von haarfärbemitteln und hautausschlägen: kosmetische mittel und verbraucherschutz

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378 | © 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2006, 40, 378 – 382 Kosmetische Mittel und Verbraucherschutz Von Haarfärbemitteln und Hautausschlägen K ERRIN R IEWERTS S eit jeher hegt der Mensch den Wunsch, schön zu sein, und so gehört es zu seinen Bedürfnissen, das Äußere zu verändern, wobei besonders die Haarfarbe der jeweiligen Mode unterlag. Haare wurden gefärbt, um ergrauten oder weißen Haaren wieder eine möglichst natürlich aussehende Farbe zu geben und so jünger zu wirken. Während des zweiten Deutschen Kaiserreichs galten schwarze und dunkelbraune Haare als schön und jugendlich, wobei sich auch Männer ihre rötlichen oder blonden Haare und Bärte dunkel färb- ten. Der Aufbau des Haares war noch zum Ende des 19. Jahrhun- derts unklar [1]; es hieß, die natürliche Haarfarbe sei vom Eisen- und Schwefelgehalt abhängig. Schwarze Haare hätten viel Eisen und wenig Schwefel, blonde hingegen enthielten viel Schwefel und kein Eisen. Aufgrund dieser Einschätzung war man der Meinung, dass sich durch hohe Eisenzufuhr in der Nahrung die Haare dunk- ler färbten. Auch sollte angeblich der Einsatz von Röntgenstrahlen bereits ergrauten Haaren ihre ursprüngliche Farbe zurückgeben können, und noch 1930 wurde behauptet, dass auch Störungen im Wohlbefinden wie Migräne oder die Menstruation die Haarfärbung negativ beeinflussten, „weshalb zu dieser Zeit Haarfärbung über- haupt zu unterlassen“ wäre [2]. Anilinfarbstoffe Ende der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts kamen neuartige Haar- färbemittel auf den Markt. Sie enthielten aromatische Amine, deren farbige Oxidationsprodukte sehr gute Affinität zu Haaren zeigten. Die bis dahin gängigen Haarfärbemittel, die als färbendes Agens pflanzliche Bestandteile bzw. Schwermetallsalze enthielten, waren sehr zeitaufwändig in ihrer Anwendung und die Farbgebung oft nicht zufriedenstellend. Von einer permanenten Haarfarbe im heu- tigen Sinne konnte nicht die Rede sein. Der Gebrauch der organi- schen Verbindungen hingegen war einfach und die Farbentwick- lung infolge der leichten Oxidierbarkeit der Substanz kurz. Das Er- gebnis waren natürlich aussehende und haltbare Färbungen. Die Wissenschaftler gingen überdies davon aus, dass die Anilinverbin- Ende des 19. Jahrhunderts kamen die ersten synthetischen Haarfärbemittel auf den Markt, die im Zuge des Aufstiegs der Teerfarbenchemie entwickelt wurden. Der Verbrauch nahm seit der Jahrhundertwende stark zu, und sie verdrängten rasch die althergebrachten pflanzlichen Mittel und die gängigen Metallverbindungen. Schon bald zeigte sich, dass die synthetischen Verbindungen ein gesundheitsgefährdendes Potential besaßen. Wie stand es um den Verbraucherschutz, und kann das alte Sprichwort angewandt werden: Wer schön sein will, muss leiden? DOI: 10.1002/ciuz.200600357 Abb. 1 Werbung für ein französisches Produkt (undatiert)

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Page 1: Von Haarfärbemitteln und Hautausschlägen: Kosmetische Mittel und Verbraucherschutz

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Kosmetische Mittel und Verbraucherschutz

Von Haarfärbemitteln undHautausschlägenKERRIN RIEWERTS

Seit jeher hegt der Mensch den Wunsch, schön zu sein, und sogehört es zu seinen Bedürfnissen, das Äußere zu verändern,

wobei besonders die Haarfarbe der jeweiligen Mode unterlag. Haare wurden gefärbt, um ergrauten oder weißen Haaren wiedereine möglichst natürlich aussehende Farbe zu geben und so jüngerzu wirken.

