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Was heißt das für mich? Diagnose: Bipolare Störung

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Was heißt das für mich?

Diagnose: Bipolare Störung

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Liebe Leserin, lieber Leser,

in Deutschland leiden etwa zwei Millionen Menschen an einer bipolaren Störung und wir wollen mit der vorliegenden Broschüre unseren Beitrag zu einem besseren Verständnis dieser schwierigen Erkrankung leisten.

Diese Broschüre wählt eine eher untypische Erzählperspektive. Aus Sicht einer Ich-Erzählerin berichtet eine fiktive Patientin über ihre Situation. Dabei werden ganz unterschiedliche, wichtige Aspekte der Krankheit angesprochen, die sich aus den Erfahrungen verschiedener Einzelpersonen zusammensetzen.

Wenn Sie selbst erkrankt sind oder jemand aus Ihrer näheren Umgebung, werden Sie manche Situationen wiedererkennen. Die verschiedenen Episoden aus Patien-tensicht werden ergänzt durch Hintergrundinformationen zum Krankheitsbild.

Wir haben diese Broschüre besonders für Patienten und Angehörige erarbeitet, die noch nicht lange mit der Diagnose „Bipolare Störung“ vertraut sind. Bitte denken Sie bei der Lektüre daran, dass Schweregrad und Verlauf der Erkrankung individuell sehr unterschiedlich sein können.

Wenn Sie Anregungen dazu haben, schreiben Sie uns, am einfachsten per E-Mail an [email protected].

Ihr Lundbeck-Team Deutschland

Vorwort

Redaktion: Dr. med. Ellen R. Markert

Dr. Carl GmbH, Stuttgart

Herausgeber: Lundbeck GmbH

Konzept/Text: Dr. Carl GmbH

Gestaltung: Brand Health GmbH

2. Auflage Dezember 2012

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Tage- oder wochenlanger Rückzug, dann wieder Party bis zum Morgengrauen – in der Pubertät gehört das doch dazu, oder?

Die Trennung von meinem ersten Freund kam, als ich gerade 18 war. Er ging für ein Jahr ins Ausland und ich verbrachte die folgenden Wochen fast ausschließlich im Bett. Ich konnte nichts essen und wollte niemand sehen. Was meine Eltern für heftigen Liebeskummer hielten, war in der Rückschau wohl meine erste depressive Phase.

Etwa ein halbes Jahr später fuhr ich nach einer mit Freunden durchwachten Nacht spontan 300 km nach München. Wir hatten stundenlang über Gott und die Welt diskutiert und ich kann mich noch gut an meine aufgekratzte Stimmung erinnern. Als die anderen ins Bett gingen, fuhr ich mit dem Auto meiner Mutter los und verbrachte einen ganzen Tag in München. Tief in der Nacht kam ich wieder nach Hause und meine Eltern überhäuften mich mit Vorwürfen. Dass ich ihre Aufregung überhaupt nicht verstehen konnte, machte sie noch wütender. Ich fühlte mich großartig und schlief kaum noch. Die nächsten Wochen waren von „sex and drugs and rock ‘n‘ roll“ geprägt. Dann kam der Zusammenbruch. Ich heulte stundenlang, bis ich nicht mehr konnte.

Wann hat es angefangen? Und ich?

Eine ziemlich beeindruckende Darstellung eines bipolaren Patienten liefert der charmante Richard Gere im Hollywood-Film „Mr. Jones“, großes Kino, empfeh-lenswert. So überzeugend er in die Patientenrolle schlüpft, so einfach kann er sie nach den Dreharbeiten wieder abstreifen. Und ich? Ich lebe seit fast 20 Jahren mit der Diagnose einer „bipolaren Störung“.

Auch mein Mann, meine Familie und meine Freunde müssen damit leben. Zurzeit geht es mir ziemlich gut, aber ich weiß, dass ein Rückfall möglich ist.

Wichtig zu wissen:

Für bipolare Störungen typisch sind Zeiten sehr niedergeschlagener Stimmung und Zeiten extremer Hochstimmung, die aufeinander fol-gen. Dauer, Grad der Ausprägung und Häufigkeit unterscheiden sich von Patient zu Patient.

Wichtig zu wissen:

Bipolare Störungen beginnen meistens im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter. Negative sowie positive Lebensereignisse können die Erkrankung auslösen. Vom Auftreten der Symp-tome bis zur korrekten Dia-gnosestellung vergehen oft mehrere Jahre.

