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Worüber das Christkind lächeln musste Von Karl Heinrich Waggerl Als Josef mit Maria von Nazareth her unterwegs war, um in Bethlehem anzugeben, dass er von David abstamme - was die Obrigkeit so gut wie unsereins hätte wissen können, weil es ja längst geschrieben stand - um jene Zeit also kam der Engel Gabriel heimlich noch einmal vom Himmel herab, um im Stalle nach dem Rechten zu sehen. Es war ja sogar für einen Erzengel in seiner Erleuchtung schwer zu begreifen, warum es nun der allererbärmlichste Stall sein musste, in dem der Herr zu Welt kommen sollte, und seine Wiege nichts weiter als eine Futterkrippe. Aber Gabriel wollte wenigstens noch den Winden gebieten, dass sie nicht gar zu grob durch die Ritzen pfiffen, und die Wolken am Himmel sollten nicht gleich wieder in Rührung zerfließen und das Kind mit ihren Tränen überschütten, und was das Licht in der Laterne betraf, so musste man ihm noch einmal einschärfen, nur bescheiden zu leuchten und nicht etwa zu blenden und zu glänzen wie der Weihnachtsstern. Der Erzengel stöberte auch alles kleine Getier aus dem Stall, die Ameisen und Spinnen und die Mäuse, es war nicht auszudenken, was geschehen konnte, wenn sie die Mutter Maria vielleicht vorzeitig über eine Maus entsetzte! Nur Esel und Ochs durften bleiben, der Esel, weil man ihn später ohnehin für die Flucht nach Ägypten zu Hand haben musste, und der Ochs, weil er so riesengroß und so faul war, dass ihn alle Heerscharen des Himmels nicht hätten von der Stelle bringen können. Zuletzt verteilte Gabriel noch eine Schar Engelchen im Stall herum auf den Dachsparren, es waren solche von der kleinen Art, die fast nur aus Kopf und Flügeln bestehen. Sie sollten auch bloß still sitzen und Acht haben und sogleich Bescheid geben, wenn dem Kind in seiner nackten Armut etwas Böses drohte. Noch ein Blick in die Runde, dann erhob der Mächtige seine Schwingen und rauschte davon. Gut so. Aber nicht ganz gut, denn es saß noch ein Floh auf dem Boden der Krippe in der Streu und schlief. Dieses winzige Scheusal war dem Engel Gabriel entgangen, versteht sich, wann hatte auch ein Erzengel je mit Flöhen zu tun! Als nun das Wunder geschehen war, und das Kind lag leibhaftig auf dem Stroh, so voller Liebreiz und so rührend arm, da hielten es die Engel unterm Dach nicht mehr aus vor Entzücken, sie umschwirrten die Krippe wie ein Flug Tauben. Etliche fächelten dem Knaben balsamische Düfte zu und die anderen zupften und zogen das Stroh zurecht, damit ihn ja kein Hälmchen drücken oder zwicken möchte. Bei diesem Geraschel erwachte aber der Floh in der Streu. Es wurde ihm gleich himmelangst, weil er dachte, es sei jemand hinter ihm her, wie gewöhnlich. Er fuhr in der Krippe herum und versuchte alle seine Künste und schließlich, in der äußersten Not, schlüpfte er dem göttlichen Kinde ins Ohr. "Vergib mir!" flüsterte der atemlose Floh, "aber ich kann nicht anders, sie bringen mich um, wenn sie mich erwischen. Ich verschwinde gleich wieder, göttliche Gnaden, lass mich nur sehen, wie!" Er äugte also umher und hatte auch gleich seinen Plan. "Höre zu", sagte er, "wenn ich alle Kraft zusammennehme, und wenn du still hältst, dann könnte ich vielleicht die Glatze des Heiligen Josef erreichen, und von dort weg kriege ich das Fensterkreuz und die Tür...." "Spring nur!" sagte das Jesukind unhörbar, "ich halte still!" 1 Die Vorarlberger Nachrichten wünschen Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest

