spiele, rätsel, zahlen ||

301
5 8 8 Spiele Rätsel Zahlen Ingo Althöfer · Roland Voigt Faszinierendes zu Lasker-Mühle, Sudoku-Varianten, Havannah, EinStein würfelt nicht, Yavalath, 3-Hirn-Schach, ...

Upload: roland

Post on 17-Feb-2017

307 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

5

88Spiele Rätsel Zahlen

Ingo Althöfer · Roland Voigt

Faszinierendes zu Lasker-Mühle, Sudoku-Varianten, Havannah, EinStein würfelt nicht, Yavalath, 3-Hirn-Schach, ...

Page 2: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Spiele, Rätsel, Zahlen

Page 3: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Ingo AlthöferRoland Voigt

Spiele, Rätsel,Zahlen

Faszinierendes zu Lasker-Mühle,Sudoku-Varianten, Havannah, EinSteinwürfelt nicht, Yavalath, 3-Hirn-Schach,

...

Page 4: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Ingo AlthöferInstitut für MathematikFriedrich-Schiller-Universität JenaJena, Deutschland

Roland VoigtLeipzig, Deutschland

ISBN 978-3-642-55300-4 ISBN 978-3-642-55301-1 (eBook)DOI 10.1007/978-3-642-55301-1

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut-schen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internetüber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Springer Spektrum© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

DasWerk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver-wertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarfder vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfäl-tigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei-cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungenusw. in diesemWerk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu derAnnahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutztwerden dürften.

Planung und Lektorat: Dr. Andreas Rüdinger, Stella SchmollRedaktion: Dr. Michael ZillgittEinbandentwurf : deblik Berlin

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.

Springer Spektrum ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil derFachverlagsgruppe Springer Science+Business Mediawww.springer-spektrum.de

Page 5: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Vorwort

Es gibt Spiele und Rätsel, die aus Sicht der Mathematikinteressant sind. Dazu gehört Schach; nicht zufällig hatErnst Zermelo, berühmt für seine grundlegenden Beiträgezur Axiomatik, als Hauptvortragender beim Internationa-len Mathematik-Kongress 1912 in Cambridge über eineabstrakte Lösung des Schachspiels gesprochen, obwohl dieKollegen von ihm etwas anderes erwartet hatten.

In den letzten Jahrzehnten sind etliche tolle neue Zwei-Personen-Spiele erfunden worden. Auch im Bereich derlogischen Rätsel hat es eine gewaltige Weiterentwicklunggegeben; seit dem Erscheinen der Sudokus auf dem Rät-selmarkt sind Hunderte neuer – in vielen Fällen kaumbekannter, aber sehr interessanter und vielseitiger – Rätsel-arten erfunden worden.

Das Thema „Spiele und Computer“ hat von den neu-en elektronischen Möglichkeiten sehr profitiert: Compu-ter und menschlicher Geist ergänzen sich hervorragend, wiedurch das Beispiel 3-Hirn belegt.

Mit diesem Buch wollen wir die Leser zu einem Streif-zug durch diese unterhaltsame Welt einladen. Dabei wollenwir sowohl Computer-Ergebnisse wie auch computerfreieResultate – d. h. ohne Hilfsmittel nachvollziehbare Gedan-

Page 6: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

VI Spiele, Rätsel, Zahlen

ken – über Spiele und Rätsel vorstellen und auf einem leichtverständlichen Level präsentieren.

Ingo Althöfer dankt Matthias Beckmann für die Erstel-lung vieler Grafiken und Hilfe bei LaTeX, aber auch fürinhaltliche Diskussionen. Sein Dank geht an die Studen-ten Jörg Sameith, KonradKaffka, Katharina Collatz, RobertHesse, Anne Hilbert, Michael Hartisch, Phillip Burkhardt,Patrick Wieschollek, Jonathan Schuchart und Marco Bun-gart, die in Projekt- und Examensarbeiten am Lehrstuhl dieForschung zu verschiedenen im Buch genannten Themenvorantrieben. Ebenso dankt er den externen DoktorandenPeter Stahlhacke und Eiko Bleicher und seinem langjähri-gen Weggefährten Dr. Ulrich Tamm.

Viele Informanten haben beim Thema „UnerlaubteComputerhilfe beim Schach“ geholfen. Jede relevante Aus-sage in Kap. 14 zu Fällen, die in Deutschland passiert sind,hat sich Ingo Althöfer von mindestens zwei unabhängigenZeugen bestätigen lassen. Danke Ihnen allen!

Der Dank von Roland Voigt geht an seinen Bruder Ul-rich Voigt für das Korrekturlesen des Rätselkapitels sowiefür das Testen sämtlicher logischer Rätsel in diesem Kapi-tel; und an Johannes Susen von der Rätselredaktion Susenfür die Bereitstellung der Fotos von der Rätselweltmeister-schaft.

Unser gemeinsamer Dank geht an das Springer-Teammit Dr. Andreas Rüdinger und Stella Schmoll, sowohl fürihre Anregungen wie auch für ihre Geduld. Eine beson-ders erfreuliche Überraschung war, dass Herr Rüdinger sichprivat intensiv mit dem Nullstellen-Kapitel befasst hat unddabei einen Spezialfall der Vermutung von Rehr bewies.

Page 7: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Vorwort VII

In dem von Ingo Althöfer geschriebenen Teil des Bu-ches wird sich der eine Leser oder die andere Leserin überden intensiven Gebrauch von Bindestrichen zur Strukturie-rung längerer Wörter wundern. Nach der neuen deutschenRechtschreibung ist das zulässig; der Autor hat diese Freiheitschätzen gelernt, genauso wie er es mag, dass in der eng-lischen Schriftsprache zusammengesetzte Substantive mög-lichst vermieden werden.

Ergänzungs-Material zum Buch, insbesondere farbigeDiagramme zur „Reise nach Jerusalem“, findet sich onlineauf der Seite http://www.althofer.de/springer-buch.html.

Jena und Leipzig, im April 2014 Ingo Althöferund Roland Voigt

Page 8: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Einleitung

„Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ So hates Friedrich Schiller in seinen Briefen „Über die ästhetischeErziehung des Menschen“ geschrieben. Dabei hatte Schillereine sehr weit gefasste Vorstellung vom Spielen. In diesemBuch geht es „enger“ zu, insbesondere kümmern wir unsnicht um das Spiel auf der Theaterbühne. Stattdessen be-trachten wir Denkspiele: sowohl solche für eine einzelnePerson (logische Rätsel) als auch solche für zwei Spieler, diemiteinander um den Sieg wetteifern

Im ersten Hauptteil des Buches werden fünf Spiele fürzwei Personen vorgestellt, und zwar in der chronologi-schen Reihenfolge ihrer Erfindung. Alle fünf Spiele sindsogenannte Zwei-Personen-Nullsummenspiele mit voll-ständiger Information. „Lasker-Mühle“ ist eine verbesserteForm des uralten Mühle-Spiels mit ganz einfachen Regeln.Havannah, erfunden Ende der 1970er Jahre von Christi-an Freeling, ist ein geniales Strategiespiel. Sein Erfinderwollte das Interesse an Havannah mit einem Preisaus-schreiben wach halten und erlebte ein blaues Wunder.Clobber: Es gibt wohl kaum ein gutes Spiel mit einfa-cheren Regeln. „EinStein würfelt nicht“ wurde aus Anlassdes Albert-Einstein-Jahres 2005 kreiert. Der Name erinnertan Einsteins Bonmot „Gott würfelt nicht“, gibt aber auch

Page 9: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

X Spiele, Rätsel, Zahlen

eine wesentliche Spielregel wieder: Wenn ein Spieler nurnoch einen Stein auf dem Brett hat, muss er nicht mehrwürfeln. Die Entstehungsgeschichte von Yavalath schließ-lich ist wirklich einzigartig. In allen fünf Kapiteln spielenComputer und Computerprogramme eine Rolle.

Logische Rätsel kann man mit etwas gutem Willen alsSpiele für eine Person interpretieren. Dabei muss der Lösereine Aufgabe bewältigen, deren Regeln – das Wort „Rätsel“soll hier keine falschen Assoziationenwecken – durch strenglogische Anleitungen ohne Interpretationsspielraum abge-steckt sind. Das Sudoku ist der populärste Vertreter, aberes ist bei Weitem nicht der einzige; seit der Erfindung vonSudokus sind Hunderte weitere Rätselarten kreiert worden,die den Löser vor immer neue intellektuelle Herausforde-rungen stellen.

In diesem Kapitel begeben wir uns auf eine Reise durchdie Rätselwelt. Von den Sudokus bewegen wir uns über La-teinische Quadrate zu allgemeineren Füllrätseln (Rätseln,bei denen es darum geht, Symbole nach bestimmten Vorga-ben in ein Rätselgitter einzutragen) und schließlich zu völliganderen Rätselklassen. Dabei beschäftigen wir uns sowohlmit abstraktenmathematischen Fragestellungen imKontextvon Rätseln als auch mit Herangehensweisen zum Lösenbzw. zum Erstellen von logischen Rätseln.

Die Rätselszene ist eine wachsende internationale Ge-meinschaft, deren Mitglieder eines verbindet: die Freude ander Bearbeitung logischer Rätsel. Wir berichten nicht nurüber Rätsel selbst, sondern auch über deren Löser, über Rät-selwettbewerbe und -meisterschaften, über die Ursprüngeder Rätselszene sowie über mögliche zukünftige Entwick-lungen.

Page 10: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Einleitung XI

Die Schachwelt hat sich seit in den letzten 30 Jah-ren durch die immer stärker werdenden Schachcomputersehr geändert: der Eröffnungs-Vorbereitungs-Aufwand immodernen Leistungs-Schach, die Computerabhängigkeitim Fernschach und Betrugsversuche bei Turnieren. IngoAlthöfer selbst hat durch viele Experimente mit Mensch-Maschine-Teams nachgewiesen, dass Mensch und Compu-ter zusammen im Schach Unglaubliches erreichen können.

Eine Sonderrolle scheintWeltmeisterMagnus Carlsen zuspielen. Im Unterschied zu vielen anderen Profis versuchter, die theoretischen und computergeprüften Pfade mög-lichst schnell zu verlassen. Großmeister Nigel Short, selbstvor drei Jahrzehnten ein Schach-Wunderkind, packte Carl-sens Ansatz in die Worte: „Give me an equal position thatyou have not studied with a computer and I will outplayyou“. (Gibmir eine ausgeglichene Position, die du nicht mitdem Computer analysiert hast, und ich werde dich an dieWand spielen.)

Während der Entstehung dieses Buches wurde der Ab-schnitt zu den Betrugsversuchen immer länger – nicht, weiles viele neue Fälle gab, sondern weil sich zeigte, dass sich dieSchachszene mit einem elefantenartigen Gedächtnis auchJahrzehnte nach einem Vorfall noch an den Übeltäter erin-nert und diesen ächtet.

Beim 3-Hirn-Schach hat ein Mensch zwei verschiedeneComputer-Programme als Helfer. In einer gegebenen Stel-lung berechnen beide Programme ihre (vermeintlich) bestenZüge. Der Mensch wählt dann aus den Vorschlägen denauszuführenden Zug aus. Jahrelange Experimente zeigten,dass ein Amateurspieler die Leistung von zwei Programmennoch deutlich verbessern kann, auch wenn die Programme

Page 11: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

XII Spiele, Rätsel, Zahlen

allein viel stärker sind als er. Für Ingo Althöfer entwickel-te sich das sogar zum Problem: Nach dem Abschluss seiner3-Hirn-Experimente kehrte er zum normalen Schach (alsMensch gegen Menschen) zurück und litt phasenweise un-ter den nicht mehr gewohnten eigenen taktischen Fehlern.

Der Mathematik-Teil stellt zwei Probleme vor, die IngoAlthöfer in aktuellenVorlesungenmitMethoden der experi-mentellenMathematik diskutiert hat (und noch diskutiert).Bei dem erstenwird dasWechselspiel zwischen denNullstel-len eines Polynoms und denen seiner Ableitung als „Reisenach Jerusalem“ dargestellt. Das andere Thema ist eine zah-lentheoretische Transportaufgabe, bei der nur Behälter qua-dratischer Größe zur Verfügung stehen. In Anlehnung aneine bekannte Schokoladen-Marke heißt der Handlungsort„Ritterspordanien“.

Im Buch zeichnet Roland Voigt für den Rätselteil undIngo Althöfer für alles Andere verantwortlich. Kennenge-lernt haben sich die beiden Autoren bei einem Thema, dasmit Spielen oder Rätseln nur wenig zu tun hat: der Bio-chemie. Der Jenaer Bioinformatiker Stefan Schuster undseine Gruppe hinterfragen die spezielle Struktur gewisserAminosäuren. Konkret geht es auch darum, warum Pro-lin, die als einzige Aminosäure in der belebten Natur einenplanaren Seitenring hat, genau fünf Atome in diesem Ringaufweist. Schuster suchte für das, was ihm intuitiv klar war,eine mathematisch wasserdichte Begründung und stieß beider Suche nach geeigneten Mitstreitern sowohl auf RolandVoigt wie auch auf Ingo Althöfer [Behre, Voigt, Althöfer,Schuster (2012)].

Man kann das Buch von vorn nach hinten lesen, aberauch in fast jeder anderen Kapitel-Reihenfolge. Die vier

Page 12: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Einleitung XIII

Hauptteile sind vollständig unabhängig voneinander. Jederwird beim Stöbern im Buch seine Lieblingsthemen identifi-zieren. Auf Rückmeldungen, Anregungen und Lösungen zuden offenen mathematischen Problemen sind die Autorenschon jetzt gespannt.

Page 13: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Inhaltsverzeichnis

Teil 1Spiele

1 Remis, Remis, Remis –Kampf gegen eine allgegenwärtige Seuche . . . . . . . 5

Mühle – von naiv bis knifflig . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6Perlen im Endspiel mit sechs gegen vier –

und eine 10 : 1-Wette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8Lasker-Mühle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Klassische Mühle mit anderen Stein-Anzahlen . . . . . . 15Möbius-Mühle . . . ist auch ganz nah

an klassischer Mühle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

2 Christian Freelings Havannah . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

Gute Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19Havannahs Wiederbelebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22Der große Preiskampf rückt näher . . . . . . . . . . . . . . 27Der Preiskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29Stress im Botcamp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Page 14: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

XVI Spiele, Rätsel, Zahlen

3 Clobber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

Aus dem Labor in die Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . 35Kombinatorische Eigenschaften von Clobber . . . . . . . 37Die Variante Cannibal-Clobber . . . . . . . . . . . . . . . . 38

4 EinStein würfelt nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41EinStein mit schwarzem Loch . . . . . . . . . . . . . . . . . 44Ewn quattro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

5 Yavalath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

Yavalath, von Cameron Browne . . . . . . . . . . . . . . . 49Die Regeln des Yavalath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50Eine kommentierte Meisterpartie . . . . . . . . . . . . . . 52Ludi Ludissimo! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

Teil 2Rätsel

6 Allgemeines zu Logischen Rätseln . . . . . . . . . . . . . . 63

Der Reiz von Sudokus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66Die Welt logischer Rätsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68Rätselmeisterschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73Die Rätselszene in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 79

7 Die Welt der Sudokus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

Einfache Lösungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84Komplexe Lösungsschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87Die Mathematik von Sudokus . . . . . . . . . . . . . . . . . 90Minimale Sudokus und das Rätsel der 17 . . . . . . . . . 95

Page 15: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Inhaltsverzeichnis XVII

Sudoku-Programmierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100Computergenerierte Sudokus . . . . . . . . . . . . . . . . . 103Sudoku-Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

8 Lateinische Quadrate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

Rätselarten in Lateinischen Quadraten . . . . . . . . . . . 113Griechisch-Lateinische Quadrate . . . . . . . . . . . . . . . 116Mathematische Zugänge zu Lateinischen Quadraten . 119Minimale Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124Partielle Lateinische Quadrate . . . . . . . . . . . . . . . . . 126Lösbarkeit bei bestimmten Vorgabemustern . . . . . . . 129

9 Graphen und Färbungsrätsel . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

Die Vierfarbenvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138Graphen und Färbungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . 140Graphenrätsel als Verallgemeinerung . . . . . . . . . . . 144Exact Cover und Dancing Links . . . . . . . . . . . . . . . . 148Programmierung von Färbungsrätseln . . . . . . . . . . . 151

10 Weitere Arten logischer Rätsel . . . . . . . . . . . . . . . . 155

Füllrätsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156Platzierungsrätsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159Schwarzfärberätsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162Zerlegungsrätsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163Streckenzugrätsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166Andere Gitterformen und weitere Rätselarten . . . . . 168Bastelrätsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

11 Kooperatives Rätsellösen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Teamrunden bei Meisterschaften . . . . . . . . . . . . . . . 178Das Teamexperiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181Vergleich von Teamstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

Page 16: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

XVIII Spiele, Rätsel, Zahlen

Teil 3Computer beim Schachspiel

12 Fernschach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

Nicht kontrollierbare Hilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192Die Anfänge des Computer-Einsatzes im Fernschach . 194Remis-Seuche und Lasker-Schach . . . . . . . . . . . . . . . 195

13 Das 3-Hirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

Das 3-Hirn-Konzept und erste Experimente . . . . . . . . 200Das 3-Hirn in den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . 204Jena und der 5-Jahres-Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207Doppel-Fritz mit Boss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212Schwanengesang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217Bilanz und 3-Hirn-Träume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

14 Betrugsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Einen bestrafen – hundert erziehen . . . . . . . . . . . . . 225„Toiletten-Schach“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230Stühle-Code . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234„Toiletten-Schach“ II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236Goldene Füße? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237Vibrationen bis zum Matt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239Große Angst vor einem kleinen Tiger . . . . . . . . . . . . 243Interdisziplinärer Betrüger: vom Schach zum Sudoku . 244„Toiletenschach“ III: drastische Aufklärung . . . . . . . . 246Gedächtnis wie das eines Elefanten . . . . . . . . . . . . . 247

Page 17: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Inhaltsverzeichnis XIX

Teil 4Mathematik mit Zahlenexperimenten

15 Der Tanz der Nullstellen zu ihren Stühlen . . . . . . . . . 253

Quadratische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253Vokabel-Ängste eines Mathe-Schülers . . . . . . . . . . . 254Lösungen anderer Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . 256Der Fundamentalsatz der Algebra . . . . . . . . . . . . . . 257Historische Aussagen über Nullstellen und ihre Stühle 258Zuordnungen à la Kaffka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262Zuordnungen à la Schmeisser . . . . . . . . . . . . . . . . . 264Mehrere Jerusalem-Runden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269Die Vermutung von Rehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

16 Mathematische Optimierung im Land der Quadrate . . 273

Schokoladen-Transport in Ritterspordanien . . . . . . . . 273Der Vier-Quadrate-Satz von Lagrange . . . . . . . . . . . 274Einschub: das Transportproblem ohne Zahlentheorie . 276Teure Treppenpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279Elf Quadrate genügen immer! . . . . . . . . . . . . . . . . 280Es gibt Instanzen, die elf Quadrate benötigen . . . . . . 280Ein wohl kleineres Beispiel, das auch elf Quadrate

benötigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281Offene Fragen zu Ritterspordanien . . . . . . . . . . . . . 282Schokoladen-Transport in Tobleronien . . . . . . . . . . . 283

Anhang Rätsellösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

Page 18: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Teil 1

Spiele

Page 19: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Wenn zwei Leute spielen . . .

Spiele für zwei Personen kann man nach verschiedenen Kri-terien einordnen. Hier imBuch beschränken wir uns auf dieKlasse mit folgenden Merkmalen:

� Die beiden Spieler ziehen strikt abwechselnd. Insbeson-dere ziehen sie nie gleichzeitig.

� In jeder Stellung gibt es nur endliche viele Züge zur Aus-wahl.

� Partien können nur endlich viele Züge lang sein.� Beide Spieler haben zu jedem Zeitpunkt vollständige In-formationen über den Spielstand und den bisherigenVer-lauf.

� Es gibt nur drei mögliche Spielergebnisse: Sieg für Spie-ler 1, Unentschieden D Remis, Sieg für Spieler 2. Dabeibedeutet der Sieg des einen Spielers die Niederlage desanderen.

� Situationen mit Zufallsentscheidungen können in denSpielen vorkommen. Im Buch ist das aber nur bei einemeinzigen Spiel der Fall.

Spiele aus dieser Klasse enthalten nur endlich viele Stellun-gen und lassen sich deshalb im Prinzip mit einer Rückwärts-Analyse vollständig durchrechnen. So kennt man dann fürjede Stellung einen optimalen Zug und auch das zu erwar-tende Endergebnis, wenn beide Seiten optimal spielen.

Zuerst erkannt hat das Ernst Zermelo (der auch we-sentliche Beiträge zur Axiomatik der Mathematik und zur

Page 20: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

3

Mengenlehre lieferte), der darüber 1912 in Cambridge aufdem Internationalen Mathematiker-Kongress vortrug [Zer-melo (1913)]. Zermelo selbst sagte damals vorsichtig, dassdas Durchrechnen nur im Prinzip ginge und nicht mehr alsein Gedanken-Experiment sei. Doch mit dem Aufkommender Computer wurde alles viel realer. Einige Spiele wurdenkomplett durchgerechnet, so zum Beispiel das Mühle-Spielund das Dame-Spiel. Bei dem komplizierteren Schachspielhaben die Computer es immerhin geschafft, die bestenmenschlichen Spieler zu überflügeln.

Page 21: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

1Remis, Remis, Remis –

Kampf gegen eineallgegenwärtige Seuche

Mühle, Dame und Schach sind die drei klassischen Brett-spiele des Abendlands. Mühle haben schon die alten Römergespielt, auch die Soldaten auf ihren Feldzügen. Schach undDame sind seit dem Mittelalter in Europa populär.