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Schrecklich müde

Damals war ich der Depression hoffnungslos ausgeliefert. Heute weiß ich ziemlich gut, wie sich eine depressive Phase bei mir ankündigt – und vor allem wissen es auch mein Mann und meine beste Freundin:

Ich wache gegen 4 Uhr morgens auf und kann nicht mehr einschlafen. Den ganzen Vormittag fühle ich mich deshalb wie gerädert. Ich habe das Gefühl, dass mich jede Kleinigkeit mehr Kraft kostet, als ich habe. Wenn ich es endlich aus dem Bett geschafft habe, schlurfe ich noch bis zum Mittag im Schlafanzug durch die Woh-nung. In den ersten Tagen fühle ich mich wenigstens nachmittags dazu in der Lage, ein bisschen aufzuräumen oder den Müll hinauszubringen. Ich weiß, dass mir dann ein Spaziergang guttut. Aber ich schaffe es kaum, mich dazu aufzuraffen, wenn nicht jemand mit mir geht.

Bevor ich gelernt habe, mit meiner Krankheit offener umzugehen, ging es mir nach den ersten Anzeichen von Tag zu Tag schlechter. Schließlich fehlte mir jeder An-trieb, morgens aufzustehen. Manchmal gönnte ich mir schon am frühen Morgen einen Cognac, um wieder einschlafen zu können.

Appetitlosigkeit und Lustlosigkeit steigerten sich bis zu einer vollkommenen inne-ren Leere. Alles erschien sinnlos. Mehr als einmal habe ich daran gedacht, Schluss zu machen.

„Eine Depression bedeutet für mich, Landschaften des eigenen Selbst durchwandern zu müssen, die abgebrannt, tot, niedergetrampelt oder einfach nur leer sind.“ (Kommentar eines Betroffenen, zitiert auf www.psychose.de)

Wichtig zu wissen:

Eine depressive Episode kündigt sich häufig durch Schlafstörungen an. Früherwachen und ein sogenanntes Morgentief sind typisch. Psychische Symptome der Depression – niedergedrückte oder ängst- liche Stimmung, Lustlosigkeit bis zum Lebensüberdruss, Verlangsa- mung, Konzentrationsschwäche, aber auch Unruhe und Reizbarkeit – werden oft von körperlichen Symptomen begleitet. Dazu gehören Appetitstörungen, die zur Gewichtsabnahme, manchmal aber auch zur Gewichtszunahme führen.

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Großartig!

„Großartig! Ich fühle mich großartig!“ Wenn ich so auf die Frage antworte, wie es mir geht, sieht mich mein Mann schon skeptisch an. Manische Phasen fürchtet er fast mehr als depressive. Dann schlafe ich wenig und fühle mich trotzdem topfit. Mir kommen viele Ideen, ich bin unternehmungslustig … Das fühlt sich anfangs so gut an, dass ich in Gefahr bin, meine Medikamente wegzulassen.

Von meiner letzten manischen Episode habe ich noch ein paar Einzelheiten in Erinnerung: Einmal fuhr ich mit der S-Bahn in die Stadt und schaffte es, das ganze Abteil zu unterhalten. Wir erfanden den „Rap gegen die Sorgen am frühen Mor-gen“.

Im Musikgeschäft bestellte ich ein Schlagzeug. Um Platz dafür zu schaffen, räumte ich zu Hause das Wohnzimmer um. Bis mein Mann von seiner zweitägigen Dienst-reise zurückkam, hatte ich es auch schon neu gestrichen – orange! – und au-ßerdem eine bessere Stereoanlage besorgt. Zur Einweihung organisierte ich eine Willkommensparty für ihn mit Nachbarn und Freunden. Weil er sich offensichtlich gar nicht darüber freute, gerieten wir in heftigen Streit. Den Rest der Nacht ver-brachte ich in einer Kneipe, bis der Wirt in den frühen Morgenstunden meinen Mann anrief, um mich abzuholen …

* Mit „Betroffener“ wird im vorliegenden Text sowohl ein Mann als auch eine Frau mit bipolarer Störung bezeichnet.

Wichtig zu wissen:

Eine gehobene, oft überdreht-fröhliche Stimmungslage ist typisch für die manische Episode, aber auch erhöhte Reizbarkeit und Streit-sucht kommen vor. Vorbote einer manischen Episode kann ein deutlich vermindertes Schlafbedürfnis sein. Die gehobene Stimmung führt nicht selten zu risikoreichem Verhalten, darunter leichtsinnige Geldausgaben und sexuelle Abenteuer.