Während des zweiten Deutschen Kaiserreichs galten schwarzeund dunkelbraune Haare als schön und jugendlich, wobei sich auchMänner ihre rötlichen oder blonden Haare und Bärte dunkel färb-ten. Der Aufbau des Haares war noch zum Ende des 19. Jahrhun-derts unklar [1]; es hieß, die natürliche Haarfarbe sei vom Eisen-und Schwefelgehalt abhängig. Schwarze Haare hätten viel Eisenund wenig Schwefel, blonde hingegen enthielten viel Schwefel undkein Eisen. Aufgrund dieser Einschätzung war man der Meinung,dass sich durch hohe Eisenzufuhr in der Nahrung die Haare dunk-ler färbten. Auch sollte angeblich der Einsatz von Röntgenstrahlenbereits ergrauten Haaren ihre ursprüngliche Farbe zurückgebenkönnen, und noch 1930 wurde behauptet, dass auch Störungen imWohlbefinden wie Migräne oder die Menstruation die Haarfärbungnegativ beeinflussten, „weshalb zu dieser Zeit Haarfärbung über-haupt zu unterlassen“ wäre [2].

AnilinfarbstoffeEnde der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts kamen neuartige Haar-färbemittel auf den Markt. Sie enthielten aromatische Amine, derenfarbige Oxidationsprodukte sehr gute Affinität zu Haaren zeigten.Die bis dahin gängigen Haarfärbemittel, die als färbendes Agenspflanzliche Bestandteile bzw. Schwermetallsalze enthielten, warensehr zeitaufwändig in ihrer Anwendung und die Farbgebung oftnicht zufriedenstellend. Von einer permanenten Haarfarbe im heu-tigen Sinne konnte nicht die Rede sein. Der Gebrauch der organi-schen Verbindungen hingegen war einfach und die Farbentwick-lung infolge der leichten Oxidierbarkeit der Substanz kurz. Das Er-gebnis waren natürlich aussehende und haltbare Färbungen. DieWissenschaftler gingen überdies davon aus, dass die Anilinverbin-

Ende des 19. Jahrhunderts kamen die ersten synthetischen Haarfärbemittel auf den Markt, die im Zuge desAufstiegs der Teerfarbenchemie entwickelt wurden. Der Verbrauch nahm seit der Jahrhundertwende stark zu,und sie verdrängten rasch die althergebrachten pflanzlichen Mittel und die gängigen Metallverbindungen.Schon bald zeigte sich, dass die synthetischen Verbindungen ein gesundheitsgefährdendes Potential besaßen.Wie stand es um den Verbraucherschutz, und kann das alte Sprichwort angewandt werden: Wer schön seinwill, muss leiden?

DOI: 10.1002/ciuz.200600357

Abb. 1 Werbung für ein französisches Produkt (undatiert)

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dungen im Gegensatz zu den silber-, blei-, kupfer- oder cad-miumhaltigen Metallsalzverbindungen kein gesundheits-schädigendes Potential besaßen.

Das populärste synthetische Oxidationshaarfärbemittelwar – und ist – das para-Phenylendiamin (kurz Para)[3].Diese Verbindung wurde 1888 im Deutschen Reich zumZweck der Haar- und Pelzfärbung zum Patent angemeldet.Nur kurze Zeit nach der Einführung von Para in Haarfärbe-mitteln stellte sich wider aller Erwartungen heraus, dassdiese Verbindung nicht harmlos war. Nach der Anwendungdieser Substanz zu Färbezwecken wurden lokale Hautrei-zungen bis hin zu starken Vergiftungserscheinungen ver-bunden mit Fieber, Unruhe und depressiven Stimmungenbeobachtet. (Der heute so gängige Begriff der Allergie wur-de erst 1913 von dem Wiener Dermatologen Clemens vonPirquet geprägt.) 1893 wurde Para in Haarfärbemitteln daserste Mal untersucht und mit auftretenden Ekzemen in Ver-bindung gebracht; zwei Jahre später gab es erste Warnun-gen vor Haarfärbemitteln in der deutschsprachigen Fach-literatur. Im selben Jahr, 1894, wurde auf der Hauptver-sammlung der deutschen chemischenGesellschaft von der Anwendung vonPara auf „lebendigem“ Haar abgeraten,