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Worüber das Christkind lächeln musste Von Karl Heinrich Waggerl Als Josef mit Maria von Nazareth her unterwegs war, um in Bethlehem anzugeben, dass er von David abstamme - was die Obrigkeit so gut wie unsereins hätte wissen können, weil es ja längst geschrieben stand - um jene Zeit also kam der Engel Gabriel heimlich noch einmal vom Himmel herab, um im Stalle nach dem Rechten zu sehen. Es war ja sogar für einen Erzengel in seiner Erleuchtung schwer zu begreifen, warum es nun der allererbärmlichste Stall sein musste, in dem der Herr zu Welt kommen sollte, und seine Wiege nichts weiter als eine Futterkrippe. Aber Gabriel wollte wenigstens noch den Winden gebieten, dass sie nicht gar zu grob durch die Ritzen pfiffen, und die Wolken am Himmel sollten nicht gleich wieder in Rührung zerfließen und das Kind mit ihren Tränen überschütten, und was das Licht in der Laterne betraf, so musste man ihm noch einmal einschärfen, nur bescheiden zu leuchten und nicht etwa zu blenden und zu glänzen wie der Weihnachtsstern. Der Erzengel stöberte auch alles kleine Getier aus dem Stall, die Ameisen und Spinnen und die Mäuse, es war nicht auszudenken, was geschehen konnte, wenn sie die Mutter Maria vielleicht vorzeitig über eine Maus entsetzte! Nur Esel und Ochs durften bleiben, der Esel, weil man ihn später ohnehin für die Flucht nach Ägypten zu Hand haben musste, und der Ochs, weil er so riesengroß und so faul war, dass ihn alle Heerscharen des Himmels nicht hätten von der Stelle bringen können. Zuletzt verteilte Gabriel noch eine Schar Engelchen im Stall herum auf den Dachsparren, es waren solche von der kleinen Art, die fast nur aus Kopf und Flügeln bestehen. Sie sollten auch bloß still sitzen und Acht haben und sogleich Bescheid geben, wenn dem Kind in seiner nackten Armut etwas Böses drohte. Noch ein Blick in die Runde, dann erhob der Mächtige seine Schwingen und rauschte davon. Gut so. Aber nicht ganz gut, denn es saß noch ein Floh auf dem Boden der Krippe in der Streu und schlief. Dieses winzige Scheusal war dem Engel Gabriel entgangen, versteht sich, wann hatte auch ein Erzengel je mit Flöhen zu tun! Als nun das Wunder geschehen war, und das Kind lag leibhaftig auf dem Stroh, so voller Liebreiz und so rührend arm, da hielten es die Engel unterm Dach nicht mehr aus vor Entzücken, sie umschwirrten die Krippe wie ein Flug Tauben. Etliche fächelten dem Knaben balsamische Düfte zu und die anderen zupften und zogen das Stroh zurecht, damit ihn ja kein Hälmchen drücken oder zwicken möchte. Bei diesem Geraschel erwachte aber der Floh in der Streu. Es wurde ihm gleich himmelangst, weil er dachte, es sei jemand hinter ihm her, wie gewöhnlich. Er fuhr in der Krippe herum und versuchte alle seine Künste und schließlich, in der äußersten Not, schlüpfte er dem göttlichen Kinde ins Ohr. "Vergib mir!" flüsterte der atemlose Floh, "aber ich kann nicht anders, sie bringen mich um, wenn sie mich erwischen. Ich verschwinde gleich wieder, göttliche Gnaden, lass mich nur sehen, wie!" Er äugte also umher und hatte auch gleich seinen Plan. "Höre zu", sagte er, "wenn ich alle Kraft zusammennehme, und wenn du still hältst, dann könnte ich vielleicht die Glatze des Heiligen Josef erreichen, und von dort weg kriege ich das Fensterkreuz und die Tür...." "Spring nur!" sagte das Jesukind unhörbar, "ich halte still!"

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Und da sprang der Floh. Aber es ließ sich nicht vermeiden, dass er das Kind ein wenig kitzelte, als er sich zurechtrückte und die Beine unter den Bauch zog. In diesem Augenblick rüttelte die Mutter Gottes ihren Gemahl aus dem Schlaf. "Ach, sieh doch!" sagte Maria selig, "es lächelt schon!"