„Die meisten Menschen würden heutzutage in der Leistungs- und Mediengesellschaft alles dafür geben, einmal besonders zu sein, besonders interessant, selbstsicher, kreativ, belastbar, einmal aus der Reihe zu fallen, etwas Verrücktes zu machen, immer fröhlich zu sein etc. – sie nehmen sogar Drogen für diese Illusion.

Wir kriegen das leider umsonst und können am eigenen Leib erfahren, wie grausam das alles sein kann und wie wenig der Mensch dafür gemacht ist, so zu sein. Und wir müssen diese Suppe dann jedes Mal auslöffeln, wenn der schöne Schein vorbei ist.“ (Kommentar eines Betroffenen*, zitiert auf www.psychose.de)

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An schlechten Tagen frage ich mich, was meinen Mann noch bei mir hält. Ich fange dann häufig Streit an oder ziehe mich völlig zurück. Manchmal gelingt es ihm, durch eine bestimmte Art, meinen Namen auszusprechen, mich „zurückzuholen“. Das ist wie eine Geheimsprache zwischen uns.

An guten Tagen, wenn ich ihn mit meinen Geschichten zum Lachen bringe, sehe ich uns gemeinsam als älteres Pärchen auf der Bank vor einem rosenumrankten Häuschen …

Wir haben uns vor zehn Jahren in einem Volkshochschulkurs getroffen. Ich war in einer stabilen Phase meiner Erkrankung, arbeitete halbtags und wollte Leute au-ßerhalb meiner Therapiegruppe und außerhalb meiner Arbeitsstelle kennenlernen. Weil der Konversationskurs Französisch schon belegt war, entschied ich mich für einen Kochkurs aus dem „Pfundskur“-Programm. (Unter der regelmäßigen Medi-kamenteneinnahme hatte ich schon ein bisschen zugenommen …) Mein Mann war aus beruflichen Gründen zugezogen und hoffte ebenfalls, beim Kochen neue Leute kennenzulernen. Wir hatten viel Spaß in dem Kurs, gingen erst ein paarmal mit der Gruppe aus und irgendwann planten wir eine Fahrradtour zu zweit. Die Tour war zwar verregnet, aber in einem Unterstand im Wald erreichten wir bald eine so vertrauliche Gesprächsatmosphäre, dass ich von meinen bipolaren Schwankungen und der Therapie erzählen konnte.

Wenn ich sage, dass ich ihn mutig finde, weil er sich auf eine Beziehung mit mir eingelassen hat, widerspricht er mir. Er meint, er sei weniger mutig als einfach mit einer gewissen Gelassenheit auf die Welt gekommen!

Mein mutiger MannMeine Eltern und ihre Schuldgefühle

Meine Eltern wollten es zunächst nicht wahrhaben, dass ich dem „verrückten“ Cousin meiner Mutter „nachschlage“. Sie hatten lange Zeit das Gefühl, in der Erziehung versagt zu haben. Dann machten sie sich wieder Vorwürfe, nicht früher erkannt zu haben, dass ich krank bin. Die nächste Selbsthilfegruppe für Angehörige ist von ihrem Wohnort über 70 km entfernt, aber es gab Jahre, da ließen sie keines der monatlichen Treffen aus.

Ich bin Einzelkind, daher weiß ich nicht aus eigener Erfahrung, wie Geschwister reagieren. Eine Mitpatientin hat mir einmal erzählt, dass ihre kleine Schwester für sie immer diejenige war, zu der sie am meisten Vertrauen hatte. Damals habe ich mich nach einer Schwester gesehnt …

Wichtig zu wissen:

Die bipolare Erkrankung kommt familiär gehäuft vor. Es gibt aber nicht „das Bipolar-Gen“. Das Behandlungsteam sollte die Angehöri-gen nach Möglichkeit einbeziehen. Dies ist nicht nur für die Erhebung der bisherigen Krankengeschichte („Anamnese“), sondern auch für den weiteren Krankheitsverlauf wesentlich. Die Angehörigen sollten sich nicht scheuen, selbst Rat zu suchen. Den Bedürfnissen des Erkrankten stehen die eigenen Grenzen der Belastbarkeit gegenüber.

