tertiäre landoberflächen in mitteldeutschland als anzei- gen —...

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TSK 11 Göttingen 2006 Zander Tertiäre Landoberflächen in Mitteldeutschland als Anzei- ger tektonischer Bewegun- gen — Eine Rekonstruktion mittels Einsatz von Geo- Informationssystemen Poster Ina Zander 1 Arbeitshypothese Aus der Verteilung und Lage tertiärer und quartärer Ablagerungen in Mit- teleuropa lassen sich tertiäre Paläo- oberflächen rekonstruieren. Die späte- re Verstellung dieser Oberflächen er- laubt es, die vertikalen Krustenbewe- gungen der jüngeren und jüngsten geo- logischen Vergangenheit zu quantifizie- ren. Diese Hebungs- und Senkungsbewe- gungen sind nur wenig durch die lokale Heraushebung der mitteldeutschen Mit- telgebirge beeinflusst. Sie sind vor al- lem die Folge sehr großräumiger Verstel- lungen der Erdkruste zwischen Nordsee und Fichtelgebirge, bei denen Prozes- se im Erdmantel einen entscheidenden Einfluss im großräumigen (mitteleuro- päischen) Maßstab haben. Untersuchungsgebiet Das Untersuchungsgebiet liegt im Zen- trum des im heutigen Sprachgebrauch als Mitteldeutschland bekannten Drei- länderecks Thüringen Sachsen Sachsen-Anhalt. Geographisch gesehen, umfasst es Ausschnitte aus einer Viel- zahl von naturräumlichen Einheiten mit unterschiedlichen morphologischen Er- scheinungsformen: Mittelgebirge, Hü- gellandschaften und Senken sind vertre- ten. Doch trotz dieser Vielgestaltigkeit 1 Institut für Geowissenschaften, Friedrich– Schiller-Universität Jena, Burgweg 11, 07749 Jena ist von Süden nach Norden deutlich ei- ne Abnahme der Höhe und eine Verfla- chung des Reliefs erkennbar. Regionalgeologisch betrachtet, liegt der Untersuchungsraum am Südrand der Mitteleuropäischen Tertiärsenke. Die tertiären Ablagerungen bestehen hier überwiegend aus Meeresablagerungen, untergeordnet aus Flussablagerungen von zum Teil unsicherer zeitlicher Ein- stufung. Beschränkten sich die Abla- gerungen und die Bildung von Koh- leflözen anfangs auf Subrosionssenken, wurden sie im Verlauf des Tertiärs im Bereich der Leipziger Tieflands- bucht und im Weißelsterbecken flächen- deckend. Die diese Sedimentation er- möglichenden Transgressionen werden unter anderem auf weiträumige Sen- kungen (Eismann 2002, Standke 2002) zurückgeführt, die die Leipziger Tief- landsbucht mit dem Nordwestdeutschen Becken und damit mit der tertiären Nordsee verbanden. Die Bedeckung des Grundgebirges bzw. der mesozoischen Gesteine mit tertiären und quartären Ablagerungen im Süden und Südwesten des Untersuchungsgebietes ist heute nur noch sehr lückenhaft erhalten. Teilwei- se blieben diese Sedimente hier nur in Subrosionssenken bewahrt. Nach Nor- den bzw. Nordosten nimmt die Häufig- keit und die Mächtigkeit der känozoi- schen Bildungen zu. Im Raum der Leip- ziger Tieflandsbucht geht der Flicken- teppich aus känozoischen Sedimenten über in eine nach Norden hin mächti- ger werdende, geschlossene Decke. Aber nicht nur die Sedimentation sondern auch die Erosionsprozesse des zeitwei- lig sehr feuchtwarmen Klimas während Kreide und Tertiär hinterließen zum Teil tief reichende Verwitterungsrinden prä- tertiärer Gesteine, die weitere greifbare Zeugen des Tertiärs bzw. der Kreidezeit 1

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Page 1: Tertiäre Landoberflächen in Mitteldeutschland als Anzei- gen — …bleiss2/AbstractsPDF/Zander.pdf · 2006-11-10 · geomorphologicalevolution of central and northern Europe since

TSK 11 Göttingen 2006 Zander

Tertiäre Landoberflächen inMitteldeutschland als Anzei-ger tektonischer Bewegun-gen — Eine Rekonstruktionmittels Einsatz von Geo-Informationssystemen Poster

