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Strukturen und Strukturveränderungen Subjektiver Theorien Studierender zum
Praxisbezug
Schriftliche Hausarbeit vorgelegt im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen im Fach Erziehungswissenschaft
(Psychologie)
Eingereicht von:
Sabrina Wiescholek Bachstelzenweg 8 33335 Gütersloh
Matrikelnummer: 6474370 [email protected]
05. März 2012
Gutachterin:
Prof. Dr. Ingrid Scharlau Fakultät für Kulturwissenschaften Institut für Humanwissenschaften
Fach Psychologie
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Inhalt:
1. Einleitung 2
2. Forschungsüberblick – Praxisbezug im Studium 4
3. Theoretische Erklärungen – Subjektive Theorien 8
4. Methodisches Vorgehen 10
4.1 Sample 10 4.2 Interviewleitfaden 11 4.3 Auswertung 16
5. Einzelfalldarstellungen 17
5.1 Kathrin 18 5.2 Nils 20 5.3 Evelin 23 5.4 Sven 25
6. Kategoriensystem zu Formalen Aspekten Subjektiver Theorien 27
6.1 Kodierhandbuch zum Kategoriensystem der formalen Charakteristika von Subjektiven Theorien zum Praxisbezug 31
7. Ergebnisse 44
7.1 Kategorie 1 „Komplexität“ 44 7.2 Kategorie 2 „Differenziertheit“ 46 7.3 Kategorie 3 „Organisation“ 47 7.4 Kategorie 3.3 „Unstimmigkeiten/Ungereimtheiten“ 49
8. Kommunikative Validierung – Methodisches Vorgehen
und Ergebnisse 52
9. Diskussion 57
10. Literaturverzeichnis 62
Anhang 1: Teilnehmerliste 65 Anhang 2: Interviewleitfaden zum Thema Praxisbezug 66 Anhang 3: Einzelfalldarstellungen 72 Anhang 4: Auswertung der Kategorien „Komplexität“, „Differenziertheit“
und „Organisation“ 83 Anhang 5: Beispiel einer kommunikativen Validierung 87 Anhang 6: CD-Rom mit Transkribten der Interviews und
kommunikativen Validierungen 91 Eidesstattliche Erklärung 92
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1. Einleitung:
„Im Praktikum habe ich zehnmal mehr gelernt, als in vier Semestern Studium.“
„Was soll ich mit der Theorie anfangen, in der Schule brauche ich sie sowieso
nicht mehr.“
„Im Referendariat kann ich erst einmal den Reset-Knopf drücken, denn das, was
ich bis jetzt hier an die Uni gelernt habe, zählt dann nicht mehr.“
„Hier an der Uni haben wir viel zu wenig Praxisbezug.“
Die meisten Lehramtsstudierenden und vermutlich auch Dozenten/innen sind mit
Meinungsäußerungen dieser Art aus dem universitären Alltag sehr vertraut. Diese
und vergleichbare Behauptungen scheinen im Laufe des Studiums zu einem allge-
genwärtigen Chor zu verschmelzen, dessen eintönige Melodie sich schließlich wie
ein Ohrwurm im Bewusstsein der Protagonisten der Lehrerbildung festsetzt. Der
durch diesen Chor unablässig geäußerten Forderung nach Praxisbezug im Studi-
um widmet sich die folgende Arbeit.
Die Literatur zum Thema Praxisbezug des Studiums gibt, so scheint es, diesen
einstimmig nach Praxisbezug verlangenden Chor wieder, als gäbe es keine Bass-
oder Sopranstimme; als gäbe es also keine anders gearteten Meinungen, Ansich-
ten oder Bewertungen in Hinsicht auf Praxisbezug im Studium. Auch hier ist aus-
schließlich nur der Ruf nach mehr Praxisbezug zu vernehmen. Das erste Kapitel
der vorliegenden Arbeit widmet sich dieser Thematik und bietet einen For-
schungsüberblick über Studien, die sich mit den Meinungen und Ansichten der
Studierenden zum Thema Praxisbezug im Studium beschäftigen.
In dieser Arbeit soll jedoch genau der Eindruck eines einstimmig und unreflektiert
nach Praxisbezug rufenden Chors von Studierenden vermieden werden. Deswe-
gen wurden, angelehnt an das Forschungsprogramm STEP1, Interviews mit zwölf
Studierenden des Lehramtsstudiengangs der Universität Paderborn zum Thema
Praxisbezug geführt und von diesen zwölf für diese Arbeit neun Interviews aus- 1 STEP steht für „Subjektive Theorien von Studierenden und Lehrenden zwischen Praxisbezug, Employability und Professionalisierung“. Es handelt sich hierbei um ein Verbundprojekt der Uni-versitäten Bielefeld und Paderborn unter der Leitung von Prof. Dr. Mechtild Oechsle und Prof. Dr. Ingrid Scharlau.
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gewertet. Im Zentrum dieser Arbeit steht dabei, die Heterogenität der Studieren-
den und ihrer verschiedenen Wahrnehmungen von Praxisbezug im Studium, ihre
Meinungen bezüglich des Verhältnisses von Theorie und Praxis sowie dem Ver-
hältnis von Studium und Beruf. Zentrale Fragen sind hierbei, wie die Lehramts-
studierenden sich selbst aber auch ihre eigene Situation zwischen Beruf und Stu-
dium und insbesondere den Praxisbezug im Studium wahrnehmen und welche
Subjektiven Theorien (vgl. Groeben et al 1988) die Studierenden gerade zum Pra-
xisbezug des Studiums entwickeln. Hier schließt die Arbeit an die Untersuchun-
gen eines ersten Samples des STEP-Projekts an, in dem an der Universität Pader-
born 27 Lehramtsstudierende zu verschiedenen Themen, wie Praxisbezug, Profes-
sionalisierung und Employability befragt wurden. Unter anderem wurden im Zuge
der Auswertung dieser Interviews zwei subjektive Praxiskonzepte entwickelt, die
inhaltlich versuchen, die subjektiven Theorien der Studierenden zu Praxisbezug
zu typisieren. (Vgl. Schüssler et al. 2012) Besonders zum Thema Praxisbezug im
Studium fällt schon in diesem ersten Sample auf, dass die Ansichten und Meinun-
gen der Studierenden tendenziell heterogen sind. Selbst ein einzelner Studierender
scheint sich in seiner Meinung nicht sicher zu sein. Ansichten der einzelnen Stu-
dierenden charakterisieren sich scheinbar anhand von Unstimmigkeiten. Aufgrund
dieses Eindrucks wurde mittels eines zweiten Samples im Rahmen der vorliegen-
den Arbeit das Thema Praxisbezug noch einmal genauer hinterfragt.
Eine inhaltliche Auswertung rückt jedoch in dieser Arbeit eher in den Hinter-
grund, da durch Schüssler et al. (2011) schon hinreichend differenziert wurde, wie
Subjektive Theorien zum Praxisbezug inhaltlich ausgeprägt sein können. Diese
Arbeit widmet sich im besonderen Maße der formalen Struktur Subjektiver Theo-
rien zum Praxisbezug im Studium. Es soll also die Argumentationsweise der in-
terviewten Lehramtsstudierenden bezüglich dieses Themas betrachtet und unter-
sucht werden. Als Basis dient dabei die formale Struktur von Subjektiven Theo-
rien, wie sie bei Dann et al. (1987) und Haag/Dann (2001) beschrieben wird. Fra-
gestellungen, die hierbei im Vordergrund stehen, lauten: Inwiefern handelt es sich
überhaupt bei den Meinungen und Ansichten zum Praxisbezug um Subjektive
Theorien? Wie sind diese Meinungen und Ansichten formal aufgebaut? In wel-
cher Beziehung steht die Argumentationsstruktur mit dem Inhalt?
Des Weiteren wird der Frage nachgegangen, wie sich die Subjektiven Theorien
vielleicht schon während des Interviews verändern und welche Veränderungs-
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möglichkeiten überhaupt existieren. Dem entsprechend vertritt Wahl (2005) die
Meinung, dass ein erster Lernschritt darin bestehe, „Subjektive Theorien durch
vielfältige Formen des Bewusstmachens, des Problematisierens und der Konfron-
tation bearbeitbar zu machen.“(ebd., 41) Der Interviewleitfaden dieser Arbeit soll
somit in Bezug auf die Struktur und die Strukturveränderung der Subjektiven
Theorien zum Praxisbezug abschließend als mögliches Self-
Assessmentinstrument im Rahmen der Lehrerbildung diskutiert werden.
2. Forschungsüberblick – Praxisbezug im Studium
Die Literatur zu Lehrerbildung und zu Praxisphasen und Praxisbezug des Studi-
ums stellt überraschender Weise ein Spiegelbild des oben beschriebenen, im
Lehramtsstudium allgegenwärtigen, einstimmigen Chores dar. Auch wird ein sehr
einheitliches Bild der Meinungen und Ansichten von Lehramtsstudierenden in
Hinsicht auf den Praxisbezug des Studiums betont.
So besprechen Boness et al. (2003) die „divergenten Erwartungshaltungen“ (ebd.,
224) der an der Lehrerbildung beteiligten Personen (Hochschullehrende, Studie-
rende und Mentoren/innen im Praktikum) bezüglich eines auf das Praktikum an
der Schule vorbereitenden Seminars. Die Studierenden verlangen hier, weitgehend
übereinstimmend mit den oben angeführten Aussagen, nach „konkreten Hand-
lungsanweisungen für die Planung und Organisation von Unterrichtsstunden.“
(ebd., 225) Sacher spricht hier von einem „Praxisfetischismus“ (Sacher 1988, 47),
wobei Praxisanteile im Studium von den Studierenden fast ausschließlich als ef-
fizient bewertet werden und als wichtig für das spätere Unterrichten. Der Praxi-
santeil erscheine den Studierenden in der ersten Phase der Lehramtsausbildung zu
gering. Die Studierenden erachten die berufspraktischen Anteile zum einen als am
wichtigsten in ihrer Ausbildung, zum anderen verlangen sie nach mehr erzie-
hungswissenschaftlichen Inhalten im Studium. (Vgl. Blömeke et al. 2006; Cramer
et al. 2009) Blömeke et al. bemerken hierzu jedoch, dass Erziehungswissenschaft
und Schulpraxis von den Lehramtsstudierenden nicht differenziert genug betrach-
tet werden. Die Studierenden erwarten von der Erziehungswissenschaft Fähigkei-
ten vermittelt zu bekommen, die ihnen das Unterrichten ermöglichen. (Vgl. Blö-
meke et al. 2006) Den theoretischen Inhalten der Lehramtsausbildung, insbeson-
dere denen der ersten Ausbildungsphase – hier unter anderem auch dem fachwis-
senschaftlichen Wissen – werde ein geringerer Wert für den späteren Berufsalltag
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zugesprochen. Die Veranstaltungen an der Universität werden als praxisfern und
nur wenig anschlussfähig bewertet und können nur schwer mit den Berufsanforde-
rungen verknüpft werden. (Vgl. Blömeke et al. 1999; Cramer et al. 2009; Sacher
1988) Nur vereinzelt werden Ergebnisse dargestellt, in denen die Studierenden die
wissenschaftliche Ausbildung und die Beschäftigung mit der Forschung als posi-
tiv und bedeutsam beurteilen. (Vgl. Blömeke et al. 2006)
Das Praktikum bzw. die schulpraktischen Studien erhalten, wenn sie die Möglich-
keit zum Unterrichten ermöglichen und einen Einblick in das Berufsfeld der
Lehrperson gewähren, ausschließlich positive Bewertungen. (Vgl. Hascher 2006;
Weyland/Wittman 2010) In der Literatur zur Bewertung des Praxisbezugs wird
ein weitgehend homogenes Bild der Lehramtsstudierenden gezeichnet, das durch
ein „[D]enken von der Praxis her“ (Cramer et al. 2009, 776) charakterisiert zu sein
scheint. Im Gegensatz zu der in der Literatur tendenziell einseitig dargestellten
Sichtweise der Studierenden, wird in der Theorie der Lehrerbildung davon ausge-
gangen, dass zwei Aufgaben zu bewältigen sind, um eine „professionelle Ent-
wicklung der Lehrerinnen und Lehrer anzuregen“ (Blömeke et al. 2006, 178).
Zum einen soll Theoriewissen, zum anderen aber auch praktisches Handlungswis-
sen vermittelt werden. Professionelles Lehrerhandeln besteht aus professionstheo-
retischer Sicht aus drei Komponenten. Eine Lehrkraft sollte angelehnt an die Aus-
führungen zur Lehrerbildung von Bayer et al. (1997) „über generalisierbares theo-
retisches Begründungswissen“ (Weyland/Wittman 2010, 19) verfügen, sie sollte
aber auch über praktisches Handlungswissen verfügen. Als dritte Komponente sei
die Aufmerksamkeit auf die Person, also auf die individuellen Lehramtsstudieren-
den zu richten, denn nach Weyland/Wittman (2010) erfordere „Professionalität
immer auch eine Selbstreflexionskompetenz“ (ebd. 19). In Bezug auf Praxispha-
sen in der Lehramtsausbildung gehen Weyland/Wittmann davon aus, dass eine
erkenntnisbezogene Perspektive, eine handelnd-pragmatische Perspektive und
eine selbstreflexions- und entwicklungsbezogene Perspektive durch die Praxis-
phasen im Studium angesprochen werden. (Vgl. ebd. 20) Um der oben dargestell-
ten Theoriefeindlichkeit entgegenzutreten, können die Praxisphasen im Studium
zugleich die Chance eröffnen, ein „In-Beziehung-Setzen der Bezugssysteme
‚Wissenschaft und Praxis‘“ (ebd. 21) zu ermöglichen. Durch diese Auseinander-
setzung mit Wissenschaft auf der einen und Praxis auf der anderen Seite, erhalten
die Studierenden die Möglichkeit, sich ein eigenes Bild von „der gegebenen struk-
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turellen Differenz von theoretischem Reflexionswissen und praktischem Hand-
lungswissen“ (ebd., 21) zu machen. So soll nach Weyland/Wittmann eine „me-
takognitive Fähigkeit der Studierenden bzgl. des Umgangs mit Theoriewissen“
(ebd. 21) gefördert werden. Wenn die Studierenden die sich in diesem Spannungs-
feld zwischen Theorie und Praxis bewegen, in den Mittelpunkt gerückt werden,
drängt sich die Frage in den Vordergrund, wie sie individuell mit der Spannung
zwischen Theorie und Praxis umgehen. An dieser Stelle kann nach den Subjekti-
ven Theorien (vgl. Groeben et al. 1988) der Studierenden zum Thema Praxisbe-
zug gefragt werden. Wie bewegen sich die Lehramtsstudierenden in diesem Span-
nungsfeld, das durch das bei Weyland/Wittmann (2010) dargestellte und auf Bay-
er et al. (1997) aufbauende Dreieck versucht wird zu umreißen? Welche Strate-
gien bzw. Subjektive Theorien entwickeln die Studierenden, um sich in diesem
Spannungsfeld zurecht zu finden, besonders, wenn die durchaus positiven Ein-
schätzungen bezüglich der handelnd-pragmatischen Perspektive und die eher als
unbedeutend bewertete erkenntnisbezogene Perspektive außen vor gelassen wer-
den?
Tina Hascher (2006) charakterisiert die Subjektiven Theorien von Studierenden
zum Lernen im Praktikum folgendermaßen. Die Meinungen der Studierenden
seien von dem Wunsch geprägt, im Praktikum „vielseitige Erfahrungen sammeln“
(ebd. 133) zu können, wobei nach Hascher hier das Lernen fälschlicherweise mit
dem Sammeln von Erfahrungen gleichgesetzt werde. Die Studierenden verlangen,
wie in den oben zusammenfassend dargestellten Beurteilungen des Studiums,
nach „Tipps und konkreten Hinweisen, wie Unterricht gelingen kann.“ (ebd. 133)
Obwohl sie wissen, dass auch das Praktikum, genauso wie das Studium einen „ge-
schützte[n] Raum“ (ebd., 133) darstellt, werde darin trotzdem der reale Schulall-
tag gesehen. Im Gegensatz dazu werde den Theoretikern nur ein geringer Bezug
zur Schule zugesprochen. Unter den Studierenden herrsche das Vorurteil, dass
Theoretiker nur „wenig für die Schulpraxis liefern können, allein schon weil sie ja
nicht (mehr) an der Schule unterrichten“. (ebd. 134)
Das Forschungsprogramm STEP, widmet sich der näheren Betrachtung der Sub-
jektiven Theorien von Studierenden zum Praxisbezug. Es konnten hierbei zwei
subjektive Praxiskonzepte identifiziert werden, welche, weil sie eine Grundlage
dieser Arbeit darstellen, im Folgenden kurz wiedergegeben werden sollen. Bei
dem ersten Praxiskonzept (Praxiskonzept A) handelt es sich um ein Konzept, in
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dem der direkte Anwendungsbezug und somit, wie Weyland/Wittmann (2010) es
beschreiben, die handelnd-pragmatische Perspektive im Vordergrund steht:
VertreterInnen dieser Merkmalsausprägung […] wünschen sich den Erwerb von ‚Anwendungswissen‘ im Studium und sind stark fokussiert auf die direkte An-wendungspraxis. Bei einigen der Studierenden zeigt sich eine geringe Fähigkeit bzw. Breitschaft zum Transfer und die Nachfrage ‚rezeptologischen Wissens‘. (Schüssler et al. 2012, 5)
Das Praxiskonzept A deckt sich weitgehend mit den oben dargestellten Subjekti-
ven Theorien zum Lernen im Praktikum von Hascher (2006). Die Studierenden
fordern mehr Praxis, nehmen eher eine distanzierte Haltung zur Theorie ein, mes-
sen den Praxisphasen einen sehr hohen Stellenwert bei, sind dann aber eher von
der entsprechenden Umsetzung der Praxisphasen enttäuscht. Im Fokus ihres Ler-
nens stehen immer der Unterricht und das spätere eigene Unterrichten. (Vgl.
Schüssler et al. 2012)
In dem zweiten identifizierten Praxiskonzept (Praxiskonzept B) steht die Relatio-
nierung von Theorie und Praxis im Vordergrund:
Von VertreterInnen einer weiteren Gruppe von Studierenden […] wird in der Re-gel ebenfalls eine mangelnde Anwendungsrelevanz der Studieninhalte für Lehr-amtsstudierende bemängelt. Sie kritisieren, dass Bezüge zur schulischen Praxis in den Veranstaltungen teilweise gar nicht, teilweise nur oberflächlich hergestellt werden, und wünschen sich, dass die Perspektive von Lehramtsstudierenden im Studium stärker berücksichtigt wird. Ergo: Viele von ihnen sind interessiert an fachwissenschaftlichen Inhalten, wünschen sich aber gleichzeitig einen stärkeren Bezug zum Handlungsfeld Schule. Mehrere Studierende erläutern, dass es im Studium um wichtige Kompetenzen gehe, wie strukturiertes Denken, Problemlö-sen, Zeitmanagement, Lesetechniken, das eigenständige Erarbeiten von Fachin-halten, Recherchieren oder ein Grundverständnis der jeweiligen Materie. (Schüss-ler et al. 2012, 6 f.)
Der Fokus in dieser Gruppe liegt bei dem Wunsch einer Verknüpfung von Theorie
und Praxis. Praxisphasen stellen für sie dabei eine Möglichkeit unter vielen ande-
ren dar, Praxisbezug herzustellen. Wichtig ist ihnen dabei immer auch die wissen-
schaftliche Begleitung und Reflexion. (Vgl. Schüssler et al. 2012) Die Gruppe des
Praxiskonzeptes B setzt sich unter Rückbezug auf die von Weyland/Wittmann
(2010) dargestellte professionstheoretische Grundlage zum einen mit der erkennt-
nisbezogenen Perspektive, also der Wissenschaft, und zum anderen mit der han-
delnd-pragmatischen Perspektive, also der Praxis auseinander.
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3. Theoretische Erklärungen – Subjektive Theorien
Da diese Arbeit die Struktur Subjektiver Theorien untersuchen möchte, erscheint
es notwendig, im Vorhinein zu erläutern, was unter Subjektiven Theorien verstan-
den wird. Diese Untersuchung legt diesbezüglich die Auffassung des Forschungs-
programms Subjektive Theorien (Groeben et al. 1988) zu Grunde. Das FST2 legt
seinen Ausführungen zu Subjektiven Theorien eine ganz spezielle Menschenbild-
annahme zu Grunde, welcher sich diese Arbeit anschließt und die deshalb an die-
ser Stelle kurz erläutert werden soll. Laut dieser Menschenbildannahme wird das
Handeln des Menschen im Gegensatz zu seinem Verhalten beschrieben. Damit
grenzt sich das FST von behavioristischen Theorien, aber auch von darauf auf-
bauenden Ansätzen, wie dem Informationsverabeitungsansatz oder auch Theorien
zur Artificial Intelligence ab. Ein Bild des Menschen wird abgelehnt, das ihn als
mechanistisch ansieht. (Vgl. Groeben et al. 1988, 13)
Dem FST legt als Menschenbildannahme ein epistemologisches Subjektmodell zu
Grunde, in dem der „Mensch als handelndes Subjekt mit den Merkmalen der In-
tentionalität, Reflexivität, potentiellen Rationalität und sprachlichen Kommunika-
tionsfähigkeit“ (ebd., 16) gesehen wird. Des Weiteren schließt diese Menschen-
bildannahme ein, dass der Mensch parallel zum Selbstbild des Wissenschaftlers
konzipiert wird. So wird dem Erkenntnis-Objekt, der Mensch oder die Person, auf
die das Forschungsinteresse gerichtet ist, die Fähigkeit zugesprochen, zwar nicht
wissenschaftliche, aber Subjektive Theorien aufzustellen, diese zu prüfen und
anzuwenden. (Vgl. ebd., 17)
Unter dem Begriff Subjektive Theorien sind „komplexe Aggregate von Konzep-
ten“ (ebd., 18) zu verstehen, deren Struktur und Funktion parallel zu der Struktur
und Funktion von wissenschaftlichen Theorien gesehen werden kann. Dabei soll-
ten die kognitiven Konzepte „in Form von zumindest impliziten Argumentations-
strukturen verbunden“ (ebd., 18) sein, sie bilden relativ überdauernde kognitive
Strukturen ab. Diese argumentativ verbundenen kognitiven Konzepte werden un-
terschieden von Einzelkognitionen, wie zum Beispiel Aneinanderreihungen von
Begriffen. Wird die Struktur Subjektiver Theorien in den Vordergrund der Be-
trachtung gestellt, muss erläutert werden, dass es sich bei Subjektiven Theorien
zum Beispiel um generelle Sätze handelt, in denen eine Person aus „vorliegenden
2 Im Folgenden wird im fortlaufenden Text das Forschungsprogramm Subjektive Theorien mit FST abgekürzt.
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Prämissen Schlußfolgerungen“ (Groeben et al., 18) ableitet. Ein durch den hinein-
spielenden Theoriebegriff wichtiger Aspekt bezüglich der Struktur Subjektiver
Theorien ist, „daß die Kognitionen [wie oben schon angedeutet] in einem Ver-
hältnis zueinander stehen“ (ebd., 18) sollten, was wiederum bedeutet, dass
Schlussfolgerungen unbedingt ermöglicht werden sollten. An dieser Stelle gibt es
jedoch nach Groeben et al. (1988) keine weitere Festlegung der Form oder Struk-
tur Subjektiver Theorien mit der Begründung, „den Begriff der ‚Subjektiven The-
orie‘ bewusst offen […] halten“ (ebd., 18) zu wollen. Mit der Parallelität zu wis-
senschaftlichen Theorien werden den Subjektiven Theorien weitere Strukturas-
pekte zugesprochen. Sie dienen, wie wissenschaftliche Theorien, „der Erklärung,
Prognose und Technologie“. (ebd., 19) Teilinstanzen der Subjektiven Theorien
können in Parallelität zu wissenschaftlichen Theorien subjektive Problemstellun-
gen, Konstrukte, Definitionen, Explikationen, Daten, Erklärungen, Prognosen
oder Technologien sein. Im Vergleich zu wissenschaftlichen oder objektiven The-
orien bemerken Groeben et al jedoch, dass Subjektive Theorien „geringere Expli-
kations-, Präzisions-, etc. Anforderungen erfüllen“ (ebd., 48). Das FST weist des-
wegen darauf hin, dass die Strukturaspekte der Subjektiven Theorien weitaus libe-
raler aufgefasst werden können, als Strukturaspekte wissenschaftlicher Theorien
aufgefasst werden. (Vgl. ebd., 46)
Das FST unterscheidet eine weite von einer engen Begriffsvariante des Begriffs
Subjektive Theorien. In dieser Arbeit steht „[d]ie engere Begriffsexplikation von
Subjektiven Theorien“ (ebd., 22) im Vordergrund. Es wird versucht, mit dem me-
thodischen Vorgehen dieser Begriffsvariante zum Teil gerecht zu werden. Die
beiden Begriffsvarianten unterscheiden sich nur dadurch, dass die engere Be-
griffsvariante strenger an die Menschenbildannahmen des FST geknüpft ist als die
weite Begriffsvariante. So werden Subjektive Theorien in der weiten Begriffsex-
plikation beschrieben als:
- Kognitionen der Selbst- und Weltsicht, - als komplexes Aggregat mit (zumindest impliziter) Argumentationsstruktur, - das auch die zu objektiven (wissenschaftlichen) Theorien parallelen Funktionen - der Erklärung, Prognose, Technologie erfüllt. (ebd., 19)
In der engen Variante kommen zwei Aspekte zu den genannten hinzu. Subjektive
Theorien müssen hier „im Dialog-Konsens aktualisier- und rekonstruierbar“ (ebd.,
22) sein und des Weiteren muss die Akzeptierbarkeit der Subjektiven Theorien
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„als ‚objektive‘-Erkenntnis zu prüfen“ (Groeben et al., 22) sein. Auf die enge Be-
griffsexplikation wird im Kapitel zur kommunikativen Validierung genauer ein-
gegangen.
Wahl (2005) unterscheidet neben der engen und weiten Begriffsexplikation von
Subjektiven Theorien weiterhin mehrere Arten dieser, indem er die Subjektiven
Theorien in Bezug zu ihrer Wirkung auf das tatsächliche Handeln betrachtet. Er
unterscheidet dabei Subjektive Theorien großer, mittlerer und geringer Reichwei-
te. (Vgl. Wahl 2005, 19) Subjektive Theorien großer und mittlerer Reichweite
sind „[a]ufgrund ihrer Binnenstruktur […] nicht direkt an der Steuerung mensch-
lichen Verhaltens beteiligt.“ (ebd., 20) Als komplexe Kognitionen der Selbst- und
Weltsicht können sie als elaboriertes Netzwerk angesehen werden, mit dem eigene
Handlungsweisen und Vorgänge in der Welt erklärt werden können. Subjektive
Theorien mittlerer Reichweite wurden zum Beispiel zu Themen wie Aggression,
didaktischen Vorstellungen oder Lernen erhoben. Es ist anzumerken, dass sich
Subjektive Theorien mittlerer und großer Reichweite eindeutig schneller verän-
dern lassen als Subjektive Theorien geringer Reichweite, welche bei raschem
Handeln unter Druck relevant sind. Verändert wurden die subjektiven Theorien
mittlerer Reichweite zum Beispiel dadurch, dass das Wissen der Befragten Perso-
nen mittels wissenschaftlicher Theorien erweitert wurde. Beobachtbares Handeln
wurde dadurch aber nicht verändert, weil sich das Handeln, wie gesagt, vor allem
in Drucksituationen an den Subjektiven Theorien geringer Reichweite orientiert.
(Vgl. Wahl 2005, 20)
Da in dieser Arbeit das Handeln unter Druck nicht erhoben wird und auch kein
Handeln beobachtet werden soll, sondern es um Meinungen; Ansichten und Wis-
sen zum Thema Praxisbezug geht, orientiert sich diese Arbeit an der Auffassung
von Subjektiven Theorien mittlerer Reichweite, welche nicht unmittelbar das
Handeln beeinflussen.