„Schweben zwischen Hoffnung, Enttäuschung, Resignation. Ungläubiges Entsetzen (das kann doch nicht wahr sein, meine Tochter). Aufbieten aller Kräfte, um helfen zu wollen. Weich geklopft sein vom ewigen Auf und Ab.“ (Kommentar eines Elternteils, zitiert auf www.psychose.de)

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Mein mutiger Mann

Wichtig zu wissen:

Die bipolare Störung stellt auch für den Lebenspartner oder die -partnerin eine große Belastung dar, nicht allein in psychischer Hinsicht.

Schwierigkeiten am Arbeitsplatz bis hin zur Kündigung, aber auch über-triebene Geldausgaben in der Manie können zu erheblichen finanziellen Belastungen führen.

Wenn sich der oder die Betroffene von gemeinsamen Freunden abwen-det, ist die Freundschaft oftmals ungewollt auch für den Lebenspartner oder die -partnerin zu Ende.

Das sexuelle Verlangen kann sich in einer akuten Episode der Erkran-kung ändern, vom völligen Desinteresse in der Depression bis zum er-heblich gesteigerten Interesse in der Manie. Dabei richtet sich die Lust der Betroffenen häufig auch auf Personen außerhalb der Partnerschaft.

Wichtig zu wissen:

Freunde und Bekannte können zur Stabilisierung erheblich beitragen. Nähere Freunde sollten über die bipolare Störung Bescheid wissen. So können sie den Betroffenen auf erste Anzeichen einer neuen Episode hinweisen und ggf. eingreifen (s. Notfallplan, S. 29).

Eine wirklich gute Freundin ist mir aus Schultagen geblieben und es hat sich erge-ben, dass wir im selben Ort gelandet sind. Sie kennt mich in- und auswendig und hat sich in schwierigen Phasen nicht abschrecken lassen. Von ihr lasse ich mir viel mehr sagen als von irgendjemand sonst.

Ich habe aber auch viele Freunde verloren: In der Depression habe ich mich so vollkommen zurückgezogen, dass sie nicht mehr an meine Freundschaft geglaubt haben, und in der Manie habe ich einige wohlmeinende Freunde sehr verletzt.

In der Manie habe ich auch immer wieder falsche Freunde gefunden, die mit mir getrunken und mit Drogen experimentiert haben. Dann bin ich noch tiefer abge-stürzt.

Freunde zu finden ist auch deshalb nicht leicht, weil mich praktisch schon beim ersten Kennenlernen die Frage quält, ob ich ihr (oder ihm) von meiner bipolaren Störung erzähle und wann der beste Zeitpunkt dafür ist. Dann bin ich verkrampft und anders, als ich sein möchte …

Freundschaften und „Freundschaften“

„Seit ich gelernt habe, meine Gefühle, Ängste und Befürchtungen, aber auch die Verbundenheit und Liebe zu diesen Menschen zu beschreiben und zu vermitteln, habe ich das Gefühl, dass sich echte und tiefe Beziehungen entwickelt haben.“ (Nach dem Beitrag eines Betroffenen auf www.bipolar.at)

„Entweder du kannst damit leben und dann läuft’s – oder du kannst es nicht, dann musst du einen Schlussstrich ziehen.“ (Nach einem Beitrag auf www.bipolar-forum.de)

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Am Arbeitsplatz

Berufstätigkeit bei bipolarer Erkrankung ist ein heikles Thema. Viele Betroffene werden früher oder später als erwerbsunfähig in Rente geschickt. Ich bin bisher „nur“ mehrfach arbeitslos gewesen, meine Eltern und später mein Mann haben mich finanziell unterstützt.

In einem Ratgeber habe ich gelesen, dass ich nicht verpflichtet bin, meine bipolare Störung am Arbeitsplatz zu erwähnen. Damit habe ich einmal ganz massiv Schiff-bruch erlitten: Ich hatte zu Beginn einer manischen Phase die Medikamente ab-gesetzt und flippte bei der Arbeit mehrfach aus. Ich machte die Kolleginnen beim kleinsten Fehler nieder und pöbelte die Kunden an. Daraufhin setzte mich mein Chef kurzfristig für Arbeiten ohne Kundenkontakt ein, aber nach mehreren Be-schwerden von Mitarbeiterseite schickte er mich eines Nachmittags nach Hause.