Ina Zander1

ArbeitshypotheseAus der Verteilung und Lage tertiärerund quartärer Ablagerungen in Mit-teleuropa lassen sich tertiäre Paläo-oberflächen rekonstruieren. Die späte-re Verstellung dieser Oberflächen er-laubt es, die vertikalen Krustenbewe-gungen der jüngeren und jüngsten geo-logischen Vergangenheit zu quantifizie-ren. Diese Hebungs- und Senkungsbewe-gungen sind nur wenig durch die lokaleHeraushebung der mitteldeutschen Mit-telgebirge beeinflusst. Sie sind vor al-lem die Folge sehr großräumiger Verstel-lungen der Erdkruste zwischen Nordseeund Fichtelgebirge, bei denen Prozes-se im Erdmantel einen entscheidendenEinfluss im großräumigen (mitteleuro-päischen) Maßstab haben.

UntersuchungsgebietDas Untersuchungsgebiet liegt im Zen-trum des im heutigen Sprachgebrauchals Mitteldeutschland bekannten Drei-länderecks Thüringen — Sachsen —Sachsen-Anhalt. Geographisch gesehen,umfasst es Ausschnitte aus einer Viel-zahl von naturräumlichen Einheiten mitunterschiedlichen morphologischen Er-scheinungsformen: Mittelgebirge, Hü-gellandschaften und Senken sind vertre-ten. Doch trotz dieser Vielgestaltigkeit1 Institut für Geowissenschaften, Friedrich–Schiller-Universität Jena, Burgweg 11, 07749Jena

ist von Süden nach Norden deutlich ei-ne Abnahme der Höhe und eine Verfla-chung des Reliefs erkennbar.

Regionalgeologisch betrachtet, liegt derUntersuchungsraum am Südrand derMitteleuropäischen Tertiärsenke. Dietertiären Ablagerungen bestehen hierüberwiegend aus Meeresablagerungen,untergeordnet aus Flussablagerungenvon zum Teil unsicherer zeitlicher Ein-stufung. Beschränkten sich die Abla-gerungen und die Bildung von Koh-leflözen anfangs auf Subrosionssenken,wurden sie im Verlauf des Tertiärsim Bereich der Leipziger Tieflands-bucht und im Weißelsterbecken flächen-deckend. Die diese Sedimentation er-möglichenden Transgressionen werdenunter anderem auf weiträumige Sen-kungen (Eismann 2002, Standke 2002)zurückgeführt, die die Leipziger Tief-landsbucht mit dem NordwestdeutschenBecken und damit mit der tertiärenNordsee verbanden. Die Bedeckung desGrundgebirges bzw. der mesozoischenGesteine mit tertiären und quartärenAblagerungen im Süden und Südwestendes Untersuchungsgebietes ist heute nurnoch sehr lückenhaft erhalten. Teilwei-se blieben diese Sedimente hier nur inSubrosionssenken bewahrt. Nach Nor-den bzw. Nordosten nimmt die Häufig-keit und die Mächtigkeit der känozoi-schen Bildungen zu. Im Raum der Leip-ziger Tieflandsbucht geht der Flicken-teppich aus känozoischen Sedimentenüber in eine nach Norden hin mächti-ger werdende, geschlossene Decke. Abernicht nur die Sedimentation sondernauch die Erosionsprozesse des zeitwei-lig sehr feuchtwarmen Klimas währendKreide und Tertiär hinterließen zum Teiltief reichende Verwitterungsrinden prä-tertiärer Gesteine, die weitere greifbareZeugen des Tertiärs bzw. der Kreidezeit

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Abbildung 1: Lage des zentralen Untersuchungsgebietes. Die Karte zeigt ein DigitalesGeländemodell zusammen mit der Verbreitung känozoischer Ablagerungen.

darstellen (Migón & Lidmar-Bergström2001, Unger & Schramm 1966).

