei der Eingliederungsquote der Berufsbildungswerke werden nur jene Absolventen berücksichtigt, die ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben. Im Modellprojekt REGINE wurde dagegen von allen Jugendlichen, die ihre Ausbildung begonnen hatten, ermittelt, welcher Anteil davon erfolgreich abschloss und anschließend ausbildungsadäquat beschäftigt war.
- Die Ergebnisse der Berufsbildungswerke basieren auf Befragungen und nicht wie im Modellprojekt REGINE auf der Maßnahmedokumentation der Bildungsträger. Trotz der relativ hohen Antwortquote von etwa 70% bei den Befragungen der Berufsbildungswerke besteht ein Unterschied zu einer Datenbasis von 100%, wie sie im Modellprojekt REGINE gegeben war.
- Während die Berufsbildungswerke ihre Absolventen ein Jahr nach Ausbildungsabschluss befragen, beziehen sich Ergebnisse des Modellprojekts auf die Zeit unmittelbar nach Abschluss der Ausbildung; eine spätere Befragung war im Rahmen des Projekts nicht möglich.
Herr Dr. Faßmann fügte hinzu, dass die Berufsbildungswerke zwar über vergleichbare Daten verfügten, die jedoch nicht veröffentlicht würden. Dazu berichtete Herr Steinhagen über einen internen Vergleich des BBW Harnburg von "REGINE-Jugendlichen" mit im Berufsbildungswerk Ausgebildeten. Dabei wurde folgender Trend erkennbar:
- Bei Rehabilitand(inn)en, die im BBW ausgebildet wurden, war die Quote der Ausbildungsahbrüche geringer.
- Bei den "REGINE-Jugendlichen" war dagegen der Anteil höher, der im Anschluss an die Ausbildung eine ausbildungsadäquate Tätigkeit in einem Betrieb ausübte.
Herr Steinhagen erklärte dieses Ergebnis damit, dass REGINE-Teilnehmer(inne)n bereits während der Ausbildung einem Ausleseprozess durch die Betriebe unterzogen werden, dem etliche der Jugendlichen zum Opfer fallen. Bei einer BBW-Ausbildung bestehen dagegen vielfältige Möglichkeiten, auch Jugendliche mit Verhaltensproblemen zu einem erfolgreichen Berufsabschluss zu führen. Deren Probleme beginnen aber dann nach Ausbildungsabschluss. "Sie schaffen zwar die Ausbildung, haben aber dann Probleme, von einem Betrieb akzeptiert zu werden und sich dort zu integrieren."
Arbeitsgruppe 1: Auswahl der Teilnehmer(innen)
Moderation:
Impulsreferat
Rolf-Jürgen Maier-Lenz, Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation
Margit Armoneit, Hartmut Querengässer, Bildungszentrum Saalfeld gGmbH
Im Mittelpunkt des Referats stand die Auswahl von REGINE-Teilnehmer(innen), wie sie vom BZ Saalfeld im Rahmen des Projekts "Brücke" zur Schulentwicklung in Thüringen entwickelt wurde. Ziel dieses Projekts ist die "vorberuflich orientierte Bildung und Förderung Jugendlicher mit Lernbehinderungen". Dabei ist der Bildungsträger bereits im Vorfeld der Berufsförderung an der Berufswahlentscheidung von Jugendlichen beteiligt. Schon in der siebten und achten Klasse an Förder- und Sonderschulen erfolgt eine gezielte Vorbereitung der Berufswahlentscheidung, die ergänzt wird durch eine "Kompetenzfeststellung", an der alle Förderschüler(innen) und Schüler(innen) von anderen allgemeinbildenden Schulen im 8. und 9. Schuljahr teilnehmen. Im Zuge des REGINEProjekts wurde diese Maßnahmen auch dazu genutzt, die Teilnehmer(innen)Auswahl zu optimieren.
Durch die Mitwirkung an der Vorauswahl geeigneter Teilnehmer(innen) sah sich das BZ Saalfeld mit einer Reihe von Fragen konfrontiert, deren Antworten auch Einfluss auf die Gestaltung der Phase vor Ausbildungsbeginn (REGINEVorphase) hatten:
1 Welche Auswirkungen hat die Beteiligung des Bildungsträgers an der Auswahl der Jugendlichen auf den Entscheidungsprozess?
1.1 Wer trifft die Entscheidung über die Auswahl der REGINE-Teilneh-mer(innen)?
Dem Konzept des BZ Saalfeld gemäß ist die Auswahl Sache der RehaBerater(innen) der Bundesagentur für Arbeit. Die Bildungsträger haben dabei "nur'' beratende Funktion. Diese Aufgabe sollte jedoch nicht unterschätzt werden, da sie durch den Kontakt zu den Jugendlichen während mehrerer Schuljahre Informationen besitzen oder beschaffen können, die dem/der Reha-Berater(in) in der für den Entscheidungsprozess verfügbaren Zeit gar nicht zugänglich sind. Bei der Informationsbeschaffung kommt dem Bildungsträger deshalb eine wichtige Unterstützungsfunktion zu.
1.2 Wann sollte mit der Auswahl der Teilnehmer(innen) begonnen werden?
Nach Auffassung des BZ Saalfeld sollte die Auswahl frühzeitig, d.h. schon in der 7. und 8. Klasse, beginnen. ln diesem Zeitraum nehmen in Saalfeld alle Schüler an einer Kompetenzfeststellung teil. Zusätzlich durchlaufen sie im
40 Margit Armoneit, Hartmut Querengässer, Rolf-Jürgen Maier-Lenz, Jochen Steinhagen
Rahmen des Projekts "Brücke" eine "vorberuflich orientierte Bildung und Förderung". ln dieser Zeit werden "Schnuppertage" im BZ Saalfeld durchgeführt, an denen sich die Jugendlichen in einer Werkstatt umsehen und etwas ausprobieren können. Gleichzeitig wird in diesem Zeitraum den Lehrkräften das Konzept der "Betrieblichen Ausbildung und reha-spezifische Förderung durch einen Bildungsträger" vorgestellt, damit diese eine erste Vorauswahl möglicherweise für diesen Lernort geeigneter Schüler(innen) treffen können.
ln der 8. und 9. Klasse werden die Schüler(innen), die für den neuen Lernort geeignet erscheinen, gezielt zur Suche eines Praktikums in einem Bereich motiviert, in dem sie später einmal ausgebildet werden möchten. Dazu sollen sie sich möglichst ein Unternehmen auswählen, das für die Ausbildung in Frage kommt. ln dieser Zeit, u. U. aber auch im Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) erfolgt dann die gezielte Zuweisung des Jugendlichen zu einem bestimmten Lernort. Zu Beginn des letzten Schuljahres sollte dann eine Anmeldung der geeigneten Personen für die "Betriebliche Ausbildung und reha-spezifische Förderung durch einen Bildungsträger" vorliegen. Dies ist notwendig, um gezielt mit dem Jugendlichen ein Bewerbungstraining durchführen und geeignete Ausbildungsplätze akquirieren zu können.
Erfahrungsgemäß, so Frau Armoneit, ist das Risiko einer falschen Teilnehmer(innen)auswahl umso höher, je später die Jugendlichen angemeldet würden. ln der Regel seien dies dann die Auszubildenden mit den größten Ausbildungsproblemen. Zudem erleichtert eine frühzeitige Information über mögliche Ausbildungswege und Lernorte den Netzwerkpartner(inne)n, den Berufsvorbereitungs- und Berufsorientierungsprozess möglichst zielgerichtet zu gestalten. Dies betrifft auch die gezielte Abklärung vorhandener Fähigkeiten und Fertigkeiten. Defizite, die frühzeitig festgestellt werden, können während der letzten Schuljahre noch intensiv bearbeitet werden. Dies setzt jedoch einen engen und kontinuierlichen Kontakt zu den Förderschulen voraus.
2 Welche Merkmale sollten lernbehinderte Teilnehmer(innen) aufweisen, die eine betriebliche Ausbildung mit reha-spezifischer Förderung absolvieren?
2. 1 Persönliche Einstellungen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen
Anhand von Abbildung 1 erläuterte Frau Armoneit die Eigenschaften, die eine(n) "ideale(n)" REGINE-Teilnehmer(in) auszeichnen. Sie verwies jedoch gleichzeitig darauf, dass diese(r) ideale Jugendliche erfahrungsgemäß in der Praxis nicht auffindbar sei und erläuterte deshalb, wie diese Zielgruppenbeschreibung zu interpretieren sei: Demnach geht es nicht darum, alle diese Fähigkeiten in vollem Umfang festzustellen; sie sollten aber im Ansatz vorhanden sein.
Beispielhaft verdeutlichte sie dies am Umgang mit Konflikten. Hier erscheint es wichtig, dass der I die Jugendliche Konflikten nicht grundsätzlich aus dem Weg geht, z.B. in dem er wegläuft. Bezogen auf den Beurteilungsgegenstand Arbeitseinstellung erläuterte sie, dass ein(e) Jugendliche(r), der I die bereits in
AG 1: Ausbildungsplatzakquisition und Unterstützung von Ausbildungsbetrieben 41
der Schule durch Unzuverlässigkeit, mangelnde Arbeitsunterlagen und ein stark schwankendes Arbeitsverhalten auffällt, wohl kaum für eine betriebliche Ausbildung geeignet ist, bei der von ihm I ihr Zuverlässigkeit, selbständiges Ar-
Abbildung 1
Zielgruppe der BAR-Modellinitiative "REGionale NEtzwerke zur beruflichen Rehabilitation
(lern-)behinderter Jugendlicher (REGINE)"
2.2 Die Motivation der Jugendlichen
Frau Armoneit betonte den hohen Stellenwert, den sie der Motivation von Rehabilitand(inn)en als Voraussetzung für eine betriebliche Ausbildung zumisst.
Dabei unterschied sie zwischen
der Motivation, einen Beruf zu erlernen,
- der Motivation, den gewählten Beruf zu erlernen und
- der Motivation, den Beruf im gewählten Ausbildungsbetrieb zu erlernen.
Sie vertrat die Überzeugung, alle drei Aspekte müssten vorhanden sein, damit eine realistische Chance für eine erfolgreiche Berufsausbildung bestehe.
