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k l a u s p o i e r

Verzahnung von direkter Demokratie und ParlamentarismusZur Einsetzung der „Enquete-Kommission betreffend Stärkung der Demokratie in Österreich“

Am 18. Dezember 2014 konstituierte sich im Parlament eine „Enquete-Kommis-sion betreffend Stärkung der Demokratie in Österreich“. Die Enquete-Kommission beschäftigt sich mit der Aufwertung direktdemokratischer Instrumente auf Grundlage des „Demokratiepaktes 2013“, der hierzu eingebrachten Abänderungsanträge sowie der Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens. Neben der Frage der Weiterentwicklung der direkten Demokratie sollen auch Möglichkeiten zur Aufwertung der parlamenta-rischen Arbeit und zur Optimierung der parlamentarischen Abläufe und Rahmenbe-dingungen diskutiert werden.

Die Einsetzung dieser Enquete-Kommission stellt den vorläufigen Höhe-punkt der aktuellen Diskussion über einen möglichen Ausbau der direkten Demo-kratie in Österreich dar. Befürworter und Gegner eines Ausbaus der direkten Demo-kratie stehen sich zum Teil sehr kontroversiell gegenüber, nicht selten wird von beiden Seiten ein Gegensatz zwischen direkter und repräsentativ-parlamentarischer Demo-kratie hervorgestrichen und nur die jeweils eine Variante als legitim angesehen. Mit der Diskussion um das „Demokratiepaket 2013“ und insbesondere dem Begutach-tungsverfahren, aber auch mit der Einsetzung der Enquete-Kommission und deren Arbeitsplan ist allerdings eine zu begrüßende Versachlichung der Debatte zu konsta-tieren. Vor allem der Versuch der stärkeren Verzahnung von direkter Demokratie und Parlamentarismus weist in die richtige Richtung. Die Enquete-Kommission soll bis Juni 2015 zu einem Ergebnis kommen, die politischen Folgerungen und mögliche Verfassungsänderungen sind noch nicht absehbar.

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Österreich ist nicht das einzige Land, in dem direkte Demokratie derzeit diskutiert bzw. in Mode gekommen zu sein scheint.1 Am 14. und 15. Jän-ner 2014 wurde in Ägypten die neue Verfassung bei einem Referendum mit einer Mehrheit von 98,1 % bei einer Beteiligung von 38,6 % angenom-men. Am 18. September 2014 fand ein Referendum über die Unabhängig-keit Schottlands vom Vereinigten Königreich statt, bei dem 55,3 % bei einer Beteiligung von 84,6 % eine Loslösung Schottlands ablehnten. Am 9. No-vember 2014 fand in Katalonien – nach der Untersagung einer offiziellen Volksbefragung durch das Verfassungsgericht auf Antrag der spanischen Re-gierung – eine informelle Befragung statt, bei der sich eine große Mehrheit der Mitstimmenden für eine Unabhängigkeit von Spanien aussprach. Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Woche für Woche sind in den Medien Mel-dungen über Abstimmungen und Befragungen zu lesen. In einigen Ländern Europas hat auch die „EU-Dynamik“ zu einer Zunahme von Referenden geführt. So kam es in jüngerer Zeit in fast allen Beitrittsländern zu Abstim-mungen über den Beitritt zur EU – wie 1994 ja auch in Österreich. Zum anderen gab es auch eine Reihe von Referenden über EU-Vertragsände-rungen. Die prominentesten Beispiele dafür waren die Abstimmungen in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2005, die den EU-Verfassungs-vertrag zum Scheitern brachten, während ein Referendum zuvor in Spanien noch positiv ausgegangen war. Mit großer Spannung wartet ganz Europa auch auf die von Premierminister David Cameron für 2017 angekündigte Abstimmung über den Verbleib der Briten in der EU.2

Der politische Druck zu derartigen Referenden kommt sowohl von den Bürgerinnen und Bürgern als auch aus der Parteienlandschaft. Vor al-lem populistische Parteien sprechen sich seit jeher mit Vehemenz für mehr direkte Demokratie aus. Andere Parteien sehen sich derart unter Druck und greifen deshalb – wie etwa das britische Beispiel zeigt – ebenso zum Instru-ment des Referendums, um damit Volksnähe und Volksverbundenheit zu