„[...] wegen der stark giftigen Wir-kung der Base und ihrer Eigenschaf-ten auf empfindliche Haut Entzün-dungen und Ekzeme hervorzuru-fen.“[4]

Viele Haarfärbemittel enthielten ungeachtet der Mah-nungen weiterhin para-Phenylendiamin, wie die Berichteder Dermatologen schließen lassen. Dafür gab es mehrereGründe: Para war günstig in der Herstellung, und nach Ab-lauf des Patentes waren die Kosten weiter gesunken. Es warleicht anzuwenden und gab dauerhafte Färbung in allen ge-wünschten Farbabstufungen.

Im Folgenden soll gezeigt werden, welche Schritte un-ternommen wurden, um den Verbraucher vor Gesund-heitsschädigungen zu schützen.

Staatlicher VerbraucherschutzHaarfärbemittel gehören zu den kosmetischen Mitteln, diein Deutschland derzeit rechtlich im Lebensmittel- und Be-darfsgegenständegesetz geregelt werden. Zwei Säulen desVerbraucherschutzes sind darin verankert: Der Gesund-heitsschutz und der Schutz vor Irreführung.

Während die Versuche, die Nahrungsmittelqualitätdurch staatliche Maßnahmen zu sichern, bis ins Altertumzurückreichen, sind analoge Bestrebungen im Bereich derKosmetik erst seit gut 100 Jahren zu erkennen. Im 1879 er-lassenen ersten reichseinheitlich geltenden Nahrungsmit-telgesetz wurden neben den Lebensmitteln auch der Han-del mit einigen Gebrauchsgegenständen geregelt, doch kos-metische Mittel blieben vorerst unberücksichtigt. Offenbarerschienen sie dem Gesetzgeber zu diesem Zeitpunkt „ent-behrlich“, da man sowohl die missliche Lage im Lebens-mittelbereich als vorrangig betrachtete als auch eine Ge-

fährdung der Gesundheit durch kosmetische Mittel als ver-nachlässigbar einschätzte.

Acht Jahre nach dem Nahrungsmittelgesetz wurde dasFarbengesetz erlassen, das unter §3 den Einsatz gesund-heitsschädlicher Farben in kosmetischen Mitteln verbot. Je-doch unterlagen diesem Verbot fast ausschließlich anorga-nische Verbindungen, die Anwendung von Teerfarben inLebensmitteln und Kosmetika wurde nicht eingeschränkt.Im Gegenteil, wie sich später herausstellte, wurde durchdiese Regelung ihr Einsatz in Lebensmitteln und Kosmeti-ka forciert.

Erst 1906 wurde in Deutschland Para in das Verzeich-nis der Gifte aufgenommen [5]. Demzufolge durften Para-haltige Haarfärbemittel nur noch mit der Aufschrift „Gift“und unter der Angabe der Inhaltsstoffe in den Verkehr ge-bracht werden, was einem Verkaufsverbot gleichkam. Den-noch dominierten Para-haltige Mittel den Markt ohne jegli-che Kennzeichnung oder Warnhinweise.

Gesetze und Verordnungen stellen die Grundlage desVerbraucherschutzes dar, ausgeführt werden können sie

nur, wenn diese Regelungen einerKontrolle unterliegen. Staatliche Kon-trolle kann in Form von Untersu-chungsämtern ausgeübt werden. Die-se arbeiteten indes erst nach 1900flächendeckend und untersuchtenkosmetische Mittel nur zu einem ge-ringen Teil. Zum einen war die Lage

im Bereich der Lebensmittelverfälschung nach wie vorprekär und vor allem fehlte es an zuverlässigen Analysen-methoden.