42 Margit Armoneit, Hartmut Querengässer, Rolf-JOrgen Maier-Lenz, Jochen Steinhagen
2.3 Rolle des Elternhauses und des sozialen Umfeldes
Als günstige Ausgangssituation bezeichnete sie ein Elternhaus,
- das im Hinblick auf Arbeitseinstellungen und Arbeitstugenden Vorbildcharakter hat und
- in der Lage ist, den I die Jugendliche(n) bei Krisen, persönlichen und be-ruflichen Problemen zu unterstützen.
Dabei geht es nicht darum, Rehabilitand(inn)en mit problematischem Umfeld vom Lernort "Betriebliche Ausbildung und reha-spezifische Förderung durch einen Bildungsträger" auszuschließen. Das Wissen um die Unterstützungsmöglichkeiten, die Eitern und Familie bieten können, ist jedoch Voraussetzung, um die zu erwartenden Probleme richtig einschätzen und gezielte Maßnahmen zu ihrer Kompensation in die Wege leiten zu können. Ferner sollten Informationen darüber vorliegen, wie stark die Jugendlichen in ihr familiäres und soziales Netz eingebunden sind, um dessen Wirkungen abschätzen zu können.
2.4 Gesundheitsverhalten und Verhaltensauffäl/igkeiten
Indikator für problematisches Verhalten ist vor allem die Strategie, Ausbildungsproblemen durch "Krankfeiern" auszuweichen. Nach ihrer Erfahrung führen solche Reaktionsweisen nicht selten zu Ausbildungsabbrüchen. Erforderlich ist deshalb, Anzeichen für derartige Verhaltensstrategien möglichst frühzeitig zu erkennen, um sie bereits im Vorfeld der Ausbildung ansprechen und bearbeiten zu können. Bei auftretenden Fehlzeiten während der Ausbildung besteht dann die Möglichkeit, die Ursachen hierfür in Kooperation mit dem Betrieb zu klären und einer möglichen Abbruchkarriere entgegenzuwirken.
3 Zusammenfassung
Abbildung 2 illustriert nochmals den gesamten Prozess der Teilnehmer(innen)auswahl. Die Abbildungen 3 und 4 zeigen, in welchen Phasen es nach dem in Saalfeld praktizierten Modell einer Kooperation zwischen dem Bildungsträger, den Reha-Berater(inne )n der Arbeitsagentur und anderen Netzwerkpartnern bedarf: Demnach verdeutlicht die Abbildung 3 die Zusammenarbeit während der einzelnen Phasen der Teilnehmerauswahl auf der institutionellen Ebene, während Abbildung 4 den Auswahlprozess einzelner Teilnehmer(innen) und die sich daran anschließenden Aktivitäten in der Vorphase der Ausbildung darstellt.
Betont wird dass es sich bei den im Verlauf des Auswahlprozesses gesammelten Daten nicht um Informationen handelt, die während des ganzen Zeitraums gleich bleiben, sondern vielmehr um Angaben, die sich bedingt durch die Entwicklung der Jugendlichen verändern können und durch eine gezielte Förderung beeinflussbar sind.
---~--~---~~ ----~~- --~~~- -~~ --------------- ~-~ -----~-------~-----~~----
AG 1: Ausbildungsplatzakquisition und Unterstatzung von Ausbildungsbetrieben 43
Auswahl der REGINE-Teilnehmer(innen) @ Wer? Was? Wann?
Reha-Berater(in) und Träger
Klasse 9/10
'TN -~quise
Nelzwerkpartner . l;'l~ruf!öwahlf!nll;ch)lidung Klasse 8/9
Schule und Reha-Berater(in)
Abbildung 2
. ·B.rückf!
• ~ompetenzf!llll!öleii!Jng
Klasse 7/8
Auswahl der REGINE-Teilnehmer(innen)
Institutionelle Ebene
Vorstellung REGINE in den abgebenden liif:f Schulen
-*':3: ~-~, .. :.:--~.= .. ~ Diskussion zum REGINE-Anforderungsprofil ~
Unterstützung der Reha-Serater bei der Entscheidungsfindung
Kooperation mit Abgebender Einrichtung im Rahmen des Bewerbungsverfahrens
Ausbildungsplatzakquise
Abbildung3
Nelzwerkpartner
Netzwerkpartner
44 Margit Armoneit, Hartmut Querengässer, Ro/f-Jürgen Maier-Lenz, Jochen Steinhagen
Auswahl der REGINE- Teilnehmer(innen)
Individuelle Ebene
Vorauswahl von potenziellen Teilnehmer(inne)n
Einbeziehung des Trägers in Entscheidung zum Lernort und den Ausbildungsberuf
Kontaktaufnahme mit REGINEAnwärter(inne)n
Ausbildungsplatzakquise
Abbildung4
Diskussionsergebnisse
Netzwerkpartner
Berichterstattung: Jochen Steinhagen, Berufsbildungswerk Harnburg
Anforderungsniveau von REGINE-Teilnehmer(innen) aufgrund der Kriterien zur Zielgruppenbeschreibung
Die in Abbildung 1 dargestellten Kriterien zur Abgrenzung der Zielgruppe für den Lernort "Betriebliche Ausbildung und reha-spezifische Förderung durch einen Bildungsträger" führten zu einer teilweise kontroversen Diskussion. Im Zentrum stand die Frage: "Wie ausgeprägt müssen die in Abbildung 1 aufgeführten Fähigkeiten sein, um Jugendlichen als für diesen Lernort geeignet ansehen zu können?" Dabei wurde auf die Gefahr hingewiesen, dass die Eignung von Jugendlichen mit Lernbehinderungen für eine Ausbildung unter "normalen" Bedingungen durch zu hoch angesetzte Anforderungen generell in Frage gestellt würde.
Plädiert wurde dafür, dass die wichtigsten Merkmale im Ansatz erkennbar sein sollten. Es könne aber nicht darum gehen, sie grundsätzlich als Eignungskriterien für eine betriebliche Ausbildung vorauszusetzen. Bezogen auf die drei von Frau Armoneit besonders hervorgehobenen Aspekte müsse zwar eine grundlegende Motivation, einen Beruf zu erlernen, bei einer betrieblichen Ausbildung vorausgesetzt werden können. Die Motivation für einen bestimmten Beruf und eine positive Einstellung zum Ausbildungsbetrieb seien jedoch häufig
"-" ------"-------
AG 1: Ausbildungsplatzakquisition und Unterstützung von Ausbildungsbetrieben 45
erst Ergebnisse intensiver Bemühungen im Vorfeld der Ausbildung und müssten "in einzelnen Schritten tagtäglich erarbeitet werden."
Als zentrale Voraussetzungen wurden neben der generellen Motivation zur Berufsausbildung eine gewisse Stabilität der Jugendlichen und eine Reihe sozialer Kompetenzen genannt, die es ermöglichen, mit diesen Personen verbindliche Vereinbarungen zu treffen. Als weitere unabdingbare Eigenschaften wurden Konfliktfähigkeit und Teamfähigkeit genannt. Konkret bedeutet dies, dass der Jugendliche Konflikten weder grundsätzlich aus dem Weg gehen, noch versuchen sollte, sie bevorzugt "mit der Faust" zu lösen. Die Kooperationsfähigkeit sei in der Regel bereits im Unterricht zu erkennen. Wurde schon dort festgestellt, dass der Jugendliche dazu noch nie in der Lage gewesen war, so stelle dies ein Ausschlusskriterium für eine betriebliche Ausbildung dar. Allerdings sollten an die Jugendlichen keinesfalls zu hohe Erwartungen gestellt werden, um die Zielgruppe für diesen Lernort nicht über Gebühr einzugrenzen. Die genannten Kriterien sollten hauptsächlich als "Checkliste" verstanden und berücksichtigt werden, um sich ein Gesamtbild vom Jugendlichen machen zu können, das letztlich für seine I ihre Beurteilung entscheidend sei.
ln der Auseinandersetzung um die erforderlichen Qualifikationen für eine betriebliche Ausbildung wurde folgendes Spannungsfeld deutlich: einerseits sollte der neue Lernort möglichst vielen behinderten Jugendlichen offenstehen und nicht nur einigen wenigen "Eiitebehinderten", andererseits besteht die Gefahr, dass Betriebe mit vermittelten "problematischen Jugendlichen" nicht zurecht kommen und sich dann aufgrund ungünstiger Erfahrungen weiter aus der Ausbildung von Rehabilitand(inn)en zurückziehen.
Das Dilemma von Selektion und individueller Förderung
Die im Saalfelder Modell sehr früh beginnende und längerfristig angelegte Teilnehmer(innen)auswahl wurde von einigen Diskutant(inn)en als inhuman kritisiert "Selektion als Daueraktivität über mehrere Schuljahre hinweg" stehe im Widerspruch zu einer integrativen, ressourcenorientierten Förderung. Dagegen wurde aber eingewandt, es ginge hier nicht darum, ungeeignete Jugendliche generell von einer Berufsförderung auszuschließen, sondern für jede(n) Rehabilitanden/-in den ihm/ihr gemäßen Lernort zu finden. Bedenken, dass eine frühzeitige Auswahl und gezielte Förderung einzelner Jugendlicher die Gefahr einer Differenzierung zwischen "guten" und "schlechten" Risiken und einer entsprechend unterschiedlichen Behandlung berge, konnten jedoch nicht gänzlich ausgeräumt werden.
Gemeinsames Ergebnis: Teilnehmer(innen)auswahl als dialogischer Prozess erfordert Zeit
Trotz dieser Kontroversen war sich die Arbeitsgruppe darin einig, dass die Eignung von Jugendlichen für einen bestimmten Lernort nicht als Ergebnis einer punktuellen Entscheidung gesehen werden kann, die es im Anschluss daran "nur" noch umzusetzen gilt. Vielmehr handelt es sich dabei um einen
46 Margit Armoneit, Hartmut Querengässer, Rolf-Jürgen Maier-Lenz, Jochen Steinhagen
Prozess, in dem Rehabilitand(in), Reha-Berater(in), Bildungsträger und andere Netzwerkpartner gemeinsam Informationen sammeln und austauschen sowie getroffene Entscheidungen überprüfen und präzisieren mit dem Ziel, Wege zu finden, die den Jugendlichen eine optimale Teilhabe am Erwerbsleben sichern. ln diesem Zusammenhang wurde auf die entlastende Funktion hingewiesen, die daraus resultiert, dass eine adäquate Lernortwahl für die Rehabilitand(inn)en letztlich von den Reha-Berater(innen) verantwortet werden muss.