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Gibt es einen Weihnachtsmann? Die achtjährige Virginia aus New York wollte es ganz genau wissen. Darum schrieb sie an die Tageszeitung New York Sun einen Brief: Ich bin 8 Jahre alt. Einige von meinen Freunden sagen, es gibt keinen Weihnachtsmann. Papa sagt, was in der Sun steht, ist immer wahr. Bitte, sagen Sie mir: Gibt es einen Weihnachtsmann? Virginia O'Hanlon Der Chefredakteur Francis Church antwortete selbst auf Virginias Anfrage - auf der Titelseite der Sun: Virginia, deine kleinen Freunde haben nicht Recht. Sie glauben nur was sie sehen; sie glauben, dass es nicht geben kann, was sie mit ihrem kleinen Geist nicht erfassen können. Aller Menschengeist ist klein, ob er nun einem Erwachsenen oder einem Kind gehört. Im Weltall verliert er sich wie ein winziges Insekt. Ja, Virginia, es gibt einen Weihnachtsmann. Es gibt ihn so gewiss wie die Liebe und Großherzigkeit und Treue. Weil es all das gibt, kann unser Leben schön und heiter sein. Wie dunkel wäre die Welt, wenn es keinen Weihnachtsmann gäbe! Es gäbe dann auch keine Virginia, keinen Glauben, keine Poesie - gar nichts, was das Leben erst erträglich machte. Ein Flackerrest an sichtbarem Schönen bliebe übrig. Aber das Licht der Kindheit, das die Welt ausstrahlt, müsste verlöschen. Es gibt einen Weihnachtsmann, sonst könntest du auch den Märchen nicht glauben. Gewiss, du könntest deinen Papa bitten, er solle am Heiligen Abend Leute ausschicken, den Weichnachtsmann zu fangen. Und keiner von ihnen bekäme den Weichnachtsmann zu Gesicht - was würde das beweisen? Kein Mensch sieht ihn einfach so. Das beweist gar nichts. Die wichtigsten Dinge bleiben meistens unsichtbar. Die Elfen zum Beispiel, wenn sie auf Mondwiesen tanzen. Trotzdem gibt es sie. All die Wunder zu denken - geschweige denn sie zu sehen -, das vermag nicht der Klügste auf der Welt. Was du auch siehst, du siehst nie alles. Du kannst ein Kaleidoskop aufbrechen und nach den schönsten Farbfiguren suchen. Du wirst einige bunte Scherben finden, nichts weiter. Warum? Weil es einen Schleier gibt, der die wahre Welt verhüllt, einen Schleier, den nicht einmal die Gewalt auf der Welt zerreißen kann. Nur Glaube und Poesie und Liebe können ihn lüften. Dann werden die Schönheit und Herrlichkeit dahinter zu erkennen sein. "Ist das denn auch wahr?" kannst Du fragen. Virginia, nichts auf der ganzen Welt ist wahrer und nichts beständiger. Der Weihnachtsmann lebt, und er wird ewig leben. Sogar in zehnmal zehntausend Jahren wird er da sein, um Kinder wie dich und jedes offene Herz mit Freude zu erfüllen. Frohe Weihnacht, Virginia. Dein Francis Church. Der Briefwechsel zwischen Virginia O'Hanlon und Francis P. Church stammt aus dem Jahr 1897. Er wurde über ein halbes Jahrhundert, alle Jahre wieder zur Weihnachtszeit auf der Titelseite der Zeitung gedruckt. Die Sun wurde 1950 eingestellt.

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Die Weihnachtswiese Aus Gerdt von Bassewitz: Peterchens Mondfahrt Hier waren noch niemals Kinder gewesen; es war ein unbeschreibliches Glück für die beiden kleinen Reisenden, dass ihnen die Nachtfee erlaubte, dies zu sehen. Der Maikäfer durfte übrigens auch mit, denn es wäre doch leicht möglich gewesen, dass der große Bär ihn tottrat oder vielleicht gar auffraß, wenn er mit ihm eine Weile allein geblieben wäre. Ganz bescheiden krabbelte also der Sumsemann hinter den dreien her, als sie nun auf einem Goldkieswege zwischen kleinen, grünen Tannenbäumchen weiter schritten. Die Luft war erfüllt von herrlichem Kuchenduft. Alle Kuchen der Welt schienen hier zu sein - besonders nach Pfefferkuchen roch es. Ein warmer, leiser Wind, der in den Zweigen der kleinen Tannen säuselte, trug ihnen diesen prächtigen Duft zu. Selbst das Sandmännchen bekam davon Kuchenappetit; es wischte sich den Mund sehr umständlich und tat so, als ob es niesen müsste, damit man's nicht merken sollte. Der Weg, auf dem sie durch das Tannenwäldchen gingen, war mit vergoldetem Schokoladenplätzchenkies bestreut. Das roch natürlich auch gut. Anneliese schnabulierte schnell mal ein Plätzchen, und Peterchen auch. Wirklich, es waren Schokoladenplätzchen! - und was für welche! - hmmm! Nun waren sie aus dem