Während der Schutz der Gesundheit – wenn auch nuransatzweise – rechtlich definiert war, war der Schutz vorTäuschung des Verbrauchers rechtlich nicht verankert: Häu-fig wurden Produkte mit den Worten „rein vegetabilisch“umworben, bzw. konnte der Produktname mit einem un-giftigen Pflanzenprodukt assoziiert werden. Para war oft inHennapräparaten enthalten, um das Färbeverfahren ab-zukürzen und die Farbnuancen zu variieren. Henna galt alsbesonders harmloses Mittel, und bei seiner Anwendungwurden keinerlei Schutzmaßnahmen vorgenommen. Infol-gedessen kam es nach der Anwendung der Präparate zuschweren Hautentzündungen. Auch in diesem Fall gibt esaktuelle Parallelen und zwar zu den Hennatattoos, die voreiniger Zeit in Mode waren. Nach der Anwendung konntenAllergien beobachtet werden, und es stellte sich heraus,dass das Henna mit Para versetzt worden war [6].

Hersteller und HändlerEin Großteil der in Deutschland vertriebenen Haarfärbe-mittel wurde aus Frankreich und Großbritannien impor-tiert. Zwar registrierte das Reichsgesundheitsamt Anfragenvon Herstellern aus dem Ausland nach den Bestimmungen,die im Deutschen Reich beim Vertrieb von Haarfärbemittelneinzuhalten wären. Jedoch ist nicht dokumentiert, ob aus-ländische Fabrikanten bei Nichteinhalten belangt wurden.

DIE KENNTNIS ÜBER RISIKEN

HINK TE DER E XZESSIVEN

ANWENDUNG HINTERHER

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Weniger den Fabrikanten, sondern vielmehr den Ver-käufern oblag der Verbraucherschutz. Wie verschiedene Ge-richtsurteile zeigen, wurde hier rechtlich zwischen Apo-thekern und Drogisten, die Schönheitsmittel verkauften,differenziert. Demnach waren Apotheker nach Wissen undStand haftbar, denn es war ihre Pflicht, für die Unschäd-lichkeit der von ihnen verkauften Mittel, insbesondereSchönheitsmittel, einzustehen. Nach dem Verbot von Paradurch den Eintrag in das Verzeichnis der Gifte hatte sich derApotheker also hinsichtlich der Zusammensetzung sowieder Wirkungsweise zu informieren, wo hingegen Drogistendieser Verpflichtung nicht nachkommen mussten. Dies ge-staltete sich für die Apotheker schwierig, da es sich bei denMitteln oft um Geheimmittel handelte, ohne Angaben ihrerZusammensetzung. Beispielhaft soll ein Gerichtsverfahrenangeführt werden, in dem 1906 ein Apotheker zu einerGeldstrafe verurteilt wurde, da er ein Para-haltige Haarfär-bemittel verkauft hatte, nach dessen Gebrauch ein Ekzemauftrat. Ein Drogist wurde in derselben Sache freigespro-chen [7].

Initiative der Forschung Die Wissenschaftler forschten nach dem Auftreten der Ek-zeme fieberhaft nach den Ursachen der Reizwirkung, umdiese beheben zu können.

Die Ausgangsverbindung ist farblos und reagiert mitLuftsauerstoff, und noch schneller mit einem Oxidations-mittel wie Wasserstoffperoxid, zu einem dunklen schwerlöslichen Farbstoff, der nach seinem Entdecker den NamenBandrowski-Base trägt [8] (Abbildung 3).

Chemiker untersuchten das bei der Oxidation von Paraauftretende Zwischenprodukt, das Chinondiimin. Sie zeig-ten, dass diese Verbindung eine starke lokale Ätz- und Reiz-wirkung auf die Schleimhaut, die Haut und Respirations-wege hatte. Durch die Einführung einer Sulfogruppe in dieVerbindungen wurde versucht, diese zu „entgiften“. DieseEntwicklung, die als unschädlicher Ersatz für Para diente,wurde im Jahr 1906 unter dem Namen „Eugatol“ von derAktiengesellschaft für Anilinfabrikation (Agfa) in Berlin inden Handel gebracht. Diese Substanzen waren nicht to-xisch, hatten jedoch den Nachteil der sehr langsamen Fär-bung, die eine Stunde und länger dauern konnte. Zwar wardie hautreizende Wirkung durch die Sulfogruppe beseitigt,zugleich wurde aber die Affinität des gebildeten Farbstof-fes zum Haar herabgesetzt.