Schlussfolgerung: Frühzeitige Teilnehmer(innen)auswahl
Eine fundierte Entscheidung über die geeignete Form der beruflichen Erstausbildung von (lern)behinderten Jugendlichen setzt Entscheidungsprozesse voraus, in dem Interessen, Fähigkeiten und Vorstellungen der Jugendlichen einerseits und die realisierbaren und erfolgversprechenden Möglichkeiten einer Berufsförderung andererseits abgeklärt werden müssen. Vor diesem Hintergrund bestand Einigkeit, dass hierfür ein angemessener Zeitraum erforderlich ist. Daraus ergab sich die Forderung einer rechtzeitigen Teilnehmer(innen)auswahl. Eine genauere Bestimmung des Begriffs "rechtzeitig" blieb jedoch offen.
47
Arbeitsgruppe 2: Ausbildungsplatzakquisition
und Unterstützung von Ausbildungsbetrieben Moderation: Eva Ullrich, Bundesministerium für Gesundheit und Soziale
Sicherung
Impulsreferat
Gerd Specht, REinit Reckfinghäuser Arbeitsförderungsinitiative e. V.
Grundlage meiner Ausführungen ist eine Reihe von Thesen, die auf eigenen Erfahrungen mit dem Modellprojekt REGINE und anderen Projekten beruhen. Diese decken sich weithin mit den Ergebnissen der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts.
1. Ermittlung geeigneter Betriebe
1. 1 Eignungskriterien
These 1: Alle anerkannten Ausbildungsbetriebe können und sollten behinder-te Jugendliche ausbilden!
Diese Forderung beruht auf der Überlegung, dass sich lernbehinderte Jugendliche nicht so wesentlich von anderen Auszubildenden unterscheiden. Wenn besondere Bedarfslagen vorhanden sind, können die Bildungsträger den Betrieben die erforderliche Unterstützung bieten.
Die Ausbildung lernbehinderter Jugendlicher sollte sich nicht auf die kleinen Betriebe beschränken. Vielmehr sind hier auch die Großbetriebe gefordert, ihren Beitrag leisten. Ich denke, es ist für uns Bildungsträger möglich, über die Kleinbetriebe hinaus auch größere Unternehmen zu überzeugen, solche Ausbildungsplätze bereit zu stellen. Wir haben zumindest mit zwei großen Betrieben entsprechende positive Erfahrungen. So ist es bei E.ON, einer Firma mit einem sehr großen eigenen Ausbildungsbetrieb, gelungen, auch einen REGINE-Auszubildenden unterzubringen. Normalerweise nehmen solche Betriebe nur die besten Bewerber(innen). Aber dies ist ein Beispiel dafür, dass sich auch Großbetriebe auf lernbehinderte Jugendliche einstellen können. Dazu ist nicht unbedingt der Druck einer Ausbildungsplatzabgabe erforderlich. Vielmehr ist es auch eine Aufgabe der Bildungsträger, Überzeugungsarbeit zu leisten.
These 2: Betriebliche Ausbildung von behinderten Jugendlichen ist auch ohne Perspektive auf Übernahme sinnvoll!
Natürlich sehen es alle Beteiligten gerne, wenn die Betriebe schon bei der Einstellung von Auszubildenden eine Möglichkeit auf Übernahme eröffnen und später sogar tatsächlich übernehmen. Garantieren kann dies jedoch angesichts der heutigen wirtschaftlichen Lage kaum noch ein Arbeitgeber. Ich denke, das sollte auch kein entscheidendes Kriterium sein, gerade auch bei der Ausbildung
48 Gerd Specht, Eva Ullrich, Dr. Hendrik Faßmann
von Lernbehinderten. Aufgrund unserer Erfahrung ist vielmehr wichtiger, dass die Jugendlichen in renommierten Unternehmen eine gute Ausbildung bekommen. Dann ist es hinterher auch leichter, mit dieser Qualifikation eine Tätigkeit in anderen Betrieben aufnehmen zu können, falls dies im Lehrbetrieb nicht möglich sein sollte.
These 3: Besser einen Ausbildungsplatz in einer anderen Stadt als keinen Ausbildungsplatz in Wohnortnähe!
Wir wissen von unseren Jugendlichen aus dem REGINE-Projekt sowie aus anderen Projekten, dass sie am liebsten ihren Ausbildungsplatz vor der Haustür haben möchten. Das ist aber gerade bei den speziellen Ausbildungswünschen nicht immer möglich. Deshalb müssen auch (lern-}behinderte Jugendliche eine gewisse Bereitschaft zur Mobilität aufbringen. Insofern ist es erforderlich, die Jugendlichen davon zu überzeugen, dass es keinen Sinn macht, vergeblich zu warten, bis eine Lehrstelle in unmittelbarer Wohnortnähe angeboten wird. Besser ist es einen adäquaten Ausbildungsplatz zu bekommen, auch wenn dazu Fahrzeiten von bis zu 2 Stunden täglich in Kauf zu nehmen sind.
1.2 Informationsquellen
These 4: Mit Hilfe des Branchenbuches und durch informelle Kontakte können neue Ausbildungsplätze für behinderte Jugendliche akquiriert bzw. reaktiviert werden.
Wie die REGINE-Begleitforschung gezeigt hat, lassen sich viele Ausbildungsbetriebe aufgrund langjähriger Kontakte finden, über die die Bildungsträger bereits verfügen, oder aber auch über die Reha-Berater(innen) erschlossen werden, die ebenfalls mit vielen Unternehmen zusammen arbeiten. Wenn das jedoch alles nicht fruchtet, dann ist es nach unserer Erfahrung Erfolg versprechend, einfach das Branchenbuch zur Hand zu nehmen und die dort verzeichneten Betriebe systematisch anzusprechen, Termine mit den Personalverantwortlichen zu vereinbaren und diese in persönlichen Gesprächen zu überzeugen, auch einen (lern-)behinderten Jugendlichen einzustellen. Ganz wichtig sind darüber hinaus informelle Kontakte, über die Mitarbeiter(innen) oder Bekannte verfügen: Gerade dieser Weg führt in vielen Fällen zu einem Ausbildungsplatz.
2. Akquisestrategien
2. 1 Azubi "verkaufen"
These 5: Bei der Akquisition sollte nicht an die soziale Verantwortung appelliert werden, sondern es sollte der Nutzen für den Betrieb herausgestellt werden.
These 6: Behinderte Auszubildende sind anderen Auszubildenden in einigen Bereichen überlegen: Motivation, Engagement, Sorgfalt, Zuverlässigkeit.
---------
AG 2: Ausbildungsplatzakquisition und Unterstützung von Ausbildungsbetrieben 49
Zu diesen beiden Thesen ist folgendes zu sagen: Nach unseren Erfahrungen kommen Appelle an die soziale Verantwortung der Betriebe nicht gut an. Besser ist es, die Qualitäten der Bewerber(innen), die für den Betrieb bedeutsam und nützlich sein können, stärker herauszuarbeiten und diesen mit solchen Argumenten dazu zu bewegen, eine(n) Jugendlichen im Rahmen eines Praktikums zu erproben.
So hatten wir in einem Restaurant zwei Praktikanten untergebracht, einen lernbehinderten Jugendlichen und einen Jugendlichen mit der Fachoberschulreife. Der Arbeitgeber konnte jedoch nur einen in die Ausbildung übernehmen und hat sich aufgrund der Praktikumserfahrungen für den lernbehinderten Jugendlichen entschieden. Dieser hat ihn mehr überzeugt als der andere.
These 7: Viele Ausbildungsplätze können nur mit behinderten Jugendlichen besetzt werden.
Viele Arbeitgeber können ihre Ausbildungsplätze im Grunde nur noch mit lernbehinderten Jugendlichen besetzen, z.B. in den Berufen Bäcker(in) I Konditor(in), Verkäufer(in), Maler(in) I Lackierer(in). Aufgrund der Schwierigkeiten Auszubildende zu finden, stellen diese Betriebe daher sehr gerne zuverlässige Jugendliche mit einer Lernbehinderung ein.
2.2 Azubi im Praktikum erproben
These 8: Durch ein Praktikum können sich Betriebe von der Leistungsstärke behinderter Jugendlicher überzeugen.
Bestehen gravierende Bedenken, sich auf das Wagnis der Ausbildung von Lernbehinderten einzulassen, kann man versuchen, den Betrieb zumindest dazu bewegen, den/die Bewerber(in) in einem Praktikum zu erproben, was zunächst zu nichts verpflichtet. Hier haben die Jugendlichen dann die Möglichkeit, ihre Stärken zu zeigen und die Betriebe zu überzeugen.
These 9: Bei Bewährung im Praktikum stellen Betriebe auch behinderte Aus-zubildende über Bedarf ein.
Nach unseren Erfahrungen lassen sich auf diese Weise sogar Ausbildungsbetriebe gewinnen, die anfänglich angaben, ihr Ausbildungskontingent für dieses Jahr schon ausgeschöpft zu haben und deshalb keine weiteren Jugendlichen einzustellen. Das heißt, wenn man hartnäckig genug ist und den Jugendlichen mit seinen Stärken darstellt, bieten sich über die Möglichkeit eines Praktikums doch noch Chancen, Ausbildungsplätze zu akquirieren.
2.3 Unterstützung des Betriebes anbieten
These 10: Bildungsträger sucht passenden behinderten Auszubildenden für die Betriebe aus.
Wir übernehmen die Auswahl eines geeigneten Auszubildenden für den jeweiligen Betrieb. Dabei achten wir darauf, dass der Jugendliche auch in den betreffenden Betrieb passt.
--------------
50 Gerd Specht, Eva Ullrich, Dr. Hendrik Faßmann
These 11: Das umfassende und kostenfreie Serviceangebot der Bildungsträger motiviert Betriebe zur Ausbildung von behinderten Jugendlichen.
