198-209_künstliche riffe – ein begriff, viele bedeutungen

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»abgetaucht«Begleitbuch zur Sonderausstellung zum internationalen Jahr des Riffes 2008Herausgeber:Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin,Reinhold Leinfelder, Georg Heiss, Uwe MoldrzykRedaktion:Georg Heiss, Uwe MoldrzykGestaltung und Satz: Nils HoffKonradin Verlag Rob. Kohlhammer GmbH Ernst Mey-Strasse 870771 Leinfelden-EchterdingenDas Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherungin und Verarbeitung durch elektronische Systeme.Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Umschlaggestaltung: Nils HoffDruck: Druckerei Conrad GmbHPrinted in GermanyISBN 3-920560-23-X

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Künstliche Riffe – ein Begriff, viele Bedeutungen

Wenn heutzutage immer mehr Menschen sorgenvoll über den Erhalt der Korallenriffe diskutieren, taucht früher oder später der Begriff »Künstliche Riffe« auf. Für die einen sind künstliche Riffe Hoffnungsträger, für andere Beruhigungsmittel: Schäden wür-den sich schon wieder ausgleichen lassen. Eine einfallsreiche Industrie verspricht sogar, die Gaben der Natur, insbesondere den Fischreichtum, durch künstliche Riffe zu steigern. Eine Ausstellung und Dokumentation über natürliche Korallenriffe ist daher ein geeigneter Anlass, ihre von Menschen gemachten »Geschwister« näher in Augenschein zu nehmen. Der Begriff Künstliche Riffe wird, wie schon eine kurze Durchsicht der Literatur zeigt, in sehr unterschiedlicher Bedeutung und vielfach ge-dankenlos verwendet. Hierzu einige Beispiele aus verschiedenen Einsatzbereichen:

Steigerung der Fischereierträge

Es ist eine alte Erfahrung, dass Fische von strukturreichen Erhebungen über einem ansonsten einförmigen Meeresboden angezogen werden. In Japan haben Verfahren, fischereiwirtschaftlich wichtige Arten an vorbestimmten Stellen durch geeignete Strukturen zu konzentrieren, eine lange Tradition. Nach dem zweiten Weltkrieg setzten weltweit Aktivitäten ein, Kunstprodukte zur Strukturanreicherung und damit zur Verbesserung der Fischereierträge zu verwenden. Einen wesentlichen Anstoß gaben Pilotstudien vor der kalifornischen Küste. Hiernach erwiesen sich versenkte Schiffe, ausgedientes Kriegsgerät, Straßenbahnwagen, aber auch spezielle »hou-sing schemes« aus Beton als attraktive Verstecke für Fische und lockten darüber

Helmut Schuhmacher

Abb.1:

Ein künstliches

Miniriff imitiert einen

aufragenden Riff-Felsen

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hinaus fischereiwirtschaftlich wertvolle Raubfische an. Das oft wahllose Versenken von Schiffen und Autowracks geschah anfangs ohne die geringsten Versuche einer Reinigung von Öl und giftigen Farbanstrichen. In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte sich besonders in Japan und den USA eine eigene Indus-trie, die speziell geformte Hohlblocksteine und andere sperrige Beton- und Stahlm-odule fertigt, die auf dem Meeresboden abgesetzt und zu haushohen Einheiten auf-getürmt werden, um die Ansiedlung von Algen, Muscheln, Tintenfischen, Krebsen und Fischen zu erhöhen.

Gleichzeitig entwickelte sich ein Bboom in der Entsorgung von alten Autoreifen: Als „Reifenriffe“ setzten sie ihr Dasein unter Wasser fort (Abb.4). Nicht alle kamen al-lerdings auf den Sandflächen zur ewigen Ruhe – von den Abermillionen Altreifen wurden viele durch Stürme und Strömungen in benachbarte Korallenriffe und an den Strand gerollt. „Rigs to reefs“ ist ein weiteres Beispiel, Entsorgungskosten zu sparen: Ausgediente Ölplattformen wurden – semantisch verklärt – der Fischereiwirtschaft mit der Verheißung angedient, die Diversität und Produktivität der küstennahen Mee-resgebiete zu steigern. In die gleiche Richtung geht das Verklappen von Asche aus Kohle- und Ölkraftwerken, die - mit Gips zu Würfeln verpresst - zu „ash reefs“ ver-wandelt wurden.