Meist sind die Figuren der beiden Spieler in den Far-ben Weiß und Schwarz gehalten. Bei allen drei Spielen gibtes auch drei verschiedene mögliche Ergebnisse: Weiß ge-winnt, Schwarz gewinnt und remis. „Remis“ ist der kurzeAusdruck für „Unentschieden“, was sich natürlicher an-hört. Viele Sprachen haben ihre eigenen kurzen Wörter,um ein Unentschieden zu beschreiben. Die Briten schrei-ben „draw“, die Franzosen „nulle“, die Spanier „tablas“,Italiener „patta“, die Finnen „tasapeli“, die Portugiesen„empate“ und die Schweden ganz kurz „remi“.

Wenn ein Spiel mal so und mal so ausgeht, ist es schön.Dann ist es unproblematisch, wenn das Einzel-Ergebnis hinund wieder auch ein Remis ist. Schlimm wird es, wenn Re-mis der Standard ist und Siege bzw.Niederlagen ganz selteneAusnahmen sind. Mühle, Dame und Schach haben alle drei

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1_1,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 22: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

6 Spiele, Rätsel, Zahlen

auf Spitzenniveau mit dem Problem der zu vielen Remispar-tien zu kämpfen.

Mühle – von naiv bis knifflig

Wer die Mühle-Regeln gerade nicht im Kopf hat, findetsie z. B. bei Wikipedia. Als Kind hatte ich folgende Sieg-Strategie gelernt: Man baut eine Zwickmühle und eine of-fene Reservemühle. Mit der Zwickmühle nimmt man demGegner einen Stein nach dem anderen, bis er nur noch dreiStück hat. Dann kann er zwar springen, aber im nächstenZug nur eine meiner Mühlen verstopfen. Die andere zieheich zu und bin Sieger. Sobald man gegen stärkere Gegnerantritt, lässt sich dieser Plan nicht mehr realisieren. Der Re-gelfall ist dann entweder ein Remis oder der Verlust durchFestsetzen: Wer am Zug ist und sich nicht mehr bewegenkann, hat verloren.

Es gibt Musterbeispiele, bei denen Weiß als Anziehen-der schon in der Setzphase schnell einen schwarzen Steinerobert. Trotzdem – oder gerade deswegen – verliert er, weilseine Steine so in einem Klumpen stehen, dass Schwarzihn – mit einem Stein weniger! – einmauern kann und da-durch ziemlich kurz nach dem Ende der Setzphase gewinnt.Als 16-Jähriger hatte ich Mühle in einem Sommerurlaubauf Amrum gespielt. Den Gleichaltrigen war ich mit derFestsetz-Strategie deutlich überlegen. Irgendwann sagte derWortführer in der Clique: „So wie DuMühle spielst, machtes keinen Spaß. Wir spielen nicht mehr mit Dir!“ MeinHinweis auf die Regeln, in denen das Festsetzen als norma-

Page 23: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

1 Remis, Remis, Remis – Kampf gegen eine allgegenwärtige Seuche 7

Abb. 1.1 Weiß am Zug siegt in 25 Halbzügen

le Gewinnmöglichkeit genannt ist, interessierte ihn (unddamit auch die Anderen) nicht mehr.

Anfang 1990, also viele Jahre später, hatte ich meinenMitstudenten Torsten Sillke an der Uni Bielefeld überredet,einmal das Mühle-Endspiel mit drei gegen drei, wo beideSeiten springen dürfen, mit Rückwärts-Analyse durchzu-rechnen.

Das Ergebnis überraschte uns sehr. Es gibt Stellungen,bei denen bei beiderseits bestem Spiel der Spieler, der amZug ist, in 26 Zügen verliert. Abbildung 1.1 zeigt eine Stel-lung, in der Weiß bei bestem Spiel und bester Gegenwehrin 25 Zügen gewinnt. Was heißt „bestes Spiel“? Der Spieler,der gewinnen kann, versucht den endgültigen Sieg mög-lichst schnell zu erreichen. Ein Spieler, der auf Verlust steht,versucht den endgültigen Verlust möglichst lange hinaus zuzögern. Bestes Spiel in einer Remis-Stellung bedeutet, dassman einen Zug so macht, dass die Stellung danach immernoch remis ist.

Page 24: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

8 Spiele, Rätsel, Zahlen

Wir vergewisserten uns durch mehrere Probepartien undBeispielstellungen, dass die Datenbank wirklich richtig be-rechnet war. Nach ein paar Tagen ließ die Begeisterung überdas entdeckte Phänomen nach – man gewöhnt sich schnellan neue Wissensstände . . . Im Sommer 1990 dann – daswar noch vor den Zeiten des Internets mit seinen schnellenSuchmöglichkeiten – erfuhr ich am Rande der Computer-Olympiade in London, dass ein Schweizer namens RalphGasser nicht nur das 3-gegen-3-Endspiel durchgerechnethatte, sondern auch das Mühlespiel insgesamt durchrech-nen wollte, im Rahmen seiner Informatik-Doktorarbeit ander ETH Zürich. Knapp 9 Milliarden Stellungen gibt esim Mühlespiel. Bei der damaligen Hardware war es eineHerausforderung, diese Menge völlig durchzurechnen.

Ich nahm Kontakt zu Gasser auf und lud ihn für denDezember 1990 für eine Woche an die Uni Bielefeld ein.Als „Lockstoff“ schrieb ich in demKontaktbrief, dass wir das3-gegen-3-Endspiel durchgerechnet hätten, mit dem 26er-Ergebnis. Gasser sagte zu, es wurde eine tolle Woche mitihm.

Perlen im Endspiel mit sechs gegen vier– und eine 10 : 1-Wette

In der soeben erwähnten Woche erzählte Gasser in einemVortrag, dass das Endspiel mit sechs gegen vier Steinen sehrspannend sei. Die Sechser-Seite kann nicht einfach eineMühle zumachen, weil dann der Gegner auf drei Steinereduziert ist, springen darf und den Gegner typischerweise

Page 25: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

1 Remis, Remis, Remis – Kampf gegen eine allgegenwärtige Seuche 9

gut kontrollieren kann. Der Sechser muss also versuchen,den Vierer irgendwie einzumauern. In manchen Stellungenkann das bei beiderseits bestem Spiel mehr als 300 Halbzü-ge dauern, wobei es für den Sechser oft nur einen einzigenGewinnzug gibt. Es sei also sehr schwer und für einenMenschen gegen perfekte Verteidigung kaum zu schaffen.

Mein damaliger Chef, Prof. Rudolf Ahlswede (1938–2010), glaubte das nicht. Er habe als Student in Göttingendie Mühle-Szene dominiert und würde das sicherlich hin-kriegen. Gasser hatte seinen Atari-Computer dabei, und soschlug ich eineWette vor. Ahlswede würde die Sechser-Seitebekommen und müsste eine langzügige Gewinnstellunggegen die Datenbank zum Sieg führen. Mein Quotenvor-schlag: Sollte der Professor es schaffen, bekäme er von mir100DM. Falls nicht, müsste er mir 10DM bezahlen. AmEnde des Vortrags wurde der Rechner gestartet, und wirlegten mit einer Gewinnstellung für die Sechser-Seite los.Herr Ahlswede machte seinen ersten Zug, und das Pro-gramm teilte mit: Jetzt ist es remis. Herr Ahlswede glaubtes nicht und versuchte weitere 80 Zugpaare lang, einenGewinn herbei zu führen – erfolglos.

Die Startstellung war aber auch ein wahres Minenfeldgewesen. Es gab 15 zulässige Züge, von denen nur genaueiner den Gewinnstatus beibehielt. Nach einer Antwort desGegners gab es wieder 15 legale Züge, von denen wieder nureinen den Gewinnstatus beibehielt. Das ging etliche Schrit-te so weiter. Nach seiner Resignation öffnete Herr Ahlswededirekt die Geldbörse und zahlte mich aus.

Zwei Tage später gab es im Fahrstuhl ein kleines Nach-spiel. Ein Algebra-Professor, der beim Vortrag und derWette dabei gewesen war, fragte mich: „Da war doch dieser

Page 26: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

10 Spiele, Rätsel, Zahlen

Abb. 1.2 Zwei Stellungen, in denen Weiß am Zug in 157 Halbzü-gen gewinnen kann

Seminar-Vortrag des ETH-Burschen mit der 10 W 1-Wette.Habe ich das richtig verstanden, dass Sie als Assistent imVerlustfall 100 Mark hätten zahlen müssen und bei demGewinn aber nur 10 Mark bekommen haben?“ „Ja.“ „Ko-mische Welt, in meinen jungen Tagen hätte der Assistentimmer die bessere Quote bekommen.“

Am Ende der Woche erzählte Ralph, dass auch für ihnmein Brief hilfreich gewesen sei: Es sei das erste Indiz vonaußen gewesen, dass seine Berechnungen zumindest für das3-gegen-3-Endspiel richtig gewesen seien.

Abbildung 1.2 zeigt zwei Stellungen, in denen der Spielermit sechs Steinen bei bestem Spiel in 157 Zügen gewinnt.Weitere interessante Startstellungen zum Mühle-Endspielgibt es auf der Webseite http://www.althofer.de/springer-buch.html.

Im Sommer 1994 hatte Gasser dann Mühle als Gan-zes durchgerechnet: Mühle endet, wenn beide Seiten richtig

Page 27: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

1 Remis, Remis, Remis – Kampf gegen eine allgegenwärtige Seuche 11

spielen, remis! Vor dem Einreichen seiner Dissertation woll-te er in einem Schauwettkampf gegen Mühle-Großmeisterdie Unbesiegbarkeit seines Programms demonstrieren. Manmuss wissen: Die Schweiz ist mit Abstand das Land der bes-ten Mühlespieler. Es gab (und gibt in kleiner gewordenemUmfang) regelmäßig Turniere, und auch der Titel Mühle-Großmeister wurde an eine Handvoll von Koryphäen ver-liehen.

Gasser sah sich einem Problem gegenüber: Weil dasSpiel ja bei perfekten Gegnern remis endet, konnte er nichtmit einem Sieg rechnen. Das war erst mal nicht schlimm,aber sein Datenbank-Programm (namens Bushy II) konn-te in Remis-Stellungen keinen Druck aufbauen. Es spielteeinfach zufällig einen der zum Remis führenden Züge. Soerwartete er von dem Schaukampf ein mehr oder wenigerlangweiliges Gesamt-Unentschieden.

Es kam aber viel schlimmer: Am 30. September 1994fanden sich die Mühle-Großmeister Manfred Nüscheler,Markus Schaub, Alain Flury und Adrian Wenger an derETH ein. Zu spielen traute sich aber nur Nüscheler (übri-gens 1982 zusammen mit Hans Schürmann Autor des sehrschönen, leider vergriffenen Büchleins „So gewinnt manMühle“). Die anderen drei durften ihn informell beraten.Zehn Partien sollten ausgetragen werden, wobei jedes Maleine als remis bekannte Startstellung nach einigen Anfangs-zügen vorgegeben wurde. Die ersten sieben Partien endetenwie erwartet alle remis. Das Programmmachte keine Fehler,baute aber auch keinen Druck auf.

Dann verlor Bushy II Partie 8 und hinterdrein auch nochPartie 9. Gasser war geschockt und konnte sich die Nie-derlagen zuerst nicht erklären. Eine nachträgliche Analyse

Page 28: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

12 Spiele, Rätsel, Zahlen

a1 d1 g1

b2 d2 f2

c3d3

e3

a4 b4 c4 e4 f4 g4

c5d5

e5

b6 d6 f6

a7 d7 g7

Abb. 1.3 Die Koordinaten im Mühlebrett

zeigte, dass der Computer beim Übergang von einer Teil-datenbank zu einer anderen durcheinander gekommen war,wohl durch einen Hardware-Defekt. Partie 10 war wiederremis, so dass es zum Gesamtergebnis 6 W 4 für Nüschelerkam. Danach gab es nie wieder einen öffentlichen Mühle-Wettkampf zwischen Mensch und Computer.

Nachstehend ist die Notation der achten Partie aufge-führt. Dabei haben die Felder auf dem Mühlebrett die Ko-ordinaten wie in Abb. 1.3.Weiß ist das ProgrammBushy II,Schwarz der Großmeister Manfred Nüscheler.

1. d2 d6 2. b4 f6 3. f4 b6xf4 4. f4 d1 Bis hierher wur-de die Position eingegeben. Bushy II spielte erst ab dem5. Zug. Diese Vorgabe-Stellung ist Remis. Sie ist aber fürWeiß schwer Remis zu halten, da in der Folge häufig nurwenige remis-erhaltende Züge für Weiß vorliegen. 5. d5 c46. a1 a4 7. c3?Das führt zumVerlust in 18 Zügen, wenn derGegner richtig reagiert. Das Fragezeichen deutet die Feh-

Page 29: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

1 Remis, Remis, Remis – Kampf gegen eine allgegenwärtige Seuche 13

lerhaftigkeit des Zuges an. 7. . . g4? Nüscheler verpasst denGewinn, denn einziger Gewinnzug ist e4. Jetzt ist es wiederremis. 8. e5! Bushy findet den einzigen Remiszug. 8. . . c59. d3? Das verliert in 14 Zügen. Aber e3 oder g7 wärenstattdessen remis. 9. . . e3 Jetzt sind alle Steine eingesetzt. Esbeginnt die Ziehphase. 10. e5-e4 Besser wäre f4-f2, was denVerlust um einen weiteren Zug verzögert. 10. . .d6-d7 Dasist der schnellste Gewinnzug. Ab jetzt verläuft die Partie soeinfach, dass sie auch ein Hobby-Spieler leicht nachvollzie-hen kann. 11. d5-d6 a4-a7 12. f4-f2 g4-g7xf2 13. d2-f2g7-g4 14. d3-d2 g4-g7xd2 15. c3-d3 g7-g4 16. d3-d2 g4-g7xf2 17. e4-f4 g7-g4 18. f4-f2 g4-g7xf2 19. a1-a4 e3-d320. b4-b2 g7-g4 21. a4-a1 g4-g7xd6 22. a1-f2xb6 f6-d623. b2-c3 c5-d5xd2 Schwarz hat gewonnen.

Ende 1994 verteidigte Gasser erfolgreich seine Disser-tation. Seine Datenbanken – damals noch auf Magnetbän-dern gespeichert – waren einige Jahre später nicht mehr wie-derherstellbar. Erst Peter Stahlhacke rechnete Anfang 2000das Mühlespiel neu durch. Er sicherte die Daten durch Ver-teilung: Vier Festplatten mit seiner Datenbank verschickteer an vier verschiedene Koryphäen in der Mühle-Szene. Sodürften zumindest diese Daten auf längere Zeit gesichertsein.

Zu beachten ist, dass Stahlhacke sein Mühlespiel mit et-was anderen Regeln programmiert hat als Gasser. Bei Stahl-hacke darf niemals ein Stein aus einer geschlossenen Mühlegeschlagen werden. Bei Gasser ist das aber in dem seltenenFall erlaubt, in dem sich alle Steine des Gegners in geschlos-senen Mühlen befinden.

Page 30: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

14 Spiele, Rätsel, Zahlen

Lasker-Mühle

Schon Schachweltmeister Emanuel Lasker (1868–1941;Weltmeister von 1894 bis 1921) hatte in seinem Buch„Brettspiele der Völker“ im Jahr 1931 auf das Remispro-blem beim Mühlespiel hingewiesen und folgende einfacheRegeländerung vorgeschlagen: Setz- und Ziehphase sindnicht mehr getrennt. Sobald ein Spieler mindestens einenStein auf dem Brett hat, darf er ziehen, auch wenn nochnicht alle seine Steine eingesetzt sind. Die noch einzuset-zenden Steine verfallen nicht. Außerdem hat jeder Spielerzehn Steine und nicht nur neun. Diese Variante des Mühle-spiels wird nach seinem Erfinder Lasker-Mühle genannt. Esgibt circa 135 Milliarden Stellungen, also ungefähr 14 malso viel wie bei normaler Mühle. Peter Stahlhacke hat 2002dieses Spiel mit Rückwärts-Analyse in einem mehrmona-tigen Kraftakt ganz durchgerechnet. Dabei musste er zweimal ansetzen. Nach gut zwei Monaten war nämlich die (fürdamalige Verhältnisse sehr große und ganz neue) Festplat-te kaputt gegangen, und alles musste von vorne berechnetwerden. Diese mittlere Katastrophe hätte vermieden wer-den können, weil Peter schon einige Tage vor dem Crashgehört hatte, dass die Festplatte etwas andere Geräuschemachte . . .

Lasker-Mühle ist, wie klassische Mühle, bei beiderseitsbestem Spiel remis. Es gibt für die Spieler aber viel mehrMöglichkeiten, Fehler zu machen. Das kann schon im ers-ten Zug passieren. Abbildung 1.4 zeigt ein krasses Beispiel.[Lasker (1931)]

Page 31: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

1 Remis, Remis, Remis – Kampf gegen eine allgegenwärtige Seuche 15

9 9

Abb. 1.4 Schwarzer Fehler zu Beginn. Weiß kann in 72 Zügengewinnen

Klassische Mühle mit anderenStein-Anzahlen

Man kann das Mühle-Spiel mit anderen Stein-Anzahlenspielen. Bei „Neun gegen Neun“ und starken Spielern gibtes ein Remis. Bei „Zehn gegen Zehn“ gibt es auch ein Re-mis, der Anziehende muss sich dafür aber schon anstrengenund an etlichen Stellen genau spielen – er hat nicht viel Zü-ge zur Auswahl, die das Remis sichern. Bei „Elf gegen Elf“kann der Nachziehende einen Sieg erzwingen, er muss dafüraber sehr genau spielen. Bei „Zwölf gegen Zwölf“ siegt derNachziehende, und es ist relativ leicht für ihn. Ermittelt hatdas Peter Stahlhacke mit seiner Rückwärtsanalyse-Softwareim Jahr 2008.

In Abb. 1.5 ist die Stellung remis bei 9-gegen-9-Mühle(zum Remis führt nur das Einsetzen auf e3 oder auf e5)und bei 11-gegen-11-Mühle (nur d7). Bei 10-vs-10 verliert

Page 32: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

16 Spiele, Rätsel, Zahlen

1

2

3

4

5

6

7

a b c d e f g

Abb. 1.5 Jeder hat schon sechs Steine eingesetzt. Weiß ist amZug. Abhängig von der Gesamtsteinzahl ist die Stellung verschie-den bewertet

Weiß (bester Zug g1 mit Verlust in 21 Zügen), ebenso bei12-gegen-12 (alle Züge verlieren in 7 Zügen). Für die Pra-xis würde ich jemandem, der spannendere Mühle spielen,aber ganz nahe an den klassischen Regeln bleiben will, ent-weder die 10-gegen-10-Mühle empfehlen oder die mit 11gegen 11 Steinen. In beiden Fällen sollte nach jeder Partiedas Recht (oder besser die Pflicht) des Anziehenden gewech-selt werden, damit Chancengleichheit besteht.

Möbius-Mühle . . . ist auch ganz nahan klassischer Mühle

Abbildung 1.6 zeigt das Spielbrett für Möbius-Mühle. InAnalogie zum Möbius-Band sind innerer und äußerer Ringdes Mühlebretts verwoben. Das Feld g7 (was jetzt zu e7

Page 33: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

1 Remis, Remis, Remis – Kampf gegen eine allgegenwärtige Seuche 17

Abb. 1.6 Das Spielbrett bei der Möbius-Mühle

wird) ist also nicht mit g4 verbunden, sondern nach untenmit e4. Entsprechend ist das Feld d5 nicht mit e5 verbun-den, sondern nach rechts mit g5. Man kann jetzt auf demäußeren Ring entlang laufen, wechselt dann in den innerenund von dort nach einer Runde wieder zurück nach au-ßen. Entstanden ist Möbius-Mühle im April 2003. DurchZufall hatte ich von der Hochzeit von Dr. Karl und Me-gan Scherer erfahren, aber erst zwei Tage nach der Trauung.Karl ist in der Puzzle- und Spiele-Erfinder-Szene sehr be-kannt für seine vielen fantasievollen Ideen. Ich wollte aufdem Spielbrett eine kleine freie Ecke für ein Hochzeitsfo-to der beiden schaffen – und die Regeln sollten so nah aneinem klassischen Spiel sein, dass sie jeder schnell begreift.Das Verweben von innerem und äußeremMühle-Ring stehtfür das Verweben der Lebenswege von Karl und Megan.

Page 34: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

18 Spiele, Rätsel, Zahlen

Das Brett sieht nett aus. Spannender als klassischeMühleist das Spiel aber nicht. Zum Beispiel beträgt die maximaleZuganzahl bis zum Sieg im 3-gegen-3-Endspiel 23 Halbzü-ge, also weniger als die 25 Halbzüge bei klassischer Mühle.Ausgerechnet haben das unabhängig voneinander der Jena-er Informatik-Student Jonathan Schuchart und der externeDoktorand Peter Stahlhacke.

Page 35: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

2Christian Freelings

Havannah

Gute Jahre

Havannah ist ein Brettspiel für zwei Personen. Die Re-geln sind wunderbar einfach, das Spiel aber hat Tiefe. DasBrett hat sechs Seiten und Felder in einer Bienenwaben-Anordnung. Die Felder werden von den beiden SpielernWeiß und Schwarz abwechselnd mit Spielsteinen in ihrerjeweiligen Farbe belegt. Gewinner ist, wer als erster entwe-der drei Seiten (eine „Gabel“) oder zwei Ecken („Brücke“)verbunden hat oder einen Ring gebildet hat. In Abb. 2.1sind eine Gabel, eine Brücke und ein Ring gezeigt. Zubeachten sind folgende Besonderheiten:

� Die Eckfelder zählen bei ihren angrenzenden Seiten nichtmit.