1 Siehe zu einzelnen Passagen in diesem Beitrag bereits Poier, K., Demokratie stärken. Aber wie?, in: Fazit 108 (November 2014), S. 49 ff. Der Beitrag resümiert weiters auch Ergebnisse des Sammelbandes Öhlinger, T./Poier, K. (Hg.), Direkte Demokratie und Parlamentarismus: Wie kommen wir zu den besten Entscheidungen?, Wien/Köln/Graz 2015.2 Vgl. dazu etwa Sully, M., Direct Democracy in the UK: a constitutional experiment, in: Buß­jäger, P./Balthasar, A./Sonntag, N. (Hg.), Direkte Demokratie im Diskurs, Wien 2014, S. 47 ff.

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demonstrieren, und mit dem Ziel, den Populisten derart den Wind aus den Segeln nehmen zu können. Schließlich sind es auch separatistische Parteien, die – wie etwa in Schottland und Katalonien – mithilfe von Referenden ihre Unabhängigkeitsbestrebungen vorantreiben wollen.

Aber auch vonseiten der Zivilgesellschaft und von Bürgerinitiati-ven wird eine Reform der Demokratie und in diesem Zusammenhang ein Ausbau bzw. eine stärkere Inanspruchnahme der direkten Demokratie im-mer stärker gefordert.3 Eine erste Welle derartiger Bürgerrechtsbestrebun-gen ging mit der 68er-Bewegung einher, eng verbunden auch mit der auf-kommenden Ökologie- und Grünbewegung. In Österreich führte dies in den 1970er- und 1980er-Jahren auch tatsächlich zu einem massiven Aus-bau der direkten Demokratie auf Landes- und Gemeindeebene.4 Der erste umfassende Katalog wurde dazu in der Steiermark mit dem Volksrechtege-setz 1986 geschaffen.5 Während man ab den 1990er-Jahren eher das Gefühl hatte, dass die Diskussion abflaute, nahm sie in den letzten Jahren wieder enorm an Fahrt zu. Dabei wurden zivilgesellschaftliche Aktivitäten für mehr Partizipation und Bürgerbeteiligung in Österreich vor allem auch durch die Kritik am empfundenen Stillstand der Großen Koalition auf Bundesebene beflügelt. Eine Reihe von Initiativen bildete sich, wie etwa die „Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform“ oder die Initiative „MeinOE“.

Will das Volk mehr (direkte) Demokratie?Letztere, mit den „Alt-Politikern“ Wolfgang Radlegger (SPÖ), Johannes Voggenhuber (Grüne) und Erhard Busek (ÖVP), startete 2013 sogar ein eigenes Volksbegehren „Demokratie Jetzt!“, mit dem insbesondere ein Aus-bau der direkten Demokratie und eine Reform des Wahlrechts gefordert

3 Vgl. Diendorfer, G. (Hg.), Direkte Demokratie: Forderungen – Initiativen – Herausforderungen, Wien 2013.4 Vgl. etwa Poier, K., Sachunmittelbare Demokratie in Österreichs Ländern und Gemeinden: Rechtslage und empirische Erfahrungen im Überblick, in: Neumann, P./Renger, D. (Hg.), Sachunmit­telbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext 2008/2009, Baden­Baden 2010, S. 31 ff.; Poier, K., Instrumente und Praxis direkter Demokratie in Österreich auf Länder- und Gemeindeebene, in: Bußjäger, P./Balthasar, A./Sonntag, N. (Hg.), Direkte Demokratie im Diskurs, Wien 2014, S. 141 ff.5 LGBl. 1986/87.