ZielsetzungÜber ein Jahrhundert hinweg sind, ent-sprechend dem wachsenden Wissens-stand, verschiedene Modelle entstan-den, die die morphologische Entwick-lung der tertiären Ablagerungsräumeder Leipziger Tieflandsbucht und ins-besondere ihrer südlich angrenzendenGebiete (z. T. bis hin zum Fichtel-gebirge) zu erklären suchten (v. Frey-berg 1923, Penck 1924, Philippi 1910,Steinmüller 1974). In neueren Arbeitenwird neben früheren Erkenntnissen neu-eres fachübergreifendes Wissen (Spalt-spurdaten zur Exhumierungs- und He-bungsgeschichte, Erkenntnisse zum Kli-ma und zum meso-känozoischen Verwit-terungsgeschehen: Saprolitisierung) in-tegriert. Peterek (2002) diskutiert fürsein Modell einen Entstehungsmecha-nismus, der mit der Heraushebung vonThüringer Wald und Thüringer Schie-

fergebirge in Verbindung steht. Prä-existente tektonische Strukturen wer-den durch Kompressionsprozesse reakti-viert, die zur Heraushebung der beidenMittelgebirge führen. Dieser Mechanis-mus steht im direkten Zusammenhangmit Bewegungen von Platten der Litho-sphäre. Peterek veranschlagt für dieseBewegung einen Zeitraum, der von derUnterkreide bis deutlich in das Tertiärhineinreicht. Untersuchungen im Harz(Voigt et al. 2004) legen jedoch nahe,dass die Inversionsbewegungen schon inder Oberkreide weitgehend beendet wa-ren. Die durch zunehmende Mächtig-keit der tertiären Sedimente bis in dieNordsee (Scheck-Wenderoth & Lamar-che 2005, Ziegler 1990) belegte Verstel-lung scheint auch zu großräumig, umdurch Inversionstektonik verursacht zusein. Das hieße, das kein zwingender Zu-sammenhang mit kollidierenden Bewe-gungen von Lithosphärenplatten beste-hen müsste, sondern eine direkte Ver-knüpfung mit Massenverlagerungen und

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thermischen Vorgängen im Mantel be-steht, die zur Verstellung und Verbie-gung der überlagernden Lithosphären-platte(n) führen und auch für den ter-tiären Vulkanismus verantwortlich seinkönnten.Mit dieser Arbeit soll ein Beitrag zur Er-forschung der Antriebsmechanismen ge-leistet werden, die hinter der Bildungder oben beschriebenen Geomorpholo-gie des Untersuchungsgebietes stecken.Im Einzelnen sind folgende Arbeiten ge-plant:Im beschriebenen Untersuchungsgebietsollen die Tertiär-Relikte in ihrer La-ge, Mächtigkeit und zeitlichen Einord-nung erfasst werden. Aufbauend dar-auf soll die jetzt verstellte, deformier-te (?) und zum großen Teil erodier-te mesozoisch-känozoische Verebnungs-fläche rekonstruiert werden. Zur Durch-führung der Rekonstruktion muss ermit-telt werden, ob tektonische Vorgängeund/oder Salzauslaugung (Subrosion)zur Bildung bzw. Erhaltung der terti-ären Ablagerungen führten. Die Rekon-struktion der Paläolandoberfläche solldie Bilanzierung des erodierten Volu-mens sowie die Quantifizierung groß-räumiger Hebungen und Senkungen derErdkruste während des Känozoikumsermöglichen. Durch die Einbindung dergewonnenen Ergebnisse in den geolo-gischen Rahmen Mitteleuropas sollenRückschlüsse auf die tektonischen Vor-gänge in Erdkruste und Erdmantel ge-zogen werden.

Daten und MethodenBei der Arbeit wird überwiegend aufvorhandene mittel- bis kleinmaßstäbi-ge, digitale Fach- und Basisdaten zu-rückgegriffen: Dies sind vor allem Di-gitale Geländemodelle (ATKIS-DGMs,SRTM-Daten, GTOPO30) sowie Digita-

le Geologische Karten. Diese Daten wer-den durch Informationen aus weiterenQuellen (z.B. Karten, Bohrungsdaten,Berichte, Karten, Geländebegehungen)ergänzt. Die genannten Daten besit-zen deutliche qualitative und quantita-tive Unterschiede, die einen erheblichenAufbereitungsaufwand erfordern, bevorsie ihrem eigentlichen Zweck zugeführtwerden können. So können z.B. Kar-tenwerke mit vergleichbarem Maßstabaus verschiedenen Bundesländern von-einander abweichen in den Datengrund-lagen (Art, Anzahl), der Aktualität,der unterschiedlichen Darstellung glei-cher fachlicher Inhalte. Hinzu erkommtdie Digitalisierung der zur Ergänzungnotwendigen analogen Daten. Anschlie-ßend soll mit Hilfe von GIS- und 3D-Modellierungssoftware durch die Ver-bindung von topographischen und geo-logischen Daten die rezente Lage dertertiären Reliktflächen modelliert wer-den. Höhen- und Hanglage der terti-ären Reliktflächen sollen im Zusammen-hang mit ihren stratigraphischen In-formationen (Alterstellungen) Abschät-zungen sowohl über ihre relative Ver-setzung zueinander als auch über ihreGesamtverstellung während des Käno-zoikums ergeben (siehe auch Geomor-phologische Analyse). Zusätzlich sol-len die Quartärbasis und die Terti-ärbasis in ihrer rezenten Lage herge-stellt werden. Die Modellierung der ver-muteten Lage der präquartären (terti-ären) und der prätertiären Landober-fläche sollen die Abschätzung des Volu-menaustrags während des Tertiärs unddes Quartärs ermöglichen. Für Teilbe-reiche des Untersuchungsgebietes sollmittels Frequenz-Zerlegung (Fourier-Analyse) und Wellenlängen-Filterungdurchgeführt werden: Die sehr unruhi-ge Oberfläche dieser Teilgebiete ist ver-