4. Methodisches Vorgehen
4.1 Sample
Im Rahmen der dieser Arbeit zu Grunde liegenden Befragung wurden zwölf Lehr-
amtsstudierende der Universität Paderborn interviewt. Neun dieser Interviews
gehen in die Auswertung ein. Das Sample setzt sich aus sieben weiblichen und
zwei männlichen Befragten zusammen. Da es sich um eine qualitative Analyse
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handelt und gendervergleichenden Fragestellungen keine Rolle spielen, wurde bei
der Rekrutierung nicht auf einen Ausgleich zwischen männlichen und weiblichen
Befragten geachtet. Alle Befragten befinden sich zur Zeit der Befragung in einem
Alter zwischen 22 und 26 Jahren. Drei der Befragten sind am Ende ihres Grund-
studiums, im vierten Semester, fünf der Befragten befinden sich zur Zeit der Be-
fragung in der Examensphase, also am Ende ihres Studiums. Im Sample finden
sich drei Studierende, die das Lehramt für Grundschulen studieren, zwei Studie-
rende, die das Lehramt für Haupt- und Realschulen belegen und vier Studierende,
die das Lehramt für Gymnasien und Gesamtschulen studieren. Drei der Befragten
belegen in ihrem Studium ein tendenziell praktisches Fach (Sport oder Hauswirt-
schaft). Vier der Befragten nahmen an dem Interview teil, weil sie sich aufgrund
des Themas ihrer schriftlichen Examensarbeiten ebenfalls für das Thema Praxis-
bezug des Studiums interessierten. Diese Befragten sollten das Interview vorberei-
tend für das Schreiben ihrer Examensarbeit durchführen. Wichtig ist dabei zu er-
wähnen, dass diese Befragten genauso wie die anderen fünf Teilnehmer/innen, die
sich freiwillig aufgrund von über diverse Universitätsverteiler verbreitete E-Mail-
Aufrufe zur Verfügung stellten, im Vorfeld des Interviews ausschließlich das
Thema des Interviews „Praxisbezug des Studiums“ mitgeteilt bekamen, keine
eigenen wissenschaftlichen Nachforschungen anstellten und sich im Vorhinein
auch nicht mit Kommilitonen/innen über dieses Thema austauschen sollten. Alle
Teilnehmer/innen wurden vor dem Interview über das Vorgehen bei der anschlie-
ßenden Auswertung informiert. Sie willigten ein, dass das Interview aufgenom-
men, transkribiert, anonymisiert und ausgewertet wird. Sie bekamen außerdem
vor dem Interview einen kurzen Fragebogen, mit dem harte biographische Fragen
erfasst wurden. Eine Tabelle, in der alle durch den Fragebogen erfassten Daten
zusammengefasst sind befindet sich in Anhang 1.
4.2 Interviewleitfaden
Das Interview behandelt ausschließlich Fragen zum Praxisbezug des Studiums.
Der Interviewleitfaden, welcher sich im Anhang 2 befindet, ist angelehnt an die in
Kapitel 2 dargestellte Auswertung des STEP-Projekts zu Praxiskonzepten. Der
den für diese Arbeit geführten Interviews zu Grunde liegende Interviewleitfaden
stellt eine Mischung aus Leitfadeninterview und Konstruktinterview (vlg. König
2005, Helfferich 2011) dar. Im Gegensatz zum ersten Sample, das im Rahmen des
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STEP-Projektes erhoben wurde, wurde bei diesem Interview jedoch auf lange
narrative Sprechanteile der Befragten verzichtet. Aufgrund des Vorwissens über
Aspekte des Themas Praxisbezug im Studium und des Wissens über mögliche
Problemfelder zum Thema Praxisbezug aus den Untersuchungen bezüglich des
ersten Samples des STEP-Projektes, verliefen diese Interviews deutlich interve-
nierender, es wurde mehr und gezielter nachgefragt. Im Mittelpunkt des Interesses
stand, ein Verständnis dafür zu entwickeln, was der Interviewte versuchte mitzu-
teilen. Hohe Aufmerksamkeit wurde Aspekten von Praxisbezug geschenkt, die im
ersten Sample als zentrale Charakteristika von Praxisbezug den beiden Praxiskon-
zepten zugeordnet wurden. (Vgl. Schüssler et al. 2012) Wenn solche Aspekte im
Interview zwar angesprochen, aber nicht weiter erläutert wurden, wurde explizit
an diesen Stellen nachgefragt (z.B.: „Was verstehst du darunter, dass die Schule
die Wirklichkeit ist?“). Aufgrund dieser Fragetechnik lassen sich deutlich weniger
lange eigenständige Redeanteile der Befragten finden. Des Weiteren wurde zum
Teil intervenierend nachgefragt, wenn sich die Interviewten wiedersprachen,
wenn Ungereimtheiten in den Aussagen der Befragten auftraten oder wenn mögli-
che Zusammenhänge zwischen verschiedenen Aussagen nicht deutlich genug
wurden. Versucht wird die Theorieförmigkeit der Studierendenaussagen angelehnt
an die Struktur Subjektiver Theorien (vgl. Groeben et al. 1988) mehr in den Vor-
dergrund zu rücken und zu unterstreichen.
Der Interviewleitfaden besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil steht das allgemei-
ne Verständnis vom Praxisbezug der Studierenden im Mittelpunkt. Die Leitfragen
erfragen allgemeine Assoziationen zum Thema Praxisbezug, zielen aber auch auf
konkrete Erfahrungen mit Praxisbezug im Studium ab. Durch eine Perspektiv-
wechselfrage, bei der die Studierenden den Praxisbezug des Studium aus der Sicht
eines/einer Dozenten/in reflektieren sollen, wird versucht den Studierenden eine
andere Sichtweise auf das Thema zu ermöglichen, um sie dazu zu bewegen, ihre
eigene Position besser darstellen zu können. Durch einen Perspektivwechsel er-
halten die Befragten die Möglichkeit, sich die „eigenen Gedanken, Gefühle und
Routinen“ (Wahl 2002, 16) bewusst zu machen und sich mit diesen zu beschäfti-
gen. Eine „egozentrische Sichtweise kann […] dazu führen, dass […] die Realität
nicht adäquat ein[ge]schätz[t] [wird], Situationen falsch interpretier[t] und folglich
ungeeignete Handlungsmöglichkeiten [ergriffen]“ (Wahl 2005, 56) werden. Des
Weiteren wird mittels weiterer Fragen der Begriff „Beruf“ in das Interview mit
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eingebracht. Hierbei werden die Studierenden aufgefordert, die Begriffe Studium,
Praxis und Beruf in Beziehung zu setzen, aber auch die ihnen durch das Studium
zuteilwerdende Berufsvorbereitung einzuschätzen.
Im zweiten Teil des Interviews werden die Studierenden zum einen mit Teilen
fremder Subjektiver Theorien konfrontiert. Sie erhalten aber auch die Möglich-
keit, ihre eigene Subjektive Theorie oder ihr bisher erdachtes Konzept in praxis-
nahen Fallbeispielen anzuwenden. Aus den Interviews des ersten Samples des
STEP-Projektes wurden, angelehnt an die Praxiskonzepte A und B (vgl. Schüssler
et al. 2012) die zum Thema Praxisbezug des Studiums formuliert werden konnte,
drei Zitate ausgewählt, die jeweils prototypisch Teilaspekte des Praxiskonzeptes
A (Direkter Anwendungsbezug und handelnd-pragmatische Perspektive), des Pra-
xiskonzeptes B (Relationierung von Theorie und Praxis) und eines Mischkonzep-
tes wiedergeben, das weder Praxiskonzept A noch zum Praxiskonzept B zugeord-
net werden kann. Den Studierenden wurden die verschiedenen Zitate mit besonde-
rer Betonung der für das Konzept typischen Textstellen vorgetragen und sie hatten
daraufhin selbst die Möglichkeit, sich die Zitate nochmals durchzulesen. Darauf-
hin wurden sie gebeten, sich einem der drei Zitate zuzuordnen oder falls dies nicht
möglich sei, Ansichten der Zitate, die auf jeden Fall nicht zu ihnen passen, auszu-
schließen. In einer Studie von Ludwig Haag und Christoph Mischo (2003) zur
Verbesserung des Gruppenunterrichts in Schulen durch die Auseinandersetzung
mit fremden Subjektiven Theorien wurde festgestellt, dass
die direkte Auseinandersetzung mit Subjektiven Theorien zu einem ‚Aufbrechen‘ eigener Wissensstrukturen und einem besseren handlungsbezogenen Umsetzen von Trainingsinhalten führen kann. (Haag/Mischo 2003, 37)
Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wird angenommen, dass die Studierenden
durch die Auseinandersetzung mit Teilen fremder Subjektiver Theorien besser in
der Lage sind, ihre eigenen Subjektiven Theorie zu explizieren oder aber auch ihr
Denken, ihre Ansichten und Meinungen zu erweitern. Ob eine Auseinanderset-
zung auch in dem Rahmen dieser kleinen Stichprobe zu einer Erweiterung des
jeweiligen Konzepts der Studierenden beiträgt, soll zum Abschluss diskutiert
werden.
In vier darauf folgenden Fallbeispielen bzw. Vignetten erhielten die Interviewten
die Möglichkeit, ihre Ansichten und Meinungen zu elaborieren. An dieser Stelle
muss jedoch bemerkt werden, dass es sich bei Vignetten um hypothetische Ge-
14
schichten handelt und keinesfalls von dem hypothetischen oder erdachten Han-
deln der Studierenden in den Fallgeschichten auf das Handeln in realen Situatio-
nen geschlossen werden sollte, denn „we do not know enough about the relations-
hip between vignettes and real life responses to be able to draw parallels between
the two.“ (Hughes 1998, 384) Bei Vignetten handelt es sich um kurze Fallbeispie-
le oder Szenarien, welche charakterisiert werden können als „[s]tories about indi-
viuals, situations and structures which can make reference to important points in
the study of perceptions, beliefs and attitudes“ (Hughes 1998, 381). Diese Szena-
rien sollen bei den Befragten bestimmte kognitive Prozesse auslösen. Den Studie-
renden wird, wie im Fallbeispiel 1, 2 oder 3, eine bestimmte Ausgangssituation
oder einer Problemstellung vorgegeben, die in einer kurze Geschichte eingebun-
den ist. Den Interviewteilnehmern/innen wurden diese Fallbeispiele genauso wie
die Zitate jeweils einmal vorgelesen, sie erhielten aber danach die Möglichkeit
diese Fallbeispiele noch einmal in Ruhe nachzulesen. Dabei sollten die Vignetten
für die Studierenden „schnell erfassbar, dem Publikum angepasst, wahrscheinlich,
konkret aber nicht zu spezifisch“ (Atria et al 2006, 237) sein. Ein Kriterium, das
nach Atria et al. (2006) eine gute Vignette ausmache, nämlich, dass „beobachtba-
res Verhalten und keine Interpretationen“ (ebd., 238) dargestellt werden sollen,
wurde bewusst nur zum Teil umgesetzt, da im Zusammenhang dieser Arbeit be-
sonders die Interpretationen der in den Vignetten bewusst offen gelassenen Stellen
interessieren. Zum Beispiel wurde im Fall 1 und 2 offen gelassen, aus welchen
Gründen, die Schülerinnen und Schüler dem Unterricht nicht teilhaben oder gut
im Unterricht mitmachen. Desweiteren wurde bewusst nicht gesagt, was sich im
Fall 3 in dem Ordner „Hilfe für Alles!“ befindet, um den Studierenden gerade an
dieser Stelle Anlass zu geben, sich, ohne dass sie konkret aufgefordert werden,
persönliche Gedanken zu machen und zu spekulieren, was die Gründe für einen
guten/schlechten Unterrichtsverlauf oder welche Inhalte in einem solchen Ordner
enthalten sein könnten. Bei der Konstruktion des ersten und zweiten Fallbeispiels
wurde speziell darauf geachtet, dass der Interviewte nicht selbst die Person ist, die
während des Praktikums hypothetisch in eine problematische Lage gerät – wären
die Fallbeispiele so angelegt, würden sie zu sehr dem Praxiskonzept A entspre-
chen und die Befragten in diese bestimmte Richtung drängen. Die Interviewten
sollten in eine Expertenrolle bzw. Beraterrolle schlüpfen, die ihnen sowohl er-
möglicht, mit theoretischem Wissen aus dem Studium als auch mit Hilfe eigener
15
oder fremder praktischer Schulerfahrungen zu beraten. Dies erscheint wichtig, um
die Anwendungsmöglichkeit der eigenen Subjektiven Theorie nicht schon durch
das Szenario, in das eine Person versetzt wird, einzuschränken. Im dritten Fall
sehen die Studierenden einen Ordner im Regal ihrer Freundin – auch hier geht es
bewusst um den Ordner eines Freundes, nicht den eigenen – und sollen sich nun
vorstellen, was in diesem Ordner enthalten sein könnte. Durch den sehr vagen
Titel des Ordners „Hilfe für alles“ werden sowohl der Inhalt, als auch die Situati-
onen, in denen dieser Inhalt eingesetzt werden kann, offengelassen. Durch den
Kontext, dass es sich bei der Freundin/dem Freund auch um eine/n Lehramtsstu-
dierende/n handelt und durch den zusätzlichen Kontext des Interviewthemas
„Praxisbezug“, sind die möglichen Situationen jedoch entweder auf den Universi-
täts- oder auf den Schulkontext beschränkt. Des Weiteren beschränken sich
dadurch auch die Inhalte auf Wissen aus dem Studium oder Wissen, das durch
eigene Erfahrungen erlangt wurde.
Das vierte Fallbeispiel führt die Studierenden zwar nicht in eine moralische, aber
dennoch in eine Dilemma-Situation. Sie werden durch das vorgegebene Szenario,
das ihnen durch ihren Universitätsalltag vertraut ist, gezwungen, sich für ein Se-
minar zu entscheiden. Dabei sind die Seminartitel, welche den Studierenden vor-
liegen, jeweils so konstruiert, dass sie sowohl einen Theorieanteil besitzen als
auch einen Praxisanteil. Bei dem ersten Seminartitel „Erziehung und Bildung –
ausgewählte Konzepte und Theorie“ handelt es sich um ein klassisches Seminar,
wie es im Modul B „Erziehung und Bildung“ des erziehungswissenschaftlichen
Studiums der Lehramtsstudiengänge vertreten ist. Der Seminartitel an sich soll
sich zunächst sehr theoretisch anhören. Ein Praxisanteil wird dem Seminar
dadurch hinzugefügt, dass hier Exkursionen zu verschiedenen Schulen geplant
sind, in denen versucht werden soll, die erlernten Konzepte zu erproben und an-
zuwenden. Der zweite Seminartitel „Schule als Lebensort gestalten – Über Schul-
reformen und Ganztagsschulen“ enthält schon im Titel einen direkten Bezug zur
Schule. Durch die weitere Beschreibung des Seminars wird aber dennoch hervor
gestellt, dass hier auch Konzepte und Reformen des Schulwesens, also Theorie
thematisiert wird. Durch dieses Fallbeispiel soll die Entscheidung, aber im Beson-
deren auch die Begründung der Entscheidung erfragt werden.
16
4.3 Auswertung
Die Auswertung der Interviews ist in zwei Arbeitsschritte gegliedert. Zum einen
wird zu jedem Interview eine Einzelfalldarstellung verfasst, zum anderen wird
angelehnt an die Qualitative Inhaltsanalyse mittels der strukturierenden Inhaltsan-
alyse (vgl. Mayring 2010) ein Kategoriensystem erstellt, mit dem versucht wird,
die Struktur der Subjektiven Theorien zum Thema Praxisbezug zu erfassen und
darzustellen. Im Folgenden sollen beide Arbeitsschritte näher erläutert werden.
In einem ersten Schritt wird jedes Interview als Einzelfall analysiert. Der Zweck
dieser Analyse liegt darin, auf der einen Seite einen Überblick über das umfang-
reiche Interviewmaterial zu erlangen, indem jedes Interview in eine zusammenge-
fasste, kompakte Form gebracht wird. Zum anderen werden die Einzelfalldarstel-
lungen auch angefertigt, um sie den Interviewpartnern/innen in einer kommunika-
tiven Validierung als Rekonstruktion ihrer Subjektiven Theorien zur Prüfung vor-
zulegen. Das methodische Vorgehen bezüglich der Einzelfalldarstellungen wird in
Kapitel 5 noch näher erläutert werden, das der kommunikativen Validierung in
Kapitel 8.
In einem zweiten Arbeitsschritt wird die Struktur der Subjektiven Theorien zum
Thema Praxisbezug mit Hilfe eines teilweise deduktiv und teilweise induktiv ge-
wonnenen Kategoriensystems dargestellt. Dabei wird jedoch nicht der Frage
nachgegangen, welche inhaltlichen Aspekte zum Praxisbezug genannt werden.
Die Aufmerksamkeit gilt hier allein der Argumentationsstruktur und somit den
formalen Aspekten Subjektiver Theorien. Bereits bei der Analyse des ersten
Samples des STEP-Projektes fiel auf, dass die Subjektiven Theorien der Studie-
renden sowohl inhaltlich als auch formal eine große Vielfalt an Aspekten aufwei-
sen, aber auch oft unschlüssig und unzusammenhängend erscheinen. Um diese
vielfältigen Aspekte untersuchen zu können, wird ein deduktives Kategoriensys-
tem angelegt, dass sich anlehnt an den von Groeben et al. (1988) definierten Be-
griff der Subjektiven Theorien und an die formalen Aspekte von Subjektiven
Theorien, welche von Dann et al. (1987) und Haag/Dann (2001) im Rahmen von
Studien zu Subjektiven Theorien und ihrem Einfluss auf erfolgreiches Handeln
definiert werden. Auch auf die Erstellung des Kategoriensystems wird im entspre-
chenden Kapitel genauer eingegangen. Auf der Basis dieses Kategoriensystems
17
wird eine strukturierende Inhaltsanalyse vorgenommen. (Vgl. Mayring 2010, S.
92 ff.)
5. Einzelfalldarstellungen:
Das methodische Vorgehen bei der Erstellung dieser Einzelfalldarstellungen ist
angelehnt an das Vorgehen der dokumentarischen Methode. (vgl. Bohnsack 2003)
Die dokumentarische Methode schlägt ein klar unterteiltes zweiphasiges Interpre-
tationsvorgehen vor, welches sich aus formulierender und reflektierender Interpre-
tation zusammensetzt. Im ersten Arbeitsschritt, der formulierenden Interpretation,
wird herausgestellt, „was (wörtlich) gesagt wird“ (Bohnsack 2003, 43). Es wird
also versucht, den wörtlichen Sinn des Textes, in unserem Fall des Interviewmate-
rials festzuhalten. Der zweite Arbeitsschritt, die reflektierende Interpretation, stellt
im Gegensatz zum ersten Arbeitsschritt die Frage in den Mittelpunkt, „wie ein
Thema, d.h. in welchem Rahmen es behandelt wird.“ (ebd., 43) Es beleuchtet ein
Wissen, das sich ein Individuum innerhalb eines bestimmten Erfahrungsraumes
wie zum Beispiel der Familie „milieuspezifisch oder auch individuell-
fallspezifisch“ (ebd., 43) aneignet. Dieses Wissen steht im Zusammenhang mit
den Subjektiven Theorien, die „aus Phänomenen der Selbst- und Weltsicht des
reflexiven Subjekts besteh[en]“ (Groeben et al. 1988, 19). So bieten uns die Ar-
beitsschritte der dokumentarischen Methode bei der Erstellung der Einzelfallana-
lysen und somit auch der Rekonstruktion der Subjektiven Theorien einen guten
Anhaltspunkt, indem sowohl dasjenige rekonstruiert wird, was der Befragte sagt,
als auch – besonders im Hinblick auf die Subjektiven Theorien – wie, also in wel-
chem Rahmen er oder sie bestimmte Aspekte von Praxisbezug behandelt. Hierbei
wird besonders die Argumentationsstruktur der Interviews berücksichtigt und,
angelehnt an die Struktur der Subjektiven Theorien, in besonderer Weise auf die
Theorieförmigkeit der Aussagen und den Verlauf oder die Entwicklung dieser im
Interview geachtet.
Bei der Erstellung der Einzelfalldarstellungen standen folgende Kriterien und
Fragestellungen im Vordergrund:
- Wie sieht die Subjektive Theorie der oder des Interviewten aus?
- Lässt sich überhaupt eine Subjektive Theorie rekonstruieren?
- Wie sieht die argumentative Struktur der Subjektiven Theorie aus?
18
- Verändert sich die Subjektive Theorie im Verlauf des Interviews? Gibt es
eine Weiterentwicklung, Zurückentwicklung oder Überhaupt eine Ent-
wicklung?
An dieser Stelle sollen exemplarisch und zur Veranschaulichung die vier Einzel-
falldarstellungen angeführt werden, die jeweils in einem zweiten Schritt kommu-
nikativ validiert wurden. Die Einzelfalldarstellungen von Sara, Gisela, Mia, Leo-
nie und Viola befinden sich der Vollständigkeit halber im Anhang 3.
5.1 Kathrin
Kathrins Konzept von Praxisbezug beinhaltet zwei Hauptaspekte. Gleich zu An-
fang des Interviews stellt Kathrin heraus, dass sie im Studium Inhalte lernen
möchte, die sie in ihrem späteren Beruf anwenden kann. Im Interviewverlauf dif-
ferenziert sie dann zwischen „wirklicher“ Praxis, also Praxis, die sie im alltägli-
chen Beruf erwartet, und Praxis im Studium. Dem Studium an sich schreibt sie im
Laufe des Interviews eine bedeutende Rolle zu. Durch das im Studium erworbene
Wissen wird es ihr ermöglicht, sich von der Allgemeinheit abzugrenzen. Im Fol-
genden sollen die angesprochenen Aspekte erläutert werden. Es wird außerdem
dargestellt, wie Kathrin die Praxis im Studium und die Vorbereitung auf die Pra-
xis durch das Studium einschätzt. Als letztes wird ihre Position in Bezug auf die
ihr vorgelesenen Zitate erläutert.
Wie oben angedeutet, besagt der erste Gedanke, den Kathrin zum Thema Praxis-
bezug äußert, dass sie während des Studiums Seminare besuchen möchte, in de-
nen sie etwas lernt, dass sie in der Praxis, also in der Schule anwenden kann. In-
begriffen ist hier sowohl theoretisches als auch praktisches Wissen. Sie verlangt
nach einem Repertoire von Handlungsmöglichkeiten, das sie später in ihrem Be-
ruf anwenden kann. Dieses Repertoire beinhaltet zum Beispiel Wissen über Um-
gang mit Störungen im Unterricht. In Bezug auf Theorie beschreibt Kathrin, dass
sie in ihrem Praktikum ihr theoretisches Wissen über bestimmte Schreibweisen
von Grundschulkindern anwenden konnte. Sie erkennt dieses Wissen also als in
der Praxis anwendbar an. Interessant ist, dass sie in beiden Fällen von Wissen und
nicht von bestimmten Fähigkeiten spricht, die sie erlernen möchte. Kathrins Ver-
langen nach Anwendungswissen beschränkt sich jedoch nicht nur auf ihren späte-
ren Beruf als Lehrerin. Sie will außerdem Wissen erlangen, das sie im Berufsall-
tag anwenden kann, das ihr zum Beispiel hilft, theoretische Inhalte zu verstehen
19
oder begründet Meinung zu beziehen. Kathrins Position, dass sie spezielles Wis-
sen in der Praxis anwenden möchte, steht jedoch der Meinung ihrer Eltern gegen-
über, die besagt, dass spezielles Wissen in der Schule nicht zu gebrauchen ist.
Kathrin kommt hier zu einer Übereinkunft bezüglich ihrer eigenen Meinung und
der ihrer Eltern: sie erwartet vom Studium, spezielles Wissen zu erlernen, dass sie
in der Schule anwenden kann und das ihr hilft, mit bestimmten Sachverhalten bes-
ser umgehen zu können.
Neben dem Verlangen nach Anwendungsbezug ist Kathrin bezüglich des Praxis-
bezuges die Nähe zur „Wirklichkeit“ wichtig. Seminare sind besonders gut, wenn
sie einen Seminarinhalt in der „wirklichen“ Praxis, die für sie aus täglichem Un-
terrichten, der Situation des vor-der-Klasse-stehens sowie Unterrichtsvorbereitun-
gen und dem Korrigieren von Klassenarbeiten besteht, wieder findet. Solche Se-
minare haben für Kathrin Wirklichkeitsbezug, wobei Wirklichkeitsbezug in ihrem
Fall gleichzusetzen ist mit Praxisbezug. Auch wenn Kathrin in der Lage ist, Studi-
eninhalte in der „Wirklichkeit“ wiederzufinden, betont sie, dass es im Studium
keine „wirkliche“ Praxis geben kann, was heißt, dass sie durch das Studium oder
im Studium abgeschottet ist von der „Wirklichkeit“. Die Kenntnis des „wirkli-
chen“ Schulalltags ersetzt hier plötzlich die Kenntnis von Theorien. Praktika die-
nen zwar als Überbrückung vom Studium zur „Wirklichkeit“, dennoch ist Kathrin
auch im Praktikum nicht „wirkliche“ Lehrerin, sondern Praktikantin und erreicht
somit auch hier keinen echten Wirklichkeitszustand. Sie bekommt als Praktikantin
somit ein beschönigtes Bild der Wirklichkeit gezeigt. Um der „Wirklichkeit“ im
Allgemeinen auch in der Universität näher zu sein, wählt Kathrin Seminare, die
von Dozenten/innen gegeben werden, die selbst Lehrer/innen sind, weil diese Er-
fahrungen aus der Schule mitbringen. Es zeigt sich in Bezug auf den hohen Stel-
lenwert, den sie der „Wirklichkeit“ zumisst, eine Diskrepanz in Bezug auf Ka-
thrins oben dargelegter Wertschätzung von theoriegebundenem Verstehen.
Der Wechsel zur Dozentinnenperspektive eröffnet Kathrin einen reflektierteren
Blickwinkel auf den Begriff des Praxisbezugs: Er erscheint ihr sehr „kniffelig“.
Dozentinnen sollten nach Kathrins Ansicht viel Fachwissen besitzen, welches sie
in ihrem Alltag anwenden können. Sie sollten in der Praxis möglichst gebildet
wirken. Das Wissen der Dozentinnen ist vor allem begründetes, also theoretisches
Wissen. Durch diesen theoretisch begründeten Wissensfundus grenzt sich die Do-
zentin als Expertin von Nicht-Experten ab. Zum Beispiel antwortet sie nicht allein
20
meinungsbasierend, emotional oder intuitiv, sondern kann begründet in Bezug-
nahme auf Studien und wissenschaftliche Erkenntnisse und Theorien argumentie-
ren. Kathrin übernimmt, wenn auch zunächst eher zögernd, diese Position und
überträgt sie auf ihren eigenen späteren Berufsalltag. So gibt es Gemeinsamkeiten
zwischen Kathrins Studentinnenperspektive und ihrer hypothetischen Dozentin-
nenperspektive. Kathrin möchte auf der einen Seite praxisnahe Kompetenzen er-
lernen, aber auf der anderen Seite auch theoretisches Fachwissen. Obwohl Kathrin
am Anfang des Interviews behauptet, sie besitze bereits das Wissen, das sie für
den Grundschulunterricht benötigt, kommt sie im Verlauf des Interviews durch
das Herausstellen der Funktion von Wissen als Abgrenzungskriterium in der Do-
zentinnenperspektive zu dem Schluss, dass es auch für sie sehr wichtig ist, theore-
tisches Wissen zu erlernen, um sich von ihren späteren Schülerinnen und Schülern
abgrenzen zu können.
Schließlich entdeckt Kathrin nicht nur in Praktika, dem von ihr gegebenem Nach-
hilfeunterricht oder der Hausaufgabenbetreuung Formen von Praxis, die ihr im
Studium begegnen. Vielmehr erkennt sie in allen Seminaren, die sie während ih-
res Studiums belegt, einen Praxisbezug. Eine intellektuelle Bereicherung ist für
sie gleichzeitig auch immer Praxisbezug. So schätzt Kathrin die berufliche Vorbe-
reitung des Studiums auf 70 % ein.
Auf die Frage, welchem der ihr vorgelesenen Zitate sie zustimmt, greift sie zu-
nächst aus allen Zitaten Aspekte heraus, denen sie beipflichten kann. Sie ent-
scheidet sich letztendlich für das Zitat von Sören. Dieser sagt, dass die Praktika
im Rahmen des Lehramtsstudiums verbesserungswürdig seien, das Studium je-
doch zunächst dem Erlernen der Fächer gewidmet sein sollte. Die Praxis ver-
schiebt Sören auf das Referendariat. Diese Einschätzung erscheint Kathrin am
optimistischsten.