Wäldchen heraus. Einen Augenblick blieben sie stehen, vor Erstaunen ganz starr über das, was sie jetzt vor sich sahen. Kein Traum hätte jemals etwas so Schönes zaubern können! Eine weite, weite Landschaft lag vor ihnen: Gärten und Felder, Wälder und Wiesen, Hügel und Täler, Bäche und Seen, von einem goldenen Himmel hoch überspannt. Eine Spielzeuglandschaft war es, die fast so aussah wie eine richtige Landschaft; und doch anders, ganz anders - viel, viel zauberhafter. Nicht wie in einer gewöhnlichen Landschaft wuchsen da Kartoffeln oder Bohnen, Gras oder Klee, sondern hier wuchs das Spielzeug. Alles, was man sich nur irgend denken kann, wuchs hier; von den Soldaten bis zu den Püppchen und Hampelmännern, von den Murmelkugeln bis zu den Luftballons. Auf bunten Feldern und Wiesen, in niedlichen grünen Gärten, an Sträuchern und Bäumchen, überall sprosste, blühte und reifte es. Eine Bilderbücherwiese war da, auf der alle Bilderbücher wie Gemüse wuchsen. Das sah sehr bunt und vergnügt aus; manche waren noch nicht entfaltet und wie Knospen in ihren Hüllen, kleine Rollen in allen Farben; manche waren schon auf, schaukelten im Winde und blätterten um. Daneben sah man Beete mit Trompeten und Trommeln. Wie Kürbisse und Gurken kamen sie aus der Erde hervor. Nicht weit davon waren große Rasenfelder mit Soldaten bewachsen, die zum Teil schon weit aus der Erde herausguckten, zum Teil noch bis an den Hals darin steckten oder erst mit der Helmspitze hervorsahen wie kleine Spargel. Dann war ein Feld dort, auf dem die Petzbären wuchsen. Ein kleiner grüner Zaun lief rings herum, denn einige von den drolligen Tierchen waren schon reif, von ihren Wurzeln los und purzelten quiekend herum. Auf der andern Seite wieder waren Gärten mit großen und kleinen Sträuchern, an denen Bonbons in allen Farben und Größen wuchsen. Kleine Teiche von roter und gelber Limonade glänzten zwischen Schilfwiesen, in denen aus den raschelnden Halmen silbrige Schilfkeulen wuchsen - die Zeppelinballons, Niedliche, summende Flugmaschinen flogen dort als Libellen herum. Ganz besonders schön waren auch die großen Tannen, an denen die vergoldeten Äpfel und Nüsse wuchsen, und die Pfefferkuchenbäume. Sie standen meistens in Gruppen auf kleinen, runden Plätzen mit Krachmandelkies. Überall hörte man in Bäumchen und Sträuchern eine süße Zwitschermusik. Die kam von den bunten Spielzeugvögelchen, die zwischen Pfefferkuchenzweigen und Bonbonknospen herumhuschten. Sie hatten dort ihre Nesterchen, in denen sie fleißig Pfefferminzplätzchen legten. Viele brüteten auch, damit noch mehr Vögelchen zu Weihnachten auskröchen. Sie sind ja sehr beliebt bei den Kindern auf der

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Erde; besonders wenn sie mit Plätzchen gefüllt sind - man weiß das. Das Schönste aber, was man hier sehen konnte, war eigentlich der Puppengarten. Ein ganzer Wald von bunten Büschen und Bäumchen auf grünem Sammetrasen, von einem goldenen Zaun umgeben. An den Büschen und Bäumchen saßen Tausende und aber Tausende von Puppen und Püppchen. Wie kleine Blumen wuchsen sie an den Zweigen; zuerst nur Knospen von Sammet oder Seide, dann Blümchen mit kleinen Gesichtern in der Mitte und dann endlich Püppchen oder Puppen mit Haar, Schuhen und Schleifen in allen Größen und Farben. An feinen, silbernen Stielen hingen sie von den Zweigen und konnten abgepflückt werden. Ein kleiner See war auch im Puppengarten, ganz bedeckt mit wunderschönen Wasserrosen. Wenn die aufblühten und ihre weißen oder gelben seidenen Blätter auseinanderfalteten, so gab es einen kleinen, klingenden Knall, und in der offenen Blume lag ein rosiges Badepüppchen. Sehr lustig war das! Ja, und dann gab's noch so einen kleinen, seltsamen Wald, ein wenig versteckt in einem tieferen Tal, so seitwärts, hinter einer Marzipanschweinezüchterei. Ganz kahl war's da, ohne ein Blättchen; nur Bäumchen mit Ruten. Immerfort pfiff ein Wind, dass die Ruten sich bogen. Kein Vögelchen zwitscherte, kein Flugmaschinchen summte; es war nicht sehr freundlich in dem Wald. Man brauchte ihn eigentlich auch gar nicht zu bemerken, so versteckt lag er. Aber er war doch da auf der Weihnachtswiese - der Rutenwald. Man kann sich wohl denken, wie den Kindern zumute war, als