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Zürcher Fachhochschule Soziale Arbeit Kurs 7.1 Grundbegriffe der politischen Philosophie, Politik und Ökonomie Das politische System der Schweiz Dana Zumr, lic. oec. HSG Dozentin ZHAW FS 2014

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Soziale Arbeit

Kurs 7.1Grundbegriffe der politischen Philosophie, Politik und Ökonomie

Das politische System der Schweiz

Dana Zumr, lic. oec. HSGDozentin ZHAW

FS 2014

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Lernziele

Die Studierenden können das politische System der Schweiz darlegen und sind in der Lage, den politischen Entscheidungsprozess differenziert zu betrachten und die Einflussmöglichkeiten der Sozialen Arbeit zu erkennen.

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Agenda

• Rolle des Staates: Von 1848 bis heute

• Besonderheiten des Schweizer Politsystems

• Direkte Demokratie

• Kollegialregierung

• Föderalismus

• Der föderalistische Staatsaufbau auf den drei Ebenen

• Konkordanz

• Parteiensystem – Interessensverbände – Medien

• Gesetzgebung als Verhandlungsprozess

• Beispiel: Bundesgesetz über die Gentechnik im Ausserhumanbereich

Folie 3

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Zur Erinnerung: Der Staat im Modell der sozialen Marktwirtschaft

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Staat

‚Ein Staat ist innerhalb eines bestimmten Territoriums das oberste soziale Ordnungsgefüge, das verbindliche Regeln des Zusammenlebens für die gesamte Einwohnerschaft festlegen und durchsetzen kann.‘

Wichtigstes Merkmal: Der Staat kann als einzige Institution seine Regeln auch unter Anwendung von Gewalt durchsetzen. Er hat ‚das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit‘.

‚Von einem Staat können wir erst dann reden, wenn sich dauerhafte Einrichtungen herausbilden, welche die handelnden Akteure innerhalb dieser Einrichtungen überleben, und wenn dauerhafte Regeln bestehen.‘ (Möckli, Silvano, 2012, S. 17-18)

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Schweizer Bundesstaat 1848 - Confoederatio Helvetica (CH)

Der Schweizer Bundesstaat verfolgte von Anfang an die Idee einer multikulturellen Staatsgründung. (im Gegensatz zur Idee eines Staatsvolkes mit einer Sprache, einer Ethnie oder Kultur)

Die föderalistische Verfassung von 1848 war ein Kompromiss zwischen der Mehrheit der (freisinnig-protestantischen) Zentralisten und der Minderheit der (konservativen-katholischen) Föderalisten. Die Staatsaufgaben blieben grösstenteils bei den Kantonen. Der Bund erhielt so nur wenige Kompetenzen:•Geldwesen•Zollwesen•Postwesen•Sicherung der inneren Ordnung•Behauptung der äusseren Unabhängigkeit durch eine Armee (Maxime: bewaffnete Neutralität)Der lateinische Namen ist ein weiteres Musterbeispiel eines Kompromisses für die Münzen ab 1879.

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Heutige Rolle des Staates – ein Sozialstaat

• Ordnungsfunktion (Regulativ und überwachend)Gesetze als klare, festgeschriebene Regeln +Institutionen mit geregelten Befugnissen (=für alle gültige und nötigenfalls mit Gewalt durchsetzbare verbindliche Entscheide) = Rechtsstaat (Hierarchie der Rechtsordnung: Verfassung, Gesetz, Verordnung)

• Sicherheitsfunktion (innere und äussere Sicherheit, Machtmittel: Polizei und Armee)

• Umverteilungsfunktion

• Stabilisierungsfunktion

• Infrastrukturfunktion

• Entsorgungsfunktion

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Besonderheiten des Schweizer Politsystems

Direkte Demokratie

Kollegialregierung

Fehlen eines besonderen Staatsoberhaupts

Ausgeprägter Föderalismus

Eine eigenständige Staats- und Demokratietradition ungeschriebene Elemente politischer Kultur, wie

• Politische Konkordanz

• Allgegenwärtige Proportionalisierung (Bsp.: Zusammensetzung des Bundesrates)

• Republikanische Haltung (kein Hochadel in der Schweiz)

• Willensnation, Mehrsprachigkeit

• Neutralität

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Direkte Demokratie

Die Volksrechte sind aus einer basisdemokratischen Bewegung entstanden, die dem Repräsentativsystem misstrauisch gegenüberstand und der es um die Begrenzung parlamentarischer Macht und um die Kontrolle der wichtigsten Entscheidungen ging.

