synthese und reaktivität von bis(α-spirocyclopropyl)silylenen · 2018-02-16 · synthese und...
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Synthese und Reaktivität von
Bis(α-spirocyclopropyl)silylenen
vorgelegt von
Master of Science
Kai Michael Redies
aus Berlin
Von der Fakultät II – Mathematik und Naturwissenschaften
Der Technischen Universität Berlin
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktor der Naturwissenschaften
Dr. rer. nat.
genehmigte Dissertation
Promotionsausschuss:
Vorsitzender: Prof. Dr. Martin Lerch
Gutachter: Prof. Dr. Martin Oestreich
Gutachter: Prof. Dr. Thomas Braun
Tag der wissenschaftlichen Aussprache: 14. März 2016
Berlin 2016
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Die vorliegende Arbeit wurde am Institut für Chemie der Technischen Universität Berlin in der
Zeit vom Juli 2012 bis November 2015 unter der Anleitung von Herrn Prof. Dr. MARTIN
OESTREICH angefertigt.
Teile dieser Arbeit wurden bereits veröffentlicht (Kapitel 2.3 und 3):
[1] „En Route to Stable All-Carbon-Substituted Silylenes: Synthesis and Reactivity of a
Bis(α-spirocyclopropyl)silylene”
K. M. Redies, T. Fallon und M. Oestreich
Organometallics 2014, 33, 3235–3238.
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KURZZUSAMMENFASSUNG
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Synthese von vollständig
kohlenwasserstoffsubstituierten, tricyclischen Bis(α-spirocyclopropyl)silylenen und der
Untersuchung ihrer Reaktivität. Als Vorlage diente eine theoretische Bewertung der Stabilität
zahlreicher Vertreter dieser Substanzklasse auf der Basis von Dichtefunktionaltheorie-
Berechnungen. Zunächst stand die Auswahl geeigneter synthetisch sinnvoller Zielmoleküle
im Fokus sowie die Eröffnung eines allgemeinen Weges zur Darstellung verschiedener
Silylenderivate. Hierbei stellte die Inertheit von sterisch anspruchsvollen Siliciumelektrophilen
gegenüber Angriffen von tertiären Kohlenstoffnukleophilen zum Aufbau des zentralen
Silafünfringes ein wesentliches Problem dar.
Nachdem kein allgemeiner Syntheseweg erschlossen werden konnte, wurde die Synthese
eines unsubstituierten tricyclischen Bis(α-spirocyclopropyl)silylens als einfachster Vertreter
verfolgt und durch die Photolyse eines tricyclischen Bis(α-spirocyclopropyl)trisilans mit
fernem UV-Licht verwirklicht. Temperaturdynamische NMR-spektroskopische
Untersuchungen zeigten, dass das intermediär gebildete Silylen nicht stabil ist und sich
vermutlich unter Bildung von oligomeren Verbindungen zersetzt. Die Generierung des
Silylens wurde schließlich durch Abfangexperimente über Insertions- und
Additionsreaktionen nachgewiesen. Des Weiteren wurde gezeigt, dass die Trisilanphotolyse
unter Bildung des Silylens und des entsprechenden Disilans mittels Kreuzungsexperimenten
mit einem anderen Disilan irreversibel ist. Aufgrund der Absorption des UV-Lichts durch eine
Reihe verschiedener Abfangreagenzien, z.B. Borane, Amine und Übergangsmetallkomplexe,
wurde die Einschränkung des Photolyseprotokolls deutlich.
Die Derivatisierung der Cyclopropyleinheiten zur sterischen Abschirmung des reaktiven,
divalenten Siliciumzentrums durch de novo-Synthesen und Cyclopropanierungen von
geminalen Diiodiden oder Diazoverbindungen war nicht erfolgreich. Für heteroatomdirigierte
C–H-Funktionalisierungen der Cyclopropyleinheiten wurde eine Reihe verschiedener
Monocyclopropylsilane mit sauerstoff- und stickstofftragenden dirigierenden Gruppen als
Modellsubstrate über mehrstufige Synthesewege dargestellt. Durch die Verwendung
literaturbekannter C–H-Funktionalisierungsvorschriften konnte nur im Falle eines
picolylsubstituierten Silans eine C–H-Arylierung realisiert werden. Die Übertragung dieser
Methodik auf tricyclische Bis(α-spirocyclopropyl)silane mit Picolylsubstituenten scheiterte an
der Synthese geeigneter Siliciumelektrophile.
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INHALTSVERZEICHNIS
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THEORETISCHER TEIL 2
1 Einleitung .......................................................................................................................... 1
1.1 Silylene als Reaktanden: Insertions- und Additions-reaktionen ............................. 5
1.2 Generierung von intermediären Silylenen .............................................................. 8
1.3 Isolierbare heteroatomstabilisierte Silylene .......................................................... 13
1.4 Isolierbare Dialkylsilylene ...................................................................................... 21
1.5 Problemstellung und Zielsetzung .......................................................................... 30
2 Synthesen von Bis(α-spirocyclopropyl)silylen-Vorläufern .............................................. 33
2.1 Nukleophile Substitutionen an Dichlorsilanen mit
Cyclopropyl(ester)enolaten ................................................................................... 33
2.2 Reduktion von Butadienderivaten zum Aufbau von 2,5-Dihydro-1H-silolen ........ 38
2.3 Synthese eines gesättigten Bis(α-spirocyclopropyl)-silylenvorläufers ................. 46
3 Photolytische Generierung eines gesättigten Bis(α-spirocyclopropyl)silylens und
Studien zu dessen Reaktivität ........................................................................................ 55
3.1 Photolyse von Trisilanen: Evaluation von UV-Lichtquellen .................................. 55
3.2 Photolytische Erzeugung eines intermediären Bis(α-
spirocyclopropyl)silylens........................................................................................ 58
3.3 Indirekter Nachweis eines intermediären Bis(α-spirocyclopropyl)silylens
durch Abfangexperimente ..................................................................................... 61
4 Synthesebeiträge zur Derivatisierung der Cyclopropyleinheiten von Bis(α-
spirocyclo-propyl)silanen ................................................................................................ 71
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4.1 Cyclopropanierung von Vinylsilanen zu geminal disubstituierten
Cyclopropylsilanen ................................................................................................ 71
4.2 Exkurs: De novo-Synthesen zur Darstellung sterisch anspruchsvoller
cyclischer Bis(α-spirocyclopropyl)-silane .............................................................. 74
4.3 Derivatisierung der Cyclopropyleinheiten von Cyclopropylsilanen durch
heteroatomdirigierte C–H-Funktionalisierung ....................................................... 77
4.3.1 Silanole als dirigierende Gruppen in der übergangsmetall-katalysierten
C–H-Funktionalisierung von Cyclopropanen ................................................. 78
4.3.2 Pyridine als dirigierende Gruppen in der übergangsmetall-katalysierten
C–H-Funktionalisierung von Cyclopropanen ................................................. 86
4.3.3 Amide und Carbamate als dirigierende Gruppen in der
übergangsmetallkatalysierten C–H-Funktionalisierung von
Cyclopropanen ............................................................................................... 98
5 Zusammenfassung ....................................................................................................... 105
EXPERIMENTELLER TEIL 111
1 Allgemeine Arbeitsweise............................................................................................... 113
2 Beschreibung der Experimente .................................................................................... 119
2.1 Synthesen von Bis(α-spirocyclopropyl)silylen-vorläufern ................................... 119
2.1.1 Nukleophile Substitutionen an Dichlorsilanen mit
Cyclopropyl(ester)enolaten .......................................................................... 119
2.1.2 Reduktion von Butadienderivaten zum Aufbau von 2,5-Dihydro-1H-
silolen............................................................................................................ 122
2.1.3 Synthese eines gesättigten Bis(α-spirocyclopropyl)silylen-vorläufers......... 128
2.2 Photolytische Erzeugung eines gesättigten Bis(α-spirocyclopropyl)silylens
und Studien zu dessen Reaktivität ...................................................................... 141
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2.2.1 Photolytische Generierung eines intermediären Bis(α-
spirocyclopropyl)silylens .............................................................................. 141
2.2.2 Indirekter Nachweis eines intermediären Bis(α-spirocyclopropyl)silylens
durch Abfangexperimente ............................................................................ 144
2.3 Synthesebeiträge zur Derivatisierung der Cyclo-propyleinheiten von Bis(α-
spirocyclopropyl)silanen ...................................................................................... 149
2.3.1 Cyclopropanierung von Vinylsilanen zu geminal disubstituierten
Cyclopropylsilanen ....................................................................................... 149
2.4 Derivatisierung der Cyclopropyleinheiten von Cyclopropylsilanen durch
heteroatomdirigierte C–H-Funktionalisierung .................................................... 151
2.4.1 Silanole als dirigierende Gruppen in der übergangsmetall-katalysierten
C–H-Funktionalisierung von Cyclopropanen ............................................... 151
2.4.2 Pyridine als dirigierende Gruppen in der übergangsmetall-katalysierten
C–H-Funktionalisierung von Cyclopropanen ............................................... 155
2.4.3 Amide und Carbamate als dirigierende Gruppen in der
übergangsmetallkatalysierten C–H-Funktionalisierung von
Cyclopropanen ............................................................................................. 164
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS I
MOLEKÜLVERZEICHNIS VII
LITERATURVERZEICHNIS XV
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THEORETISCHER TEIL
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Einleitung 1
1 Einleitung
Die Untersuchung der Reaktivität niedervalenter Siliciumatome stellt ein zentrales Gebiet der
Grundlagenforschung an der Grenze zwischen Koordinationschemie und Organometall-
chemie dar. Hierbei ist vor allem die Stabilisierung und Isolierung von niedervalenten
Verbindungen für ein besseres Verständnis der Bindungsverhältnisse bei
Hauptgruppenelementen von großer Bedeutung. Neben ligandenstabilisierten hypovalenten
Silyliumylidenen[1] und Silylonen[2] ziehen vor allem Silylene[3] als neutrale divalente
[1] Für (Me5C5)Si+ und Methoden zu dessen Stabilisierung, siehe: a) P. Jutzi, A. Mix, B. Rummel,
W. W. Schoeller, B. Neumann, H.-G. Stammler, Science 2004, 305, 849–851; b) P. Jutzi, A. Mix, B. Neumann, B. Rummel, W. W. Schoeller, H.-G. Stammler, A. B. Rozhenko, J. Am. Chem. Soc. 2009, 131, 12137–12143; c) P. Jutzi, K. Leszczyńska, B. Neumann, W. W. Schoeller, H.-G. Stammler, Angew. Chem. 2009, 121, 2634–2637; Angew. Chem. Int. Ed. 2009, 48,
2596–2599; d) P. Jutzi, K. Leszczyńska, A. Mix, B. Neumann, W. W. Schoeller, H.-G. Stammler, e) K. Leszczyńska, A. Mix, R. J. F. Berger, B. Rummel, B. Neumann, H.-G. Stammler, P. Jutzi, Angew. Chem. 2011, 123, 6975–6978; Angew. Chem. Int. Ed. 2011, 50, 6843–6846; für N-heterocyclische Silyliumylidene, siehe: f) M. Driess, S. Yao, M. Brym, C. van Wüllen, Angew. Chem. 2006, 118, 6882–6885; Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 2006, 45, 6730–6733; g) A. Meltzer, C. Präsang, C. Milsmann, M. Driess, Angew. Chem. 2009, 121, 3216–3219; Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 2009, 48, 3170–3173; h) A. Meltzer, C. Präsang, M. Driess, J. Am. Chem. Soc. 2009, 131, 7232–7233; i) Y. Xiong, S. Yao, S. Inoue, E. Irran, M. Driess, Angew. Chem. 2012, 124, 10221–10224; Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 2012, 51, 10074–10077; für theoretische Berechnungen von Stabilität, Reaktivität und Synthesestrategien von Silyliumylidenen, siehe: j) T. Müller, Organometallics 2010, 29, 1277–1283; für ein terphenylsubstituiertes Silyliumyliden, siehe: k) C. Gerdes, W. Saak, D. Haase, T. Müller, J. Am. Chem. Soc. 2013, 135, 10353–10361.
[2] Für die erste Synthese eines Trisilaallens, siehe: a) S. Ishida, T. Iwamoto, C. Kabuto, M. Kira, Nature 2003, 421, 725–727; FRENKING und Mitarbeiter publizierten quantenchemische Rechnungen auf Grundlage des zuvor erwähnten Trisilaallens und beschrieben dieses als silylenstabilisiertes Silylon: b) N. Takagi, T. Shimizu, G. Frenking, Chem. – Eur. J. 2009, 15, 8593–8604; c) N. Takagi, T. Shimizu, G. Frenking, Chem. – Eur. J. 2009, 15, 3448–3456; für
ein phosphinstabilisiertes Silylon, siehe: d) N. Takagi, R. Tonner, G. Frenking, Chem. – Eur. J. 2012, 18, 1772–1780.