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wurden. Auffallenderweise konnte aber auf diesem Weg das Volk nicht be-geistert werden, für mehr eigene Rechte einzutreten.6 Das Volksbegehren erreichte nur eine Zustimmung von knapp mehr als einem Prozent der Wahlberechtigten und rangierte damit bloß an 36. Stelle der bisherigen 37 Volksbegehren. Schlechter schnitt bloß das ebenso 2013 durchgeführte Anti-Kirchen-Volksbegehren ab. An der Spitze rangiert nach wie vor das Anti-Konferenzzentrum-Volksbegehren der ÖVP von 1982, das fast 1,4 Millionen Österreicher unterstützten, was mehr als einem Viertel der Wahl-berechtigten entsprach.

Kann man aus dem schlechten Abschneiden des Demokratie-Volks-begehrens den Schluss ziehen, dass die Bürgerinnen und Bürger ohnedies mit der Demokratie und Politik zufrieden sind und Änderungen gar nicht notwendig wären? Der Befund hierzu muss wohl differenziert ausfallen. Zum einen zeigen empirische Daten tatsächlich, dass die grundsätzliche Zufriedenheit der Österreicherinnen und Österreicher mit der Demokra-tie sowohl im internationalen wie im historischen Vergleich nach wie vor hoch, im Langzeitvergleich sogar tendenziell steigend ist.7 Zum anderen sprechen allerdings viele demoskopische Untersuchungen der letzten Mo-nate und Jahre von einem noch nie dagewesenen Ausmaß an Unzufrieden-heit mit der Arbeit der Regierung und einem noch nie erreichten Grad der Enttäuschung.8 Als Folgen und Symptome dieser Entwicklung werden insbesondere das Entstehen von und der Zulauf zu Protestparteien sowie die sinkende Wahlbeteiligung genannt. In Umfragen zeigt sich ein starker Wunsch nach Veränderungen und Reformen, wobei auch der Vorschlag des Ausbaus der direkten Demokratie stets eine Zustimmung in Umfragen fin-det.9 Dass das Demokratie-Volksbegehren 2013 derart schlecht abschnitt,

6 Vgl. Busek, E., In einer Demokratie Demokratie begehren?, in: Karl, B. u.a. (Hg.), Steirisches Jahrbuch für Politik 2013, Wien/Köln/Weimar 2014, S. 45 ff.7 Vgl. Plasser, F./Seeber, G., Politische Kultur und Demokratiebewusstsein in der Zweiten Repu-blik im internationalen Vergleich, in: Helms, L./Wineroither, D. (Hg.), Die österreichische Demokra­tie im Vergleich, Baden­Baden 2012, S. 269 ff. (hier S. 283 ff.).8 Vgl. etwa Heinisch, R./Hauser, K., Österreich und die Zukunft der Demokratie, in: Öhlinger, T./Poier, K. (Hg.), Direkte Demokratie und Parlamentarismus, Wien/Köln/Graz 2015, S. 13 ff. 9 Vgl. etwa die einschlägigen Ergebnisse im „Demokratiebefund 2014“ der Initiative Mehrheits­wahlrecht und Demokratiereform, http://www.mehrheitswahl.at/material/Demokratiebefund–2014­gesamt.pdf (abgerufen am 21.1.2015).

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kann daher wohl kaum wegen seiner Inhalte gewesen sein. Vermutlich lag es mehr am Instrument selbst. Wenn man die Geschichte der Volksbegeh-ren in Österreich – beginnend beim ORF-Volksbegehren 1964 – näher be-trachtet, zeigt sich, dass gerade zuletzt besonders schlechte Ergebnisse er-zielt wurden. Eine gewisse Ernüchterung und Ermüdung scheint sich somit breitgemacht zu haben. Viele meinen, dass dies insbesondere daran liegt, dass der politische Erfolg von Volksbegehren äußerst bescheiden ist.10 Von den jeweils Regierenden werden sie in aller Regel bloß als lästige oppositio-nelle Sticheleien empfunden, die man am besten mit Nichtbeachtung straft. Ein Paradebeispiel der enttäuschten Hoffnungen war dabei zuletzt das von Ex-Vizekanzler Hannes Androsch mit enormer medialer Unterstützung be-triebene Bildungsvolksbegehren, das – auch wenn mehr erwartet worden war – immerhin sechs Prozent der Wahlberechtigten unterstützten und das dann im Parlament – so die übereinstimmende öffentliche Einschätzung – ein sogenanntes „Begräbnis erster Klasse“ erhielt. Das Konferenzzentrum in Wien wurde trotz des großen Erfolges des Volksbegehrens 1982 im Übrigen ja auch gebaut.