Komponenten:

• Wahl- und Stimmrecht (seit 1848 für Männer, seit 1971 für Frauen)

• Obligatorisches Referendum: Verfassungsänderung, Genehmigung von Staatsverträgen (heisst auch: Jede neue Bundeskompetenz erfordert die Zustimmung von Volk und Ständen.) Die Schweiz ist damit einmalig!

• Fakultatives Referendum (seit 1874): neue Gesetze, Gesetzesänderungen, allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse, völkerrechtliche Verträge

• Volksinitiative (seit 1891): Verfassungsänderung

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Direkte Demokratie - Partizipation

Im Mittel der letzten 20 Jahre lag die Stimmbeteiligung bei durchschnittlich gut 40%. Es besteht das Problem der ungleichen Beteiligung verschiedener Schichten.

3 Typen bezüglich Stimmbeteiligung: 25% regelmässig, 20% Abstinente, 50% gelegentliche Urnengänger/innen

Wer partizipiert?•Männer•Personen mit höherer Bildung, höherem Einkommen und Berufsstatus•Mittlere, sozial integrierte Altersgruppe

Wer partizipiert weniger?•Frauen•Personen mit geringerer Bildung, niedrigem Einkommen und Berufsstatus•Junge, Alleinstehende und weniger sesshafte Personen

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Kollegialregierung

Der Präsident des Kollegiums leitet die Sitzungen, hat aber kein Weisungsrecht wie der Ministerpräsident im Kabinettsystem. Jeder Bundesrat ist so gleichberechtigtes Mitglied des Kollegiums und zugleich Vorsteher/in eines der sieben Departemente der Bundesverwaltung.

Alle wichtigen Entscheidungen werden vom Gesamtbundesrat (mit einfacher Mehrheit) getroffen und nach aussen verantwortet.

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Föderalismus

Der föderalistische Staatsaufbau ist – neben der direkten Demokratie – eines der wichtigsten Strukturelemente der schweizerischen Staatsverfassung. Die Schweiz ist eines der dezentralisiertesten Länder im internationalen Vergleich.

Föderalismus bedeutet eine weitgehende Selbstorganisation und Autonomie in der Wahrung der Aufgaben bei Bund, Kantonen und Gemeinden. Jede Ebene erhebt je eigene Einkommens- und Vermögenssteuern. Legislative, Exekutive und richterliche Gewalten sind auf allen drei föderalistischen Ebenen vorzufinden.

Der volle gewaltenteilige institutionelle Aufbau auf allen drei Ebenen ermöglichte die konsequente Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips (neue Aufgaben werden zuerst von den Gemeinden übernommen, kantonale Lösungen übernimmt übergeordnete Aufgaben oder springt ein, wenn Lösungen auf Gemeindeebene nicht möglich sind, Aufgabenübertragung an den Bund setzt Zustimmung des Volkes und der Kantone voraus).

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Föderalismus – Aufgabenteilung Legislative – Exekutive - Judikative

ParlamentLegislative

RegierungExekutive

JustizJudikative

GesetzgebungWahl der RegierungKontrolle der

Regierung und Verwaltung

Soziale und territoriale Repräsentation

Staatsleitung und –planung

Entwurf von Gesetzen

Führung der Verwaltung

Erlass von Verordnungen

Entscheid in Einzelfällen

Entscheid in Konfliktfällen

BestrafungFortentwicklung des

Rechts

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Föderalismus – Aufgabenteilung Bund, Kantone, Gemeinden

Bund Kantone Gemeinden

Geld und WährungZollwesenAussenpolitikAusländer- und

MigrationspolitikVerteidigungEisenbahn

(Infrastruktur)LuftfahrtSozialversicherungenAgrarpolitikKommunikationForschung (und ETH)UmweltschutzKernenergieKonjunkturpolitik