[3] Für Übersichtsartikel zu Silylenen, siehe: a) S. Inoue, M. Driess in Science of Synthesis, Knowledge Updates 2012/4 (Hrsg.: M. Oestreich), Thieme, Stuttgart, 2013, S. 213–295; b) B. Blom, M. Stoelzel, M. Driess, Chem. – Eur. J. 2013, 19, 40–62; c) M. Driess, Nat. Chem. 2012, 4, 525–526; d) S. S. Sen, S. Khan, S. Nagendran, H. W. Roesky, Acc. Chem. Res. 2012, 45, 578–587; e) M. Asay, C. Jones, M. Driess, Chem. Rev. 2011, 111, 354–396; f) S. Yao, Y. Xiong, M. Driess, Organometallics 2011, 30, 1748–1767; g) H. Ottosson, P. G. Steel, Chem. – Eur. J. 2006, 12, 1576–1585; h) M. Kira, J. Organomet. Chem. 2004, 689, 4475–4488; i) N. J. Hill, R. West, J. Organomet. Chem. 2004, 689, 4165–4183; j) B. Gehrhus, M. F. Lappert, J. Organomet. Chem. 2001, 617–618, 209–223; k) M. Haaf, T. A. Schmedake, R. West, Acc. Chem. Res. 2000, 33, 704–714; l) M. Weidenbruch, Coord. Chem. Rev. 1994, 130, 275–300;
m) P. P. Gaspar; R. West in The Chemistry of Organic Silicon Compounds, Vol. 2 (Hrsg.: Z. Rappoport, Y. Apeloig), Wiley-VCH, Chichester, 1998, S. 2463–2568; n) M. A. Brook, Silicon in Organic, Organometallic, and Polymer Chemistry, Wiley, New York, 2000; für Übersichtsartikel zu Tetrylenen, siehe: o) V. Y. Lee, A. Sekiguchi, Organometallic Compounds of Low-Coordinate Si, Ge, Sn and Pb, Wiley, Chichester, 2011, S. 139–198; p) Y. Mizuhata, T. Sasamori, N. Tokitoh, Chem. Rev. 2009, 109, 3479–3511; q) W. P. Neumann, Chem. Rev. 1991, 91,
311–334.
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2 Einleitung
Silicium(II)-Verbindungen das Interesse der Forschungsgemeinschaft auf sich. Aufgrund
ihrer einzigartigen Reaktivität und Unterschiede zu Carbenen (vide infra und Kapitel 1.1), der
leichten Zugänglichkeit (Kapitel 1.2) und späteren Isolierbarkeit als Monomere und
Übergangsmetallkomplexe (Kapitel 1.3) nehmen Silylene eine wichtige Rolle sowohl im
Bereich der synthetischen als auch der theoretischen Chemie ein. Die isoelektronischen
Kohlenstoffanaloga, die Carbene, existieren, abhängig von der Besetzung ihrer
Grenzorbitale, in zwei verschiedenen Energiegrundzuständen (Abbildung 1.1). Die freien
Valenzelektronen liegen entweder gepaart im sp2-Orbital vor, wodurch ein freies
orthogonales p-Orbital mit Achsensymmetrie verbleibt (Singulettcarben), oder sie befinden
sich jeweils ungepaart im sp2- und p-Orbital (Triplettcarben). Dieser Unterschied resultiert in
einer bemerkenswerten amphiphilen Reaktivität: Singulettcarbene besitzen sowohl LEWIS-
basischen als auch LEWIS-sauren Charakter, während Triplettcarbene einen
Biradikalcharakter aufweisen. Heutzutage kann die Grundzustandsmultiplizität im
Allgemeinen auf die Energiedifferenz zwischen sp2- und p-Orbital (vide infra) zurückgeführt
werden. Bei einer großen Energiedifferenz wird der Singulettzustand bevorzugt, eine kleine
Differenz ermöglicht den Triplettzustand. Durch sterische und elektronische Effekte kann die
Energiedifferenz gesteuert werden. Im Falle von Methylen sowie mit sterisch
anspruchsvollen, gesättigten Kohlenwasserstoffen substituierten Carbenen ergibt sich ein
Triplettzustand, während beim Dimethylcarben und bei Dihalocarbenen ein Singulettzustand
vorliegt (nicht gezeigt).
Abbildung 1.1: Verteilung der freien Valenzelektronen von Carbenen im Singulett- und Triplettzustand.
Die beschriebenen elektronischen Zustände lassen sich prinzipiell auf die schwereren
Siliciumanaloga übertragen. Hierbei ist jedoch ein wesentlicher Gegensatz zu Carbenen zu
beobachten: Silylene liegen fast ausschließlich im Singulettgrundzustand vor.[4] Eine
[4] Der erste sowohl theoretisch (DFT-Rechnungen) als auch experimentell (EPR-Messungen) gefundene Triplettgrundzustand wurde im Fall von (t-Bu3Si)2Si: publiziert. Den maßgeblichen Faktor stellt der große Si–Si–Si-Winkel von 125° dar; a) M. C. Holthausen, W. Koch, Y. Apeloig, J. Am. Chem. Soc. 1999, 121, 2623–2624; b) M. Yoshida, N. Tamaoki, Organometallics 2002, 21, 2587–2589; c) A. Sekiguchi, T. Tanaka, M. Ichinohe, K. Akiyama, S. Tero-Kubota, J. Am. Chem. Soc. 2003, 125, 4962–4963; für alkalimetallsubstituierte Silylene im Triplettgrundzustand, siehe: d) J. F. Harrison, R. C. Liedtke, J. F. Liebman, J. Am. Chem. Soc. 1979, 101, 7162–7168; e) M. E. Colvin, J. Breulet, H. F. Schaefer III, Tetrahedron 1985, 41,
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Einleitung 3
mögliche Erklärung ist eine größere HOMO/LUMO-Energielücke bei Silylenen. Diese kann
nicht durch den Energiegewinn überwunden werden, welcher durch Ausbildung eines
Triplettzustands gemäß der HUNDschen Regeln unter Verschieben eines Elektrons in das
p-Orbital erhalten wird.[5] Die große Energielücke ist auf den hohen s-Charakter der
Atomorbitale von schwereren Tetrelen zurückzuführen, welcher das HOMO im
Singulettzustand im Vergleich zu Carbenen energetisch deutlich erniedrigt. Da die
schwereren divalenten Analoga nicht die Fähigkeit zur Ausbildung von Hybridorbitalen
besitzen,[6] ist die Valenzelektronenkonfiguration von Tetrylenen (ns)2(np)2. Dies zeigt sich an
den X–Si–X-Winkeln (94° für SiH2), welche für eine potentielle Hybridisierung der
Valenzorbitale zu klein ausfallen.[7] Des Weiteren sinkt die Abstoßungsenergie der gepaarten
s-Elektronen mit steigender Orbitalgröße innerhalb der 4. Hauptgruppe, was gleichfalls zur
Bevorzugung des Singulettzustandes für schwerere Tetrylene beiträgt. Ein anschauliches
Beispiel für die unterschiedliche Reaktivität dieser Verbindungen stellen die Dichlortetrylene
dar. Während Dichlorplumbylen und -stannylen stabile ionische Verbindungen sind und
Dichlorgermylen zumindest als Dioxanaddukt isolierbar ist, wird Dichlorsilylen nur als
Intermediat beobachtet (nicht gezeigt).[3p] Da es sich bei Silylenen um
Elektronenmangelverbindungen handelt, ist deren Reaktivität prinzipiell auf das freie
p-Orbital zurückzuführen. Das freie Elektronenpaar dagegen ist aufgrund seines starken
s-Charakters als relativ „inert“ anzusehen. Um Silylene zu stabilisieren und somit deren
Isolierbarkeit zu gewährleisten, muss das freie p-Orbital des reaktiven Siliciumzentrums
kinetisch (durch sterischen Anspruch der Substituenten) oder thermodynamisch (durch
1429–1434; f) A. Sekiguchi, T. Tanaka, M. Ichinohe, K. Akiyama, P. P. Gaspar, J. Am. Chem. Soc. 2008, 130, 426–427.
[5] Die beschriebenen elektronischen Eigenschaften und Zustände von Silylenen sind an dieser Stelle vereinfacht dargestellt. Für weiterführende Erklärungen durch quantenchemische Berechnungen in Bezug auf den Unterschied zwischen Methylen und Silylen, siehe: a) Y. Apeloig, R. Pauncz, M. Karni, R. West, W. Steiner, D. Chapman, Organometallics 2003,
22, 3250–3256; für einen Übersichtsartikel zu stabilen Carbenen und deren elektronischen Eigenschaften, siehe: b) D. Bourissou, O. Guerret, F. P. Gabbaï, G. Bertrand, Chem. Rev. 2000, 100, 39–92; für theoretische Betrachtungen und quantenchemische Berechnungen zu elektronischen Eigenschaften von Tetrylenen, siehe: c) K. Balasubramanian, A. D. McLean, J. Chem. Phys. 1986, 85, 5117–5119; d) B. T. Luke, J. A. Pople, M. B. Krogh-Jespersen, Y. Apeloig, J. Chandrasekhar, P. v. R. Schleyer, J. Am. Chem. Soc. 1986, 108, 260–269; e) K. Balasubramanian, J. Chem. Phys. 1988, 89, 5731–5738; f) M. Benavides-Garcia, K. Balasubramanian, J. Chem. Phys. 1992, 97, 7537; g) M. Benavides-Garcia, K. Balasubramanian, J. Chem. Phys. 1994, 100, 2821–2830; h) D. Dai, M. M. Al-Zahrani, K. Balasubramanian, J. Phys. Chem. 1994, 98, 9233–9241.
[6] Hierbei ist der Effekt des inerten Elektronenpaares als Grund zu nennen. Für Details, siehe: A. F. Holleman, E. Wiberg, N. Wiberg, Lehrbuch der anorganischen Chemie, de Gruyter, Berlin, 2007, S. 340–343.
[7] W. Kutzelnigg, Angew. Chem. 1984, 96, 262–286; Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 1984, 23,
272–295.
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4 Einleitung
Substituenten mit Elektronendonoreigenschaften) stabilisiert werden. Auf diese Arten der
Stabilisierung wird in Kapitel 1.3 näher eingegangen.
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Silylene als Reaktanden: Insertions- und Additionsreaktionen 5
1.1 Silylene als Reaktanden: Insertions- und Additions-
reaktionen
Bevor in den nächsten Kapiteln eine historisch geordnete Übersicht über die Forschung im
Bereich der Silylenchemie vorgestellt wird, soll zunächst die Reaktivität der divalenten
neutralen Siliciumverbindungen anhand von generellen Reaktionswegen aufgezeigt werden.
Hierbei stellen Insertions- und Additionsreaktionen die wichtigsten Reaktionstypen dar.
Schema 1.1 zeigt die Orbitalwechselwirkungen zwischen einem Silylen und einer schwachen
(Fall A, oben) oder polarisierten (Fall B, unten) X–Y-σ-Bindung eines Substrates bei einer
Insertionsreaktion.[3m,n] In Fall A erfolgt ein nukleophiler Angriff des
n(Si)-Valenzelektronenpaares an das X-Atom, während das Elektronenpaar der
X–Y-σ-Bindung mit dem freien p-Orbital des Silylens wechselwirkt. In Fall B greift ein freies
Elektronenpaar von Y das freie p-Orbital des Silylens an und es folgt ein nukleophiler Angriff
des n(Si)-Valenzelektronenpaares an das X-Atom. Beispielhaft werden beide Varianten zum
einen durch die intramolekulare Insertion des Hydrosilylens 1 in eine terminale C–H-Bindung
der Ethylgruppe unter Ringschluss zu Siliran (2) und zum anderen durch die Reaktion von
Diphenylsilylen (3) mit Ethanol zum Ethoxysilan 4 verdeutlicht. In beiden Fällen wurde bereits
experimentell und theoretisch bewiesen, dass bei der Mehrzahl von literaturbekannten
Reaktionen die Prozesse nicht konzertiert, sondern vielmehr schrittweise erfolgen.
Schema 1.1: Orbitalwechselwirkungen bei Insertionsreaktionen in σ-Bindungen (links) und
entsprechende Beispiele (rechts).
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6 Silylene als Reaktanden: Insertions- und Additionsreaktionen
Neben der Insertion in σ-Bindungen ist die Addition von Silylenen an π-Systeme eine weitere
Schlüsselreaktion. Hierbei erfolgt ein nukleophiler Angriff des π-Elektronenpaares an das
freie p-Orbital des Silylens, gefolgt von einem nukleophilen Angriff des
n(Si)-Valenzelektronenpaares auf das sp2- oder sp-hybridisierte X-Atom (Schema 1.2, links).