Einsetzung der Enquete-Kommission „betreffend Stärkung der Demokratie in Österreich“Eine Aufwertung der Volksbegehren, die im „Demokratiepaket 2013“ auch vorgeschlagen wurde, würde damit durchaus eine Antwort auf die beklagte „Zahnlosigkeit“ des Instruments darstellen. Der Vorschlag stieß allerdings, worauf noch zurückzukommen ist, auf gehörige und prominente Kritik.11 Nicht zuletzt deshalb kam es in der letzten Legislaturperiode und auch bei den Regierungsverhandlungen 2013 zu keiner Einigung über eine Re-form der direkten Demokratie. Vielmehr soll in umfassender Weise in einer

10 Vgl. Öhlinger, T., Möglichkeiten und Grenzen der direkten Demokratie, in: Öhlinger, T./Poier, K. (Hg.), Direkte Demokratie und Parlamentarismus, Wien/Köln/Graz 2015, S. 289 ff. (hier S. 291 f.).11 Siehe eingehend zum Demokratiepaket 2013 und den Reaktionen und Positionen hierzu Konrath, C., Das Demokratiepaket 2013, in: Baumgartner, G. (Hg.), Öffentliches Recht, Wien/Graz 2014, S. 345 ff.

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im Regierungsprogramm vereinbarten12 und nun eingesetzten parlamen-tarischen „Enquete-Kommission betreffend Stärkung der Demokratie in Österreich“13 darüber diskutiert werden.

Die Enquete-Kommission wurde vom Hauptausschuss des National-rats am 23. September einstimmig auf Antrag aller sechs Parlamentsklubs beschlossen.14 Der Kommission gehören 18 stimmberechtigte Mitglieder an: je fünf Abgeordnete der SPÖ und ÖVP, vier der FPÖ, zwei der Grünen und je ein Mitglied stellen Team Stronach und NEOS. Den Vorsitz führen die drei Präsidenten des Nationalrates. Als weitere ständige rede-, aber nicht stimmberechtigte Mitglieder können die Klubs Mitglieder des Bundesrates oder Experten nominieren (SPÖ, ÖVP und FPÖ je zwei Mitglieder, die übrigen Klubs je ein Mitglied).15 Für jede Sitzung können zudem weitere Experten zur Anhörung geladen werden.

Zusätzlich wartet die Enquete-Kommission mit einem originellen Experiment auf. Immer wieder wurde bei Reformdiskussionen der letzten Jahre aus der Zivilgesellschaft, insbesondere von Initiativgruppen, nämlich die Klage laut, dass zwar Anliegen der Bürgerinnen und Bürger diskutiert werden, diese selbst dabei aber stets ausgeschlossen bleiben und keine Mög-lichkeit haben, sich an der Diskussion zu beteiligen. Im Österreich-Konvent (2003 bis 2005) wurde gewissen Organisationen die Möglichkeit geboten, jeweils fünf Minuten bei drei Hearing-Tagen Stellung zu nehmen.16 Trans-parenz versucht man im politischen Prozess auch immer wieder durch In-ternetübertragungen und Diskussionsforen zu bieten. Diesmal wurde nun ein ganz neuer Weg beschritten. Die Parlamentsparteien sind nämlich über-eingekommen, acht Bürgerinnen und Bürger an der Enquete-Kommission als Mitglieder mit Rederecht teilnehmen zu lassen. Interessierte konnten

12 Vgl. Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung 2013–2018, https://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=53264 (abgerufen am 20.1.2015), S. 90.13 Siehe dazu und zu weiterführenden Unterlagen http://www.parlament.gv.at/PERK/NRBRBV/NR/PARLENQU/PEKDEMO/ (abgerufen am 20.1.2015).14 § 98 Geschäftsordnungsgesetz 1975 (GOG­NR).15 Der Autor selbst nimmt als ein aufgrund dieser Vereinbarung vom ÖVP­Klub nominierter Experte als ständiges Mitglied an der Enquete­Kommission teil.16 Vgl. Poier, K., Verfassungsreform und Partizipation: Bürgerinnen- und Bürger- sowie zivilgesell-schaftliche Beteiligung am und nach dem Österreich-Konvent, in: Brix, E./Nautz, J./Poier, K. (Hg.), Die österreichische Verfassungsdiskussion und die Zivilgesellschaft, Wien 2006, 155 ff.