5.2 Nils
Nils‘ Konzept von Praxisbezug besteht aus zwei Aspekten, die ihrerseits andere
Aspekte enthalten oder mit anderen Aspekten verbunden sind. Er betont zum ei-
nen die eigene Aktivität der Studierenden im Studium und sieht in dieser eigenen
Aktivität einen Bezug zum „wirklichen Leben“, das er im Praktikum verortet.
Zum anderen müssen Studieninhalte Anwendungsbezug haben, um praxisbezogen
zu sein. Als Inhalte, die einen Anwendungsbezug haben, erwähnt Nils vornehm-
21
lich das Methodenwissen. Im Verlauf des Interviews betont Nils immer wieder,
dass Studium und späterer Beruf, genauso wie erste und zweite Ausbildungsphase
oder Theorie und Praxis zwei, verschiedene Welten sind. Dies steht teilweise im
Gegensatz zu positiven Erfahrungen, die er im Studium mit der Praxis macht und
soll im Folgenden an passenden Stellen erläutert werden.
Nils verbindet den Praxisbezug des Studiums unmittelbar mit dem eigenen Aktiv-
Werden. Praxisbezug bedeutet für ihn, selbst in der Rolle des aktiv Gestaltenden
zu sein. Er kritisiert die Rolle, die die Studierenden seiner Erfahrung nach im Stu-
dium einnehmen, nämlich die eines passiven Zuschauers. Eine aktive Rolle hin-
gegen beinhaltet das Planen, Durchspielen und Reflektieren von Unterrichtsse-
quenzen. Nils will diese Teilaspekte des Unterrichtens selbst ausprobieren. Er will
sich im Unterrichten erproben und dies dann analysieren, damit er das Gelernte in
der Praxis richtig anwenden kann. Versetzt Nils sich in die Dozentenperspektive,
würde er genau dies in seinen Seminaren umsetzen. Das heißt, er würde in erster
Linie vermeiden, dass die Studierenden in eine konsumierende Haltung geraten,
was bedeutet, dass er zum Beispiel keine Vorträge halten und eher als Moderator
agieren möchte. Er würde viel Gruppenarbeit mit seinen Studierenden durchfüh-
ren und sehr Methoden orientiert arbeiten. Er bezweifelt jedoch generell, dass
Universitätsdozenten, die nicht selbst an der Schule unterrichtet haben und das
Schulleben „erfahren“ haben, Lehramtsstudenten überhaupt für die Schule ausbil-
den können.
Nils versucht an dieser Stelle ein Kriterium zu finden, das klassifiziert, wann et-
was Praxisbezug ist und wann nicht. Die Kontrastbegriffe zur Praxis, etwa Theo-
rie, die er von der Praxis völlig abtrennt, bleiben bei Nils tendenziell vage und
unpräzise. Schule und Uni sind, wie er im Praktikum erfahren hat, zwei völlig
verschiedene Welten. Er betont, dass dies für ihn „einfach so ist“ und gibt an die-
ser Stelle keine weitere Begründung. Die universitäre Ausbildung ist eine theore-
tische Phase, mit der er sich abgefunden hat. Zwar hat er mittlerweile verstanden,
dass er über ein gewisses Grundwissen verfügen muss, scheint aber nicht sehr
überzeugt davon. Er schlägt „das Erleben“ an sich als Abgrenzungskriterium der
Praxis von der Theorie vor. Dieses Kriterium passt jedoch nicht zu seiner Be-
schreibung von Praxisbezug als eigenes Aktivwerden, denn hierin ist immer auch
die theoretische Reflexion oder Analyse der Aktivität mit inbegriffen. Weiterhin
bemerkt Nils selbst, dass das Kriterium des Erlebens nicht ausreicht, denn er er-
22
kennt, dass er zusätzlich zu praktischen Tätigkeiten das Lesen theoretischer Texte
ebenfalls erlebt. Er muss sein Unterscheidungskriterium weiterentwickeln und
kommt zu dem Schluss, dass der Unterschied zwischen Theorie und Praxis darin
besteht, dass er sich die Theorie eigenständig aneignen kann, die Praxis jedoch
nicht. Zur Aneignung der Praxis sind bestimmte Situationen in bestimmten Insti-
tutionen, wie der Schule, erforderlich.
Neben dem eigenen Aktivwerden findet Nils, dass die Studieninhalte anwen-
dungsbezogener sein müssten als sie es derzeit sind. Hierbei betont er ausdrück-
lich den Transfer von Wissen. Nils will in der Lage sein, das Wissen, das er im
Studium erwirbt, in die Praxis umzusetzen. Er möchte zum Beispiel mit methodi-
schem Rüstzeug ausgestattet werden, womit er explizit Methoden anspricht, die
ihm helfen, Wissen an seine zukünftigen Schülerinnen und Schüler zu vermitteln.
Dieser Wunsch nach Methoden taucht im Interview mehrmals auf. Zum Beispiel
würde er Hannes im Fallbeispiel 1 raten, sich Methoden zu merken, die ihm beim
Gestalten von Unterricht helfen könnten. Nils selbst hat sich bereits einen Metho-
denordner angelegt, in dem er übergreifendes Wissen sammelt, das ihm im Alltag
mit den Schülerinnen und Schülern hilft. Der Anwendungsbezug der Studienin-
halte wird seiner Ansicht nach besonders gut in Seminaren vermittelt, die von
Dozenten/innen geleitet werden, die selbst Lehrer/innen waren oder es noch sind.
Nils schätzt die Vorbereitung auf den Beruf durch das Studium auf 55 bis 60 Pro-
zent ein. Er findet, dass sich die Institutionen Universität und Schule zu sehr un-
terscheiden, als dass die Universität wirklich auf den Beruf vorbereiten könnte.
Manche Aspekte der Berufsvorbereitung, die bei der Berufsvorbereitung von Be-
deutung sind, wie Unterrichtsstörungen, Migrationsproblematik oder Klassenlei-
tung, sind an die Schule gebunden. Außerhalb der Schule ist es laut Nils schwer,
mit diesen Problematiken in Berührung zu kommen. Hiermit spricht er die Zwei-
Welten-Problematik noch einmal an. Zu dieser Meinung steht jedoch seine eigene
Erfahrung in Sport-Praxis-Seminaren im Widerspruch. Obwohl er in diesen Semi-
naren nach eigener Aussage viel Praxisbezug erlebte, ist Nils der Meinung, dass in
der Universität überwiegend Theorie vermittelt wird. Hier deutet sich wiederum
das Zwei-Welten-Bild an. Nils ordnet der Universität und somit der ersten Aus-
bildungsphase die Theorievermittlung zu und der Schule, also der zweiten Aus-
bildungsphase, die „wirkliche“ Praxisvermittlung.
23
So sieht Nils zum Beispiel das Praktikum auch als Überprüfungsinstanz an, wenn
es darum geht, den Praxisbezug aber auch die Effektivität des Studiums einzu-
schätzen und zu messen. Anhand von Erfahrungen aus dem Praktikum weiß Nils,
dass er viel Wissen, das er an der Universität erworben hat, nicht mehr benötigen
wird. Passend zu dieser Meinung stimmt Nils auch dem Zitat von Svenja zu, die
betont, dass sie in vier Wochen Praktikum mehr lernt als in einem Semester Stu-
dium.
5.3 Evelin
Evelin assoziiert am Anfang des Interviews Praxisbezug damit, dass sie etwas
Gelerntes anwenden möchte. Ihrer Meinung nach sind viele Situationen, speziell
Unterrichtssituationen jedoch nicht vorhersagbar. Dies erschwert die Anwendung
von Theorie in der Praxis. Es gibt zwei zentrale Aspekte, die Evelin als Praxisbe-
zug bezeichnet und auf die sie sich immer wieder im Interview bezieht: das Prak-
tikum und die didaktischen Veranstaltungen in der Universität. Erst im weiteren
Verlauf des Interviews wird erkennbar, dass nicht das Praktikum und die didakti-
schen Veranstaltungen an sich es sind, die ihr Praxisbezug ermöglichen, sondern
der Aspekt, dass sie hier selbst aktiv, also eigenständig Handeln und Erfahrungen
sammeln kann. Evelins Subjektive Theorie ist sehr homogen und stabil. Es lassen
sich während des Interviews keine gravierenden Wiedersprüche oder Ungereimt-
heiten erkennen.
Evelins Theorie zu Grunde liegt ein bestimmtes Theorie-Praxis-Verständnis. Ihrer
Meinung nach ist die Praxis nicht planbar. In der Praxis wird eine gewisse Spon-
taneität gefordert, von der Evelin vermutet, sie erst in der Praxis selbst, also im
Praktikum, Referendariat oder dann im Beruf erlernen zu können. Des Weiteren
unterscheiden sich Inhalte des Studiums, wie Lehr- und Lerntheorien, vom tägli-
chen Schulleben; sie bezweifelt die Anwend- und Umsetzbarkeit dieser Theorien.
Diese Zweifel äußern sich noch einmal in den Tipps und Erklärungen die Evelin
Hanna in der ersten Fallgeschichte gibt, in welcher der Lehrer während des Orien-
tierungspraktikums Hannas Stunde übernimmt. Evelin ist der Meinung, dass Un-
terrichtsplanung sich nie 1:1 umsetzen lässt. Praxisbezug erfährt Evelin demge-
mäß überwiegend in ihren Praktika. Hier lernt sie mit der Differenz von Theorie
und Praxis umzugehen. Außerdem kann sie von ihren Betreuungslehrern viel ler-
nen, ist aber vor allem selbst aktiv und sammelt eigene Erfahrungen. Genauso
24
verhält es sich in den didaktischen Veranstaltungen des Studiums. Dem Fach
Sport spricht Evelin dabei eine Sonderstellung zu. Sie betont, dass sie sich in
Sportseminaren selbst ausprobieren kann, es ihr ermöglicht wird, in die Lehrer-
oder Schülerrolle zu schlüpfen und so Perspektivwechsel vorzunehmen. Beson-
ders wichtig daran ist ihr aber die eigene Aktivität, welche ihrer Meinung nach
ihre Transferleistung steigert. Dinge, die sie selbst erlebt, kann sie auch besser in
ihrem Unterricht anwenden und umsetzen. So bevorzugt sie des Weiteren didakti-
sche Seminare, in denen sie Unterrichtssituationen oder Handlungen einübt, die
sie im Schulalltag unmittelbar wird durchführen müssen. Dieser Ansicht entspre-
chend stimmt Evelin Svenjas Aussage zu, welche ihr Studium als zu wenig pra-
xisbezogen empfindet und das Praktikum als einzige Möglichkeit der Berufsvor-
bereitung darstellt. Auch wenn sich Evelin in dieser Ansicht wiederfindet, erwei-
tert sie hier ihre eigene Theorie, indem sie erkennt, dass Praxisbezug für sie Un-
terrichten bedeutet. Sie erkennt an dieser Stelle, dass sie sich in der Uni immer
noch in der Schülerrinnenrolle befindet und eben nicht in der Lehrerinnenrolle,
die sie gern bereits einnehmen würde. Dies geht über Svenjas Ansicht hinaus.
Sich in die Dozentinnenperspektive versetzend geht es ihr darum, den Sprung in
das kalte Wasser, den sie im Übergang vom Studium zum Referendariat erwartet,
zu verhindern. So würde sie als Dozentin entsprechend ihrer eigenen Ansicht von
Praxisbezug an die Erfahrungen der Studierenden anknüpfen sowie diesen Mög-
lichkeiten schaffen, im Studium, in Seminaren eigene Erfahrungen sammeln zu
können. Dies würde vor allem durch Projekt-Seminare und Schulkooperationen
erreicht.
Evelin fühlt sich zu 50 Prozent auf ihre berufliche Praxis vorbereitet. Hierbei be-
zieht sie sich nochmals auf die didaktischen Veranstaltungen und das Praktikum.
So ergibt sich für sie Lernerfolg überwiegend durch Übung. Eine 100 prozentige
Vorbereitung durch das Studium wäre für Evelin nur gegeben, wenn jede Veran-
staltung, die sie im Studium besucht, in der Schule zum Einsatz kommen würde.
Im Gegensatz zum Studium erscheint es Evelin so, dass sie von den Lehrern/innen
in der Schule viel mehr lernt. So würde sie ihren Ordner „Hilfe für alles“ vor al-
lem mit Tipps und Hinweisen aus der Praxis, also aus dem Schulalltag füllen. Be-
zogen auf ihr Theorie-Praxis-Verständnis würde aber auch Hinweise dafür ein-
ordnen, wie sie mit der Differenz zwischen theoretischer Planung von Unterricht
und der tatsächlichen Umsetzung umgehen könnte.
25
Neben diesem sehr homogenen Konzept von Praxisbezug werden im Interview
immer wieder Aspekte angeschnitten, die Evelin zwar erwähnt, die jedoch im
weiteren Verlauf nicht noch einmal aufgegriffen werden oder keine größere Be-
deutung zu haben scheinen. So erkennt Evelin zum Beispiel, dass ein gewisses
fachwissenschaftliches Grundwissen hilfreich sein kann, um bestimmte Semina-
rinhalte zu verstehen und darauf aufbauend einen Praxisbezug herstellen zu kön-
nen. Diese Ansicht begründet sie jedoch lediglich anhand eines konkreten Bei-
spiels. Sie erkennt außerdem, dass es interessant sein kann, Literatur zu Hilfe zu
nehmen, diese helfe ihr im Schulalltag aber nicht weiter.
5.4 Sven
Svens Konzept von Praxisbezug erscheint sehr theorieförmig. Dem Konzept liegt
eine bestimmte, klar umrissene und begründete Grundauffassung von Studium
und Beruf sowie Theorie und Praxis zu Grunde. Mit Hilfe dieses Grundverständ-
nis begründet er sowohl seine eigene persönliche Auffassung, dass er im Studium
die theoretischen Grundlagen erlenen möchte als auch seine Ansichten zum The-
ma Praxisbezug des Studiums. Obwohl er diese theoretische Ausbildung im Stu-
dium verortet und die praktische Ausbildung in das Referendariat verlegt, kommt
er doch immer wieder im Interview zum dem Wunsch, sein theoretisches Wissen
ausprobieren und testen zu wollen.
Svens Theorie von Praxisbezug baut auf seiner Annahme einer bestimmten Struk-
tur des Studiums und des Berufs auf. Diese Annahme beruht auf einer strikten
Zweiteilung von Studium und Beruf. Nach Sven stehen im Studium die theoreti-
schen Grundlagen im Vordergrund, wobei mit diesen Grundlagen theoretisches
Wissen über allgemeine, abstrakte Modelle und die Fähigkeit, wissenschaftlich zu
denken und zu arbeiten gemeint ist. Die Praxis erfüllt hier eher die Funktion eines
Rahmens, der aber nur am Rande vorkommt. Im Beruf ist dieses Verhältnis genau
umgekehrt. Hier stehen konkrete Situationen im Vordergrund, wohingegen die
theoretischen Grundlagen eher die Rahmenfunktion übernehmen. Dieses zweige-
teilte Verhältnis wird von Sven grundsätzlich als positiv bewertet und im Laufe
des Interviews immer wieder hervorgehoben und als Begründung aufgeführt.
Demgemäß bewertet er die theoretische Ausbildung im Studium durchaus als po-
sitiv. Das Studium liefert ihm eine wissenschaftliche Grundlage, ein Fundament,
um später praktisch tätig zu sein. So stehen für ihn vor allem allgemeine Theorien
26
zum Lehren und Lernen, wie zum Beispiel der Konstruktivismus, in praxisbezo-
genen Seminaren im Vordergrund. Seine Betonung liegt nicht darauf, diese Theo-
rien anzuwenden, er möchte den Ablauf von Lernprozessen „nachvollziehen“
können. Dieses „nachvollziehen“ kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass er
anhand verschiedener Unterrichtsbeispiele versucht eine Theorie nachzuvollzie-
hen und zu verstehen. Das Verhältnis von Theorie und Praxis verläuft nur in eine
Richtung. Erst muss die Theorie gegeben sein und darauf folgend kann diese aus-
probiert werden. Diese theoretische Grundlage ist ihm wichtig, weil er sich
dadurch erhofft eine möglichst weiten „Horizont“ zu erlangen, er will einen glo-
baleren Blick für die Dinge, die um ihn herum geschehen, bekommen und durch
die theoretische Grundlage mehr Möglichkeiten eröffnen, mit bestimmten Situati-
onen umzugehen. So wählt Sven aus den drei ihm vorgelesenen Zitaten das von
Sören als dasjenige aus, das am besten zu ihm passt. Dabei betont er jedoch, dass
es ihm wichtig ist, sich nicht nur, wie Sören es sagt, auf die Fächer zu beschrän-
ken. Diese Sichtweise findet Sven eingeengt. Er bestärkt hier noch einmal seinen
Wunsch, im Studium einen Gesamtüberblick zu erhalten. Passend zu diesem
Wunsch schlägt er Hannes nach seiner missglückten Unterrichtsstunde vor, sich
noch einmal theoretische Hilfe aus der Literatur zu suchen und sein Wissen in
Bezug auf Interventionskonzepte zu erweitern. Wenn die erste Unterrichtsstunde
von Hannes positiv verläuft, sucht Sven die Gründe für das gute Gelingen der
Stunde in der Theorie, indem er sein theoretisches Wissen über den Aufbau guter
Unterrichtsstunden wiedergibt. Würde Sven einen Ordner „Hilfe für alles“ anle-
gen, würden sich darin, seinem Konzept entsprechend, Fachartikel und Zusam-
menfassungen über die Studieninhalte befinden. Desweiteren würde er, wenn er
sich für eines von zwei Seminaren entscheiden müsste, ebenfalls seinem Konzept
entsprechend, das Seminar „Schule als Lebensort gestalten, über Schulreformen
und Ganztagsschulen“ wählen. Sven begründet diese Entscheidung innerhalb sei-
ner subjektiven Theorie damit, dass er sich durch das Seminar den Blick für das
Ganze, den Blick über den Tellerrand hinaus eröffnen möchte.
Obwohl Sven immer wieder betont, dass ihm das theoretische Grundlagenwissen
im Studium sehr wichtig ist, kann er sich nicht gleichzeitig von dem Wunsch lö-
sen, diese Theorie auch schon im Studium ausprobieren und an konkreten Situati-
onen messen zu wollen. So findet er zum Beispiel die Arbeit mit Rollenspielen in
praxisbezogenen Seminaren sehr hilfreich oder betont seine Arbeit als Tutor, bei
27
der er Erfahrungen und vor allem Routine im Unterrichten sammeln konnte. Auf-
fällig ist an dieser Stelle jedoch, dass diese Wünsche nach Umsetzung der Theorie
an konkreten Situationen schon in dem Moment, wenn Sven den Wunsch äußert,
von ihm gleichzeitig durch die Art, wie er den Wunsch äußert, abgeschwächt
werden; durch Redewendungen, wie „einfach mal“, „eigentlich schon recht“, „halt
als ein bisschen schade“, „mal so ein bisschen“ etc. Dieser Wunsch nach Anwen-
dung an konkreten Situationen schon im Studium gründet jedoch auf einer wis-
senschaftlich theoretischen Annahme. Anwendung schon im Studium zu auszu-
probieren ist für ihn wichtig, weil er sonst fürchtet, das Gelernte bis zum Referen-
dariat wieder zu vergessen. Zu diesem Aspekt passt desweiteren, dass er die Mei-
nungen der anderen Studierenden zum Praxisbezug im Studium sehr genau kennt
und wiedergibt. Die meisten Studierenden fragen sich, Svens Meinung nach, was
sie mit dem theoretischen Wissen des Studiums anfangen sollen und erachten die
wissenschaftliche Ausbildung als unnötig. Hier steht der Wunsch nach konkretem
Anwendungswissen (z.B. Unterrichtsreihen) im Vordergrund.
Neben den theoretischen Grundlagen, von denen Sven sich für seinen Beruf Si-
cherheit erwartet, findet er im Studium besonders durch freiwilliges Engagement
praxisbezogene Inhalte. Er betont diesbezüglich besonders die Persönlichkeit, die
seiner Meinung nach besonders im Studium reift. Eine stabile Persönlichkeit sieht
er als hilfreich für den späteren Lehrerberuf an. Nach Sven kann die Persönlich-
keit aber nur zum positiven hin entwickelt werden, wenn man sich über die Semi-
nare hinaus engagiert. Als Beispiele nennt er SHK- oder Tutorenarbeit, Mitarbeit
in universitären Gremien, wie dem Studierendenparlament, dem Senat oder dem
ASTA. Solches Engagement rät Sven auch Hannes, um sich auf Unterrichtssitua-
tionen vorzubereiten und flexibler auf Komplikationen reagieren zu können.
Zusammenfassend schätzt Sven den Praxisbezug des Studiums auf 40-50 Prozent
ein. Er begründet diese Einschätzung sehr objektiv und lässt hierbei seine eigene
Meinung außen vor. Den Praxisbezug des Studiums muss er so gering einschät-
zen, weil er im Rahmen des Studiums nicht sehr viele Möglichkeiten sieht, Theo-
rie anzuwenden und Erfahrungen zu sammeln. Um dies zu ändern, müsse man
sich zusätzlich engagieren. Er bewertet diese Einschätzung weder positiv noch
negativ. Im Vordergrund steht immer seine grundlegende Auffassung, dass er die
Zweiteilung der Ausbildung (Theorie im Studium, Praxis im Referendariat) für
gut hält.
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6. Kategoriensystem zu formalen Aspekten Subjektiver Theorien
Um die formale Struktur der Subjektiven Theorien von Studierenden zum Praxis-
bezug des Studiums zu untersuchen wurden die transkribierten Interviews mit
Hilfe der strukturierenden Inhaltsanalyse, ins besondere mit Hilfe der formalen
Strukturierung (vgl. Mayring 2010, 92ff.) analysiert. Zuerst wurde dem zufolge
ein auf der Theorie zu Subjektiven Theorien basierendes Kategoriensystem er-
stellt und ein entsprechendes Kodierhandbuch angefertigt, das im folgenden Kapi-
tel im einzelnen dargestellt wird. Dieses Kategoriensystem wurde daraufhin in
einem ersten Durchlauf anhand von vier der neun Interviews erprobt und in einem
zweiten Schritt durch Kategorien zweiter Ordnung ergänzt, die jeweils durch De-
finitionen und mehrere Ankerbeispiele beschrieben werden.
Aus Studien zu Subjektiven Theorien zum erfolgreichen Lehrerinnen- und Leh-
rerhandeln in Bezug auf Gruppenunterricht (vgl. Haag/Dann 2001) und in Bezug
auf erfolgreiches Handeln bei Unterrichtskonflikten (vgl. Dann et al 1987) sind
bereits formale Merkmale von Subjektiven Theorien bekannt. In beiden Studien
wird neben den inhaltlichen Aspekten auch der formale Aufbau von Subjektiven
Theorien untersucht und als ein auf das erfolgreiche Handeln Einfluss nehmender
Aspekt in Erwägung gezogen. Dann et al. (1987) stellen folgende Aspekte als
formale Merkmale von Subjektiven Theorien fest. Zum einen nennen sie den
„Grad der Konsistenz“ (ebd., 316) als Maßstab dafür, inwiefern die Subjektiven
Theorien mit dem tatsächlichen Handeln der Lehrerinnen und Lehrer überein-
stimmen. Zum anderen nennen sie „die Komplexität“ (ebd., 316) – die Anzahl der
genannten Reaktionsmöglichkeiten unter bestimmten Bedingungen – und die
„Organisation der Subjektiven Theorien“ (ebd., 316), womit die Art der Zusam-
menhänge von beschriebenen „Situationsbedingungen und davon abhängigen
Maßnahmen“ (ebd., 316) gemeint ist. Haag/Dann (2001) greifen die formalen
Aspekte der Komplexität und der Organisation der Subjektiven Theorien auf. Sie
verstehen unter dem formalen Aspekt der Komplexität des Wissens die „Anzahl
der Bedingungs- und Handlungskonzepte“ (ebd., 12), welche eine befragte Person
nennt. Je höher die Anzahl dieser Konzepte sei, schließen Haag/Dann (2001),
„desto mehr Bedingungs- und Handlungskonzepte hat die Lehrkraft insgesamt für
ihr Handeln zur Verfügung.“ (ebd., 12) Den formalen Aspekt der Organisation der
Gesamtstruktur einer Subjektiven Theorie beschreiben Haag/Dann (2001) als die
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„durchschnittliche Anzahl der parallelen Pfade, relativiert an der Länge der Struk-
tur.“ (ebd., 12) Sie beschreiben hier einen Zusammenhang: Je höher der in dieser
Kategorie erzielte Wert sei, „desto kürzer und gleichzeitig parallel verzweigter ist
die Subjektive Theorie, d.h. desto mehr alternative Varianten des Verlaufs werden
gleichzeitig gesehen.“ (ebd., 12) Als dritten Aspekt nennen sie die Differenziert-
heit der Subjektiven Theorien, welche sie als „durchschnittliche Anzahl der Ent-
scheidungsbedingungen in Reihe vor einer Handlung, relativiert an der Länge der
Struktur“ (ebd., 12) definieren. In beiden Studien wurde nachgewiesen, dass die
Struktur der Subjektiven Theorien neben dem Inhaltsaspekt einen Einfluss auf das
erfolgreiche Lehrerinnen- und Lehrerhandeln nimmt. (Vgl. Dann et al. 1987, 316;
Haag & Dann 2001, 9) Die Subjektiven Theorien von Lehrerinnen und Lehrern,
„die erfolgreichen Gruppenunterricht durchführen, sind sowohl formal hinrei-
chend entfaltet als auch inhaltlich von besonderer Qualität.“ (Haag & Dann 2001,
9) Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wird auch für ein erfolgreiches Studie-
renden-Handeln im Spannungsfeld zwischen Studium, Beruf und Praxis ein Ein-
fluss der formalen Struktur der Subjektiven Theorien zum Praxisbezug des Studi-
ums angenommen und der Struktur Subjektiver Theorien zum Praxisbezug dem-
entsprechend einige Relevanz beigemessen.
Für das Kategoriensystem werden die oben besprochenen formalen Merkmale der
Komplexität, der Differenziertheit und der Organisation ausgewählt und auf das
Thema Praxisbezug des Studiums, den Handlungsrahmen der Subjektiven Theo-
rien zum Praxisbezug angepasst. Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle,
dass es sich im Gegensatz zu den Studien von Dann et al. (1987) und Haag/Dann
(2001) bei den Subjektiven Theorien zum Praxisbezug um Subjektive Theorie
mittlerer Reichweite handelt, die in dieser Arbeit anfangs schon erläutert wurden.
(Vgl. Wahl 2005, 19 ff.) In den Studien von Dann et al. (1987) und Haag/Dann
(2001) stehen die Untersuchung Subjektiver Theorien in Bezug auf das Handeln
in Druck- bzw. Stresssituationen sowie Subjektive Theorien geringer Reichweite
im Mittelpunkt. In dieser Arbeit werden Subjektive Theorien mittlerer bis weiter
Reichweite betrachtet. Die befragten Studierenden handeln zum einen im Studium
bei der Wahl von Veranstaltungen oder Praktikumsplätzen- bzw. -zeiträumen
nicht unter Zeitdruck und zum anderen lassen auch die hypothetischen Fallbei-
spiele, obwohl wie in Fall 4 eine Drucksituation beschrieben wird, genug Raum
für Überlegungen. Auf Grund dieser Differenz besteht die Notwendigkeit einer
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Anpassung der formalen Aspekte. Die drei Merkmale – Komplexität, Differen-
ziertheit und Organisation – dienen im Kategoriensystem als Kategorien erster
Ordnung und werden durch Kategorien zweiter Ordnung ergänzt, die teilweise
deduktiv auf der Basis theoretischer Argumentationsmerkmale der Syntax und der
Textlinguistik und teilweise induktiv aus dem Interviewmaterial selbst gewonnen
werden.