Ich war so wütend, dass ich mich ins Auto setzte und fuhr und fuhr. Am Bodensee suchte ich mir ein Hotel. Erst am nächsten Tag meldete ich mich bei meinem Mann, um mich darüber zu beschweren, wie man mich behandelt hatte. Er holte mich ab und beschwor mich, in die Klinik zu gehen. Ich willigte zunächst nur ein, mit meinem Arzt zu sprechen und mich krankschreiben zu lassen.

Wichtig zu wissen:

Eine geregelte Tätigkeit ist ein wichtiges Element, um in einem sozialen Rhythmus zu bleiben. Schichtarbeit ist nicht geeignet.

Die Entscheidung, am Arbeitsplatz über die Erkrankung zu sprechen, sollte sorgfältig abgewogen werden: Wer genau soll ins Vertrauen ge-zogen werden? Eine Einzelperson oder mehrere? Vorgesetzte, Kollegen, Mitarbeiter? Wie genau soll(en) diese Person(en) informiert werden?

Die Sicherheit, dass im Notfall professionelle Hilfe zur Verfügung steht, kann dem Arbeitgeber ggf. die Entscheidung für die Anstellung leichter machen. In Absprache mit dem behandelnden Arzt können z.B. dessen Kontaktdaten hinterlegt werden.

„Ich habe mich bei einer Besprechung ‚geoutet‘, das heißt zumindest gesagt, dass ich bipolare Störungen habe und welche Auswirkungen das haben kann. Mit einem Kollegen kann ich sehr offen über das Thema sprechen, den Rest hab ich eher nur grob informiert.

Seit ich das gemacht habe, fühle ich mich auf der Arbeit viel freier. Ich hätte vorher nie gedacht, dass mir so viel Verständnis und Wohlwollen entgegengebracht werden würden.“ (Nach dem Beitrag eines Betroffenen auf www.bipolar-forum.de)

„Es hat lange gedauert, mir einzugestehen, dass ich nicht mehr in Vollzeit arbeiten kann. Inzwischen bin ich echt froh, dass ich mich dafür entschieden habe.“ (Nach dem Beitrag eines Betroffenen auf www.bipolar-forum.de)

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Die Erkrankung akzeptieren

Eine ältere Mitpatientin hat mir einmal gesagt, dass sie ihre Medikamente nimmt wie ein Diabetiker sein Insulin. So sei das eben mit chronisch Kranken.

Zu akzeptieren, dass ich krank bin, zwar behandelbar, aber doch chronisch krank, war ein weiter Weg für mich. Welcher Mensch hat denn keine Stimmungsschwan-kungen? Was ist schon normal? Darf man denn niemals traurig sein? So spielte ich lange herunter, was mit mir geschah. Lange Phasen der Normalität ließen mich hoffen, dass der Spuk vorbei sei.

Als ich mit den Anforderungen des Studiums nicht mehr zurechtkam, suchte ich die Studienberatung auf. Besser gesagt: Meine Wohnungsgenossin schleppte mich förmlich dorthin. Ich hatte großes Glück, dass mich die Studienberaterin direkt zur psychologischen Beratungsstelle begleitete. Von dort ging es in die nächste Landesklinik: mein erster Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik, meine erste Auseinandersetzung mit der Diagnose „bipolare Störung“. Meine Probleme als Krankheit anzusehen hatte auch etwas Entlastendes. Endlich war ich nicht mehr an allem schuld.

Wichtig zu wissen:

Für eine erfolgreiche Behandlung der bipolaren Störung ist es unabdingbar, dass sich die Betroffenen mit dem Krankheitsbild und den Therapiemöglichkeiten auseinandersetzen. Selbst nach Jahren ohne Beschwerden können neue Episoden auftreten.

„Meine Diagnose ‚Bipolare Störung‘ wurde gestellt, als ich mein gesamtes Leben bereits ruiniert hatte. Für neun Jahre Chaos gab es plötzlich eine Erklärung, einen Namen, deshalb konnte ich die Diagnose sofort annehmen. Was mir noch hilft, verhältnismäßig unbekümmert mit der Erkrankung zu leben, ist der Umgang meines Arztes damit.“ (Nach dem Beitrag eines Betroffenen auf www.bipolar-forum.de)

„Am Ende ist man nicht nur ein selbsternannter Experte auf diesem Gebiet, sondern man sieht die Diagnose auch sehr viel nüchterner und nimmt sich nicht selbst immer alles sooo übel.“ (Nach dem Beitrag eines Betroffenen auf www.bipolar-forum.de)

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Behandlung: Akutphase

Mein Vater hatte einmal ein Problem mit seinem Fernsehgerät: Er hatte verse-hentlich die Einstellung gewählt, mit der die Kanäle ständig wechseln, ohne dass man die Fernbedienung drückt. In der Klinik von der Manie herunterzukommen ist so, als ob nach ständigem Programmwechsel auf einmal ein langer, ruhiger Naturfilm läuft. Das ist erholsam – und ein bisschen langweilig.