sie alle diese zauberhaften Dinge sahen, während sie an der Hand des Sandmännchens über Krachmandel- und Schokoladenwege, über Zuckerbrücken und Marzipanstraßen hinwanderten zu einem kleinen sanft leuchtenden Berge, der die Mitte des Ganzen bildete. Dort liefen alle Wege und Straßen zusammen auf einen, von Tannenbäumchen umhegten Platz. Auf diesem Platze aber - ja, das war das Allerschönste! stand die goldene Wiege des Christkindchens. Neben der Wiege, auf einem schönen, himmelblauen Großvaterstuhl saß der Weihnachtsmann in seinem pelzverbrämten Rock mit einer silbergrauen Pudelmütze und schneeweißem Bart. Er hatte eine lange, schöne Pfeife mit bunten Troddeln im Munde, aus der er ab und zu großmächtige Wolken in die Luft paffte. Dazu wiegte er leise die goldene Wiege, und über der Wiege schwebte still ein leuchtender Heiligenschein. Es war sehr feierlich, es war sehr schön! Nun sah der Weihnachtsmann die kleinen Besucher, die da ankamen. Ein freundliches Lächeln huschte über sein Gesicht - er wusste schon Bescheid-, stand auf, kam ihnen entgegen und sagte: »Ei, ei, das ist mir eine Freude! Guten Tag, ihr lieben Kinderchen beide, Und Sandmännchen, und Maikäfermann; Willkommen hier auf der Weihnachtswiese!« Und dann gab er den Kindern die Hand. Peterchen war noch ein wenig schüchtern und Anneliese erst recht; es war auch wirklich ein sehr feierlicher Augenblick. Aber der gute Weihnachtsmann streichelte ihnen die Köpfe und die Bäckchen und sagte: »Nun Peterchen? - nun Anneliese? - Ja ja, ich kenn' euch, wisst ihr's nicht mehr? Ich kenne euch gut, noch von Weihnachten her! Artig wart ihr alle beide; Ich weiß es, ihr macht eurem Mütterchen Freude.«

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Die Kinder erinnerten sich natürlich ganz genau, wie der Weihnachtsmann damals gekommen war mit Nüssen und Äpfeln und das Weihnachtsbäumchen gebracht hatte. Wahrscheinlich hatte er auch die vielen anderen schönen Sachen gebracht, die nachher auf dem Weihnachtstisch lagen. Das dachten sie sich jetzt, nachdem sie gesehen hatten, dass hier alles Spielzeug wuchs. Der Weihnachtsmann hatte nämlich damals lange mit Muttchen gesprochen, nachdem sie ihren Spruch schön hergesagt hatten, und dann aus einem großmächtigen Sack, der ihm über den Rücken hing, alles mögliche herausgenommen. Muttchen hatte das schnell in die Weihnachtsstube gebracht; dann hatte der Weihnachtsmann genickt, genau so freundlich wie jetzt, und war verschwunden. Natürlich kannten sie ihn! Und so fasste Peterchen sich Mut, erzählte, was er vom vorigen Weihnachten wusste, und Anneliese nickte eifrig mit dem Kopf dazu. Ja, es stimmte! Der Weihnachtsmann bestätigte alles so freundlich, dass die Kinder jede Scheu verloren und sich zutraulich an ihn drängten. Ein sehr spaßiges Männchen sprang da noch mit einer kleinen Gießkanne bei den Weihnachtsbäumen herum und begoss immerfort. Dazu sang es mit seinem dünnen Stimmchen: »O Tannebaum, O Tannebaum, Wie grün sind deine Blätter! Du grünst nicht nur zur Sommerszeit, Nein auch im Winter, wenn es schneit; O Tannebaum, O Tannebaum, Wie grün sind deine Blätter!« Peterchen musste plötzlich laut lachen. Der Weihnachtsmann aber erklärte, dies sei das Pfefferkuchenmännchen, sein Gehilfe, der schrecklich viel zu tun hätte mit dem Begießen und Pflegen all der schönen Sachen. Davon wäre er zu Weihnachten so mürbe und braun. Das Männchen sprang zwischen den Bäumchen herum wie ein kleiner Floh und begoss - mit Zuckerwasser!! Am meisten aber waren die Kinder jetzt neugierig auf das Christkindchen. Auf den Zehenspitzen schlichen sie näher; denn der Weihnachtsmann sagte: »Es schläft, um sich das Herz zu stärken, Zu allen seinen Liebeswerken. Derweil muss ich es wiegen und warten Hier oben im stillen Weihnachtsgarten. Und wenn unsre Stunde gekommen ist, In der Winterszeit, zum heiligen Christ, Dann weck' ich es ganz leise, leise, Und wir machen uns auf die weite Reise Durch Nacht und Wälder, durch Schnee und Wind, Dorthin, wo artige Kinder sind.« Ja, da lag es, tief in den schneeweißen Kissen, mit goldblonden, strahlenden Locken und schlief. Die Kinder falteten leise die Hände und knieten ganz von selbst neben der Wiege nieder, so schön und so heilig war es. Als sie aber niederknieten, kniete auch der Weihnachtsmann und das Pfefferkuchenmännchen mit ihnen. In demselben Augenblick ging ein wundersames Klingen durch die Luft, als sängen tausend kleine Weihnachtsengelchen das Weihnachtslied. Als Anneliese und Peterchen es hörten, sangen sie unverzagt mit, und ihre