SchulwesenSpitalwesenPolizeiKulturNatur- und

HeimatschutzÖffentlicher Verkehr

(Betrieb)Direkte SteuernStandortpolitikKirchenwesenSportErgänzungsleistungenVollzug des Zivil- und

Strafrechts

SchulbetriebMüllabfuhrWasserversorgungAbwasserFürsorgeHeimwesenFeuerwehrOrtsplanungFreizeiteinrichtungenStrassenunterhalt

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Föderalismus

Eine messerscharfe Abgrenzung zwischen den Aufgaben besteht nicht. Es bestehen zahlreiche Verflechtungen und Überschneidungen. Bsp.:

• Schulwesen: Bund führt ETH, Kantone tragen Universitäten und Fachhochschulen aber es gibt eine Mitfinanzierung des Bundes resp. der anderen Kantone

• Standortpolitik: nebst dem Kanton machen auch Gemeinden Standortpolitik

Die Tendenz ist klar: eine immer stärkere Zentralisierung.

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Föderalismus

Seit 2008 ist die ‚Neugestaltung des Finanzausgleichs und die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen‘ (NFA) in Kraft. Ziel: Entflechtung der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen und neuer Ressourcenausgleich zwischen wirtschaftlich starken und schwächeren Kantonen, um die kantonale Finanzautonomie zu stärken

Der NFA ist für viele Gemeinde überlebenswichtig, aber der Abstand zwischen ärmeren und reicheren Gemeinden hat sich bisher eher vergrössert.

Verteilung der Einnahmen und Ausgaben auf die drei Staatsebenen:

• Bund: 30% (Erst seit den 1930er Jahren kann der Bund Bundessteuern auf Einkommen und Vermögen erheben. Anfangs konnte er nur Zölle, Gebühren und Verbrauchsteuern erheben.)

• Kantone: rund 40%

• Gemeinden: rund 30%

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Der föderalistische Staatsaufbau der Schweiz

Ebene Bund

Legislative: Nationalrat als Volkvertretung (200 Mitglieder) und Ständerat als Kantonsvertretung (2x23 = 46 Mitglieder) mittels Volkswahl (Elektorat besteht aus allen Personen schweizerischer Nationalität ab 18 Jahren: 5.1 Millionen (ohne Auslandsschweizer/innen) (2011))

Die parlamentarischen Instrumente sind:

a) Anstoss zu einem Parlamentsentscheid

• Motion (Auftrag an den Bundesrat, dem Parlament einen Gesetzesentwurf zu unterbreiten oder eine Massnahme zu treffen Erfordernis: Annahme durch eine Mehrheit im Nationalrat und im Ständerat)

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Der föderalistische Staatsaufbau der Schweiz

Ebene Bund

• Postulat (Auftrag an den Bundesrat, einen Sachverhalt zu prüfen, Bericht und allenfalls Antrag zu unterbreiten Erfordernis: Mehrheit im entsprechenden Rat erforderlich, Bundesrat erstattet Bericht)

• Parlamentarische Initiative (Anstoss zur eigenständigen parlamentarischen Ausarbeitung eines Gesetzes Erfordernis: Zustimmung der Kommission beider Räte. Die Kommission des Erstrates arbeitet den Entwurf aus.)

b) Auskunft über ein laufendes Geschäft

• Interpellation (Anfrage an den Bundesrat über Angelegenheiten des Bundes Antwort wird im Rat behandelt)

• Anfrage (Anfrage an den Bundesrat über Angelegenheiten des Bundes wird schriftlich beantwortet)

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Der föderalistische Staatsaufbau der Schweiz

Ebene Bund

Exekutive: Bundesrat (7 Mitglieder) von der Bundesversammlung einzeln gewählt. Der Bundesrat beaufsichtigt die Bundesverwaltung (EDA, EDI, EJPD, VBS, EFD, EVD, UVEK). Die Bundeskanzlei (BK) koordiniert die Geschäfte.