� Bei einemGabelsieg darf das Gebilde auch über Eckfelderlaufen.

� Ein Ring darf auch Rand- oder Eckfelder enthalten.

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1_2,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 36: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

20 Spiele, Rätsel, Zahlen

* *

Abb. 2.1 Drei Havannah-Sieg-Strukturen: schwarze Gabel unten,weiße Brücke oben und ein schwarzer Ring

� Der Ring muss mindestens ein Innenfeld haben. Innen-felder müssen nicht leer sein.

� Alle Siege sind gleich viel wert.

Christian Freeling (Niederländer, geboren 1947) erfandHa-vannah in einer Adhoc-Aktion in den späten 1970er Jahren.Er hatte sich gerade über ein anderes Brettspiel mit langenund schrecklich komplizierten Regeln aufgeregt und wolltezeigen, dass es auch anders geht. Havannah kann im Prinzipunentschieden enden, wenn irgendwann das Brett voll istund kein Spieler eine Siegkonfiguration geschafft hat. Un-entschieden ist ganz selten. Selbst auf dem kleinen Brett mit

Page 37: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

2 Christian Freelings Havannah 21

Abb. 2.2 Eine Partie mit unentschiedenem Ausgang

der Seitenlänge 4 kommen sie weniger als ein mal pro tau-send Partien vor.

Abbildung 2.2 zeigt eine solche Schluss-Stellung ohneSieger für das kleine Brett mit der Seitenlänge 4.

Auf derWebseite http://www.althofer.de/brettlager.htmlkannman Kopiervorlagen für Havannah-Bretter der Seiten-längen 4, 5, 6 und 7 herunterladen. Druckt man solch einBrett aus, kann man Havannah auch ohne echte Figurenspielen, indemman die belegten Feldermit einem Stift mar-kiert. Zum Beispiel kann der eine Spieler Kreuze eintragenund der andere Kreise. Oder die beiden benutzen Stifte mitverschiedenen Farben.

Ravensburger, in jenen Tagen der mit Abstand größtedeutsche Spieleverlag, war von Freelings Idee beeindrucktund brachte Havannah heraus, mit einem Spielbrett der

Page 38: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

22 Spiele, Rätsel, Zahlen

Seitenlänge 8 und 169 Feldern. Für die Spieler gab es je55 Spielsteine, in den Farben schwarz und orange. 1981und 1982 stand Havannah auf der Auswahlliste des da-mals neu eingeführten Preises „Spiel des Jahres“. Das Spielverkaufte sich jahrelang prächtig.

Havannahs Wiederbelebung

Irgendwann in den 1990ern gingen die Verkaufszahlenherunter; Ravensburger stoppte die Produktion nach dervierten Auflage. Um neues Interesse an seinem Spiel zuwecken, schrieb Freeling einen offenen Brief an das inter-nationale Magazin „Abstract Games“, abgedruckt in derHerbst/Winter-Ausgabe 2002. Freeling stellte darin einekühne Behauptung auf: Sein Havannah sei viel zu schwerfür Computer! Innerhalb von zehn Jahren würde es keinComputer-Programm schaffen, in einem Zehn-Partien-Wettkampf auch nur einen einzigen Gewinn gegen ihn,den Erfinder, zu erzielen! Gespielt werden sollte auf demgroßen Brett mit der Seitenlänge 10 (und 271 Feldern). Dererste Programmierer oder das erste Programmier-Team, dasihn widerlegen würde, bekäme 1000 Euro Preisgeld. Mankonnte also auf ein Showdown in der Kategorie „Carbon(D Freeling) gegen Silizium“ hoffen.

Kurz nach der Ankündigung erzählte mir JohannesWaldmann von dem Preis. Aber wir sahen keine konkretenAnsatzpunkte für ein starkes Havannah-Programm. DasHauptproblem bestand darin, dass es keine natürlichen Be-wertungsfunktionen gab (und auch heute nicht gibt), diefür eine vorgelegte Spiel-Stellung die Chancen für die bei-

Page 39: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

2 Christian Freelings Havannah 23

den Seiten abschätzen. Andere Programmierer hatten wohlähnliche Havannah-Gefühle: Sechs lange Jahre passiertenichts, wirklich gar nichts in Bezug auf Freelings Preis.

Dann kam die Computer-Olympiade 2008 in Peking,und die Monte-Carlo-Spielbaumsuche hatte (nach Turin2006) ihren zweiten großen Durchbruch, dieses Mal beimehr als nur einem Spiel: In beiden Go-Disziplinen (9� 9-Brett und 19 � 19-Brett) wie auch bei Amazons holtenMonte-Carlo-Bots die Goldmedaillen. Und bei dem mo-dernen Klassiker Hex gab es Silber, nur ganz knapp hinterdem klassischen Platzhirsch.

Damit war klar: Der Monte-Carlo-Ansatz ist für vie-le Spiele sehr gut geeignet. Ich hatte noch einen weiterenBeleg für diese Einschätzung: In Jena hatte der Informatik-Student Jörg Günther Ende 2007 ein starkes Monte-Carlo-Programm für das Verbindungsspiel ConHex entwickeltund gegen den ConHex-Erfinder Michail Antonow selbsterfolgreich erprobt.

Als Internet-Zuschauer der Pekinger Computer-Olym-piade kam ich zu dem Schluss, dass die Zeit für einenKickstart bei Computer-Havannah gekommen war. Einpaar Wochen nach der Olympiade half ein anderes Ereig-nis. Auf dem internationalen Spiele-Server LittleGolem.net(Malaschitz, 2002) wurde ein neues Spiel verfügbar ge-macht: Christian Freelings altes Havannah! Als Glücksfallerwies sich, dass Havannah auf LittleGolem (im Folgen-den oft als LG abgekürzt) auf jeder beliebigen Brettgrößezwischen 4 und 10 gespielt werden kann.

Die Abb. 2.3 und 2.4 zeigen die ersten Partien eines ab-soluten Havannah-Neulings auf dem kleinen 4er-Brett. Für

Page 40: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

24 Spiele, Rätsel, Zahlen

1

3

5

2

4

6

Abb. 2.3 Partie eines Neulings (weiß) gegen seinen Lehrer(schwarz)

Spielanfänger, und zwar nicht nur bei Havannah, empfehleich folgendes Vorgehen:

(i) Gegen jemanden spielen, der mit dem Spiel schon ver-traut ist.

(ii) Auf kleinen Brettern beginnen, um schnell ein Gefühlzu entwickeln.

(iii) Die ersten Kennenlern-Partien schnell spielen; es solltenicht darum gehen, unbedingt gewinnen zu wollen.

(iv) Die ersten schnellen Partienmitschreiben und dannmitdem (erfahrenen) Gegner analysieren.

LittleGolems Havannah wurde eine ideale Gelegenheit fürProgrammierer (und auch für viele menschliche Havannah-Neulinge): Sie konnten auf kleinen Brettern starten, bei de-

Page 41: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

2 Christian Freelings Havannah 25

9

11

8

1012a

a

bb

c

c

Abb. 2.4 Zweite Partie des Neulings (weiß) gegen seinen Lehrer(schwarz)

nen die Computer nicht vollkommen chancenlos gegen or-dentliche menschliche Spieler waren. Fast sofort wurde LGeine Spielwiese für die ersten Havannah-Programme – unddas Forum von LG auch für einen Ideenaustausch zwischenden Programmierern. Christian Freeling selbst war mitten-drin mit den verschiedensten Kommentaren; und natürlichgenoss er die neue Popularität für sein Spiel. Christian liebtees, die Programmierer von Zeit zu Zeit mit deftigen Be-merkungen über die (noch) unzureichende Spielstärke ihrerBots aufzuziehen . . .

Ein starker Taiwanese mit dem Spitznamen „CuteCat“(übersetzt „süße Katze“) demonstrierte erfolgreich eine neueHavannah-Kampftechnik, auch in Partien gegen ChristianFreeling selbst: Vielemit einander verbundene Ringdrohun-gen sollen den Gegner daran hindern, seine eigenen Pläne

Page 42: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

26 Spiele, Rätsel, Zahlen

für Gabeln oder Brücken zu realisieren. Freeling führte spä-ter den Begriff „Cluster Bombing“ für diese Strategie ein.

Mirko Rahn, der stärkste deutsche Havannah-Spieler,gab folgende Einschätzung der durch LG „ausgelösten Si-tuation“: „Ich denke, die Änderungen im Spielstil durchLG betreffen hauptsächlich das Tempo: Inspiriert durchdie Erfahrungen auf kleineren Brettern wurde alles viel,viel schneller. Auf einer anderen Webseite wurde Havannahschon sehr lange gespielt, aber nur auf dem 10er-Brett. Dortwurden die ersten sechs bis acht Steine aus rein strategi-schen Erwägungen gesetzt. Die Betonung lag auf globalemEinfluss, und in vielen Partien baute eine Seite nicht nuran eigenen Strukturen (Gabeln oder Brücken), sondernversuchte auch, alle Möglichkeiten des Gegners zu elimi-nieren. Verteidigung galt als spezielle Form des Angriffs.Nur selten ergaben sich auf dem Brett Strukturen für beideSeiten, bei denen am Ende der Verlierer nur einen oderzwei Züge hinter dem Sieger lag. Auf LG dagegen wurdenknappe Rennen fast die Norm. Bei einer LG-Meisterschaftzwischen November 2011 und Juni 2012 entschieden beiFreeling in fünf seiner zehn Partien am Ende jeweils ein-zelne Tempi über Gewinn oder Verlust. Es geht darum,schnell eigene Strukturen hochzuziehen, egal was der Geg-ner macht. Manchmal resultiert das sogar in Partien, beidenen es gar keine Interaktion zwischen den Strukturen derbeiden Spieler gibt, abgesehen von Reaktionen auf direkteRingdrohungen“.

Die bekanntesten frühen Havannah-Programmierer(zwischen 2008 und 2011) waren: Aus Deutschland Pro-fessor Johannes Waldmann aus Leipzig (mit Ring of Fire)und sein Student Tobias Reinhardt (mit Deep Fork); die

Page 43: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

2 Christian Freelings Havannah 27

Teytaud-Brüder Olivier und Fabien aus Frankreich (be-kannt aus der Computer-Go-Szene); der Routinier RichardLorentz aus Kalifornienmit seinemWanderer, Timo Ewaldsaus der Edmonton-Gruppe und die beidenHolländer Johande Koning und Richard Pijl. Nicht auf dem Schirm hatteich anfangs die Havannah-Aktivisten aus Krakau.

In Jenas „Langer Nacht der Wissenschaften“ trafen sichEnde 2009 zum ersten Mal Bots (Computer-Programme)und starke Menschen im wirklichen Leben am Havannah-Brett. Gespielt wurde auf der Brettgröße 6. Zwei starkeCarbonados (Ed van Zon aus den Niederlanden und MirkoRahn) boten eine gute Schau und schlugen die LeipzigerSiliziumbabys überzeugend. Ein Bericht mit vielen Fotoshängt online unter http://www.althofer.de/lange-nacht-jena-2009.html.

Bei den Computer-Olympiaden 2010 in Kanasawa und2011 in Tilburg wurde auch Havannah gespielt; jedes Malsowohl auf einem kleinen (5er oder 6er) wie auch einemgroßen (8er) Brett. Beide Male siegte ganz überlegen dasProgramm Castro von Timo Ewalds. In seiner Masterarbeitbewies Timo übrigens auch mit vollständigem Durchrech-nen, dass der anziehende Spieler bei Havannah auf dem4er-Brett einen Gewinn erzwingen kann. Allerdings ist dieSiegstrategie dafür alles andere als einfach.

Der große Preiskampf rückt näher

Nach dem Start-Optimismus im Herbst 2008 verlor sichmeine Hochstimmung nach und nach. Freelings Zehn-Jahres-Plan könnte für die Programmierer zu knapp sein,

Page 44: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

28 Spiele, Rätsel, Zahlen

die Frist würde zwei oder drei Jahre zu früh ablaufen. An-dererseits hatte ich zwanzig Jahre vorher Erfahrungen imSchach zwischen Menschen und Computern gesammelt(siehe dazu das 3-Hirn-Kapitel des Buches). Bei meinenWettkämpfen gegen verschiedene Meister und Großmeis-ter hatte ich gelernt, dass im Turniersaal beim echten SpielDinge passieren, die man sich in der Analyse und bei ei-nem abstrakten Vergleich der Spielstärken nicht vorstellt:Jeder Mensch hat hin und wieder Aussetzer; und bei einemTurnier über mehrere Tage mit etlichen Stunden Spiel proTag setzt irgendwann Erschöpfung ein. So hatte ich auchfür den Freeling-Wettkampf Hoffnungen speziell für dieletzten der zehn Partien.

Auch hat jeder Mensch im Gegensatz zu Computernpsychologisch schwache Punkte, die sich vor allem unterDruck zeigen. Ich selbst habe nie ein Havannah-Programmgeschrieben, wollte aber dem Computerlager auf meineWeise helfen. Das gelang durch motivierende Postings inForen und Mailinglisten. Ein weiterer Versuch war, MirkoRahn dazu zu bewegen, ein Eröffnungsbuch für die Bots zu-sammen zu stellen. Er lehnte ab mit der nachvollziehbarenBegründung, er wolle nicht als Akteur gegen den Erfinderdieses wunderschönen Spiels auftreten.

Einige der Programmierer hatten inzwischen entwederihre Havannah-Hoffnungen begraben oder wegen andererVerpflichtungen keine Zeit mehr für die Beschäftigung mitdem Spiel. Nur drei Programme blieben aktiv, die dannauch die Medaillen bei der Computer-Olympiade im No-vember 2011 unter sich ausmachten: Castro, Lajkonik (ausKrakau) und Wanderer.

Page 45: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

2 Christian Freelings Havannah 29

Der Preiskampf wurde für die fünf Tage ab dem 15. Ok-tober 2012 angesetzt. In den Monaten vorher spielten dieBots auf LG etliche Sparring-Wettkämpfe, hauptsächlichgegeneinander. Es zeigte sich, dass Castro die beiden an-deren Programme ziemlich klar dominierte. Zum Beispielholte er zwischen Mai und Oktober 2012 gegen Lajkonikauf dem großen Zehnerbrett 47 Siege bei nur 6 Niederla-gen. Marcin Ciura, der Hauptkopf im Lajkonik-Team, lebtübrigens in Krakau und arbeitet für Google.

Im Preiskampf bekamen alle drei Programme ihre Chan-cen: Je viermal durften Castro und Lajkonik antreten, undzwei Mal der Westküsten-Wanderer.

Der Preiskampf

„Der Flug des Phönix“ ist ein faszinierender Film: EinFrachtflugzeug mit 15 Mann an Bord gerät über der Saharain einen Sandsturm. Die Motoren fallen aus; bei der Not-landung geht die Maschine zu Bruch. Mehrere der Männersterben in den nächsten Tagen. Die verbleibenden Siebenschaffen es, aus den Wrackteilen ein neues (kleineres) Flug-zeug zu bauen. Der Versuch, diesen „Phönix“ in die Luftzu bringen, ist die Schlüsselszene des Films. Sieben Zünd-patronen sind da, um den Motor zu starten: Nur mit einervon ihnen muss es klappen. Die Patronen 1 bis 4 verpuffenohne Erfolg.

Der alte Pilot mit all seiner Erfahrung benutzt PatroneNr. 5, um „einfach nur“ die Zylinder durchzupusten. Dabeidreht der Ingenieur, der den Bau des neuen Flugzeugs orga-nisiert hatte, fast durch. Mit der sechsten Patrone und dem

Page 46: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

30 Spiele, Rätsel, Zahlen

durchgepusteten Motor klappt es dann: Die Kiste kommtauf Touren, der Phönix hebt ab, Happy End.

In Analogie zu dieser Phönix-Geschichte hatten die Botssogar zehn Chancen, um den einen nötigen Gewinn gegenChristian Freeling zu erzielen. Die höchste Spannung hättesich ergeben, wenn das in Runde 9 oder 10 passiert wäre.Aber die Wirklichkeit hatte ein anderes Drehbuch. Lajko-nik bekam die erste „Patrone“, aber die Partie geriet zurKatastrophe für den Rechner: Die Kiste verlor sang- undklanglos. In Runde 2 zeigte Ciuras Baby dann ein ganz ande-res Gesicht, bis in unklarer Stellung plötzlich ein Kommu-nikationsproblem auftrat. Keiner der beiden Kontrahentenhatte Schuld daran, so wurde die Partie annulliert und fürden nächsten Vormittag neu angesetzt. Jetzt hätte Christi-an gewarnt sein müssen. Aber mit einer gehörigen PortionNaivität lief er Lajkonik bei der Wiederholungspartie amnächsten Vormittag ins Messer und fing sich die erste undschon entscheidende Niederlage ein.

Interessant zu lesen waren Freelings Kommentare in sei-nem Blog zum Match. Am Ende von Tag 3 schrieb er nachder sechsten Runde: „Der Stand ist Mensch 5 – Maschi-nen 1, also habe ich die Wette verloren. Die Partien sindsehr interessant bisher. Die Bots sind deutlich stärker gewor-den (mit Ausnahme von Lajkonik in der allerersten Partie,als es wie Version 1.3 und nicht wie 3.1 spielte). Die Rech-ner tragen auch zum strategischen Verständnis des Spielsbei: Ihre „Clusterbomben“ gebenmehr Tempo, als die meis-ten Spieler glauben; wenn man diese zu einem ganz frühenZeitpunkt unterbinden will, drosselt das natürlich das Tem-po beim Aufbau der eigenen Strukturen. Auch wenn dieWette schon verloren ist, werden alle zehn Partien gespielt,

Page 47: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

2 Christian Freelings Havannah 31

und ich versuche, das bestmögliche Gesamtergebnis zu er-reichen. Was die Spielstärke der Rechner angeht, hatte ichmich offensichtlich getäuscht. Mein Glückwunsch an Mar-cin Ciura für seinen Sieg in Runde zwei!“

Nach demWettkampf gab Marcin eine profanere Erklä-rung für Lajkoniks ungewöhnliches Verhalten. Er schriebmir: „Das schwache Spiel in Runde 1 war nicht beabsich-tigt. Die ursprünglichen Parameter waren auf der Basis vonschnellen Partien zwischen Lajkonik und Castro festgelegtworden. Sie stellten sich in Partie 1 gegen den MenschenChristian Freeling als schlecht heraus, so wählte ich für diefolgenden Partien neue Werte, nur auf Basis meiner Intui-tion und einiger Testpositionen.“

Die neuen Parameter funktionierten sehr gut. Nach denersten Online-Glückwünschen zu seinem Sieg antworteteMarcin von Wolke Sieben: „So fühlen sich also Ruhm undGeld an.“ Er hatte auch schon direkt nach der ursprüngli-chen Partie 2, die ja abgebrochen und annulliert wordenwar, einem aufschlussreichen Kommentar abgegeben: „Inder Abbruchstellung stand Lajkoniks Bewertung bei 62,3%Gewinnchance. Vielleicht wird diese nicht beendete Partieals das Ergebnis des Wettkampfes in die Geschichte einge-hen.“

Freeling gewann an Tag 4 die Partien 7 und 8. AmSchlusstag war er sichtlich erschöpft und verlor noch jeeinmal gegen Lajkonik und Castro. Daraus ergibt sich dasGesamtergebnis von 7 W 3.

Christian Freeling hat das Schlusswort: „Am letzten Tagwar ich schon ziemlich erschöpft. Durch einen Fingerfehlerund eine Illusion verlor ich beide Partien . . . Traurig. MeineGlückwünsche an Timo und Marcin!“

Page 48: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

32 Spiele, Rätsel, Zahlen

Stress im Botcamp

Erst einige Zeit nach dem Wettkampf bekam ich mit, dasses im Botcamp Spannungen gegeben hatte. Während derPlanung gewann Richard Lorentz manchmal den Eindruck,dass die beiden Programmier-Kollegen seinen Wanderer ei-gentlich nicht dabei haben wollten, weil sie ihre Bots fürstärker hielten. Auch während des Wettkampfs selbst gab eskaum Kommunikation zwischen den Programmierern.

Für Timo Ewalds muss es enttäuschend gewesen sein,dass nicht sein Favorit Castro den Holländer abschoss, son-dern Marcins Lajkonik. Eigentlich war vorgesehen, dassMarcin und Timo nach dem Event zusammen einen Be-richt für eine Fachzeitschrift schrieben, über die technischenAspekte ihrer Programme. (Richard Lorentz hatte seinenWanderer schon 2010 und 2011 in der akademischen Weltbeschrieben.) Aber wegen des für ihn enttäuschenden Aus-gangs war Timo nicht recht in der Stimmung, und Marcintraute sich den Report allein nicht zu. So sind manche De-tails der beiden Programme bisher nicht allgemein bekanntgeworden.

Page 49: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

3Clobber

Der Spielname „Clobber“ kommt aus dem Englischen undbedeutet „Verkloppen“. Von allen mir bekannten Brett-spielen hat Clobber die einfachsten Regeln. Am Anfang istdas rechteckige Spielbrett mit Steinen gefüllt, weißen Stei-nen von Spieler Weiß und schwarzen Steinen von SpielerSchwarz. Die beiden Spieler ziehen abwechselnd. Bei jedemZug schlägt man eine gegnerische Figur vom Brett. Werzuerst nicht mehr schlagen kann, hat verloren.