Die Kategorie „Komplexität“ ist bezogen auf Subjektive Theorien zum Praxisbe-
zug so zu verstehen, dass hier die Anzahl der genannten Aspekte zum einen von
Praxisbezug relevant sind. Zum anderen ist aber auch die Anzahl der Handlungs-
möglichkeiten, die die Interviewten nennen, um selbst Praxisbezug herzustellen
relevant. Genauere Erklärungen zu diesen Teilpunkten finden sich im Kodier-
handbuch, welches im folgenden Kapitel dargestellt wird. Eine Subjektive Theo-
rie zum Praxisbezug ist umso komplexer, je mehr Aspekte von Praxisbezug und
Handlungsmöglichkeiten genannt werden.
Angepasst an die Subjektiven Theorien zum Praxisbezug, steht hinter der Katego-
rie „Differenziertheit“ die Frage, wie differenziert die Interviewten die einzelnen
von ihnen genannten Aspekte von Praxisbezug im Interview diskutieren. Hier
wird die Anzahl der Argumentationsbestandteile gemessen, die im Interview nach
der Nennung eines Aspektes von Praxisbezug, einer Handlungsmöglichkeit oder
einer bestimmten Ansicht oder Meinung folgen. Welche Möglichkeiten von Ar-
gumentationsverläufen auf eine differenzierte Argumentation oder auch auf eine
undifferenzierte Argumentation hinweisen, wird durch die Kategorien zweiter
Ordnung dargestellt und wird näher im Kodierleitfaden erläutert.
Bezüglich der dritten Kategorie erster Ordnung, „Organisation“, ist zu bemerken,
dass hier die Verknüpfung des Wissens oder der genannten Aspekte zum Thema
Praxisbezug relevant sind. Gemessen wird dies an der Anzahl der Rückbezüge
und Querverweise, aber auch an der Anzahl der Anwendungen einer Theorie. Un-
gereimtheiten und Unstimmigkeiten werden in dieser Kategorie ebenfalls erfasst,
weil diese auf eine geringere Organisation der Subjektiven Theorie zum Praxisbe-
zug hinweisen. Im Folgenden werden alle Kategorien im Kodierhandbuch genau
beschrieben und anhand von Ankerbeispielen veranschaulicht, auf welche Art und
Weise die Kodierung erfolgen soll.
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6.1 Kodierhandbuch zum Kategoriensystem der formalen Charakteristika von Subjektiven Theorien zum Praxisbezug Kategorie 1.Ordnung Kategorie 2. Ordnung Ankerbeispiel 1. Komplexität: Die Komplexität einer Subjektiven Theorie zum Praxisbezug setzt sich aus der Anzahl der genannten Aspekte von Praxisbezug und der genannten Möglichkeiten, selbst Praxisbezug herzustellen, zusam-men. Eine Subjektive Theorie zum Praxisbezug ist umso komplexer, je mehr Aspekte von Praxisbezug des Studiums und je mehr Hand-lungsmöglichkeiten genannt wer-den. Die Häufigkeit der genannten As-pekte errechnet sich aus der Sum-me aller genannten Aspekte und Handlungsmöglichkeiten.
1.1 Aspekte von Praxisbezug Als Aspekte von Praxisbezug werden Aus-sagen angesehen, die die Interviewten von sich geben, wenn sie versuchen Praxisbezug zu beschreiben, wenn sie praxisbezogene Situationen schildern und Beispiele für Pra-xisbezug geben. Des Weiteren finden sich Aspekte von Praxisbezug, wenn die Proble-me bezüglich des Praxisbezugs näher defi-niert werden. Unter diese Kategorie fallen alle Textstellen, die sich mit der Definition oder Annäherung an den Praxisbezug des Studiums beschäfti-gen. Wiederholt sich ein schon genannter Aspekt, wird dieser im Folgenden nicht mehr ko-diert.
F: Und zwar will ich einfach ganz spontan von dir wissen, was dir zum Thema Praxisbezug des Studiums einfällt? A: Ja, also, mir fällt dazu ein, dass ich Gelerntes einfach aus Seminaren irgendwie anwenden kann3, also speziell in der Schule und dass halt einmal so Theorien, dass ich die anwenden kann […], wie ich zum Beispiel mit Störungen im Un-terricht umgehe oder wie ich besser Schüler beim Lernen fördere. (P_2_Kathrin, Abs. 2) Einfach, dass halt so zum Beispiel diese Schrei-bungen halt wirklich in der Schule auftauchen oder dass halt ein Lehrer wirklich halt diese Kompetenzen haben muss, die wir halt durchge-sprochen haben. Ja und das war so ein bisschen halt der Praxisbezug. (P_2_Kathrin, Abs. 12) Den Praxisbezug […] der Praxisbezug war viel-leicht insofern darin, als dass man ja auch durchaus mal (..) mittlerweile (..) mit anderen
3 Bei den farbig markierten Stellen handelt es sich um die kodierten Stellen. Diese Textstellen fallen in die jeweils entsprechende Kategorie. Rote Markierungen fallen in die Kategorie „Komplexität“, grüne Markierungen fallen in die Kategorie „Differenziertheit“ und blaue Markierungen fallen in die Kategorie „Organisation“.
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Kategorie 1.Ordnung Kategorie 2. Ordnung Ankerbeispiel Lehrern beispielsweise im Team zusammen ar-beiten muss und da [im Seminar bei der Grup-penarbeit] eben Erfahrungen sammeln konnte. […] Also nicht direkt diese praktische Arbeit hatte, sondern ja auch in Form von Videoauf-zeichnungen, von Unterricht und so weiter, diese Theorien eben nachvollziehen konnte. (P_10_Sven, Abs. 15)
1.2 Handlungsmöglichkeiten bzw. -strategien, Praxisbezug herzustellen
Unter Handlungsmöglichkeiten, Praxisbezug herzustellen, sind Handlungen zu verstehen, die die Befragten ausführen oder hypothe-tisch in Erwägung ziehen, um Bezug zur Praxis herzustellen. Darunter fallen auch Handlungen oder Aspekte, die die Studie-renden unternehmen, um sich auf die beruf-liche Praxis vorzubereiten.
Man muss sich halt bestimmte Dozenten raussu-chen oder bestimmte Veranstaltungen, die gut klingen und mir ging es halt ganz oft so, dass ich halt es gut fand, dass ich halt Dozenten hatte, die vorher selber Grundschullehrer waren oder all-gemein Lehrer, weil die dann wirklich berichten können […] (P_2_Kathrin, Abs. 58) Wenn man dann beispielsweise auch noch Erfah-rung sammelt, (..) es gibt ja beispielsweise als SHK in Tutorien, dann (..) *oder* in anderen Bereichen, irgendwelchen Gremien hier in der Universität. Das ist alles dann für die Persön-lichkeit sehr hilfreich, um dann später auch im Beruf zurechtzukommen. (P_10_Sven, Abs. 51) […]dass ich mir auch schon im ersten Semester
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Kategorie 1.Ordnung Kategorie 2. Ordnung Ankerbeispiel „Einführung in die Sprachwissenschaft“/mir immer irgendwie gesucht habe oder versucht habe rauszufinden, inwiefern es für meinen Beruf von Relevanz ist und das IST es ja wirklich. (P_1_Sara, Abs. 22)
2. Differenziertheit: Diese Kategorie beschäftigt sich mit der Frage, wie differenziert Meinungen oder Ansichten zu Praxisbezug, aber auch Aspekte von Praxisbezug diskutiert wer-den. In dieser Kategorie wird be-sonders die Argumentationsstruk-tur der nach einem genannten As-pekt oder nach einer An-sicht/Meinung folgenden Diskus-sion in den Mittelpunkt der Be-trachtung gestellt. Weitere Hinweise auf Differen-ziertheit können der Einbezug von Gegenargumenten, von eigenen Erfahrungen oder Erfahrungen anderer sein. Auch die Übernahme einer anderen Perspektive ermög-licht einen differenzierteren Blick.
2.1 Abwägende Argumentation Zwei oder mehrere Ansichten, Meinungen oder Aspekte werden gegeneinander abge-wogen. Dazu zählt auch die Aufnahme von Meinungen und Argumenten anderer Perso-nen in den Diskussionsverlauf. Diese Argu-mentation ist oft geprägt von folgenden Satzkonstruktionen und Junktoren:
- einerseits-andererseits - zum Einen-Zum Anderen - für-und-Wieder - wenn-und-aber - entgegen - wobei - aber
Diese Satzkonstruktionen und Junktoren können explizit im Text vorliegen, aber auch auf Grund der Differenz zwischen gespro-chener und geschriebener Sprach implizit im Interviewtranskript vorhanden sein.
Ich denke mir halt. Ok ich bin erst im dritten Semester, aber ich weiß zum Beispiel auch, dass ich in der Schule war und wie das funktioniert hat und wie ich dort Sachen anwenden konnte, die ich schon gelernt habe. Und die KONNTE ich definitiv anwenden, aber es fehlen natürlich auch viele Sachen. Aber ich denke auch immer, dass/ dass die Uni da hinterher ist. Also ich musste ja auch in meinen Praktikumsbericht schreiben, wo ich mich noch unsicher fühle, WAS ich noch vertiefend lernen will und ich den-ke mir immer, aber vielleicht bin ich auch naiv, aber ich hoffe immer, dass die das fragen, damit sie es optimieren können, die Seminare oder was weiß ich, den/ die Sachen, um den Leuten noch bessere/ oder mehr an die Hand zu geben ein-fach für die Berufspraxis. (P_1_Sara, Abs. 44) Ja natürlich es gibt immer Situationen, wenn ich
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Kategorie 1.Ordnung Kategorie 2. Ordnung Ankerbeispiel Wenig differenziert sind floskel-hafte Ausdrücke, oder Meinungen, die nicht begründet werden. Auch die Häufigkeit solcher Aspekte lässt sich zählen.
zum Beispiel denke, jetzt irgendwas mit einer Lautschrift sag ich mal. Ich hatte jetzt ganz in-tensiv in Englisch halt Phon/Phon/ Phonologie also Phonology und dass einem halt dann zu hause einfällt, ja man kann es ja wirklich nutzen oder wenn ich irgendwie im Wörterbuch gucke, dann kann ich es halt jetzt besser aussprechen. Also man hat halt schon so einige Sachen gelernt in der Uni, die man halt zu Hause einfach wieder entdeckt, aber speziell muss ich halt schon sa-gen, also man lernt halt oft SO spezielle Sachen und wenn ich dann zu hause irgendwie meinen Eltern erzähle, ja ich schreibe jetzt eine Klausur über das und das, dann lachen die und sagen, ach Name der/ des Interviewpartners/rin wann genau willst du das denn anwenden und manch-mal scherzel ich halt rum und das ist das und das. (P_2_Kathrin, Abs. 14) *Und äh* also [2sec] ja, also der Art Praxisbe-zug, *denn* die meisten Dozenten sehen das, glaub' ich, eher abstrakter, während viele Stu-denten eher wirklich (.) sich was Konkretes viel-leicht wünschen oder sich was Konkretes vorstel-len. Und, ja, das is' eben auch dieser Zweitei-lung, glaub' ich, auch dieser Zweiteilung ge-
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Kategorie 1.Ordnung Kategorie 2. Ordnung Ankerbeispiel schuldet, dieser Ausbildung. Ich glaub', die Do-zenten, die sehen das wirklich eher noch als wis-senschaftliche Ausbildung. Und dann (..) da steht dann eher die theoretische Reflexion 'n bisschen im Vordergrund, denk' ich mal. (P_10_Sven, Abs. 23)
2.2 Begründete und kausale Argumenta-tion Kausale oder begründete Argumentation liegt dann vor, wenn Meinungen oder As-pekte von Praxisbezug nicht einfach nur aufgelistet dargestellt, sondern begründet werden oder wenn eine Grund-Folge-Relation aufgestellt wird. Zu beachten sind hier besonders Aussagen mit weil-Konstruktion, Dabei werden wiederholende Begründungen in einer Argumentationsfol-ge, also zu einem Aspekt, als eine Begrün-dung gezählt. Des Weiteren sind Grund-Folge-Relationen zum Teil an wenn-dann-Konstruktionen zu erkennen. Diese Satzkonstruktionen können explizit im Text vorliegend, aber auch aufgrund der Differenz zwischen gesprochener und ge-schriebener Sprach implizit im Inter-viewtranskript vorhanden sein.
[…] was ich halt 'n als 'n (.) bisschen schade empfinde, dass *man* dann zwar diese Grund-lage hat, aber wenig, sehr wenig Möglichkeiten hat, die auch mal so'n bisschen *äh ähm* ja an der Praxis quasi zu messen. [2sec] Das/ das is' so'n bisschen zu wenig, find' ich, *weil* vieles (..), wenn man mal ehrlich is', was man im Stu-dium lernt, das hat man dann zum Beispiel bis zum Referendariat schon wieder vergessen. Nur dann hat man gar nich' mehr die Möglichkeit, dass *äh*, dass dann wirklich praktisch auch noch umsetzen. (P_10_Sven, Abs. 29) Wenn man sich in solchen Gremien engagiert, [dann] hat man eben viel auch mit/ mit den ver-schiedensten (lacht leicht) Persönlichkeiten+ zu tun, auch nich' immer mit einfachen. Und eben man *muss* [dann], ja, man muss sich auch (..) 'n bisschen durchsetzen können in solchen Gre-mien und vor größeren äh (..) *ähm*, ja, vor
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Kategorie 1.Ordnung Kategorie 2. Ordnung Ankerbeispiel größeren *ähm* Menschenmassen, (lacht leicht) sollen wir es so sagen+, reden können. Und dass das eben auch noch 'ne (..) Möglichkeit, möglich ähm [1sec], Erfahrungen zu sammeln. Man kann ja gut die Stunde Planen, aber letzt-endlich läuft sie doch irgendwie anders, weil irgendwelche Unterrichtsstörungen da sind. (Holt Luft) Oder weil die Kinder sich anders verhalten, als man das sich ursprünglich so überlegt hätte. (P_9_Evelin, Abs. 15)
2.3 Auf Erfahrungen bezogene Argumen-tation Beruht eine Meinung oder ein Aspekt auf bestimmten Erfahrungen – dies können ei-gene Erfahrungen oder auch fremde Erfah-rungen sein – wird in dieser Kategorie ko-diert. Des Weiteren wird diese Kategorie kodiert, wenn die Argumentation durch Bei-spiele veranschaulicht wird. Dabei ist zu beachten, dass diese Erfahrungen zentraler Aspekt des Argumentationsstrangs sein müssen.
Ja, auf jeden Fall. Ich meine ich hatte ja schon viele Seminare, wo dann Bachelor, Komparatis-tik Bachelor, Linguistik, Lehramt drin saßen und dann ist natürlich klar, dass jeder Kommilitone mit einer anderen Auffassung da sitzt und auch der Dozent irgendwie verschiedene Blickwinkel hat. Naja/ ja er hat wahrscheinlich auch seinen Hauptbereich, auf den er sich spezialisiert aus seiner Fachwissenschaft und damit kann man halt verschiedene Dinge machen. So/ also weiß ich nicht jetzt ganz konkret. Ich hatte zum Bei-spiel ein Seminar von Dozent/in. So dann hat er/sie halt/ dann macht sie ein Seminar „Phone-tik und Phonologie“ und damit kann jeder dieser drei Studiengänge, die ich genannt habe, was
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Kategorie 1.Ordnung Kategorie 2. Ordnung Ankerbeispiel anderes damit anfangen. Und aber/ bei IHR ist es zum Beispiel wirklich so, dass sie sich auch auf alle drei bezieht. Also sie/ sie macht es zum Beispiel, aber es gibt auch genug, denen das dann halt irgendwie. Ja egal würde ich jetzt nicht sagen, aber wo es einfach SCHWER fällt auch einen Praxisbezug herzustellen. (P_1_Sara, Abs. 28) Also man hat halt schon so einige Sachen gelernt in der Uni, die man halt zu Hause einfach wieder entdeckt, aber speziell muss ich halt schon sa-gen, also man lernt halt oft SO spezielle Sachen und wenn ich dann zu hause irgendwie meinen Eltern erzähle, ja ich schreibe jetzt eine Klausur über das und das, dann lachen die und sagen, ach Name der/ des Interviewpartners/rin wann genau willst du das denn anwenden und manch-mal scherzel ich halt rum und das ist das und das. Oder zum Beispiel habe ich jetzt Werbe-kommunikation und das ist so detailliert gewe-sen. Dann stand ich vor einer Werbung und habe erzählt, was das für eine Technik ist und dann lachen die halt […]. (P_2_Kathrin, Abs. 14)
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Kategorie 1.Ordnung Kategorie 2. Ordnung Ankerbeispiel 2.4 Perspektivwechsel Wechseln die Interviewten in andere Per-spektiven, um ihre Meinung oder ihren an-gesprochen Aspekt weiter zu verdeutlichen oder näher zu beschreiben, wird ein Perspek-tivwechsel kodiert. Die Befragten müssen sich hier in andere Person oder Personen-gruppen hinein fühlen. Dies ist nicht zu verwechseln mit der Kate-gorie 2.1, die beschreibt, dass auch Meinun-gen anderer Personen in die Argumentation mit einbezogen werden. Des Weiteren werden die Perspektivwech-sel, die auf Grund der Perspektivwechselfra-ge des Interviewleitfadens vollzogen werden nicht in diese Kategorie kodiert.
[…] dass ich dann einfach wissen will, was Pra-xisbezug ist oder dann sollen sie [die Dozenten] mir einfach sagen, warum es halt ok ist, wenn irgendwo ein Praxisbezug nicht da ist. […] Ge-nauso wie man Schülern irgendwie beibringt oder näher bringt, warum sie irgendetwas in irgendeiner Art und Weise gebrauchen könnten oder brauchen. (P_1_Sara, Abs. 107ff.)
2.5 Floskelhafte Argumentation Hierbei handelt es sich um eine Argumenta-tionsweise, die äußerst unbegründet, stark verallgemeinernd und normierend ist. Meist wird eine Meinung oder ein Aspekt nur sehr kurz, innerhalb eines Satz besprochen. Die Anzahl der Kodierungen in dieser Kate-gorie werden von der Summe der Kodierung der Kategorien 2.1 bis 2.4 subtrahiert.
A: Dass ich dann halt denke, ok, das war jetzt mal Wissen für eine Klausur, aber ob ich es jetzt WIRKLICH in der SchUle brauche, ob ich es wirklich in Alltagsgesprächen brauche, weiß ich dann halt nicht. F: Hast du irgendwie eine Ahnung, warum man sich das vielleicht nicht merken kann? A: Ja ich glaube, weil einfach zu viel aufeinan-der ist. (P_2_Kathrin)
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Kategorie 1.Ordnung Kategorie 2. Ordnung Ankerbeispiel Damit man nicht so ins kalte Wasser geschmis-sen wird […] (P_9_Evelin, Abs. 27) Und es ist schon wichtig, dass man mal weiß, wie die deutsche Sprache aufgebaut ist […] (P_9_Evelin, Abs. 41)
3. Organisation: Das Wissen, die Ansichten, Mei-nungen und Aspekte von Praxis-bezug werden angemessen, in aus-reichender Weise verknüpft darge-stellt. Eine verknüpfte Darstellung bein-haltet, dass die Befragten sich auf schon Gesagtes zurückbeziehen und Querverweise zu schon Ge-sagtem erstellen. Außerdem soll-ten die Aussagen stimmig sein, keine Wiedersprüche oder Unge-reimtheiten enthalten. Hier gilt: je weniger Ungereimtheiten, desto organisierter ist eine Subjektive Theorie zum Praxisbezug. Bei Dann et al (1987) wird der Grad der Konsistenz der Subjektiven Theorien, also inwieweit die Sub-
3.1 Rückbezüge und Querverweise In dieser Kategorie wird beachtet, in wie weit die Befragten, sich darüber bewusst sind, was sie im Interview schon gesagt ha-ben. Es wird der Frage nachgegangen, ob sie sich auf Stellen des Interviews zurückbezie-hen. Sie können sich dabei sowohl auf Mei-nungen, Aspekte, aber auch auf bestimmte Beispiele oder Erfahrungen zurückbeziehen.
Anhand von Beispielen, die ich jetzt schon ge-nannt habe, […] (P_9_Evelin, Abs. 32) […] wie ich gerade schon alles beschrieben ha-be […] (P_9_Evelin, Abs. 49) […] wie ich schon eingangs erwähnte […] (P_10_Sven, Abs. 63) Es gibt eben auch abseits des Studiums die er-wähnten Möglichkeiten. (P_10_Sven, Abs. 77)
3.2 Anwendung Diese Kategorie beschäftigt sich mit dem Aspekt, ob Meinungen oder Subjektive The-orien zum Praxisbezug im zweiten Teil des Interviews, in dem die Möglichkeit zur Ela-boration ihrer Subjektiven Theorien besteht,
Da diese Kategorie nicht an einzelnen bestimm-ten Textstellen codiert werden kann, sondern sich über den gesamten Text hinweg erstreckt, soll an dieser Stelle ein Beispiel erläutert wer-den, indem eine Theorie besonders oft angewen-det wird und ein Beispiel, bei dem eine Meinung
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Kategorie 1.Ordnung Kategorie 2. Ordnung Ankerbeispiel jektiven Theorien der Lehrerinnen und Lehrer ihrem tatsächlichen Handeln entsprechen, untersucht. Dies fällt unter diese Kategorie, weil die Befragten nicht wirklich Handeln, sondern nur hypotheti-sche Handlungen in hypotheti-schen Fallbeispielen erdenken. Hier gilt es zu untersuchen, in wie weit die Befragten ihre Subjektive Theorie zum Praxisbezug in den hypothetischen Geschichten an-wenden.
angewendet werden. Hierbei wird der Frage nachgegangen, inwiefern die Fallbeispiele entsprechend der zuvor gelieferten Argu-mentation bearbeitet werden. Diese Katego-rie ist nicht an bestimmten Textstellen fest zu machen. Es ist notwendig zuerst die zent-ralen Aspekte einer möglichen Theorie aus dem ersten Teil des Interview herauszustel-len – wie es in der Einzelfalldarstellung ge-schehen ist – und dann über den gesamten Interviewtext, insbesondere im zweiten Teil des Interviews zu überprüfen, inwiefern mit der Subjektiven Theorie oder einzelnen As-pekten einer Subjektiven Theorie gearbeitet und argumentiert wird.
Ansicht oder Theorie besonders selten angewen-det wird. Sven wendet seine Subjektive Theorie zum Pra-xisbezug zum Beispiel sehr häufig an. Seine Subjektive Theorie ist geprägt von der positiven Bewertung, die er dem ersten Teil der Lehramts-ausbildung zuschreibt. Er begrüßt diese theoreti-sche Ausbildung und will auf Grundlage dessen Praxiserfahrungen sammeln, die er versucht, mit der Theorie zu verknüpfen. Im Anwendungsteil des Interviews schlägt er so zum Beispiel Han-nes vor, nach seiner missglückten Unterrichts-stunde, Hilfe und Erklärungen für den schlechten Verlauf in der Theorie zu suchen. Desweiteren enthält sein Ordner „Hilfe für alles“ seiner Sub-jektiven Theorie zum Praxisbezug entsprechende Inhalte, wie Fachzeitschriftenartikel und Zu-sammenfassungen von Studieninhalten. Außer-dem wählt Sven im letzten Fallbeispiel passend zu seinem Wunsch ein umfangreiches Wissen erlangen zu wollen das Seminar „Schule als Le-bensort gestalten“ mit der Begründung, dass dadurch sein „Blick für das Ganze“ erweiter werde. Ein Beispiel, bei dem die Subjektive Theorie tendenziell wenig angewendet wird, stellen Vio-
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Kategorie 1.Ordnung Kategorie 2. Ordnung Ankerbeispiel las Äußerungen dar. Violas Subjektive Theorie zum Praxisbezug ist geprägt von der negativen Praktikumserfahrung, dass Unterricht generell immer sehr chaotisch abläuft. Viola macht mehrmals auf die Differenz zwischen dem Praxisbezug im Studium und die, wie sie es nennt, „wirkliche Schulsituation“ aufmerksam. In Seminaren der Universität werde die Schulsituation geschönt dargestellt, weswe-gen Viola das Praktikum besonders bezüglich des Praxisbezuges schätzt. Im Studium sollte ihrer Meinung nach mehr auf die Probleme, die sie im Beruf erwarten, eingegangen werden. Diese Aspekte der Subjektiven Theorie von Vio-la werden nur teilweise im zweiten Teil des In-terviews angewendet. So rät sie im Fallbeispiel 1 der Protagonistin Hanna nicht etwa, Seminare zu belegen, die sich mit Störungen im Unterricht beschäftigen oder noch ein Praktikum zu absol-vieren, um zu lernen mit der „wirklichen Schul-situation“ zurechtzukommen. Viola führt die missglückte Unterrichtsstunde eher auf fehlende allgemeine Fähigkeiten Hannas, wie zum Bei-spiel Spontanität, Feingefühl oder fehlenden Respekt der Schülerinnen und Schüler zurück.
3.3 Ungereimtheiten/Unstimmigkeiten Mit Ungereimtheiten sind leicht wider-
Da es sich hier, ähnlich wie bei Kategorie 3.3 um sehr lange Ankerbeispiele handeln würde, sollen
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Kategorie 1.Ordnung Kategorie 2. Ordnung Ankerbeispiel sprüchliche Argumentationen gemeint. Da-runter sind Textpassagen zu kodieren, die sich nicht mit vorher Gesagtem oder der gesamten Subjektiven Theorie vereinbaren lassen. Ganz allgemein besteht eine Unge-reimtheit, wenn eine Argumentation nicht stimmig ist.
- Wenn die Befragten zum Beispiel in einem Teil des Interviews einen As-pekt behaupten, an einer anderen Stelle, aber eine gegenteilige Mei-nung vertreten.
- Wenn Erfahrungen des Interviewten zum Beispiel nicht mit einer Ein-schätzung oder Meinung überein-stimmen.
Ungereimtheiten oder Unstimmigkeit in ei-ner Subjektiven Theorie lassen sich genauso wie in Kategorie 3.3 nicht an einer bestimm-ten Textstelle festlegen. Diese Kategorie erstreckt sich über den gesamten Interview-text und die gesamte Argumentation hinweg. Die Anzahl der Kodierungen in dieser Kate-gorie werden von der Summe der Kodierung der Kategorien 3.1 und 3.2 subtrahiert.
an dieser Stelle zwei Beispiele für Ungereimthei-ten oder Unstimmigkeiten im Argumentations-verlauf gegeben werden. In Kapitel 7.4 wird zu-sätzlich speziell auf die Ungereimtheiten einge-gangen. Beispiel Nils: Nils betont gleich zu Anfang des Interviews den besonders positiven Praxisbezug, den er in sei-nen Sportpraxisseminaren entdeckt. Hier kann er seiner Meinung nach selbst besonders aktiv wer-den. Die eigene Aktivität ist für Nils ein zentra-ler Aspekt des Praxisbezuges im Studium. Er bezieht sich auf diesen Aspekt immer wieder zurück. Obwohl Nils mehrmals im Interview Sportpraxisseminare mit dem Aspekt der eigenen Aktivität in den Vordergrund stellt, ist er grund-sätzlich der Meinung, dass die Seminare an der Universität nur theoretisch sind. Erst auf Grund der Aufforderung der Interviewerin und der Fra-ge, wie er diese Meinung mit seinen Erfahrungen aus den Sport-Praxisseminaren verbindet, geht er darauf ein und differenziert seine Ansicht zu Seminaren an der Universität. Eine weitere Un-stimmigkeit liegt darauf aufbauend darin, dass, obwohl er die Sportpraxisseminare eindeutig als positive Erfahrung mit Praxisbezug im Studium aufführt, trotzdem immer wieder die floskelarti-
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Kategorie 1.Ordnung Kategorie 2. Ordnung Ankerbeispiel ge Meinung durchschlägt, dass der Praxisbezug im Studium grundsätzlich zu kurz kommt. Beispiel Sara: Eine Studienstrategie in Bezug auf Praxisbezug von Sara ist es, sich durch Eigeninitiative Pra-xisbezug selbst zu erarbeiten Sara habe schon ab dem ersten Semester versucht, die Studieninhalte immer auf den Lehramtsberuf zu beziehen. Diese Theorie oder viel mehr Strategie kommt in vie-len Interviewsituationen zum Vorschein. Doch was passiert mit ihr, wenn sie diese auf eine Fra-ge nicht mehr anwenden kann? So versucht Sara auch bei einem äußerst theoretischen Beispiel irgendeinen Praxisbezug herauszufiltern und scheitert mehr oder weniger. Sie kommt aber zu der Einsicht, dass obwohl sie immer versucht, die Inhalte auf ihren Beruf zu beziehen, man einfach grundlegendes Wissen brauche, um als Lehrer die Perspektive wechseln zu können. Dies leiste, nach Sara, die Wissenschaft. Diesen Ge-danken verfolgt sie aber nicht weiter. An der Stelle, an der sie ihre eigentliche Theorie nur schwer anwenden kann, entwirft sie eine neue, die aber nicht sehr komplex zu sein scheint.
