zur kenntnis des ehrmannschen luesphänomens

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Aus der dermatologischen Klinik des st~tdt. Krankenhauses zu Frankfurt a. M. LDirektor: Prof. Dr. Karl Herxheimer.) Zur Kenntnis des Ehrmannschen Luesphnomens. Yon Dr. Karl Schmidt, Assistenzar~t. Ehrmann hat zuerst im Jahre 1907 in der Wiener medizinischen Wochenschrift und dann 1908 gelegentlich des 25. Kongresses fiir innere Medizin in Wien fiber ein nenes Gef/il]symptom bei Lues berichtet~ das sich durch das Auftreteu yon dunkellividen Flecken und Zeiehnungen char~kterisiert und beziiglieh seiner Lokalisation bestimmte KSrperstellen bevorzugt, und welches er ale dareh Arterienerkrankung hervorgerufen auffal]t. Ieh mSchte nun einen Fall mitteilen, bei dem es sieh wohl aueh um eine solehe hetische Gef~l~ver~nderung mit ent- sprechender Dokumentierung auf der Hautoberfl/iehe im Sinne E h r m a n n s gehandelt hat. Die betreffende Patientin kam herein mit einem ausgesprochenen eyphilitischen Exanthem, alas naeh ihrer Angabe erst kurze Zei~ bestand Uber den Zeitpunkt der Infektion war nichts ~enaues zu eruieren, an- seheinend hatte sie ca. 1 Yierteljahr vorher stattgefunden. Ein Prim~iraffekt oder Reste eines solchen konnten nicht gefunden werden. Uber den Stature, die Extremit/iten und das Gesicht zerstreut waren zahlreiehe makulo- papulSse Efttoreszenzen, von denen einzelne deutliehe Sehuppuug zeigten und subjektiv alas Gefi~hl des Juekens hervorriefen. In der Giirtel- und Ges~gegend war das Exanthem etwas konfluierend, am Riicken uncl Baueh hoben sieh einige Sonnensyphilide aus dem iibrigen gleichm~l~i- geren Exanthem heraus, an anderen Stellen zeigten grol~e Papeln einen Ubergang zum Sonnensyphilid. Rings um den Mund herum radi~r ge- stellte Papeln, in der MundhShle Papeln auf der Zunge und Plaques auf

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Aus der dermatologischen Klinik des st~tdt. Krankenhauses zu Frankfurt a. M. LDirektor: Prof. Dr. Karl H e r x h e i m e r . )

Zur Kenntnis des Ehrmannschen Luesph nomens.

Yon

Dr. Kar l Schmidt , Assistenzar~t.

E h r m a n n hat zuerst im Jahre 1907 in der Wiener medizinischen Wochenschrift und dann 1908 gelegentlich des 25. Kongresses fiir innere Medizin in Wien fiber ein nenes Gef/il]symptom bei Lues berichtet~ das sich durch das Auftreteu yon dunkellividen Flecken und Zeiehnungen char~kterisiert und beziiglieh seiner Lokalisation best immte KSrperstel len bevorzugt, und welches er ale dareh Arter ienerkrankung hervorgerufen auffal]t. Ieh mSchte nun einen Fall mitteilen, bei dem es sieh wohl aueh um eine solehe he t i sche Gef~l~ver~nderung mit ent- sprechender Dokumentierung auf der Hautoberfl/iehe im Sinne E h r m a n n s gehandel t hat.

Die betreffende Patientin kam herein mit einem ausgesprochenen eyphilitischen Exanthem, alas naeh ihrer Angabe erst kurze Zei~ bestand Uber den Zeitpunkt der Infektion war nichts ~enaues zu eruieren, an- seheinend hatte sie ca. 1 Yierteljahr vorher stattgefunden. Ein Prim~iraffekt oder Reste eines solchen konnten nicht gefunden werden. Uber den Stature, die Extremit/iten und das Gesicht zerstreut waren zahlreiehe makulo- papulSse Efttoreszenzen, von denen einzelne deutliehe Sehuppuug zeigten und subjektiv alas Gefi~hl des Juekens hervorriefen. In der Giirtel- und Ges~gegend war das Exanthem etwas konfluierend, am Riicken uncl Baueh hoben sieh einige Sonnensyphilide aus dem iibrigen gleichm~l~i- geren Exanthem heraus, an anderen Stellen zeigten grol~e Papeln einen Ubergang zum Sonnensyphilid. Rings um den Mund herum radi~r ge- stellte Papeln, in der MundhShle Papeln auf der Zunge und Plaques auf