Die Regeln etwas genauer: Ein für Anfänger geeignetesSpielbrett ist klein und hat 5 mal 4 Felder. Zu Beginn stehendarauf abwechselnd weiße und schwarze Steine, also insge-samt 10 weiße und 10 schwarze. Abbildung 3.1 zeigt dieStartstellung. Eine Figur darf nur auf ihren vier direktenNachbarfeldern schlagen (Nord, Ost, Süd, West). Die ge-schlagene Figur wird vom Brett genommen, und die schla-gende Figur nimmt ihren Platz ein. Eine Clobber-Partie aufdiesem Brett dauert also höchstens 19 Züge, weil am Endenochmindestens eine Figur des Siegers auf dem Brett stehenmuss.

Die Abb. 3.2 zeigt eine Beispielsituationmit Schwarz amZug. Die Pfeile zeigen alle Zugmöglichkeiten von Schwarz.Sein linker Stein kann in jeder der vier Richtungen schlagen.

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1_3,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 50: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

34 Spiele, Rätsel, Zahlen

Abb. 3.1 Die Startstellung für Clobber auf dem 5 � 4-Brett

Abb. 3.2 Schwarz ist am Zug und wird gewinnen

Abb. 3.3 Schluss-Stellung: Weiß ist am Zug und kann nicht mehrschlagen. Also hat Weiß verloren

Page 51: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

3 Clobber 35

Die beiden schwarzen Steine auf der rechten Seite könnennicht schlagen, weil sie keine weißen Nachbarn haben.

Abbildung 3.3 zeigt die Stellung nach dem von Schwarzausgeführten Zug. Danach ist Weiß amZug. Weil es für ihnkeine Schlagmöglichkeiten gibt, hat er die Partie verloren.

Aus dem Labor in die Öffentlichkeit

Clobber wurde im Sommer 2001 von Michael H. Albert,J. P. Grossmann und Richard Nowakowski erfunden. Diedrei Mathematiker hatten über ein Spring-Solitär-Spielnachgedacht und dabei auch an den Spielregeln herumge-spielt.

Im Februar 2002 fand im Schloss Dagstuhl eine einwö-chige Tagung zur algorithmischen kombinatorischen Spiel-theorie statt. Als die Teilnehmer am Sonntagabend anka-men und gegessen hatten, lagen plötzlich mehrere 6 � 5-Spielbretter mit dem Schriftzug „Clobber“ auf den Tischen,und jedes Mal daneben kleine Haufen weißer und schwar-zer Go-Steine.

Die meisten schauten etwas ratlos, wurden aber bald vonanderen eingeweiht – Grossmann und Nowakowski warenauf der Tagung dabei. Viele begannen zu spielen, ohne ei-ne Ahnung zu haben, worin sich gute und schlechte Zügeunterschieden. AmMontagabend, nach dem letzten Vortragdes Tages, wurde ein Clobber-Turnier angekündigt. Es wür-de jeweils abends gespielt werden, und Interessenten solltensich in eine herumgereichte Liste eintragen. Meine direk-te Frage war: „Dürfen auch Computer-Programme an demTurnier teilnehmen?“ Es entstand ein Moment des Schwei-

Page 52: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

36 Spiele, Rätsel, Zahlen

gens; der Ansager verständigte sich durch Blickkontakt miteinigen Kollegen, um dann etwas zögerlich „ja“ zu sagen.Man beachte: Zu dem Zeitpunkt gab es noch kein einzigesSpielprogramm für Clobber.

Im Laufe der nächsten 24 Stunden passierte Erstaun-liches. Zum Turnierbeginn am Dienstagabend waren dreiComputer-Programme für Clobber angemeldet. Eines hat-te ich selbst über Nacht unter der Oberfläche von „Zillionsof Games“ programmiert. Bei Zillions muss man nur dieRegeln eines Spiels in einer Scriptsprache formulieren. An-schließend spielt Zillions das zugehörige Spiel ohne wei-teres Vortraining „einigermaßen ordentlich“. Im Fall vonClobber war Zillions direkt so stark, dass ich als Menschkeine Chance dagegen hatte. Die anderen zwei Programmestammten von Bob Hearns („Bobber“) und J.P. Grossman(„Deep Clobber“).

Diese beiden Programme wurden erst im Laufe desDienstagnachmittag fertig. Die Programmierer saßen imVortragssaal in der letzten Reihe, mit ihren Laptops auf denKnien, und machten den Feinschliff am Clobber-Code,während vorne an der Tafel vorgetragen wurde.

Die spielwilligen Menschen begriffen sofort, dass dieComputer für sie zu stark sein würden. So wurde in zweiKategorien gespielt: Mensch gegen Mensch; Computer ge-gen Computer. Am Mittwoch abend gingen die Starter derComputerprogramme zum 6 � 6-Brett über, während diemenschlichen Spieler bei 6�5 blieben. [Althöfer (2002)].

Page 53: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

3 Clobber 37

Kombinatorische Eigenschaftenvon Clobber

Im Laufe einer Clobber-Partie zerfällt die Gesamtstellungnormalerweise in kleinere Gruppen, die keinen Kontaktmehr zueinander haben. In Abb. 3.4 gibt es drei Gruppen,wobei die Gruppe oben links und die untere Gruppe inder Mitte spiegelbildlich zueinander sind. Der Spieler, derin dieser Stellung am Zug ist, kann einen Sieg erzwingen:Er macht seinen ersten Zug in Gruppe 3. Danach ist die-se Gruppe ohne weitere Züge, und der Spieler muss denGegner in den beiden anderen Gruppen nur spiegeln.

Clobber ist ein ideales Beispiel für die kombinatorischeSpieltheorie. Diese beschäftigt sich mit Spielen, die in un-abhängige Teile zerfallen und bei denen der Spieler am Zug

Abb. 3.4 Eine Stellung mit 3 Gruppen, davon zwei symmetri-schen

Page 54: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

38 Spiele, Rätsel, Zahlen

in genau einem der Teile spielen muss. Verloren hat, weram Ende nicht mehr ziehen kann. Die Mutter aller solchenSpiele ist das Nim-Spiel , das Charles L. Bouton 1901/02vollständig analysiert hatte. [Bouton (1901/02)]

Die Variante Cannibal-Clobber

Die Regeln vonClobber sind so kurz und klar, dassman sichganz leicht Varianten überlegen kann. BeiCannibal-Clobberdeutet schon der Name an, worin die Änderung gegenüberdem Basisspiel besteht.

Die Regeln: Es ist alles wie bei Clobber, aber mit einemkleinen Unterschied. Hier darf man auch eigene Steineschlagen (in der gewohnten Ost-Süd-West-Nord-Nachbar-schaft).

Eine Musterpartie auf dem 6�5-Brett zeigt, was passie-ren kann. In der Notation sind jeweils Startfeld und Zielfelddes Zuges angegeben, getrennt durch ein „x“. Abbildung 3.5zeigt die Startstellung mit den Koordinaten.

Weiß: Ingo Althöfer,Schwarz: Computerprogramm Mc Cannibal

1.e1xe2 2.b3xc3 3.f2xf3 Mit seinen ersten beiden Zügenhat Weiß den schwarzen Stein auf Feld f1 in der Ecke rechtsunten isoliert. Diese Karteileiche spielt ab jetzt nicht mehrmit.

4.a2xb2 5.a1xb1 6.b2xb1 7.c1xc2 Jetzt ist auch aufFeld b1 ein schwarzer Isolani entstanden. Der Leser ahnt

Page 55: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

3 Clobber 39

a b c d e f

1

2

3

4

5

Abb. 3.5 Startstellung auf dem 6 � 5-Brett

wahrscheinlich die Basisstrategie von Weiß: Möglichstvielen schwarzen Steinen sollen alle Zugmöglichkeiten ge-nommen werden.

8.a4xb4 9.a5xb5 10.c3xc2 11.d2xd3 Siehe Abb. 3.6. Jetztsieht es schon nach einem klaren Vorteil für Weiß aus.Schwarz hat vier Isolani (auf b1, c2, d1, f1), Weiß aber nureinen (auf a3).

12.b4xb5 13.c5xd5 14.c4xd4 15.f4xe4 16.d4xd5 17.e5xe4 1-0 Damit ist die Partie vorbei, weil Schwarz keineZüge mehr hat. Weiß könnte noch vier weitere Züge langeigene Steine schlagen.

Man sieht einen Vorteil von Cannibal-Clobber gegen-über dem ursprünglichen Clobber: Ein Spieler kann mitVorsprung gewinnen (im Beispiel mit Vorsprung 4), wäh-rend es bei Clobber nur Sieg oder Niederlage gibt, ohne jedeAbstufung.

Page 56: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

40 Spiele, Rätsel, Zahlen

a b c d e f

1

2

3

4

5

Abb. 3.6 Stellung nach Zug 11

Page 57: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

4EinStein würfelt nicht

„EinStein würfelt nicht“ ist ein Würfelspiel für zwei Perso-nen, bei dem man manchmal aber nicht würfeln muss. Wasmit „manchmal“ gemeint ist, sagt der Name des Spiels: Wernur noch einen Spielstein auf dem Brett hat, muss nichtmehr würfeln, sondern zieht diesen Stein direkt.

Regeln

Das Spielbrett ist quadratisch und hat 5�5 Felder. Jeder derbeiden Spieler hat sechs Steine in seiner Farbemit denNum-mern 1 bis 6. Es gibt einen normalen sechsseitigen Würfelmit den Augenzahlen 1 bis 6.

Auf dem Spielbrett sind in der Ecke links oben sechs Fel-der grau unterlegt. Dies sind die Startfelder der Steine vonSpieler Weiß. Rechts unten sind auch sechs Felder grau un-terlegt, auf denen die Steine von Spieler Schwarz starten.

Die weißen Steine dürfen nach unten, nach rechts oderschräg nach rechts unten ziehen, und zwar immer ein Feldweit. Die schwarzen Steine dürfen nach links, nach obenoder schräg nach links oben ziehen, auch jeweils ein Feldweit. Steht auf dem Zielfeld des Zuges eine andere Figur –

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1_4,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 58: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

42 Spiele, Rätsel, Zahlen

egal, ob vom Gegner oder eine eigene – so wird diese ge-schlagen und aus dem Spiel genommen.

Die beiden Spieler ziehen abwechselnd. Zu Beginn ei-nes Zuges würfelt der Spieler. Hat er noch einen Stein mitder gewürfeltenNummer auf dem Spielbrett, so zieht er mitdiesem Stein. Spannend wird es, wenn er eine Zahl würfelt,zu der er keinen Stein mehr im Spiel hat. Dann muss ermit der nächstgrößeren oder der nächstkleineren Nummerziehen, die er noch hat. Hier sind zwei Beispiele zur Ver-deutlichung:

(i) Der Spieler hat noch die Steine 1, 4, 6 und würfelt ei-ne 3. Dann muss er mit der 1 oder der 4 ziehen. Es spieltdabei keine Rolle, dass die gewürfelte 3 näher an der 4als an der 1 liegt.

(ii) Der Spieler hat noch die Steine 2, 3, 5 und würfelt ei-ne 6. Dann muss er die 5 ziehen, weil er keinen Steinmit 6 oder größer als 6 hat.

Am Beispiel in Abb. 4.1 sieht man, dass es oft gut ist, wennman eine Zahl würfelt, zu der man keinen Stein mehr aufdem Brett hat! Um das zu erreichen, hat es Sinn, sich vorallem zu Partiebeginn in gewissem Umfang auch selbst zuschlagen.

Im Folgenden schreiben wir manchmal kurz „Ewn“ oderauch „EinStein“ statt „EinStein würfelt nicht“.

Abbildung 4.2 zeigt eine künstliche Startstellung, aus derman den Wert des Selbstschlagens ableiten kann. ObwohlWeiß nur zwei Steine auf dem Brett hat, kann er die Mehr-zahl solcher Partien für sich entscheiden.

Page 59: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

4 EinStein würfelt nicht 43

a b c d e

a b c d e

1

2

3

4

5

1

2

3

4

5 1

4

6

4

6

2 3

Abb. 4.1 Die Zugmöglichkeiten von Weiß bei einer gewürfel-ten 3

a b c d e

a b c d e

1

2

3

4

5

1

2

3

4

5

1

6

4 6

2

3

1

5

Abb. 4.2 Weiß mit zwei Steinen gegen Schwarz mit sechs Stei-nen. In 210.000 Computer-Partien siegt Weiß in etwa 70 % derFälle, egal, ob Weiß oder Schwarz den ersten Zug hatte

Page 60: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

44 Spiele, Rätsel, Zahlen

Die Parameter des Spiels, also Brettgröße und Steinzahl,sind übrigens bewusst auch so gewählt worden, dass ein voll-ständiges Durchrechnen bei heutiger Rechentechnik nichtmöglich ist. Das musste auch ein ehemaliger Amazon-Mit-arbeiter einsehen, der das von seiner Firma neu eingeführteKonzept des Rechnens in der Cloud für diese spezielle Auf-gabe nutzen wollte und nach einem Jahr dasHandtuch warf.

EinStein mit schwarzem Loch

Es ist alles wie beim normalen „EinStein würfelt nicht“. Nurbefindet sich jetzt auf dem zentralen Feld (mit den Koordi-naten c3) ein schwarzes Loch, wie in Abb. 4.3 gezeigt.

Ein Stein kann auf dieses Feld ziehen, verschwindet da-mit aber vom Brett und taucht auch nicht wieder auf. So

a b c d e

a b c d e

1

2

3

4

5

1

2

3

4

5

Abb. 4.3 Ewn mit schwarzem Loch im Zentralfeld

Page 61: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

4 EinStein würfelt nicht 45

wie es beim normalen EinStein Sinn hat, sich in gewissemUmfang selbst zu schlagen, hat es in dieser Variante hin undwieder Sinn, mit einer Figur in das schwarze Loch zu sprin-gen.

Ewn quattro

Auf dem etwas größeren 6�6-Brett kann Ewn auch mit vierSpielern in zwei Teams gespielt werden. In einer Online-Szene hatte sich dafür der Name „Ewn quattro“ eingebür-gert. In Abb. 4.4 gehörenWeiß (w) undHellgrau (h) zusam-men; Schwarz (s) und Dunkelgrau (d) bilden das gegneri-

a b c d e f

a b c d e f

1

2

3

4

5

6

1

2

3

4

5

6

w3

w1

w4

w2

w5

w6

h4

h5

h3

h2

h6

h1d1

d2

d4

d5

d3

d6

s6

s3

s4

s5

s2

s1

Abb. 4.4 Eine Startstellung. Weiß und Hellgrau sind Team 1, Dun-kelgrau und Schwarz sind das gegnerische Team 2

Page 62: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

46 Spiele, Rätsel, Zahlen

sche Team. Gewürfelt und gezogen wird reihum imUhrzei-gersinn. Die Regeln entsprechen denen vom „klassischen“Ewn.

Das Team mit Weiß und Hellgrau ist Gewinner, wennentweder eine weiße Figur auf das Feld f6 oder eine hell-graue Figur auf das Feld a1 gelangt ist. Analog ist dasSchwarz-Dunkelgrau-Team Sieger, wenn entweder eineschwarze Figur nach a6 oder eine dunkelgraue Figur nach f1gelangt ist. Figuren dürfen auf freie Felder ziehen, eigeneFiguren schlagen, Figuren des Partners schlagen – und Fi-guren der Gegner sowieso.

Ein Team hat sofort verloren, wenn von einem der bei-den Spieler alle sechs Steine geschlagen wurden. Damitkann es zu einem Widerspruch kommen: Wenn ein Spielermit seinem Zug das Zielfeld erreicht und dabei gleichzeitigden letzten Stein seines Partners schlägt, sind beide Be-dingungen erfüllt: Die zum Sieg und die für den Verlustdes Teams. Die Situation zählt aber als Sieg für die Mann-schaft. Nach dem Programmierer Munjong Kolss, der 2005auf diese Möglichkeit des Partieendes hinwies, heißt solchein Sieg „Munjong-Sieg“.

Die Startstellung in Abb. 4.4 ist natürlich nur eine vonvielen Möglichkeiten. Die Anfangsstellung der Steine wirdausgelost, d. h. zufällig ermittelt.

Abbildung 4.5 zeigt eine Quattro-Stellung kurz vor Par-tieende. Weiß steht mit seinem einzigen verbliebenen Stein(Nr. 5) nur noch ein Feld vom Ziel entfernt. Schwarz ausdem gegnerischen Team ist am Zug. Würfelt er jetzt eine 4,kann er die weiße 5 schlagen und damit für sein Team ge-winnen. Bei allen anderen Zahlen muss er einen anderen

Page 63: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

4 EinStein würfelt nicht 47

a b c d e f

a b c d e f

1

2

3

4

5

6

1

2

3

4

5

6 w5

h4

h6

d1

d2

s6

s3

s4

s5

s1

Abb. 4.5 Schwarz ist am Zug und muss zunächst würfeln. DieLinie von der schwarzen 4 zur weißen 5 zeigt den einzigen Zug,der den Sieg von Weiß verhindern kann. Ausführen darf Schwarzdiesen Zug nur, wenn er eine 4 würfelt

Stein ziehen. Als nächstes wäre dannWeiß amZug undwür-de direkt in sein Ziel ziehen.

Page 64: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

5Yavalath

Yavalath, von Cameron Browne

Wir sind hier nicht bei einem Poetry Slam, und der TitelvonAbschn. 5.1 ist auch nicht eine Ansage in derHitparade.Yavalath ist ein Brettspiel für zwei Personen. Erfunden hat esder Australier Cameron Browne, aber eigentlich auch nicht.

In seiner Doktorarbeit (2008) hat Browne ein Pro-gramm „Ludi“ entwickelt, das ausgehend von einer Mengeexistierender Brettspiele mit Hilfe eines genetischen Al-gorithmus neue Spiele erfindet, diese nach vermutlicherQualität selbst sortiert und die Besten am Ende eines ta-gelangen Rechenprozesses an den Benutzer ausgibt. Einwesentlicher Bestandteil von Ludi ist eine „KI“ (D künst-liche Intelligenz). Mit diesem Unterprogramm kann Ludiein (altes oder neues) Spiel, von dem nur die Regeln be-kannt sind, sofort einigermaßen intelligent spielen. Liegtein neuer Satz R von Spielregeln vor, lässt Ludi seine KI„von der Kette“. Die KI spielt das zu R gehörige Spiel vie-le Male gegen sich selbst und wertet die Parameter undErgebnisse der Partien statistisch aus. Eine zentrale Rollespielen dabei durchschnittliche Partielängen, Remisquoten,

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1_5,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 65: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

50 Spiele, Rätsel, Zahlen

Siegquoten des Anziehenden, Vorteile durch mehr Bedenk-bzw. Rechenzeit, späte Konter-Chancen usw.

Yavalath war das nach Bewertung von Ludi zweitbes-te Ergebnis eines 14-tägigen Computerlaufs am Ende derBrowneschen Doktorarbeit. Übrigens hatte eine Subrouti-ne von Ludi auch den Fantasie-Namen „Yavalath“ kreiertund diesem Spiel zugeordnet.

Die Regeln des Yavalath

Yavalath ist eine Art „4 gewinnt“, aber mit einer Besonder-heit. Hat einer der beiden Spieler irgendwann drei eigeneSteine in Reihe, aber noch keine vier, so hat er verloren.Vier in Reihe dagegen gewinnt sofort, auch wenn gleich-zeitig irgendwelche Dreierketten entstanden sind. Gespieltwird Yavalath auf einem flachen Spielbrett mit Bienenwa-benmuster, wie bei Havannah. Am Anfang ist das Brett leer.Die Spieler Weiß und Schwarz ziehen abwechselnd. Sie set-zen in jedem Zug einen eigenen Stein auf ein freies Feld.(Die Regeln sind soweit also die gleichen wie bei Havan-nah.)

Die Abb. 5.1 zeigt eine kritische Stellung. Schwarz hatzuletzt denmarkierten Stein gesetzt und droht, durch Setzenauf das Feld mit dem Stern (�) im nächsten Zug eine Vie-rerkette zu bilden. Weiß kann das nur verhindern, indem erselbst das Feld� besetzt. Das würde aber einen weißenDrei-er bedeuten, also einen Verlust. Damit ist die Partie also zuGunsten von Schwarz entschieden.

Sollte das Spielbrett irgendwann voll sein, ohne dass ei-ne Dreier- oder Viererkette in einer Farbe dabei ist, ist das

Page 66: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

5 Yavalath 51

*

Abb. 5.1 Ende einer ganz kurzen Partie. Weiß ist am Zug undkann die schwarze Viererkette nur verhindern, indem er selbst auf� setzt und dadurch verliert

Ergebnis ein Unentschieden. Bei einer Brett-Seitenlänge ab5 kommen solche Unentschieden nur sehr selten vor.

Für das praktische Kennenlernen dürften ein paar Par-tien auf der Brettgröße 4 besonders geeignet sein. Danachkann man dann zur Größe 5 wechseln, die von Ludi (undBrowne) für „normales“ Spiel empfohlen wird. Yavalathkann man auf ausgedruckten Brettern spielen (es sind diegleichen wie für Havannah) und die gesetzten Figuren miteinem Stift einzeichnen.

Page 67: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

52 Spiele, Rätsel, Zahlen

Eine kommentierte Meisterpartie

Wir zeigen einen Kampf zwischen zwei guten Yavalath-Spielern. Unser Dank geht an Cameron Browne für dieErlaubnis, diese Partie von seiner Webseite übernehmen zudürfen. Nach der ersten Abb. 5.2 geht es von Abbildung zuAbbildung jeweils um zwei Züge weiter. Die neu gesetztenSteine erkennt man an ihren Zugnummern.