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Künstl iche Rif fe – ein Begrif f, viele Bedeutungen

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Abb.2: Weltkrieg II-Relikt, seit über 50 Jahren am Meeresboden.

Abb.3: Verschiedene Versuche,

auf künstlichem Wege die

Strukturvielfalt von Korallen-

riffen für Fischereizwecke

nachzuahmen: a) Reifenriff

mit Stabilisierungsstangen,

b) Autowracks, c) Schiffswrack,

d)aufgetürmte Betonmodule.

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Abb.5 (oben links): Reste eines Bambusriffes, drei Jahre nach Versenkung; Philippinen. Abb.6 (oben rechts): Wrack eines japa-

nischen Frachters, 50 Jahre nach der Versenkung in der Lagune von Truk (Mikronesien) Abb.7 (mitte links): An Land sind Wracks

als Landschaftsschmuck verpönt, Abb.8 (mitte rechts): unter Wasser gelten offenbar andere ästhetische Regeln: Schiffswrack, vier

Jahre nach der Versenkung als »Abenteuerspielplatz« für Taucher noch kaum besiedelt; Rotes Meer südlich Aqaba. Abb.9 (unten

links): Besiedlungsbeispiele elektrochemisch erzeugter Kalkstrukturen bei Calvi, Korsika (Mittelmeer); Halle zwei Monate nach

Beginn der Bestromung, Abb.10 (unten rechts): mit zahlreichen Steinkorallen Caryophyllia inornata.

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Bambus ist in Südostasien ein lokal verfügbares vielseitiges Baumaterial. „Bamboo reefs“ werden jährlich zu vielen Tausenden ausgebracht. Es handelt sich dabei um 2-5m hohe, oft tetraedrische Konstruktionen aus Bambusstangen und Palmblatt-wedeln, die mit Stricken und dünnen Bambusruten miteinander verbunden sind. Mit Steinen beschwert ragen sie nur wenige Jahre vom Meeresboden auf, dann ist das Pflanzenmaterial verrottet.

Diese wenigen Beispiele illustrieren die Vielfalt der Materialien und Formen, die auf den Meeresboden versenkt werden mit der Assoziation Riff = Fischreichtum. Die hauptsächliche Einsatztiefe dieser Kunstbauten liegt im Flachwasser zwischen 10 und 30m; es wurden aber auch »deep water reefs« zwischen 60 und 117m etabliert. Der Kuriosität halber seien noch die »floating reefs« erwähnt: am Grund verankerte, segel- bzw. drachenartige Strukturen im freien Wasser oder an der Oberfläche, in deren Schatten sich Fische ansammeln.

Förderung des Tauchtourismus

Zur Steigerung des Erlebniswertes der Unterwasserwelt bei marinen Freizeitanlagen und Tauchzentren sind ausgediente Schiffe gezielt versenkt worden). Die ökologisch fragwürdige Anreicherung der Unterwasserlandschaft mit derartigen künstlichen Riffen wird von den Planern tauchtouristischer Anlagen unter anderem damit ge-rechtfertigt, dass hierdurch der Druck auf benachbarte Korallenriffe, die durch tou-ristische und andere Übernutzung von Degradation bedroht sind, gemindert würde. Außerdem schütze die Nutzung künstlicher Unterwasserstrukturen als Tauchgebiet die sich hier einstellenden Fischbestände vor Nachstellungen durch die Fischerei - mit positiven Auswirkungen auf die Bestandspflege.