Besonders wichtig ist es, den Betrieben umfassende Unterstützung zu signalisieren für den Fall, dass es während der Ausbildung zu Problemen kommen sollte. Das betrifft sowohl den Bereich der Fachtheorie, als auch die praktische Ausbildung. Sollte ein(e) Jugendliche(r) trotz solcher Hilfen weiterhin Schwierigkeiten haben, bestimmte praktische Arbeiten durchzuführen, kann angeboten werden, ihn I sie für kurze Zeit aus der betrieblichen Ausbildung herauszunehmen, und ihn solange bei uns außerbetrieblich zu fördern, bis dieses Defizit ausgeglichen werden kann. Dieses umfassende Serviceangebot der Bildungsträger erleichtert es den Betrieben, sich auf ein(e) lernbehinderte(n) Auszubildende(n) einzulassen.
2.4 Fördermöglichkeiten darstellen
These 12: Bildungsträger informiert über finanzielle Fördermöglichkeiten und unterstützt Betriebe bei der Beantragung von Fördermitteln.
Zu unseren Aufgaben gehört es auch, die Betriebe umfassend über die finanziellen Möglichkeiten zu informieren. Das betrifft zunächst einmal die Ausbildungszuschüsse. Wenn es sich um einen schwerbehinderten Jugendlichen handelt, können noch weitergehende Zuschüsse in Frage kommen.
3. Unterstützungsbedarf der Betriebe
3. 1 Beantragung von Förderleistungen
These 13: Ohne Zuschuss zur Ausbildungsvergütung würden nur wenige Betriebe einen behinderten Auszubildenden einstellen.
These 14: Der Zuschuss zur Ausbildungsvergütung gleicht die partielle Minder-leistung und den besonderen Aufwand der Betriebe vollständig aus.
Zur Erläuterung dieser beiden Thesen: Erfahrungsgemäß ist in der Regel kaum ein Betrieb bereit, (lern-)behinderte Jugendliche ohne einen Ausbildungszuschuss einzustellen. Demnach ist dieser Zuschuss heute ein ganz wichtiges Instrument, das in vielen Fällen auch gerechtfertigt ist, weil der bzw. die betreffende Jugendliche (noch) nicht in der Lage ist, die volle Leistung wie andere Auszubildende zu erbringen. Der Zuschuss sollte weiterhin 60 % der Ausbildungsvergütung im 3. Ausbildungsjahr betragen.
Ausnahmen von der Regel sind Großbetriebe, die einen solchen Zuschuss nicht nötig haben und ihn deshalb nicht unbedingt beantragen, aber oftmals auch keine behinderten Jugendlichen einstellen. Hier sollte grundsätzlich einmal über die soziale Verantwortung dieser Betriebe nachgedacht werden. Aber das ist eine längerfristige Diskussion. Damit erreichen wir heute für unsere Jugendlichen also noch keinen Ausbildungsplatz.
---------------------------- --
AG 2: Ausbildungsplatzakquisition und Unterstützung von Ausbildungsbetrieben 51
Die nachfolgenden Thesen 16 und 17 konnten aus Zeitgründen nicht mehr vom Referenten erläutert und von den Teilnehmer(inne)n diskutiert werden:
3.2 Stütz- und Förderunterficht
These 15: Ohne individuellen Förderunterricht und intensive Vorbereitung auf die schriftliche, praktische und mündliche Prüfung durch den Bildungsträger würde kein REGINE-Auszubildender die Abschlussprüfung bestehen.
3.3 Sozialpädagogische Betreuung
These 16: Durch die sozialpädagogische Betreuung und psychosoziale Unterstützung der REGINE-Auszubildenden werden Krisen in der Ausbildung bewältigt und Ausbildungsabbrüche verhindert.
Diskussionsergebnisse:
Berichterstattung: Dr. Hendrik Faßmann, Institut für empirische Soziologie an der Friedrich-Aiexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Als Quintessenz der Diskussion ergaben sich zwei Aspekte, die vor allem die Möglichkeiten, Ausbildungsplätze zu akquirieren, entscheidend beeinflussen. Demnach werden die Ausbildungsmärkte entscheidend von strukturellen Rahmenbedingungen bestimmt, die sich von den unmittelbar beteiligten Akteuren kaum beeinflussen lassen. Allerdings gibt es auf betrieblicher Ebene durchaus Möglichkeiten, die Ausbildungsbereitschaft zu erhöhen.
Strukturelle Probleme und Lösungsmöglichkeiten
Insbesondere Herr Prof. Seyd machte darauf aufmerksam, dass die Betriebe heute keine Ausbildungsplätze bereitstellen, weil
- angesichts zunehmender Automatisierung und Rationalisierung und dem damit verbundenen generellen Arbeitsplatzabbau weniger Auszubildende und insbesondere keine behinderten Auszubildenden benötigt werden,
- der Trend hingeht zu einer Arbeitsverdichtung, die nicht nur verbunden ist mit mehr Arbeitsintensität sowie neuen Belastungen und Gesundheitsrisiken, die den Möglichkeiten einer Ausbildung behinderter Personen entgegenstehen, sondern auch dazu führt, dass Freiräume und Nischen entfallen, in denen leistungsschwächere Personen früher ausgebildet und von Ausbildern betreut werden konnten,
- die Ausbildungsordnungen von den Betrieben als zu anspruchsvoll angesehen und viele der Bewerber(innen) als zu schwach beurteilt werden, den betreffenden Anforderungen zu entsprechen,
- die Ausbildung von Jugendlichen als zu kostenintensiv beurteilt wird.
-------·-~----·---·-·---~ --------. ·········-
52 Gerd Specht, Eva Ullrich, Dr. Hendrik Faßmann
Während Herr Höfling dafür plädierte, Betriebe mit (finanziellen) Unterstützungsleistungen dazu zu bewegen, auszubilden, vertraten Herr Prof. Seyd und Herr Leutloff, aber auch Frau Lewerenz insbesondere vor dem Hintergrund des härter werdenden Verdrängungswettbewerbs die Ansicht, Anreize und Druckmittel müssten in ein angemessenes Verhältnis gesetzt werden, um die Ausbildungsbereitschaft zu erhöhen.
Nach Auffassung etlicher Diskussionsteilnehmer(innen) ist grundsätzlich eine Konsolidierung der Konjunktur notwendig, die dann auch zu einer Verbesserung der Situation auf den Arbeits- und Ausbildungsmärkten führen wird. Hilfreich sei es darüber hinaus, die Ausbildungsordnungen transparenter zu machen auf entbehrliche Anteile hin zu "durchforsten".
Herr Prof. Seyd wies in diesem Zusammenhang auf Forderungen der IG Metall in Baden-Württemberg hin: Demnach sollten in den einzelnen Regionen, in denen die Ausbildungsverträge geschlossen werden und die Betriebe mit Berufsschulen und Bildungsträgern zusammenarbeiten, Möglichkeiten eröffnet werden, auf gegebene Rahmenbedingungen flexibel einzugehen. Hier seien vor allem auch die Kammern gefordert, die entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung der betreffenden Vorschriften ausüben. Darüber hinaus sei überlegenswert, inwieweit sich die Kosten ausbildender Betriebe, z.B. durch Beschränkung der Ausbildungsvergütungen, reduzieren ließen.
Dagegen vertraten allerdings Herr Leutloff und andere Arbeitsgruppenteilnehmer(innen) die Auffassung, dass die Betriebe durch besondere Regelungen (z.B. Ausbildungsplatzabgabe; Vergabe von Subventionen nur dann, wenn Ausbildungsplätze geschaffen werden) verpflichtet werden müssten, gerade benachteiligte und behinderte Personen mit geringeren Chancen verstärkt einzustellen. Davon seien die öffentlichen Arbeitgeber nicht auszunehmen.
Betriebsorientierte Strategien zur Förderung der Ausbildungsbereitschaft
Abgesehen von den bereits angesprochenen Anreiz- und Druckmitteln wurde dafür plädiert, Möglichkeiten auszuschöpfen bzw. bei Bedarf zu schaffen, die Betriebe von zentraler, leicht erreichbarer Stelle aus, ggf. sogar zugehend, umfassend über Modalitäten und Umfang einer Förderung der Ausbildung behinderter Jugendlicher zu informieren und ihnen bei der Beschaffung von Unterstützungsleistungen zu helfen. Dies sei wegen des für Außenstehende undurchschaubaren "Förderdschungels" unerlässlich. Allerdings sei es bei dieser Gelegenheit auch sinnvoll, die Betriebe auf den Nutzen hinzuweisen, der mit der Ausbildung verbunden und bereits verschiedentlich belegt worden ist.
Personen, die Ausbildungsstellen akquirieren sollen, müssen nach Auffassung der Diskussionsteilnehmer(innen) eingehende Kenntnisse über die betreffenden Betriebe haben. Nur so können sie Bewerber(innen) vermitteln, die von den Unternehmen akzeptiert werden und die tatsächlich in der Lage sind, die betreffenden Anforderungen zu bewältigen. Wesentlich ist weiter, so Herr Pieper, die Betriebe plausibel und glaubhaft weniger über "Unfähigkeiten" als über die Fähigkeiten und Potentiale der behinderten Jugendlichen zu informieren,
AG 2: Ausbildungsplatzakquisition und Unterstatzung von Ausbildungsbetrieben 53
um in der Praxis vorhandene Vorurteile im Hinblick auf vermeintliche Leistungsdefizite ausräumen zu können. Dies gilt in besonderem Maße für die Gruppe der lernbehinderten Personen. Allerdings müssen sich die Betriebe darauf verlassen können, äass die ihnen vermittelten Auszubildenden tatsächlich zu ihnen passen. ln diesem Zusammenhang schlug Frau Kroll vor, das gegenseitige Verständnis für die jeweiligen Probleme von Betrieben und Bildungsträgern durch einen zeitweisen Austausch des Ausbildungspersonals fördern. Dies könnte nicht nur zu größerer Bereitschaft der Unternehmen führen, behinderte Jugendliche auszubilden. Vielmehr böte sich so auch die Chance, dass die Bildungsträger künftig die Belange der Betriebe stärker als bisher berücksichtigten.