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung ist von der Verfassung pragmatisch festgelegt. Der Bundesrat ist zuständig für die Staatsleitung und den Gesetzesvollzug, kann in der Aussenpolitik Entscheide treffen und hat auch erhebliche Verordnungskompetenzen.

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Der föderalistische Staatsaufbau der Schweiz

Ebene Bund

Judikative: Bundesgericht in Lausanne (38 Bundesrichter/innen und 19 nebenamtliche Richter/innen), Bundesstrafgericht in Bellinzona (18 Richter/innen), Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen (75 Richter/innen), Bundespatentgericht in St. Gallen (2 Richter und 36 nebenamtliche Richter/innen) von der Bundesversammlung gewählt, beurteilen letztinstanzlich alle Streitigkeiten in der Anwendung des Bundesrechts.

Details siehe: Schweizerische Eidgenossenschaft - Bundeskanzlei (2012). Der Bund kurz erklärt 2012. Bern: BBL, Vertrieb Bundespublikationen

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Der föderalistische Staatsaufbau der Schweiz

Ebene Kantone (26 Kantone)

Legislative: Kantonales Parlament (49 bis 200 Mitglieder) mittels Volkswahl

Auf kantonaler Ebene besteht ein breiteres direktdemokratisches Instrumentarium, so bsp.:• Gesetzesinitiative• Finanzreferendum bei Investitionen• Verwaltungsreferendum bei wichtigen Einzelentscheiden,

Konkordatsreferendum (für Staatsverträge und interkantonale Abkommen)

• Konstruktives Referendum (Einbringen von Alternativen zu einzelnen Gesetzesbestimmungen ohne die ganze Vorlage ablehnen zu müssen)

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Der föderalistische Staatsaufbau der Schweiz

Ebene Kantone (26 Kantone)

Exekutive: Regierungsrat oder Staatsrat (5-7 Mitglieder) vom Volk einzeln gewählt ( herausragender Unterschied zum Bund)

Judikative: Kantonsgericht vom Kantonsparlament oder von der Regierung ernannt

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Der föderalistische Staatsaufbau der Schweiz

Ebene Gemeinde (2495 Gemeinden und 147 Bezirke, Stand 2011)*

Legislative: Vollversammlung (in kleineren Gemeinden) oder vom Volk gewähltes Gemeindeparlament (in grösseren Gemeinden, ab ca. 20‘000 Einwohner/innen)

Auch hier existieren Formen des Referendums und der Volksinitiative.

*1990: 2915 Gemeinden

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Der föderalistische Staatsaufbau der Schweiz

Ebene Gemeinde

Exekutive: Gemeinderat oder Stadtrat (5-9 Mitglieder) vom Volk einzeln gewählt. Der/die Gemeinde- oder Stadtpräsident/in hat gegenüber der Ebene Bund / Kanton mehr Kompetenzen als die übrigen Gemeinderatsmitglieder. Er/sie wird auch auf Amtsdauer gewählt.

2 Organisationsmodelle in kleinen Gemeinden mit Gemeinderäten im Nebenamt:

• Ressortprinzip (Jedes Mitglied steht an der Spitze einer Verwaltungsabteilung)

• Präsidialprinzip (Der Gemeindepräsident führt allein die Verwaltung. Die übrigen Gemeinderatsmitglieder haben keine direkten Weisungsbefugnisse gegenüber den Verwaltungsmitarbeitenden.)

Judikative: Bezirksgerichte für eine oder mehrere Gemeinden, Volkswahl oder von der Regierung ernannt

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Der föderalistische Staatsaufbau der Schweiz

Die Schweizerische Nationalbank (SNB)

Die SNB ist kein Staatsorgan und ist auch nicht Teil der Bundesverwaltung. Sie besteht seit 1907. Sie ist eine Aktiengesellschaft. Kantone, Kantonalbanken und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften besitzen mehr als die Hälfte des Aktienkapitals.