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7. Ergebnisse
Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse basieren auf der Auswertung, also den
Kodierungen der mittels des Kodierhandbuchs erstellten Interviewtranskripte. Die
Anzahl der jeweiligen Kodierungen in den entsprechenden Kategorien ist in einer
Tabelle im Anhang 4 im Einzelnen dargestellt. Die folgenden Ergebnisse bezüg-
lich der Kategorien erster Ordnung (Komplexität, Differenziertheit und Organisa-
tion) beziehen sich auf die in dieser Tabelle enthaltenen Auszählungen.
7.1 Kategorie 1 „Komplexität“
Vier der Befragten – Sara, Kathrin, Mia und Sven – stechen in dieser Kategorie
besonders hervor, weil sie sehr viele Aspekte von Praxisbezug kennen und im
Interview nennen. Interessant ist, dass diejenigen Befragten, die besonders viele
Aspekte von Praxisbezug nennen, auch einige Möglichkeiten aufzählen, Praxisbe-
zug selbst zu entdecken. Zum Beispiel finden sich in Saras Interview 17 Kodie-
rungen der Kategorie 1.1 „Aspekte von Praxisbezug“ und nennt im gesamten In-
terview zwei Möglichkeiten, selbst Praxisbezug herzustellen. Kathrins Interview
weist in dieser Kategorie 13 Kodierungen auf und enthält vier Möglichkeiten,
Praxisbezug selbst herzustellen. Sven nennt drei Möglichkeiten, Praxisbezug zu
entdecken und elf Aspekte von Praxisbezug. Dahingegen nennt Nils zwar auch 11
Aspekte von Praxisbezug, aber keine Möglichkeiten, diesen selbst herzustellen.
Mia ist mit fünf Kodierungen in der Kategorie 1.2 „Handlungsmöglichkeiten“,
diejenige mit den meisten Nennungen, kennt aber nur neun Aspekte von Praxisbe-
zug.
Im Allgemeinen ist festzustellen, dass die Befragten, auch wenn explizit die Frage
nach Handlungsmöglichkeiten gestellt wurde, insgesamt tendenziell wenige Mög-
lichkeiten nennen, wie sie selbst Bezug zur Praxis herstellen oder entdecken kön-
nen. In der Regel bleiben ihre Ausführungen auf der Ebene der Aspekte von Pra-
xisbezug, das heißt, die Handlungsmöglichkeiten bleiben quantitativ hinter diesen
zurück.4 So antwortet Evelin auf die Frage, wie sie persönlich Praxisbezug her-
stellen würde, mit einem Hinweis auf die Praktika. Da sie sich gerade im Prakti-
kum befindet, ist dieses im Moment ein zentraler ihres Denkens. Doch sie be-
schreibt nur die Praktika, die durch das Studium ohnehin vorgegeben sind, also
4 Die Frage lautet: Was machst du persönlich, um Praxisbezug herzustellen?
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keine Möglichkeit darstellen, Praxisbezug selbstständig aus den Studieninhalten
heraus abzuleiten. Wie eben schon angedeutet, ist Mia mit fünf Kodierungen die-
jenige, die die meisten Nennungen in Kategorie 1.2 aufweist. Nils, Gisela, Viola
und Evelin nennen gar keine Möglichkeiten, selbstständig Praxisbezug herzustel-
len. Ein weiterer interessanter Punkt ist, dass Möglichkeiten, selbst Praxisbezug
zu entdecken immer erst relativ spät im Interview entwickelt und genannt werden,
obwohl eine Frage zu konkreten eigenen Handlungsoptionen schon am Anfang
des ersten Teils des Interviewleitfadens vorhanden ist. Zum Beispiel nennt Mia
erst dann mögliche Strategien, wie sie selbst Praxisbezug herstellt, als sie die Fra-
ge beantwortet, wie das Verhältnis zwischen Studium, Beruf und Praxis aussieht,
welche zum Abschluss des ersten Teils des Interviews gestellt wurde. Mia schlägt
hier die Möglichkeit, sich ehrenamtlich zu engagieren vor, um schon im Studium
eine Vorstellung von der Praxis zu erlangen. Im zweiten Teil des Interviews
schlägt Mia weitere Strategien vor in Bezug auf die Frage, wie sie Hannah im
Fallbeispiel 1 helfen könnte. Auf die Frage, wo sie sich das Handwerkzeug, das
sie Hannah empfiehlt, aneignet, erwidert sie, dass sie sich dieses vor allem von
Lehrerinnen und Lehrern im Praktikum abschaut oder aber auch bewusst Gleich-
gesinnte aufsucht, mit denen sie über Probleme reden kann und die ihr Tipps ge-
ben könnten.
Befragte, die wenige Aspekte von Praxisbezug nennen, generieren oder nennen
auch keine oder sehr wenige Möglichkeiten, Praxisbezug selbst herzustellen. Zu
dieser Gruppe gehören Gisela, Viola und Evelin. Alle nennen sieben bis neun As-
pekte von Praxisbezug, aber keine Handlungsstrategien. Leonie nennt zwar auch
weniger Aspekte von Praxisbezug (elf Kodierungen), aber auch zwei Möglichkei-
ten, sich selbst Praxisbezug herzustellen.
Wird das Ausmaß der Komplexität mit dem Grad an Differenziertheit zusammen
betrachtet fällt auf, dass diejenigen Befragten, deren Subjektive Theorien ein ho-
hes Ausmaß an Komplexität aufweisen auch sehr differenziert argumentieren.
Dies ist bei Sara, Kathrin und Sven der Fall. Nils und Leonie stellen in dieser Be-
ziehung eine Ausnahme dar. Beide nennen insgesamt nur elf Aspekte von Praxis-
bezug, ihre Argumentation ist aber mit 27 Kodierungen insgesamt in der Katego-
rie „Differenziertheit“ eine der differenziertesten.
46
7.2 Kategorie 2 „Differenziertheit“
Auffällig ist an der Differenziertheit der Argumentation in Bezug auf die Verwen-
dung von Floskeln, dass nur zwei der Befragten, Gisela und Sven keine Floskeln
in ihrer Argumentationsweise benutzen. Interessant ist hierbei, dass genau diese
Befragten im Interview mehrfach ihr Interesse und ihren Spaß am Studium und
den Studieninhalten betonen. Bei Sven steht der theoretische Teil der Ausbildung
eindeutig im Vordergrund. Er betont mehrfach im Interview, dass er die Zweitei-
lung der Lehramtsausbildung und den ersten theoretischen Teil der Ausbildung
nicht schlecht findet. Zwölf entsprechende Kodierungen deuten darauf hin, dass
Nils die meisten Floskeln in seiner Argumentation verwendet. Obwohl er viele
Floskeln benutzt, ist seine Argumentationsweise nicht undifferenziert. Er gehört
mit insgesamt 27 Kodierungen in der Kategorie „Differenziertheit“, wie im vorhe-
rigen Kapitel schon angedeutet, sogar zu denjenigen, die sehr differenziert argu-
mentieren.
Erfahrungen zum Thema Praxisbezug des Studiums werden sehr selten in die Ar-
gumentation eingebaut. Gisela, Evelin und Sven, deren Interviews in dieser Kate-
gorie keine Kodierungen aufweisen, bauen ihre Argumentation nicht oder nur sehr
wenig (ein bis zwei Kodierungen) auf Erfahrungen auf. In den Interviews von
Sara, Kathrin, Nils, Gisela, Mia, Leonie und Viola lassen sich drei bis vier Argu-
mentationen kodieren, die direkt auf einer Erfahrung aufbauen oder mit einer sol-
chen begründet werden. Es ist zu vermuten, dass dieses geringe Maß an auf Erfah-
rung beruhender Argumentation damit zu begründen ist, dass die Studierenden
noch nicht viele Erfahrungen in dem erfragten Spannungsfeld zwischen Theorie,
Praxisbezug und Praxis gesammelt haben. Tina Hascher (2006) stellt in ihrer Dar-
stellung der Subjektiven Theorien von Studierenden zum Lernen im Praktikum
heraus, dass die Studierenden den Wunsch vertreten, „vielseitige Erfahrungen [zu]
sammeln.“ (Hascher 2006, 133) Nach Hascher biete „jede Form von Praxiserfah-
rung […] den zentralen Lernkontext“ (ebd., 133). Hier scheint ein Gegensatz oder
eine Unstimmigkeit zwischen dem inhaltlichen Wunsch nach Erfahrung und –
zumindest auf formaler Ebene – der tatsächlichen Auseinandersetzung mit der
gemachten Erfahrung zum Praxisbezug zu bestehen. Interessant wäre es, hier noch
einmal in die Interviewtexte zu schauen und zu untersuchen, welche Erfahrungen
es sind, die in die Argumentation mit eingebaut werden. Handelt es sich dabei
eher um sehr persönliche Erfahrungen oder sind es bei den betroffenen Befragten
47
immer dieselben Erfahrungen, auf denen sie ihre Argumentationen aufbauen?
Dies soll an dieser Stelle kurz an einigen Beispielen veranschaulicht werden. Die
meisten Erfahrungen, die in die Argumentationen eingeflochten werden, beruhen
auf Erlebnissen aus dem Praktikum und hier insbesondere auf Erfahrungen aus
der Hospitation sowie dem eigenen Unterricht. Nils und Viola berichten beide
einmal von einer persönlichen Erfahrungen, über das Zusammentragen von pra-
xisrelevanten Informationen für den späteren Beruf. Nils ist der einzige der Be-
fragten, der eine Erfahrung aus dem Studium in seine Argumentation einbaut.
Viola begründet eine Ansicht mit einer Erfahrung aus der eigenen Schulzeit.
Allgemein sind die Argumentationsweisen der einzelnen Interviewten sehr unter-
schiedlich differenziert. Für alle Befragten kann jedoch festgestellt werden, dass
sie nur sehr selten Perspektivwechsel vornehmen. Je vier Kodierungen in dieser
Kategorie zeigen, dass Nils und Kathrin am häufigsten die Perspektive wechseln.
Die Häufigkeit der abwägenden oder begründenden Argumentationsweise ent-
scheidet nicht über die Anzahl der Floskeln, die die Interviewten in ihre Argu-
mentation einbauen. Mit zwölf Kodierungen finden sich in Nils‘ Argumentation
mit Abstand am meisten Floskeln. Violas und Evelins Argumentationen liegen
mit sechs Kodierungen dahinter. Werden alle Kodierungen der Kategorie „Diffe-
renziertheit“ zusammen betrachtet, weisen Violas und Evelins Argumentationen
das geringste Ausmaß an Differenziertheit auf (mit je insgesamt 14 und acht Ko-
dierungen). Zusätzlich sind die subjektiven Theorien von Viola und Evelin mit
acht und neun Kodierungen in der Kategorie „Komplexität“ auch tendenziell we-
niger komplex. Sven, Leonie und Nils weisen mit insgesamt 28 und 27 Kodierun-
gen in der Kategorie „Differenziertheit“, die differenziertesten Argumentations-
weisen von allen Interviewpartnern auf.
7.3 Kategorie 3 „Organisation“
Nils‘ und Evelins Subjektive Theorien zum Praxisbezug sind mit insgesamt 26
und 22 Kodierungen in der Kategorie 3 die am stärksten organisierten Subjektiven
Theorien. Im Gegensatz zu Nils, dessen Subjektive Theorie zum Praxisbezug vier
Ungereimtheiten enthält, weist Evelins Subjektive Theorie zum Praxisbezug nur
zwei Ungereimtheiten auf. Schon in der Einzelfalldarstellung zu Evelins Subjekti-
ver Theorie wurde die Stimmigkeit und Organisation ihrer Theorie hervorgeho-
ben, welche sich in der Zahl der Rückbezüge und Anwendungen ihrer subjektiven
48
Theorie noch einmal bestätigt. Nils bezieht sich genauso wie Evelin ebenfalls sehr
oft auf eigene Aussagen im Interview zurück (19 Kodierungen) und wendet seine
subjektive Theorie besonders im zweiten Teil des Interviews sehr oft an (elf Ko-
dierungen). Gut organisiert ist des Weiteren mit insgesamt 16 Kodierungen in der
Kategorie „Organisation“ Svens Subjektive Theorie zum Praxisbezug. Die Sub-
jektiven Theorien zum Praxisbezug von Sara, Kathrin, Leonie und Viola sind mit
zehn bis elf Kodierungen tendenziell weniger gut organisiert. Besonders Saras
Subjektive Theorie zum Praxisbezug, welche zwar sehr komplex und differenziert
ist, ist jedoch mit insgesamt fünf Kodierungen in der Kategorie 3 nur sehr gering-
fügig verknüpft. Bei ihr ließen sich zusätzlich nur vier Rückbezüge kodieren. Vio-
la bezieht sich zwar oft auf von ihr im Interview schon Gesagtes zurück (sieben
Kodierungen), wendet ihre Subjektive Theorie zum Praxisbezug jedoch tendenzi-
ell sehr selten im zweiten Teil des Interviews an. Ihre Subjektive Theorie zum
Praxisbezug ist geprägt von der negativen Praktikumserfahrung, dass Unterricht
generell immer sehr chaotisch abläuft. Viola, deren Aussagen auch im Kodier-
handbuch als Ankerbeispiele wiederzufinden sind, macht mehrmals auf die Diffe-
renz zwischen dem Praxisbezug im Studium und die, wie sie es nennt, „wirkliche
Schulsituation“ aufmerksam. In Seminaren der Universität werde die Schulsitua-
tion geschönt dargestellt, weswegen Viola das Praktikum besonders bezüglich des
Praxisbezuges schätzt. Im Studium sollte ihrer Meinung nach mehr auf die Prob-
leme, die sie im Beruf erwarten, eingegangen werden. Diese Aspekte der Subjek-
tiven Theorie von Viola werden nur teilweise im zweiten Teil des Interviews an-
gewendet. So rät sie im Fallbeispiel 1 der Protagonistin Hanna nicht etwa, Semi-
nare zu belegen, die sich mit Störungen im Unterricht beschäftigen oder noch ein
Praktikum zu absolvieren, um zu lernen mit der „wirklichen Schulsituation“ zu-
rechtzukommen. Viola führt die missglückte Unterrichtsstunde eher auf fehlende
allgemeine Fähigkeiten Hannas, wie zum Beispiel Spontanität, Feingefühl oder
fehlenden Respekt der Schülerinnen und Schüler zurück. Des Weiteren würde sie
den Ordner den Ordner „Hilfe für alles“ nur in einem Fall mit Material füllen, der
ihrer Subjektiven Theorie entspricht, nämlich mit Fallbeispielen von Unterrichts-
situationen. Andere Inhalte des Ordners spiegeln ihre Subjektive Theorie tenden-
ziell wenig wieder, wie zum Beispiel inhaltliche Unterrichtsmaterialien aus Ta-
ges- oder Wochenzeitungen. Die Entscheidung für das Seminar „Schule als Le-
bensort gestalten“ begründet sie mit einer Erfahrung aus ihrer eignen Schulzeit,
49
nicht etwa auf Grund der von ihr selbst genannten Erfahrungen oder des ihrer
Meinung nach herrschenden Differenz zwischen Praxis und Studium. Viola wen-
det somit ihre Subjektive Theorie nur in einigen Punkten an, findet oder generiert
aber gleichzeitig neue Aspekte, Meinungen oder Begründungen.
Auffällig ist, dass obwohl die Subjektiven Theorien teilweise sehr gut organisiert
sind, trotzdem Unstimmigkeiten und Ungereimtheiten in den Aussagen der Be-
fragten herrschen. Den Unstimmigkeiten soll an dieser Stelle ein einiges Kapitel
gewidmet werden.
7.4 Kategorie 3.3 „Unstimmigkeiten/Ungereimtheiten“
Unstimmigkeiten im Interview erstrecken sich, wie auch im Kodierhandbuch
schon definiert, über die gesamte Argumentation des Interviews. Sie sind nicht an
einzelnen Textstellen identifizierbar. Anhand der in den Interviews identifizierten
Unstimmigkeiten könnte ein eigenes induktives Kategoriensystem erstellt werden,
das sich ausschließlich mit der Klassifizierung und Kategorisierung der Unstim-
migkeiten, Ungereimtheiten oder Stolpersteine der Befragten beschäftigt. Dies
soll an dieser Stelle aber nicht geschehen, eine mögliche Klassifizierung soll an-
hand einiger Beispiele aus den Interviews nur angedacht werden.
Die meisten Unstimmigkeiten finden sich mit sieben Kodierungen in Giselas In-
terview. Sie weist zusätzlich die am geringfügigst komplexe Subjektive Theorie
auf (ebenfalls sieben Kodierungen) und bezieht sich selten (fünf Kodierungen) auf
ihre eigenen Aussagen im Interview zurück. Ein Grund dafür könnte das Übermaß
an Unstimmigkeiten sein. Mia und Leonie weisen mit je drei Kodierungen in Ka-
tegorie 3.3 die stimmigsten Subjektiven Theorien der Stichprobe auf.
Auffällig ist, dass einige Subjektive Theorien alles andere als stimmig erscheinen.
Obwohl sich die Interviewten an einigen Stellen zwar, wie oben dargestellt, auf
schon Gesagtes zurück beziehen oder ihre Ansichten auf die Fallbeispiele anwen-
den, sind ihre Aussagen teilweise widersprüchlich, unstimmig oder untereinander
nicht verbunden. Eine Frage, die sich an dieser Stelle stellt, ist, inwiefern in sol-
chen Fällen noch von Subjektiven Theorien im Sinne des Forschungsprogramms
Subjektive Theorien gesprochen werden kann. Das FST gibt uns auf die Frage
nach widersprüchlichen Aussagen in einem Interview leider keine Antwort. Die
Diskussion dieser Frage soll jedoch auf die Diskussion am Ende dieser Arbeit
50
verschoben werden. Im Folgenden werden zunächst einige Unstimmigkeiten bei-
spielhaft dargestellt.
Als erstes stellt sich die Frage, inwieweit sich eine auf einer bestimmten Erfah-
rung oder Meinung gründende Subjektive Theorie oder der Versuch einer solchen
Theorie auf andere Erfahrungen, Situationen oder Probleme anwenden lässt. In
den Interviews lassen sich Ungereimtheiten feststellen gerade an den Stellen, an
denen eine Subjektive Theorie in ihrer Anwendung scheitert. Eine Studienstrate-
gie von Sara ist es zum Beispiel, sich durch Eigeninitiative den Praxisbezug selbst
zu erarbeiten oder zu erklären. Sara versucht seit dem ersten Semester, die Studi-
eninhalte immer auf den Lehramtsberuf zu beziehen. Diese Strategie lässt sich
anhand ihres Interviews mehrfach beobachten. Doch führt sie immer zum Erfolg?
Kann Sara diese Strategie in allen Seminaren anwenden? Bei dem Versuch, den
Praxisbezug eines theoretischen Beispiels herauszufiltern, scheitert sie. Sie kommt
aber zu der Einsicht, dass man grundlegendes Wissen brauche, um als Lehrerin,
die Perspektive wechseln zu können. Die Grundlage für diese Fähigkeit legt laut
Sara die Wissenschaft. Dieser Bestandteil der Theorie, Praxisbezug durch Eigen-
initiative herzustellen, scheitert also in der Anwendung. An dieser Stelle entwi-
ckelt Sarah stattdessen die neue Behauptung, dass grundlegendes Wissen aus den
Wissenschaften nötig für den Perspektivwechsel im Beruf sei. Jedoch wird diese
neue Ansicht nicht weiter von Sarah verfolgt oder angewendet.
Ein weiteres Beispiel einer Unstimmigkeit findet sich, wenn eine fremde Subjek-
tive Theorie oder eine andere Ansicht verändert wird. Wenn Kathrin ihren Eltern
zu Hause spezielles, auf einen eng umrissenen, bestimmten Aspekt bezogenes
Wissen präsentiert, lachen diese sie aus und bezweifeln den Anwendungsbezug
dieses Wissens. Kathrin findet jedoch auch für derart spezifisches Wissen An-
wendung in der Praxis. Indem sie versucht die fremde mit ihre eigene Meinung in
Einklang zu bringen, entsteht die Ansicht, dass sie etwas spezielles Lernen will,
was sie in der Schule Anwenden kann. Weiterhin könnte es in Bezug auf Unge-
reimtheiten von Interesse sein, die in die Argumentationen eingeflochtenen Flos-
keln genauer zu untersuchen. Werden diese betrachtet, kann festgestellt werden,
dass sich floskelhafte oder stereotype Meinungen oft gegen differenzierte Mei-
nungen und Ansichten durchsetzen, das heißt, sie beenden und somit Resultat ei-
nes Gedankengangs sind. Nils erkennt so zum Beispiel die Schwierigkeiten, ei-
51
nen Praxisbezug für Studierende in Bezug auf die Beschäftigung mit Texten von
Goethe oder Schiller sichtbar zu machen.
Besonders auffällig ist, dass sich die Meinung, der Praxisbezug im Lehramtsstu-
dium komme grundsätzlich zu kurz, in beinahe allen Interviews durchsetzt. Bei-
spielsweise betont Gisela im Interview mehrmals, dass sie Interesse an den Studi-
eninhalten hat. Trotzdem vertritt sie die stereotype Meinung anderer Referendare,
welche sie im Praktikum kennenlernte, dass sie das im Studium erlangte Wissen
im Beruf nicht anwenden kann.
Wenn es den Befragten im Interview gelingt, neue Ansichten oder Meinungen
gegenüber alten Ansichten zu entwickeln, ist dennoch oft festzustellen, dass diese
neuen Meinungen nur angedacht werden, also eigentlich nicht zur Subjektiven
Theorie der Befragten gehören. Kathrin erkennt zum Beispiel, dass Seminare aus
der Soziologie, in denen sie etwas über Theorien des sozialen Zusammenlebens
und über Gender-Studien lernt, wichtig für ihren späteren Beruf als Grundschul-
lehrerin sind, weil sie in der Grundschule mit vielen verschiedenen Menschen
zusammenarbeiten muss. Trotzdem scheint es Kathrin wichtiger zu sein, die Über-
flüssigkeit solcher Seminare zu betonen.
Es kommt nicht nur innerhalb der Meinungen und Ansichten der Befragten an
sich zu Unstimmigkeiten, sondern auch zwischen Meinungen und Erfahrungen
oder anders ausgedrückt zwischen einer Subjektiven Theorie und deren Anwen-
dung. Dies zeigt sich jeweils im zweiten Teil des Interviews. Nils und Sara be-
richten im ersten Teil beispielsweise mehrmals von durchaus positiven Erfahrun-
gen mit Praxisbezug im Studium, vertreten aber trotzdem immer wieder die Mei-
nung, dass die Seminare an der Uni zu theoretisch sind. Auch Gisela bewertet ein
Interesse geleitetes Studium als positiv, sieht aber in der Anwendung hier keinen
Bezug zu dem Zitat von Sören, der das Interessenstudium in den Vordergrund
seiner Argumentation stellt.
Widersprüche oder Unstimmigkeiten müssen nicht unbedingt negativ gesehen
werden. Das Beispiel von Kathrin zeigt, dass Stolpersteine innerhalb eines Inter-
views durchaus dazu anregen können, eine neue Theorie, neue Ansichten zu ent-
wickeln oder die eigene Subjektive Theorie zu erweitern. Kathrin ist zu Anfang
des Interviews der Meinung, sie könne auch ohne Studium in die Schule gehen
und unterrichten, weil sie über das Wissen, was sie in der Grundschule benötigt,
bereits verfügt. Nachdem Kathrin jedoch die Perspektive eines/er DozentenIn an-
52
nimmt und dort die Ansicht über den Praxisbezug des/der DozentenIn entwickelt,
sie könnte sich in der Praxis durch ihr fundiertes und begründetes Wissen von der
Allgemeinheit abgrenzen, übernimmt sie diese Ansicht, welche im weiteren Ver-
lauf des Interviews zu ihrer eigenen Theorie wird:
Ja weil ich möchte ja/ also ich möchte ja einmal auch so Kompetenzen ler-nen, aber natürlich auch so in dem Sinne Fachwissen, weil ja also ich/ man sagt ja auch manchmal/ manchmal wird ja auch besonders der Grund-schulberuf so angesehen, ja warum braucht man überhaupt eine universitä-re Ausbildung, das kann ich doch auch oder das können auch Hausmütter irgendwie, die Betreuung machen. Aber dass man halt wirklich dann halt sagen kann, so ihr Kind hat/ zeigt das und das Verhalten, daraus lässt sich schließen das und das. (P_2_Kathrin, Abs. 36)
Gerade der Verlauf dieses Interviews ist ein Beweis dafür, dass es lohnenswert
erscheint, sich mit den Ungereimtheiten der Subjektiven Theorien von Studieren
zu beschäftigen. Interessant könnte dies besonders in Bezug auf das Self-
Assessment-Instrument sein. Denn es ist zu vermuten, dass genau an Stellen, an
denen sie nicht glatt, also stimmig argumentieren, an denen die Studierenden sich
unsicher sind, andere Meinungen oder Erfahrungen nicht mit der eigenen Subjek-
tiven Theorie übereinstimmen oder Subjektive Theorien in der Anwendung schei-
tern, die Studierenden offen sind, neue Subjektive Theorien zu konstruieren und
ihre alten zu modifizieren.
8. Kommunikative Validierung – Methodisches Vorgehen und Ergebnisse
Kommunikativ validiert werden in dieser Arbeit zum einen die Einzelfalldarstel-
lungen, also die Rekonstruktionen der Subjektiven Theorien, zum anderen die
Zuordnungen der Interviewteilnehmer/innen zu den zwei Praxiskonzepten A und
B und damit die Typenbeschreibungen an sich. Des Weiteren soll das nochmalige
Gespräch mit den Befragten eventuelle Hinweise darauf geben, ob das Interview
Veränderungen in Bezug auf ihre Ansichten, Meinungen oder auch Subjektiven
Theorien zur Folge hatte, ob die Befragten in Bezug auf das Thema Praxisbezug
im Anschluss weitere Erfahrungen sammelten oder sich sogar bewusst mit dem
Thema auseinander setzten. Des Weiteren ist interessant, ob sie dem Interview an
sich immer noch eine derart positive Bewertung zuschreiben, wie direkt nach dem
Interview. Bezüglich dieser Aspekte wurden jedoch keine expliziten Fragen wäh-
53
rend der kommunikativen Validierung gestellt, sie werden jedoch in die Auswer-
tung aufgenommen, da alle Teilnehmer/innen der kommunikativen Validierung
diese Themen von sich aus ansprachen.