Aus dem Loch der Depression herauszuklettern dauert bei mir auch mit Medika-menten mindestens drei Wochen. Und dann bin ich immer noch erschöpft von der „Kletterei ans Tageslicht“. Wenn dann gleich zu viel von mir erwartet wird, ziehe ich mich unwillkürlich wieder zurück. Besucher sind mir in dieser Phase oft zu anstrengend.

Wichtig zu wissen:

Die Behandlung verläuft in drei Phasen: Akutphase, Erhaltungsphase und Rückfallverhütung. Ziel der Akutphase ist, den Betroffenen aus dem „Hoch“ oder „Tief“ in den normalen Bereich von Stimmungsschwankun-gen zurückzuholen. Die Akuttherapie kann mehrere Wochen dauern.

Eine Abschirmung von Außenreizen während der Akutphase ergänzt die medikamentöse Behandlung. Häufig ist eine Psychotherapie in dieser Phase nicht möglich.

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Erhaltungstherapie Nicht noch einmal!

Wenn die tiefe Traurigkeit oder die große Maßlosigkeit abgeklungen ist, kommt eine schwierige Phase. Die Klinik zu verlassen ist, wie wenn ich aus einem schall-isolierten Raum auf die Straße trete: Ich muss erst einmal stehen bleiben, mich orientieren und an den Lärm gewöhnen. Manchmal spüre ich dann, wie Angst und Mutlosigkeit wieder auftauchen.

Ich weiß, dass ich besonders in dieser Phase engen Kontakt zu meinem Arzt halten muss. Anpassungen der Tabletten und regelmäßige Gespräche helfen mir, nach und nach in den Alltag zurückzukehren.

Spaziergänge im Wald mit meinem Mann oder mit meiner Freundin gehören zu meinem persönlichen Erholungsprogramm. Wenn es passt, setzen wir uns danach noch zum Tee zusammen und lassen den Nachmittag ausklingen.

Durch Rückfälle habe ich gelernt, dass ich an einer medikamentösen Dauertherapie nicht vorbeikomme. Das heißt nicht, dass ich damit überhaupt keine Stimmungs-schwankungen mehr kenne, aber mit der Zeit sind die Ausschläge geringer gewor-den, die „Hochs“ sind nicht mehr so hoch und die „Tiefs“ nicht mehr so tief.

Auch wenn sich „normal“ ein bisschen langweilig anfühlt, ändere ich ohne mei-nen Arzt nichts mehr an den Tabletten, und mit meiner aktuellen Kombination habe ich seit drei Jahren keine Krankheitsepisode mehr gehabt. Die verschiedenen Tabletten wirken nicht bei allen Patienten gleich gut und auch die Nebenwirkun-gen fallen unterschiedlich aus. Nicht nur ich, auch mein Arzt musste viel Geduld beweisen, bis wir diese Kombination gefunden haben.

Die Nebenwirkungen, die mir im Alltag zu schaffen machen, sind vor allem Mü-digkeit und Gewichtszunahme. Ich bin ganz stolz, dass ich seit über zwei Jahren mit einer Walking-Gruppe zweimal pro Woche unterwegs bin. Außerdem habe ich Limonade ganz abgeschafft, ich trinke stattdessen fast nur noch Wasser. Mit mei-nem Mann probiere ich aus, welche kalorienarmen Rezepte wirklich schmecken …

Wichtig zu wissen:

Ähnlich wie bei körperli-chen Erkrankungen sind Zeit und Geduld für den Heilungsprozess erforder-lich. Restsymptome können noch eine gewisse Zeit nach der Akutphase weiter-bestehen. Gerade in der Erhaltungsphase sollte nicht zu früh das Risiko einer erneuten Belastung eingegangen werden, z.B. aus Angst vor Arbeitsplatz-verlust oder Sorge um den Haushalt.