Riffrehabilitation

Korallenriffe sind heute vielerorts mechanisch geschädigt bzw. zerstört; das heißt, die aufragenden Skelettstrukturen sind durch Schiffshavarien, Ankerwurf, Dynamitfi-scherei und andere zerstörerische Aktivitäten zu Schutthalden eingeebnet. Auf dem losen, profilarmen Geröll sind Korallenansiedlungen nicht oder nur sehr langsam erfolgreich. »Riffprothesen«, die in die Wunden eingefügt werden, können den Reha-bilitationsprozess beschleunigen. Von einer amerikanischen Firma werden weltweit »reef balls« propagiert und vertrieben. Es handelt sich dabei um hohle und durch-löcherte Betonhalbkugeln von 1-2 m Durchmesser. Sie werden von einem Schiff auf die zerstörten Flächen abgesetzt und bilden dann eine Ansammlung von Iglus, die bald von Fischen, Krebsen und Tintenfischen aufgesucht werden; eine merkbare Korallenansiedlung dauert mehrere Jahre. Obwohl die spezifische Betonmischung dem Riffkalk wesentlich näher kommt als Granit, Eisen oder Kunststoff, müssen an-spruchslose Pionierarten wie Kalkröhrenwürmer und Kalkalgen zunächst den Boden

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Abb.4 (vorherife Seite):

Zerfallenes Reifenriff,

elf Jahre alt; Philippinen.

stangen, b) Autowracks,

c) Schiffswrack, d) aufge-

türmte Betonmodule..

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punktuell vorbereiten. Im Zusammenspiel mit speziellen mikrobiellen Siedlern kom-men erst allmählich die strukturellen und biochemischen Schlüsselreize zustande, die eine vorbei treibende Korallenlarve zum Festsetzen animieren.

Die Phase des anfänglichen Brachliegens und erster tastender Ansiedlungen lässt sich drastisch verkürzen, indem 1. ein möglichst naturnaher Besiedlungsuntergrund gewählt und 2. mit Korallenstecklingen die Wiederaufforstung beschleunigt wird. Die meeresbiologische Arbeitsgruppe des Institutes für Ökologie, Universität Essen, hat schon vor über 20 Jahren ein Verfahren des deutsch-amerikanischen Architekten Wolf Hilbertz aufgegriffen, bei dem eine Trägerkonstruktion aus Eisen galvanisch von einem direkt aus dem Meerwasser abgeschiedenen Kalkmischsubstrat überkrustet wird (siehe Kasten). Durch Einleiten von Gleichstrom in das Meerwasser werden die gelösten Salze auf der Kathode niedergeschlagen – in erster Linie Kalziumkarbonat, Brucit (Magnesiumhydroxid) und Gips. In langen Versuchsreihen im Mittelmeer und Roten Meer konnte das Stromregime für das ERCON (Electrochemical Reef CONs-truction)-Verfahren so gesteuert werden, dass fast ausschließlich Aragonit entsteht – die Kalkmodifikation, aus der auch die Korallenskelette aufgebaut sind. Als Katho-denmaterial dient Maschendraht; dieser lässt sich beliebig zu Vorsprüngen und Höh-lungen biegen und in die jeweilige Topographie des Riffes einpassen. Fragmente von Korallenkolonien – aufgesammelt von Havarieplätzen und Ankerstellen bzw. ge-zielt vermehrt in Korallen-Baumschulen – werden einfach in die Maschen des Katho-dengitters gesteckt. Dort werden sie durch die elektrochemische Kalkabscheidung fest zementiert und wachsen weiter. Das aus dem umgebenden Wasser niederge-schlagene Hartsubstrat wird binnen weniger Monate von einer Pioniergesellschaft, sodann aber auch von standorttypischen Korallen und anderen Organismen besie-delt. Hierzu gehören auch Bohralgen und andere Bio-Erodierer; das heißt, das volle Spektrum der auf- und abbauenden Prozesse in einem natürlichen Riff ist präsent.

Die ERCON-Technologie besticht nicht nur durch Eleganz, sie ist auch aus mehreren Gründen besonders umweltfreundlich: Das Baumaterial ist denkbar naturnah und entsteht vor Ort; der Anteil von Fremdmaterial (Elektroden) ist relativ gering; der Gleichstrom kann von Solarzellen oder Windrädern produziert werden, und – einzig-artig – eine mit dem ERCON-Verfahren hergestellte Struktur lässt sich durch Umpol-ung wieder auflösen.