Aufgrund der dem Forschungsprogramm Subjektive Theorien zugrunde liegenden
Menschenbildannahmen wird, wie oben dargestellt, eine weite Begriffsdefinition
des Begriffs ‚Subjektive Theorien‘ von einer engen Begriffsdefinition unterschie-
den. Auf die Merkmale der weiten sowie der engen Begriffsvariante wurde be-
reits im Kapitel über die Struktur Subjektiver Theorien eingegangen. Wird die
enge Begriffsbestimmung des FST angelegt, schließt dies ein, dass „die zugrunde-
liegenden Menschenbildannahmen noch ernster [genommen] und sie radikaler in
das Konzept der ‚Subjektiven Theorien‘ ein[ge]führt bzw. mit auf[ge]nommen“
(Groeben et al. 1998, 21) werden. Wird in dieser Arbeit der engen Begriffsvarian-
te gefolgt, ergibt sich daraus das hier zu beschreibende weitere methodische Vor-
gehen. Die zugrunde liegende Menschenbildannahme des FST schreibt vor, dass
der Forscher, im FST als „Erkenntnis-‚Subjekt‘“ beschrieben, mit dem/der Be-
fragten, dem „Erkenntnis-‚Objekt‘“, gemeinsam die Rekonstruktion seiner Sub-
jektiven Theorie vornimmt oder „zumindest die Angemessenheit der Rekonstruk-
tion der ‚Subjektiven Theorie‘ im Dialog mit dem Erkenntnis-‚Objekt‘ feststellen
können sollte.“ (ebd., 22) Damit soll hervorgehoben werden, dass der/die Befrag-
te, genauso wie der/die Forscher/in zu reflexivem und rationalem Denken fähig
ist. Methodologisch wird diese engere Begriffsvariante vom FST „als die stärkere
angesehen.“ (ebd., 22) Das FST schlägt einige Methoden vor, die eine dialog-
konsensuale Überprüfung der Subjektiven Theorien mit dem Erkenntnis-Objekt
zusammen ermöglichen. Hier sind zum Beispiel die Heidelberger Struktur-Lege-
Technik von B. Scheele/N. Groeben (1984) oder die Interview- und Legetechnik
zur Rekonstruktion kognitiver Handlungsstrukturen ILKHA von D.-H. Dann
(1992) aufzuführen. Aufgrund der hohen zeitlichen Beanspruchung der Befragten,
welche diese Methoden mit sich bringen, wurde für diese Arbeit eine zeitlich we-
niger aufwändige Variante ausgewählt. Für die kommunikative Validierung wur-
den die oben beschriebenen Einzelfalldarstellungen bzw. die Rekonstruktionen
der Subjektiven Theorien angefertigt. Diese wurden den Interviewpartnern/innen
im Rahmen eines zweiten Termins ca. ein halbes Jahr nach dem ersten Interview
vorgelegt. Die Interviewpartner/innen, also die Erkenntnis-‚Objekte‘, bekamen
damit die Möglichkeit mit dem/der Forscher/in zwar nicht in einem direkten Dia-
54
log, dennoch aber in einen Dialog mit dem wissenschaftlichen Text zu ihrer eige-
nen Subjektiven Theorie zu treten und als Experten/innen ihrer Selbst die Ange-
messenheit dieser Darstellung zu überprüfen. Der Konsens mit dem/der For-
scher/in in Bezug auf die Rekonstruktion ist hier bewusst nicht Ziel der kommu-
nikativen Validierung. Es soll zwar überprüft werden, ob der Forscher, die Aussa-
gen der Interviewten richtig versteht und rekonstruiert, aber das Erkenntnis-
Objekt soll auf keinen Fall dazu gezwungen werden, Aspekte, die nicht seiner
Auffassung entsprechen, anzunehmen. Dies ist in der Beschaffenheit der Struktur
der Subjektiven Theorien zum Thema Praxisbezug begründet und wird später in
der Arbeit aufgegriffen und erläutert.
Vier der neun ausgewerteten Interviews wurden gemeinsam mit den Befragten
validiert. Den Befragten wurde dabei die Rekonstruktion ihrer Subjektiven Theo-
rie in Form eines ausformulierten, zusammenhängenden Textes vorgelegt. Sie
wurden gebeten, sich den Text durchzulesen und daraufhin die Frage zu beant-
worten, ob sie sich selbst in der ihnen vorliegenden Darstellung wiedererkennen.
Für den Fall, dass sie sich nicht wiedererkennen, wurden die Befragten dazu auf-
gefordert, diejenigen Textpassagen der Rekonstruktion zu kommentieren, von
denen sie meinen, dass sie ihre Meinung nicht korrekt wiedergeben und gebeten,
diese Passagen gegebenenfalls zu ergänzen. Ein Beispiel einer für die Validierung
ausformulierten Rekonstruktion ist im Anhang beigefügt. Während des Lesens
standen den Interviewteilnehmern/innen Stifte zur Verfügung und sie wurden da-
zu ermuntert, sich im Text Notizen zu machen oder Stellen zu markieren, die
ihnen nicht angemessen erschienen.
Des Weiteren dient die Kommunikative Validierung auch als Evaluationsinstru-
ment in Bezug auf die Frage, ob das Interview als Methode eine Möglichkeit dar-
stellt, die Subjektiven Theorien von Studierenden, in neue Kontexte zu rücken,
um eine intensivere oder eine um bisher unbeachtet gelassene Aspekte erweiterte
Auseinandersetzung mit Praxisbezug zu ermöglichen
Die Ergebnisse der Kommunikativen Validierung sollen im Hinblick auf drei Fra-
gen kurz dargestellt und erläutert werden. Zum einen besteht die Frage, angelehnt
das oben dargestellte Kriterium des Dialog-Konsens‘ im Zusammenhang mit dem
Forschungsprogramm Subjektive Theorien, inwiefern die Befragten den ausfor-
mulierten Darstellungen ihrer Subjektiven Theorie zustimmen, sie korrigieren
oder sogar ablehnen. Zum anderen soll der Frage nachgegangen werden, ob die
55
Befragten, der vorgenommenen Typenzuordnung zustimmen oder diese ablehnen.
Als dritter Punkt soll untersucht werden, auf welche Art und Weise sich die Be-
fragten mit dem Thema oder dem geführten Interview zum Thema Praxisbezug in
der Zeit zwischen Interview und kommunikativer Validierung beschäftigt haben.
Zu diesem letzten Punkt ist zu bemerken, dass er nicht explizit erfragt wurde und
nur berücksichtigt wird, wenn die Interviewten von selbst etwas zu dem Thema
sagten.
Im Allgemeinen stimmen alle vier Teilnehmer/innen der Rekonstruktion ihrer
Subjektiven Theorie zum Praxisbezug zu. Gestützt wird diese Schlussfolgerung
durch die Tatsache, dass alle Befragten ihre eigene Rekonstruktion ihrer Subjekti-
ven Theorie zum Praxisbezug nach dem zweiten Gespräch gerne mit nach Hause
nehmen wollten. Nils fühlt sich „sehr bestätig“ in der ihm vorliegenden Darstel-
lung, Kathrin erkennt sich „schon deutlich in der Darstellung wieder“, Sven be-
merkt, dass er sich in der Rekonstruktion „im Großen und Ganzen […] schon
ziemlich genau getroffen“ sieht und Evelin ist „grundsätzlich schon“ einverstan-
den mit der Rekonstruktion ihrer Subjektiven Theorie. Nils, Kathrin und Evelin
greifen daraufhin jeweils noch einmal die Aspekte aus den Darstellungen heraus,
die ihnen am wichtigsten und zentralsten erscheinen. So betont Evelin zum Bei-
spiel noch einmal eindringlich den Praxisbezug, den sie in den Sportseminaren
und Didaktikveranstaltungen entdeckt. Nils greift den Aspekt der „Zwei-Welten-
Problematik“ noch einmal heraus und ist erstaunt darüber, dass dieser Begriff im
Interview von ihm selbst eingeführt wurde. Obwohl in allen Einzelfalldarstellun-
gen, wenn vorhanden, Widersprüche oder Unstimmigkeiten in den Argumentatio-
nen der Befragten veranschaulicht werden, greift keine/r der Befragten diese Un-
stimmigkeiten in der kommunikativen Validierung auf, um näher darauf einzuge-
hen oder diese Unstimmigkeit zu beseitigen. Nils nimmt, wie eben dargestellt,
sofort den Begriff der „Zwei-Welt-Problematik“ aus dem Text heraus, der kurz
danach in der Rekonstruktion dargestellte Widerspruch bezüglich seiner Praxiser-
fahrungen mit den Sport-Praxisseminaren im Studium bleibt jedoch unangetastet
bzw. wird nicht angesprochen.
Bezüglich der Zuordnung zu den Praxiskonzepten A und B fällt die Validierung
nicht so eindeutig aus, wie bei den Rekonstruktionen der Subjektiven Theorien.
Sven ist der einzige, der ohne differenzierteren Kommentar zustimmt und sich
selbst ebenfalls Praxiskonzept B zuordnet. Nils sieht sich selbst dem Praxiskon-
56
zept A zwar auch richtig zugeordnet, bemerkt aber, dass er die Beschreibung des
Praxiskonzeptes B als positiver empfindet und bemängelt die Trennschärfe der
beiden Typen. Er fühlt sich besonders in Bezug auf die Darstellung seiner Argu-
mentationsweise gezwungen, eine Erklärung dafür abzugeben, warum er eher dem
Praxiskonzept A zuzuordnen ist. Dies liege seiner Meinung nach an seinem mini-
malen Vorwissen zum Thema Praxisbezug im Studium und der auf wenigen Er-
fahrungen basierenden Argumentation. Kathrin ordnet sich interessanterweise
selbst zunächst tendenziell Praxiskonzept A zu, obwohl sie im Rahmen der Inter-
viewauswertung Praxiskonzept B zugeordnet wurde. Erst als sie beide Konzepte
für sich noch einmal rekapituliert, stimmt sie mit der Zuordnung überein. Evelin
betont bezüglich der Zuordnung zu Praxiskonzept A, mit der sie anhand ihres In-
terviews einverstanden ist, dass sich ihre Einstellung seit dem Interview deutlich
geändert habe, in Richtung einer Verzahnung von Theorie und Praxis und dem-
entsprechend auch hin zu Praxiskonzept B.
Dieser Aspekt leitet direkt zur dritten Fragestellung über: Haben sich die Inter-
viewteilnehmer/innen mit dem Thema Praxisbezug des Studiums selbst weiterge-
hend beschäftigt oder haben sich ihre Subjektiven Theorien weiterentwickelt? Wie
eben angedeutet, betont Evelin besonders, dass ihr der Aspekt des Theoretischen
seit dem Interview viel wichtiger erscheint. Die Bedeutung der Theorie zu erken-
nen falle ihr leichter, wenn sie das „Verhältnis Theorie-Praxis sieht oder erkennt,
als wenn [sie] jetzt strikt zwei verschiedene Paar Schuhe sieht.“ (kV_9_Evelin,
Abs. 4) Nils berichtet bezüglich der Frage nach Weiterentwicklung, dass er sich
nach dem Interview noch einmal in ein Gespräch mit zwei Dozenten/innen zu
dem Thema Praxisbezug des Studiums begeben hat, was bei ihm zu einer ge-
schichtlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Lehrerausbildung führte. Der
nächste Schritt bestehe für Nils darin, sich noch intensiver mit dem Thema Pra-
xisbezug im Studium auseinanderzusetzen. Kathrin sieht jetzt vor allem viel deut-
licher, wie undifferenziert sie die Begriffe „Wissen“, „Theoriewissen“ und „Kom-
petenzen“ verwendet. In der Validierung geht sie besonders auf ihre Entwicklung
oder Veränderung der Sichtweise, welche schon im Verlauf des Interviews festzu-
stellen war, ein. Ihre Meinung wird in der Validierung sogar noch radikaler, in-
dem sie nun Praxiserfahrungen und die Verzahnung von Theorie und Praxis voll-
ständig in das Referendariat verschiebt. Ihre entwickelte Subjektive Theorie, in
der das Fachwissen im Studium einen größeren Stellenwert erhält als es vor dem
57
Interview der Fall war, steht hier im Vordergrund. Unstimmig bleibt ihre Subjek-
tive Theorie zum Praxisbezug dennoch, was sich darin zeigt, dass sie sich zuerst
dem Praxiskonzept A zuordnet. Sven ist der einzige Befragte, der von selbst nicht
von einer Entwicklung und einer Weiterbeschäftigung mit dem Thema Praxisbe-
zug berichtet.
9. Diskussion
Zusammenfassend lässt sich bezogen auf die Auswertung der Subjektiven Theo-
rien zum Praxisbezug anhand des erstellten Kategoriensystems zu formalen
Merkmalen von Subjektiven Theorien feststellen, dass mit Blick auf die formale
Struktur keine der erhobenen Subjektiven Theorien zum Praxisbezug alle drei
formalen Merkmale – Komplexität, Differenziertheit und Organisation – gleich-
ermaßen ausgewogen erfüllt. Die Subjektive Theorie von Sven ist diejenige, wel-
che dieser formalen Forderung am nächsten kommt. Seine Theorie erscheint mit
14 Kodierungen in der Kategorie „Komplexität“ mittelmäßig, ist aber mit 28 Ko-
dierungen in der Kategorie „Differenziertheit“ und mit 16 Kodierungen in der
Kategorie „Organisation“ sehr differenziert und gut verknüpft. Bemerkenswert ist,
dass Svens Subjektive Theorie die einzige ist, die keine Widersprüche oder Unge-
reimtheiten enthält. Als weiteres Beispiel ist Nils Subjektive Theorie zum Praxis-
bezug tendenziell weniger komplex, aber dafür sehr differenziert und sehr gut
organisiert, obwohl sie einige Unstimmigkeiten enthält.
Auf Grund der Annahme, dass Subjektive Theorien, die in dem hier entwickelten
Kategoriensystem enthaltenen formalen Merkmale in hinreichender Form erfüllen
müssen, um zwar nicht erfolgreiches Handeln zu begünstigen (Vgl. Dann et al.
1987; Haag/Dann 2001), aber jedoch ein umfassendes Bild und hinreichend be-
gründete Meinungen zum Praxisbezug im Studium zu ermöglichen, kann für die
vorliegende Stichprobe festgestellt werden, dass keine schlüssigen Subjektiven
Theorien zum Praxisbezug in entsprechender Form vorliegen. Was jedoch festge-
halten werden muss und gegen die Tendenz eines ständigen Verlangens nach
mehr und besserem Praxisbezug spricht, die durch den Diskurs zu Praxisbezug im
Studium erweckt wird, ist, dass die in dieser Arbeit befragten Studierenden selbst
nicht wirklich wissen, was sie vom Praxisbezug im Studium erwarten und wie
ihre eigene Einstellung oder Position zum Praxisbezug, aber auch zum Verhältnis
von Theorie und Praxis und zum Verhältnis von Studium und Beruf aussieht.
58
Es handelt sich, wie die formale Analyse der Interviews zeigt, bei den Ansichten
und Meinungen der Studierenden zum Praxisbezug viel mehr um Versuche von
Subjektiven Theorien als um Subjektive Theorien zum Praxisbezug. Die inter-
viewten Lehramtsstudierenden versuchen eigene Subjektive Theorien zu entwi-
ckeln, um sich sowohl bezüglich des Verhältnisses von Studium und Beruf als
auch des Verhältnisses von Theorie und Praxis einen festen Standpunkt aufzubau-
en, finden aber diesen Standpunkt nicht. Sie versuchen des Weiteren diese Ver-
hältnisse zu verstehen und miteinander in Verbindung zu setzen, scheitern aber
dennoch an der Komplexität dieses Diskurses um Praxisbezug in der Lehrerbil-
dung, vor dem selbst die Lehrerbildungsforschung teilweise zurückschreckt. (Vgl.
Cramer et al. 2009)
Die Versuche Subjektiver Theorien zum Praxisbezug der interviewten Studieren-
den können dadurch charakterisiert werden, dass Überlegungen abgebrochen oder
Gedankengänge nicht weiter verfolgt werden. Ansichten innerhalb einer Subjekti-
ven Theorie widersprechen sich und sogar explizite Wünsche, wie der Wunsch,
möglichst viele Erfahrungen sammeln zu können (Vgl. Hascher 2006) werden
zwar geäußert, aber scheinen auf einer anderen Ebene dann doch keine Relevanz
für die Argumentation zu besitzen. Es reicht demnach nicht aus, nur das Verlan-
gen nach Praxis, den „Praxisfetischismus“ (Sacher 1988, 47) oder ein „denken
von der Praxis her“ (Cramer et al. 2009, 776) als Ergebnisse der Meinungen von
Studierenden zum Praxisbezug des Studiums in den Vordergrund zu stellen, denn
dieses Verlangen ist, wie in der Einleitung veranschaulicht, kein eintöniger Chor.
Der Umgang mit Praxisbezug im Studium kann charakterisiert werden als ein
Versuch, sich zurechtzufinden innerhalb, wie Nils es formuliert, von „zwei Wel-
ten“ und ist geprägt von Unstimmigkeit. Unstimmigkeit tritt dabei nicht nur in den
einzelnen Versuchen von Subjektiven Theorien zum Praxisbezug auf, was in die-
ser Arbeit ausreichend dargestellt wurde. Unklarheiten über Zielsetzungen bezüg-
lich des Praxisbezugs im Lehramtsstudium treten auch in der Lehrerausbildungs-
debatte auf. Es handele sich zum Beispiel selbst bei den Begriffen „Praxisbezug“
oder „Berufsbezug“ „um unscharfe Begriffe“ (Hedtke 2000, 3 und vgl. Wey-
land/Wittmann 2010)
Studien, welche die Meinungen und Ansichten der Studierenden als unstimmig
oder als Versuch, sich in den „zwei Welten“ Theorie und Praxis zurechtzufinden
darstellen, lassen sich in der Literatur zur Lehrerbildungsforschung kaum finden.
59
Es liegt bis jetzt nur ein Ergebnis von Blömeke et al. (2006) vor, welches einen zu
den Erkenntnissen dieser Arbeit passenden Widerspruch der Studierendenaussa-
gen aufdeckt. So wird in der betreffenden Studie, welche die Meinungen von Stu-
dierenden und Referendaren zu der Zweiteilung des Lehramtsstudiums erfasst,
herausgestellt, dass die Studierenden abwertenden Aussagen zur Forschung nicht
wirklich ablehnend, aber auch nicht wirklich zustimmend gegenüberstehen. Nach
Blömeke et al. würde eine zustimmende Haltung gegenüber diesen Aussagen, den
weiteren Ergebnissen ihrer Studie entsprechen, welche sich dem Verlangen nach
mehr Praxis anschließen und demnach konsistent seien. Es ergeben sich bezüglich
der Studierendenbewertungen zur Forschung jedoch mittlere Werte für Zustim-
mung und Ablehnung. (Vgl. Blömeke et al. 2006, 158 f.)
Es kann des Weiteren festgestellt werden, dass eine Entwicklung der Subjektiven
Theorien zum Praxisbezug zum Teil schon während des Interviews stattfindet.
Die kommunikative Validierung zeigt zusätzlich, dass das Interview zu einer in-
tensiveren Auseinandersetzung mit und auch Veränderung von Subjektiven Theo-
rien zum Praxisbezug führt. In Bezug auf die Struktur Subjektiver Theorien zum
Praxisbezug können, wie oben veranschaulicht, Unstimmigkeiten und Widersprü-
che, welche zum Beispiel auf Grund eines Perspektivwechsels oder auf Basis ei-
ner Auseinandersetzung mit Aspekten fremder Subjektiver Theorien zum Praxis-
bezug auftreten oder erkennbar werden, zu Veränderungen oder Erweiterungen
der eigenen Subjektiven Theorie führen. Das oben dargestellte Beispiel Kathrins,
welche ihre Theorie, nachdem sie in die Perspektive einer Dozentin wechselte, um
einen zentralen Aspekt erweitert, veranschaulicht eine solche Veränderung sehr
gut. So werde nach Wahl (2005) die „Gültigkeit [der] eigenen Sichtweise in Frage
gestellt“ (ebd., 56) und die „Relativität der eignen Wirklichkeits-Konstruktionen“
(ebd., 57) bewusst gemacht. Das Ausmaß dieser Erfahrung mit dem Perspektiv-
wechsel und der daraus entstandenen Entwicklung wird in der kommunikativen
Validierung mit Kathrin noch deutlicher. Sie geht hier auf den Entwicklungsas-
pekt noch einmal ein. Ein begründetes und fundiertes Wissen scheint ihr zum
Zeitpunkt der kommunikativen Validierung immer noch wichtig, wenn nicht so-
gar noch wichtiger geworden zu sein. Auch in der Auseinandersetzung mit Aspek-
ten fremder Subjektiver Theorien können auf der Basis von Unstimmigkeiten oder
Widersprüchen bezüglich dieser Aspekte, Entwicklungen festgestellt werden.
Zum Beispiel hinterfragt Sara ihre eigene Studienstrategie, in jeder Hinsicht selbst
60
Praxisbezug herstellen zu wollen, nachdem sie mit der fremden Meinung konfron-
tiert wird, dass dies in einigen Situationen einfach nicht möglich sei. Es soll
nochmals betont werden, dass gerade Textstellen, welche Unstimmigkeiten dar-
stellen, einen möglichen Spielraum eröffnen, Subjektive Theorien zu verändern
oder zu erweitern und dies nicht nur inhaltlich, sondern auch formal.
In der kommunikativen Validierung zeigt sich darüber hinaus, dass allein die
Auseinandersetzung mit dem Thema Praxisbezug durch ein auf einem Leitfaden
basierendes Gespräch sowohl zu dem Verlangen führen kann, sich weiterhin mit
dem Thema beschäftigen zu wollen als auch zu Entwicklungen oder Änderungen
der Subjektiven Theorien oder Meinungen führen kann. Zum Beispiel betont Nils
schon nach dem Interview mit ihm die positive Bedeutung, die dieses für ihn ein-
nimmt:
Also ich kann nur sagen, dass mir das Interview sehr viel genützt hat, weil man sich natürlich ganz bewusst/ Also weil man natürlich sich über sowas gar nicht austauscht. Also man macht sich natürlich selbst jetzt Gedanken drüber und findet vielleicht hier und da mal einen Anknüpfungspunkt oder es kommt halt im Gespräch irgendwie zur Bedeutung, aber so stichhaltig habe ich mir da noch gar keine […] Gedanken ge-macht. Und das war super spannend und interessant […]. (P_3_Nils, Abs. 108)
Selbst in der kommunikativen Validierung geht Nils nochmals auf den Einfluss
ein, den das Interview auf ihn ausübt:
Also, ich habe mich jetzt, wie gesagt, wir haben ja gesprochen und dann hatte ich die-ses eine Gespräch geführt. Das fand ich auch ganz interessant. Und ich habe ja auch gesagt, dass ich auch unser Gespräch total spannend fand. Und hatte ja auch/ hat sich ganz schön lang gezogen, erst mal alles zu rekapitulieren. Und ich glaube der nächste Schritt wäre, sich halt mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen. (kV_3_Nils, Abs. 40)
Evelin betont in der kommunikativen Validierung, wie sehr sich ihre Meinung
zum Praxisbezug nach dem Interview geändert hat:
Auf jeden Fall würde ich jetzt so im Nachhinein sagen, dass ich auf jeden Fall die Theorie, also das Studium und damit so den Theorieanteil dieser Ausbildung schon wesentlich wichtiger finde, glaube ich als ich es zur Zeit des Interviews empfunden habe. Weil ich einfach denke, dass hier einfach Grundwissen vermittelt wird, was letztendlich wichtig ist für das Berufsleben, für das Referendariat, für die Praktika jetzt, für das spätere Berufsleben. Man muss da irgendwie eine Verknüpfung sehen. (kV_9_Evelin, Abs. 4)
Der hohe Stellenwert, den das Interview für die Befragten einzunehmen scheint,
wird auch daran deutlich, dass alle Teilnehmer/innen der kommunikativen Vali-
61
dierung die schriftliche Rekonstruktion ihrer Subjektiven Theorie zum Praxisbe-
zug mit nach Hause nehmen wollen.
Abschließend kann herausgestellt werden, dass besonders einige Aspekte oder
Teile des Interviewleitfadens für ein in der Lehrerbildung eingesetztes Self-
Assessmentinstrument besonders in Frage kommen könnten. Dabei handelt es sich
im speziellen um den ersten Teil des Interviews, welcher den Studierenden einen
Spielraum eröffnet, sich konkrete Gedanken zum Thema Praxisbezug im Studium
zu machen und eine eigene Ansicht zu diesem Themenkomplex entwickeln zu
können. Zum anderen erscheinen aber auch die Teile des Interviewleitfadens von
besonderer Relevanz, die den Interviewten, wie oben veranschaulicht, ihre eige-
nen Ansichten bewusst machen, sie irritieren, zu Widersprüchen führen oder Un-
stimmigkeiten hervorrufen. Hiermit werden die Auseinandersetzung mit den
fremden Subjektiven Theorien und die Perspektivwechselfrage angesprochen. So
ist, wie in der Einleitung dieser Arbeit schon angedacht, mit Wahl (2005) gerade
die Bewusstmachung, die Problematisierung und die grundsätzliche Konfrontation
mit Subjektiven Theorien auch in Hinsicht auf Subjektive Theorien zum Praxisbe-
zug als erster Lernschritt zu betrachten.
62
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Weyland, U. (2010): Zur Intentionalität Schulpraktischer Studien im Kontext uni-
versitärer Lehrerausbildung. Paderborn: Eusl-Verlagsgesellschaft mbH.
65
Anhang 1: Teilnehmerliste Name Alter Geschlecht Semester Studiengang/Fach P_1_Sara 22 weiblich 4 LA GS
Deutsch/Englisch P_2_Kathrin 21 weiblich 4 LA GS
Deutsch/Englisch kath. Religion
P_3_Nils 23 männlich LA GymGes Deutsch/Sport
P_4_Gisela 22 weiblich 6 LA GymGes Deutsch/Philosophie
P_5_Mia 23 weiblich 8 LA HRGe Deutsch/kath. Religi-on/Hauswirtschaft
P_6_Leonie 22 weiblich 4 LA GymGes Pädagogik/ Spanisch
P_8_Viola 24 weiblich 10 LA HRGe Deutsch/kath. Religion
P_9_Evelin 23 weiblich 8 LA GS Deutsch/kath. Religi-on/Sport
P_10_Sven 26 männlich 10 LA GymGes Deutsch/Geschichte
66
I. Was fällt dir spontan zum Thema „Praxisbezug des Studiums“ ein?
II. Kannst du mir eine Situation aus dem Studium beschreiben, die du als besonders praxisbezogen empfunden hast?
Informationen zum Interview und zum Ablauf des Gesprächs.
Anhang 2: Interviewleitfaden zum Thema Praxisbezug
Ich bedanke mich noch einmal sehr dafür, dass Sie sich dazu bereit erklärt haben, an diesem Interview zum Thema Praxisbezug im Studium teilzunehmen. Das Interview wird im Rahmen des Projektes STEP: Studium und Beruf. Subjek-tive Theorien von Studierenden und Lehrenden zwischen Praxisbezug, Employa-bility und Professionalisierung durchgeführt. Das Interview besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil geht es darum, sich Gedan-ken über den Begriff „Praxisbezug“ zu machen. Im zweiten Teil des Interviews werde ich Ihnen Fallbeispiele, also kleine Geschichten zum Thema Praxisbezug im Studium vorlesen, zu denen es mehrere Fragen geben wird. Wie mit Ihnen besprochen, möchte ich das Interview mit Ihnen aufzeichnen. Das Interview erhält einen Codenamen; außerdem werden alle biographischen Hin-weise so verändert, dass kein Rückschluss auf Ihre Person mehr möglich ist.
In erster Linie interessieren mich Ihre eigenen Meinungen und Ansichten zum Thema Praxisbezug. Deswegen möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass es in diesem Interview keine falschen Antworten gibt und für mich ihre persönliche Meinung im Vordergrund steht. TEIL A: Die Begrifflichkeit, das Thema „Praxis“ ausloten
Mögliche Zusatzfragen, um den Praxisbezug in der vom Befragten geschilderten Situation näher zu erfassen:
• Was genau war der Praxisbezug? • Was genau war der Situation bedeutsam für die Praxis? • Was machst du persönlich, um Praxisbezug herzustellen?
67
IV. Wie würdest du den Unterschied beschreiben zwischen Praxis, wie sie dir im Studium begegnet und wie du sie dir später im Beruf vorstellst?
Sind die Unterschiede Deiner Ansicht nach gravierend/ wesentlich?
Mögliche Zusatzfragen:
• Welchen Sinn macht es, dass Dozenten/innen so (so wie du es be-schrieben hast) über Praxisbezug denken?
• Warum denken Dozenten/innen so? • Wenn es Unterschiede zwischen II. und III. gibt: Welchen Sinn
macht es, dass Du Praxisbezug so definierst, wie Du es eben be-schrieben hast?
• Wenn es Unterschiede gibt: Kannst Du Dir diese Unterschiede er-klären?
Weitere Fragen, die in Teil A gestellt werden könnten (auch andere Formulierun-gen):
• Wie würdest du für dich Praxis beschreiben/ definieren? • Was macht für dich Praxis aus.