Solche Cycloadditionen wurden bereits verwendet, um den Singulettzustand von Silylenen
zu beweisen: Während Diadamantylsilylen (5) mit (Z)-But-2-en zum cis-Siliran 6 reagiert,
wird mit (E)-But-2-en das entsprechende trans-Siliran 7 gebildet (Schema 1.2, Mitte)[8].
Angelehnt an die SKELL-WOODWORTH-Regel[9] reagieren Singulettsilylene mit derartigen
Substraten stereospezifisch, während die Addition von Triplettsilylenen schrittweise und nicht
stereospezifisch erfolgt, da das intermediär gebildete 1,3-Triplettdiradikal eine schnellere
C–C-Bindungsrotation vor dem Ringschluss durchläuft (nicht gezeigt). Eine weitere
fundamentale Substratklasse stellen Alkine dar. Bei der Reaktion von Dimethylsilylen (8) mit
But-2-in wird nach erfolgter Cycloaddition das Siliren 9 gebildet, welches aufgrund der
starken Ringspannung eine ausgeprägte Reaktivität aufweist und nach Zugabe von
Methanol zum Vinylsilan 10 umgesetzt wird.[10]
Schema 1.2: Orbitalwechselwirkungen bei Additionsreaktionen an π-Systeme (links);
stereospezifische Cycloaddition an Alkene (Mitte) und Cycloaddition an Alkine mit anschließender
Ringöffnung (rechts).
[8] D. H. Pae, M. Xiao, M. Y. Chiang, P. P. Gaspar, J. Am. Chem. Soc. 1991, 113, 1281–1288. [9] P. S. Skell, R. C. Woodworth, J. Am. Chem. Soc. 1956, 78, 4496–4497; P. S. Skell,
A. Y. Garner, J. Am. Chem. Soc. 1956, 78, 5430–5433. [10] R. T. Conlin, P. P. Gaspar, J. Am. Chem. Soc. 1976, 98, 3715–3716.
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Silylene als Reaktanden: Insertions- und Additionsreaktionen 7
Innerhalb der Additionsreaktionen ist auch die Reaktion zwischen einem Silylen und einem
konjugierten 1,3-Dien von Bedeutung. Dimethoxysilylen (11) bildet mit dem Dien 12 das
2,5-Dihydro-1H-silol 14 (Schema 1.3).[11] Obwohl ein konzertierter Prozess im Sinne einer
(4+1)-Cycloaddition nicht ausgeschlossen wurde, wird im Allgemeinen ein schrittweiser
Prozess unter Generierung eines Vinylsiliranintermediats wie z.B. 13 angenommen.
Schema 1.3: Schrittweise Addition von Silylenen an 1,3-Diene.
[11] G. Maier, H. P. Reisenauer, K. Schöttler, U. Wessolek-Kraus, J. Organomet. Chem. 1989, 366,
25–38.
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8 Generierung von Intermediären Silylenen
1.2 Generierung von intermediären Silylenen
Seit den 1960er Jahren sind diverse Methoden zur Generierung und zum Abfang von
intermediären schwereren Carbenanaloga etabliert worden, wobei der größte Fortschritt im
Bereich der Silylenchemie verzeichnet wurde.[12] 1964 wiesen SKELL und GOLDSTEIN
erstmals nach Reduktion von Dichlordimethylsilan (15) mit Kalium/Natriumdampf
Dimethylsilylen (8) nach (Schema 1.4).[13] Durch eine Insertionsreaktion in die Si–H-Bindung
von Trimethylsilan wurde als Hauptprodukt Pentamethyldisilan (16) erhalten. In Abwesenheit
von Trimethylsilan wurde ausschließlich die Bildung von polymeren Verbindungen
beobachtet.
Schema 1.4: Erster synthetischer Nachweis eines Silylens nach SKELL und GOLDSTEIN.
Nur einige Jahre später beobachteten ATWELL und WEYENBERG bei der Thermolyse von
1,2-Dimethoxydisilan 17 eine 1,2-Wanderung der Methoxygruppe unter Bildung von
Dimethylsilylen (8) und dem Dimethoxysilan 18 (Gleichung 1.1).[14] Aufgrund der
verhältnismäßig milden Reaktionsbedingungen dieser formalen α-Eliminierung wurden
Silylene nun auch als Reaktanden in der Synthesechemie eingesetzt.[15]
Gleichung 1.1: Thermolyse von methoxysubstituierten Disilanen unter 1,2-Wanderung.
[12] Die meisten Methoden sind ebenfalls für die Generierung von Germylenen, Stannylenen und Plumbylenen anwendbar. Für weiterführende Literatur, siehe Lit. [3].
[13] a) P. S. Skell, E. J. Goldstein, J. Am. Chem. Soc. 1964, 86, 1442–1443. Ein Radikalmecha-nismus wurde ausgeschlossen, da Trimethylsilylradikale bekanntermaßen zu Hexamethyldisilan dimerisieren. Die Autoren vermuteten schon damals aufgrund der Produktverteilung einen Singulettgrundzustand von Dimethylsilylen (8); in demselben Jahr wurde von GILMAN, COTTIS und ATWELL die Pyrolyse von 7-Silanorbornadienen unter Bildung von Dimethylsilylen (8) publiziert: b) H. Gilman, S. G. Cottis, W. H. Atwell, J. Am. Chem. Soc. 1964, 86, 1596–1599; für die spektroskopische Charakterisierung von Dimethylsilylen (8), siehe: c) T. J. Drahnak, J. Michl, R. West, J. Am. Chem. Soc. 1979, 101, 5427–5428.
[14] W. H. Atwell, D. R. Weyenberg, J. Organomet. Chem. 1966, 5, 594–597. [15] W. H. Atwell, D. R. Weyenberg, Angew. Chem. 1969, 81, 485–493; Angew. Chem. Int. Ed. Engl.
1969, 8, 469–477.
15 8 16
17 8 18
-
Generierung von Intermediären Silylenen 9
In den Folgejahren etablierte sich die Forschung auf dem Gebiet der intermediär gebildeten
Silylene zunächst langsam. Neben Alkylaryl-[16] bzw. Diarylsilylenen[17] (nicht gezeigt) lag der
Fokus für nahezu zwei Jahrzehnte beinahe ausschließlich auf Dialkylsilylenen.[18] Da eine
ausführliche Beschreibung dieses Forschungsfortschritts über den Rahmen dieser
Dissertation hinausgeht, zeigt Schema 1.5 einen generellen Überblick über die
konventionellen Generierungsmethoden von intermediären Silylenen.[3o] Cyclische und
acyclische Oligo- und Polysilane 19 können unter Ringverkleinerung bzw. Kettenverkürzung
durch Bestrahlung mit fernem UV-Licht Silylene freisetzen.[19] Ebenso reagieren
Diazidosilane 20 durch Eliminierung von Distickstoff zu den entsprechenden reaktiven
divalenten Verbindungen. Silirane bzw. Silirene 21, 2,5-Dihydro-1H-silole 22 und bicyclische
1,4-Dihydro-1,4-silanonaphthalene 23 setzen über Cycloreversion Silylene frei,[20] während
1,2-Dihalodisilane 24 durch 1,2-Migration eines Halogenids und einer formalen
α-Eliminierung thermisch gespalten werden. Im Allgemeinen führen für die cyclischen
Substratklassen 21–23 sowohl Photo- als auch Thermolysereaktionen zu den
entsprechenden reaktiven Silicium(II)-Intermediaten. Die inzwischen präparativ gängigste
Methode zur Darstellung von Silylenen stellt allerdings die Reduktion von Dihalosilanen 25
mit Alkalimetallen, Kaliumgraphit (KC8) oder aromatischen Radikalanionenreagenzien dar
(siehe auch Kapitel 1.3).
[16] a) M. Ishikawa, M. Kumada, J. Organomet. Chem. 1974, 81, C3–C6; b) M. Ishikawa, K.-I. Nakagawa, M. Ishiguro, F. Ohi, M. Kumada, J. Organomet. Chem. 1978, 152, 155–174; c) M. Ishikawa, K.-I. Nakagawa, R. Enokida, M. Kumada, J. Organomet. Chem. 1980, 201,
151–163. [17] a) R. West, M. J. Fink, J. Michl, Science 1981, 214, 1343–1344 (das hier beschriebene Dimer
des Dimesitylsilylens stellt das erste isolierbare Disilen dar); b) S. Masamune, Y. Hanzawa, S. Murakami, T. Bally, J. F. Blount, J. Am. Chem. Soc. 1982, 104, 1150–1153; c) W. Ando, H. Saso, Tetrahedron Lett. 1986, 27, 5625–5628; d) W. Ando, M. Fujita, H. Yoshida, A. Sekiguchi, J. Am. Chem. Soc. 1988, 110, 3310–3311; e) D. B. Puranik, M. J. Fink, J. Am. Chem. Soc. 1989, 111, 5951–5952; f) M. Kira, T. Miyazawa, S.-y. Koshihara, Y. Segawa, H. Sakurai, Chem. Lett. 1995, 3–4.
[18] Für grundlegende Publikationen über die erstmalige Generierung der entsprechenden Dialkylsilylene, siehe: Für Di(pent-3-yl)silylen, siehe: a) S. Masamune, H. Tobita, S. Murakami, J. Am. Chem. Soc. 1983, 105, 6524–6525; für Di-t-butylsilylen, siehe: b) A. Schäfer, M. Weidenbruch, S. Pohl, J. Organomet. Chem. 1985, 282, 305–313; c) K. M. Welsh, J. Michl, R. West, J. Am. Chem. Soc. 1988, 110, 6689–6696; d) P. Boudjouk, U. Samaraweera, R. Sooriyakumaran, J. Chrisciel, K. R. Anderson, Angew. Chem. 1988, 100, 1406–1407; Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 1988, 27, 1355–1356; für Diadamantylsilylen, siehe Lit. [8].
[19] Hierbei spielt die Wellenlänge des eingesetzten UV-Lichts eine bedeutende Rolle: Während durch Bestrahlung mit λ = 248–254 nm (fernes UV-Licht) Silylene generiert werden, führt die Photolyse mit λ > 300 nm (mittleres und nahes UV-Licht) zur Freisetzung von Silylradikalen durch homolytische Si–Si-Bindungsspaltung; siehe Lit. [3o].
[20] Photolyse- bzw. Thermolysereaktionen zur Generierung von Silylenen sind in vielen Fällen Gleichgewichtsreaktionen. Für weiterführende Literatur, siehe: Lit. [3m,n].
-
10 Generierung von Intermediären Silylenen
Schema 1.5: Konventionelle Methoden zur Generierung von Silylenen (mögliche Substitutionsmuster
der Ringkohlenstoffatome bei den cyclischen Substratklassen 21–23 werden zur besseren Übersicht
nicht gezeigt; M = Li, Na, K; X = Cl, Br).
Dass intermediäre Silylene ob ihrer hohen Reaktivität dennoch eine recht breite Anwendung
in der organischen Synthesechemie besitzen, zeigte WOERPEL mit Hilfe der Reaktivität von
Siliranen, welche als Silylentransferreagenzien fungieren, gegenüber π-Systemen.[21]
Schema 1.6 (rechts) zeigt zum einen die Reaktion des bicyclischen Silirans 26[22] mit
Hex-1-en.[23] Hierbei erfolgt ein durch das katalytisch zugesetzte Silbersalz vermittelter
[21] Basierend auf folgenden Publikationen von SEYFERTH, ANDO und WEIDENBRUCH: a) D. Seyferth, D. C. Annarelli, J. Am. Chem. Soc. 1975, 97, 7162–7163; b) A. Schäfer, M. Weidenbruch, K. Peters, H. G. von Schnering, Angew. Chem. 1984, 96, 311–312; Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 1984, 23, 302–303; c) D. Seyferth, D. P. Duncan, M. L. Shannon, Organometallics 1984, 3, 579–583; d) D. Seyferth, D. P. Duncan, M. L. Shannon, E. W. Goldman, Organometallics 1984, 3, 574–578; e) W. Ando, H. Saso, Tetrahedron Lett. 1986, 27, 5625–5628; f) E. Kroke, S. Willms, M. Weidenbruch, W. Saak, S. Pohl, H. Marsmann, Tetrahedron Lett. 1996, 37,
3675–3678. [22] Die Verwendung des bicyclischen Silirans 26 stellt eine optimierte Methode dar. Für
monocyclische Silirane als Silylentransferreagenzien, siehe: A. K. Franz, K. A. Woerpel, Acc. Chem. Res. 2000, 33, 813–820 und dort zitierte Literatur.