Die SNB führt die Geld- und Währungspolitik der Schweiz, ‚die dem Gesamtinteresse des Landes dient‘ (Art. 99, Abs. 2 BV). Die SNB verfügt über das Monopol zur Ausgabe von Banknoten. Die Aufgaben und Kompetenzen sind im Nationalbankgesetz geregelt (Revision trat 2004 in Kraft.) Ein zentrales Instrument ist die Festlegung des Leitzinses, aber auch der Kauf fremder Währungen.

Unabhängige Institution, weil die historische Erfahrung gezeigt hat, dass eine von der Regierung politisch unabhängige Zentralbank in kritischen Situationen für wirtschaftspolitische Interessen nicht missbraucht werden kann.

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Konkordanz

‚concordia‘: Einmütigkeit, ‚ein Herz und eine Seele‘

‚consensus democracy‘ (versus ‚majoritarian democracy‘)

Nicht nur die föderalistischen Strukturen sondern auch die Entscheidungsprozesse selbst sind auf eine einvernehmliche Konfliktregulierung und auf Machtteilung (namentlich Durchsetzung des Proporzes) ausgerichtet. Die Konkordanz ist nicht von der Verfassung vorgeschrieben, sie ist über Jahrzehnte gepflegte Praxis, als ausgeprägter Schutz von Minderheiten.

Parlamentarisches und vorparlamentarisches Verfahren sind insgesamt stark auf Kompromiss und Ausgleich unter allen referendumsfähigen Kräften angelegt, damit die Entscheidungsrisiken des Referendums minimiert werden. Von den Volksrechten geht der wichtigste Konkordanzzwang aus.

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Konkordanz

,Eine ausgeprägte Konsensdemokratie hat in der Schweiz die Integration und Identitätsbildung einer mehrsprachigen, konfessionell, vom Stadt-Land- und später vom Kapital-Arbeit-Gegensatz geprägten Gesellschaft über politische Institutionen und Prozesse ermöglicht.‘ (Wolf Linder, 2009, S. 598)

‚Bedeutung des kulturellen Faktors: Verhandlung und Kompromiss als Muster kollektiver Konfliktlösung sind nicht erst mit den modernen politischen Institutionen eingeführt worden, sondern finden sich als verbreitetes Verhalten in der vordemokratischen Geschichte der Eidgenossenschaft.‘ (Wolf Linder, 2009, S. 599)

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Parteiensystem – Interessensverbände - Medien

Parteien

Parteien sind intermediäre Organisationen (zwischen Staat und Gesellschaft). Sie organisieren politische Interessen. Sie streben nach der Kontrolle über den Staatsapparat und staatliche Entscheidungen. Das Mittel dazu ist die Beteiligung an Wahlen und Abstimmungen.

• Regierungsparteien: jeweils gegründet: 1888: SP, 1894: FDP, 1912: CVP, 1918: SVP

• Nicht-Regierungsparteien

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Parteiensystem – Interessensverbände - Medien

Interessensverbände

Interessensverbände sind Zusammenschlüsse von Menschen und Unternehmungen mit ähnlichen Interessen in einer festen, hierarchisch (und regional) gegliederten Organisation mit formaler Mitgliedschaft. Sie organisieren die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder.

Gegen aussen vertritt der Verband die gemeinsamen Interessen der Mitglieder im politischen Willensbildungsprozess.

Gegen innen können sich die Mitglieder gegenseitig unterstützen, gemeinsame Weiterbildungsprogramme betreiben, Standesregeln erlassen, gemeinsam günstiger einkaufen und anderes mehr.

Je nach Art des Verbandes variieren die Zielsetzungen gegen aussen und gegen innen. Es gibt mehr als 1300 Einzel- und Dachverbände in der Schweiz.