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sich bis Ende Oktober bewerben, per Ziehung unter notarieller Aufsicht wurden dann mittels Los, zur besseren Ausgewogenheit, je zwei Vertreter aus vier Gruppen gewählt, nämlich „weiblich unter 35 Jahre“, „weiblich über 35 Jahre“, „männlich unter 35 Jahre“ und „männlich über 35 Jahre“. Frag-lich bleibt freilich, ob es zu einem echten Gedankenaustausch und zu einem Diskurs über die anstehenden Fragen zwischen den Parlamentariern und diesen gelosten Bürgerinnen und Bürgern kommt oder ob diese Form der Bürgerbeteiligung eine Show bleibt. Eine gewisse Skepsis stellte sich dabei bereits insofern ein, als praktisch alle derart gelosten Mitglieder schon zuvor in diversen politischen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen organi-siert waren. Wer auf quasi politisch „jungfräuliche“ Bürgerinnen und Bür-ger gehofft hat, wurde damit enttäuscht. Zusätzlich sind alle Bürgerinnen und Bürger Österreichs eingeladen, zur Arbeit der Enquete-Kommission schriftliche Stellungnahmen einzubringen.

Das bereits fixierte Arbeitsprogramm der Enquete-Kommission ist umfangreich. Auf der Tagesordnung der ersten Sitzung am 18. Dezember 2014 standen der Status Quo der Instrumente der direkten Demokratie auf der Bundesebene in Österreich und eine verfassungsrechtliche Analyse des „Demokratiepakets 2013“ in der Fassung des gesamtändernden Abände-rungsantrages und des Ausschussantrages unter Berücksichtigung der Ergeb-nisse des Begutachtungsverfahrens. Für die weiteren Sitzungen sind als The-menschwerpunkte direkte Demokratie auf Länder- und Gemeindeebene (22. Jänner 2015), direkte Demokratie in anderen ausgewählten Staaten (18. Februar 2015), Forderungen und Positionen der organisierten Zivilgesell-schaft (11. März 2015), das Spannungsfeld Politik – Medien – Bürgerinnen und Bürger im Hinblick auf zu erwartende Veränderungen durch einen Ausbau der direkten Demokratie (15. April 2015) sowie Aufgaben, Ab-läufe und Arbeitsbedingungen von Parlamenten in anderen Staaten (6. Mai 2015) vorgesehen. Am 2. Juni 2015 soll die Enquete-Kommission politische Schlussfolgerungen ziehen und zu einem Ergebnis kommen.

Wahlrechtsfragen bleiben ausgeklammertDer in Aussicht genommene Themenkatalog der Enquete-Kommission ist sehr breit. Zur Diskussion stehen damit nicht nur Fragen der Weiterentwick-