Gleichzeitig wurde intensiv nach unschädlichen Er-satzmitteln geforscht. Es folgte die Entwicklung weitererVerbindungen, die aus aromatischen Basen mit ein bis zweiAminogruppen bestanden. Es zeigte sich rasch, dass alleweiteren in Haarfärbemitteln eingesetzte organische Basenwie z. B. Naphtylendiamin, Toluendiamin oder p-Amino-phenol Dermatiten verursachen konnten.

Weitere Arbeiten ergaben, dass durch den Zusatz von re-duzierenden Salzen, insbesondere neutraler Sulfite, die Bil-dung von Chinondiiminen stark eingeschränkt werdenkonnte. Als Folge konnte nach der Anwendung von orga-nischen Haarfärbemitteln, die mit 5% Natriumsulfit versetztwaren, ein erheblicher Rückgang von Hautausschlägen be-obachtet werden.

Wahrnehmung in der MedizinDie Meinung der meisten Ärzte ging dahin, kosmetischeMittel als eine lästige Randerscheinung zu betrachten, undsie betonten, dass Schönheitsmittel mit dem Gewerbe desArztes nichts zu tun hätten. So kam es, dass viele Medizinernicht mit der Symptomatik vertraut waren – es war für sienicht augenscheinlich, dass ein Haarfärbemittel die Ursa-che für die aufgetretenen Läsionen sein konnte. Zudemkonnten die Ekzeme erst mit zeitlicher Verzögerung auf-treten und in Bereichen wie Gesicht, Hals, Oberarme undBrust, die mitunter nicht in direktem Kontakt mit dem Haar-färbemittel standen. Betroffene Personen erwähnten, so-fern sie überhaupt einen Arzt aufsuchten, oft aus Eitelkeitnicht, dass sie Haarfärbemittel benutzten. Viele Ärzte warendaraufhin ratlos.

Wie weit man zu diesem Zeitpunkt nicht nur in Deutsch-land noch von einer den Verbraucherschutz ernst neh-menden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Kos-metik und den von ihr hervorgerufenen Hautschädigungenentfernt war, macht ein Blick nach Übersee deutlich. In denUSA kursierte um 1925 unter den Ärzten die Meinung, dassnicht die Dermatitis verursachenden Kosmetika die Ursacheder Probleme seien, sondern allein die Frauen, die sie be-

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para-Phenylendiamin oxidiert an der Luft leicht zu einemdunklen Farbstoff, der Brandowski-Base (oben). Zwischen-produkt ist Chinondiimin.

Abb. 2 Anleitung zum Färben aus dem Wella-Prospekt „Die Schule des Haarfärbens“ von 1940. [mit freundlicher Genehmigung des Wella-Museums]

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nutzen, da sie der Werbung zu leicht verfielen. Nur ein klei-ner Kreis von Medizinern aus der noch jungen Disziplin derDermatologie setzte sich wissenschaftlich mit den gesund-heitlichen Folgen von Kosmetika auseinander:

Die 1911 in der Dermatologie entwickelte Läppchen-probe (heute als Epikutantest bezeichnet) wurde zwei Jah-re später das erste Mal in einer Fachzeitschrift sowie imdarauffolgendem Jahr in der Tagespresse im Zusammenhangmit Haarfärbemitteln empfohlen. Durch die Anwendungdieser Probe vor dem Färben konnten gesundheitliche Be-einträchtigungen vermieden werden. Die Person, die sichdie Haare färben wollte, benetzte einen kleinen Teil derHaut z. B. hinter dem Ohr mit der Haarfärbelösung. Tratennach einiger Zeit keine Rötungen auf, konnte das Mittelweitgehend unbeschadet zum Färben benutzt werden.