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Parteiensystem – Interessensverbände - Medien

Grundbedingung der Existenz freier Verbände ist die Vereinigungsfreiheit (Art. 23 BV). Die Verbände bringen sich im Gesetzgebungsprozess ein, namentlich im vorparlamentarischen Verfahren. In der Schweiz ist seit 1947 die Mitwirkung der Verbände in der Wirtschaftspolitik eingeführt.

a) Wirtschafts-/Arbeitgeberverbände

• Spitzen/Dachverbände: Verband der Schweizer Unternehmen (economiesuisse), Schweizerischer Arbeitgeberverband (SAV), Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg), Schweizerische Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (Swissmem)

• Berufs- und erwerbsständische Verbände des Mittelstandes: Schweizerische Gewerbeverband, Schweizerische Bauernverband, Schweizerischer Verband freier Berufe (SVFB), Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärtze (FMH), Verband für Hotellerie und Restauration (Gastrosuisse)

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Parteiensystem – Interessensverbände - Medien

b) Arbeitnehmerverbände

• Berufsverbände (Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH), avenir social, Schweizerischer Kaufmännischer Verband (SKV)

• Gewerkschaften (Dachverbände: Schweizerischer Gewerkschaftsbund und travail suisse)

c) Advokatorische Organisationen

(Pro Natura, WWF, VCS, Schweizerischer Mieterinnen- und Mieterverband, Schweizerischer Verband für Seniorenfragen

d) Politische Verbände

(Schweizerischer Gemeindeverband, Schweizerischer Städteverband, Konferenz der Kantonsregierungen)

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Parteiensystem – Interessensverbände - Medien

Politische Bewegungen

In politischen Bewegungen schliessen sich – ähnlich wie bei den Parteien – Menschen mit ähnlichen Interessen und Motiven zusammen. Sie mobilisieren ereignis- und themenbezogen. Die organisatorischen Strukturen sind eher lose. Es werden auch ‚nichtinstitutionelle Formen‘ der politischen Partizipation angewandt: Demonstrationen, Besetzung, direkte Aktionen, Provokationen. Diese rufen gewöhnlich ein Medienecho aus.

Neue Soziale Bewegungen sind / waren Friedens-, Anti-AKW, Umwelt-, Frauenbewegung etc.

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Parteiensystem – Interessensverbände - Medien

Instrumente der Einflussnahme – ‚Lobbying‘

Der Begriff ‚Lobby‘ kommt von ‚Wandelhalle‘ im Parlamentsgebäude. Lobbyisten versuchen demnach, die Parlamentarier/innen im Umfeld von Parlaments- und Kommissionssitzungen im persönlichen Gespräch zu beeinflussen.

Grundprinzip der Einflussnahme: Verbände müssen dort tätig sein, wo die wichtigen Sach- und Personalentscheide fallen.

Tipps für das Lobbying (Möckli, 2012, S. 108):

• Mit handfesten Fakten argumentieren.

• Sich mit Menschen mit ähnlich gelagerten Interessen vernetzen.

• Dort tätig sein, wo die wichtigen Personal- und Sachentscheide fallen.

• So früh als möglich und im richtigen Augenblick intervenieren.

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Parteiensystem – Interessensverbände - Medien

Instrumente der Einflussnahme – ‚Lobbying‘

• Zuerst geben – dann nehmen. (Bsp.: Lieferung wichtiger Informationen, Hilfe bei der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfes, politische Unterstützung bei der Mehrheitsfindung, Mitwirkung beim Vollzug eines Gesetzes, Einladungen zum Essen, Geschenke Die Grenze zur Bestechung oder Korruption ist fliessend.)

• Den Dialog suchen – keine Einweg-Kommunikation.

• Den Gesprächspartner ernst nehmen.

In der Schweiz geschieht die Einflussnahme der Interessensverbände auch dadurch, dass ihre Vertreter/innen direkt im Parlament sitzen. Von Vorteil ist es auch, wenn man so stark ist, dass man mit einem Referendum drohen kann.

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Parteiensystem – Interessensverbände - Medien

Öffentliche Meinung

Es ist die von den politischen Akteuren über persönliche Kontakte, über die Medien und durch Meinungsumfragen wahrgenommene Meinung der Mehrheit der Bevölkerung zu politischen Streitfragen.

Etwas objektiver messen kann man die öffentliche Meinung durch demoskopische Umfragen und durch Inhaltsanalysen von Medien.

Was die politischen Akteure als ‚öffentliche Meinung‘ wahrnehmen, kann enorme Auswirkungen auf den politischen Entscheidungsprozess und auf das individuelle politische Verhalten haben.