Abgesehen von den finanziellen Fördermöglichkeiten sollten die Akquisiteurel-innen die Betriebe vor allem auch über die praktische Hilfe und Entlastung während der Ausbildung informieren können, die z.B. wesentlicher Bestandteil der "Betrieblichen Ausbildung und reha-spezifischen Förderung durch einen Bildungsträger" ist. Gerade solche Hinweise können als wertvolle Argumentationshilfe dienen. Frau Rüb erläuterte, dass es im Falle von schwerbehinderten Jugendlichen möglich ist, sich der Unterstützung durch einen Arbeitscoach zu bedienen und dies im Gespräch mit dem Arbeitgeber als zusätzliches Argument zu verwenden.
Frau Lewerenz machte in ihrem Beitrag auf die Probleme aufmerksam, die sich aufgrund Unübersichtlichkeit der Ausbildungsregelungen im Bereich der Berufsausbildung behinderter Menschen ergeben. 1 Dies führe zu einer Verunsicherung in den Betrieben, die über diese Vielfalt nicht informiert seien und sich nicht vorstellen könnten, was es mit einzelnen Berufen auf sich habe, was bei der Ausbildung zu beachten sei usw .. Sie warnte deshalb davor, Ausbildungsordnungen zu regionalisieren, da damit weitere Unklarheiten verbunden sein würden. Auch Herr Prof. Seyd plädierte für eine verbesserte Transparenz der Ausbildungsordnungen, etwa im Rahmen einer Synopse, vertrat jedoch gleichwohl die Ansicht, es müsse in der Praxis möglich sein, Ausbildungsgänge flexibel an die jeweiligen Betriebsverhältnisse (z.B. Schifffahrt, Fahrzeugbau) anzupassen.
1 Anmerkung des Berichterstatters: Für das Jahr 2002 verzeichnete das Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) immerhin 910 Ausbildungsregelungen für behinderte Menschen.
--------
Moderation:
Arbeitsgruppe 3: Verbesserung der Unterstützung
wohnortnaher Ausbildungskonzepte durch Berufsschulen
Erich Lenk, Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation
Impulsreferat
Brigitte Kumbier-Jordan, IFAS Institut für angewandte Sozialfragen
55
Aller Anfang ist schwer - so könnte das Ergebnis meines Vortrages lauten. Denn unabhängig vom Bundesland wird in dem Modellversuch REGINE deutlich, dass die Bedingungen für Jugendliche mit Lernbehinderungen an Regelberufsschulen unzureichend sind.
Es ist noch nicht allzu lange her, da gab es dieses Problem noch gar nicht. Alles war wohlgeordnet - Behinderte und Nichtbehinderte getrennt - die einen besuchten die Regelschulen, die anderen die Sonderschulen. Nun soll alles anders werden; aber welche Voraussetzungen brauchen Regelschulen, um die wohnortnahe Ausbildung von behinderten Jugendlichen zu unterstützen.
REGINE - das Modellprojekt für wohnortnahe Ausbildung für lernbehinderte Jugendliche hat als handlungsleitendes Prinzip den Grundsatz "So normal wie möglich - so individuell wie nötig!". Demnach sollen die lernbehinderten Jugendlichen im dualen System - freie Ausbildungswahl auf der einen Seite, Regelberufsschule auf der anderen Seite - zusammen mit ihren Altersgenossen ausgebildet und beschult werden und zwar
- möglichst in Vollberufen nach § 25 BBiG in den Betrieben ihrer Umgebung,
- in der ganz normalen Regal-Berufschule - soweit das Normalitätsprinzip -
- unterstützt durch REGINE-Mitarbeiter(innen) im Förderunterricht, in der Alltagsbewältigung, in sozialpädagogischen Belangen und ähnlichem -soweit das lndividualitätsprinzip.
Durch diesen integrativen Ansatz soll auch das Ziel erreicht werden, die Stigmatisierung von Lernbehinderten zu verringern bzw. zu beheben und ihnen entsprechend dem SGB IX eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.
Immerhin haben, so zeigen die Ergebnisse der Begleitforschung, 88 % der REGINE-Teilnehmer(innen) eine Sonder- oder Förderschule für Lernbehinderte als letzte allgemeinbildende Schule besucht. Ca. die Hälfte hat einen Sonderbzw. Förderschulabschluss, etwas weniger (als die Hälfte) einen Hauptschulabschluss - dieser ist meist an der Sonderschule erworben. Nur ca. 7 % haben keinen Schulabschluss. Dies ist zugegebenermaßen für Lernbehinderte ein relativ hohes Schulniveau.
-------------------~~~~~-
56 Erich Lenk, Brigitte Kumbier-Jordan, Birgit Lechner
ln der REGINE-Auswertung wird auch nach den schulischen Lernerfahrungen der Teilnehmer(innen) gefragt - d. h. danach, wie sie selbst ihren Lernerfolg und die Lernvoraussetzungen zuhause einschätzen und wie die Einstellung wichtiger Bezugspersonen zum Lernen ist. Die Lernerfahrungen sind bei den meisten der Jugendlichen als schlecht zu bewerten. Dieses Ergebnis ist sicherlich nicht untypisch für die Lern- und Schulkarrieren von lernbehinderten Jugendlichen - aber was bedeutet das für den Lernerfolg an der ganz normalen berufsbildenden Schule? Können diese negativen Lernerfahrungen durch positive Erfolgserlebnisse in Schule und Ausbildung kompensiert werden?
Der Eintritt in das duale Ausbildungssystem mit Beschulung durch die reguläre Berufschule (anstelle einer Sonderschule) stellt für die Teilnehmer(innen) am REGINE-Projekt die Chance dar, das Stigma der Lernbehinderung loszuwerden. Diese Chance ist jedoch auch mit Hürden verbunden, die zu nehmen für Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf oftmals sehr schwierig ist. Die folgenden Zitate vermitteln hiervon einen ersten Eindruck. Sie stammen aus Interviews, die 2002 zur Vorbereitung einer Präsentation im Rahmen einer Fachtagung zur beruflichen Rehabilitation in Göttingen mit unseren REGINEAuszubildenden geführt wurden:
- "ln der Berufschule geht alles immer so schnell."
- "Die Lehrer ziehen ihren Stoff durch, und wer nicht mitkommt, hat Pech gehabt. Das ist so, als ob ein Zug abfährt: wer nicht reingekommen ist, muss stehenbleiben."
- "Für meine Mitschüler bin ich nicht normal, für die bin ich der Sonderschüler, der von der Doofenschule. Aber ich fühle mich nicht als Doofer, denn sonst hätte ich keine Lehre gekriegt."
- "Ich lasse das Fragen jetzt sein, da wird man sowieso nur doof angemacht und da habe ich keinen Bock drauf."
So wurde der Eintritt in die Berufschule für die meisten REGINE-Teilnehmer(innen) als starke Zäsur erlebt: Stellte die Schule für Lernhilfe noch einen Schonraum dar, in dem sich die Lehrer(innen) relativ viel Zeit für einzelne nehmen konnten, da die Klassenstärke sehr überschaubar war und in dem man sich mit seinen Leistungen vielleicht sogar im obersten Drittel befand, so sieht die Realität in der Berufschulklasse komplett anders aus: Die eigenen Leistungen müssen relativiert werden, Schüler(innen), die früher gute Leistungen erbracht haben, schreiben plötzlich nur noch mangelhafte oder ungenügende Arbeiten. Im Unterricht verstehen sie "nur Bahnhof' - richtet sich doch das Tempo, mit dem die Lehrer(innen) den Stoff durchnehmen, in der Regel nach dem durchschnittlichem Auffassungsvermögen der Klasse. Dieses liegt jetzt um ein Vielfaches höher als gewohnt- REGINE-Teilnehmer(innen) befinden sich in einer Klasse mit ehemaligen Haupt- und Realschüler(inne)n, in einigen Ausbildungsberufen sogar mit Abiturient(inn)en. Gelegentlich, wie z. B. in Göttingen im Gastronomiebereich, wird ein niedriger qualifizierter Beruf (hier: Fachkraft im
AG 3: Unterstützung wohnortnaher Ausbildungskonzepte durch Berufsschulen 57
Gastgewerbe) zusammen mit weitaus höher qualifizierten Berufen (hier: Hotelfachfrau und Restaurantfachfrau) unterrichtet.
Dieser gravierende Einschnitt von der Sonder-Förderschule zur Regelberufsschule und damit häufig vom guten zum schlechten Schüler bzw. von der guten zur schlechten Schülerin führt dazu, dass das Selbstwertgefühl von REGINETeilnehmer(inne)n gerade in der Anfangszeit der Ausbildung einer harten Belastungsprobe ausgesetzt ist - und damit einhergehend häufig auch die Leistungsfähigkeit und die Motivation.
Unseres Erachtens kann hier eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonal und REGINE-Betreuungspersonal einiges auffangen. Hierzu gehören neben den regelmäßigen Kontakten folgende Absprachen zwischen Berufsschule und Betreuer(inne)n:
- Sicherstellen der Erreichbarkeit
- Regelmäßiger Informationsaustausch
- Benachrichtigung bei Krisen
- Feste Ansprachpartner
- lnitiierung von Prüfungserleichterungen
- Informationen über Unterrichtsmethoden und Lehrpläne
- Vernetzung der Zusammenarbeit
Beispiele einer solchen gelungenen Kooperation zwischen der Schule und dem Bildungsträger gibt es einige. Leider ist diese Zusammenarbeit nicht institutionalisiert, sondern abhängig vom persönlichen Engagement der Lehrer(innen).
Berufsbildende Schulen sind im Grunde nicht darauf ausgerichtet, lernbehinderte Auszubildende angemessen zu unterrichten. Dies zeigt ein Blick auf die strukturellen Rahmenbedingungen:
- REGINE-Teilnehmer(innen) haben sonderpädagogischen Förderbedarf, jedoch die wenigsten Lehrer(innen) an Berufsbildenden Schulen verfügen über eine sonderpädagogische (Zusatz-)Ausbildung.
- Große Klassenstärken: Zwei Drittel aller REGINE-Teilnehmer(innen) wurden und werden in Klassen mit 20 bis 38 Schüler(inne)n unterrichtet.
Das LeistLngsniveau entspricht dem Hauptschul- und Realschulabschluss.