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Stimmen klangen so schön mit den Engelstimmchen zusammen, dass sie ganz glücklich waren. Während des Gesanges aber fiel vom Himmel herab ein goldener Schnee, der duftete schöner als alle Blumen der Welt. Auf allen Bäumen und Bäumchen ringsum glühten Lichterchen auf, und große Sterne strahlten vom Wipfel jeder Tanne im Garten. Himmelsschön war es eigentlich und gar nicht zu beschreiben. Es war aber schon wieder Zeit zur Reise. Das Sandmännchen winkte zum Aufbruch, und von fernher hörte man auch den Bären brummen und stampfen, der ungeduldig wurde wie ein Pferdchen, das nicht mehr warten will. So gaben die Kinder dem Weihnachtsmann die Hand und bedankten sich sehr schön. Der lachte freundlich und steckte schnell noch jedem ein ganz frisches Pfefferkuchenpäckchen ins Körbchen. Dann nickte er dem Sandmännchen zu, setzte sich in seinen Großvaterstuhl, paffte riesengroße, steingraue Wolken aus der Pfeife und wiegte das heilige Kindchen. Dazu sprang das Pfefferkuchenmännchen im Hintergrunde zwischen den Tannen herum, begoss und sang sein Liedchen. So war alles wieder wie vorher. Die drei Abenteurer aber eilten mit dem Sandmännchen zum Eingangstor zurück, über die Zuckerbrücken und Schokoladenwege, schnell, schnell! Besonders der Sumsemann hatte es eilig dabei, denn ihm hatte es am wenigsten gut gefallen. Gar nichts war da gewesen für ihn! Lauter Zucker, Marzipan, Mandeln, Rosinen, Limonade, Schokolade! Kein Blättchen gab's, nur Tannen, Bonbonsträucher und Pfefferkuchenbäume - brrrrrrrr!! Nein, solche Gegend passte ihm nicht! Er hatte allerdings einen Kameraden gefunden, einen Spielzeugmaikäfer. Aber als er sich ihm vorstellte, wie sich das gehört, hatte der Kerl bloß gerasselt und geklappert mit seinen Beinen und Flügeln; nicht einmal anständig summen konnte er. Natürlich, er war aus Blech und hatte statt eines klopfenden, ritterlichen Käferherzens nur ein paar blecherne Räder und eine Uhrfeder in der Brust. Aber sechs Beinchen hatte dieser Blechkerl! Das war wirklich ärgerlich! Er, ein echter Maikäfer, wurde von dem Rasselfritzen mit einem Beinchen übertroffen. So packte ihn wieder die grimmigste Sehnsucht nach seinem Beinchen, und emsig, wie ein Feuerwehrmann, wenn's brennt, lief er neben den Kindern her. Endlich ging's ja zum Beinchen, zum Mondberg, zur Erfüllung des großen Wunsches der Sumsemänner! Da taten sich vor ihnen auch schon die Tore auseinander, der Bär stand schnaufend zum Ritt bereit und schüttelte vor Freude den dicken Kopf, dass seine kleinen Reiter wieder da waren. Schnell saßen sie auf seinem Rücken im weichen Fell. Vor ihnen lag die weite Mondlandschaft, hinter ihnen schlossen sich leise die Tore der Weihnachtswiese, und ... fort ging's über den watteweißen, sonderbar schimmernden Boden des Mondes, dem großen Berg zu, der mit seinen seltsamen Formen wie ein riesenhafter Schlagsahnenkegel vor ihnen in der Ferne lag.

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Die eigensinnige Pfeffernuss Wilhelmine Buchholz: Memoiren Es war einmal eine Pfeffernuss, die wollte mehr sein als die anderen, mit denen sie aus dem Backofen in die Welt gekommen war, eine ganze Platte voll, zwanzig Reihen und in jeder Reihe zehn einzelne. Der Bäcker wusste ganz genau wie viele das waren, er wusste auch, wieviel Honig und Zucker, Mehl und Gewürz dazugehörte und was er verdienen würde, wenn er sie alle verkaufte. So klug war der Bäcker. Als er die Platte in den Ofen schob, kam die linke Ecke zuerst hinein. "So ist es recht," dachte die Pfeffernuss, die dort auf der Ecke lag. "Nun bin ich die Erste," und die Hitze des Ofens buk diesen Gedanken so fest in sie hinein, dass sie ihn nie wieder los ward. Es war sehr heiß in dem Ofen, aber sie fühlten, wie sie äußerlich und innerlich besser wurden. Innerlich wurden sie gar, - sie waren ganz roh vorher - und äußerlich braun und blank, während sie vorher voll