[23] J. Ćiraković, T. G. Driver, K. A. Woerpel, J. Am. Chem. Soc. 2002, 124, 9370–9371.
19
20
21
22
23
24
25
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Generierung von Intermediären Silylenen 11
Silylentransfer[24] auf das Alken unter Bildung des entsprechenden Silirans (nicht gezeigt),
welches in situ durch Insertion von Ameisensäuremethylester in die Si–C-Bindung eine
Ringerweiterung zum Oxasilacyclopentan 27 durchläuft. Zum anderen führt die analoge
Reaktion mit Methylphenylacetylen über das entsprechende Siliren (nicht gezeigt) und
anschließender Zugabe von Acetophenon zum Oxasilacyclopenten 28 (Schema 1.6,
links).[25] Dieses Konzept des Silylentransfers konnte bereits erfolgreich in der
Naturstoffsynthese eingesetzt werden.[26]
Schema 1.6: Silbersalzvermittelter Silylentransfer auf Alkene und Alkine nach WOERPEL.
Eine weitere Anwendung der Methodik ist die Generierung gespannter ungesättigter Ringe.
Der Silylentransfer auf das Butadien 29 führt zum endständigen Siliran (nicht gezeigt),
welches durch einen diastereoselektiven Angriff an Benzaldehyd über den
Übergangszustand 30 zum cyclischen trans-Alken 31 umgesetzt wird (Schema 1.7,
rechts).[27] In gleichem Sinne bildet das Siliran 26 mit dem Epoxid 32 ein Oxetan
(nicht gezeigt), welches mit Benzaldehyd über den Übergangszustand 33 diastereoselektiv
zu dem cyclischen Achtringallen 34 reagiert (Schema 1.7, links).[28] Erstaunlich ist hierbei die
Stabilität des Produktes bei Raumtemperatur und gegenüber Kieselgel.
[24] Kinetische und spektroskopische Untersuchungen schließen einen Mechanismus über ein freies Silylen aus und bestätigen vielmehr die Bildung eines katalytisch aktiven Silylsilberintermediats: T. G. Driver, K. A. Woerpel, J. Am. Chem. Soc. 2004, 126, 9993–10002.
[25] T. B. Clark, K. A. Woerpel, J. Am. Chem. Soc. 2004, 126, 9522–9523. [26] a) S. A. Calad, J. Ciraković, K. A. Woerpel, J. Org. Chem. 2007, 72, 1027–1030; b) S. A. Calad,
K. A. Woerpel, Org. Lett. 2007, 9, 1037–1040. [27] a) M. A. Greene, M. Prévost, J. Tolopilo, K. A. Woerpel, J. Am. Chem. Soc. 2012, 134,
12482–12484; b) B. Hurlocker, C. Hu, K. A. Woerpel, Angew. Chem. 2015, 127, 4369–4372; Angew. Chem. Int. Ed. 2015, 54, 4295–4298. Das cyclische trans-Alken 31 stellt ein ungewöhnliches Strukturmotiv dar, welches trotz der längeren C–Si- und O–Si-Bindungen eine Ringspannung ähnlich trans-Cyclohepten besitzt.
[28] C. Z. Rotsides, C. Hu, K. A. Woerpel, Angew. Chem. 2013, 125, 13271–13274; Angew. Chem. Int. Ed. 2013, 52, 13033–13036.
28
94% 26 27
87% dr = 76:24
-
12 Generierung von Intermediären Silylenen
Schema 1.7: Generierung von gespannten ungesättigten Ringen durch Silylentransfer nach WOERPEL.
26 31
72%
34
58%
32 29
32 29
30 33
-
Isolierbare Heteroatomstabilisierte Silylene 13
1.3 Isolierbare heteroatomstabilisierte Silylene
Bis Ende der 1980er Jahre wurden zahlreiche Methoden zur Generierung einer Vielzahl von
Silylenen als Intermediate etabliert und deren Reaktivität sowohl theoretisch als auch
experimentell untersucht. Jedoch war es bis zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, eine stabile
divalente Siliciumspezies zu isolieren. 1986 gelang JUTZI die durch Reduktion des
Dichlorsilans 35 ermöglichte Synthese von Silicocen (36), welches das erste isolierbare und
unter inerten Bedingungen stabile Silylen darstellt (Schema 1.8, links).[29] Die von den
aromatischen Liganden durch η5-Koordination hervorgerufene π-Komplexierung des
divalenten Siliciumzentrums wurde durch NMR-spektroskopische Messungen und
Molekülstruktur belegt. Eine weitere Möglichkeit zur Isolierung stellt die Stabilisierung von
intermediären Silylenen in Übergangsmetallkomplexen dar (nicht gezeigt).[30] Der
entscheidende Durchbruch jedoch, welcher den Weg für die Chemie der stabilen Silylene
ebnete, gelang ARDUENGO 1991 mit der erfolgreichen Isolierung des ersten stabilen
kristallinen Carbens 38 durch Deprotonierung des Imidazoliumsalzes 37 mit Natriumhydrid
(Schema 1.8, Mitte).[31] Der maßgebliche Faktor für die erniedrigte Reaktivität ist das
Substitutionsmuster des N-Heterocyclus. Das p-Orbital des reaktiven Kohlenstoffzentrums ist
so orientiert, dass ein über den gesamten Heterocyclus verteiltes π-System mit
aromatischem Charakter gebildet wird und die sp2-hybridisierten Stickstoffatome als
Elektronendonoren fungieren können (Schema 1.8, rechts). Somit wird neben der
kinetischen Stabilisierung durch die sterisch anspruchsvollen Adamantylsubstituenten
ebenfalls eine thermodynamische Stabilisierung ermöglicht.
[29] a) P. Jutzi, D. Kanne, C. Krüger, Angew. Chem. 1986, 98, 163–164; Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 1986, 25, 164; b) P. Jutzi, U. Holtmann, D. Kanne, C. Krüger, R. Blom, R. Gleiter, I. Hyla-Kryspin, Chem. Ber. 1989, 122, 1629–1639; für einen Überblick über die Folgechemie mit Silicocen (36), siehe: c) T. Kühler, P. Jutzi, Adv. Organomet. Chem. 2003, 49, 1–34.
[30] M. Okazaki, H. Tobita, H. Ogino, Dalton Trans. 2003, 493–506. [31] A. J. Arduengo, R. L. Harlow, M. Kline, J. Am. Chem. Soc. 1991, 113, 361–363.
-
14 Isolierbare Heteroatomstabilisierte Silylene
Schema 1.8: Synthese des ersten isolierbaren Silylens (links, M = Li, Na, K) bzw. Carbens (Mitte;
Ad = Adamant-1-yl) und thermodynamische Stabilisierung von N-heterocyclischen Carbenen (rechts).
In der Folgezeit wurden zahlreiche stabile N-heterocyclische Carbene (NHCs) synthetisiert
und als Liganden für Übergangsmetallkatalysatoren eingesetzt.[32] Die strukturelle
Eigenschaft der N-heterocyclischen Carbene zur Stabilisierung des reaktiven Zentrums und
der damit möglichen Isolierung wurde ebenfalls erfolgreich auf die entsprechenden Silylene
übertragen, was zu einem starken Anstieg der Anzahl an Publikationen in diesem Bereich
führte (Abbildung 1.2).
Abbildung 1.2: Balkendiagramm zur jährlichen Anzahl von Publikationen auf dem Gebiet der
Silylenchemie zwischen 1968 und 2015 (2743 Publikationen, das Wort „silylene“ ist Bestandteil des
Titels; Stand: 01.06.2015; Quelle: Web of Science™, Thomson Reuters™).
[32] W. A. Herrmann, Angew. Chem. 2002, 114, 1342–1363; Angew. Chem. Int. Ed. 2002, 41,
1290–1309.
*
37 38
ARDUENGO (1991)
35 36
-
Isolierbare Heteroatomstabilisierte Silylene 15
Ein generelles Merkmal von N-heterocyclischen Silylenen (NHSis) ist deren Synthese durch
Reduktion der entsprechenden Dihalosilane (nicht gezeigt, vgl. Schema 1.5). Die ersten
NHSis wurden Mitte der 1990er Jahre als bei Raumtemperatur unter Luftausschluss stabile
Verbindungen isoliert (Schema 1.9, oben). Unter ihnen sind vor allem das von DENK
publizierte aromatische Silylen 39[33] und die von LAPPERT[34] synthetisierten anellierten
Verbindungen 41 und 42 zu nennen. Das dem Silylen 39 entsprechende gesättigte System
40[35]reagiert jedoch bei Raumtemperatur zu einem Disilen[36] (nicht gezeigt). Dies zeigt die
starke thermodynamische Stabilisierung des aromatischen 6-π-Elektronenheterocyclus im
Fall von Silylen 39. Im Jahr 2005 gelang GEHRHUS und LAPPERT die Synthese des ersten
Bissilylens 43.[37] Neben den schon generell in Kapitel 1.1 beschriebenen Additions- und
Insertionsreaktionen[3k] zeigt Schema 1.9 (unten) zwei weitere interessante Reaktionen von
Verbindung 39. So reagiert dieses mit elementarem Schwefel über Silathion 44 zu dem
dimeren Tetracyclus 45,[38] während mit Tris(pentafluorphenyl)boran zunächst das
Säure-Base-Addukt 46 gebildet wird, welches langsam durch Wanderung eines
Pentafluorphenylrestes in das Silylboran 47 übergeht.[39]
[33] M. Denk, R. Lennon, R. Hayashi, R. West, A. V. Belyakov, H. P. Verne, A. Haaland, M. Wagner, N. Metzler, J. Am. Chem. Soc. 1994, 116, 2691–2692.
[34] B. Gehrhus, M. F. Lappert, J. Heinicke, R. Boese, D. Bläser, J. Chem. Soc., Chem. Commun. 1995, 1931–1932.
[35] R. West, M. Denk, Pure Appl. Chem. 1996, 68, 785–788. [36] T. A. Schmedake, M. Haaf, Y. Apeloig, T. Müller, S. Bukalov, R. West, J. Am. Chem. Soc. 1999,
121, 9479–9480. [37] B. Gehrhus, P. B. Hitchcock, M. F. Lappert, Z. Anorg. Allg. Chem. 2005, 631, 1383–1386.
[38] M. Haaf, A. Schmiedl, T. A. Schmedake, D. R. Powell, A. J. Millevolte, M. Denk, R. West, J. Am. Chem. Soc. 1998, 120, 12714–12719.
[39] N. Metzler, M. Denk, Chem. Commun. 1996, 2657–2658.
-
16 Isolierbare Heteroatomstabilisierte Silylene
Schema 1.9: Erste stabile N-heterocyclische Silylene 39–42 (oben, Np = Neopentyl) und
Folgereaktionen von Silylen 39 (unten).
Neben der von ARDUENGOs Carben abgeleiteten Fünfringstruktur wurden ebenfalls stabile
Silylene mit abweichender Zentralringgröße synthetisiert (Schema 1.10, oben).[3e] Während
die entsprechenden schwereren Tetrylene stabile Verbindungen darstellen, ist das cyclische
viergliedrige Silylen 48 nur in einer Glasmatrix bei einer Temperatur bis zu 77 K
nachweisbar.[40] ROESKY publizierte im Jahr 2006 die erfolgreiche Synthese des
iminstabilisierten Aminochlorsilylens 49, welches das erste stabile monomere Chlorsilylen
darstellt.[41] Die für ein isolierbares N-heterocyclisches Silylen auf Basis eines Sechsringes
benötigte Stabilisierung wurde im Jahr 2006 von DRIESS verwirklicht.[42] Die Mesomerie
zwischen der neutralen und der zwitterionischen Grenzstruktur der Verbindung 50 erklärt die
ambivalente Reaktivität dieses Silylens. So erfolgt eine formale 1,4-Addition bei der Reaktion
mit Trimethylsilyltriflat unter Bildung des Triflylsilylens 51, welches langsam durch
Silylwanderung in das Silan 52 übergeht (Schema 1.10, unten).
[40] M. Veith, E. Werle, R. Lisowsky, R. Köppe, H. Schnöckel, Chem. Ber. 1992, 125, 1375–1377. [41] C.-W. So, H. W. Roesky, J. Magull, R. B. Oswald, Angew. Chem. 2006, 118, 4052–4054;
Angew. Chem. Int. Ed. 2006, 45, 3948–3950. [42] M. Driess, S. Yao, M. Brym, C. van Wüllen, D. Lentz, J. Am. Chem. Soc. 2006, 128,
9628–9629.
39 40 R = H 41
R = Me 42
39
44 45
46 47
43
-
Isolierbare Heteroatomstabilisierte Silylene 17
Schema 1.10: Vier- und sechsgliedrige N-heterocyclische Silylene sowie ein ylidstabilisiertes Silylen
(oben) und ambivalente Reaktivität von Silylen 50 (unten, Dipp = 2,6-Diisopropylphenyl).