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den Tonsillen. Therapeutisch wurde zun~chst mit Injektionen yon Hg. sal. begonnen. Ungef~hr 10 Tage nach der Aufnahme, naehdem Patlentin 0"15 Hg. sal. erhalten batte, batten sich auf der Haut eigentiimliehe Erseheinungen ausgebildet, die info]ge ihrer Beschaffenheit eine deutliche Absonderung yon dem bereits bestehenden Exanthem rechtfertigten und welehe infolge der Seltenheit ihres Auftretens verdienen, etwas nigher ge- wiirdigt zu werden. Diese Ver~inderungen dokamentierten sieh als bliiu- liehe, zyanotisehe, leieht gegen die Umgebung erhabene Verf~rbungen der Haut, die vollst~indig einer venSsen Stauung gliehen, und zwar mit der Lokallsation im Gesieht, an der Streekseite der Oberarme und an den Seitenteilen des Stammes; im Gesieht in der Weise, dal~ nur fiber den Joehbeinen elne etwa talergrol3e Stelle frei geblieben war, wiihrend die Wangen ganz befallen waren. An den Seitentei]en des Stammes und zwar hier in zahlreicher Anordnung und sp~rlieh aueh auf der oberen Bauehhaut waren es in der Itauptsacbe isoliert stehende, unregelmiil~ig begrenzte Fleeken yon etwa PJ~ennig- bis MarksiiiekgrSBe oder ver- sehiedenartige Figuren wie Gyrl, Ringformen und Halbkreise. Zwischen diese eingestreut waren zinnoberrot gel~irbte, z. T. an die Follikel ge- bundene Papeln, die ebenfalls vorher nicht da waren. An der Streekseite der Oberarme fanden sieh ebenfalls isoliert stehende Fleeken, meist waren sie jedoch zu grSBeren, unregelm~Big begrenzten Fl~ehen konfluiert. Naeh welteren 10 Tagen bestand die bl~uliehe Verfiirbung im Gesicht unver~ndert fort, w~ihrend sleh an den iibrigen Stellen bereits ein Ab- blassen bemerkbar maehte. Die zinnoberroten Papelehen waren z. T. versehwunden, z. T. waren neue aufgetreten.

Im weiteren Verlauf der Behandlung, bei der jetzt mit den Hg- Injektionen Salvarsaninfusionen kombiniert wurden, gestaltete sieh die Riiekbildung der Verf~irbungen in der Weise, dab sie zuerst im Gesiebt und an den Oberarmen vollst~indig wieder vergingen, w~hrend sie am Stature noeh etwas l~inger bestehen blieben~ aber dann ebenfalls ohne eine Spur zu hinterlassen allmiiblieh versehwanden, im Gegensatze zu dem urspriinglichen luetisehen Exanthem, das z. T. mit Pigmentierungen abheilte. Vom Beginn der Erscheinungen bis zu ihrem vollst~indigen Verschwinden war eine Zeit yon ca. 4 Woehen vergangen, bis dahin hatte Patient 0"75 Hg. sal. und 1"9 Salvarsan erhalten. Ein Rezidivie- ten der Erseheinungen haben wir innerhalb der n~iebsten 4 Woehen, in denen Patientin noeh in unserer Beobachtung war, nieht gesehen.

Eine Beeinflussung dleser eigentfimlichen Hauterseheinungen im Sinne einer Stelgerung oder Absehw~ehung dureh mechanische, ehemische, thermische oder elektrische Reize gelang nicht; weder eine lokale K~lte- applikation noeh der elektrische Strom, noch die subkutane Injektion yon Pilokarpin oder Adrenalin vermochten eine _~nderung herbeizufiihren, nur bei l~ingerer Einwirkung der AuBentemperatur auf der Haut ]ieB sich ein etwas deut]icheres Hervortreten konstatieren. Der A]lgemeinstatus bet, abgesehen yon einem Hyperthyreoidismus, der sieh in einem leiehten Exophthalmus und einer klelnen Struma kundgab, keine Besonderheiten.