III. Stell dir vor, du bist eine Dozentin oder ein Dozent an der Universität. Was bedeutet für sie oder ihn Praxisbezug?
68
TEIL B: Das Verhältnis von Studium und Praxis/ Praxis und Beruf: Mögliche Zusatzfragen:
• Gibt es auch gute Lehrveranstaltungen, die wenig Praxisbezug aufweisen?
• Warum gibt es solche Lehrveranstaltungen? • Fühlst Du Dich durch das Studium gut auf die berufliche Praxis
vorbereitet? • Schätze bitte den Praxisbezug des Studiums auf einer Skala zwi-
schen 0 (kein Praxisbezug) und 100 (könnte nicht besser sein) ein!
• Wie würdest du das Verhältnis von Studium, Beruf und Praxis be-schreiben?
Zitat 1 (Sören, Abs. 5): „Ich empfinde das so. Es heißt oft, das Lehramtsstudium wär nicht praxisbezogen. Ich sehe das so: Es kann schon gut sein, dass es nicht sehr praxisbezogen ist, aber ich finde das auch nicht schlecht. Ich habe dann hinterher, spätestens im Referen-dariat, noch Zeit, diesen Praxisbezug zu erfahren. Vielleicht könnte man da in Sachen Praktika noch etwas verbessern. Aber ansonsten finde ich es wichtig, dass ich vor allem in meinen Fächern – und ich habe den Studiengang überhaupt erst wegen den Fächern gewählt – vorbereitet werde.“ Zitat 2 (Svenja, Abs. 43): „Und ich glaube, das ist einfach die allgemeine Ansicht, dass das Studium zu we-nig praxisbezogen ist. Man macht seine drei Praktika, plus das außerschulische Praktikum. Und das ist die einzige Phase, wo man sich wirklich mal ausprobieren kann, wirklich auch mal unterrichten kann. Und was ich von anderen Studieren-den gehört habe, was dann auch meine eigene Meinung irgendwie wiederspiegelt, ist, dass man dann aber dennoch recht wenig von dem angewandt hat, was man in der Universität gelernt hat, sondern eher von den Erfahrungen der anderen Lehrer profitiert.“
I. Kannst du mir eine Lehrveranstaltung beschreiben, in der du deiner Meinung nach besonders viel Praxisbezug erfahren hast und eine Ver-anstaltung, die besonders wenig praxisbezogen war?
II. Lies dir diese drei Zitate in Ruhe durch. Welches passt am besten zu dir? Warum?
Wenn keines der Zitate zu dir passt, wie würdest du deine Meinung zu den Textstellen abgrenzen?
69
• Stell dir vor Hannes oder Hannah wäre dein Freund/deine Freundin und kämen am Nachmittag völlig aufgelöst zu dir. Was, glaubst Du, wäre wichtig zu besprechen?
• Womit sollte sich Hannes/Hannah in dieser Situation beschäftigen, um sich weiter zu entwickeln?
Zitat 3 (Laura): „Das ist ja auch nicht schlecht, man lernt in der Universität ja die Techniken und alles und diese Techniken haben auch immer wirklich einen hohen Anspruch. Also es ist nicht so, dass die Dozenten/innen sagen, ja wir bringen euch jetzt mal malen bei oder so, man kriegt hier schon wirklich etwas an die Hand geliefert. Und ich weiß nicht, ob es überhaupt leistbar ist bei jeder Sache, die man da lernt, ob man da wirklich auch gleich den Bogen zur Schule spannen kann, keine Ah-nung. Also Praxis bekomme ich eine Menge, aber wie ich diese Praxis in der Schule anwende jetzt eigentlich nicht.“
Fallbeispiel 1 – Schlechte Unterrichtsstunde Hannes/Hannah macht gerade sein/ihr Orientierungspraktikum. In den letzten zwei Wochen ist er/sie immer sehr interessiert mit den Lehrerinnen und Lehrern mitgegangen und hat deren Unterricht beobachtet. Nun ist Hannes/Hannah selbst an der Reihe. Er/Sie soll seine/ihre erste eigene Unterrichtsstunde in der 6. Klasse seines/ihres Betreuungslehrers halten. Wie in dem Seminar „Planung und Durch-führung von Unterricht“ gelernt, plant Hannes/Hannah seine/ihre Stunde und ent-wirft dafür ein Verlaufsprotokoll. Das macht er/sie genauso, wie im Seminar, denn dort hat es ihm/ihr bei der Simulation seiner/ihrer Unterrichtstunde sehr gut geholfen. Mit der Planung und dem Verlaufsprotokoll in der Hand fühlt Han-nes/Hannah sich gut vorbereitet und geht zuversichtlich in die Stunde. Nach ca. 5 Minuten merkt er/sie aber, dass seine/ihre Planung überhaupt nicht aufgeht, denn die Klasse ist total unruhig. Die Schülerinnen und Schüler haben anscheinend überhaupt keine Lust auf Unterricht, sie wollen viel lieber die in ei-ner Woche anstehende Klassenfahrt besprechen. Zu guter letzt springt sein/ihr Betreuungslehrer auf und übernimmt den Unterricht für ihn/sie.
Fallbeispiel 2 - Gute Unterrichtsstunde Hannes/Hannah macht gerade sein Orientierungspraktikum. In den letzten zwei Wochen ist er/sie immer sehr interessiert mit den Lehrerinnen und Lehrern mitge-gangen und hat deren Unterricht beobachtet. Nun ist Hannes/Hannah selbst an der Reihe. Er/Sie soll seine/ihre erste eigene Unterrichtsstunde in der 6. Klasse sei-nes/ihres Betreuungslehrers halten. Wie in dem Seminar „Planung und Durchfüh-rung von Unterricht“ gelernt, plant Hannes/Hannah seine/ihre Stunde und entwirft dafür ein Verlaufsprotokoll. Das macht er/sie genauso, wie im Seminar, denn dort hat es ihm/ihr bei der Simulation seiner/ihrer Unterrichtstunde sehr gut geholfen.
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• Hannes/Hannah erzählt dir am Telefon begeistert von der Unter-richtsstunde. Du willst unbedingt mehr erfahren und ihr trefft euch am Nachmittag zum Kaffeetrinken. Auf welche Aspekte würdet ihr den Erfolg zurückführen?
• Frage ohne Bewertung: Auf welche Aspekte der Unterrichtsstunde würdet ihr den positiven Verlauf zurückführen?
• Was glaubst Du, befindet sich in diesem Ordner? • Ab wann würdest du es in deiner Laufbahn für sinnvoll halten, einen
solchen Ordner zu erstellen und auf welche Art und Weise würdest du das machen?
Mit der Planung und dem Verlaufsprotokoll in der Hand fühlt Hannes/Hannah sich gut vorbereitet und geht zuversichtlich in die Stunde. Hannes/Hannah fühlt sich vor der Klasse richtig wohl, die Schülerinnen und Schüler machen gut mit und es gibt nur wenige Komplikationen. Am Schluss der Stunde bekommt er/sie sogar noch ein Lob von seinem/r/ihrem/r Betreuungsleh-rer/in: „Du hast das heute richtig gut gemeistert. Wenn du so weiter machst, wirst du keine Probleme im Referendariat bekommen.“
Fallbeispiel 3 – Ordner „Hilfe für Alles“ Stell dir vor, du besuchst eine Freundin/einen Freund, den du sehr lange nicht mehr gesehen hast. Diese/r Freund/in studiert auch Lehramt. Ihr beiden macht es euch in seinem Zimmer gemütlich und fangt an über euer Studium zu reden. Plötzlich entdeckst du in seinem Regal einen Ordner auf dem steht „Hilfe für al-les!“. Auf deine Nachfrage erzählt dir dein/e Freund/in, dass sich in diesem Ord-ner eigentlich alles befindet, was er/sie in seinem/ihrem Berufsalltag zur Bewälti-gung von jeglichen Situationen und Problemen brauchen könnte. Der Ordner habe ihm/ihr eigentlich bis jetzt immer weitergeholfen. Irgendwann fing er/sie an, sich diesen Ordner anzulegen. Er wachse auch immer noch weiter.
Fallbeispiel 4 – Die Seminarentscheidung Heute Morgen wurde das PAUL-Vorlesungsverzeichnis freigeschaltet. Du musst nun deine erziehungswissenschaftlichen Kurse wählen und hast dafür nicht viel Zeit, denn wie jedes Jahr sind natürlich die besten Kurse innerhalb von 10 Minu-ten belegt. Nun musst du dich zwischen zwei Kursen, die dich interessieren entscheiden. Der Titel des ersten Seminars lautet „Erziehung und Bildung – ausgewählte Konzepte und Theorien“. In diesem Seminar sind mehrere Exkursionen zu verschiedenen Schulen geplant. Der Titel des zweiten Seminars lautet „Schule als Lebensort ge-stalten – Über die Schulreformen und Ganztagsschulen“. Hier wird die reformbe-
71
• Für welches der beiden Seminare würdest du dich entscheiden? Wa-rum?
• Was für Erwartung wecken die Seminartitel in dir? • Warum hast du dich nicht für das andere Seminar entschieden?
dingte Umgestaltung des Schulwesens thematisiert und es werden Konzepte un-tersucht und entwickelt, wie Schule als Lebensort gestaltet werden kann. Ein weiterer Titel für das zweite Seminar könnte sein: „Unterschiedliche Schü-ler/innen – Unterschiedliche Leistungen? Individuelle Förderung in der Schule.“ In diesem Seminar werden neue Ansätze zur individuellen Förderung von Schüle-rinnen und Schülern thematisiert.
Abschlussfragen:
In unserem Projekt untersuchen wir, was sich Studierende und Lehrende unter dem Praxisbezug des Studiums vorstellen. Wir haben festgestellt, daß es große Unter-schiede zwischen diesen beiden Gruppen gibt, daß sich aber auch die Studierenden untereinander sehr unterscheiden. Das ist ja vielleicht durch die Zitate schon deutlich geworden. Gibt es noch etwas, was Du zu diesem Punkt sagen oder fragen möch-test?
Letzte Abschlußfragen
Möchtest du noch irgendetwas ergänzen, was deiner Meinung noch wichtig wäre?
Welche Fragen fandest du besonders interessant?
Welche waren schwierig zu beantworten?
Bei welchen Fragen hast du das Gefühl, das sie dir selber nützen?
72
Anhang 3: Einzelfalldarstellungen Sara:
Saras Konzept von Praxisbezug im Studium besteht aus verschiedenen Aspekten.
Die inhaltlich-thematische Ausdifferenzierung des Konzepts nimmt im Laufe des
Interviews an Komplexität zu. Eng sind mit ihrem Konzept aber auch Studienstra-
tegien verbunden, um Praxisbezug herzustellen. Sara unterscheidet zwischen
„wirklichem“ Praxisbezug, den sie im Praktikum bzw. in der Schule erfährt, und
Praxisbezug, bei dem sie auf theoretischer Ebene lernt, schulische Prozesse zu
verstehen. Als Praxisbezug des Studiums fordert sie einerseits explizit Wissen,
das sie später in der Schule bzw. Praxis direkt anwenden kann. Andererseits ver-
folgt sie auch die Studienstrategie, sich den Bezug zur Schule eigeninitiativ herzu-
stellen. Sie sucht aktiv einen praxisbezogenen Sinn hinter den Studieninhalten.
Praxisbezug hat für sie zudem die Funktion, den Studierenden dabei zu helfen,
ihre Berufswahl, Lehrer oder Lehrerin, überdenken und überprüfen zu können.
Diese verschiedenen, von Sara thematisierten Aspekte von Praxisbezug stehen im
Interview nebeneinander und sind, wie im Folgenden veranschaulicht wird, nicht
ganz ohne innere Widersprüche. Zuerst wird das Konzept von Praxisbezug im
Studium inhaltlich ausdifferenziert.
Neben dem von mir im Interview vorgegebenen Begriff „Praxisbezug“ verwendet
Sara außerdem die Begriffe „Praxisnähe“, „Praxis“, „wirklicher Praxisbezug“
sowie „Bezug zur Schule“ und „mit Unterricht in Berührung kommen“. „Wirkli-
che“ Praxisnähe kann auf zwei Weisen entstehen. Wenn ein Seminar, in dem Sara
beispielsweise Wissen über das Unterrichten oder über Unterrichtsstörungen er-
langt, das Gefühl hervorruft, sie könnte morgen in die Schule gehen und dort tätig
werden, ist es sehr praxisnah. Das Praktikum ist den Wirklichkeitsbezug betref-
fend von größter Bedeutung. Sie würde ihren Ordner „Hilfe für alles“ beispiels-
weise erst dann anlegen, wenn sie das erste Mal im Praktikum war, zum ersten
Mal Unterricht konzipieren musste und das erste Mal Praxis erlebt hat. Sie er-
kennt aber auch Schattenseiten des Praktikums: So fehlt im Praktikum der Berufs-
alltag. Dieser Unterschied ist aber nicht entscheidend.
Nähe zur Praxis wird auch dadurch erzeugt, dass Lehrer/innen als Dozent/innen
an die Universität kommen und Unterrichtsmaterialien, Beispiele, Erfahrungen
sowie aktuelles Wissen über Schüler/innen aus der Schule mitbringen. Sie bringen
73
ein Stück Wirklichkeit aus der Schule in die Universität. Sara ist von dieser Art
des Praxisbezugs sehr überzeugt. Sie hat in Seminaren, die von Lehrer/innen ge-
leitet wurden, neben dem Praktikum, den größten Praxisbezug erfahren, und sie
äußert sich sehr zufrieden über den hohen Praxisbezug derartiger Lehrveranstal-
tungen.
Dadurch, dass Sara das Praktikum als ersten Kontakt mit dem „wirklichen“ Pra-
xisbezug klassifiziert, differenziert sie den Begriff oder das Thema Praxisbezug
weiter aus. Sie unterscheidet an dieser Stelle die Begriffe Praxisbezug und Praxis
voneinander. Wenn sie vor der Klasse steht und unterrichtet, ist das Praxis, weil es
den Beruf, die Arbeit in der Schule, die Arbeit mit Kindern beinhaltet. Praxisbe-
zug entsteht schon dann, wenn sie theoretisch lernt, diese Prozesse und Situatio-
nen des Unterrichts zu verstehen. Dieser Praxisbezug beginnt früher als die Pra-
xis. Ein von Sara prägnant beschriebenes Beispiel ist, im Studium mit Unterricht
in Berührung zu kommen, wenn sie sich in Seminaren Videomitschnitte von Un-
terrichtssequenzen anschaut, diese analysiert oder im Unterricht hospitiert und
diesen kriteriengeleitet reflektiert. Ein anderes Beispiel sind Referate in der Uni-
versität, denn diese ähneln dem Unterrichten in der Schule.
Wie oben bereits erwähnt, wendet Sara aktiv die Studienstrategie an, Praxisbezug
eigeninitiativ herstellzustellen, wenn dieser nicht direkt thematisiert wird. Sie
sucht dabei in Seminaren nach relevanten Aspekten für ihren Beruf und tut das
auch dann, wenn diese sehr wenig offensichtlich sind, wie aus ihrer Sicht bei der
Analyse von Hamlet. Es ist ihr persönlich sehr wichtig, in jedem Seminar den
Bogen zur Schule zu spannen und es in den Kontext der Schule einbetten zu kön-
nen. So irritiert sie die Meinung von Laura, die eher sagt, es sei nicht möglich, in
jedem Seminar einen Bezug zur Schule herzustellen. Saras eigene Strategie
kommt angesichts dieser fremden Meinung über Praxisbezug ins Wanken. Dies
regt sie an, über ihre eigene Sichtweise nachzudenken.
Wenn Sara selbst Praxisbezug herstellt, sucht sie gleichzeitig auch nach einem
Sinn hinter den Studieninhalten. Bei Seminaren, die ihr völlig aus dem Zusam-
menhang gerissen zu sein scheinen, findet Sara keine Motivation zur aktiven Teil-
nahme. Sara erwartet, dass genauso wie ein/e Lehrer/innen Schülern/innen den
Sinn von Unterrichtsinhalten erklären muss, Dozent/innen in der Lage sind, den
Studierenden ihre Perspektive näher zu bringen, damit diesen der Nutzen der Stu-
74
dieninhalte deutlich wird. Diese Ansicht ergänzt die Strategie, überall eigeninitia-
tiv Praxisbezug herstellen können zu müssen.
Es fällt Sara schwer, sich in die Perspektive einer Dozentin hineinzuversetzen. Sie
bemerkt selbst, dass sie bei ihrem ersten Versuch in die Dozentinnenperspektive
zu schlüpfen, unabsichtlich wieder in die Studierendenperspektive zurück wech-
selt. Auch später äußert sie Wünsche (Lehrer/innen als Dozent/innen an die Uni-
versität) anstelle die Perspektive der Lehrenden einzunehmen, hier allerdings ohne
dies selbst zu bemerken. Sie vertritt hier die Meinung, dass Lehrende, um Praxis-
bezug in ihren Veranstaltungen herstellen zu können, diesen Praxisbezug selber
erfahren haben müssen. An dieser Stelle äußert sie auch ihre Überzeugung bezüg-
lich den Fachwissenschaften. Sara kann sich die Studieninhalte nicht getrennt von
der Schule vorstellen; die Fächer interessieren sie nur in Bezug auf die Schule.
Reiner Theorie kann sie gar nichts abgewinnen.
Sara verlangt von Seminaren Anwendungsbezug. Sie will Dinge lernen, die sie in
der Schule anwenden kann, beispielsweise von Lehrplänen vorgegebene Unter-
richtsthemen, -materialien oder der Umgang mit Störungen im Unterricht. Sie
überprüft das Gelernte anhand der Erfahrungen, die sie im Praktikum sammelt.
Das steht in leichtem Widerspruch zu ihrer Strategie, Praxisbezug selbständig
herzustellen.
Sara konnte in der Schule bzw. im Praktikum Inhalte anwenden, die sie im Studi-
um gelernt hat. Trotzdem erzeugte das Praktikum einen Wunsch nach mehr
Handwerkszeug, von dem sie sich erhofft, es noch im Studium zu erhalten. Sie
bewertet die Vorbereitung auf den Lehrerberuf durch das Studium mit 75%
durchaus hoch, äußert aber trotzdem Unzufriedenheit mit der ihr zu geringen
Menge an vermitteltem Anwendungswissen. Sie geht nicht weiter darauf ein, was
sie im Praktikum anwenden konnte, sondern beschreibt eine Situation, in der ihr
Wissen im Praktikum fehlte.
Praxisbezug in Form von Praktika erfüllt auch die Funktion, die Entscheidung für
das Lehramt zu überprüfen. Dies beschreibt sie aber nicht an sich selbst, sondern
an Personen, die für den Lehrerberuf nicht geeignet sind oder keine Motivation
dazu haben. So lehnt sie die Meinung von Sören, der nur wegen seiner Fächer
studiert, klar ab. In Seminaren, in denen man sich als Lehrer/in ausprobieren kann,
kann eine solche Überprüfung ebenfalls stattfinden.
75
Sara verändert ihr Verständnis von Praxisbezug über das Interview und ihre Mei-
nung erreicht einen höheren Grad von Differenziertheit. Am Anfang des Inter-
views assoziiert sie mit dem Praxisbezug im Unterricht anwendbares Wissen.
Dies bleibt über längere Passagen der dominante Gesichtspunkt. Später betont sie,
dass das Praktikum den wirklichen Praxisbezug herstellt, gefolgt von dem Selbst-
einwand, daß Praxisbezug auch dadurch entsteht, dass man theoretisch lernt, wie
Unterrichten und Arbeit in der Schule funktioniert. Gegen Ende des Interviews
setzt sich ausgelöst durch die Frage, was die Lehrenden unter Praxisbezug ihrer
Lehrveranstaltungen verstehen, Unsicherheit durch, und schließlich äußert sie das
Bedürfnis nach einer wissenschaftlichen Definition von Praxisbezug.
Dass sie sich nicht vorstellen kann, was Dozenten unter Praxisbezug verstehen,
erstaunt und verunsichert sie so, dass sie trotz einer anfänglich recht sicheren De-
finition von Praxisbezug am Ende ihr Nichtwissen eingesteht.
Gisela:
Im Interview von Gisela stehen sich zwei Aspekte, die mit dem Thema Praxisbe-
zug zu tun haben, gegenüber. Auf der einen Seite der unmittelbare Wunsch nach
mehr Praxisbezug, auf der anderen Seite ein Studium, das sich nach Interessen
richtet. In einem solchen Studium ist Praxisbezug laut Gisela jedoch ausgeschlos-
sen. Aspekte, die Gisela im Zusammenhang mit dieser Splittung anspricht, sind
das Wissen, das sie in der Schule anwenden will und die eigene Initiative, die sie
zusätzlich aufbringen muss, um Praxisbezug herzustellen oder sich auf die Praxis
vorzubereiten. Außerdem beschreibt sie Differenzen zwischen dem Studium und
dem Beruf in Bezug auf die Realitätsnähe.
Gisela wünscht sich schon in der Antwort auf die erste Frage des Interviews mehr
Praxisbezug. Sie kritisiert deutlich, dass das Studium zu wenig praxisbezogen ist.
Praxisbezug erwartet Gisela jedoch nur in fachdidaktischen Seminaren. Sie
wünscht sich hierbei mehr Anwendungsbezug der Studieninhalte. Sie möchte also
Wissen erwerben, dass sie unmittelbar in der Schule anwenden kann. Dieses Wis-
sen besteht zum Beispiel aus Mustervorlagen für Unterrichtsreihen oder Arbeits-
blätter. Materialien dieser Art würde Gisela in ihrem Ordner „Hilfe für alles“
sammeln. Gisela legt die Vorbereitung auf den Beruf jedoch nicht nur in die Hän-
de der Universität. Sie betont genauso die Eigeninitiative, die von Nöten ist, um
nach dem Studium vorbereitet in den Lehramtsberuf zu gehen. Giselas Eigenver-
76
antwortung besteht darin, Veranstaltungen entsprechend der Anforderungen ihres
zukünftigen Berufes und entsprechend ihrer persönlichen Schwächen auszuwäh-
len. Dem zufolge schätzt Gisela die Berufsvorbereitung durch das Studium auf 40
bis 50 Prozent ein. Begründet wird diese Einschätzung von Gisela dadurch, dass
es im Studium immer die Möglichkeit gibt, Seminare zu wählen, die nicht auf den
Beruf vorbereiten.
Nicht auf die Praxis vorbereitet wird Gisela auch, wenn sie nur gemäß ihrer Inte-
ressen studieren würde. Obwohl sie es eigentlich gut findet, den eigenen Interes-
sen zu folgen, betont sie immer wieder die Unvereinbarkeit eines Interessenstudi-
ums mit dem Praxisbezug bzw. der Berufsvorbereitung. Sie findet es wichtig, ei-
nen Einblick in verschiedene Gebiete zu bekommen und ihr Wissen zu erweitern,
sieht aber keine Möglichkeit, dieses Wissen in der Schule anzuwenden. Für Gisela
besteht ein großer Bruch zwischen dem Studium und dem Beruf. Obwohl das
Praktikum den größten Realitätsbezug bietet, unterscheidet Gisela zwischen einer
Universitätsrealität und einer Schulrealität. Im Studium geht es mehr darum, Wis-
sen anzuhäufen, wogegen im Lehrerberuf der Schwerpunkt auf Wissensvermitt-
lung liegt. Auch wenn Gisela dies im Studium bei Unterrichtssimulationen schon
einmal üben und sich ausprobieren kann, sieht sie dennoch das Problem, dass im
Studium keine Schülerinnen und Schüler, sondern Studierende vor ihr sitzen. Ihre
interessenbedingten Studieninhalte erscheinen ihr zu abstrakt und in der Realität
nicht anwendbar, weil sie aus Erfahrungsberichten anderer weiß, dass Referendare
durchaus das im Studium erlernte Wissen nicht anwenden können und sich zu-
sätzliche Inhalte, die im Schullehrplan enthalten sind, erarbeiten müssen. Auch
unterscheidet sich die Position, die sie im Studium einnimmt und die sie in der
Praxis einnehmen muss deutlich. Im Studium beschäftigt sie sich viel mit sich
selbst, sie kann Personen, mit denen sie nicht zurechtkommt meiden. Im Beruf ist
dies jedoch anders, hier muss sie mit jedem Schüler/jeder Schülerin, ob sie sie nun
mag oder nicht, zusammenarbeiten.
Mia:
Mia unterscheidet in ihrem Konzept von Praxisbezug die theoretische Praxis, wel-
che sie im Studium erfährt, von der praktischen Praxis, der sie später im Beruf
erwartet zu begegnen. Diese Unterscheidung soll im Folgenden weiter erläutert
werden.
77
Theoretische Praxis beschreibt den Praxisbezug in der Universität, der von einer
gewissen Form von Idealität geprägt ist. Theoretisch ist Praxis genau dann, wenn
in Seminaren versucht wird, auf Praxis einzugehen; wenn also theoretische Texte
gelesen oder Theorien zur Unterrichtsgestaltung thematisiert werden. Mia emp-
findet selbst die Arbeit mit Erfahrungsberichten von Lehrpersonen als theoretisch.
Obwohl sie die Arbeit mit Fallbeispielen schon als relativ praxisnah betrachtet, ist
dies immer noch nur die theoretische Beschäftigung mit Praxis. Theoretisch sind
für Mia zusätzlich auch Simulationen von Unterrichtsstunden in Seminaren. Sie
kann sich hier zwar praktisch ausprobieren, jedoch stimmen diese Situationen
nicht mit der „Wirklichkeit“ überein. Obwohl sich Mia im Verlauf des Studiums
im Unterrichten versucht, den Ablauf von Unterrichtsstunden plant oder Frage-
stellungen für den Unterricht erarbeitet, kritisiert sie, dass alles, was sie im Studi-
um macht, ideal und somit im Schulalltag, im „wahren Leben“ nicht wirklich um-
setzbar ist. Mia kann sich ihrer Meinung nach im Studium nur ein bisschen theo-
retisches Wissen bezüglich Praxis aneignen. Die „wirkliche“ Praxis oder prakti-
sche Praxis beginnt erst mit dem alltäglichen Berufsleben in der Realität. Mia
sieht die Studieninhalte als theoretische Basis an, welche ihr wichtig ist. Bestärkt
wird diese Meinung durch Vergleiche ihrer Erfahrungen mit den Erfahrungen
anderer Personen, aber auch durch die Erfahrung, dass sich ohne ein bestimmtes
Thema, also ohne Inhalt, keine vernünftige Unterrichtsstunde planen lässt. Dem
gegenüber steht die Meinung ihrer Tante, die schon 25 Jahre lang im Lehrerberuf
tätig ist. Diese meint, Mia solle die Studieninhalte nicht so wichtig nehmen, denn
später im Beruf seien andere Kompetenzen nötig. Auf Grund dieser Einschätzung
freue Mia sich auf das Ende ihres Studiums, da es ihr nichts bringe und das Stu-
dieren ihr außerdem keinen Spaß mache. Es ist für sie ausschließlich der Weg zu
ihrem Beruf.
Nimmt sie die Dozentinnenperspektive ein, stellt Mia sich vor, dass sich Dozie-
rende in der Praxis mit Theorien beschäftigen. In Seminaren bereiten Dozen-
ten/innen Praxisbeispiele immer in Bezug auf Theorieansätze vor. Es geht dabei
nicht um konkrete Problemstellungen oder Unterrichtssituationen. Sie versteht,
dass die Dozenten/innen dadurch Grundlagen vermitteln wollen, die ihr später im
Beruf Orientierung bieten.