Mehlstaub saßen und hübsch glatt und rundlich, genug, sie waren kaum wiederzuerkennen, als der Bäcker sie herauszog. "Die werden schmecken," sagte er. "Was das wohl ist?" dachten die Pfeffernüsse und freuten sich darauf, dass sie schmecken würden. Nur die eine Pfeffernuss oben in der linken Ecke brummte: "Ich will nicht schmecken, das überlasse ich den anderen. Ich bin die Erste". "Sagtest Du was?" fragte die nächste Pfeffernuss aus der zweiten Reihe. Die Pfeffernuss in der Ecke antwortete gar nicht. War die andere auch eine Erste, war sie doch eine Reihe unter ihr und der Abstand zu groß; sie hielt sich zu gut, mit einer Niedergeborenen zu sprechen. Nach einer Weile löste der Bäcker die Pfeffernüsse ab und tat sie in eine spiegelblanke Trommel. Alle sprangen sie willig von dem Blech ab, bis auf die eine - die war eigensinnig und wollte nicht. Der Bäcker betrachtete sie und sprach: "Du hast mehr Hitze als die andern in deiner Ecke gekriegt, aber es ist nicht zu viel geworden, es geht noch." Dann nahm er ein Messer und schnitt sie mit einem Ruck los, so schwer sie sich auch machte. "Nun ist sie auch noch etwas ausgebröckelt," sagte der Bäcker, "ich muß sie wohl obendrein geben." Dann warf er sie zu den übrigen und klappte den Trommeldeckel zu. Es war freilich stockdunkle Nacht in der Blechtrommel, aber die Pfeffernüsse unterhielten sich recht gut miteinander und waren zufrieden. Sie kannten es ja nicht anders. "Wenn es nur erst soweit wäre, dass wir schmecken," sagten sie, das war ihr Wunsch. "Warum stimmst du nicht mit ein?" fragten sie die Nuss von der Plattenecke. "Weil ich mich nicht mit euch gemein machen will." "Oho, du bist doch auch nur was wir sind." "Wie dumm ihr seid. Erstens war ich die erste im Ofen, zweitens habe ich mehr Hitze gekriegt, als ihr..." "Du bist beinah verbrannt," rief eine mutige Pfeffernuss, die sich von solchen Vorzügen nicht blenden ließ. "Und dann werde ich "obendrein" gegeben, und das werdet ihr nicht." Da schwieg auch die mutige Pfeffernuss; die anderen waren längst mäuschenstill. So weit würde es doch keine von ihnen bringen. Nach einiger Zeit wurde die Trommel geöffnet. Der Bäcker schüttete eine ganze Menge Pfeffernüsse auf die Wagschale. "Nur nicht so knapp," sagte eine Frau vor dem Ladentische. "Die Nüsse sollen an den

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Tannenbaum, und wir haben vier Kinder." "Ich habe schon reichlich gewogen," erwiderte der Bäcker, "aber eine geb ich Ihnen noch obendrein." Da legte er noch die Eck-Pfeffernuss auf die Wage. "Ach die ist ja angesengert und ausgebröckelt dazu." "Hängen Sie sie am allerhöchsten, da sieht es keiner. Und schmecken tut sie ebenso wie die andern." "Habt ihr's gehört?" fragte die Pfeffernuss, als der Bäcker sie in die Düte schüttete. "Ich werde die aller-allerhöchste! Ihr seid doch ganz gewöhnliches Volk, nicht einmal angesengert und ausgebröckelt seid ihr. Pfui über euch." Die Pfeffernüsse blieben still und stumm, keine wagte die Anmaßende zurückzuweisen. Sie hatten ja auch weiter keine Bildung genossen, als die im Backofen und waren nicht oben links in der Plattenecke die Erste gewesen. Diese Tatsache konnte niemand bestreiten. Aber sie hofften doch unbeirrt, dass sie schmecken würden, das glaubten sie, das hatte der Bäcker gesagt und der hatte sie ja auch aus Teig gemacht. Die Frau, die sie gekauft hatte, nahm eines Abends eine große Nadel und zog damit durch jede Pfeffernuss einen weißen Faden. Der Mann dieser Frau knotete den Faden zusammen und dann kamen beide und hingen die Pfeffernüsse an einen grünen Tannenbaum. "Die werden den Kindern schmecken," sagten sie. "Endlich," sagten die Pfeffernüsse. "Wenn doch die Kinder nur kämen." - Die vier aber lagen in ihrem Bettchen und schliefen. "Morgen ist Weihnacht," sagten sie beim Zubettgehen, "einmal müssen wir noch ausschlafen. Einmal!" Und das taten sie jetzt. Während sie schliefen, zog der heilige Tag daher aus fernem Osten, aus weitvergangener Zeit. Ihm voran flogen Engel mit Flügeln so weiß wie der Schnee, vor denen versteckte sich böses Nachtgetier, Unholde und Gespenster. Dann folgten kleine Englein mit brennenden Kerzen in den Händen, sie auf die Weihnachtsbäume zu stecken und dann kamen Engel