Bei vielen Spielen ist es gut, möglichst früh das oder einZentralfeld zu besetzen. So macht es Schwarz auch hier mitseinem ersten Stein (Nr. 2). Wegen der ungewöhnlichenSiegbedingung (Dreier verliert, Vierer gewinnt) scheint esaber tendenziell besser zu sein, statt eines Zentralzuges miteiner nicht so zentralen „4-Spange“ zu beginnen, um später

12

3

Abb. 5.2 Weiß hat nicht im Zentrum begonnen

Page 68: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

5 Yavalath 53

4

5

Abb. 5.3 Weiß hat eine erste konkrete Vierer-Drohung aufge-stellt

den Gegner mit einem Stein innerhalb der Spange zu einerAntwort zwingen zu können. (Eine 4-Spange sind zwei Stei-ne auf einer Linie, wobei zwischen den beiden Steinen zweifreie Felder liegen.)

Wie in Abb. 5.3 zu sehen ist, hat auch Schwarz jetzt mitZug 4 eine 4-Spange errichtet. Mit Nr. 5 reagiert Weiß di-rekt und droht schon, sofort eine gewinnende Viererkettezu bauen.

Nach der Zwangsantwort von Schwarz erzeugt Nr. 7 vonWeiß (siehe Abb. 5.4) sogar zwei neue 4-Spangen. Der ar-me Schwarze wird bald in einen Strudel von Zwangszügengeraten.

Page 69: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

54 Spiele, Rätsel, Zahlen

6

7

Abb. 5.4 Nr. 6 von Schwarz war erzwungen

Stein Nr. 8 wirkt wie ein schwarzer Befreiungsschlag, istaber nur ein Strohfeuer. Natürlich muss Weiß die direkteDrohung beantworten. Aber nach Abb. 5.5 folgt eine ganzeKaskade von Zwangszügen.

Zack, zack, zack. Die Züge 10, 11 und 12 in Abb. 5.6und Abb. 5.7 sind alle erzwungen, um gegnerische Vierer-ketten zu verhindern. Zug 13 von Weiß ist der Killerzug.

Schwarz 14 in Abb. 5.8 ist ein letztes erfolgloses Aufbäu-men. Es zwingt Weiß zu Zug 15, was wiederum Zug 16erzwingt.

Und dann macht Zug 17 in Abb. 5.9 den Sack zu.Schwarz kann den weißen Vierer nur verhindern, indem ersich selbst mit Zug 18 einen Dreier baut.

Page 70: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

5 Yavalath 55

89

Abb. 5.5 Weiß 9 war erzwungen, um einen schwarzen Vierer zuverhindern

1011

Abb. 5.6 Auch hier sind die Züge wieder zwei Zwangsentschei-dungen

Page 71: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

56 Spiele, Rätsel, Zahlen

12

13

Abb. 5.7 Der unschuldig ausschauende 13er gewinnt das Spielfür Weiß

1415

Abb. 5.8 Kurz vor dem Finale: Schwarz wird in einen Dreier ge-trieben

Page 72: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

5 Yavalath 57

16

1718

Abb. 5.9 Schwarz hat verloren, weil er mit den Steinen 16 und 18einen Dreier produziert hat

Wer sich als Neuling mit dieser Partie oder von denKommentaren überfordert fühlt, sollte sich keine Sorgenmachen. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.In Zweifelsfall spielt man selbst erst einige Male Yavalathund schaut sich dann die Musterpartie noch einmal an.Die Partie zeigt jedenfalls einen typischen Wesenszug vonYavalath: Oft gibt es Zwangszug-Folgen. Zwischen solchenSequenzen muss man die richtigen Weichen stellen.

Anmerkung Manchmal merken ein oder beide Spielernicht sofort, wenn irgendwo auf dem Yavalath-Brett dreiSteine in Reihe sind. Das macht nichts. Es wird einfach solange gespielt, bis ein Spieler entweder „vier in Reihe“ (beisich) oder „drei in Reihe ohne vier“ beim Gegner rekla-

Page 73: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

58 Spiele, Rätsel, Zahlen

miert. Erst mit einer berechtigten Reklamation endet diePartie.

Ludi Ludissimo!

Die Dissertation von Cameron Browne schlug in verschie-denen Szenen ein wie eine Bombe. Das Spiel Yavalath istals echtes Brettspiel im Nestor-Verlag erhältlich. CameronBrowne musste irgendwann mit Erstaunen feststellen, dasssich Yavalath besser verkauft als alle Spiele, die er selbst alsmenschlicher Spiele-Erfinder in die Welt gesetzt hat. Auchwurde Yavalath um Klassen populärer als das Spiel, welchesvon Ludi vor Yavalath auf Platz 1 gesetzt worden war.

Auf der seriösen Bewertungs-Seite http://www.boardgamegeek.com hat Yavalath ein gutes Durchschnitts-Ranking von 7,10 (aus 102 Bewertungen) auf der Skalavon 1 bis 10. Zum Vergleich: Havannah hat 7,18 (aus125), EinStein 6,78 (aus 52), Lasker-Mühle ist nicht gelis-tet, Clobber hat 6,31 (aus 16); bei allen Spielen war diesesder Stand vom 12. Februar 2014.

Im Jahr 2012 gewann das Programm Ludi eine Goldme-daille beim Humies-Wettbewerb, bei dem evolutionäre Pro-gramme ausgezeichnet werden, welche Aufgaben, bei deneneigentlich klassische menschliche Intelligenz gefordert ist,erfolgreich lösen.

Ein Problem für Spiele wie Yavalath ist die Voreinge-nommenheit etlicher Leute in der Brettspiel-Szene: Siesind negativ „eingestellt“, wenn ein Spiel mit Computerhil-fe oder vollautomatisch vom Computer erfunden wurde.Ein ganz anderes – und wohl größeres – Problem ist, dass

Page 74: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

5 Yavalath 59

unverantwortliche Benutzer von Programmen wie Ludiden kommerziellen Markt mit Massen von (guten) neuenSpielen überschwemmen könnten. Auch deshalb hat Brow-ne sein Spiele-Erfindungs-Programm nicht kommerziellgemacht und auch sonst nicht an dritte Personen weiterge-geben.

Für meine Gruppe in Jena bedeutete die angekündigteFertigstellung der Dissertation von Cameron Browne einenSchlag ins Kontor. 2002 hatte ich einen ersten Reportzum computer-unterstützten Spiele-Erfinden geschriebenund entsprechende Systeme in den Jahren 2003 bis 2005mit Hilfe der Studenten Thomas Rolle und Jörg Sameithpraktisch umgesetzt. Die Spiele „EinStein würfelt nicht“und „Würfel-Fußball“ alias „Finale“ alias „Torjäger“ warendie schönsten Ergebnisse und wurden kommerzielle Erfol-ge. Im Sommer 2007 konkretisierte sich meine Idee, dieEinkünfte aus dem Spieleverkauf in die Forschung einzu-bringen: Das 3-Hirn-Stipendium sollte eine Promotion imBereich Spiele-Analyse und -Programmierung unterstüt-zen. Als ein mögliches Thema war explizit das computer-unterstützte Spiele-Erfinden genannt.

Die Ausschreibung erfolgte international; für den engli-schen Text hatte ich Anfang Juni 2007 Cameron Browne,den ich als Autor des Buches „Connection Games“ kann-te und schätzte, um Glättung gebeten. Er half bereitwilligund schnell . . . Monate später fragte er bei mir an, ob ichauswärtiger Gutachter bei seiner Dissertation werden könn-te, es ginge darin um ein Computer-Programm (Ludi), dasselbstständig Spiele erfinde.

JakobErdmann hatte inzwischen das 3-Hirn-Stipendiumbekommen. Er wollte ein Programm schreiben, das vollau-

Page 75: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

60 Spiele, Rätsel, Zahlen

tomatisch Brettspiele erfindet, und hatte sich gerade in dasThema eingearbeitet. Da erfuhr ich von Brownes abge-schlossener Arbeit. Erdmann musste sich ein neues Themasuchen: Es wurde die Frage, wie man den Grad an Zufällig-keit in einem Brettspiel definieren und messen kann.

Randbemerkung: Die Grundregel von Yavalath lässt sichauf das bekannte „Vier in Reihe“ mit dem hochkant ste-henden Spielgitter übertragen: Sieger ist, wer vier Steine inReihe schafft (waagerecht, senkrecht oder diagonal). Verlie-rer ist, wer drei in Reihe setzt, ohne gleichzeitig vier in Reihezu setzen.

Mancher Leser wird sich gefragt haben, welches Spieldenn von Ludi vor Yavalath auf Platz 1 gesetzt wurde. Esist „Teiglith“ – und hat in der Spieleszene keine Begeiste-rungswellen ausgelöst.

Page 76: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Teil 2

Rätsel

Page 77: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

6Allgemeines zu Logischen

RätselnIm Jahr 1979 wurde in der amerikanischen RätselzeitschriftDell Pencil Puzzles & Word Games (Bleistifträtsel und Wort-spiele) eine neuartige Knobelei veröffentlicht. Das Werkstammte von einem Mann namens Howard Garns undtrug den Namen Number Place (Zahlenplatzierung). Esbestand aus einem quadratischen Gitter der Größe 9 � 9,welches zusätzlich in Blöcke der Größe 3�3 unterteilt war.In einigen Feldern des Gitters waren Ziffern vorgegeben;die Aufgabe bestand darin, in die restlichen Felder ebenfallsZiffern einzutragen, so dass alle Zeilen, Spalten und Blöckedes Gitters jeweils genau die Ziffern von 1 bis 9 enthaltenwürden.

In den 80ern wurde diese Rätselart von dem japani-schen Verlag Nikoli in die gleichnamige Rätselzeitschriftübernommen. Sie erhielt dort den Namen Sudoku, eineKurzform für die japanische Umschreibung der Aufgaben-stellung, die sich ungefähr mit den Worten „Die Zahlenmüssen isoliert sein“ übersetzen lässt. Die Kreation vonGarns erfreute sich dort großer Beliebtheit, vermutlich grö-ßerer, als es in den ursprünglichen Veröffentlichungen inden USA der Fall gewesen war.

Erst 2005 erreichten Sudokus jedoch den Status inter-nationaler Bekanntheit, den sie heute immer noch besit-

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1_6,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 78: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

64 Spiele, Rätsel, Zahlen

zen. Nachdem der neuseeländische Rätselfreund WayneGould zuvor sechs Jahre lang mit der Bereitstellung einesProgramms zur automatisierten Erstellung dieser Rätsel zu-gebracht hatte, wurden seine Werke ab November 2004 inder Times in London abgedruckt. Von dem Zeitpunkt anwar der Vormarsch der Sudokus nicht mehr aufzuhalten.Durch die Times wurden Sudokus weltweit bekannt undauch beliebt; zahllose andere Zeitungen und Zeitschriftenin vielen Ländern der Welt nahmen sie in ihr Repertoireauf.

Entgegen der landläufigen Meinung sind Sudokus alsokeine japanische Erfindung, sondern stammen ursprüng-lich aus den USA; lediglich der Name wurde in Japan ge-prägt. Ironischerweise wird das Rätsel in Japan häufig unterdem englischen NamenNumber Place präsentiert, denn derName Sudoku ist dort eine markenrechtlich geschützte Be-zeichnung. Garns erlebte übrigens die Sudoku-Mania nichtmehr; er verstarb 1989, etwa 15 Jahre vor dem Aufstiegseiner Kreation zu einem der populärsten Zeitvertreibe derWelt.

Inzwischen haben Sudokus einen festen Platz in unse-rem täglichen Leben eingenommen. Sie stehen praktischnie imVordergrund und sind dennoch allgegenwärtig. VieleTages- und Wochenzeitungen in Deutschland veröffentli-chen regelmäßig Sudokus. Die meisten Buchläden habenschon einen eigenen Bereich für Sudoku-Hefte. Bei einemOnline-Versand stieß ich auf eine Tasse mit einem Sudoku.Und neulich wurde ich von Bekannten auf Sudokus auf-merksam gemacht, die auf Servietten und sogar auf Toilet-tenpapier aufgedruckt waren. Kurz gesagt: Sudokus findetman mittlerweile nahezu überall.

Page 79: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

6 Allgemeines zu Logischen Rätseln 65

1 2

3 4 1 5 6

5 6 7 8 9

9

1 4 5 3 2

2 8 9 5 3

8 7

Abb. 6.1 Sudoku: Tragen Sie die Ziffern 1 bis 9 ein so, dass jededer Ziffern in jeder Zeile, jeder Spalte und jedem 3�3-Block genaueinmal vorkommt

Wie kam es zu diesem phänomenalen internationalenDurchbruch einer so harmlos aussehenden Spielerei? DieFrage ist ernst gemeint. Immerhin gab es schon früher Zah-lenrätsel, diemit den heutigen Sudokus stark verwandt sind.Bereits von Leonhard Euler, dem berühmten Schweizer Ma-thematiker aus dem achtzehnten Jahrhundert, ist bekannt,dass er sich wiederholt mit dem Problem beschäftigt hat,ein quadratisches Gitter mit Zahlen so zu füllen, dass jedeverwendete Zahl in jeder Zeile und jeder Spalte des Gittersgenau einmal vorkommt. Allerdings kam die Zerlegung inkleinere Gitterblöcke in seinen Überlegungen noch nichtvor.

Auch in den folgenden zwei Jahrhunderten entstandenimmer wieder Knobelaufgaben ähnlicher Natur, z. B. Zah-lenquadrate mit den zuvor genannten Regeln, bei denenaußerdem gefordert wird, dass auch in den beidenDiagona-

Page 80: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

66 Spiele, Rätsel, Zahlen

len des Gitters jede Zahl jeweils genau einmal einzutragenist, oder bei denen eine ähnliche Zusatzbedingung erfülltsein muss. Diese Rätsel setzten sich ebenfalls nicht durch.Deswegen also noch einmal die Frage: Warum sind ausge-rechnet Sudokus so populär?

Der Reiz von Sudokus

Zunächst einmal sind die Sudoku-Regeln sehr leicht ver-ständlich.Man benötigt kein Fachwissen und keine spezielleAusbildung, um Sudokus zu verstehen. Im Prinzip mussman nicht einmal besonders gut mit Zahlen umgehen kön-nen, um Sudokus lösen zu können, obwohlman nach einemoberflächlichen Blick auf das Gitter vielleicht das Gegen-teil denken mag (man kann Sudokus auch mit neun ver-schiedenen Buchstaben anstelle von Zahlen gestalten). Manbraucht nur einen Stift und seinen gesunden Menschenver-stand.

Sudokus sind aber nicht nur regeltechnisch leicht zu-gänglich. Auch einige der Lösungstechniken sind so elemen-tar, dass man sie ohne jede Vorbereitung schnell erlernenkann. Sind beispielsweise in einer Zeile, einer Spalte oder ei-nem Block acht Ziffern bereits bekannt, so erfordert es keinbesonderes Training, die neunte Ziffer einzutragen. Und esgibt noch ein paar ähnlich simple Lösungsschritte, die selbstNeulinge sofort verinnerlichen.

Durch die Einfachheit ist sichergestellt, dass sich Sudo-ku-Anfänger schnell in diese neue Knobelei hineindenkenkönnen. Andererseits sind Sudokus jedoch hinreichendschwierig und komplex, um nicht auf absehbare Zeit lang-

Page 81: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

6 Allgemeines zu Logischen Rätseln 67

weilig zu werden. Es gibt sie in sehr stark variierendenSchwierigkeitsgraden und, nebenbei gesagt, auch in ande-ren Größen (z. B. 6 � 6, mit Blöcken der Größe 2 � 3).

Gemessen an der Schlichtheit der Regeln sind Sudokuserstaunlich vielseitig. Man kann Hunderte von ihnen lö-sen und stößt trotzdem hin und wieder auf Konstellationen,die man bis dahin nicht kannte. Dadurch werden die Rät-sel nicht langweilig und stellen den Löser immer wieder vorneue Herausforderungen.Das ist ein wichtiger Faktor, denneine Rätselart, welche nach wenigen Exemplaren ihren Reizverloren hat, taugt nicht als Massenware. Wir werden imnächsten Kapitel noch genauer auf einfache und kompli-zierte Lösungstechniken bei Sudokus eingehen.

Zu guter Letzt spielt bei der Popularisierung von Sudo-kus zweifellos das Internet eine wesentliche Rolle. DieserPunkt darf nicht unterschätzt werden. Rätsel, die vor mehrals 20 Jahren erfunden wurden, hatten deutlich schlechtereChancen auf eine derart rasante Verbreitung, wie es 2005bei Sudokus der Fall war. Wenn man heute eine neue, ver-gleichbare Spielerei kreiert, kann man sicher sein, dass siedurch das Internet ebenfalls schnell Bekanntheit findet. Nurist es inzwischen so, dass Sudokus bereits da sind und da-durch eine Vormachtstellung genießen. Ein neues „Kulträt-sel“ auf den Markt zu bringen, ist daher eine schwierige,vielleicht unmögliche Angelegenheit.

All die genannten Faktoren haben bei der Popularisie-rung von Sudokus mitgewirkt. Zusammengefasst: Sie sindleicht verständlich und zugänglich, aber ausreichend viel-seitig, um nicht schnell langweilig zu werden. Und ihnenstanden im Gegensatz zu früheren Schöpfungen auf dem

Page 82: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

68 Spiele, Rätsel, Zahlen

gleichen Gebiet die geeigneten Medien zur Verfügung, diezu einer schnellen Verbreitung führten.

Die Welt logischer Rätsel

Sudokus gehören zu einer größeren Familie von geisti-gen Herausforderungen, die sich unter der Bezeichnung„Rätsel“, genauer gesagt „logische Rätsel“, zusammenfassenlassen. An dieser Stelle ist eine Begriffsklärung angebracht.Denn die meisten Menschen denken bei Rätseln an Kreuz-worträtsel, die hierzulande immer noch häufigste Gattung,welche in so mancherlei Hinsicht sehr verschieden von denSudokus ist.

Grundsätzlich wird das Wort „Rätsel“ in der deutschenSprache extrem vielseitig verwendet. Schlägt man in einerZeitung oder Zeitschrift die Rätselseite auf, so stößt manunter Umständen auf eine Vielzahl völlig unterschiedlicherAufgaben, von Sudokus über die bereits erwähnten Kreuz-worträtsel bis zu Bilderrätseln („Finden Sie die fünf Un-terschiede“) oder sonstigen geistigen Spielereien. Im Volks-mund wird eine Trickfrage wie „Was geht morgens auf vier,mittags auf zwei und abends auf drei Beinen?“ ebenfalls alsRätsel bezeichnet.

Angesichts der Vielfalt von Aufgabenstellungen, die imDeutschen mit demselben Wort umschrieben werden, istvielleicht eine grobe Klassifizierung angebracht. Es gibtWissensrätsel, die vom Löser ein allgemeines oder fachspe-zifisches Wissen voraussetzen; Kreuzworträtsel fallen unterdiese Kategorie. Es gibt Wahrnehmungsrätsel wie beispiels-weise die im vorigen Absatz genannten Bilderrätsel, welche

Page 83: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

6 Allgemeines zu Logischen Rätseln 69

eine sorgfältige Beobachtungsgabe voraussetzen. Es gibtTrickrätsel, die oft auf einer Scherzfrage wie der obigenbasieren. Es gibt Rätsel, bei denen der Löser erst herausfin-den muss, was zu tun ist; Geheimschriften, deren Schlüsselnicht vorgegeben ist, würden darunter fallen. Vermutlichgibt es noch eine Reihe weiterer Rätselarten. Und es gibtlogische Rätsel.

Wir wollen als logische Rätsel solche Rätsel bezeichnen,die klar und präzise formulierte Regeln besitzen, welchevom Löser lediglich ein grundsätzliches logisches Verständ-nis und, unter Umständen, elementare arithmetische odergeometrische Kenntnisse fordern. Logische Rätsel sollenkeinen Spielraum für subjektive Interpretationen bieten;eine Lösung muss objektiv und ohne weitere Vorkenntnisseauf ihre Korrektheit prüfbar sein.

Sudokus fallen ohne jeden Zweifel in diese Kategorie.Die Schwierigkeit bei der Herleitung der Lösung darf keinKriterium sein; auch ein extrem schweres Sudoku ist immernoch ein logisches Rätsel. Auf den nächsten Seiten sehenwir zwei weitere typische Vertreter aus dem Reich logischerRätsel.

Einwesentliches Kriterium für logischeRätsel ist Sprach-neutralität. Dieser Punkt ist insbesondere relevant, wennmanWorträtsel ins Gespräch bringt. Klassische Kreuzwort-rätsel haben sowohl einen Sprach- als auch einen Wissens-faktor, weshalb sie nicht zu den logischen Rätseln gehö-ren können. Darüber hinaus gibt es unter anderem Rät-sel, welche auf dem Brettspiel Scrabble basieren; damit diesezu den logischen Rätseln gezählt werden können, müssensie sprachneutral angepasst werden. Das kann zum Beispieldurch eine explizite Vorgabe der zulässigen Wörter gesche-

Page 84: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

70 Spiele, Rätsel, Zahlen

hen. Alternativ ist es möglich, Ziffern anstelle von Buchsta-ben zu verwenden und die Rätsel zu Kreuzzahlrätseln umzu-gestalten. Dies führte zur Erfindung des Spiels Primble, beiwelchem die Spieler Primzahlen anstelle von Wörtern aufein entsprechendes Spielbrett legen müssen. Zwar erfordertdas beachtliche arithmetische Fähigkeiten, der Sprachfaktorist damit jedoch vollkommen eliminiert.