Maßstab Korallenriff

Alle genannten Beispiele von künstlichen Strukturen auf dem Meeresboden werden als künstliche Riffe bezeichnet. Riff ist allerdings kein beliebig dehnbarer Begriff; die Definition eines (Korallen-)Riffs lautet kurz gefasst folgendermaßen: Ein heute lebendes Riff ist Ausdruck und Produkt einer Hartboden-Lebensgemeinschaft, die ihr eigenes Substrat abscheidet. Das räumlich eng verzahnte Aufwachsen sessiler

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Abb.11 (oben links): Korallen-Baumschule, Rotes Meer, Ras Mohamed Nationalpark; Plantage der Feuerkoralle Millepora dichoto-

ma; die Koloniefragmente stammen von Havarieplätzen - in die ERCON-Tribüne gesteckt, wachsen sie weiter und liefern Steck-

linge für die Bestückung von künstlichen Riffen, Abb.11 (oben rechts): Unterseite der Tribüne, Abb.12 (mitte rechts): Anfängliche

Spontanbesiedlung einer ERCON-Struktur im Roten Meer, Aqaba; Bryozoen-Kolonien (Rhynchozoon sp.) drei Monate nach Expo-

sition Abb.13 (unten links): Künstliches Miniriff, mit Korallentransplantaten und Spontansiedlungen bedeckt, Abb.14 (unten rechts):

Korallengemeinschaft aus ursprünglich transplantierten Koloniefragmenten (Stecklinge) und Spontanansiedlungen

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kalkabscheidender Organismen resultiert in einem dauerhaften Gerüstwerk und der Akkumulation von Sedimentmaterial. Die Gesamtstruktur ist langfristig resistent gegenüber (heftiger) Wasserbewegung; vorübergehende Schäden werden durch Nachwachsen kompensiert. Ein Riff ragt meist steil vom Meeresboden bis dicht an oder gar über den Meeresspiegel. Typisch ist die vielfältig gegliederte Oberfläche in diverse Kleinhabitate. Entsprechend zeigen die maßgeblichen abiotischen Faktoren Licht, Wasserbewegung, Sauerstoffversorgung und Trübstoffgehalt steile Gradien-ten. Eine speziell angepasste Lebensgemeinschaft erhält das Riff und kontrolliert seinen Stoffwechsel. Diese von Biologen und Geologen entwickelte Definition eines lebenden Riffes sieht dieses also nicht nur als Form und Struktur, sondern auch als Lebensraum mit einer charakteristischen Gemeinschaft von Besiedlern.

Ein selbst wachsendes Gerüstwerk mit einer unübertroffenen Artenvielfalt, was spe-ziell auch auf die Fischwelt zutrifft, ist also der Vergleichsmaßstab, an dem die vor-genannten künstlichen Riffe zu messen sind. Das Ergebnis ist eindeutig: die meisten verdienen die Bezeichnung Riff nicht. Wracks zeigen auch nach einem halben Jahrhundert auf dem Meeresboden nur ei-nen kümmerlichen Bewuchs. Dieser umfasst in erster Linie bestimmte Schwämme, Weich- und Hornkorallen – opportunistische Arten, die als Pioniere neues Substrat besiedeln, aber kein Hartsubstrat erzeugen. Kalkabscheidende Steinkorallen bleiben hingegen Einzelerscheinungen. Wenn sie sich ansiedeln, dann auf Muschelschalen oder anderen Kalkkrusten, die den rostenden Untergrund stellenweise »imprägnieren«.

Fische suchen hingegen schnell räumlich vielgestaltige Strukturen auf. Selbst Frei-wasserarten wie Makrelen und Thunfische halten sich gerne im Schatten von Pontons auf. Das rechtfertigt aber noch nicht die Bezeichnung »artificial reef« (im letztgenann-ten Fall »floating reef«). Zumindest in der Fachwelt wird diese pauschale Klassifizie-rung seit einigen Jahren als falsch erkannt und durch differenziertere Termini ersetzt, die zwischen »artificial habitat« und »fish aggregation device« (FAD) unterscheiden. Diese Sprachregelung ist allerdings noch nicht Allgemeingut geworden. Ein künst-liches Habitat kann der Kultivierung von Algen, Muscheln etc. dienen und deren Biomasse steigern. Ein FAD hingegen nennt unverhohlen die Zweckbestimmung, Fische an einer vorbestimmten Stelle zu konzentrieren, um sie dort abzuernten. Die relativ hohen Fangzahlen an diesen FADs machten euphorisch und beflügelten den Transfer von Schrott und anderen Altmaterialien auf den Meeresgrund. Tatsächlich aber sind die Fischbestände insgesamt nicht gewachsen, sondern werden – im Ge-genteil – effektiv dezimiert.