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lung der direkten Demokratie, sondern es sollen – auftragsgemäß – auch Möglichkeiten zur Aufwertung der parlamentarischen Arbeit und zur Opti-mierung der parlamentarischen Abläufe und Rahmenbedingungen diskutiert werden. Freilich bleibt ein zentrales Kernthema der Demokratie, nämlich das Wahlrecht, ausgeklammert. Dabei gibt es in diesem Bereich seit Jahren und Jahrzehnten viele Forderungen nach Änderungen, sowohl aus der Wissen-schaft, aus der Zivilgesellschaft, aber immer wieder auch von einzelnen Poli-tikern.17 Zwei Stoßrichtungen werden dabei primär angesprochen. Einerseits wird ganz besonders eine stärkere Personalisierung des Wahlrechts eingefor-dert. Die Nationalratswahlordnung wurde zwar schrittweise adaptiert und zuletzt wurde etwa auch die zusätzliche Möglichkeit der Vorzugsstimme auf Bundesebene eingeführt. Dennoch waren diese Maßnahmen offenkundig zu zaghaft, um eine wirkliche Personalisierung des Wahlrechts zu erreichen. Die Vorzugstimmenvergabe auf drei Ebenen – Bundesliste, Landesliste und Regionalwahlkreis – hat zum einen zu vielfacher Verwirrung geführt, wo-bei auch der übergroße Stimmzettel immer weniger nachvollziehbar wurde, zum anderen kam es trotz eines Absenkens der Hürde nach wie vor nur in marginalen Einzelfällen zu einer Umreihung der Listenplätze durch Vorzugs-stimmen. Eine Vereinfachung – etwa die Möglichkeit, auf allen Ebenen an-kreuzen zu können und nicht einen Namen eintragen zu müssen – sowie das radikale Absenken der Hürden für die Wirksamkeit der Vorzugsstimmen wären daher notwendig.18 Die andere Stoßrichtung der Wahlrechtsdiskussion bleibt nach wie vor die Frage nach einem Mehrheitswahlrecht bzw. zumin-dest mehrheitsverstärkenden Elementen im Wahlsystem.19 Die zunehmenden Probleme, effektive Regierungen bilden zu können, werden zwar weitge-hend wahrgenommen, der politische Konsens zu einer Änderung in diesem

17 Vgl. etwa Poier, K. (Hg.), Demokratie im Umbruch: Perspektiven einer Wahlrechtsreform, Wien/Köln/Graz 2009; Poier, K. (Hg.), Persönlichkeiten und Demokratie: Wie wählen wir die besten Köpfe?, Wien/Graz 2011.18 Zu den Vereinbarungen im Regierungsprogramm 2013–2018 schreibt Khol, A., MIGROKO vor dem Ende?, in: Khol, A. u. a. (Hg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik 2013, Wien/Köln/Weimar 2014, S. 3 ff. (hier S. 7): „Eine Änderung des Wahlrechts wurde zwar beschlossen, die Berge kreis­ten und gebaren das sprichwörtliche lächerliche Mäuschen – eine de facto unwirksame minimale Verbesserung beim Vorzugsstimmen­Wahlrecht.“19 Zuletzt erneut gefordert etwa von Mantl, W., Reform als Hürdenlauf, in: Öhlinger, T./Poier, K. (Hg.), Direkte Demokratie und Parlamentarismus, Wien/Köln/Graz 2015, S. 171 ff. (hier S. 177).

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Bereich scheint aber weiter entfernt denn je zuvor. Angesichts des Fehlens des Wahlrechtsthemas in der Agenda der Enquete-Kommission betreffend Stärkung der Demokratie in Österreich hat Heinrich Neisser kürzlich vor-geschlagen, möglichst rasch eine weitere Enquete-Kommission zur Reform des Wahlrechts einzusetzen.20

Dass Fragen des Wahlrechts aus dem Themenkatalog der Enquete-Kommission ausgeschlossen bleiben, schafft insofern eine argumentative Lü-cke, als vonseiten der Gegner eines Ausbaus der Instrumente der direkten Demokratie eine stärkere Personalisierung des Wahlrechts häufig als alter-native, „bessere“ Reformoption genannt wird. Dass nämlich grundsätzlich ein Reformbedarf besteht, wird in der Diskussion angesichts der schon an-gesprochenen Verdrossenheits- und Vertrauensverlustphänomene sowie der weithin beklagten mangelhaften Reformfähigkeit im politischen System fast unisono vertreten. Manche plädieren allerdings allein für Reformen der repräsentativen Demokratie und des Parlamentarismus. Neben einer Reform des Wahlrechts werden dabei häufig ein Ausbau der parlamentari-schen Hilfsdienste (legistischer Dienst, parlamentarische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter), eine stärkere Betonung des freien Mandats – insbesondere auch durch ein häufigeres Aufheben des Klubzwangs –, ein Ausbau der Op-positions- und Kontrollrechte und – auf die Bürgerinnen und Bürger bezo-gen – ein Ausbau der politischen Bildung genannt.21

Ausbau der direkten Demokratie?Hinsichtlich der Weiterentwicklung der Instrumente der direkten Demo-kratie wird in der Diskussion darauf hingewiesen, dass ein Mehr an direkter Demokratie schon allein durch eine stärkere Inanspruchnahme der bereits vorhandenen Instrumente erreicht werden könnte.