Übrigens ist der englische Sprachgebrauch in Hinblickauf eine Rätselklassifikation wesentlich übersichtlicher. Ineinem Wörterbuch bin ich bei einem spontanen Test aufnicht weniger als acht verschiedene Übersetzungen gesto-ßen, welche häufig, wenn auch nicht hundertprozentig kon-sistent, für verschiedene der genannten Rätselfamilien ver-wendet werden. Für logische Rätsel wird oft dasWort puzzlebenutzt, für Trickfragen das Wort riddle, und für Rätsel oh-ne sofort erkennbare Anleitung das Wort mystery oder enig-ma. Ganz nebenbei sollte man darauf achten, dass das Wort„Puzzle“, wenn es imDeutschen gebraucht wird, auch etwasanderes bedeutet, nämlich ein zerstückeltes Bilderrätsel; einsolches wird mit jigsaw puzzle übersetzt.

In Abb. 6.2 und Abb. 6.3 sehen wir zwei weitere Kno-beleien, die zu den logischen Rätseln zu zählen sind. DasSikaku (gelegentlich auch Shikaku; zahlreiche Rätsel habenjapanische Namen, weil sie dort verbreiteter sind) ist einRätseltyp, der ebenfalls regelmäßig von Nikoli gezeigt wird.Im Gegensatz zu Sudokus besteht die Aufgabe hier nichtdarin, Ziffern in ein vorgegebenes Gitter einzutragen; dasZiel ist es vielmehr, eine Zerlegung des Gitters in kleinereRegionen mit bestimmten Eigenschaften zu finden.

Doppelsterne fallen wieder eine andere Kategorie; bei die-sem Rätseltyp geht es darum, einzelne Objekte – konkret

Page 85: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

6 Allgemeines zu Logischen Rätseln 71

4

8 2

5 4

3 6

5 6

6 3

2 4

6

Abb. 6.2 Sikaku: Zerlegen Sie das Gitter entlang der gestrichel-ten Linien in rechteckige Teilgebiete, so dass jedes Gebiet eineZahl enthält, welche genau den Flächeninhalt des jeweiligen Ge-biets angibt

Schwarzfelder – im Gitter zu platzieren. Der Name des Rät-sels ist dem Umstand geschuldet, dass die verbreitete Nota-tion beim Lösen darin besteht, die gesuchten Felder nichtschwarz auszumalen, sondern durch das Einzeichnen einesSterns zu markieren.

Auf Englisch werden Doppelsternrätsel übrigens StarBattle genannt. Diese Rätselart wurde erstmals 2003 vor-gestellt; unter anderem kam in jenem Jahr ein Exemplarim Finale der Rätselweltmeisterschaft vor, und die beidenFinalisten mussten das Rätsel direkt gegeneinander auf Zeitlösen. Möglicherweise war diese Situation, der Kampf der„Rätselstars“, ausschlaggebend für die originale Bezeich-nung.

Für beide Rätselarten (Sikaku und Doppelstern) sind dieUrsprünge nicht ganz so genau bekannt wie für Sudokus.Das ist in der Welt logischer Rätsel nicht selten der Fall.

Page 86: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

72 Spiele, Rätsel, Zahlen

Abb. 6.3 Doppelstern: Färben Sie einige Felder schwarz, so dassjede Zeile, jede Spalte und jedes fett umrandete Gebiet genauzwei Schwarzfelder enthält. Schwarze Felder dürfen einandernicht waagerecht, senkrecht oder diagonal berühren

Wenn ein Rätseltyp neu geschaffen wird, kann es durchaussein, dass er lange Zeit kaum Beachtung findet und nahezuunbemerkt sein Dasein fristet. Unter Umständen könnenJahre vergehen, bis eine frühere Kreation wieder aufgegrif-fen wird und ins Rampenlicht rückt.

Übrigens basieren bei Weitem nicht alle logischen Rätselauf quadratischen Rätselgittern. Wir werden auf eine brei-tere Klassifizierung in einem späteren Kapitel zurückkom-men.

Page 87: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

6 Allgemeines zu Logischen Rätseln 73

Rätselmeisterschaften

Logische Rätsel zeichnen sich gegenüber den meisten ande-ren Rätselarten insofern aus, dass alle Löser kultur- und vor-wissensunabhängig gewissermaßen mit den gleichen Vor-aussetzungen an sie herangehen. Denn, diesen Punkt hattenwir weiter vorn festgehalten, für Logikrätsel werden keinAllgemein- und kein Fachwissen, keine sprachlichen oderkulturellen Kenntnisse benötigt. Dadurch sind die Leistun-gen aller Löser objektiv vergleichbar, was bei anderen Rät-seln, z. B. Kreuzworträtseln, nicht der Fall wäre – besonderswenn man in einem internationalen Rahmen denkt.

Wenn man den Gedanken weiter verfolgt, liegt es na-he, offene Wettbewerbe auszutragen, bei denen Rätsellösergegeneinander antreten; beispielsweise kann der Sieger alsderjenige Teilnehmer definiert werden, der innerhalb einesfesten Zeitrahmens die meisten Rätsel korrekt gelöst hat.Tatsächlich geschieht genau das schon seit einiger Zeit, undzwar auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene.

Im Jahr 1992 wurde in New York die erste Rätselwelt-meisterschaft ausgetragen. Als geistiger Vater des Eventskann zweifellos der Amerikaner Will Shortz angesehenwerden. Shortz hatte sich bereits zuvor lange für die Austra-gung von Rätselwettbewerben eingesetzt; unter Anderemhatte er 1978 die amerikanische Kreuzworträtselmeister-schaft ins Leben gerufen, welche seitdem jedes Jahr unterseiner Führung stattfindet. Allerdings war er sich auch derSchwierigkeiten durch die sprachlichen Barrieren bewusst,welche einer internationalen Kreuzworträtselmeisterschaftim Wege standen.

Page 88: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

74 Spiele, Rätsel, Zahlen

Abb. 6.4 Der deutsche Rätsellöser Ulrich Voigt löst im Finale derRätselweltmeisterschaft 2013 ein Rätsel auf einer Leinwand; erholt in diesem Jahr seinen neunten WM-Titel. © RätselredaktionSusen

Seitdem wird die Rätselweltmeisterschaft jedes Jahrveranstaltet. Dabei wächst die internationale Rätselge-meinschaft beständig an; während bei der ersten derartigenVeranstaltung gerade einmal 52 Teilnehmer aus 13 Ländernantraten, wurden 2012, zwanzig Jahre nach der Geburts-stunde der Rätselweltmeisterschaft, bereits 145 Starter aus26 Nationen registriert.

Shortz hat durch seine Aktivitäten auf dem Gebiet derRätsel einen beeindruckenden Trend ausgelöst. In verschie-denen Ländern gab es zwar schon vorher Rätselinstitutionen(z. B. Verlage) oder Verbände, doch erst ab den 90ern wuch-

Page 89: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

6 Allgemeines zu Logischen Rätseln 75

sen diese nationalen Interessengruppen zu einer internatio-nalenGemeinschaft zusammen. Shortz ist übrigens in dieserGemeinschaft weiterhin aktiv geblieben; er war maßgeblichan der Organisation zahlreicher Rätsel- und Sudokuwett-bewerbe in den USA beteiligt und ist seit 2000 Vorstands-mitglied in derWorld Puzzle Federation (demWelträtselver-band, welcher hinter den Rätselweltmeisterschaften steht).

In den letzten zwanzig Jahren sind nicht nur die Teilneh-merzahlen bei Rätselweltmeisterschaften deutlich angestie-gen, auch der Charakter der Meisterschaften hat sich wei-terentwickelt. In den ersten Jahren war es nicht unüblich,dass zumindest noch ein Teil der Rätsel spezielles Wissen(z. B. geographische Kenntnisse) erforderte. Mit den Jahrenhat sich der Fokus immer stärker zu rein logisch lösbarenRätseln hin verschoben. Bis auf gelegentliche Vorkommenvon Bilderrätseln waren in jüngster Vergangenheit bei denWeltmeisterschaften kaum noch Rätsel anzutreffen, derenLösung andere Fähigkeiten als das Ausnutzen kalter, präzi-ser Logik erforderlich machten.

Die meisten der an Weltmeisterschaften teilnehmendenNationen tragen auch auf nationaler Ebene Rätselwett-kämpfe aus, häufig als direkte WM-Qualifikation. Darüberhinaus wird ein sehr großer Teil der Rätselwettbewerbeonline ausgetragen. Denn – das ist ein positiv hervor-zuhebender Aspekt – das Internet dient nicht nur zurVerbreitung von Rätseln, sondern auch als Austragungs-plattform fürWettkämpfe im Lösen logischer Rätsel. DieserUmstand erlaubt es vielen Rätselfreunden, denen – finanzi-ell oder in anderer Hinsicht – die Möglichkeiten zu weitenReisen fehlen, sich mit Gleichgesinnten aus aller Welt zumessen.

Page 90: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

76 Spiele, Rätsel, Zahlen

Seit der Initiative von Shortz und den Anfängen der Rät-selmeisterschaften hat die internationale Rätselszene einenüberaus positiven, fast familiären Charakter angenommen.Die Atmosphäre bei Meisterschaften ist trotz der Wettbe-werbsstimmung üblicherweise durchgehend angenehm undheiter. Rätselliebhaber aus verschiedenen Ländern schlie-ßen Freundschaften, Menschen, die durch ein ganz simplesHobby verbunden sind, nämlich ihre Freude an logischenRätseln.

Es ist leicht, Mitglied in der großen weiten Rätselfa-milie zu werden. Die World Puzzle Federation zählt aktuell31 nationale Mitgliedsverbände, welche so ziemlich alleüber eine Verbands-Homepage interessierten Rätselfreun-den die Möglichkeit bieten, sich sofort in die Rätselszeneeinzuleben. Darüber hinaus gibt es eine große Menge kom-merzieller und auch privater Rätselseiten im Internet, überdie man auf eine Vielzahl logischer Rätsel geleitet wird. Undnatürlich findet man zahlreiche Rätselzeitschriften, die sichmit nichts Anderem beschäftigen.

Selbst der Weg zu den Meisterschaften ist nicht so weit,wie man denken mag. In Deutschland wird jährlich eineOnline-Qualifikationsrunde veranstaltet, bei der man sichunmittelbar zurDeutschen Rätselmeisterschaft qualifizierenkann (die Letztere wird offline ausgetragen).Dort wiederumsind die Bestplatzierten für die darauffolgendeWeltmeister-schaft startberechtigt. In diversen Ländern gibt es sogar nureine einzige Online-Meisterschaft, bei der man direkt dasWM-Ticket lösen kann – natürlich ist die Konkurrenz dannbesonders groß.

Rätselfreunde scheinen mitunter nicht genug von ihremHobby bekommen zu können. Wenn man sich einen Fuß-

Page 91: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

6 Allgemeines zu Logischen Rätseln 77

baller anschaut, der müde unter die Dusche wankt, nach-dem er 90 Minuten lang den Platz herauf und heruntergelaufen ist, wird schnell ersichtlich, dass er nicht sofortnoch 90 Minuten lang weiterspielen möchte. Das Gleichetrifft in ähnlicher Form auf die Athleten in denmeisten kör-perlichen Sportarten zu. Selbst in geistigen Sportarten istdas keine unübliche Reaktion: Ein Schachspieler, der geradesechs Stunden lang eine wichtige Wettkampfpartie gespielthat, möchte sich danach in der Regel erst einmal ausruhen.

Unter den Teilnehmern an Rätselmeisterschaften findetman hingegen zahlreiche, die im Anschluss gleich weiter-rätseln möchten. Im Internet gibt es beispielsweise Seiten,auf denen jeden Tag ein neues Rätsel veröffentlicht wird,welches online auf Zeit gelöst werden kann. In der Ver-gangenheit wurde regelmäßig beobachtet, dass nach demEnde einer Meisterschaft die Teilnehmer reihenweise ihrenLaptop herausholten und sich gleich auf das nächste Rätselstürzten.

In Ungarn wird regelmäßig eine 24-Stunden-Rätsel-meisterschaft veranstaltet, in welcher – wie der Name schonsagt – einen ganzen Tag lang nonstop Rätsel gelöst werden.Wer allerdings denken würde, dass die Teilnehmer im An-schluss erschöpft ins Bett fallen, hätte sich getäuscht: Vieleder Anwesenden packen danach einfach die nächsten Rät-sel aus und rätseln fleißig weiter. In manchen Fällen solldamit vermieden werden, versehentlich einzuschlafen (amFlughafen beispielsweise), aber andere tun es nur, weil siegerade „heiß“ sind.

Seit 2006 finden auch Sudokuweltmeisterschaften (undebenso nationale Sudokumeisterschaften) statt. Sudokussind aktuell die einzigen logischen Rätsel, für die offiziell

Page 92: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

78 Spiele, Rätsel, Zahlen

eigenständige Wettbewerbe auf diesem Level organisiertwerden. Bei der Mind Sports Olympiad (Denksportolym-piade) steht das kompetitive Lösen von Sudokus ebenfallsauf dem Programm. Das ist natürlich der besonderen Po-pularität des Rätseltyps geschuldet.

Zu sagen, dass die Sudokumeisterschaften mittlerwei-le einen ähnlichen Status wie die Rätselmeisterschaftenerreicht haben, wäre jedoch eine glatte Untertreibung.Tatsächlich sieht es vielmehr so aus, dass die Teilnehmerzah-len von Sudokuwettbewerben diejenigen von allgemeinenRätselmeisterschaften bei Weitem übertreffen. Bei denWeltmeisterschaften macht sich das nicht so klar bemerk-bar; an der Sudoku-WM2012 nahmen 149 Sudokufreundeteil, also vier mehr als bei der Rätsel-WM im gleichen Jahr.Hierbei ist sicher nicht ganz unerheblich, dass seit 2011beide Weltmeisterschaften aus organisatorischen Gründennacheinander am gleichen Ort ausgetragen werden; dieTeilnehmerkreise für beide Events stimmen daher zu wei-ten Teilen überein.

Auf niedrigeren Ebenen ist es jedoch so, dass die Sudo-kumeisterschaften deutlich mehr Interessenten anziehen alsallgemeine Rätselwettbewerbe. Der Grund dafür ist der be-reits weiter vorn genannte, dass nämlich Sudokus aus denMedien wesentlich bekannter sind.

Mitunter werden Sudokuwettbewerbe von Zeitungenbzw. Zeitschriften gefördert, was auf der einen Seite ei-ne gute Werbestrategie für das Blatt darstellt und auf deranderen Seite zu einer gesteigerten Wahrnehmung von Su-dokus (und Rätseln generell) in der Öffentlichkeit führt.Ein sehr prominentes Beispiel hierfür ist die US-Meister-schaft, welche von 2007 bis 2009 vom Philadelphia Inquirer

Page 93: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

6 Allgemeines zu Logischen Rätseln 79

veranstaltet wurde; im darauffolgenden Jahr wurde Phila-delphia zum Austragungsort der Sudokuweltmeisterschaft.Unter Anderem hielt die Meisterschaft von 2007 mit 857Teilnehmern vorübergehend den Rekord als größter Su-doku-Wettbewerb der Welt. (Ein Jahr später wechseltedie Auszeichnung nach Singapur, wo an einem Grund-schulwettbewerb 1714 Teilnehmer gleichzeitig Sudokuslösten.)

Die Rätselszene in Deutschland

In Deutschland wurden Rätselmeisterschaften von 1994bis 2005 von der Rätselabteilung des Verlags Bastei durch-geführt. Als der Verlag danach sein Engagement einstellte,wurde der Verein „Logic Masters Deutschland e. V.“ ge-gründet, welcher seitdem Meisterschaften sowohl im Lösenvon Sudokus als auch im Lösen logischer Rätsel allgemeinorganisiert.

Kurz nach der Gründung des Vereins ging dessen Ho-mepage online, welche unter www.logic-masters.de zufinden ist. Die Webseite ist seitdem ununterbrochen ge-wachsen und bietet neben Informationen zu diversen Wett-bewerben dieMöglichkeit, sich in das Ziel, Rätsel insgesamtpopulärer zu machen, persönlich einzubringen. Unter an-derem ist auf der Seite das sogenannte „Rätselportal“ zufinden, wo registrierte Rätselfreunde dieMöglichkeit haben,selbst geschaffene Rätsel zu veröffentlichen. Mittlerweilesind dort über 2000 handerstellte Rätsel verfügbar, und dieZahl wächst ständig an.

Page 94: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

80 Spiele, Rätsel, Zahlen

Schließlich sollte erwähnt werden, dass es in Deutsch-land auch Kreuzworträtselmeisterschaften gibt. Diese wer-den mitunter ebenfalls kurz als „Deutsche Rätselmeister-schaften“ bezeichnet, was theoretisch zu Verwechslungenführen könnte. In der Praxis werden aber die entsprechen-den Informationen rechtzeitig zugänglich gemacht, so dassMissverständnisse nicht zu erwarten sind.

Die Austragung von Rätselmeisterschaften ist nicht daseinzige Ziel der jeweiligen Körperschaften. Der Verein „Lo-gic Masters Deutschland e. V.“, der deutsche Vertreter inder World Puzzle Federation, bemüht sich generell um ei-ne weitere Verbreitung logischer Rätsel, und dies trifft aufdie anderen nationalen Rätselverbände ebenfalls zu.

Nach der Schacholympiade 2000 in Istanbul wurde vomtürkischen Schachverband ein Förderprogramm „Schach anSchulen“ ins Leben gerufen. Das Programmwurde als über-ragender Erfolg gewertet – laut offiziellen Verlautbarungenhaben im Rahmen dieser Initiative von 2005 bis 2010 mehrals zwei Millionen Kinder das Schachspiel erlernt – und vonvielen anderen Staaten als vorbildartig bezeichnet.

Inzwischen gibt es ähnliche Bemühungen der türki-schen Rätselgemeinschaft, bei Schülern das Interesse anlogischen Rätseln zu wecken. Diese Bemühungen sindumso eindrucksvoller, wenn man bedenkt, dass sie nichtden gleichen staatlichen Rückhalt haben. Die türkischeRätselszene wird von dem Verlag Akil Oyunlari gestützt,dennoch fehlen im Gegensatz zu dem schachbezogenenProjekt wichtige finanzielle und personelle Mittel, und dieInitiative lebt zu großen Teilen von der aufopferungsvol-len Arbeit weniger Personen. Ein wesentlicher Bestandteilder Bemühungen ist die Veröffentlichung von Rätselbü-

Page 95: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

6 Allgemeines zu Logischen Rätseln 81

chern und -zeitschriften mit speziellen anfängertauglichenRätseln. Weitere mögliche Schritte sind beispielweise dieEinrichtung von Arbeitsgruppen an Schulen oder Universi-täten sowie die Bereitstellung elektronischer Anwendungenzum Erstellen und Lösen von Rätseln.

Im deutschsprachigen Raum stehen all die genanntenAktivitäten erst am Anfang; so haben beispielsweise Rätsel-bücher mit anderen Rätseln als Sudokus bisher keinen nen-nenswerten Anklang gefunden. Rätsel-Arbeitsgemeinschaf-ten an Schulen existieren fast gar nicht. Dazu kommt, dasshierzulande finanzielle Förderungen von Rätselaktivitäteneher selten sind, was eine organisierte überregionale Ver-breitung von logischen Rätseln naheliegenderweise extremerschwert. Kurz gesagt, sollte es jemals zur Errichtung einerreichhaltigen und auf breiter Basis populären Rätselszene inDeutschland kommen, so wäre es bis dahin noch ein sehrweiter Weg.

Page 96: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

7Die Welt der Sudokus

Nach den einleitenden Sätzen auf den vorangegangenen Sei-ten wollen wir etwas konkreter auf ein paar Rätselarten ein-gehen, beginnend mit Sudokus. Der Name Sudoku ist fürden Rätseltyp so geläufig geworden, dass wir ihn ausschließ-lich verwenden wollen, obwohl es sich, wie in der Einleitungdes Kapitels geschildert wurde, nicht um die ursprüngli-che Bezeichnung handelt. Beachtenswert ist hierbei, dassdas gleiche Wort umgangssprachlich sowohl für den Rät-seltyp allgemein als auch für einzelne Rätselexemplare be-nutzt wird. Wir werden mitunter die Begriffe Sudoku-Git-ter und Sudoku-Rätsel verwenden, umMissverständnisse zuvermeiden.

Wenn es um denUmgangmit Sudokus geht, ist zunächstfestzuhalten, dass sich nur ein äußerst kleiner Anteil der Su-doku-Freunde auf theoretischer, d. h. mathematischer Basismit Sudokus beschäftigt. Der Rest ist im Wesentlichen be-strebt, Sudokus praktisch zu lösen und die eigenen Fähig-keiten in dieser Disziplin zu steigern. Insofern wollen wiruns zuerst ebenfalls dem Lösen von Sudokus widmen underst danach auf mathematische Fragestellungen im Zusam-menhang mit Sudokus zu sprechen kommen.

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1_7,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 97: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

84 Spiele, Rätsel, Zahlen

Einfache Lösungstechniken

Etwas weiter vorn wurde bereits angedeutet, dass es ein paarganz elementare Herangehensweisen gibt. Sind in einer Zei-le, einer Spalte oder einem 3 � 3-Block schon acht Ziffernvorgegeben, so ergibt sich daraus unmittelbar die neunteZiffer.Während in der Sudoku-Szene diverse Lösungsschrit-te sogar schonmit einemNamen versehen wurden, ist diesesVorgehen hingegen so einfach, dass es dafür keinen aner-kannten Namen gibt.