Dennoch hält die unbedachte Versenkung von ausrangierten Fahrzeugen und Alt-reifen an. An der amerikanischen Ostküste gehören Sportfischer, die von dem durch Wracks aufgemöbelten Meeresboden mehr von ihren begehrten »game fish« angeln als von einer einförmigen Sandfläche, zu den treibenden Kräften; woanders sind es

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Abb.15:

Künstliches Miniriff, mit

Korallentransplantaten und

Spontansiedlungen bedeckt

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Eine Hartstruktur beliebiger Form lässt sich direkt vor Ort am Meeresboden erzeugen, indem man die im Meer-wasser gelösten Mineralien als Baumaterial nutzt. Sie werden bei der Elektrolyse des Meerwassers als feste Mineralphasen auf die Kathode (aus Eisengitter oder Maschendraht) niedergeschlagen; gleichzeitig wird Wasser-stoff frei. Durch die Erhöhung des pH-Wertes an der Kathodenoberfläche scheiden sich die Hauptkrustenbildner Kalziumkarbonat (ab pH 8,7) und Brucit (ab pH 9,7) ab, in geringen Mengen auch Gips und Halit. An der positiven Elektrode (Anode) gehen durch Oxidation Chlor und Sauerstoff in Lösung (siehe Schema). Gestaltung der Elek-troden und ihre Lage zueinander sind weitgehend beliebig und hängen von der zu bildenden Struktur ab. Eine simultane elektrochemische und biogene Kalkabscheidung lässt sich bei geringer und wechselnder Stromdichte (z.B. bei Verwendung von Solarzellen) erreichen. In Abb. A (oben links) zeigen Wasserstoffblasen den anliegenden Strom an; der Kalkröhrenwurm wächst unbehelligt weiter. Bei fortschreitender Präzipitation werden die Kalkge-häuse überkrustet; Die Probe in Abb. B (oben rechts) zeigt das entstehende Mischsubstrat aus elektrochemisch abgeschiedenem Kalk und Gehäusen von Röhrenwürmern und Moostierchen.

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Tourismus-Manager, die »im Trend« sein wollen. Die billige Entsorgung von Altstoffen ist ein weiteres, zumindest im Hintergrund präsentes Argument. Die Verschandelung der Unterwasserlandschaft ist unumkehrbar, nur nimmt sie der Mensch als »Land-tier« nicht wahr. Die flachen küstennahen Schelfgebiete Japans waren vor 25 Jahren schon zu über 5% irreversibel mit fremdartigen Strukturen möbliert – sie stehen einer künftigen, weiterentwickelten Nutzung dieser Flächen buchstäblich im Wege.

Als künstliche Riffe im Wortsinne können Kunstbauten bezeichnet werden, die im Flachwasser z.B. als Küstenschutz angelegt worden sind und dann von Korallen überwachsen werden. Auch die oben beschriebenen Riffprothesen, als Trittsteine zur Wiederbesiedlung degradierter Riffbereiche konzipiert, können zumindest als Miniriffe oder Protoriffgemeinschaften angesehen werden mit dem Potential, einmal zu größeren Einheiten zusammenzuwachsen. Voraussetzung ist dabei stets, dass weitere Schadeinflüsse unterbleiben. Künstliche Riffe bieten sich auch bei Tauch-basen an – sowohl als speziell angelegtes Übungsrevier für Anfänger als auch für Streifzüge etwa entlang von Lehrpfaden. Besonders die ERCON-Technologie ermög-licht hierfür spezifische, zweckdienliche Gestaltungen (die, falls es einmal notwendig sein sollte, auch wieder entfernt, das heißt aufgelöst werden können). Letztendlich darf aber nicht übersehen werden, dass künstliche Riffe nur punktuelle Hilfen sein können. Der vielfältigen und oft weiträumigen Degradation von Riffen kann nur auf höherer Ebene Einhalt geboten werden.