Ein betroffener Berufszweig: FriseureZunehmend ab 1900 entstanden neben den traditionellenHerrengeschäften Damensalons mit weiblichem Personal.Während die männlichen Angestellten für die lukrativenHaarschnitte zuständig waren, kümmerten sich die oft nurdurch einmonatige Kurse mangelhaft ausgebildeten Mitar-beiterinnen um das Shampoonieren und Haarefärben.Durch den täglichen Umgang mit synthetischen Haarfärbe-mitteln und den damit verbundenen Kontakt der Mittel mitden Händen kam es besonders bei Friseuren zu starken Ver-giftungserscheinungen. Die Gesundheitsgefährdung gingzwar von den färbenden Substanzen aus, oft entstandenSchädigungen aber erst durch die unzureichende und nach-lässige Durchführung der Färbetechnik, indem z. B. nachder Färbung die Haare ungenügend ausgespült wurden. Ei-nige Friseure waren verunsichert durch die Mitteilung, dasseinige Haarfärbemittel giftige Substanzen enthielten. Dieszeigen diverse Nachfragen nach Rezepturen für unschäd-liche Haarfärbemittel in der „Deutschen allgemeinen Fri-seurzeitung“ und der „Pharmazeutischen Zeitung“. Seitenseiniger Dermatologen und zunehmend von der Friseurin-nung wurde gefordert, dass die Friseure in der Technik desHaarefärbens besser geschult und gleichzeitig chemische

Grundkenntnisse vermittelt werden sollten, um Gesund-heitsschädigungen zu vermeiden.

VerbraucheraufklärungNeben den Bemühungen um eine gesetzliche Regelung inSinne eines Gesundheitsschutzes stand die Aufklärung desVerbrauchers im Vordergrund. Immer wieder erschienenkleine Artikel in den Tageszeitungen, die entweder allge-mein vor der Anwendung von Haarfärbemittel abrieten bzw.gezielt bestimmte Mittel anprangerten. Wie sich nun derKunde vor solchen Mitteln zu schützen hatte, war nichtklar, da es sich bei den meisten Produkten um Geheimmit-tel handelte. Diese Fertigprodukte kamen mit häufig wech-selnden Namen auf den Markt ohne Angabe ihrer Zusam-mensetzung. Zudem wurden sie oft genug mit irreführen-der Aufmachung verkauft.

Ein weiteres Mittel zum Gesundheitsschutz waren ge-naue Gebrauchsanweisungen. Das Produkt Primal, das 1911entwickelt wurde, enthielt einen Beipackzettel, in dem sei-ne Anwendung genau beschrieben wurde.

Abschließend kann zusammengefasst werden, dass derZuwachs an Kenntnissen über gesundheitlichen Risikenstets der exzessiven Anwendung hinterherhinkte. Es gabeinige zaghafte Versuche, den Verbraucher rechtlich vorGesundheitsschäden zu schützen, die überdies an der prak-tischen Umsetzung scheiterten.

Gegen prahlerische und übertriebene Anpreisung konn-te juristisch nichts eingewendet werden, und somit hat dasalte Sprichwort „wer schön sein will muss leiden“ durch-aus seine Berechtigung.

ZusammenfassungEnde des 19. Jahrhunderts kamen neuartige Haarfärbemittelauf den Markt, die die gängigen pflanzlichen und metallsalz-haltigen Mittel verdrängten. Es handelte sich um aromatischeVerbindungen aus der Teerfarbenchemie, die eine hohe Affi-nität zu Haaren aufwiesen und zugleich haltbare und natür-liche Färbungen ergaben. Rasch zeigte sich, dass entgegen derwissenschaftlichen Meinung die Mittel nach der AnwendungGesundheitsschädigungen hervorrufen konnten. Dieser Bei-trag untersucht, welche Maßnahmen getroffen wurden, umden Verbraucher vor Beeinträchtigungen der Gesundheit zuschützen.

SummaryThis paper shows the development of governmental consumerprotection in Germany for hair dyes from the late 80ies of the19th century to the beginnig of the 20th century. New sub-stances of the organic tar-chemistry showed high affinity tohair while giving the hair a natural colouration. Soon thesehair dyes superseded the natural and metalsalt containingdyes. Thus it turned up, that these organic compounds had ahazardous potential.