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mutlich sowohl durch tektonische Vor-gänge als auch durch Ablaugung vonSalzgesteinen im Untergrund (Subro-sion) entstanden. Beide Prozesse ver-formen die ehemalige Landoberflächein unterschiedlichen Wellenlängenberei-chen. Daher soll die Analyse Aufschlussüber tektonische und subrosive Anteileder Landschaftsformung sowie über de-ren Beziehung zueinander geben. Fer-ner soll eine isostatische Modellierungauf zwei Traversen durchgeführt wer-den, die vom Untersuchungsgebiet bis indie Nordsee reichen. Die Daten des Un-tersuchungsgebietes werden hierzu mitden sehr viel weniger detaillierten, sehrkleinmaßstäbigen Daten aus dem ‚Tek-tonischen Atlas Nordwestdeutschlands‘zusammengeführt. Diese Schnitte durchdie Erdkruste, in die die Höhenlage derrezenten Landoberfläche, die erodiertenund sedimentierten Volumina, sowie dieMächtigkeit und die durchschnittlichenDichten der Erdkruste und der Mantelli-thosphäre mit einfließen, sollen mit Hil-fe der Isostatischen Modellierung Rück-schlüsse auf die großräumigen tektoni-schen Vorgänge in Erdkruste und Erd-mantel zulassen.

Literatur

Eissmann L (2002) Tertiary geology of theSaale-Elbe-Region. Quaternary Science Re-views 21, 1245–1274

von Freyberg B (1923) Die tertiären Landober-flächen in Thüringen. Fortschritte der Geo-logie und Paläontologie 6, Berlin, pp 77

Migó́n P & Lidmar-Bergström K (2001) Wea-thering mantles and their significance forgeomorphologicalevolution of central andnorthern Europe since the Mesozoic. Earth-Science Reviews 56: 285–324

Penck W (1924) Die morphologische Analyse.Ein Kapitel der physikalischen Geologie. J.Engelshorns Nachf, Stuttgart, 283

Peterek A (2002) Neotektonische und mor-phostrukturelle Entwicklung des Thüringer

Waldes und Thüringischen Schiefergebirges -Überblick und Ausblick. Zeitschrift für Geo-logische Wissenschaften 30, 277–292

Philippi E (1910) Über die präoligocäne Land-oberfläche in Thüringen. Zeitschrift derDeutschen Geologischen Gesellschaft 62 (Ab-handlungen und Monatsberichte), 305–404

Scheck-Wenderoth M & Lamarche J (2005)Crustal memory and basin evolution in Cen-tral European Basin System — new insightsfrom a 3D structural model. Tectonophysics397/1-2, 143–165

Standke G (2002) Das Tertiär zwischen Leipzigund Altenburg. In: Beiträge zur Geologie vonThüringen 9, 41–73

Steinmüller A (1974) Die präpleistozäne Mor-phogenese des östlichen Thüringer Schiefer-gebirges und südöstlich angrenzender Gebie-te. Zeitschrift für Geologische Wissenschaf-ten 2, 37–59

Unger KP & Schramm H (1966) AlttertiäreRotlehme auf Muschelkalk in NE-Thüringen.Jahrbuch der Geologie 2, Berlin, 521–535

Voigt T, von Eynatten H & Franzke HJ(2004) Late Cretaceous Unconformities inthe Subhercynian Cretaceous Basin (Germa-ny). Geologica Polonica Acta 54, 675–696

Ziegler PA (1990) Geological Atlas of Westernand Central Europe. Shell, Den Haag

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