- Das Tempo, in dem der Unterrichtsstoff vermittelt wird, ist für Schüler(innen) mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu hoch
- Viele Schulbücher enthalten kompliziert formulierte Texte und Erklärungen, die für Schüler(innen) mit sonderpädagogischem Förderbedarf ungeeignet sind.
---- -------------------------
58 Erich Lenk, Brigitte Kumbier-Jordan, Birgit Lechner
Was müsste sich ändern? Idealerweise sollte auf die individuelle Lernfähigkeit der SchülerQnnen) eingegangen werden. Dies wäre denkbar, könnte man REGINE-Teilnehmer(innen) zu einer Sonderklasse zusammenfassen. Leider war das in unserem Projekt nicht möglich, und zwar aus folgenden Gründen:
REGINE-Teilnehmer(innen) wohnen - zumindest im ländlichen Raum - weit verstreut auseinander, d. h. in Einzugsgebieten unterschiedlicher Berufschulen. Unsere Bemühungen in einem Fall, Einfluss auf den Ort der Beschulung zu nehmen, damit eine angemessenere Lernsituationen hätte entstehen können (die Entfernung zum Wohnort der Schüler wäre sogar kürzer gewesen), scheiterten daran, dass Schulleitungen wirtschaftliche Entscheidungen treffen müssen.
REGINE-Teilnehmer(innen), die in demselben Einzugsgebiet wohnen, lernen in den wenigsten Fällen denselben Beruf! Das Eingehen auf die persönlichen Ressourcen und damit auch den individuell passenden Beruf ist ja gerade eine der Besonderheiten von REGINE.
An diesen Beispielen aus der Praxis wird deutlich, dass es nicht ausreicht, mit einzelnen engagierten Lehrer(inne)n ein positives Ausbildungs- und Schulergebnis zu erzielen. Vielmehr müssen auf institutioneller und auf politischer Ebene sachliche, räumliche und personale Ressourcen bereitgestellt werden, um wohnortnahe Ausbildung für Schüler(innen) mit sonderpädagogischem Förderbedarf selbstverständlich zu machen.
Die folgenden Forderungen an die Politik beziehen sich nicht nur auf die Verbesserung der schulischen Situation von Teilnehmer(inne)n des REGINEProjekts. Diese haben ihre Förderbedürftigkeit mit dem Reha-Status attestiert bekommen. Daneben gibt es aber - besonders in handwerklichen Berufen -eine Vielzahl von Auszubildenden mit ausgeprägter Lernschwäche: die sogenannten Benachteiligten. Forderungen an die Politik zielen deshalb auf die Verbesserung der Beschulung von allen Schüler(inne)n mit erhöhtem Förderbedarf:
- Einrichtung von Sonderklassen
- Differenzierter Unterricht
- Eigene Klassen für niedriger qualifizierte Berufe
- Kleine Klassen
- Reha-spezifische Fortbildung des Lehrpersonals
- Zeit für gemeinsame Förderplanung
- Zeitbudget für Lehrer(innen) zum Informationsaustausch mit Bildungsträ-gern I zur Betreuung der Rehabilitand(inn)en
Dies sind keine ganz neuen Forderungen; die Empfehlungen der Ständigen Konferenz der Kultusminister 1994 zur Förderung des sonderpädagogischen Bedarfs im berufsbildenden Bereich verweisen auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit aller am Rehaprozess Beteiligten und die Möglichkeit der Unterstüt-
-----------··---
AG 3: Unterstützung wohnortnaher Ausbildungskonzepte durch Berufsschulen 59
zung einer qualifizierten Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf.
Und damit bin ich wieder am Beginn meiner Ausführungen: Aller Anfang ist schwer!
Diskussionsergebnisse:
Berichterstattung: Birgit Lechner, Institut für empirische Soziologie
lntegrative Beschulung in der Regelberufsschule versus gezielte Förderung in Sonderberufsschulen
Von einigen Teilnehmer(inne)n wurde die Grundsatzfrage aufgeworfen, was für und was gegen eine integrative Beschulung spricht. Als positive Argumente wurden das dem REGINE-Konzept zugrundeliegende Normalitätsprinzip und die Vermeidung von Stigmatisierung angeführt. Vorgeschlagen wurde, den Jugendlichen ab einem bestimmten Beeinträchtigungsgrad Sonderpädagogen zur Seite zu stellen, die mit ihnen den Unterrichtsstoff erarbeiten und sie bei der Vor- und Nachbereitung unterstützen, um ihnen so die Teilnahme am Unterricht zu erleichtern. Als weitere Fördermöglichkeit wurde die Bildung von Sonderklassen an Regelberufsschulen genannt, in denen Jugendliche mit besonderem Förderbedarf zusammengefasst werden. Die Verwirklichung dieser Lösung wurde jedoch aus Kostengründen als eher unwahrscheinlich eingeschätzt.
Gegen eine integrative Beschulung sprechen nach Auffassung der Diskussionsteilnehmer(innen) hauptsächlich die unzureichenden Bedingungen an Regelberufsschulen und die daraus resultierenden Folgen für förderbedürftige Jugendliche. Allein die Größe von Regelberufsschulen und der damit verbundene "Massenbetrieb", der kaum Möglichkeiten einer persönlichen Betreuung biete, überfordere viele lernbehinderte Schüler(innen). Des Weiteren gaben einige Teilnehmer(innen) zu bedenken, dass mit einer Unterrichtung von behinderten Auszubildenden an Regelberufsschulen nicht in jedem Fall Stigmatisierung vorzubeugen bzw. zu vermeiden ist. Vielmehr zeige die Praxis, dass Diskriminierung von Schüler(inne)n mit Lernbehinderungen durch ihre Mitschüler(innen) an Regelberufsschulen oftmals sehr viel gravierender ist als ein Besuch der Sonderberufsschule. Zudem biete diese den behinderten Auszubildenden genau die Arbeitsbedingungen, die sie benötigen und die an der "normalen" Berufsschulen nicht zu realisieren seien: kleine Klassen, sozialpädagogisch ausgebildetes Fachpersonal und gezieltes Eingehen auf die individuelle Leistungsfähigkeit der Einzelnen. Versuche von einigen wenigen Sonderberufsschüler(inne)n, an eine Regelberufsschule überzuwechseln, seien in den meisten Fällen gescheitert, so dass diese nach relativ kurzer Zeit wieder an die Sonderberufsschule zurückkehren mussten. Da Regel- und Sonderberufsschüler(innen) zwar unterschiedliche Wege beschreiten, jedoch letztlich die gleiche Abschlussprüfung zu absolvieren haben, plädierten vor allem die in der Ar-
60 Erich Lenk, Brigitte Kumbier-Jordan, Birgit Lechner
beitsgruppe vertretenen Lehrkräfte für die Unterrichtung behinderter Jugendlicher an Sonderberufsschulen.
Forderung von verbesserten Bedingungen an Regelberufsschulen stoßen auf Skepsis
Politisch orientierte Forderungen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für (lern-)behinderte Auszubildende an Regelberufsschulen hielt ein Teil der Arbeitsgruppe für eher unrealistisch. Begründet wurde dies nicht nur mit knappen Ressourcen, sondern auch mit der hohen Inhomogenität vieler Berufsschulklassen, in denen Sonderschüler(innen), Hauptschüler(innen), Realschüler(innen) und Gymnasiast(inn)en gemeinsam unterrichtet würden. Dem unterschiedlichem Bildungsstand und Leistungsniveau aller Schüler(innen) gerecht zu werden sei in der Praxis kaum einlösbar. Deutlich wurde in der Diskussion, dass eine integrative Beschulung gelegentlich auch an zu starren Regelungen scheitert: So berichtete eine Teilnehmerin von zwei gehörlosen Schülerinnen aus Berlin, die an einer Regelberufsschule deshalb nicht aufgenommen werden konnten, weil dort keine Dolmetscher bezahlt werden durften. Die beiden mussten daraufhin eine wohnortferne Sonderberufsschule in Essen besuchen.
Individuelle Entscheidungen anstelle von Pauschallösungen
Gegen eine generelle Ausbildung (lern-)behinderter Jugendlicher in Sonderberufsschulen wurde eingewandt, dass trotz unzureichender Förderbedingungen an Regelberufschulen ein Teil der REGINE-Teilnehmer(innen) durchaus in der Lage war, die Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Zudem stünden Sonderberufschulen nicht flächendeckend zur Verfügung, und das Berufsspektrum sei stark eingeschränkt. Die Sonderberufsschule wurde aus diesen Gründen nicht generell als Schulform der Wahl angesehen. Vielmehr sollte die Entscheidung individuell unter Berücksichtigung der vor Ort gegebenen konkreten Rahmenbedingungen getroffen werden. Vor diesem Hintergrund sei auch hier nach der Maxime "So normal wie möglich, so speziell wie erforderlich" zu entscheiden, wie viel Schonraum für die einzelne(n) Rehabilitand(inn)en notwendig und förderlich ist. Um eine optimale Lösung für die einzelnen Jugendlichen treffen zu können, wurde die Durchlässigkeit zwischen unterschiedlichen Lernorten und Schulformen als besonders bedeutsam hervorgehoben. Hierfür wäre eine weitere Öffnung der Sonderberufsschulen (ggf. auch unter Berücksichtigung der an Berufsbildungswerke angegliederten Schulen) für Jugendliche erforderlich, die eine betriebliche Ausbildung absolvieren. Als mögliche Lösung wurde ein Modell vorgeschlagen, das aus einzelnen Bausteinen besteht, die sich fallspezifisch kombinieren lassen. ln dieser Richtung wurde noch Entwicklungsbedarf gesehen.
lnstitutionalisierung der Zusammenarbeit zwischen Bildungsträgern und Berufsschullehrer(inne)n sollte verbessert werden
Um die Kooperation zwischen Bildungsträgern und Berufsschullehrer(inne)n im Interesse der Jugendlichen zu verbessern, wurde eine lnstitutionalisierung
AG 3: Unterstützung wohnortnaher Ausbildungskonzepte durch Berufsschulen 61
dieser Zusammenarbeit gefordert. Bislang erfolgt diese ausschließlich informell und ist damit vom persönlichen Engagement der einzelnen Lehrkräfte abhängig. Allerdings wurde in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass nicht nur Jugendliche des REGINE-Modellprojekts einer solchen Förderung bedürfen. Vielmehr gibt es darüber hinaus eine Reihe benachteiligter Schüler(innen), die ebenso auf eine gezielte schulische Unterstützung angewiesen sind. Das heißt aber, dass letztlich kein Weg an einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen an Regelberufsschulen vorbeiführt, will man nicht alle Schüler(innen), die dort- aus welchen Gründen auch immer- Probleme haben oder Probleme verursachen, an häufig mehr oder weniger wohnortferne Spezialeinrichtungen verweisen.