Als wichtigster Einzelpunkt der Diskussion steht freilich weiter der von SPÖ, ÖVP und Grünen im Juni 2013 vorgelegte Vorschlag im Mit-

20 Neisser, H., Zukunftsperspektiven der österreichischen Demokratie, in: Öhlinger, T./Poier, K. (Hg.), Direkte Demokratie und Parlamentarismus, Wien/Köln/Graz 2015, S. 79 ff. (hier S. 88).21 Vgl. mehrere Beiträge in Öhlinger, T./Poier, K. (Hg.), Direkte Demokratie und Parlamentaris-mus, Wien/Köln/Graz 2015.

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telpunkt, die Wirksamkeit von Volksbegehren zu erhöhen. Volksbegehren mit großer Zustimmung – von zumindest zehn Prozent der Wahlberech-tigten bei einfachen Gesetzen, von zumindest 15 Prozent im Falle von Ver-fassungsgesetzen – sollen nach diesem Vorschlag nicht wie bisher einfach in der Schublade verschwinden können. Wenn solche „qualifizierten“ Volksbe-gehren vom Nationalrat nicht umgesetzt werden, sollen sie nach dem Vor-schlag einer Volksbefragung aller Bürgerinnen und Bürger einer Prüfung unterzogen werden. Diese Volksbefragung wäre rechtlich nicht bindend – also keine Volksabstimmung –, aber faktisch – so wenden viele ein – würde es für die Politik schwer sein, eine solche Meinungsfeststellung durch die Bevölkerung zu übergehen.

Besonders dieser Automatismus hat im Begutachtungsverfahren so-wie in der medialen öffentlichen Diskussion zu einer Reihe negativer Stel-lungnahmen geführt, insbesondere von Bundespräsident Heinz Fischer oder etwa auch vom früheren Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes Clemens Jabloner.22 Aber nicht nur aus dem Umkreis der Sozialdemokratie, die in Österreich der direkten Demokratie traditionell kritisch gegenübersteht, wurde Ablehnung laut. Auch der frühere Nationalratspräsident Andreas Khol spricht sich vehement gegen einen Ausbau der direkten Demokratie aus23 und nimmt dabei innerhalb der ÖVP quasi die Antipodenfunktion zu Außenminister Sebastian Kurz ein, der ja 2012 ein Demokratiepaket mit weitreichenden Vorschlägen präsentierte, das die aktuelle Diskussion über mehr direkte Demokratie in Österreich letztlich erst ausgelöst hat.24

Besonders hervorgestrichen wird von den Gegnern eines weiteren Ausbaus der direkten Demokratie – aber auch von Befürwortern –, dass es Themenbeschränkungen geben müsse. Selbst in der Schweiz kommt es tat-sächlich nach der „Minarettinitiative“ 2009, der „Ausschaffungsinitiative“ 2010 und der im Februar 2014 angenommenen Initiative „Gegen Massen-

22 Vgl. auch Jabloner, C., Schrankenloses Plebiszit?, in: Öhlinger, T./Poier, K. (Hg.), Direkte Demokratie und Parlamentarismus, Wien/Köln/Graz 2015, S. 303 ff.23 Vgl. Khol, A., Zweifel am Allheilmittel Direkte Demokratie, in: Öhlinger, T./Poier, K. (Hg.), Direkte Demokratie und Parlamentarismus, Wien/Köln/Graz 2015, S. 161 ff.24 Vgl. Kurz, S., Mehr Demokratie durch Volksabstimmung/Volksbefragung/Volksbegehren?, in: Khol, A./Ofner, G./Karner, S./Halper, D. (Hg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik 2012, Wien u. a 2013, S. 433 ff.