Ferner können N-heterocyclische Silylene mit bestimmten (metall)organischen Reaktanden
Radikalreaktionen eingehen (Schema 1.11, links).[43] So wird mit Silylen 39 in Anwesenheit
von 2,2,6,6-Tetramethylpiperidinyloxyl (TEMPO) das über das zentrale aromatische
Ringsystem stabilisierte Radikal 53 gebildet. In gleicher Weise reagiert Silylen 39 mit den
Carbonylkomplexen 54 und 55 zu den entsprechenden Radikalen 56 bzw. 57. Der jeweils
angenommene aromatische Radikalcharakter der Produkte wurde durch EPR-Messungen
bestätigt. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Beispiele für offenschalige
Übergangsmetallkomplexe mit Silylenen in katalytischen und stöchiometrischen
Prozessen.[3,30,44] So reagiert Silylen 39 mit (Ph3P)4Pd zum binuklearen Pd(0)-Komplex 58
(Schema 1.11, rechts), welcher erfolgreich in SUZUKI-Kreuzkupplungsreaktionen eingesetzt
wurde (nicht gezeigt).[45]
[43] B. Tumanskii, P. Pine, Y. Apeloig, N. J. Hill, R. West, J. Am. Chem. Soc. 2004, 126, 7786–7787. [44] a) R. Waterman, P. G. Hayes, T. D. Tilley, Acc. Chem. Res. 2007, 40, 712–719; b) H. Ogino,
Chem. Rec. 2002, 2, 291–306; c) H. K. Sharma, K. H. Pannell, Chem. Rev. 1995, 95, 1351–1374; d) Y. Tanaka, H. Yamashita, M. Tanaka, Organometallics 1995, 14, 530–541; e) H. Walter, G. Roewer, K. Bohmhammel, Faraday Trans. 1996, 92, 4605; f) W. S. Palmer, K. A. Woerpel, Organometallics 1997, 16, 1097–1099; g) N. B. Bespalova, M. A. Bovina, A. V. Popov, J. C. Mol, J. Mol. Catal. A: Chem. 2000, 160, 157–164; h) Z. Benedek, T. Szilvási, RSC Adv. 2015, 5, 5077–5086.
[45] A. Fürstner, H. Krause, C. W. Lehmann, Chem. Commun. 2001, 2372–2373.
48 49 50
50 51 52
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18 Isolierbare Heteroatomstabilisierte Silylene
Schema 1.11: Reaktionen von Silylen 39 unter Bildung von stabilisierten Radikalen (links) und dem
Übergangsmetallkomplex 58 (rechts).
Schema 1.12 zeigt die katalytische Hydrosilylierung von 1-Methylcyclohexen (59) mit
Phenylsilan (60) zu dem trans-Silan 61 unter Verwendung des Rutheniumsilylenkomplexes
62.[46] Hierbei verläuft eine konzertierte Addition der Sisp2–H-Bindung an das Alken über den
Übergangszustand 63, gefolgt von einer 1,2-Hydridwanderung zum Kation 64 und reduktiver
Eliminierung zum Dihydrosilan 65.
Schema 1.12: Katalytische Hydrosilylierung von Alkenen mit dem Rutheniumsilylenkomplex 62
([Ru] = Cp*(iPr3P)Ru).
Neben N-heterocyclischen Systemen sind auch andere Arten der Silylenstabilisierung
bekannt, welche eine Isolierung der divalenten Verbindungen ermöglichen. Im Jahr 2011
gelang DRIESS die Synthese der ylenstabilisierten cyclischen Silylene 68 und 69 durch
[46] P. B. Glaser, T. D. Tilley, J. Am. Chem. Soc. 2003, 125, 13640–13641.
53
M = Mo 56
M = W 57
39 58
M = Mo 54
M = W 55
59 61
70% 62
63
60
62
64 65
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Isolierbare Heteroatomstabilisierte Silylene 19
Reduktion der entsprechenden Dibromsilane 66 und 67 mit Kaliumgraphit (Gleichung 1.2).[47]
Die Produkte weisen analog zu N-heterocyclischen Silylenen einen aromatischen Charakter
auf.
Gleichung 1.2: Ylenstabilisierte Silylene nach DRIESS.
Ein Jahr später erschienen zeitgleich zwei Publikationen über die Synthese zweier
isolierbarer, acyclischer Silylene (Schema 1.13). Bis zu diesem Zeitpunkt waren noch keine
bei Raumtemperatur stabilen zweifach koordinierten, acyclischen Silylene bekannt.[48] Im
ersten Fall gelang es TUONONEN und POWER, durch Reduktion des Dibromsilans 70 mit dem
Reagenz 71 das durch zwei sterisch anspruchsvolle Terphenylthiolatliganden koordinierte
Silylen 72 darzustellen.[49] Theoretische Berechnungen sowie eine Molekülstruktur des
Silylens deuten auf einen Einfachbindungscharakter der Si–S-Bindungen hin. JONES,
KALTSOYANNIS, MOUNTFORD und ALDRIDGE berichteten über die Darstellung des ebenfalls
zweifach koordinierten acyclischen Aminoborylsilylens 75 durch Reduktion des
Tribromsilans 73 mit dem Lithiumborylreagenz 74, welches zugleich ein Bromid
substituiert.[50] Theoretische Berechnungen, gestützt mit einer Molekülstruktur von Silylen 75,
zeigen einen N–Si–B-Winkel von ca. 110° und damit einhergehend eine kleine
HOMO/LUMO-Energielücke. Dies führte zu der Annahme, dass das Silylen 75 eine größere
Oxidationstendenz sowie koordinative Flexibilität ähnlich Übergangsmetallen besitze und die
Aktivierung von kleinen anorganischen Molekülen ermögliche.[51] So konnte zum ersten Mal
mit Silylenen eine Aktivierung von Diwasserstoff bei Raumtemperatur unter Bildung des
Dihydrosilans 76 realisiert werden. Hierbei wurde durch Verwendung von deuteriertem
Diwasserstoff (HD) ein konzertierter bimolekularer Aktivierungsprozess nachgewiesen, bei
[47] M. Asay, S. Inoue, M. Driess, Abgew. Chem. 2011, 123, 9763–9766; Abgew. Chem. Int. Ed. 2011, 50, 9589–9592.
[48] Für ein bei niedrigen Temperaturen in Lösung stabiles, bei 0°C sich jedoch schnell zersetzendes acyclisches Diaminosilylen, siehe: G.-H. Lee, R. West, T. Müller, J. Am. Chem. Soc. 2003, 125, 8114–8115.
[49] B. D. Rekken, T. M. Brown, J. C. Fettinger, H. M. Tuononen, P. P. Power, J. Am. Chem. Soc. 2012, 134, 6504–6507.
[50] A. V. Protchenko, K. H. Birjkumar, D. Dange, A. D. Schwarz, D. Vidovic, C. Jones, N. Kaltsoyannis, P. Mountford, S. Aldridge, J. Am. Chem. Soc. 2012, 134, 6500–6503.
[51] a) Y. Wang, J. Ma, J. Organomet. Chem. 2009, 694, 2567–2575; b) P. P. Power, Nature 2010,
463, 171–177.
R = Ph 68 (n.a.)
R = m-Tol 69 (73%)
R = Ph 66
R = m-Tol 67
-
20 Isolierbare Heteroatomstabilisierte Silylene
welchem sich das Diwasserstoffmolekül seitlich dem reaktiven Siliciumatom nähert
(nicht gezeigt).
Schema 1.13: Acyclische heteroatomstabilisierte Silylene (DMP = 2,6-Dimesitylphenyl;
Dipp = 2,6-Diisopropylphenyl).
70 72
54%
71
74
73 75
39%
76
63%
-
Isolierbare Dialkylsilylene 21
1.4 Isolierbare Dialkylsilylene
Abseits der N-heterocyclischen Silylene war bis Ende der 1990er Jahre das von JUTZI
synthetisierte Silicocen (36, siehe Schema 1.8, links) das einzige isolierbare nicht-
heteroatomstabilisierte Silylen. Erst 1999 gelang es KIRA, das erste stabile Dialkylsilylen
darzustellen.[52] Durch Reduktion des Dibromsilans 77 mit Kaliumgraphit wurde das
entsprechende Dialkylsilylen 78 in guter Ausbeute erhalten (Schema 1.14). Während das
Produkt als Feststoff bei 0°C stabil ist, erfolgt bei Raumtemperatur in Lösung eine langsame
irreversible 1,2-Silylwanderung unter Bildung des Silens 79. Der kürzeste Abstand zwischen
zwei Siliciumatomen in der Molekülstruktur von Silylen 78 beträgt 7.210(1) Å und belegt
somit das Vorliegen als Monomer, was auf die effektive Abschirmung durch das
Alkylrückgrat mit seinen sterisch anspruchsvollen Me3Si-Gruppen (kinetische Stabilisierung)
schließen lässt. Die Kohlenstoff–Silicium(IV)-Bindungen sind mit durchschnittlich 1.91 Å
etwas länger als üblich (1.87 Å)[3p] und lassen eine nur schwache σ-π-Hyperkonjugation
zwischen der Kohlenstoff–Silicium(II)-Bindung und dem freien p(Si)-Orbital im Sinne einer
thermodynamischen Stabilisierung vermuten. Der kleine C–Si(II)–C-Winkel von ca. 94°
bestätigt die typische (ns)2(np)2-Valenzelektronenkonfiguration von schwereren Tetrylenen.
Die chemische Verschiebung des Signals für das reaktive Siliciumzentrum im
29Si-NMR-Spektrum stellt mit +567 ppm (in deuteriertem Benzol) den am stärksten ins
Tieffeld verschobenen, literaturbekannten Wert für Siliciumverbindungen dar.
[52] a) M. Kira, S. Ishida, T. Iwamoto, C. Kabuto, J. Am. Chem. Soc. 1999, 121, 9722–9723; für ein
arylsubstituiertes stabiles Derivat, welches im Gleichgewicht mit dem entsprechenden Disilen steht, siehe: b) T. Abe, R. Tanaka, S. Ishida, M. Kira, T. Iwamoto, J. Am. Chem. Soc. 2012, 134,
20029–20032.
-
22 Isolierbare Dialkylsilylene
Schema 1.14: Synthese des ersten isolierbaren Dialkylsilylens 78 nach KIRA (oben) und dessen
Molekülstruktur sowie Kristall- und NMR-Parameter (unten).
Das Dialkylsilylen 78 reagiert auf erwartete Weise in Insertions- und Additionsprozessen mit
Reagenzien wie Methanol und Triethylsilan,[52] Methyliodid[53] sowie Alkenen und Alkinen[54]
zu den entsprechenden Silanen, Siliranen und Silirenen (nicht gezeigt, vgl. Kapitel 1.1). Im
Folgenden werden weitere Reaktionen mit Dialkylsilylen 78 vorgestellt. Durch eine
Insertionsreaktion mit Tetrachlorsilan und anschließender Reduktion des gebildeten
Tetrachlordisilans 80 mit Kaliumgraphit wurde das Trisilaallen 81 erhalten (Schema 1.15,
oben).[2a] Dieses stellt das erste Beispiel für eine stabile Verbindung mit einem formal
sp-hybridisierten Siliciumatom dar. Im Gegensatz zu linearen kohlenstoffbasierten
Cumulenen ist Verbindung 81 gewinkelt. Des Weiteren bildet Dialkylsilylen 78 mit dem
Nickelkomplex 82 in Toluol quantitativ den Nickelsilylenkomplex 83[55] und mit der
Palladiumspezies 84 den ersten 14-Elektronen-Palladiumkomplex 85[56] mit zwei
Silylenliganden (unten).
[53] S. Ishida, T. Iwamoto, C. Kabuto, M. Kira, Chem. Lett. 2001, 1102–1103. [54] S. Ishida, T. Iwamoto, M. Kira, Heteroat. Chem. 2011, 22, 432–437. [55] C. Watanabe, Y. Inagawa, T. Iwamoto, M. Kira, Dalton Trans. 2010, 39, 9414–9420. [56] C. Watanabe, T. Iwamoto, C. Kabuto, M. Kira, Angew. Chem. 2008, 120, 5466–5469; Angew.
Chem. Int. Ed. 2008, 47, 5386–5389.
77 78 79
Reprinted (adapted) with permission from (Lit [52a]). Copyright (1999) American
Chemical Society.
-
Isolierbare Dialkylsilylene 23
Schema 1.15: Synthese des ersten Trisilaallens (oben, Si = SiMe3) und Übergangsmetallkomplexe mit
Dialkylsilylen 78 als Liganden (unten).