SchlagworteKosmetik, Haarfärbemittel, Teerfarben, Verbraucherschutz

R EC H T L I C H E G R U N D L AG E N |– Gesetz betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genuß-

mitteln und Gebrauchsgegenständen (NMG) vom 14. Mai1879 (RGBl. S.145)

– Gesetz betreffend die Verwendung gesundheitsschädlicherFarben bei der Herstellung von Nahrungsmitteln, Genuß-mitteln und Gebrauchsgegenständen (Farbengesetz) vom 5. Juli 1887 (RGBl. S. 277)

– Polizei-Verordnung über den Handel mit Giften (Giftgesetz)vom 24. August 1895

– Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln und Bedarfsgegen-ständen (LMG) vom 5. Juli 1927 (RGBl. I S.134)

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Literatur[1] Zahn, H. „Das Haar aus der Sicht des Chemikers““,, Chem. unserer Zeit

11998899, 23, 141-150.[2] Volk, R., Winter, F., (Hgs.), Lexikon der Kosmetischen Praxis, Wien

11993366, 230.[3] Die nach der heutigen Nomenklatur korrekte Bezeichnung lautet 1,4-

Diaminobenzol. Aktuelle Gesetzeslage: Mit der 9. Änderungsverord-nung der Kosmetik-Verordnung (BGBl.I 586) vom 20. März 1985 wur-de Para aus der Liste 1 der verbotenen Stoffe gestrichen. Das bedeu-tet, dass Para seit 1985 in Deutschland in Haarfärbemitteln wiedereingesetzt werden darf.

[4] Erdmann, E.,Z. Angew. Ch. 11889955,, 8, 29.[5] Gemeint ist die Polizei-Verordnung über den Handel mit Giften vom

24. August 1895, die allgemein auch als Giftgesetz bezeichnet wur-de. Das Verbot bezog sich nur auf die Anwendung auf lebendes Haar,Pelze und Perücken konnten weiterhin mit Para gefärbt werden.

[6] Hausen, Björn M., et al., Henna/p-Phenylendiamin-Kontaktallergie:Folgenschwere Dermatosen nach Henna-Tätowierungen, in: Deut-sches Ärzteblatt 22000011, 98, A-1822

[7] Codex Alimentarius Austriacus, Bd. 2, XXXVIII. Kosmetische Mittel,Wien 11991122, 393f.

[8] Bandrowski, Ernst v., in: Monatshefte für Chemie 11888899,, 10, S. 123-127.- In dieser Arbeit wurde nur die Summenformel C18H18N6 für dieBandrowski Base angegeben. Die Strukturformel ist der Arbeit von

Blake, A., Hubberstey, P., Quinlan D., Bandrowski’s Base, in: ActaCryst. 11999966, C52, 1774-1776 entnommen. Nach der Nomenklaturhandelt es sich um n’,n’-bis(4-Aminophenyl)2,5-diamino-1,4-quino-nediimine.Der vorliegende Artikel enthält ein leicht verändertes Kapitel aus derDissertation, die unter folgender Internetadresse elektronisch abruf-bar ist: www.sub.uni-hamburg.de/opus/volltexte/2005/2296/

Die AutorinKerrin Riewerts studierte Lebensmittelchemie inHamburg und an der TU Berlin. Nach dem Staats-examen war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterinin der Max-Planck- Arbeitsgruppe für strukturelleMolekularbiologie tätig. Anschließend absolviertesie den Promotionsstudiengang am Institut fürGeschichte der Naturwissenschaften, Mathematikund Technik in Hamburg. Zur Zeit entwickelt siemuseumpädagogische Konzepte im naturwissen-schaftlichen Bereich für Museen in Bielefeld undPaderborn.

KKoorrrreessppoonnddeennzzaaddrreessssee::Dr. Kerrin Riewerts, Taubenweg 3b, 33102 Paderborn

I N D E N H A A R E N H E R A N G E ZO G E N : B L E I S U L F I D - N A N O K R I S TA L L E AU S A N T I K E N R E Z E P T E N |Vor mehr als 4000 Jahren begann in Ägypten dieVerwendung von Bleisalzen für kosmetische Anwendungen. Philippe Walter vom Centre de Recherche et de Restauration des Musées de France der CNRS in Paris probierte ein Rezept zumHaarefärben aus, das seit antiken Zeiten in Textenbeschrieben wird. Bleisulfid-Nanokristalle bildenund verteilen sich im Haar. Besonderes Augenmerkerweckt die organisierende Wirkung des Haars aufdas Wachstum der Kristalle.