Einen Einblick in die „wirkliche“ Praxis oder praktische Praxis, die im Gegensatz
zur theoretischen Praxis steht, bekommt Mia durch das Praktikum. Hier kann sie
78
sich besser als Lehrerin ausprobieren als in Unterrichtssimulationen im Studium,
denn in der Schule erlebt sie Realität. Diese Ansicht unterstützend zieht Mia die
Meinung ihres Onkels heran, der, mittlerweile in Rente, sich in seinem Lehramts-
studium insbesondere Praktika gewünscht hätte, um einen besseren Einblick in
das Berufsfeld des Lehrers zu bekommen. Letztendlich sieht sie nur den Beruf als
Praxis an, weil sie hier mit „wirklichen“ Situationen, mit dem „wahren“ Leben
konfrontiert wird. Auf der einen Seite vertritt Mia zwar die Meinung, dass es
schwierig ist, im theoretischen Rahmen der Uni praxisnah zu arbeiten, weil die
äußeren Bedingungen (z.B. Studierende verkörpern Schülerinnen und Schüler)
sich zu sehr von der tatsächlichen Situation in der Schule unterscheiden. Sie kriti-
siert hier insbesondere, dass Simulationen in der Universität nicht das „wahre“
Leben wieder geben. Trotzdem ist sie aber froh darüber, dass derartige Simulatio-
nen überhaupt angeboten werden und dass sie sich so ausprobieren kann. Sie
möchte Seminare solcher Art trotz aller Kritikpunkte nicht missen. Bezüglich des
Fallbeispiels über Hannahs erste Unterrichtsstunde stellt Mia dieselbe Problematik
hervor. Wenn die Betreuungslehrerin, wie im Fallbeispiel beschrieben, die Unter-
richtsstunde von Hannah wegen Unterrichtsstörungen unterbricht, kann Hannah
sich nicht „wirklich“ testen. Mia fände es besser, im Praktikum auch mit Proble-
men konfrontiert zu werden und diese bewältigen zu müssen; denn sie geht davon
aus, dass genau dies später im Beruf auf sie zukommt.
Weil Mia der Kontakt mit der „wirklichen“ Praxis so wichtig ist, wählt, sie, wenn
sie sich im letzten Fallbeispiel für ein Seminar entscheiden muss, das Seminar
„Erziehung und Bildung – Konzepte und Theorien“. Sie erhofft sich durch die
Exkursionen zu verschiedenen Schulen, dass die abstrakten Theorien konkretisiert
und in der Schule angewendet werden.
Mia fühlt sich durch das Studium nicht auf die berufliche Praxis vorbereitet, denn
„wirkliche“ Probleme aus der Schule werden im Studium weniger thematisiert. So
schätzt Mia den Anteil der praktischen Berufsvorbereitung im Rahmen des Studi-
ums auf einer Skala von 0 bis 100 Prozent bei 20 bis 30 Prozent ein. Einen Grund
hierfür sieht sie darin, dass Studierende und Dozierende verschiedene Ansichten
bezüglich des Praxisbezugs im Studium verträten. Die Dozierenden gingen zu
wissenschaftlich vor, um ihrem Wunsch nach Praxis gerecht zu werden. Auch
wenn Mia sich nicht gut auf ihren späteren Beruf vorbereitet fühlt, würde sie
trotzdem einige Inhalte aus ihrem Studium in den Ordner „Hilfe für alles“ packen.
79
Darin enthalten wäre demnach sowohl Wissen, das Mia unmittelbar anwenden
kann, wie zum Beispiel spezielle Unterrichtsstunden oder Unterrichtsreihen, als
auch konkrete Tipps für den Umgang mit Unterrichtsstörungen und allgemeineres
Wissen. Hiermit meint sie allgemeine Richtlinien zur Unterrichtsplanung oder
Kontaktadressen, die sie befragen kann, wenn sie vor Problemen steht.
Sörens Meinung, der nur seiner Fächer wegen studiert, lehnt Mia vollkommen ab.
Sie hat ihr Studium insbesondere aufgrund ihres Berufswunsches, Lehrerin wer-
den zu wollen, begonnen. Dies sollte, wenn man sich für ein Lehramtsstudium
entscheidet auch immer an erster Stelle stehen. Ihr ist in erster Linie ihr späterer
Beruf an sich wichtig, danach kommt das Interesse an ihren Fächern.
Leonie:
Der zentrale Bezugspunkt von Leonies Konzept in Hinsicht auf Praxisbezug im
Studium ist das Praktikum. Dieses ist für sie die sinnvollste und wichtigste Quelle,
vor dem Einstieg in den Beruf Praxiserfahrungen zu sammeln. Das Praktikum
ermöglicht es Leonie gleichzeitig, einen Bezug zur „Wirklichkeit“, also dem Un-
terrichten in der Schule herzustellen. Theoretisches Wissen steht eher am Rande
von Leonies Subjektiver Theorie und ist in diese nicht wirklich integriert.
Das Praktikum dient Leonie zum einen, wie oben schon kurz angesprochen, dazu,
Bezug zur Praxis zu erlangen, zum anderen aber auch als Prüfinstanz für die In-
halte, die ihr im Studium vermittelt werden. Zentrale Aspekte des Praktikums an
sich sind, dass Leonie vor Ort, also in der Schule hospitieren, dass sie sich selbst
ausprobieren, aber auch dass sie den Lehrerberuf, so wie er sich tatsächlich dar-
stellt, kennen lernen kann. Anhand der Erfahrungen, die Leonie im Praktikum
sammelt, ist es ihr möglich, ihr Studium besser auf ihre berufsbezogenen Bedürf-
nisse auszurichten. So ist das Praktikum für Leonie zum Beispiel die einzige
Möglichkeit, ihre Vorannahmen, die sie aus ihrer eigenen Schulzeit über den Leh-
rer/innenberuf mitbringt, noch einmal zu überprüfen und zu revidieren. Leonie
will sich selbst als Person in Bezug auf ihre Berufseignung testen. Das Praktikum
ist so zu sagen ihr Draht zu der Berufswirklichkeit. Dabei bedeutet für sie „wirkli-
che“ Praxis, eigenständig und aktiv zu unterrichten. Die Vermittlung von Inhalten,
die Auseinandersetzung mit Schülerinnen und Schülern und ein ruhiges Verhalten
im Unterricht stellen für sie wichtige Bestandteile des eigenständigen Unterrich-
tens dar. Die „wirkliche“ Praxis findet, Leonies Meinung nach, in der Schule statt.
80
So spricht sie mehrmals im Interview die Differenz zwischen Lehrinhalten und-
methoden des Studiums und der Übertragbarkeit auf die Praxis an. Im Studium
könnten so viele Unterrichtsstunden wie möglich geplant werden; diese wären
nicht hundertprozentig in der „wirklichen“ Praxis durchführbar. Interessant ist an
dieser Stelle, dass Leonie diese Ansicht nicht berücksichtigt, wenn sie Hanna nach
ihrer missglückten Unterrichtsstunde Tipps gibt. Hier erwähnt Leonie nur kurz,
dass Hanna lernen sollte, ein wenig flexibler zu sein.
Leonie erwartet also, den Lehrer/innenberuf erst zu erlernen, wenn sie „wirklich“
in der Schule tätig sein wird. Sie kritisiert den Umstand, dass sie sich im Studium
immer noch in der Schülerinnenrolle befindet, wohingegen sie im Unterricht die
Lehrerinnenrolle einnehmen muss. Sie sieht das Verhältnis zwischen Dozent/in
und Studiereden eher als ein Schüler-Lehrer-Verhältnis und wünscht sich, um
dem entgegen zu wirken, im Studium mehr Raum für eigene Aktivität, in Form
von Rollenspielen, Referaten, Moderationen und Simulationen. Leonie fühlt sich
nur zu 40 bis 50 Prozent durch das Studium auf den Beruf vorbereitet, was in ers-
ter Linie an dem beschriebenen Mangel an Unterrichtspraxis liegt. Folglich
wünscht sie sich längere und durch die Universität besser betreute Praktika.
Inhalte, die Leonie im Studium vermittelt werden, sollten in der „Wirklichkeit“,
also in der Schule Anwendung finden können. Doch die Seminare der Universität
weisen Leonies Meinung nach teilweise keinen Unterrichtsbezug bzw. Anwen-
dungsbezug auf. So sind auf der einen Seite Veranstaltungen im Rahmen des
Lehramtsstudiums zu abstrakt und nehmen einen zu allgemeinen Standpunkt ein.
Auf der anderen Seite enthalten diese Veranstaltungen jedoch auch theoretische
Aspekte, die Leonie als sehr relevant für ihren späteren Beruf einstuft und im
Praktikum anwenden konnte. Didaktische Theorien, wie zum Beispiel Wissen
über Unterrichtsplanung und –gestaltung oder Wissen über Störungen im Unter-
richt gelten für Leonie als vorbereitend für die Praxis. Daneben benötigt sie zu-
dem Fachwissen, um dieses dann später in der Praxis einsetzen zu können. Folg-
lich kritisiert sie zum einen Svenjas Aussage, in der diese behauptet, dass Studien-
inhalte in der Praxis nicht anwendbar sind. Aufgrund Leonies eigener Erfahrung
im Praktikum ist sie diesbezüglich anderer Meinung. Zum anderen wählt sie bei
der Seminarentscheidungsfrage das Seminar „Erziehung und Bildung“, weil sie
sich davon sowohl erhofft, Theorien kennenzulernen, die sie später im Beruf ein-
setzen kann, als auch durch die Exkursionen den direkten Bezug zur „Wirklich-
81
keit“ zu erhalten. Zudem finden Theorien zur Unterrichtsgestaltung einen Platz in
Leonies Ordner „Hilfe für alles“.
Bis auf ihre Einschätzung des Praktikums scheint Leonie sich nicht wirklich si-
cher zu sein, welche Veranstaltungen oder Aspekte des Studiums für sie praxisbe-
zogen sind und welche nicht. Theoretische Seminare oder Vorlesungen, die sie in
einem Kontext als zu abstrakt bewertet, werden in anderen Kontexten als relevant
für die Berufspraxis bezeichnet.
Viola:
Erste Assoziationen, die Viola zum Thema Praxisbezug nennt, sind die Praxispha-
sen im Studium, Simulation und Seminare, welche ihrer Meinung nach nicht die
Schulsituation wiederspiegeln.
Viola äußert einen starken Wunsch nach mehr Praxisbezug, obwohl ihre Meinung
gleichzeitig stark geprägt ist von eher negativen Praxiserfahrungen in der Schule.
So steht im Hintergrund ihrer Theorie eine auf Grund von Praktika geprägte Er-
fahrung, dass es in der Schule bzw. im Unterricht sehr chaotisch zugeht und somit
eine regelgerechte Furcht vor dem Chaos, das sie ihrer Meinung nach später im
Beruf erwartet. Sie berichtet, dass im Praktikum Lehrer sowie Mitpraktikantinnen
nicht mit Schülerinnen und Schülern im Unterricht umgehen konnten. Obwohl sie
so ein Chaos auch im Referendariat erwartet, kann Viola sich trotzdem keinen
anderen Beruf für sich vorstellen.
Um jedoch im Referendariat, wie Viola mehrmals zum Thema Praktikum be-
merkt, nicht in kaltes Wasser geworfen zu werden, entwickelt sie ein großes Ver-
langen nach Praxisbezug. Dieser besteht zum einen aus Praxisphasen, die ihrer
Meinung nach zwar zu kurz sind, aber trotzdem die einzige Lösung darstellen, sie
ausreichend auf das spätere Berufsleben vorzubereiten. Vom Studium erwartet
sie, didaktisches Grundlagenwissen zu erhalten, bemängelt aber gleichzeitig, dass
zum Beispiel Unterrichtssimulationen in Seminaren nicht der Wirklichkeit ent-
sprechen und somit für sie an Wert verlieren. Viola wünscht sich auch im Studium
mit konkreten Situationen zu arbeiten, wobei es ihr, passend zu ihren Erfahrungen
aus dem Praktikum, besonders darum geht, wie sie mit Störungen im Unterricht
umgehen kann. Passend dazu lenkt Viola das Gespräch bezüglich der Situation, in
der Hannah sich im Fallbeispiel befindet sofort auf die Probleme und Störungen,
mit denen Hannah konfrontiert ist. Die äußeren Bedingungen stehen für Viola hier
82
im Vordergrund der Betrachtung nicht die eigenen Fähigkeiten. So sollte das Stu-
dium ihrer Meinung nach eigentlich die Praxis widerspiegeln, was aber nicht der
Fall ist. Je mehr Praxis sie schon im Studium erfährt, umso mehr erwartet sie, bes-
ser auf den Beruf vorbereitet zu sein.
Vor dem Hintergrund, dass ausschließlich Praktika und didaktische Veranstaltun-
gen, die konkrete Praxissituationen zum Inhalt haben, als praxisbezogen einge-
schätzt werden, fühlt sich Viola durch das Studium nur zu 30% auf den Beruf
vorbereitet. Insgesamt bewertet sie die einzelnen Praxisbezüge, die ihr angeboten
werden, schlecht. Viele Seminare, die eigentlich praxisbezogen sein sollten ver-
fehlen ihr Ziel.
In einem extra Block, unverbunden mit ihrer restlichen Argumentation, erwähnt
Viola, dass ihr Fachwissen auch wichtig sei. So bringt sie Interesse für ihre beiden
Fächer mit, was ihre Motivation für das Studium und für rein fachwissenschaftli-
che Inhalte steigert. Dabei betont sie sehr, dass für ihren späteren Beruf ein
„Schulbuchwissen“ nicht ausreicht, sondern Grundlagenwissen und die Fähigkeit,
über dieses Wissen hinaus eigenständig weiterdenken zu können, ausschlagge-
bend sind. Obwohl sich Viola mehrmals auf diesen Gedankengang zurückbezieht,
wird dieser doch nicht weiter im Interview ausgebaut. Aus der Sicht einer Dozen-
tin besteht, passend zu dieser Meinung, eine optimale Ausbildung eines/r Leh-
rers/in bezogen auf ihre spätere Tätigkeit aus der Vermittlung von Grundlagen-
wissen und der Vermittlung von pädagogischem und didaktischem Wissen. Hier-
zu passend regt Lauras Meinung, nicht immer alles auf die Schule beziehen zu
können, einen Rückbezug zum Grundlagenwissen an. Obwohl sie den Nutzen von
Theorie erkennt, wird diese trotzdem im Vergleich zu praktischem Handlungswis-
sen abgewertet. Viola werde im Studium mit Theorie „zugemüllt“. Dies gelte be-
sonders für Seminare mit fachdidaktischem Anteil, die von Dozenten/innen gelei-
tet werden, die selbst keine Unterrichtserfahrung haben. Theorie habe für sie
nichts mit konkreten Unterrichtssituationen zu tun. So erhält im Interview allge-
mein das didaktische und das konkret an Schulsituationen gebundene Handlungs-
wissen mehr Bedeutung. Viola lehnt zum Beispiel Sörens Meinung bezüglich der
Furcht vor dem Druck, welcher sie im Referendariat erwarte, sofort ab. Mit Sven-
jas Meinung, die ebenfalls die Kürze der Praktika bemängelt und diesen eine zent-
rale Rolle im Studium zuschreibt, identifiziert sich Viola passend zu ihrer Subjek-
tiven Theorie am stärksten.
83
Anhang 4: Auswertung der Kategorien „Komplexität“, „Differenziertheit“
und „Organisation“
Kategorie 1. Organisation:
Kategorie/ Interview
1.1 Aspekte von Praxisbezug
1.2 Handlungsmöglichkeiten Insgesamt
P_1_Sara 17 2 19 P_2_Kathrin 13 4 17 P_3_Nils 11 0 11 P_4_Gisela 7 0 7 P_5_Mia 9 5 14 P_6_Leonie 9 2 11 P_8_Viola 8 0 8 P_9_Evelin 9 0 9 P_10_Sven 11 3 14 Summe der unterschiedlichen Aspekte, die in allen Interviews ge-nannt werden
29
Liste aller genannten Aspekte von Praxisbezug: - Praktika. - Unterrichtssimulation in Seminaren. - Planung von Unterricht bzw. Unterrichtsreihen in Seminaren. - Problem Schulrealität bzw. -wirklichkeit in der Universität zu erzeugen. - Projekte und Übungen der Universität in Schulen. - Erziehungswissenschaft. - Didaktik. - Unterrichtsmethoden. - Über eigene Erfahrungen aus der Praxis in Seminaren sprechen. - Lehrer, die als Dozenten/innen an der Universität arbeiten und aus dem Be-
rufsalltag berichten. - Seminarinhalte sollen Anwendungsbezug in der Schule finden. - Videomitschnitte von Unterricht analysieren. - Hospitation im Unterricht. - Auseinandersetzung mit Lehrplänen. - Vorträge und Referate. - Überprüfung der Eignung für den Lehrerberuf. - Rollenspiele. - Theoretisch lernen, wie Unterricht funktioniert. - Eigene Aktivität, etwas selbst ausprobieren können. - Bezug zu Schülerinnen und Schülern in Seminaren herstellen. - SHK- und Tutorentätigkeit. - Arbeitsmaterialien aus der Schule besprechen. - Praktikumsberichte anfertigen.
Liste aller genannten Handlungsmöglichkeiten, Praxisbezug selbst herzustel-len: - Teamteaching in Seminaren durchführen, statt Referate vorzubereiten.
84
- Selbst versuchen für die Praxis relevante Inhalte aus Seminaren herauszufil-tern.
- Ehrenamtliches Engagement. - Universitätsexterne Weiterbildungskurse belegen. - Hausarbeiten schreiben als Übung für das Verfassen von Unterrichtsentwür-
fen.
85
Kategorie 2. Differenziertheit: Kategorie/ Interview
2.1 Abwägende Argumentation
2.2 begründete/ kausale Argumentation
2.3 Auf Erfahrung bezogene Argumen-tation
2.4 Perspektivwechsel 2.5 Floskeln Insgesamt
P_1_Sara 10 14 2 3 -5 24 P_2_Kathrin 8 9 3 4 -3 21 P_3_Nils 17 15 3 4 -12 27 P_4_Gisela 5 9 0 2 0 16 P_5_Mia 16 6 4 2 -3 25 P_6_Leonie 12 13 3 2 -3 27 P_8_Viola 12 3 4 1 -6 14 P_9_Evelin 6 5 2 1 -6 8 P_10_Sven 15 10 1 2 0 28
86
Kategorie 3. Organisation: Kategorie/ Interview
3.1 Rückbezüge 3.2 Anwendung 3.3 Ungereimtheiten Insgesamt
P_1_Sara 4 6 -5 5 P_2_Kathrin 7 4 -6 5 P_3_Nils 19 11 -4 26 P_4_Gisela 5 9 -7 7 P_5_Mia 3 12 -3 12 P_6_Leonie 3 8 -3 8 P_8_Viola 7 3 -1 9 P_9_Evelin 12 12 -2 22 P_10_Sven 7 9 0 16
87
Anhang 5: Beispiel einer kommunikativen Validierung
Teil 1 –Rekonstruktion der Subjektiven Theorie von Nils
Nils‘ Konzept von Praxisbezug besteht aus zwei Aspekten, die ihrerseits andere
Aspekte enthalten oder mit anderen Aspekten verbunden sind. Er betont zum ei-
nen die eigene Aktivität der Studierenden im Studium und sieht in dieser eigenen
Aktivität einen Bezug zum „wirklichen Leben“, das er im Praktikum verortet.
Zum anderen müssen Studieninhalte Anwendungsbezug haben, um praxisbezogen
zu sein. Als Inhalte, die einen Anwendungsbezug haben, erwähnt Nils vornehm-
lich das Methodenwissen. Im Verlauf des Interviews betont Nils immer wieder,
dass Studium und späterer Beruf, genauso wie erste und zweite Ausbildungsphase
oder Theorie und Praxis zwei, verschiedene Welten sind. Dies steht teilweise im
Gegensatz zu positiven Erfahrungen, die er im Studium mit der Praxis macht und
soll im Folgenden an passenden Stellen erläutert werden.
Nils verbindet den Praxisbezug des Studiums unmittelbar mit dem eigenen Aktiv-
Werden. Praxisbezug bedeutet für ihn, selbst in der Rolle des aktiv Gestaltenden
zu sein. Er kritisiert die Rolle, die die Studierenden seiner Erfahrung nach im Stu-
dium einnehmen, nämlich die eines passiven Zuschauers. Eine aktive Rolle hin-
gegen beinhaltet das Planen, Durchspielen und Reflektieren von Unterrichtsse-
quenzen. Nils will diese Teilaspekte des Unterrichtens selbst ausprobieren. Er will
sich im Unterrichten erproben und dies dann analysieren, damit er das Gelernte in
der Praxis richtig anwenden kann. Versetzt Nils sich in die Dozentenperspektive,
würde er genau dies in seinen Seminaren umsetzen. Das heißt, er würde in erster
Linie vermeiden, dass die Studierenden in eine konsumierende Haltung geraten,
was bedeutet, dass er zum Beispiel keine Vorträge halten und eher als Moderator
agieren würde. Er würde viel Gruppenarbeit mit seinen Studierenden durchführen
und sehr Methoden orientiert arbeiten. Er bezweifelt jedoch generell, dass Univer-
sitätsdozenten, die nicht selbst an der Schule unterrichtet haben und das Schulle-
ben „erfahren“ haben, Lehramtsstudenten überhaupt für die Schule ausbilden
können.
Nils versucht an dieser Stelle ein Kriterium zu finden, das klassifiziert, wann et-
was Praxisbezug ist und wann nicht. Die Kontrastbegriffe zur Praxis, etwa Theo-
rie, die er von der Praxis völlig abtrennt, bleiben bei Nils eher vage und unpräzise.
Schule und Uni sind, wie er im Praktikum gelernt hat, einfach zwei völlig ver-
88
schiedene Welten. Er betont, dass dies für ihn einfach so ist und gibt an dieser
Stelle keine weitere Begründung. Die universitäre Ausbildung ist eine theoreti-
sche Phase, mit der er sich abgefunden hat. Zwar habe er mittlerweile verstanden,
dass er über ein gewisses Grundwissen verfügen muss, scheint aber nicht sehr
überzeugt davon. Er schlägt „das Erleben“ an sich als Abgrenzungskriterium der
Praxis von der Theorie vor. Dieses Kriterium passt jedoch nicht zu seiner Be-
schreibung von Praxisbezug als eigenes Aktivwerden, denn hierin ist immer auch
die theoretische Reflexion oder Analyse der Aktivität mit inbegriffen. Weiterhin
bemerkt Nils selbst, dass das Kriterium des Erlebens nicht ausreicht, denn er er-
kennt, dass er zusätzlich zu praktischen Tätigkeiten theoretische Texte ebenfalls
erlebt. Er muss nun sein Unterscheidungskriterium weiterentwickeln und kommt
zu dem Schluss, dass der Unterschied zwischen Theorie und Praxis darin besteht,
dass er sich die Theorie eigenständig aneignen kann, die Praxis jedoch nicht. Zur
Aneignung der Praxis sind bestimmte Situationen in bestimmten Institutionen, wie
der Schule, erforderlich.
Neben dem eigenen Aktivwerden findet Nils, dass die Studieninhalte anwen-
dungsbezogener sein müssten als sie es derzeit seien. Hierbei betont er ausdrück-
lich den Transfer von Wissen. Nils will in der Lage sein, das Wissen, das er im
Studium erhält, in die Praxis umzusetzen. Er möchte zum Beispiel methodisches
Rüstzeug an die Hand geliefert bekommen, womit er explizit Methoden anspricht,
die ihm helfen, Wissen an seine zukünftigen Schülerinnen und Schüler zu vermit-
teln. Dieser Wunsch nach Methoden taucht mehrmals im Interview auf. Zum Bei-
spiel würde er Hannes im Fallbeispiel raten, sich Methoden zu merken, die ihm
beim Gestalten von Unterricht helfen könnten. Nils selbst hat sich bereits einen
Methodenordner angelegt, in dem er übergreifendes Wissen, sammelt das ihm im
Alltag mit den Schülerinnen und Schülern hilft. Der Anwendungsbezug der Studi-
eninhalte wird seiner Ansicht nach besonders gut in Seminaren vermittelt, die von
Dozenten/innen geleitet werden, die selbst Lehrer/innen waren oder es noch sind.
Nils schätzt die Vorbereitung auf den Beruf durch das Studium auf 55 bis 60 Pro-
zent ein. Er findet, dass sich die Institutionen Universität und Schule zu sehr un-
terscheiden, als dass die Universität wirklich auf den Beruf vorbereiten könnte.
Manche Aspekte der Berufsvorbereitung, die dabei von Bedeutung sind, wie Un-
terrichtsstörungen, Migrationsproblematik oder Klassenleitung, sind an den Ort
„Schule“ gebunden. Außerhalb der Schule ist es laut Nils schwer, mit diesen
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Problematiken in Berührung zu kommen. Hiermit spricht er die Zwei-Welten-
Problematik noch einmal an. Zu dieser Meinung steht jedoch seine eigene Erfah-
rung in Sport-Praxis-Seminaren im Widerspruch. Obwohl er in diesen Seminaren
nach eigener Aussage viel Praxisbezug erlebte, ist Nils der Meinung, dass in der
Universität überwiegend Theorie vermittelt wird. Hier deutet sich wiederum das
Zwei-Welten-Bild an. Nils ordnet der Universität und somit der ersten Ausbil-
dungsphase die Theorievermittlung zu und der Schule, also der zweiten Ausbil-
dungsphase, die „wirkliche“ Praxisvermittlung.
So sieht Nils zum Beispiel das Praktikum auch als Überprüfungsinstanz an, wenn
es darum geht, den Praxisbezug aber auch die Effektivität des Studiums einzu-
schätzen und zu messen. Anhand von Erfahrungen aus dem Praktikum weiß Nils,
dass er viel Wissen aus der Universität nicht mehr benötigen wird. Passend zu
dieser Meinung stimmt Nils auch dem Zitat von Svenja zu, die betont, dass sie in
vier Wochen Praktikum mehr lernt als in einem Semester Studium.
• Erkennen Sie sich selbst in dieser Darstellung wieder?
• Wenn nicht, kommentieren Sie bitte die Stellen, von denen Sie mei-
nen, sie passen nicht zu ihrer Meinung und ergänzen Sie gegebenen-
falls.
90
Teil 2 - Typenzuordnung
Praxisbezug durch den Erwerb direkten Anwendungswissens
Die ideale Praxisvorbereitung besteht für die Vertreter dieser Gruppe darin, daß
direkt anwendbares Wissen erlernt wird und Erfahrungen mit konkreten berufs-
praktischen Tätigkeiten (z. B. Erstellen von Unterrichtsverlaufsplänen, Umgang
mit Unter-richtsstörungen) ermöglicht werden. Fachinhalte interessieren meist nur
insoweit, als sie in den Lehrplänen vorkommen, weswegen das fachliche Studium
als viel zu weit kritisiert wird. Die Studierenden schätzen sowohl Praktika als
auch Seminare abgeordneter Lehrer sehr und bewerten sie oft als die einzigen
Möglichkeiten, sich auf den Lehrerberuf vorzubereiten. Bei einigen Vertretern
überwiegen kurze, oft floskelhafte Argumente, und Kritik wird geübt, ohne ver-
schiedene Faktoren miteinander abzuwägen oder verschiedene Sichtweisen einzu-
nehmen.
Praktisches Handeln auf der Basis fachwissenschaftlicher und praxisbezoge-
ner Ausbildung
Für diese Gruppe ist die ideale Praxisvorbereitung im Studium, zu lernen, (fach-)
wissenschaftliche Erkenntnisse auf die Praxis zu beziehen, das heißt auf der Basis
wissenschaftlicher Erkenntnis handeln zu können. Eine Stärkung der praxisbezo-
genen Komponenten im Studium wird gewünscht, dies aber nicht losgelöst von
ihren theoretischen Fundamenten. Die vorhandenen Bezüge zur Praxis kritisieren
sie als nicht hinreichend und oft oberflächlich. Einige von ihnen zeigen großes
fachwissenschaftliches Interesse. Viele Vertreter dieser Gruppe argumentieren
inhaltlich und formal differenziert, neigen zu einem vorsichtigen und abwägenden
Begründungsstil, beziehen verschiedene Perspektiven ein und reflektieren stärker.
• Sie haben wir der ersten Gruppe zugeordnet
• Stimmt die Gruppenzuordnung für Sie? Haben wir etwas übersehen?
Möchten Sie etwas ergänzen?
91
Anhang 6: CD-Rom mit Transkribten der Interviews und kommunikativen
Validierungen
92
Eidesstattliche Erklärung:
Ich versichere, dass ich diese Arbeit in der vom Landesprüfungsamt festgesetzten
Bearbeitungszeit selbstständig verfasst und keine anderen Quellen und Hilfsmittel
als die angegebenen benutzt habe. Die Stellen der Arbeit, die anderen Werken
dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind, habe ich in jedem einzelnen
Fall unter Angabe der Quelle als Entlehnung kenntlich gemacht. Das Gleiche gilt
auch für Zeichnungen, Kartenskizzen und Darstellungen.
Datum Unterschrift