Silylene können durch Absorption von UV-Licht aus dem Singulettgrundzustand in den
einfach angeregten Singulettzustand übergehen.[57] Hierbei wird ein Elektron aus dem
n-Orbital in das p-Orbital gehoben. Verschiedene unimolekulare Reaktionen sowie UV- und
IR-spektroskopische Charakterisierungen wurden bereits durch Matrixisolation von
intermediären Silylenen im angeregten Zustand bei tiefen Temperaturen durchgeführt
(nicht gezeigt).[18c,58] Eine eher ungewöhnliche Reaktion wurde bei der Bestrahlung von
Dialkylsilylen 78 mit UV-Licht (λ = 420 nm) in aromatischen Lösungsmitteln beobachtet
(Schema 1.16, oben).[59] Während ohne Bestrahlung nur die bereits bekannte
1,2-Silylwanderung stattfindet, wurde im Falle der UV-Lichtbestrahlung eine Insertion des
Silylens 78 in das aromatische System des Lösungsmittels unter Ausbildung des
entsprechenden Silepins 86 beobachtet. In Analogie zur bereits detailliert untersuchten
aromatischen Silylradikalsubstitution[60] wird zunächst eine Addition der 1,1-biradikalischen
Spezies 87 an das Benzolderivat vermutet, wodurch das mesomeriestabilisierte Diradikal 88
entsteht. Nach Cyclisierung zum Silanorcaradien 89 und anschließender Umlagerung unter
Ringerweiterung wird das Silepin 86 gebildet. Der Nachweis, dass bei dieser Reaktion eine
[57] M. Kira, J. Chem. Sci. 2012, 124, 1205–1215. [58] a) T. J. Drahnak, J. Michl, R. West, J. Am. Chem. Soc. 1979, 101, 5427–5428;
b) C. A. Arrington, K. A. Klingensmith, R. West, J. Michl, J. Am. Chem. Soc. 1984, 106, 525–530; c) D. B. Puranik, M. J. Fink, J. Am. Chem. Soc. 1989, 111, 5951–5952; d) G. Maier, H. Pacl, H. P. Reisenauer, A. Meudt, R. Janoschek, J. Am. Chem. Soc. 1995, 117,
12712–12720. [59] a) M. Kira, S. Ishida, T. Iwamoto, C. Kabuto, J. Am. Chem. Soc. 2002, 124, 3830–3831;
während des Verfassens dieser Arbeit wurde diese Reaktion auf Azulene übertragen: b) T. Kosai, S. Ishida, T. Iwamoto, Chem. Commun. 2015, 51, 10707–10709.
[60] C. Chatgilialoglu, Chem. Rev. 1995, 95, 1229–1251.
78 80
72%
81
59%
85
40%
83
quant.
84 82
78
-
24 Isolierbare Dialkylsilylene
1,1-biradikalische Singulettspezies erzeugt wird, wurde mit Hilfe von
Fluoreszenzspektroskopie erbracht.[61] OKAZAKI veröffentlichte eine ähnlich verlaufende
Generierung des Silepinderivates 92 aus dem thermisch gespaltenen Disilen 90 in Benzol
bereits 1994 (Schema 1.16, unten), wobei die Reaktion unter Bildung des reaktiven
Silylenintermediates 91 verläuft und das Produkt als (E/Z)-Gemisch isoliert wurde.[62] Dass
das Dialkylsilylen 78 im Singulettgrundzustand nicht mit Benzolderivaten reagiert, ist
vermutlich auf die sterische Hinderung des Alkylrückgrates und geringe Reaktivität des freien
Elektronenpaares zurückzuführen. Dadurch kann kein nukleophiler Angriff des
Benzolderivats an das abgeschirmte freie p-Orbital des Siliciumzentrums erfolgen. Jedoch
kann das einfach besetzte Orbital mit σ-Symmetrie in der 1,1-biradikalischen
Singulettspezies 87, welches sterisch weniger stark abgeschirmt ist und eine hohe
Reaktivität besitzt, eine aromatische radikalische Addition an das Benzolderivat eingehen.
Schema 1.16: Photolytische Generierung von Silepinen nach KIRA (oben; X = H, Me, MeO, F, CF3)
und thermische Disilenspaltung in Benzol nach OKAZAKI (unten;
Tbt = 2,4,6-Tris(bis(trimethylsilyl)methyl)phenyl).
[61] M. Kira, S. Ishida, T. Iwamoto, A. de Meijere, M. Fujitsuka, O. Ito, Angew. Chem. 2004, 116, 4610–4612; Angew. Chem. Int. Ed. 2004, 43, 4510–4512.
[62] H. Suzuki, N. Tokitoh, R. Okazaki, J. Am. Chem. Soc. 1994, 116, 11572–11573.
78 86
87 88 89
90 91 92
58%
-
Isolierbare Dialkylsilylene 25
Die Stabilität des Dialkylsilylens 78 ist zum Großteil auf den sterischen Anspruch des
Rückgrates zurückzuführen, welches jedoch aufgrund der Me3Si-Gruppen nicht vollständig
auf einem reinen Kohlenwasserstoffgerüst basiert. Im Jahr 1992 gelang es SHERIDAN, durch
Photolyse des Diazirins 93 in einer Stickstoffmatrix bei 6 K neben dem Diazomethanderivat
95 das Dicyclopropylcarben (94) zu generieren.[63] Durch weitere Bestrahlung zerfallen diese
Produkte unter Bildung von Ethen in Cyclopropylacetylen (96) bzw. das Cyclobuten 97. Als
geeignetes Experiment zum Abfang des Dicyclopropylcarbens (94) wurde das Diazirin 93 in
einer Argon/Kohlenmonoxidmatrix bei 20 K bestrahlt. Hierbei wurde die Bildung des Carbens
94 durch IR-Spektroskopie bestätigt. Beim Erwärmen der Matrix wurde schließlich die
langsame Bildung von Dicyclopropylketen (98) beobachtet. Des Weiteren wurde durch
UV-spektroskopische Analyse zum ersten Mal der Singulettgrundzustand bei einem Carben
ermittelt.[64]
Schema 1.17: Generierung des ersten Singulettcarbens nach SHERIDAN.
Motiviert von der Stabilität und den Eigenschaften des Dialkylsilylens 78 sowie dem
Singulettgrundzustand von Dicyclopropylcarben (94) stellte SHAKIB 2011 in einer
theoretischen Bewertung eine Familie neuartiger Dialkylsilylene vor (Tabelle 1.1).[65] Deren
Merkmal ist ein kohlenwasserstoffbasiertes Rückgrat bestehend aus zwei direkt an das
divalente Siliciumatom gebundenen Cyclopropylringen (Silylen 101). Eine gesättigte
(Silylen 102), ungesättigte (Silylen 103) bzw. gleichzeitig substituierte (Silylene 107–106)
Kohlenwasserstoffbrücke zwischen den Cyclopropanen zum Aufbau von Bisspirotricyclen
[63] J. R. Ammann, R. Subramanian, R. S. Sheridan, J. Am. Chem. Soc. 1992, 114, 7592–7594.
[64] Triplettmethylen absorbiert UV-Licht stark unterhalb λ = 200 nm, während Singulettmethylen zwischen λ = 550–950 nm absorbiert. Auch für Dicyclopropylcarben (94) wurde eine
Breitbandabsorption zwischen λ = 400–600 nm bestätigt. Ferner belegen ab initio-Berechnungen das alleinige Vorhandensein des gezeigten Konformers von Verbindung 94.
[65] M. R. Momeni, F. A. Shakib, Z. Azizi, J. Phys. Chem. A 2011, 115, 10550–10555.
93
94 95 96 97
94 95 98
-
26 Isolierbare Dialkylsilylene
führt zu einer Reihe verschiedener Bis(α-spirocyclopropyl)silylenderivate. Deren
Gemeinsamkeit ist die senkrechte Ausrichtung der Cyclopropylringe zum zentralen Fünfring.
Die Stabilisierung des reaktiven Zentrums erfolgt hierbei jeweils durch die Wechselwirkung
zwischen dem 3p-Orbital des Siliciumatoms und den besetzten WALSH-Orbitalen der
Cyclopropylsubstituenten (W → p; Tabelle 1.1, oben links).[66] Je stärker die
W → p-Wechselwirkung ist, desto größer wird der Energieunterschied zwischen dem
Singulett- und dem Triplettgrundzustand (ΔES-T), was eine Favorisierung des
Singulettgrundzustandes zur Folge hat. Mit Hilfe von quantenchemischen Berechnungen
wurden qualitative und quantitative Aussagen zur Reaktivität aller Vertreter dieser
theoretischen Verbindungsklasse getroffen. Als Vergleich dienen sowohl die entsprechenden
Mono- und Diisopropylsilylene 100 und 99, bei denen entweder keine oder nur einseitig
befindliche WALSH-Orbitale vorhanden sind und eine weitere Stabilisierung durch
Hyperkonjugation erfolgt, sowie das N-heterocyclische Silylen 39 und das Dialkylsilylen 78
(oben rechts).
Die Einträge 3–5 zeigen, dass die ΔES-T-Werte zunehmen und der Singulettgrundzustand
dadurch stabilisiert wird, dass ein (Eintrag 4) oder zwei (Eintrag 5) Isopropylsubstituenten
durch Cyclopropylsubstituenten ausgetauscht werden. Somit ist die Stabilisierung durch
W → p-Wechselwirkung größer als durch reine Hyperkonjugation (Eintrag 3). Eine
beträchtliche Steigerung der Stabilisierung kann durch ein zentrales Silolanmotiv erzielt
werden (Eintrag 6). Ein entsprechendes 2,5-Dihydro-1H-silolgerüst kann diesen Effekt noch
leicht verstärken (Eintrag 7). Durch an der Brücke liegende, elektronenziehende
Substituenten wird die Stabilisierung ebenfalls leicht erhöht (Einträge 8–10). Im Falle von
Aminogruppen als elektronenschiebende Reste wird allerdings nur eine sehr geringe
Erhöhung der Stabilisierung beobachtet (Eintrag 11). Folglich hat ein Ringsystem einen
starken Einfluss auf die Stabilisierung des Singulettgrundzustandes, wohingegen der Beitrag
eines ungesättigten Systems sowie elektronenziehender Substituenten schwächer ausfällt.
Des Weiteren ist die Stabilisierung im Falle der Tricyclen 102 und 103 sogar noch etwas
stärker als im Falle des Dialkylsilylens 78 (Eintrag 2).
Ein weiteres untersuchtes Reaktivitätsmerkmal stellt die Tendenz der Silylene 101–103 zur
Dimerisierung zu den entsprechenden Disilenen 108–110 dar. Hierfür wurden die
Si=Si-Bindungsdissoziationsenergien (BDEs) als Maß für diese Tendenz herangezogen.[67]
[66] a) A. D. Walsh, Nature 1947, 159, 712–713; b) T. M. Sugden, Nature 1947, 160, 367–368; c) A. D. Walsh, Trans. Faraday Soc. 1949, 45, 179–190; d) W. W. Schoeller, J. Org. Chem. 1980, 45, 2161–2165.
[67] Als Grundlage diente das CARTER-GODDARD-MALRIEU-TRINQUIER-Modell (CGMT-Modell), welches die Bindungssituation in Disilenen vorhersagt. Siehe hierzu: a) E. A. Carter, W. A. Goddard, J. Phys. Chem. 1986, 90, 998–1001; b) G. Trinquier, J. P. Malrieu, J. Am.
-
Isolierbare Dialkylsilylene 27
Je größer diese Energiewerte sind, desto stärker ist die Tendenz zur Dimerisierung
ausgeprägt. Hierbei bilden die Silylene 101–103 stabile Dimere (Einträge 12–14). Durch
Einführung von jeweils einer Methylgruppe mit cis-Orientierung an beiden
Methylenkohlenstoffatomen eines Cyclopropylringes (Dimer 111) sinkt die
Bindungsdissoziationsenergie leicht (Eintrag 15). Erst durch eine weitere analoge zweifache
Substitution mit Methylgruppen am zweiten Cyclopropylring wurde kein stabiles Dimer 112
gefunden (Eintrag 16), was auf eine effektive sterische Abschirmung des reaktiven
divalenten Siliciumatoms schließen lässt.