63
Abschließende Plenumsdiskussion Moderation: Dr. Hendrik Faßmann
Berichterstattung: Renate Steger, Dr. Hendrik Faßmann, Institut für empirische Soziologie an der Friedrich-Aiexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Nach einer Vorstellung der Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen konzentrierte sich die Plenumsdiskussion im Wesentlichen auf drei Aspekte.
Der erste davon betraf Anreize für Arbeitgeber, verstärkt lernbehinderte Jugendliche einzustellen. Eine Teilnehmerin war der Ansicht, die Bildungsträger sollten Ausbildungsbetriebe nicht nur im Hinblick auf mögliche Fördermittel beraten, sondern sie auch bei der Antragstellung unterstützen, da viele Arbeitgeber(innen) erfahrungsgemäß den mit der betreffenden Beantragung erforderlichen Aufwand scheuten. Dagegen wurde eingewandt, dass dies hauptsächlich fü.r kleinere Unternehmen gelte. Grassbetriebe seien dagegen über Fördermittel bestens informiert und in der Lage, die bestehenden Möglichkeiten optimal auszuschöpfen. Als für die Ausbildungsplatzakquise hinderlich wurde auch der häufig lange Zeitraum zwischen Beantragung von Zuschüssen und ihrer tatsächlichen Auszahlung angesehen, der insbesondere für kleinere Betriebe oft ein Problem darstellt. Schließlich wurde darüber diskutiert, inwieweit ein Verzicht auf einen Teil der Ausbildungsvergütung dazu beitragen könnte, mehr Betriebe dafür zu gewinnen, Jugendliche auszubilden.
Der zweite Aspekt betraf die Rolle von Regelberufsschulen bei der beruflichen Rehabilitation von Jugendlichen. Nachdem Herr Prof. Seyd die These vertreten hatte, aufgrund der Ergebnisse des Modellprojekts müsse man die Regelberufsschulen als Partner bei der beruflichen Rehabilitation von Jugendlichen abschreiben, berichteten einige Teilnehmerinnen von positiven Erfahrungen, die sich allerdings alle auf eng begrenzte Einzelbeispiele und Modellprojekte bezogen. So berichtete ein Teilnehmer über ein Modell mit hörbehinderten Jugendlichen, in dem Sonderpädagogen in Regelberufsschulen unterstützend tätig waren und damit gute Ergebnisse erzielen konnten. Es herrschte Einigkeit darüber, dass diese Möglichkeiten erheblich ausgebaut werden müssten, damit Rehabilitand(inn)en mit Lernbehinderungen vermehrt Chancen hätten, auch solche Berufe zu erlernen, für die es keine Sonderberufsschulen gibt.
Als dritter Bereich wurde das Thema Vernetzung angesprochen. Im Mittelpunkt dieser Diskussion stand die dem Projekt zugrundeliegende Idee, erforderliche Leistungen im Wohnumfeld der Jugendlichen zu erschließen und geeignete Netzwerkpartner mit der Leistungserbringung zu beauftragen. An unterschiedlichen Beispielen wurde deutlich, dass ein solches Verfahren dann zum Einsatz kam und funktionierte, wenn die Bildungsträger aufgrund des Einzugsbereichs oder wegen geforderter Spezialqualifikationen nicht in der Lage waren, diese Leistungen selbst zu vertretbaren Kosten bereitzustellen. ln die-
64
sen Fällen wurden entweder Honorarkräfte beauftragt oder Bildungseinrichtungen vor Ort mit in die Betreuung eingebunden.
Frau Weisener-Helebrant vom Berufsbildungswerk Waiblingen berichtete, Versuche ansässige Psychotherapeut(inn)en mit in die Versorgung der Rehabilitand(inn)en einzubinden, scheiterten nicht selten daran, dass wenig Interesse zeigten und bevorzugt andere Zielgruppen behandelten. Herr Bar/sen schilderte einen anderen gescheiterten Vernetzungsversuch im Rahmen des ähnlich wie REGINE angelegten Modellprojekts MobiliS für sehbehinderte und blinde Rehabilitand(inn)en: Hier wurde versucht, die Integrationsfachdienste mit in die Akquise von Ausbildungsplätzen einzubinden, um dabei von deren Arbeitsmarktkenntnissen zu profitieren. Da sich die Integrationsfachdienste zu diesem Zeitpunkt in einer Phase der Umstrukturierung befanden, war eine Kooperation jedoch kurzfristig nicht realisierbar. Die Beispiele zeigen, dass der Aufbau geeigneter Netzwerkkontakte nicht selten langfristige Überzeugungsarbeit und zeitintensive Abstimmungsprozesse erfordert.
Zum Abschluss der Tagung verband Herr Maier-Lenz im Namen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation seinen Dank für die Teilnahme und aktive Mitarbeit mit dem Appell, sich auch weiterhin auf der politischen Ebene für eine integrative Bildung an Berufsschulen einzusetzen. Er begründete dies u.a. mit den Ergebnissen der PISA-Studie, die gezeigt haben, dass jene Länder am besten abschnitten, die konsequent integrative Bildungskonzepte verwirklichen. Gleichzeitig plädierte er für eine stärkere Durchlässigkeit zwischen Regel- und Sonderberufsschule, da der Grundsatz "So normal wie möglich, so speziell wie erforderlich" nur bei Nutzung aller Bildungsangebote in optimaler Weise umgesetzt werden könne.
------- -------- ---~-~~~-~.~ ~--
Liste der Fachtagungsteilnehmer(innen) Altstadt, Heike
Berufsbildungswerk Harnburg GmbH
Reichsbahnstraße 52+53, 22525 Harnburg
Armoneit, Margit Bildungszentrum Saalfeld gGmbH
Käthe-Kollwitz-Straße 2, 07318 Saalfeld
Arnhold, Renate Bundesverband der Elternkreise e. V. (BVEK)
DOrerplatz 3, 18057 Rosteck
Assmus, Oliver Verband Deutscher Rentenversicherungsträger
Eysseneckstraße 55, 60322 Frankfurt a. M.
Barlsen, Jörg Berufsbildungswerk Nordhessen, Rehabilitationszentrum Bathildisheim Mengeringhäuser Straße 3, 34454 Bad Arolsen
Bartelmes, Edith
Projekt BOB Herzogenbuseher Straße 52, 54292 Trier
Baumann, Ulrike
Club Aktiv e.V. Schützenstraße 20, 54295 Trier
Berringer, Christian, Dr. Beauftragter der Bundesregierung fOr die Belange behinderter Menschen Mauerstraße 53, 10117 Berlin
Berthold, Ute Berufsbildungswerk fOr Blinde und Sahbehinderte gGmbH
Flemmingstraße Be, 09116 Chemnitz
Bochnig, Ulrich Agentur für Arbeit Nienburg Verdenar Straße 21, 31582 Nienburg
Böckmann, Frank Arbeitsgemeinschaft Deutscher Berufsförderungswerke
August-Krogmann-Straße 52, 22159 Harnburg
Börgerling, Wilfried Stiftung fOr Bildung und Behindertenförderung GmbH Heidehofstraße 33, 70184 Stuttgart
Breyer, Evelin Sächsisches Staatsministerium für Kultus
Carolaplatz 1, 01097 Dresden
65
66 Liste der Fachtagungsteilnehmer(innen)
Deutrich, Hans-JOrgen Landesarbeitsgemeinschaft "Freier Träger d. JSA" in Sachsen Am Stadtpark 2, 04860 Torgau
Eckhoff, Marcus Bundesarbeitsgemeinschaft wohnortnahe Rehs-Einrichtungen Schmalbachstraße 8, 38112 Braunschweig
Faßmann, Hendrik, Dr. Institut für empirische Soziologie an der Universität Erlangen-Nürnberg Marienstraße 2, 90402 Nürnberg
Fehrkamp, Andreas Barrierefreies Rosteck e. V. Auf der Huder 6, 18055 Rosteck
Fieck, Hiltrud Annedore-Leber-Berufsbildungswerk Paster-Behrens-Straße 88, 12359 Berlin
Fiedelers, Anja Recklinghäuser Arbeitsförderungsinitiative e.V. (re.init) Am Stadion 47, 45659 Recklinghausen
Frank, Lorenz Berufsbildungswerk Nordhessen Hoffmann-von-Fallersleben-Straße21, 34117 Kassel
Fraundorf, Gunter BFW Frankfurt am Main
Huizener Str. 60, 61118 Bad Viibei
Fuchs-Schurr, Regina BAWAalen
Felix-Wankei-Straße 11, 73431 Aalen
Fülle, Angelika Allgemeiner Behindertenverband in Deutschland - ABiD Friedrichstraße 95, 10117 Berlin
Glende, Susanne Barrierefreies Rosteck e. V. Auf der Huder 6, 18055 Rosteck
Grabow, Ralf Ohne Barrieren Rosteck e.V.
Elmenhorster Weg 36, 18109 Rosteck
Haack, Karl Hermann Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Mansche Mauerstraße 53, 10117 Berlin
Hagen, Björn FAWgGmbH
Demolierung 2, 23909 Ratzeburg
-------
Liste der Fachtagungsteilnehmer(innen)
Heikenroth, Cornelia, Dr. Fortbildungsakademie der Wirtschaft gGmbH Bamberger Straße 7, 01187 Dresden
Heinik, Stefan, Dr. Allgemeiner Behindertenverband in Deutschland e.V.-ABiD Friedrichstraße 95, 10117 Berlin
Höfling, Peter Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Bayern Regensburger Straße 100, 90327 Nürnberg
Hohdorf, Antje Hansestadt Rostock, Büro für Behindertenfragen Neuer Markt 1, 18055 Rosteck
Hombach, Wolfgang Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung Wilhelmstraße 49, 11017 Berlin
Hübner, Barbara Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Brandenburg Steinstraße 104-106, 14480 Potsdam
Jahnke, Ralf Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport, Abt. VI-Jugend
Beuthstraße 6-8, 10117 Berlin
Jennrich, Stephanie Brücke Schleswig-Holstein gGmbH Feldschmiede 83, 25524 ltzehoe
Jugel, Martina, Dr.