Abgesehen von der oben genannten gibt es noch eini-ge weitere, sehr einfache Lösungstechniken. Eine der be-kanntesten wird als naked single bezeichnet, also als nacktesSingle. (In der Sudoku-Szene sind die englischen Bezeich-nungen am weitesten verbreitet, und wir wollen sie regel-mäßig verwenden.) Wenn man ein leeres Feld findet, fürdas acht der neun Ziffern nicht in Frage kommen, weil diebesagte Ziffer in der gleichen Zeile oder Spalte bzw. im glei-chen Block bereits vorkommt, so kann die neunte Ziffermit Sicherheit eingetragen werden. Genau genommen istdie zuerst erwähnte Situation ein Spezialfall dieser Lösungs-technik.

In Abb. 7.1 sehen wir einen Ausschnitt aus einem Su-doku, in dem der beschriebene Schritt zur Anwendungkommt. Das Feld in der linken unteren Ecke kann lediglicheine 5 enthalten, denn in anderen Feldern der gleichen Zeilestehen schon die Ziffern 2, 4, 7 und 9, und die Ziffern 1, 3,6 und 8 sind bereits in anderen Feldern der gleichen Spaltebzw. des gleichen Blocks zu finden.

Page 98: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

7 Die Welt der Sudokus 85

3

6 8

1 8

2 9 4 7

Abb. 7.1 Sudoku-Lösungstechniken: Demonstration von nakedsingles und hidden singles an einem Beispiel

Zum Verständnis der Namensgebung ist es vielleichthilfreich, eine generelle Herangehensweise beim Lösen vonSudokus zu erklären. Nehmen wir an, wir notieren in je-dem einzelnen Gitterfeld alle Ziffern, die dort gemäß denRegeln eingetragen werden können. Genauer heißt das, wirschreiben in jedes Feld diejenigen Ziffern, die noch nicht inder gleichen Zeile oder Spalte und auch noch nicht im glei-chen 3 � 3-Block vorkommen. Derartige Einträge werdenals candidates (Kandidatenziffern) bezeichnet.

Für den gesamten weiteren Lösungsverlauf geben diecandidates alle Ziffern an, die überhaupt noch in das je-weilige Feld eingetragen werden können. Die Menge dercandidates kann im Laufe der Lösung nie größer werden,sondern lediglich kleiner. Um mit diesem Vorgehen Fort-schritte zu erzielen, müsste man im Prinzip ständig alleListen der Kandidatenziffern aktualisieren, insbesonderewenn man eine neue Ziffer sicher im Gitter platzierenkann. Das ist ein extrem unhandliches Vorgehen, jedenfallswenn man es im gesamten Gitter von Anfang bis Endedurchzieht.

Page 99: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

86 Spiele, Rätsel, Zahlen

In Einzelfällen können die candidates jedoch durch-aus hilfreich sein. Sofern man sich grundsätzlich daraufbeschränkt, die candidates nur in ausgewählten Fällen einzu-tragen, können sie dem Löser in einem wichtigen Momentden entscheidenden Anstoß geben. Bei leichten Rätselnkommen Sudoku-Experten in der Regel vollständig ohneschriftliches Festhalten von candidates aus. In schwierigerenExemplaren werden candidates üblicherweise an Schlüssel-stellen notiert, wenn es nur zwei oder drei von ihnen ineinem Feld gibt.

Ein naked single liegt vor, wenn in einem bestimmtenFeld nur noch ein einziger candidate in Frage kommt. Hier-vor leitet sich der Name der Lösungstechnik ab; nakedsingles wären, wenn man diese Technik durchgehend be-nutzt, optisch sehr schnell als einzeln stehende candidateszu erkennen. Geübte Löser nehmen naked singles allerdingsauch sehr schnell wahr, ohne irgendwelche candidates ein-zutragen.

Eine hiermit sehr eng verwandte und doch in gewissemSinne gegensätzliche Technik liegt vor, wenn eine bestimm-te Ziffer in einer konkreten Zeile oder Spalte oder in einemBlock nur an einer einzigen Stelle platziert werden kann.Auch diese Situation liegt in Abb. 7.1 vor; im rechten unte-ren Eckfeld muss eine 8 stehen, da sowohl in der unterstenZeile als auch in dem entsprechenden Block keine anderePosition für eine 8 mehr zur Verfügung steht. An den can-didates sind solche Konstellationen schwerer zu erkennen,man muss nämlich eine Ziffer und eine Zeile (bzw. eineSpalte oder einen Block) finden, so dass diese Ziffer dortnur ein einzigesMal als candidate auftritt. Die Technik wirddaher als hidden single (verstecktes Single) bezeichnet.

Page 100: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

7 Die Welt der Sudokus 87

Komplexe Lösungsschritte

Mit diesen Lösungstechniken kommt man bei leichterenSudokus bereits relativ weit, ja es gibt zahlreiche Exempla-re, die ausschließlich unter Verwendung der naked singlesund hidden singles lösbar sind. Tatsächlich sind das auchschon die meisten Situationen, in denen man als Löser di-rekt in der Lage ist, aus den vorgegebenen Ziffern weitereabzuleiten, die in das Rätselgitter sicher eingetragen werdenkönnen.

Was den Reiz dieser Rätselart ausmacht, ist jedoch derUmstand, dass sie unter der Oberfläche noch viel mehr zubieten hat. Es gibt eine sehr große Anzahl von Konstellatio-nen, in denenman „unsichtbare“ Fortschrittemachen kann,also Resultate erzielen kann, die nicht durch das Eintra-gen konkreter weiterer Ziffern darstellbar sind. Gelegentlichlassen sich auf logischemWege einzelne candidates eliminie-ren, und nur durch die Kombination mehrerer derartigerTechniken kann man weitere Ziffern im Gitter platzieren.

Abbildung 7.2 zeigt eine derartige Konstellation. ZurÜbersichtlichkeit sind in dem Gitterausschnitt keine can-didates eingetragen, doch man kann sich unschwer davonüberzeugen, dass sowohl in der linken unteren als auch inder rechten unteren Ecke nur noch die Ziffern 1 oder 9stehen können. Diese beiden Felder bilden ein sogenanntesnaked pair (nacktes Paar); zwar kann zu diesem Zeitpunktnoch nicht entschieden werden, welche der beiden Ziffernwo zu platzieren ist, aber es steht zumindest fest, dass alleanderen Felder der untersten Zeile die Ziffern 1 und 9 nichtenthalten dürfen. Mit dieser Überlegung können folglich

Page 101: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

88 Spiele, Rätsel, Zahlen

7

25

2 7 5

6

4 3 6 8

Abb. 7.2 Sudoku-Lösungstechniken: Demonstration von nakedpairs und hidden pairs an einem Beispiel

nur candidates ausgeschlossen, jedoch keine Ziffern sichereingetragen werden.

Das Analogon, das hidden pair (verstecktes Paar) ist inAbb. 7.2 ebenfalls zu finden. Wenn man sich überlegt, wel-che Felder in dem linken unteren 3� 3-Block die Ziffern 5und 7 enthalten müssen, stellt man schnell fest, dass dafürnur die beiden unteren Felder in der dritten Spalte in Fragekommen. Zwar gäbe es imMoment noch andere candidatesfür das obere der beiden Felder, doch da wir diese beidenZiffern irgendwo in dem Block unterbringen müssen, kön-nen alle weiteren candidates für diese beiden Gitterfeldereliminiert werden.

Aus dieser Erkenntnis folgt wiederum, dass die candi-dates 5 und 7 aus allen restlichen Feldern der dritten Spalte(auch in dem nicht dargestellten oberen Teil des Gitters)ebenfalls gestrichen werden können. Denn nachdem wir diebesagten beiden Felder von allen übrigen candidates „gesäu-bert“ haben, liegt plötzlich wieder ein naked pair vor.

Übrigens würde es für einen weiteren Fortschritt in die-ser Richtung auch genügen, wenn wir wüssten, dass nur eine

Page 102: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

7 Die Welt der Sudokus 89

der Ziffern (sagen wir, die 5) in einem der beiden besag-ten Felder stehen muss; dann könnten wir zumindest die 5als candidate in den restlichen Feldern der Spalte gleicher-maßen ausschließen. Diese Technik wird als pointing pairbezeichnet. Eine gute deutsche Übersetzung gibt es hier-für nicht, am ehesten würde vielleicht „Zeigerpaar“ passen.Das Paar Felder, in denen die 5 stehen kann, wirkt gewis-sermaßen wie ein Zeiger auf den Rest der Spalte und sorgtdadurch für die Eliminierung dieser candidates entlang desZeigers. Das naked pair bzw. hidden pair im aktuellen Bei-spiel ist eine stärkere Version des pointing pair.

Das ist jedoch erst die Spitze des Eisbergs. In der Su-dokuwelt sind viele weitere Lösungstechniken bekannt,die meisten davon mit kreativen Namen wie Swordfish(Schwertfisch) oder Jellyfish (Qualle), X-Wing oder Y-Wing .Allein mit diesen Techniken könnte man ganze Bücherfüllen. (Wing bedeutet Flügel; mit den letzteren beidenBegriffen werden Raumschifftypen aus der Krieg-der-Ster-ne-Saga bezeichnet. Die Namen entstanden vermutlichin Anlehnung an die dabei vorkommenden geometrischenFormationen, allerdings benötigt man eine Menge Fantasie,um hier eine Verwandtschaft zu erkennen.)

Im Internet gibt es inzwischen zahlreiche Seiten, auf de-nen alle bekannten Lösungsschritte für Sudokus detailliertmit Beispielen erklärt werden. Dazu findet man auch diver-se kostenlose Programme, mit denen man Sudokus erstel-len bzw. lösen lassen kann. Eine der umfangreichsten dieserSeiten ist der Sudoku Solver von Andrew Stuart, dessen Be-nutzeroberfläche es dem Benutzer gestattet, die einzelnenSchritte zu verfolgen.

Page 103: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

90 Spiele, Rätsel, Zahlen

Dort werden nicht weniger als 35 Lösungstechniken na-mentlich genannt, von den naked singles und hidden singlesbis hin zu einem Vorgehen, das liebevoll Bowman’s Bingo ge-nannt wird. Im Grunde genommen handelt sich hierbei umeine „Trial and Error“-Version, also eine Lösungsmethode,bei der man eine Ziffer probehalber ins Gitter einträgt undschaut, was sich daraus ergibt. Möglicherweise findet mandurch Probieren eine Lösung; es kann aber auch passieren,dass man irgendwann auf einen Widerspruch stößt, was imPrinzip beweist, dass die ursprünglich gewählte Ziffer falschwar. Bowman’s Bingo ist sozusagen eine Fallunterscheidungfür Situationen, die so komplex sind, dass sie mit anderenTechniken nicht bewältigt werden können.

Die Mathematik von Sudokus

Wie komplex Sudokus wirklich sind, sollen im Folgen-den ein paar Zahlen belegen. Im Jahr 2005 veröffent-lichten die beiden Mathematiker Bertram Felgenhauerund Frazer Jarvis eine Ausarbeitung, in der sie die Zahlaller möglichen komplett ausgefüllten Sudokus mit6.670.903.752.021.072.936.960 angeben, also rund6;67 � 1021; die Zahl gilt seitdem als gesichert. Das isteine beachtlich große Zahl, selbst für Computer. Wennman sich von dem schnellsten Computer der Welt alle voll-ständigen Sudokugitter ausgeben lassen würde (nehmenwir stark vereinfacht an, die Ausgabe einer einzelnen Zifferwürde einer Rechenoperation entsprechen), so würde die-ser allein über ein halbes Jahr brauchen, um alle Sudokus

Page 104: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

7 Die Welt der Sudokus 91

anzuzeigen – ganz abgesehen von dem Aufwand, alle Gitterzu bestimmen.

Es sollte auf jeden Fall erwähnt werden, dass die glei-che Zahl schon zwei Jahre zuvor in einemDiskussionsforumüber Sudokus genannt wurde, und zwar von einem Nutzernamens „qscgz“. Da die Rätselwelt nicht wissenschaftlichstrikt sortiert ist, kann es durchaus passieren, dass ein in-teressantes Resultat unbemerkt bleibt und erst Jahre späterwieder auftaucht.

Angesichts der obigen Größenordnung kann man ver-nünftigerweise davon ausgehen, dass die Sudokus niemalsknapp werden. Deren berechnete Anzahl sollte jedoch nichtunmittelbar der Maßstab sein. Zum einen beschäftigen sichRätselfreunde naturgemäß nicht so sehr mit bereits vollstän-dig gefüllten, sondern mit noch unvollständigen Rätselgit-tern. Zum anderen liegt es im Interesse aller Beteiligten, dassdie Sudokus, welche an die Löser herausgegeben werden,nicht zu eintönig sind, sondern eine gewisse Vielfalt besit-zen.

Zum Verständnis der letzten Bemerkung wollen wir einkleines Gedankenspiel veranstalten. Nehmen wir an, wir er-setzen in einem komplett gefüllten Sudoku-Gitter alle Ein-sen durch Zweien und umgekehrt alle Zweien durch Ein-sen. Dadurch entsteht zweifellos wieder ein den Sudoku-Regeln entsprechend ausgefülltes Gitter. Zunächst einmalist es korrekt zu sagen, dass es sich um ein anderes Sudokuhandelt, da ja nicht an allen 81 Stellen die gleiche Zahl wiezuvor steht. Dennoch kann man sich des Eindrucks nichterwehren, dass dieses Sudoku irgendwie mit dem vorigenverwandt ist.

Page 105: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

92 Spiele, Rätsel, Zahlen

Würden in einem Rätselwettbewerb beide Sudokusnacheinander vorkommen, so würde das Lösen von bei-den unwesentlich länger als das Lösen des ersten Sudokusallein dauern, da man beim zweiten nur noch die Zahlenabschreiben muss – natürlich unter Berücksichtigung dervorgenommenen Modifikation. Ähnliches trifft auch fürjede andere der 362.880 Permutationen der Ziffern von 1bis 9 zu. Insofern scheint die Zahl 6;67 � 1021 für die prak-tische Nutzbarkeit zu hoch gegriffen zu sein.

Wir wollen zwei Sudoku-Gitter wesentlich verschiedennennen, wenn sie nicht durch eine Ziffernpermutation odereine vergleichbare elementare Operation ineinander über-führt werden können. Diese Definition bedarf natürlicheiner genaueren Erklärung, denn wir müssen uns daraufeinigen, welche Operationen so elementar sind, dass siehierbei Berücksichtigung finden sollen.

Wenn man ein vollständig gefülltes Sudoku-Gitter ein-fach nur um 90°, 180° oder 270° dreht, so erhält man of-fenbar ebenfalls wieder ein korrekt ausgefülltes Sudoku. Diegleiche Aussage trifft ersichtlich zu, wenn man das Gitterwaagerecht, senkrecht oder entlang einer der beidenHaupt-diagonalen spiegelt. Es macht Sinn, solche Gitterpaare, diedurch Drehung oder Spiegelung ineinander überführt wer-den können, nicht als wesentlich verschieden anzusehen.

Das sind noch nicht alle Operationen, die im Rahmender obigenDefinition betrachtet werden sollten.Wennmanmehrere Zeilen eines Sudokus vertauscht, kommt mitunterauch wieder ein neues Sudoku heraus. Das klappt nicht im-mer, daman berücksichtigenmuss, welche Zeilen jeweils diegleichen 3� 3-Blöcke bilden. Vertauscht man beispielswei-se den Inhalt der ersten und der vierten Zeile eines gelösten

Page 106: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

7 Die Welt der Sudokus 93

1 2 3 5 7 8 4 6 9

4 5 6 9 1 2 3 7 8

7 8 9 6 3 4 1 5 2

2 4 1 3 5 6 8 9 7

3 6 7 4 8 9 2 1 5

5 9 8 1 2 7 6 3 4

6 1 2 7 4 5 9 8 3

8 3 5 2 9 1 7 4 6

9 7 4 8 6 3 5 2 1

Abb. 7.3 Paarweise Vertauschbarkeit von einzelnen Ziffern in ei-nem Sudoku-Gitter

Sudokus, so kann es durchaus passieren, dass anschließendnicht mehr jede Ziffer in jedem Block genau einmal vor-kommt. Das Vertauschen der Zeilen innerhalb der Drei-ergruppen sowie das Austauschen gesamter Zeilengruppenerzeugt jedoch auf jeden Fall wieder gelöste Sudokus. Eineanaloge Feststellung trifft selbstverständlich auf die Spaltendes Gitters zu.

Man könnte auf die Idee kommen, noch weitere Ope-rationen in die Definition wesentlich verschiedener Sudokueinzubinden. In Abb. 7.3 beispielsweise ist es möglich, auseinem gelösten Sudoku durch minimale Änderung ein wei-teres abzuleiten, nämlich durch eine vertauschte Anordnungder Sechsen und der Neunen in dem grau markierten 2�2-Bereich in der oberen Gitterhälfte.

Solche Änderungsmöglichkeiten gibt es extrem häufig,und nicht immer durch das Vertauschen benachbart liegen-der Ziffern; in dem gleichen Beispiel sind auch noch vier

Page 107: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

94 Spiele, Rätsel, Zahlen

isolierte Felder hervorgehoben, in denen eine analoge Ver-tauschung möglich ist (bei weitem nicht die einzige in die-sem Gitter). Sehr viele gelöste Sudokus gestatten die Erzeu-gung eines neuen Sudokus durch Abänderung von lediglichvier Ziffern.

Zu berücksichtigen ist allerdings, dass man erst beiKenntnis des konkreten Gitters in der Lage ist, die vierFelder geeignet auszuwählen. Nimmt man ein beliebigesanderes Sudoku her und versucht dort, die Ziffern an ge-nau den gleichen Stellen zu korrigieren, wird das in derMehrzahl der Fälle nicht zum Erfolg führen. Das globalePermutieren der Ziffern hingegen wird immer funktionie-ren. Wir fassen diese Erkenntnis noch einmal zusammen:

Ist ein den Sudoku-Regeln entsprechend vollständig aus-gefülltes Gitter vorgegeben, so kann man auf die folgendenWeisen ein neues, ebenfalls korrekt gefülltes Sudoku erzeu-gen:

� durch Permutieren der Ziffern von 1 bis 9 im gesamtenGitter;

� durch Vertauschen der Gitterzeilen innerhalb der festenDreiergruppen;

� durch Vertauschen der Dreiergruppen der Gitterzeilen;� durch Vertauschen der Gitterspalten innerhalb der festenDreiergruppen;

� durch Vertauschen der Dreiergruppen der Gitterspalten;� durch Drehungen und Spiegelungen des Gitters.

Frazer Jarvis und Ed Russell, ein weiterer sudoku-interes-sierter Mathematiker, gaben 2005 die Zahl wesentlich ver-schiedener Sudokugitter mit 5.472.730.538 an. Fünfein-

Page 108: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

7 Die Welt der Sudokus 95

halb Milliarden ist eine deutlich kleinere Zahl als die zuvorgenannte Zahl 6;67 � 1021, dennoch sollte man sich keineSorgen machen, in nächster Zeit über Berge von bereits be-kannten Sudokus zu stolpern.

Hintergrund ist nämlich, dass diese Zahl einzig undallein die Anzahl komplett ausgefüllter Sudoku-Gitter be-schreibt. In der Praxis wird man ja stattdessen mit einemunvollständigen Gitter konfrontiert, verknüpft mit der Auf-gabenstellung, die restlichen Ziffern auszufüllen. Es istsicher klar, dass es jede Menge Möglichkeiten gibt, aus ei-nem fertigen Sudoku einen Teil der Ziffern wegzulassen, sodass das Restprodukt ein eindeutig lösbares Sudoku-Rätseldarstellt. Tatsächlich hat man dabei so viele Freiheiten, dassman kaum eine Chance hat, die Gesamtanzahl eindeutiglösbarer Sudokus zu bestimmen.

Minimale Sudokus unddas Rätsel der 17

Zunächst sollte man sich klar machen, dass man nahezuimmer ein Sudoku-Rätsel mit einer eindeutigen Lösung er-hält, wenn man aus einem vollen Gitter nur eine Hand-voll Ziffern entfernt. Zwar kann es beispielsweise passieren,dass man dabei genau vier solche Ziffern wie in Abb. 7.3erwischt, doch die Chance dafür ist recht klein. In einemmittelschweren Sudoku sind in der Regel zwischen 20 und30 Ziffern vorgegeben. Natürlich müssen die Ziffern geeig-net platziert sein; wenn man zufällig 30 Ziffern auswählt,

Page 109: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

96 Spiele, Rätsel, Zahlen

muss man wiederum damit rechnen, ein Sudoku mit meh-reren Lösungen vor sich zu haben.

Es ist schwierig, eine genaue Zahl anzugeben, ab wie vie-len Vorgabeziffern erwartungsgemäß mit einer eindeutigenLösung zu rechnen ist, und diese Frage ist für praktischeZwecke auch nur in Maßen spannend. Für die Vertreiberund Löser von Sudokus sind im Allgemeinen ohnehin nur„interessante“ Sudokus relevant; das sind solche, bei denenso wenige Ziffern vorgegeben sind, dass das Rätsel – gemes-sen an dem gewünschten Schwierigkeitsgrad – eine Heraus-forderung darstellt, gleichzeitig aber so viele, dass das Lösennicht in reines Probieren ausartet.

Uns genügt es zu wissen, dass man bei geeignetem Vor-gehen etwa zwei Drittel der Ziffern weglassen kann undimmer noch ein Sudoku mit einer eindeutigen Lösung er-hält. Sämtliche Computer der Welt könnten nicht in einerrealistischen Zeitspanne alle interessanten Sudokus (im obi-gen Sinne) ausgeben. Für die Angabe einer genauen Anzahlmüsste man erst sauber formalisieren, wann ein Sudoku ob-jektiv als interessant gelten soll.