Die Größe der HOMO/LUMO-Energielücke (ΔEH-L) stellt ein bekanntes Maß für die Stabilität
von Silylenen gegenüber Elektrophilen und Nukleophilen dar,[5] wobei mit zunehmender
Größe der Lücke die Stabilität steigt. Die Einträge 5–7 zeigen, dass die Silylene 101–103
eine größere Lücke besitzen als das Dialkylsilylen 78 (Eintrag 2) bzw. eine ähnlichen Wert
aufweisen wie das N-heterocyclische Silylen 39 (Eintrag 1). Verbunden mit der
HOMO/LUMO-Energielücke ist weiterhin das Konzept der Nukleo- und Elektrophilie. Die
Nukleophilieparameter N verdeutlichen anhand kleinerer Werte eine geringere Nukleophilie
der Silylene 101–103 (Einträge 5–7) im Vergleich zu den isolierbaren Silylenen 39 und 78
(Einträge 1 und 2). Da die W → p-Wechselwirkung das entsprechende LUMO stabilisieren
sollte, sind die allgemeinen Elektrophiliewerte ω der Silylene 101–103 (Einträge 5–7) größer
als die der isolierbaren Silylene 39 und 78, was auf eine höhere Elektrophilie der
theoretischen Verbindungen schließen lässt.
Chem. Soc. 1987, 109, 5303–5315; c) J. P. Malrieu, G. Trinquier, J. Am. Chem. Soc. 1989, 111, 5916–5921; d) C. Liang, L. C. Allen, J. Am. Chem. Soc. 1990, 112, 1039–1041.
-
28 Isolierbare Dialkylsilylene
Tabelle 1.1: Quantenchemische Berechnungen der Reaktivitäten von neuartigen
Bis(α-spirocyclopropyl)silylenen nach SHAKIB.
Eintrag Verbindung ΔES-T
a
[kcal/mol]
BDESi=Sib
[kcal/mol]
ΔEH-Lc
[kcal/mol]
Nd
[eV]
ωe
[eV]
1 39 – (–) – (–) 88.1 4.80 0.99
2 78 – (33.1) – (–) 84.0 3.91 1.91
3 99 20.5 (23.2) – (–) – – –
4 100 24.3 (26.8) – (–) – – –
5 101 28.3 (31.2) – (–) 87.0 3.68 2.01
6 102 35.9 (36.8) – (–) 90.4 3.57 1.97
7 103 36.4 (37.9) – (–) 88.6 3.43 2.19
8 104 (X = CN) 38.2 (41.6) – (–) – – –
9 105 (X = CF3) 41.4 (42.9) – (–) – – –
10 106 (X = NO2) 39.9 (48.4) – (–) – – –
11 107 (X = NH2) 36.7 (32.3) – (–) – – –
12 108 – (–) 45.3 (36.2) – – –
13 109 – (–) 38.2 (29.8) – – –
14 110 – (–) 39.1 (30.5) – – –
15 111 – (–) 34.3 (22.2) – – –
16 112 – (–) – (–) – – –
a ΔES-T = ETriplett – ESingulett; verwendete Methoden: MP2/6311++G(d,p)//MP2/631G(d) und B3LYP/AUG-cc-pVTZ/B3LYP/631+G(d) (in Klammern).
99 100 101 102 103 104–107
108 109 110 111 112
39 78
-
Isolierbare Dialkylsilylene 29
b Bindungsdissoziationsenergie; verwendete Methoden: MP2/6311++G(d,p) und B3LYP/AUG-cc-pVTZ (in
Klammern). c
HOMO/LUMO-Energielücke; verwendete Methoden: B3LYP/6-311++G(d,p)//B3LYP/6-31+G(d). d
Nukleophilieparameter N = EHOMO(Nu)–EHOMO(TCNE); TCNE = Tetracyanoethylen dient als Referenz. e
Allgemeine Elektrophilie ω = (μ2/2η) mit dem chemischen Potential μ ≈ (EHOMO + ELUMO)/2 und der chemischen
Härte η = ELUMO – EHOMO.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Bis(α-spirocyclopropyl)silylene mit einem
gesättigten bzw. ungesättigten, in letzterem Fall jedoch durch elektronenziehende Gruppen
substituierten, zentralen Ringsystem stabile Verbindungen im Singulettgrundzustand
darstellen sollten. Hierbei ist eine starke Stabilisierung des divalenten Siliciumatoms auf die
W → p-Wechselwirkung zurückzuführen. Um eine Dimerisierung zu den entsprechenden
Disilenen zu vermeiden, scheint eine Substitution der Cyclopropylringe durch vier cis-
ständige Methylgruppen eine effektive Methode darzustellen, das reaktive Siliciumatom. Die
Nukleophilie dieser Verbindungen sollte geringer sein als die bekannter isolierbarer Silylene,
während die Elektrophilie ähnlich oder sogar höher ausfallen sollte. Abbildung 1.3
veranschaulicht den Trend der Stabilisierung anhand der von SHAKIB vorgestellten Silylene
101–107 sowie des sterisch anspruchsvollen Monomers 113. Während ein zentrales
Ringsystem wie in 102 und sowie eine cis-Substitution der Cyclopropaneinheiten in 113
einen starken Effekt zur Stabilisierung des reaktiven Siliciumatoms besitzen, tragen ein
ungesättigter zentraler Fünfring sowie zusätzliche Substituenten an der Brücke nur leicht zur
Stabilisierung bei.
Abbildung 1.3: Berechnete Stabilität von Bis(α-spirocyclopropyl)silylenen.
101 102 103 104–107 113
-
30 Problemstellung und Zielsetzung
1.5 Problemstellung und Zielsetzung
Die von SHAKIB veröffentliche, theoretische Bewertung der Reaktivität der im
vorangegangenen Kapitel vorgestellten Familie neuartiger Dicyclopropylsilylene bietet eine
detaillierte Grundlage, um geeignete Zielstrukturen für deren Synthese zu ermitteln. Hierbei
steht die Wechselwirkung zwischen dem 3p-Orbital des Siliciumatoms und den besetzten
WALSH-Orbitalen der Cyclopropylsubstituenten als effektives Stabilisierungskonzept im
Mittelpunkt. Wir nahmen diese Publikation zum Anlass, einige ausgewählte Derivate dieser
neuartigen Substratklasse zu synthetisieren und deren Reaktivität zu untersuchen. An dieser
Stelle waren vollständig kohlenwasserstoffbasierte Rückgrate von besonderer Bedeutung.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich demnach mit der Auswahl geeigneter Zielmoleküle,
deren Syntheserouten sowie der spektroskopischen Charakterisierung und
Reaktivitätsanalyse dieser Verbindungsklasse.
Im Vorfeld der Synthesearbeiten war es zunächst von Bedeutung, synthetisch sinnvolle
Zielmoleküle zu wählen. Als grundlegendes Strukturmotiv wurde das tricyclische
Bis(α-spirocyclopropyl)-Fragment der Silylene 102–106 gewählt (Schema 1.18). Hierbei
wurde davon ausgegangen, dass die von SHAKIB vorgestellten Silylene nur bedingt
synthetisch zugänglich sind bzw. aufgrund der hohen Reaktivität des divalenten
Siliciumatoms inter- oder intramolekulare Reaktionen eingehen werden. So wird im Falle
eines an der Doppelbindung nicht substituierten 2,5-Dihydro-1H-silolgerüsts ein
intermolekularer Angriff im Sinne einer Addition des entsprechenden Silylens 103 an dessen
Doppelbindung erwartet, was zu Oligo- bzw. Polymeren führen könnte (Schema 1.18, links,
Mitte). Obgleich elektronenziehende Reste wie CF3-, NO2- sowie CN-Gruppen zu einer
leichten Stabilisierung der entsprechenden Silylene führen und die Doppelbindung
abschirmen könnten (Schema 1.18, links, oben), stellen diese potentielle Reaktionszentren
für Insertions- und Additionsreaktionen (siehe Kapitel 1.1) dar. Für eine sterische
Abschirmung kommen somit nur gesättigte Strukturmotive mit nicht- oder nur leicht
polarisierten Bindungen wie zum Beispiel Alkylketten oder Alkylsilylgruppen in Betracht. Dies
wurde bereits erfolgreich am Beispiel von Dialkylsilylen 78 gezeigt.
Ziel dieser Arbeit war es somit, einen synthetischen Zugang zu ungesättigten, jedoch durch
Alkylgruppen abgeschirmten Bis(α-spirocyclopropyl)silylenderivaten 114 zu finden und
hierbei das Brückensubstitutionsmuster zu variieren (Schema 1.18, rechts, oben). Des
Weiteren wurde das gesättigte System 102 als Zielmolekül gewählt, um die Effektivität der
WALSH-Wechselwirkung ohne Einfluss weiterer kinetischer oder thermodynamischer
Stabilisierungsparameter zu bestimmen (Schema 1.18, rechts, Mitte). Um eine von SHAKIB
-
Problemstellung und Zielsetzung 31
bereits vermutete Dimerisierung der Silylene 102 und 114 zu vermeiden, sollte parallel zu
dieser Arbeit im Arbeitskreis OESTREICH ein Synthesezugang zu anellierten sowie geminal
disubstituierten Silylenen 115 eröffnet werden, welcher in einem Exkurs in Kapitel 4.2 erörtert
wird (Schema 1.18, rechts, unten). Im Zuge dessen wurde davon ausgegangen, dass die
Synthese des aus dem von SHAKIB vorgestellten Dimer 112 resultierenden Monomers 113
(Schema 1.18, links, unten) nicht trivial sein wird und vielmehr eine stereoselektive geminale
Disubstitution der Methylenkohlenstoffatome der Cyclopropane durch geeignete und
etablierte Cyclopropanierungsreaktionen[68] ermöglicht werden könnte (Schema 1.18, rechts,
unten).
Schema 1.18: Synthetische Überlegungen zum Zugang geeigneter Zielstrukturen von
Bis(α-spirocyclopropyl)silylenen (X = NO2, CF3, CN).
Die entsprechenden synthetisierten Silylene sollten sowohl NMR-spektroskopisch
charakterisiert als auch deren Reaktivität in verschiedenen Abfangexperimenten
(siehe Kapitel 1.1) untersucht werden. Die Anregung des Dialkylsilylens 78 mit UV-Licht in
benzolabgeleiteten Lösungsmitteln führt zu einer Reaktion mit dem aromatischen System
und einer Ringerweiterung unter Bildung der entsprechenden Silepine (siehe Schema 1.16).
[68] M. Fedoryński, Chem. Rev. 2003, 103, 1099–1132.
114
102
113
103
107–106
115
-
32 Problemstellung und Zielsetzung
Jedoch ist bisher keine Folgechemie dieser Produkte untersucht worden. So sollte eine
analoge Generierung von Silepinen 116 mit Bis(α-spirocyclopropyl)silylenderivaten entwickelt
und die Produkte in (Z,Z,Z)-Triene umgewandelt werden (Schema 1.19, am Beispiel von
Silylen 102). Hierbei sollten Protodesilylierungs- sowie Bromierungsmethoden und
palladiumkatalysierte HIYAMA-Kreuzkupplungen einen Zugang zu den entsprechenden
Trienen 117–119 bereitstellen.
Schema 1.19: Photochemische Silepingenerierung und Folgereaktionen.
102 116
117
118
119
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Nukleophile Substitutionen an Dichlorsilanen mit Cyclopropyl(ester)enolaten 33
2 Synthesen von Bis(α-spirocyclopropyl)silylen-
Vorläufern
2.1 Nukleophile Substitutionen an Dichlorsilanen mit
Cyclopropyl(ester)enolaten
Um einen Zugang zu einer möglichst großen Anzahl an potentiell stabilen
Bis(α-spirocyclopropyl)silylenen zu eröffnen, wurden zunächst synthetische Überlegungen
zur Darstellung von ungesättigten, jedoch an der Brücke durch Alkylketten abgeschirmten
Silylenen 114 betrachtet (Schema 2.1, oben). Hierbei wurden tert-Butylreste als sterisch sehr
anspruchsvolle Substituenten an der Doppelbindung des Zentralringes gewählt. Die
grundlegende synthetische Idee basiert auf einer zweifachen Substitution an Dichlorsilanen
durch Cyclopropylenolate. Hierdurch sollte die Einführung der Cyclopropyleinheiten zu
Beginn der Syntheseroute ermöglicht werden. Als Enolatquelle sollte das Keton 123 dienen,
da es nur ein acides α-Proton am Cyclopropanring besitzt. Zunächst sollte durch
Deprotonierung des Ketons 123 eine zweifache Substitution an Dichlordiphenylsilan (124)
erfolgen. Hierbei wurde letzteres als geeignetes Reagenz betrachtet, da eine
Umfunktionalisierung der Phenylreste durch Proto- bzw. Halodesilylierung möglich schien.
Das Substitutionsprodukt 122 sollte mittels MCMURRY-Kupplung unter Ringschluss in den
Tricyclus 121 überführt werden, welcher nach Halodesilylierung zum Dihalosilan (nicht
gezeigt) umgesetzt und anschließend analog zu N-heterocyclischen Systemen
(siehe Kapitel 1.4) zum Silylen 120 reduziert werden sollte. Die einfache Substitution von
Chlorsilanen durch Cyclopropylesterenolate wurde bereits erfolgreich von LARSON gezeigt
(Schema 2.1, unten).[69] Die Deprotonierung des Esters 125 bei –100°C mit LDA und
anschließende Zugabe von Chlormethyldiphenylsilan lieferte das entsprechende
Cyclopropylsilan 126 in sehr guter Ausbeute. Eine Reaktionsführung bei –75°C führt fast
ausschließlich zur Bildung des Ethoxysilans 127, was auf die Generierung des Ketens 128
schließen lässt.