Gegen die öffentliche Meinung lässt sich in einer Demokratie auf Dauer nicht regieren, denn diese schlägt sich in den Resultaten von Abstimmungen und Wahlen nieder. Gegen die öffentliche Meinung anzutreten, bedeutet sich der Gefahr der sozialen Isolation auszusetzen. Und trotzdem ist Wandel mit der Zeit möglich. Es braucht mehrere Anläufe für Forderungen.

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Parteiensystem – Interessensverbände - Medien

Medien

Die Funktion der Medien ist Information, Kontrolle aber auch Unterhaltung und Integration. Medien vermitteln einem grossem Publikum auch gemeinsame Werte, Normen und Erlebnisse.

Printmedien: Seit mehreren Jahrzehnten ist ein Konzentrationsprozess im Gang. Es Gesamtauflagen sinken.

Elektronische Medien: Mit der Zulassung von privaten Radio- und Fernsehstationen ist diese Medienlandschaft bunter geworden. Aber auch stärker fragmentiert mit Mobiltelefon und Internet mit Onlinezeitungen, Newsportalen, iApps, sozialen Medien.

Aber: Private Medien sind keine Bildungsinstitutionen, sondern kommerzielle Unternehmen, die untereinander im Wettbewerb stehen.

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Gesetzgebung als Verhandlungsprozess

1. Antrag (auf Gesetzrevision, Verfassungsrevision, Neuerlass eines Gesetzes oder Verfassung) über parlamentarische Motion, Volksinitiative, Standesinitiative, Referendum, Bundesratsentscheid (auf Grund einer Evaluation des Vollzugs) Hier versuchen auch Interessensverbände und politische Bewegungen ihre Interessen einzubringen. Wenn die politische Unterstützung ungenügend ist, ‚versanden‘ die Forderungen.

2. Vorprojekt (des zuständigen Departements)

Vorparlamentarisches Verfahren:

3. Expertenentwurf (durch von Bundesrat ernannte Kommission)

4. Vernehmlassung (Stellungnahme der Interessengruppen, Parteien, Kantone)

5. Bundesratsentwurf (nach Auswertung der Vernehmlassung)

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Gesetzgebung als Verhandlungsprozess

Parlamentarisches Verfahren:

1. Kommissionsentwürfe (nach Beratung in Ständerats- und Nationalratskommission)

‚Hier werden die Geschäfte vorgespurt‘

Beide Räte haben ständige Kommissionen eingesetzt. Es sind dies 2 Aufsichtskommissionen (FK und GPK) sowie 9 Legislativkommissionen (APK, WBK, SGK, UREK, SiK, KVF, WAK, SPK, RK) und 4 weitere Kommissionen (BeK, GK, IK-N, RedK)

2. Parlamentsvorlage (Verabschiedung nach Eintreten, Detailberatung und Schlussabstimmung beider Kammern)

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Gesetzgebung als Verhandlungsprozess

Mitwirkung des Volkes:

1. Referendumsvorbehalt (obligatorisch für Verfassungsrevision, fakultativ für Gesetze)

2. Ansetzung Abstimmung (durch Bundesrat)

3. Abstimmung (doppeltes Mehr für Verfassungsvorlagen)

Vollzug:

4. Inkraftsetzung (Bundesrat)

5. Vollzug (Departemente und Ämter, beauftragte Dritte und Private, Verordnungsgebung) Schlüssel: politischer Wille ist der wichtigste Faktor für Realisierungserfolg.

6. Evaluation (der Vollzugserfahrung)

7. Antrag auf…

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Beispiel: Bundesgesetz über die Gentechnik im Ausserhumanbereich

1996: Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) des Nationalrats reicht am 15.8.1996 die Gen-Lex-Motion ein. Der Bundesrat wird aufgefordert den Bereich der Gentechnologie zu regeln, da dies im 1995 geänderten Umweltschutzgesetz nicht getan wurde.

1997: Das Bundesamt für Veterinärwesen (Bvet) arbeitet einen Vorentwurf aus, den der Bundesrat im Dezember 1997 verabschiedet.