in Morgenrot und Lilienglanz, die sangen "Friede auf Erden" so schön, so schön! Und dann kam der heilige Tag, der war so herrlich, dass alle die Augen schlossen und sich vor ihm beugten. Der aber senkte sich in der Menschen Herzen und machte sie selig. Als nun der Weihnachtsbaum brannte und sein Goldputz flimmerte, riefen die Eltern die Kinder herein. Da jubelten sie und sprangen über die Schwelle. Als sie den Tannenbaum sahen, sein Licht und seine Pracht, und die Geschenke darunter ausgebreitet, blieben sie stehen und ihre Augen öffneten sich weit und strahlend. Die Eltern hielten sie umschlungen und blickten herab auf die Kinder, in ihren Herzen war Weihnachtsseligkeit. Die Pfeffernüsse an dem Baume hingen ganz still an ihrem Faden. Das Flittergold zitterte vor innerer Aufregung, sie aber schauten auf die Kinder. Denen also sollten sie schmecken. "O," sagte eine Pfeffernuß, "wenn ich dem kleinen Lockenköpfchen schmeckte, das da eben seine neue Puppe küsst, dann wäre ich glücklich." - "Und was meinst du, wenn der Knabe, der jetzt sein Steckenpferd einreitet, mich wählte? Er hat so niedliche weisst Zähne." Ein Tannenzweiglein knisterte in einer Lichtflamme. Das hieß: "Wollt ihr wohl stille sein." Die Pfeffernüsse erschraken und schwiegen. Sie sahen nach, ob auch die erste Pfeffernuß den Verweis gehört hätte; sie konnten sie aber nicht entdecken; sie hing wohl zu hoch oben. Aber nicht die Pfeffernüsse allein sahen sie nicht, auch vor den spähenden Augen der Kinder war sie versteckt. Als der Vater die Mutter fragte: "Wo bleiben wir mit der angesengten Abgebröckelten?" antwortete sie: "Oben im Baum, meinte der Bäcker." Die Nuß aber wollte ganz hoch hinaus und glitt wieder von dem Ästlein ab, über das der Vater sie hängte. Da rutschte sie in das Dickicht der Zweige und hielt sich fest. "So," sagte sie, "hier bin ich verborgen, niemand sieht mich und ich habe es besser als die andern. Ich will nicht

9Die Vorarlberger Nachrichten wünschen Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest

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geschmeckt werden, wie die." Und so kam es auch; sie behielt ihren eigensinnigen Willen. Als der Baum geplündert wurde, wie schmeckten da die anderen Pfeffernüsse, es war ein Vergnügen. Die Kinder freuten sich, die Eltern freuten sich, der Bäcker hatte sich schon gefreut. Der wusste ja im voraus, wie es kommen würde; am meisten aber freuten sich die Pfeffernüsse, denn es war ihre Bestimmung, dass sie zu Weihnachten schmecken sollten und ihre Pflicht. Und dies Bewusstsein erfüllte sie mit berechtigtem Stolz, mit so viel Stolz, als in eine Pfeffernuss hineingeht, und das war mehr als man ihnen zugetraut hätte. So endeten sie zufrieden wie Weltweise und die Kinder sagten: "Sie schmeckten wunderschön!" Das war ihr Nachruf. Als der Tannenbaum abgeschmückt war, wurde er in einen Winkel des Hofes geworfen. Der Schnee hatte Mitleid mit ihm. Der sagte: "Hast Du kein Gold- und Silberpapier mehr an, will ich Dir wenigstens eine reine Decke geben." Da deckte er ihn mit weichen Flocken zu und die Pfeffernuß auch, die keines von den Kindern gefunden hatte. Da war sie nun, verworfen, verschneit. Als Tauwetter ward, zertropfte der Schnee und leckte auf die Pfeffernuss. Wie ihr das unangenehm war, da sie doch in der Hitze erzogen wurde und es immer trocken gehabt hatte. Sie ward weich, und verlor ihre Form und so schwer ward sie, dass sie zuletzt von dem Faden abriss und auf die Erde fiel. Die Sperlinge kamen und pickten davon, schalten aber und sprachen: "Pfui über das Zeug. So schlecht wie das schmeckt, gibt es nichts auf der Welt. Ein Haferkorn auf dem Düngerhaufen ist zehnmal besser." Da ward die Pfeffernuss sehr traurig und es tat ihr leid, dass sie immer so eigensinnig und hochmüthig gewesen war. Alle andern hatten einen so schönen Nachruf gekriegt und ihr schimpften die Spatzen auf das Grab. Es waren aber noch Weihnachtsengel am Himmel zurückgeblieben, um Nachschau zu halten, ob auch wo ein Menschenkind den heiligen Tag verschlafen habe. Die drückten eine Regenwolke aus und der Regen nahm die Pfeffernuss mit all ihrer Traurigkeit hinweg. Da war auch sie zufrieden.

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