Wichtig zu wissen:

Zur Rückfallverhütung werden vor allem die sogenannten Stimmungs-stabilisierer eingesetzt. Dazu zählen neben Lithium bestimmte Mittel, die auch gegen Epilepsie wirken (Valproinsäure, Carbamazepin, Lamot-rigin), sowie verschiedene atypische Neuroleptika, die seltener die typischen Nebenwirkungen von Neuroleptika hervorrufen.

Die medikamentöse Rückfallverhütung bedeutet in der Regel eine Dauertherapie.

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Psychotherapie und Notfallplan

Nein, ich lege mich nicht auf eine Couch und erzähle meinem Doktor, was mir in den Sinn kommt. Wir setzen uns zu längeren Gesprächen auf zwei bequeme Ses-sel, die sich nicht genau gegenüberstehen, so dass ich ihn nicht immer anschauen muss, während ich rede.

Meine Krankheit kennenzulernen war das Wichtigste für mich in den ersten Ge-sprächen. Dazu hat mir mein Therapeut viele Informationen gegeben. Die nächste Stufe bestand darin, wahrzunehmen, wie sich eine Episode bei mir ankündigt. Zu erkennen, was dazu beiträgt, eine Episode auszulösen, oder was hilft, ein Wieder-aufflackern zu vermeiden, ist dann sozusagen die hohe Kunst.

„Stress“ soll neue Episoden auslösen. Gar nicht so leicht ist herauszufinden, was Stress im Einzelfall bedeutet. Für mich ist Stress z.B., wenn ich an drei Tagen hin-tereinander aus irgendwelchen Gründen weniger als sieben Stunden Nachtschlaf bekomme. Selbst Urlaub kann für mich in Stress ausarten, wenn die Anreise zu lang ist, der Tagesrhythmus sich zu stark verschiebt oder das Abendprogramm zu laut ist.

Ein wichtiges Ergebnis der Gespräche mit meinem Therapeuten ist mein persön-licher Notfallplan. Ich habe aufgeschrieben, wer über meine Erkrankung und die „Frühwarnzeichen“ informiert ist. Mein Mann oder meine Freundin sollen mich darauf ansprechen, wenn sie den Eindruck haben, dass ich in eine neue Episode rutsche. Wenn sie in Sorge sind, dass ich ihnen entgleite, habe ich ihnen mein schriftliches Einverständnis erteilt, dass sie mit meinem Arzt Kontakt aufneh-men.

Wichtig zu wissen:

Betroffene und Angehörige müssen Frühwarnzeichen und Symptome akuter Episoden kennen und lernen, auf eine beginnende Symptomatik richtig zu reagieren.

Ein schriftlicher Notfallplan sollte zumindest Vertrauenspersonen und den behandelnden Arzt benennen.

Als psychotherapeutische Verfahren werden Verhaltenstherapie, Fa-milientherapie und auch tiefenpsychologische Verfahren erfolgreich eingesetzt.

„Vom ‚Opfer‘ zum ‚Moderator‘ des eigenen Lebenswegs werden“ (Kommentar eines Betroffenen, zitiert auf www.psychose.de)

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Selbsthilfe mit der Gruppe

Eine psychoedukative Gruppe, in der ein Therapeut mit mehreren Betroffenen arbeitet, gibt es in meiner Region leider nicht, aber eine Selbsthilfegruppe. Ab und zu laden wir uns zu den Abenden Referenten ein. Neulich haben wir gemeinsam den Film „Tanz mit dem Einhorn“ angeschaut, von dem einer aus der Gruppe einen begeisterten Bericht gelesen hatte.

Die Treffen beginnen und enden üblicherweise mit einer „Blitzlichtrunde“, in der jeder sagen kann, wie es ihm gerade geht.

Spannend finde ich immer wieder, wie die verschiedenen Teilnehmer ihre Stimmung beobachten. Da gibt es diejenigen, die standardisierte Fragebögen konsequent jeden Abend ausfüllen, und andere, die sogar ihr persönliches Stim-mungsbarometer entwickelt haben. Wenn wir uns in der Runde darüber austau-schen, was einem Einzelnen Stress macht, lerne ich, mich selbst noch genauer zu beobachten.

Wir sind eine Gruppe nur für Betroffene, andere Gruppen stehen auch für Ange-hörige offen. Verschwiegenheit nach außen ist verpflichtend.