1998: Der Entwurf geht in die Vernehmlassung. Es gehen rund 180 Eingaben ein. Diese werden ausgewertet und vom Bundesrat im Oktober 1998 veröffentlicht. Das Geschäft wechselt ins Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal). Dieses Amt erarbeitet die Botschaft zur Änderung des Umweltschutzgesetzes.

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Beispiel: Bundesgesetz über die Gentechnik im Ausserhumanbereich

2000: Am 1. März 2000 überweist der Bundesrat die Botschaft ans Parlament. Von April 2000 bis August 2001 berät zuerst die WBK des Ständerats die Änderungen des Umweltschutzgesetzes. Sie beschliesst, die Regelung zum Schutz von Mensch und Umwelt vor den Gefahren der Gentechnologie mit einem neuen, eigenständigen Gesetz über die Gentechnik im Ausserhumanbereich zu regeln.

2001: In der Sommer- und Herbstsession 2001 beschliesst der Ständerat, mit dem Gesetz nicht nur Mensch und Umwelt, sondern auch ‚die biologische Vielfalt und deren nachhaltige Nutzung‘ zu schützen. Er räumt den Umweltverbänden ein Beschwerderecht ein gegen das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen ein, lehnt aber ein Moratorium für deren Nutzung ab. Das Gesetz wird dann mit 32 zu 0 gutgeheissen.

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Beispiel: Bundesgesetz über die Gentechnik im Ausserhumanbereich

2001: Von November 2001 bis Juli 2002 behandelt die nationalrätliche WBK das Geschäft. Besonders umstritten ist dabei die Moratoriumsfrage.

2002: In der Herbstsession 2002 tritt der Nationalrat auf die Vorlage ein. Er beschliesst strengere Auflagen für die Freisetzung als der Ständerat. Er streicht das Verbandsbeschwerderecht, spricht sich auch gegen das Moratorium aus. Das Gesetz wird mit 67:48 bei 48 Enthaltungen gutgeheissen.

2002: im Dezember 2002 beginnt das Differenzbereinigungsverfahren im Ständerat. Der Ständerat übernimmt die verschärfte Produktehaftung, ausgenommen davon sind Land- und Forstwirtschaft. Er hält am Beschwerderecht fest. Zudem soll das Gesetz Forschung ermöglichen aber nicht mehr fördern (gemäss Zweckartikel).

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Beispiel: Bundesgesetz über die Gentechnik im Ausserhumanbereich

2003: Im März 2003 findet die Differenzbereinigung im Nationalrat statt. Der Nationalrat übernimmt das Verbandbeschwerderecht und den Zweckartikel. In der gleichen Session räumt der Ständerat die verbleibenden Differenzen zum Nationalrat aus. Somit ist eine Einigungskonferenz nicht nötig. Das Gentechnikgesetz passiert am 21. März 2003 die Schlussabstimmung im Nationalrat mit 159:4 bei 19 Enthaltungen und im Ständerat mit 41:0 Stimmen. Das Referendum wird nicht ergriffen in den 100 folgenden Tagen (Referendumsfrist bis am 10. Juli 2003).

2004: Der Bundesrat setzt das Gentechnikgesetz auf den 1. Januar 2004 in Kraft.

‚Mais im Bundeshuus‘ Film von Jean-Stephane Bron

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QuellenBeck, Bernhard (2004). Wohlstand, Markt und Staat. Eine

Einführung in die Volkswirtschaftslehre. (5. Auflage). Zürich: Compendio Bildungsmedien

Linder, Wolf (2009). Das politische System der Schweiz. (S. 487-520). In: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.). Die politischen Systeme Westeuropas. (4. Auflage). Opladen: Leske + Budrich

Moeckli, Silvano (2012). Das politische System der Schweiz verstehen. (3. akt. Auflage). Altstätten: Tobler Verlag

Schweizerische Eidgenossenschaft - Bundeskanzlei (2006). Der Bund kurz erklärt 2006. Bern: BBL, Vertrieb Bundespublikationen

Schweizerische Eidgenossenschaft - Bundeskanzlei (2012). Der Bund kurz erklärt 2012. Bern: BBL, Vertrieb Bundespublikationen

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