[69] J. A. Prieto, M. T. Pallarés, G. L. Larson, Synlett 1993, 199–202.
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34 Nukleophile Substitutionen an Dichlorsilanen mit Cyclopropyl(ester)enolaten
Schema 2.1: Retrosyntheseweg zur Darstellung von Silylen 120 und einfache Substitution von
Chlorsilanen durch Cyclopropylesterenolate nach LARSON.
Allerdings ist die analoge zweifache Substitution eines Dichlorsilans nicht literaturbekannt.
Dementsprechend sollte zunächst in Anlehnung an LARSONs Synthese des
Cyclopropylsilans 126 eine zweifache Substitution an Dichlordiphenylsilan (124) unter
Verwendung des Esters 125 untersucht und optimiert werden. Schema 2.2 zeigt die
Synthese des Esters 125 sowie des Ketons 123 ausgehend von Cyclopropancarbonsäure
(129). Hierbei wurde durch saure Veresterung der Säure 129 in Ethanol der Ester 125 in
moderater Ausbeute erhalten.[70] Durch Bildung des Säurechlorids (nicht gezeigt) aus der
Säure 129 und anschließender Reaktion mit tert-Butylmagnesiumchlorid in Gegenwart von
Kupfer(I)-Chlorid wurde das Keton 123 in mäßiger Ausbeute isoliert.[71]
[70] S. Liang, T. W. Price (Eastman Chemical Company), US005504245A, 1996. [71] T. M. Brennan, M. E. Hendrick (Pfizer Inc.), 4411925, 1983.
120 121 122 123 124
125
126
92%
127 128
LARSON (1993)
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Nukleophile Substitutionen an Dichlorsilanen mit Cyclopropyl(ester)enolaten 35
Schema 2.2: Synthese der Substrate 125 und 123 für die zweifache Substitution von Dichlorsilanen
durch Cyclopropyl(ester)enolate.
Zunächst wurde die zweifache Substitution von Dichlordiphenylsilan (124) durch
Cyclopropylesterenolate ausgehend von Ester 125 mit Hilfe qualitativer GC-Analyse der
Reaktionsmischung untersucht (Tabelle 2.1). Nach Deprotonierung bei tiefen Temperaturen
und Abfangen des Esterenolats (nicht gezeigt) mit Dichlordiphenylsilan (124) wurden in allen
Fällen komplexe Gemische erhalten, wobei durch GC/MS-Analyse der Reaktionsmischung
Molekülfragmente des einfach substituierten Silans 131 mit unbekanntem Rest Y sowie
oligomerer Ester 132 und der Molekülionenpeak von Diethoxysilan 133 ermittelt wurden. Das
zweifach substituierte Silan 130 wurde nicht detektiert. Eintrag 1 zeigt, dass selbst bei
–100°C die Bildung des Ketens 128 nicht verhindert werden konnte und neben dem einfach
substituierten Silan 131 eine geringe Menge an Diethoxysilan 133 generiert wurde. Bei
Zugabe der Base zu einer Mischung aus Substrat 125 und Dichlordiphenylsilan (124) wurden
neben den bereits in Eintrag 1 erwähnten Produkten zusätzlich oligomere Ester 132
identifiziert, welche vermutlich aus Additionen des Esterenolats an das intermediär gebildete
Keten 128 resultierten. Bei erhöhter Temperatur wurden ausschließlich die
Zersetzungsprodukte 132 und 133 gefunden (Eintrag 3). Bei Verwendung von NaHMDS als
Base wurde keine Reaktion beobachtet (Eintrag 4).[72]
[72] Mit Dichlordimethylsilan wurde unter den Bedingungen von Eintrag 1 zwar ein disubstituiertes Produkt in geringen Mengen identifiziert, jedoch war dessen Isolierung säulenchromatografisch aufgrund von Trennungs- und Nachweisproblemen nicht möglich. Des Weiteren wurde die Dimethylsilyleinheit als nicht funktionalisierbar betrachtet und somit für einen weiteren Syntheseweg ausgeschlossen.
125
37%
123
58%
129
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36 Nukleophile Substitutionen an Dichlorsilanen mit Cyclopropyl(ester)enolaten
Tabelle 2.1: Substitution von Dichlordiphenylsilan (124) durch Cyclopropylesterenolate ausgehend von
Ester 125 (Y = unbekannter Rest, n ≠ 0).
Eintrag Base T t 125:130:131:132:133a
1 LDA –100°C 14 h 0:0:83:0:17
2 LDAb
–100°C 16 h 0:0:72:23:5
3 LDA –80°C → RT 16 h 0:0:0:66:34
4 NaHMDS –100°C → RT 20 h 100:0:0:0:0
a Die Verhältnisse wurden durch gaschromatografische Analyse eines Aliquots aus der Reaktionsmischung
nach der angegebenen Zeit bestimmt. Es wurde kein interner Standard verwendet. b
Umgekehrte Reihenfolge der Zugabe von Base und Silan.
Um die Zersetzungsproblematik bei Verwendung des Esters 125 zu umgehen, wurden
anschließend Substitutionen mit dem Keton 123 und Dichlordiphenylsilan (124) untersucht
(Tabelle 2.2). Auch hier wurden in allen Fällen komplexe Gemische erhalten, wobei durch
GC/MS-Analyse der Reaktionsmischung Molekülfragmente des zweifach substituierten
Silans 122 gefunden wurden. Das einfach substituierte Silan 134 konnte nicht identifiziert
werden. Die Einträge 1–3 zeigen, dass mit LDA als Base bei kurzer Reaktionszeit und
unabhängig von der Reihenfolge der Zugabe von Base und Silan kein Produkt gebildet
wurde. Erst durch längere Reaktionszeit wurde das zweifach substituierte Silan 122 im
Substrat:Produktverhältnis von ca. 3:1 identifiziert, jedoch war eine säulenchromatografische
Isolierung aufgrund von Trennungs- und Nachweisproblemen nicht möglich (Eintrag 4). Auch
bei Verwendung anderer Basen wurde kein Umsatz festgestellt
(Einträge 5 und 6).
125 130 131 132 133
124
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Nukleophile Substitutionen an Dichlorsilanen mit Cyclopropyl(ester)enolaten 37
Tabelle 2.2: Substitution von Dichlordiphenylsilan (124) durch Cyclopropylenolate ausgehend von
Keton 123.
Eintrag Base T t 123:122:134a
1 LDA –40°C 1 h 100:0:0
2 LDAb
–40°C 1 h 100:0:0
3 LDAb
0°C 1 h 100:0:0
4 LDA –78°C → RT 15 h 77:23:0
5 NaHMDS –78°C → RT 20 h 100:0:0
6 NaH Δ 16 h 100:0:0
a Die Verhältnisse wurden durch gaschromatografische Analyse eines Aliquots aus der Reaktionsmischung
nach der angegebenen Zeit bestimmt. Es wurde kein interner Standard verwendet. b
Umgekehrte Reihenfolge der Zugabe von Base und Silan.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die zweifache Substitution von
Dichlordiphenylsilan (124) mit Cyclopropyl(ester)enolaten zum Aufbau eines geeigneten
Cyclisierungsvorläufers 122 aufgrund der Bildung komplexer Gemische und
chromatografischer Trennungs- bzw. Nachweisprobleme der Produkte nicht erfolgreich
verlief. Unter Verwendung des Esters 125 konnte die Bildung des intermediären Ketens 128
nicht unterbunden werden, was zu Zersetzungsprodukten und Oligomeren führte. Mit dem
Keton 123 als Enolatquelle wurde nur mit LDA bei längerer Reaktionszeit eine geringe
Produktbildung beobachtet, jedoch war eine Erhöhung des Umsatzes nicht erfolgreich,
weshalb weitere Optimierungsarbeiten eingestellt wurden.
123 122 134
124
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38 Reduktion von Butadienderivaten zum Aufbau von 2,5-Dihydro-1H-silolen
2.2 Reduktion von Butadienderivaten zum Aufbau von
2,5-Dihydro-1H-silolen
Nachdem in Kapitel 2.1 gezeigt wurde, dass ein Zugang zu Silylenen mit sterisch
abgeschirmter ungesättigter Brücke nicht möglich ist, wurde im Folgenden die Synthese des
vollständig gesättigten tricyclischen Silylens 102 verfolgt (Schema 2.3, oben). Den
Schlüsselschritt dieser Überlegung stellt die Reduktion des Dicyclopropylidenethans (139)
unter Bildung der cyclischen Organomagnesiumverbindung 138 dar, welche anschließend
mit Dichlordiphenylsilan (124) zu dem tricyclischen 2,5-Dihydro-1H-silol 137 umgesetzt
werden sollte. Reduktion der Brückendoppelbindung (137→136), Halodesilylierung
(136→135) und Reduktion sollten das Silylen 102 liefern. Eine zur Bildung der Spezies 138
analoge Reaktion wurde bereits 1991 von RIEKE publiziert (Schema 2.3, unten).[73] Hierbei
wird Magnesium(II)-Chlorid mit dem aromatischen Radikalanionenreagenz Lithiumnaphthalid
zu aktiviertem, hochreaktivem Magnesiumpulver in Lösung („RIEKE-Magnesium“, Mg*)
reduziert.[74] Dieses Reagenz ermöglicht weiterhin eine Reduktion von Butadienderivaten wie
Verbindung 140 unter Bildung der cyclischen Organometallspezies 141, welche mit
Dichlordimethylsilan (142) abgefangen wurde und das 2,5-Dihydro-1H-silol 143 in guter
Ausbeute lieferte. Die grundlegende Frage war nun, ob dieses Konzept auf die Reduktion
von endständig geminal disubstituierten Butadienderivaten übertragen werden kann, da
bisher keine entsprechenden Beispiele literaturbekannt sind. Des weiteren war ungewiss, ob
die Cyclopropyleinheiten der Verbindung 139 durch RIEKE-Magnesium reduziert werden.
[73] R. D. Rieke, H. Xiong, J. Org. Chem. 1991, 56, 3109–3118.
[74] Für einen Übersichtsartikel zu der Verwendung aktivierter und hochreaktiver elementarer Metalle für die Bildung von Organometallreagenzien, siehe: R. D. Rieke, M. V. Hanson, Tetrahedron 1997, 53, 1925–1956 und dort zitierte Literatur.
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Reduktion von Butadienderivaten zum Aufbau von 2,5-Dihydro-1H-silolen 39
Schema 2.3: Retrosynthetischer Ansatz zur Darstellung von Silylen 102 (oben) und Synthese des
2,5-Dihydro-1H-silols 143 nach RIEKE (unten).
Die Synthese von Dicyclopropylidenethan (139) ist in Schema 2.4 dargestellt.[75] Nach einer
basenvermittelten Hydroaminierung von Sulfolen (144) zu Sulfolan 145 wurde dieses an
den C2- und C5-Positionen in mäßiger Ausbeute cyclopropaniert (145→146).[76] Eine
COPE-Eliminierung unter Bildung des Tricyclus 147 und anschließende Reduktion mit LiAlH4
lieferte Dicyclopropylidenethan (139) in geringer Ausbeute. Da dieses Butadienderivat
aufgrund der starken Ringspannung der Cyclopropylideneinheiten leicht polymerisiert, wurde
es bei tiefen Temperaturen (ca. –196°C, Flüssigstickstoff) zusammen mit 1,4-Benzochinon
als Inhibitor gelagert.
[75] T. Tsuji, R. Kikuchi, S. Nishida, Bull. Chem. Soc. Jpn. 1985, 58, 1603–1604. Aufgrund der anspruchsvollen Synthese von Dicyclopropylidenethan (139) und dessen hohe Reaktivität wird die Darstellungsroute ob bereits publizierter unpräziser Daten dennoch im Detail diskutiert.
[76] An dieser Stelle wurden Überlegungen angestellt, Derivate des Oxirans zu verwenden, um höhersubstituierte Cyclopropaneinheiten einzuführen. Hierbei werden allerdings mindestens vier neue Stereozentren generiert, was zu einer Vielzahl potentiell nicht trennbarer Stereoisomere führt. Aus diesem Grund wurde auf weiterführende Untersuchungen zur Derivatisierung des Tricyclus 146 verzichtet.
RIEKE (1991)
102 135 136 137 138 139
140
142
141 143
66%
-
40 Redukt