Wichtig zu wissen:

Selbsthilfegruppen dienen dem Erfahrungsaustausch und bieten sowohl praktische Lebenshilfe als auch emotionale Unterstützung. Adressen von Selbsthilfegruppen finden sich z.B. auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS).

Ein Stimmungstagebuch kann helfen, Anzeichen einer beginnenden Phase zu erkennen. Als Nachteil empfinden manche Patienten, dass sie durch die tägliche Fahndung nach depressiven oder manischen Anzeichen täglich mit ihrer Erkrankung konfrontiert sind. Es gibt Hin- weise, dass bei Patienten, die ein Stimmungstagebuch führen, die Anzahl der bipolaren Episoden zurückgeht. Neben Stimmung, Antrieb, Konzentration und Schlafrhythmus ist es sinnvoll, Medikamente und wichtige Ereignisse des Tages zu notieren.

„Ein Tipp, wenn du dich entschließt, eine Selbsthilfegruppe zu besuchen: Geh öfter hin, ehe du entscheidest, ob das was für dich ist oder nicht. Jede Gruppe läuft anders, je nach ‚Aggregatzustand‘ der Leute und wer gerade da ist. Nicht alle gehen jedes Mal hin.“ (Nach dem Beitrag eines Betroffenen auf www.bipolar-forum.de)

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Auf dem Weg zur natürlichen Schönheit

Die Ratgeber scheinen voneinander abzuschreiben. Dieselben Tipps, die für uns Bipolare gelten, nämlich gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung, ausreichend Schlaf, möglichst kein Alkohol, finden sich auch in Empfehlungen für die natürliche Schönheit oder für Herzkranke … Umgekehrt heißt das wohl auch, dass wir mit vielen anderen in einem Boot sitzen, wenn wir uns mit Ernährungsvorschlägen befassen, bei sportlichen Aktivitäten abmühen und als Langweiler gelten, weil wir bei Alkohol abwinken und früh ins Bett gehen.

Vielleicht wird es ganz nebenbei doch noch etwas mit meiner natürlichen Schönheit!

„Was bedeutet natürliche Schönheit? (...) Eine schöne Haut benötigt eine gesunde Ernährungsweise, die reich an Gemüse, Obst, also an Vitaminen und Mineralstoffen ist. Gleichzeitig braucht unsere Haut eine gesunde Luft, Schlaf, aber auch körperliche Aktivität und Entspannung.“ (Gefunden auf www.APShop.ch)

Lesehinweise

Internetadressen:

www.bipolar-forum.de

www.dgbs.de

www.psychose.de

Bücher für Betroffene und Angehörige:

Thomas Bock: Achterbahn der Gefühle: Mit Manie und Depression leben lernen, Balance-Verlag, Bonn (2007)

Peter Bräunig: Leben mit bipolaren Störungen, Trias-Verlag, Stuttgart (2009)

Christian Simhandl, Klaudia Mitterwachauer: Depression und Manie erkennen und erfolgreich behandeln, Springer-Verlag, Wien (2007)

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Für Ihre Notizen Mein persönlicher Notfallplan

In Ihrem persönlichen Notfallplan legen Sie gemeinsam mit Ihrem Arzt oder Psychotherapeuten fest, welche Maßnahmen im Akutfall für Sie wichtig sind.

Die vorgesehenen Schritte sollen aufeinander aufbauen und charakterisieren einen zunehmenden Schweregrad der Situation. Schritt 1 könnte daher die Rücksprache mit einem Freund oder Angehörigen darstellen, Schritt 7 der Anruf beim behan-delnden Arzt oder die Fahrt zur Notaufnahme in die Klinik. Fassen Sie Ihren Not-fallplan so konkret wie möglich ab und bestimmen Sie dabei auch die Rolle Ihres Partners und der Familie. Nicht vergessen: Legen Sie fest, wo der Plan im Notfall zu finden ist.

Was tue ich, wenn es kritisch wird?

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7. Fachliche Hilfe aufsuchen:

Arzt

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Telefonnummer:

Klinik

Name:

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Telefonnummer:

Psychotherapeut

Name:

Adresse:

Telefonnummer:

Notfallplan Für Ihre Notizen

✂Modifiziert nach Hautzinger M, Meyer T: Bipolar affektive Störungen. Fortschritte der Psychotherapie. Göttingen: Hogrefe Verlag (2011)

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Wir wünschen gute Besserung!

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