67
Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin, Integrationsamt und Hauptfürsorgestelle
Sächsische Straße 28, 1 0707 Berlin
Kitsche, Klemens Berufsbildungswerk Leipzig für Hör- und Sprachgeschädigte gGmbH Knautnaundorfer Straße 4, 04249 Leipzig
Klemm, Norbert Berufsbildungswerk Caritas-Don Bosco-Werk Würzburg GmbH Schottenanger 15, 97082 Würzburg
Klöppel, Ulrike Fortbildungsakademie der Wirtschaft gGmbH Altenburger Straße 64 a, 04617 Rositz
Koch, Stephanie Agentur für Arbeit Magdeburg, Abteilung Berufsberatung
Hohepfortestraße 37, 39104 Magdeburg
Köhler, Gerhard Jugendförderungswerk Erfurt/BAG WBR Storchmühlenweg 8, 99089 Erfurt
Kroll, Karin, Dr.
68
Berufsbildungswerk im Oberlinhaus gGmbH
Steinstraße 80/82/84, 14480 Potsdam
Krüger, Herbert ISB gGmbH Potsdamer Straße 141, 1 0783 Berlin
Kumbier..Jordan, Brigitte Institut für engewandte Sozialfragen IFAS Weenderstraße 39, 37073 Göttingen
Kurth-Laatsch, Sylvia Kaltenborn-Wirtschaftsforschung Pettenkoferstraße 16-18, 10247 Berlin
Kutz, Cornelia Christi. Jugenddorfwerk, Außenstelle Lünen Münsterstraße 45, 44534 Lünen
Lathan, Thomas Berufsbildungswerk Leipzig Knautnaundorfer Straße 4, 04249 Leipzig
Lechner, Birgit
Liste der Fachtagungsteilnehmer(innen)
Institut für empirische Soziologie an der Universität Erlangen-Nürnberg Marienstraße 2, 90402 Nürnberg
Lenk, Erich Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation Walter-Kolb-Straße 9-11, 60594 Frankfurt/Main
Leutloff, Hans..Jürgen Sozialverband Deutschland e.V. Stralauer Straße 63, 10179 Berlin
Lewerenz, Maren Bundesagentur für Arbeit Regensburger Straße 100, 90327 Nürnberg
Liebmann, Heike Bildungszentrum Saalfeld GmbH Am Gewände 7, 07333 Unterwellenborn
Maier-Lenz, Rolf-Jürgen Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation Walter-Kolb-Straße 9-11, 60594 Frankfurt/Mein
Meergarten, Monika Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit Friedrichstraße 34, 10969 Berlin
Mielenz, Erika Landesjugendamt Berlin LJA I C 3 Beuthstraße 6-8, 1 0117 Berlin
Liste der Fachtagungsteilnehmer(innen)
Müller, Werner Berufsbildungswerk Südhessen gGmbH Am Heroldsrain 1, 61184 Karben
Müller-Baron, lngo Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation Walter-Kolb-Straße 9-11, 60594 FrankfurUMain
Müller-Preußker, lngeborg Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen Mauerstraße 53,10117 Berlin
Muzykant, Lothar Berufsbildungswerk Hof Südring 96, 95032 Hof (Saale}
Nürnberger, lngo Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation Walter-Kolb-Straße 9-11, 60594 FrankfurUMain
Opelt, Arlett FAW gGmbH -Akademie Altenburg Altenburger Straße 20 a, 04617 Rositz
Paulsen, Mike Regionaldirektion Nord Projensdorfer Straße 82, 24106 Kiel
Pieper, Ansgar Institut der deutschen Wirtschaft Köln, REHADA T Gustav-Heinemann-Ufer 84-88, 50968 Köln
Porath, Jörg Berufsbildungswerk Neckargemünd gGmbH Im Spitzerfeld 25, 69151 Neckargemünd
Querengässer, Hartmut Bildungszentrum Saalfeld gGmbH Käthe-Kollwitz-Straße 2, 07318 Saalfeld
Radatz, Joachim ISBgGmbH Potsdamer Straße 141, 1 0783 Berlin
Ritter, Jürgen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte 1 0704 Berlin
Röhrig, Marlinde Bildungswerk der Wirtschaft Sachsen-Anhalt e.V. Olvenstedter Straße 66, 39108 Magdeburg
Rüb, Andrea Sozial- und Jugendamt Stadt FrankfurUZentrum Selbstbestimmt leben Berliner Straße 33-35, 60311 Frankfurt a. M.
69
70
Ruhtz, Annette Bildungseinrichtung Buckow e.V. 16230 Lichterfelde
Rusch, Bernd Rehabilitationskrankenhaus Ulm Oberer Eselsberg 45, 89081 Ulm
Ruß, Andreas Berufsbildungswerk Hof SUdring 96, 95032 Hof
Schilling, Themas Jugendberufshilfe ThOringen e.V. Linderbacher Weg 30, 99099 Erfurt
Schmidt, Tobias Berufsbildungswerk Leipzig Knautnaundorfer Straße 4, 04249 Leipzig
SchOIIer, Kari-Heinz
Liste der Fachtagungsteilnehmer(innen)
Verband Sonderpädagogik e.V. Landesverband NRW Roermonder Str. 42, 52525 Hainsberg
Seeger, Edgar Landeswohlfahrtsverband Hessen, Regionalverwaltung Kassel, ZGM 204 Ständeplatz 6-10, 34117 Kassel
Seyd, Wolfgang, Prof. Dr. Universität Harnburg Sedanstraße 19, 20146 Harnburg
Specht, Gerd-Dieter Recklinghäuser Arbeitsförderungsinitiative e.V. (re-init) Granger Straße 11, 45661 Recklinghausen
Spies-Kollmann, Yvonne Christliches Jugenddorfwerk, Außenstelle LOnen MOnsterstraße 45, 44534 LOnen
Staggenborg, Meike Fachwerk e.V.
Lange Straße 9-11, 31582 Nienburg
Steger, Renale Institut fOr empirische Soziologie an der Universität Erlangen-NOrnberg Marienstraße 2, 90402 NOrnberg
Steinhagen, Jochen Berufsbildungswerk Harnburg gGmbH Reichsbahnstraße 53-55, 22525 Harnburg
Steinke, Bernd Bundesarbeitsgemeinschaft fOr Rehabilitation Walter-Kolb-Straße 9-11, 60594 Frankfurt/Main,
Liste der Fachtagungsteilnehmer(innen)
Stunz, Doris Thüringer Kultusministerium Wemer-Seelenbinder-Straße 7, 99096 Erfurt
Teltow, Ursula Arbeitsgemeinschaft Selbstbestimmte Behindertenpolitik der POS Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin
Triantakonstantis, Hildegard Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation Walter-Kolb-Straße 9-11, 60594 Frankfurt/Main
Ullrich, Eva Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung I Referat 511 Wilhelmstraße 49, 11017 Berlin
vom Hagen, Cäcilia Annedore-Leber-Berufsbildungswerk Paster-Behrens-Straße 88, 12359 Berlin
Wagner, Angela Universität zu Köln, Lehrstuhl für Arbeit und berufliche Reha Heisterbachstraße 14, 50939 Köln
Wasilewski, Rainer, Dr. Institut für empirische Soziologie an der Universität Erlangen-Nürnberg
Marienstraße 2, 90402 Nürnberg
Weisener-Helebrant, Annette Bildungswerk Waiblingen der Diakonie Sielten e.V.
Steinbeisstraße 16, 71332 Waiblingen
Weiß, Peter Bundesarbeitsgemeinschaft wohnortnahe berufliche Reha-Einrichtungen Deulowitzer Straße 33, 03172 Guben
Wendroth, Susanne, Dr. FAA Bildungsgesellschaft Hannover mbH Alte Heerstraße 9, 38644 Goslar
Wieland, Karin BBW Leipzig, Geschäftsstelle Berlin Geergenstraße 35,10117 Berlin
Wölwer, Kurt Berufsbildungswerk Heinrich-Haus Neuwied gGmbH Neuwieder Str. 23, 56566 Neuwied
Wolf, Manfred CJD Jugenddorf Offenburg Zähringerstraße 42-59, 77652 Offenburg
Wunsch, Robert Berufsbildungswerk Soest HattroperWeg 57, 59494 Soest
-~~~- --~~-- ---- ---
71
72
Ziegler, Mechthild Lernen fördern Bundesverband Gerberstraße 17, 70178 Stuttgart
Ziethlow, llonka, Dr. BBW Chemnitz, Geschäftsstelle Berlin . Geergenstraße 35,10117 Berlin
---··--··---·· ··----
Liste der Fachtagungsteilnehmer(innen)
•<j;J'~g~i!~ti~t:tlr~if~nde'Zusaßtprenal!ij~if=~~·qrdfi\i~~u~gund~ß:if~pei".ation· ····~i~:ait~~es!it:Reif~g~meiri~cha{f•fu(.Reli~)jilj~~til)rt:~~)üi~.tjc)iezgeyteilisame Repräsentanz der: Y:~r~·~rid~'·der·~'lliatiilitat,(,onstr~g~l'}";iJer"·B*itdesilgell,tiJtJ1ir l\:1il)eit; .•. ·.der··.·Bundesländer,
· · ~~e~'·Spiti,eav~J{~ande Uer S!>tiil}~an~rrer. s,o)V;ietller ':Kill.~~enjH.!il:~cli-ellBilndesvereinlgung ... zur ' ·······.if.?ii'#tertiilgHin!1'1~t!or!lillierung;der.\Rehil61Iit:i.tiontitid''I'eJ)hab'ebeliindetterMenschen •
. -., .. -::"-·<:·:.:-:·:_.-:·-··-~------·:··-:.:-~-,.,:··· ,. ,_,:·.- .--. .-- -- .-,-_-\·-·- _,_ - -.·:_-~- . .--· -
ISBN 3-9807410-4-4
-------