Seit den Zeiten des griechisch-römischen Reichesin der Antike wurden neben Henna zum Haare-färben auch Rezepte zum Schwärzen von Haarund Wolle basierend auf Bleiverbindungen ver-wendet [1]. Angemischt wird eine Paste aus Blei-oxid und Löschkalk, Ca(OH)2, und Wasser, die aufsHaar gestrichen wird. Der pH-Wert (12,5 bei25 °C) wird durch die Löslichkeit des Löschkalkskontrolliert. Beim Färben wird helles oder ergrau-tes Haar zunehmendend schwarz. Dabei wird Bleials Bleiglanz fixiert. Aufgrund der toxischen Eigen-schaften werden Bleisalze heute nicht mehr kos-metisch verwendet.

Das Haar ist aufgebaut aus Kutikula, Rinde undMark. Die zylindrische Rinde wird von der Kutikulaumhüllt und besteht aus Makrofibrillen. Diesekönnen als biologische Komposite der α-Helix desKeratins, eingebettet in eine amorphe, schwefel-

reiche Matrix, betrachtet werden. Der große Anteilvon Cystein-Resten in der amorphen Matrix trägtaufgrund der vernetztenden Disulfidbrücken dazubei, dass es chemisch relativ inert ist.

Die Ansammlung von Bleiverbindungen in derHüllschicht und in der Rinde erreichen eine Größevon 200 nm. Diese führt Walter auf die Wechsel-wirkung der Blei-Ionen mit Lipiden im Haar zu-rück, als Folge einer Verseifung freier Fettsäuren.Ebenso bilden Lipide der Zellmembranen zwischenund innerhalb der Makrofibrillen Komplexe mitden Blei-Ionen. Die etwa fünf Nanometer großenBleiglanz-Kristalle befinden sich innerhalb der Makrofibrillen.

Von den drei schwefelhaltigen natürlichen Amino-säuren (Cystin, Cystein und Methionin) im Keratinreagiert nur Cystein mit Blei-Ionen. Während derCystein-Gehalts abnimmt, treten zwei nicht natür-lich vorkommende Aminosäuren auf: Lanthioninund Lysino-Alanin.

Alkali startet eine Reaktionskette, bei der Cystinyl-Reste abgebaut werden und im ersten Schritt eineβ-Eliminierung sehr reaktive Dehydroalanyl-Resteund S-Thiocysteinyl-Reste bildet. Die noch vorhan-denen Cystein- und Lysyl-Seitenketten reagierenmit den Dehydroalanyl-Resten zu Lanthionin sowie Lysino-Alanin, wobei Schwefel frei wird.

Die PbS-Kristalle ordnen sich in Linien entlang derLängsachse an. Ihr gleichmäßiger Abstand vonacht bis zehn Nanometern entspricht in etwa demAbstand zwischen zwei Mikrofibrillen. So bildetsich direkt im Haar eine Art Melanin-Ersatz, der al-lerdings ein vier- bis fünffach geringeres Volumenhat.

Walter untersuchte als analytischer Chemiker einBeispiel für Blei basierte Chemie in der Antike. Weitere Studien mit anderen Metallen sollen denMechanismus des Kristallwachstums und der Ionen-Diffusion durch das Haar weiter entschlüs-seln. Eine direkte Verwendung von Haaren alsNanoreaktor schließt er aus, erwartet aber neueImpulse für die Konstruktion von sich selbst orga-nisierenden Nanokompositen. Der amorphe Bereich des Haares scheint hierfür ein natürlichesBeispiel zu sein.

Literatur:[1] P. Walter, E. Welcomme, P. Hallégot,

N. J. Zaluzec, Ch. Deeb, J. Castaing, P. Veyssière,R. Bréniaux, J.-L. Lévêque, G. Tsoucaris, NanoLett. 2006, 6, 2215-2219

Sylvia Feil, Burgdorf

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