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einwanderung“ vermehrt zur Diskussion, welche Grenzen der direkten De-mokratie hinsichtlich Völkerrechtsverletzungen bzw. Menschenrechtsbe-schränkungen gesetzt werden sollten.25 Auch in Österreich plädieren einige unter diesem Gesichtspunkt, dass eine Verknüpfung von Volksbegehren und Volksbefragung jedenfalls nur dann erfolgen sollte, wenn bestimmte Themen von vornherein ausgeschlossen sind. Die vorgeschlagene Palette an Themen-verboten reicht dabei vom Ausschluss bundesverfassungsgesamtändernder Initiativen, jeglicher Verfassungsänderungen und völker- bzw. europarechts-widriger Vorschläge bis hin zum bloßen Ausschluss von Initiativen, die Min-derheiten schlechterstellen würden.26 Andere sprechen sich angesichts der oh-nedies vorhandenen nachprüfenden Kontrollmechanismen durch Parlament, Bundespräsident und Verfassungsgerichtshof gegen derartige Themenverbote und damit Beschränkungen der direkten Demokratie aus.27

Durchwegs auf Zustimmung stößt hingegen das auch mit dem „De-mokratiepaket 2013“ angestrebte Ziel, die Instrumente der direkten Demo-kratie besser mit der repräsentativen Demokratie, insbesondere dem parla-mentarischen Prozess, zu verzahnen. Dazu zählen nicht nur der umstrittene Vorschlag der Verknüpfung von Volksbegehren und Volksbefragung, sondern insbesondere der Vorschlag, im Nationalrat zwei Volksbegehrenssitzungen vorzusehen sowie die Möglichkeit für Volksbegehrensproponenten, im Par-lament ihre Anliegen persönlich zu vertreten.28 Dies weist wohl in die rich-tige Richtung. Wesentliches Anliegen muss es hier – und generell – sein, den „Diskurs zwischen Repräsentierten und Repräsentanten“ zu verbes-sern29 und damit der vielfach empfundenen Kluft zwischen der politischen

25 Vgl. zuletzt Glaser, A., Direktdemokratisch legitimierte Grundrechtseinschränkungen, in: Balthasar, A./Bußjäger, P./Poier, K. (Hg.), Herausforderung Demokratie, Wien 2014, S. 65 ff.26 Vgl. eingehend Merli, F., Themenbeschränkungen der direkten Demokratie, in: Öhlinger, T./Poier, K. (Hg.), Direkte Demokratie und Parlamentarismus, Wien/Köln/Graz 2015, S. 311 ff.27 Vgl. etwa Öhlinger, T., Grenzen der direkten Demokratie aus österreichischer Sicht, in: Baltha­sar, A./Bußjäger, P./Poier, K. (Hg.), Herausforderung Demokratie, Wien 2014, S. 49 ff.; Eberhard, H., Auf dem Weg zu mehr direkter Demokratie?, in: Öhlinger, T./Poier, K. (Hg.), Direkte Demokratie und Parlamentarismus, Wien/Köln/Graz 2015, S. 325 ff. (hier S. 333 ff.).28 Vgl. Konrath, C., Das Demokratiepaket 2013, in: Baumgartner, G. (Hg.), Öffentliches Recht, Wien/Graz 2014 (S. 368 f.).29 Vgl. Bezemek, C., In der Mittlerrolle – Vom Diskurs zwischen Repräsentanten und Repräsen-tierten, in: Öhlinger, T./Poier, K. (Hg.), Direkte Demokratie und Parlamentarismus, Wien/Köln/Graz 2015, S. 339 ff.

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Elite (insbesondere den Parteien) und den Bürgerinnen und Bürgern ent-gegenzuwirken. Einen derartigen Diskurs und eine Verzahnung von direk-ter Demokratie im weiteren Sinne mit dem Parlamentarismus könnte dabei auch die eingesetzte Enquete-Kommission selbst bieten. In diesem Sinne ist zu hoffen, dass diese Chance genutzt wird und nicht in Form einer billigen „reality soap opera“ alibihaft vergeudet wird.