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DaB diese eigentiiralichen Erscheinungen auf der Haut ein Symptom der Lues und keine zufKlligen Begleiterschei- nungen derselben waren, beweisen einerseits ihr langes Be- stehenbleiben und dann die vorhandenen histologischen Ver- Knderungen, auf die ieh sparer zuriickkommen will. Wir haben es also rait einer seltenen, yon den vulgKren Exanthemen zu trennenden Ausdrueksforra der Lues auf der Haut zu tun und zwar, da das klinische Bild die charakteristisehen Merkmale der E h r m a n n sehen F~lle zeigt, mit einera Ph~nomen im Sinne E h r r a a n n s . Dieses Ph~nomen kennzeichnet sich dureh seine Farbe, durch seine Erhebung fiber die umgebende Haut, durch seine Figuration und dutch seine Lokalisation. Die Farbe der manchmal betr~chtlieh elevierten, hyperiimischen Haut- partien beschreib~ E h r ra a n n als tiefdunkel-livid oder zya- notisch, an Totenflecke erinnernd. Es kommen eigentiimliche baumfSrmige Verzweigungen zustande in der Art, dab ,yon diekeren Zweigen, an denen die Erhebung fiber das Hautniveau und die livide Farbe am raeisten ausgesprochen ist~ diinnere wie yon einem Hauptast abgehen"; E h r m a n n gibt diesen Hautzeichnungen den Namen Livedo raceraosa. Diese Haut- zeichnungen ,finden sieh besonders h~ufig an der Streekfl~che der oberen und unteren Extremit~ten, aber aueh h~ufig genug auf dera Staram in der Sehultergegend, der seitlichen Bauch- und Brustgegend~ in der Lenden-, Kreuzbein- und Glut~alregion ~.

Was nun die Farbe, die Erhabenheit und die Lokalisation betrifft, so stimmt unser Fall mit dieser Beschreibung voll- koramen iiberein; als neu hinzugekomraen ist die Lokalisation ira Gesicht, yon der E h r r a a n n niehts erw~hnt. DaB nicht die so charakteristische baurafSrraige Verzweigung zustande gekoramen ist, ist wohl nur ein gradneller Unterschied, da unser Fall in die Zeit der ersten Sekund~rerscheinungen fKllt und infolge der energisehen Behandlung der Weiterentwicklung des Ph~- nomens ein Halt geboten wurde E h r r a a n n s F~lle fallen zum grSl~ten Teile in das Sp~tstadiura der Lues, bei den jiingste~ liegt die Infektion 2 Jahre zuriick.

E h r m a n n weist nun noch auf eine gewisse Beziehung des Ph~nomens zur Cutis raarmorata und zura groBraakulSsen Syphilid hin; gerade die groBmakulSsen Syphilide hat er regel-

Arch. f. Dermat . u. Syph. Bd. CXIV, 13

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m~il~ig beobachtet bei Leuten: die habituell eine Curls marmorata hatten, und zwar sollen die Effloreszenzen immer an den Knotenpunkten der Cutis marmorata entstehen. Aus diesen gro~makulSsen Syphiliden sollen dann die eigentiimlichen Haut- erscheinungen hervorgehen. Eine gering ausgepr~gte Cutis mar- morata war in unserem Falle allerdings vorhanden, abet eine Anlehnung der Hautverf~rbungen an die Zeichnung derselben mit Bevorzugung ihrer Knotenpunkte konnten wir nicht kon- statieren. Auch das eigentiimliche syphilitische Exanthem war in unserem Falle durchaas kein grol]fleckiges, nat durch Kon- fluenz waren in der Glut~ial-und Hiiftgegend einige grSl]ere Flecke entstanden, aber diese grSBeren Flecke blieben neben den Erscheinungen des Ph~nomens bestehen and eine Um- wandlung der ersteren in letztere konnten wit nicht beobachten. Ob also ein Zusammenhang zwischen Curls marmorata und grol]makulSsem Syphilid einerseiis und Livedo raeemosa andrer- seits besteht, mul~ danach zum mindesten fraglich erscbeinen~ jedenfalls geht aus unserem Falle dieser Zusammenhang nicht deutlich hervor.

Aber dieser eventuelle Zusammenhang hat ja schliel]lich mit der eigentlichen Ursache des Zustandekommens dieses seltenen Pb~nomens nichts zu tun; diese liegt vielmehr in tat- s~chlichen pathologisch-anatomischen Ver~nderungen begriindet, und da haben wir einen von E h r m a n n s Angaben v511ig ab- weichenden Befund gehabt. E h r m a n n sieht die Ursachen in einer typisehen Arterienerkrankung, and zwar soll die Erkran- kung die Arterien des tiefen cutanen und des subpapill~ren :Netzes und die Verbindungs~ste zwischen diesen beiden Netzen befallen. Die Erkrankung besteht in einer endarteriitischen Wueherung, durch welche das Arterienlumen nach innen yon tier elastisehen Membran der Intim~ bald konzentrisch bald exzentrisch verengt, zuweilen fast vollst~ndig obliteriert ist; eine Wucherung an den Venen hat er nicht beobachtet. Dem- gegeniiber sahen wit in unserem Falle ein ausschlie~liehes Be- fallensein der Venen bei vSlliger Intaktheit der Arterien, deren Lumen nicht die geringsten Wucherungen aufwies. Unser Pr~parat stammt yon einem der kleiaen ca. 10 pfennigstiick- grol~en Herde. Der mikroskopische Befund ist folgendermM3en:

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tm Bereich des subpapilI~ren Gefi~fnetzes finden sich reichliche zirkumskripte zellige Infiltratbildungen; um die Follikel herum mehr diffuse zellige Infiltrationen, die sich den Haaren entlang in die Tiefe herabsenken und sich dann im Bereich des fiefen kutanen Netzes wieder in einzelne umschriebene Infiltrate auf- 15sen. Einige Infiltrate folgen auch den Schweifdriisen in die Tiefe der Curls herab. Die kleinen umschriebenen Infiltrate bilden nun ein ganz charakteristisches Aussehen; an ihrem Rande sieht man die vSllig intakte, unveriinderte hrterienwand und in das Infiltrat eingebettet eine oder mehrere Venen, deren Lumen durch zellige Wucherung entweder vollst~indig ver- sehlossen oder zum mindesten sehr stark verengt ist. DaB das unveriinderte G e f ~ an dem Rande eine hrterie ist, ist durch die Elastikaf~rbung sicher gestellt, die elastische Membran der Intima tritt iiberall deutlich zutage. Es handelt sich also um eine intensive Endo- und Periphlebitis, wodurch ein iokales Zirkulationshindernis gesehaffen wird, als dessen Ausdruck diese eigentiimlicheh lividen Erscheinungen auf der Haut zustande kommen. Ein Vergleiehsschnitt yon einer gewShnlichen Makula zeigte, daft hier keine derartigen GeF~flveriinderungen vor- handen waren.

E h r m a n n erkl~rt das Zustandekommen der passiven Hyper~imie auf Grund seiner Befunde so, daft die Arterien- w~nde ihre Elastizit~t verloren haben und nun ,,w~hrend der Herzdiastole nieht mehr soviel elastische Kr~fte aufbringen bzw. w~hrend der Systole aufgespeichert haben, um die Blutsiiule (lurch die Kapillaren mit geniigender Energie zu treiben, wes- halb gerade die yon &esen unmittelbar versorgten Kapillaren sich nicht vSllig entleeren, und wodurch die baumfSrmige Hautverzweigung entsteht2'

Dieser Erkl~rung E h r m a n n s kann ich nieht beistimmen, da ieh auch seinen Befund nicht besfiitigen kann; auf jeden Fall scheint mir eine solche elektive Erkrankung der u and die dadurch bedingte Stauung wie in dem unsrigen Falle die Erscheinung des Hautph~nomens einfacher und zwangloser zu erkl~iren, als es eine Arterienerkrankung tun kSnnte; denn bei einer solchen intensiven Erkrankung der Arterien, die fast zu einem vollsti~ndigen Verschlul~ des Lumens fiihrt, miifte

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doch eher eine blasse, an~mische Verfdrbung der Haut als eine solzhe tiefdunkel-livide zustande kommen. Dal] es sich um ein echtes Ph~inomen im Sinne E h r m a n n s gehandelt hat~ ist wohl zweifellos; das beweist die in den Hauptpunkten vor- handene klinische Ubereinstimmang dieser auffallenden Haut- erscheinung, die in unserem Falle ungef~hr 14 Tage lang un- ver~ndert bestand~ sich dann allm~hlieh zuriickbildete und nach e t w a 4 Woehen wieder vollst~ndig verschwunden war. Dieser UnserFall wfirde dem einen yon den 11 his 1908 beobachteten F~llen E h r m a n n s entsprechen, bei dem er eine Heilung er- zielte und ~,ilrde seine Annahme bestiitigen, dab die Gef~l~- ver~nderung in frischen F~llen noeh resorbierbar ist, w~hrend sie in a!ten F~illen eine dauernde Bildung darstellt, die in das Gebiet der Parasyphilis hiniibergeht. E h r m a n n gebrauchte zur Heilung seines Falles eine zweij~hrige intermittierende Behandhng. Dal] wit bereits in 4 Woehen zum Ziele gelang~ sind, liegt wohl darin begriindet, dal] das Ph~nomen in unserem Falle in die Zeit der ersten Sekund~rerscheinungen f~llt, w~hrend es bei E h r m a n n 2 Jahre nach der infektion auftrat. Seine iibrigen F~lle variierten yon 2--25 Jahren post infectionem. Inwieweit diese nngeheilten F~l]e der Parasyphilis zuzureehnen sind, l~l]t sich natiirlich sehwer entscheiden; vielleieht wiirde es jetzt duroh eine energiseh durcbgefiihrte kombinierte Hg- und Salvarsankur gelingen~ auch diese resistenten F~lle zur tteilung zu bringen, ~hnlieh wie es jetzt gelingt, dutch Sal- varsan resistente Erscheinungen der Mundsyphilis zum Schwinden zu bringen, denen man ffiiher machtlos gegeniiber stand.