Interessant aus mathematischer Sicht ist die Frage, wieviele Ziffern grundsätzlich übrig bleiben müssen, andersausgedrückt: Wie viele Ziffern müssen in einem Sudokumindestens eingetragen sein, damit die Lösung eindeutigsein kann? Seit Jahren sind Sudokufreunde – theoretischund praktisch veranlagte – dieser Frage auf der Spur, unddie Antwort lautet: 17.

Es handelt sich um ein kurioses Resultat, denn es scheintkein mathematischer Grund zu existieren, warum ausge-rechnet die siebzehnte Vorgabeziffer so einen großen Un-terschied ausmachen soll. Tatsächlich gab es schon ein paar

Page 110: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

7 Die Welt der Sudokus 97

abstrakte Beweisversuche, warum ein eindeutig lösbaresSudoku mit nur 16 Vorgaben nicht existieren kann; nachunserem Wissensstand sind diese Beweisversuche alle alsfehlerhaft erkannt worden. Fakt ist jedoch, dass erstensschon diverse Sudoku-Rätsel mit genau 17 eingetragenenZiffern bekannt und im Umlauf sind und dass zweitensnoch kein Sudoku mit 16 oder weniger Vorgaben gefundenworden ist. Seit mehreren Jahren ging die Sudokuwelt da-her mehr oder weniger geschlossen davon aus, dass 17 dierichtige Antwort auf die Frage im vorigen Absatz ist.

Inzwischen wurde der Beweis erbracht, dass es tatsäch-lich kein eindeutig lösbares Sudoku mit nur 16 festen Zif-fern geben kann. Er basiert auf einer eher radikalen „Brute-Force“-Herangehensweise; ein Computer hat einfach alleSudokus mit 16 Vorgaben überprüft. Da selbst für Compu-termaßstäbe die zu untersuchende Menge von Sudoku-Rät-seln zu groß ist, haben die drei Mathematiker bzw. Informa-tiker Gary McGuire, Bastian Tugemann und Gilles Civariozuerst ein System entwickelt, mit dem sie die Grundmengeauf ein – für Computer – überschaubares Maß reduzierenkonnten, und dann ihr Programm zur Prüfung auf Eindeu-tigkeit darauf angesetzt. Das Ergebnis ihrer Arbeit wurde2012 veröffentlicht und 2013 noch einmal unabhängig be-stätigt.

Die Zahl 17 als absolute Untergrenze steht – wenn manComputern und der Korrektheit der von ihnen erbrachtenResultate vertraut – also nicht mehr in Zweifel. Einer nurteilweise damit verwandten Fragestellung wollen wir unsals nächstes widmen. Wir wollen ein Sudoku-Rätsel mini-mal nennen, wenn es eine eindeutige Lösung besitzt, jedoch

Page 111: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

98 Spiele, Rätsel, Zahlen

nicht mehr eindeutig lösbar ist, sobald man auch nur einebeliebige der Vorgabeziffern weglässt.

Während gemäß der zuletzt vorgestellten Erkenntnis je-des eindeutige Sudoku mit 17 Vorgaben automatisch mini-mal ist, ist es gleichzeitig so, dass auch viele Sudokus mitmehr als 17 eingetragenen Ziffern dieses Minimalitätskri-terium erfüllen. Nicht bei allen Sudoku-Gittern wird diegleiche Anzahl an Vorgaben benötigt, um ein eindeutigesRätsel daraus zu machen. In diesem Zusammenhang sollteerwähnt werden, dass die Anzahl der Vorgaben allein auchkein akkurates Werkzeug zur Einschätzung der Schwierig-keit von Sudoku-Rätseln ist. Zwar kann man sehr grob da-von ausgehen, dass Sudokus mit mehr Vorgaben leichter alssolchemit weniger Vorgaben sind; imEinzelfall kann es aberdurchaus vorkommen, dass ein Rätsel mit 17 vorgegebenenZiffern leichter lösbar ist als eines mit z. B. 20 Vorgaben.Denn die Schwierigkeit für menschliche Löser steckt in derKomplexität der zum Lösen notwendigen Techniken (siehedazu den ersten Teil dieses Kapitels), und diese hängt nichtexplizit von der Anzahl der Vorgabeziffern ab.

Neben der weiter vorn beantworteten Frage nach der An-zahl wesentlich verschiedener Sudokus kann man sich fürdie Fragestellung interessieren, wie viele minimale Sudokuses insgesamt gibt. Dieses Problem ist noch nicht gelöst; ge-rade weil die Zahl der Vorgaben bei minimalen Ziffern starkschwankt, ist es auch extrem schwer, einen mathematischenZugang zu finden. Einer Schätzung zufolge liegt die Anzahlminimaler Sudokus bei reichlich 3 � 1037.

Minimalität bei Sudokus (und bei diversen anderen Rät-selarten ebenso) ist eine interessante Zielstellung beim Er-stellen der Rätsel. Grob gesagt ist jede Vorgabe, die nicht

Page 112: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

7 Die Welt der Sudokus 99

essentiell für die Eindeutigkeit der Lösung ist, eine Hilfe-stellung an den Löser. Sie erspart ihm einen oder mehrereLösungsschritte und gibt ihm von Anfang an zusätzlicheOptionen, was die Suche nach logischen Lösungstechnikenangeht. Sie macht das Rätsel also prinzipiell leichter.

Insofern könnte man meinen, dass Minimalität dashöchste Ziel beim Erstellen von Rätseln ist. Das trifft jedochbei Weitem nicht zu. Als Rätselautor muss man viele andereFaktoren berücksichtigen. Zunächst einmal werden manch-mal leichtere Rätsel benötigt, zum Beispiel um Anfänger aneine Rätselart heranzuführen. Schlägt man ein normales Su-doku-Buch oder -Heft auf, so wird man üblicherweise nichtgleich auf der ersten Seite mit den schwersten Geschützenbombardiert.

Dazu kommt, dass nicht jedes Rätsel mit einer eindeu-tigen Lösung auch einen logischen Lösungsweg gestattet.Denken wir zurück an die Lösungstechnik namens Bow-man’s Bingo, ein Durchprobieren im höheren Sinne. EinRätsel, welches man nur durch zufälliges Eintragen vonZiffern meistern kann, reizt den Löser kaum und wirkt eherabschreckend. Insofern kann es eine gute Idee sein, frei-willig noch zusätzliche Vorgaben hinzuzufügen, um demLöser weitere Ansätze zu bieten. Gerade bei Rätseln, diein Wettbewerben (insbesondere nationalen und internatio-nalen Meisterschaften) vorkommen, ist es sehr erwünscht,dass die Rätsel von Anfang bis Ende auf logischem Wegbearbeitet werden können.

Zuletzt ist da noch der ästhetische Faktor. Rätselauto-ren lieben es, in ihre Kreationen gewisseMuster einzubauen(die Löser würdigen es üblicherweise ebenfalls).Das Sudokuin Abb. 6.1 besitzt nach einer spontanen Stichprobe min-

Page 113: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

100 Spiele, Rätsel, Zahlen

destens zwei entbehrliche Vorgabeziffern. Würde man dieseweglassen, so würde man auch die symmetrische Anord-nung der Vorgaben zerstören. Das fühlt sich etwa so an, alswürde man seinen Gästen einen Kuchen servieren, aus dembereits ein oder zwei Stücke herausgeschnitten sind, es wäreunbefriedigend.

Sudoku-Programmierung

Wenn man erst einmal an diesem Punkt angekommen ist,muss man sich fragen, wie eigentlich Computer mit Sudo-kus umgehen. Sie haben keinen Sinn für Ästhetik und sindfolglich in dieser Hinsicht keinen Zwängen unterworfen.Andererseits können Programme nur das, was man ihnenbeibringt. Auf welchem Weg erstellen und lösen also Com-puter Sudokus?

Bei den Berechnungsproblemen auf den vorigen Seitenhaben wir festgehalten, dass die Menge der Sudokus (spezi-ell der Gesamtheit aller Sudoku-Rätsel) selbst für eine ma-schinelle Behandlung deutlich zu groß ist. Gleichzeitig sindwir darauf eingegangen, dass manche Programme das Lö-sen durch systematisches Probieren beherrschen. Das magwie ein Widerspruch klingen, doch dieser ist nur schein-bar vorhanden. Wenn man einem Computer ein konkretesSudoku vorgibt, so muss er eben nicht jedes einzelne existie-rende Sudoku zur Hand nehmen und dessen Einträge mitden vorgegebenen Ziffern vergleichen. Er kann auf Basis derbekannten Ziffern arbeiten, und sofort wird die Datenmen-ge viel kleiner.

Page 114: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

7 Die Welt der Sudokus 101

Nehmen wir beispielsweise an, uns würde ein Sudokumit 25 bereits eingetragenen Ziffern und 56 freien Feldernvorliegen. Wir wollen weiterhin annehmen, dass jedes Feldim Schnitt etwa vier candidates hat. (Die Bestimmung dercandidates als Ausgangssituation nimmt für einen Compu-ter vernachlässigbar wenig Zeit in Anspruch.) Der Such-raum von 456 ist entsetzlich groß, er liegt in der Größen-ordnung von 5 � 1033, und man fragt sich unwillkürlich, obes nicht doch besser gewesen wäre, eine Liste mit allen voll-ständig gefüllten Gittern durchzugehen, anstatt auf diesemSuchraum zu arbeiten.

Doch mit jeder Ziffer, die man einträgt, sinkt sowohldie Anzahl der freien Felder als auch die Anzahl der can-didates in den restlichen Feldern. Wenn man zum Beispielin zehn der freien Felder zufällig Ziffern aus der jeweiligenKandidatenliste einträgt (dafür gibt es ungefähr eine Milli-onMöglichkeiten), so verbleiben 46 freie Felder, gleichzeitigist auch die Menge der candidates für den Rest erheblich ge-schrumpft. Wenn wir vereinfacht von durchschnittlich zweibis drei candidates pro Feld ausgehen, ist der Suchraum „nurnoch“ bei 1018 bis 1020. Das Eintragen von zehn weiterenZiffern wird dann schon ausreichend sein, um den Rest inden Millionenbereich zu verlagern, wo er von Programmenim Handumdrehen erledigt werden kann – nicht zu ver-gessen die Möglichkeit, dass man dabei bereits auf einenWiderspruch stoßen kann und den Rest dann gar nicht be-handeln muss.

Und das ist noch eine sehr primitive Herangehensweise;selbst beim radikalen Durchprobieren kann man sich deut-lich geschickter anstellen. Wenn man für die ersten zehnZiffern Felder mit möglichst wenigen candidates auswählt,

Page 115: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

102 Spiele, Rätsel, Zahlen

ist der Anzahl der zu prüfenden Fälle nur einen Bruchteil sogroß wie in dem im vorigen Absatz skizzierten Verlauf. Eshat nämlich gar keinen Sinn, die Ziffern wie oben wahllosin Zehnergruppen einzutragen. Wählt man das zweite Feldin der gleichen Zeile oder Spalte oder im gleichen Blockwie die erste (und die nachfolgenden analog), so schrumpftdie Liste der candidates für jedes weitere Feld immer mehrzusammen, und der Suchraum wird noch einmal merklichkleiner. Viele Programme können auf einem durchschnitt-lichen PC ein Sudoku in unter einer Sekunde lösen.

Dennoch ist das knallharte Durchprobieren aller Mög-lichkeiten ein plumpes und unbefriedigendes Vorgehen. Soziemlich alle Lösungstechniken, die menschlichen Lösernbekannt sind, kann man auch programmieren. Als schlich-testes Beispiel wollen wir uns vorstellen, dass der Compu-ter für jedes der 81 Gitterfelder neben der Information, obschon eine Zahl darin steht (und wenn ja, welche), auch ei-ne Liste der candidates speichert. DieDatenmenge ist geringund erlaubt das unmittelbare Ablesen der naked singles.

Zum Auffinden von hidden singles benötigt man andere,technisch aber vergleichbare Datenstrukturen. Man kannfür jede der neun Ziffern und für jede Zeile des Sudoku-Gitters eine Liste von Feldern speichern, in der die gewählteZiffer noch platziert werden kann, d. h. als candidate vor-kommt, analog für die Spalten und die 3�3-Blöcke. Bestehteine der Listen aus nur einem einzigen Eintrag, so liegt diezuvor als hidden single beschriebene Situation vor, und mankann wiederum eine Ziffer sicher ins Gitter eintragen.

Je komplizierter die Techniken werden, umso kompli-zierter werden potenziell auch die Daten, die man zum ef-fizienten Suchen eines entsprechenden Lösungsschritts ab-

Page 116: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

7 Die Welt der Sudokus 103

speichern muss. Darüber hinaus muss man die Daten stän-dig aktualisieren (z. B. immer wenn man eine Ziffer neu ein-getragen hat). Der Speicherplatz selbst ist heutzutage nichtdas Problem, die Zugriffs- und Bearbeitungszeit auf dieseZusatzdaten hingegen sehr wohl. Will man sein Programmmit der Fähigkeit immer feinerer Lösungstechniken ausstat-ten, so kann es leicht sein, dass es irgendwann länger zumLösen braucht, als das mit einem Brute-Force-Algorithmusder Fall gewesen wäre.

Trotzdem haben derartig gestaltete Programme einengroßen Vorteil. Sie können nicht nur Sudokus lösen (beider Gelegenheit können sie gleichzeitig auch feststellen,ob ein Sudoku eindeutig lösbar ist oder mehrere Lösun-gen besitzt), sondern auch deren Schwierigkeit abschätzen.Je komplexer die Lösungsschritte werden, umso schwererwird das Rätsel auch für den Menschen, wenn er es ineinem Buch bzw. einer Zeitschrift findet oder – im Falleeines regelmäßigen Wettbewerbsteilnehmers – in der Hitzedes Wettstreits vorgesetzt bekommt. Eine solche Einschät-zung wäre für einen Computer nahezu unmöglich, wenn ernur eine radikale Fallunterscheidung von Anfang bis Endedurchführt.

Computergenerierte Sudokus

Das maschinelle Erstellen von Sudokus ist in vielerlei Hin-sicht mit demmaschinellen Lösen verwandt. Wennman einProgramm zum Entwerfen von Sudokus schreiben möchte,so sollte dieses auf jeden Fall in der Lage sein, den Ent-wurfsprozess in einerWeise auszuführen, dass die eindeutige

Page 117: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

104 Spiele, Rätsel, Zahlen

Lösbarkeit des Endprodukts gesichert ist. Insofern hat esSinn, ein solches Programm gegebenenfalls mit einem zuverknüpfen, welches Sudokus löst.

Das Erstellen könnte in der allereinfachsten Version sofunktionieren, dass man im Gitter zufällig eine Teilmengealler Felder auswählt und in die gewählten Felder ebensozufällig Ziffern einträgt. Anschließend prüft man, ob dasentstandene Werk überhaupt lösbar ist, also ob die Vorga-ben bereits mit einemWiderspruchmit den Sudoku-Regelnzusammengefügt sind, und ob das Sudoku weiterhin ein-deutig lösbar ist, sofern die Probe des vorigen Kriteriumszur Zufriedenheit ausgefallen ist.

Anstelle des komplett chaotischen Zufallsverfahrenskönnte man eines zur Anwendung bringen, in dem derErstellungsprozess etwas gelenkt wird. Dabei drängen sichspontan zwei Möglichkeiten auf. Eine besteht darin, miteinem vollständig ausgefüllten Sudoku zu beginnen unddann der Reihe nach Ziffern wegzulassen. Jedes Mal, wennman eine Vorgabeziffer gelöscht hat, prüft man das ent-standene Sudoku auf Eindeutigkeit. Zumindest wird aufdiese Weise sichergestellt, dass das Rätsel überhaupt lösbarist. Die andere Möglichkeit besteht darin, mit einem lee-ren Gitter zu beginnen und eine Ziffer nach der anderenzufällig zu platzieren. Auch hier ist es logischerweise erfor-derlich, ständig (idealerweise nach jedem einzelnen Schritt)die eindeutige Lösbarkeit zu testen.

Beide Varianten sind so unvollkommen wie das Bru-te-Force-Löseverfahren. Sie führen, eine fehlerfreie Pro-grammierung vorausgesetzt, zu einem technisch korrektenResultat, d. h. zu einem eindeutig lösbaren Sudoku. DasProblem ist, dass der ästhetische Wert und die Schwierig-

Page 118: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

7 Die Welt der Sudokus 105

keit des Rätsels dabei unkontrollierbar sind und letztlichvöllig dem Zufall überlassen werden.

Wenn ein – menschlicher – Rätselautor ein Sudoku er-stellt, geht er dabei oft so vor, dass er mit einem leerenGitterbeginnt und dann nacheinander einzelne Ziffern bzw. klei-ne Zifferngruppen als Vorgaben hinzufügt. Die Platzierungder Vorgaben erfolgt dabei allerdings nicht zufällig, sondernmit der Zielstellung, konkrete Schritte in den Lösungswegeinzubauen. Dazu löst der Autor das Rätsel üblicherweiseselbst parallel mit, d. h., nach jeder neuen Vorgabe ergänzter die Ziffern, die sich aus den Vorgaben eindeutig direktergeben. Unter Umständen macht er sich auch noch detail-liertere Notizen, die mit dem möglichen Einbau weitererLösungstechniken zusammenhängen.

Auch ein solches Vorgehen kann man einem Programmbeibringen. Hier sind zwei Gefahrenaspekte zu berücksich-tigen. Zum einen fehlt demComputer die Kreativität, wennes um das Einbauen von Lösungsschritten durch gezieltesVorgeben von Ziffern geht. Man könnte wiederum einwillkürliches Zufallselement einprogrammieren (im Grun-de genommen arbeitet auch der Mensch in dieser Phaseteilweise zufällig), doch man sollte dafür sorgen, dass derZufallsfaktor beim Entwurf des Sudokus nicht Überhandnimmt.

Zum anderen muss man irgendwie darauf achten, dassder geplante Lösungsverlauf nicht durch weitere Vorgabenzerstört wird. Es kann sich leicht ergeben, dass eine Lösungs-technik, die bewusst eingebaut wurde, im späteren Verlaufdes Rätselerstellens überflüssig wird, da neu hinzugekom-mene Vorgabeziffern andere Schritte ermöglichen, also ge-wissermaßen eine Abkürzung im Lösungsweg. Beides sind

Page 119: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

106 Spiele, Rätsel, Zahlen

übrigens Probleme, die nicht nur für Sudokus gelten, son-dern beim Erstellen von Rätseln vieler anderer Arten eben-falls zutreffen.

Anders als beim reinen Lösen von Sudokus sind Com-puterprogramme hier noch nicht auf einem hohen Levelangekommen; es gibt sehr wenige Programme, die wirklichhochwertige Sudokus (nach einer Beurteilung durch Men-schen) erstellen können. Deswegen ist es in der Regel nochso, dass Sudokus, die bei Wettbewerben eingesetzt werden,handerstellt sind. Computer werden (wenn überhaupt) le-diglich verwendet, um sicherzustellen, dass die Sudokus feh-lerfrei und eindeutig lösbar sind.

Sudoku-Varianten

Bevor wir uns von den Sudokus abwenden, noch ein letzterkleiner Exkurs. Gerade bei Sudoku-Meisterschaften ist esheutzutage eher unüblich, ausschließlich Sudokus mit denStandardregeln zum Einsatz zu bringen. Stattdessen bestehtein solches Event häufig aus mehreren Runden, in denenden Teilnehmern nicht nur Standard-Sudokus, sondernauch Sudoku-Varianten gestellt werden. Dabei stimmendie Regeln im Wesentlichen mit den bekannten überein,es gibt jedoch jeweils eine kleine Modifikation oder Ergän-zung.

Die Regeländerungen können extrem vielseitig sein. Ei-ne der harmlosen Varianten ergibt sich, wenn die Gitterge-biete, welche jede der Ziffern genau einmal enthalten sollen,nicht mehr die 3 � 3-Blockform, sondern beliebige For-men besitzen dürfen. Man spricht dann von irregular sudo-

Page 120: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

7 Die Welt der Sudokus 107

kus (Unregelmäßigen Sudokus). Es ist weiterhin möglich,zusätzliche Gebietsrestriktionen hinzuzufügen; in einer an-deren verbreiteten Variante wird z. B. gefordert, dass in jederder beidenHauptdiagonalen desGitters jede Ziffer ebenfallsjeweils genau einmal stehen muss.

Die Größe ist wie alles Andere bei Sudokus eigentlichvariabel. Die Gittergröße von 9 � 9 hat sich als Standarddurchgesetzt, da sie eine angemessene Schwierigkeitsspan-ne gestattet und die Zerlegung in quadratische Blöcke sehrnatürlich wirkt. Man trifft aber auch auf Sudokus der Aus-maße 6�6 oder 8�8 (mit rechteckigen Blöcken der Größe2 � 3 bzw. 2 � 4) sowie gelegentlich in den Übergrößen12 � 12 oder sogar 16 � 16 mit entsprechenden Blockzer-legungen.

In vielen Varianten kommen neben dem eigentlichenGitter noch zusätzliche Anforderungen vor, die arithme-tischer Natur sind. Beispielsweise könnte die Summe derZiffern vorgegeben sein, die in bestimmte Feldergruppeneinzutragen sind – diese noch relativ populäre Variante(siehe Abb. 7.4), welche bei geeigneter Konstruktion nichteinmal Vorgabeziffern benötigt, wird als Killer-Sudoku be-zeichnet.

In anderen Varianten wird vorgeschrieben, dass sichgleiche Ziffern nicht diagonal berühren dürfen, dass be-nachbarte Ziffern sich nicht um 1 unterscheiden dürfen,dass bestimmte Felder nur gerade bzw. nur ungerade Zif-fern enthalten dürfen, dass die Ziffern in vorgegebenenRegionen aufsteigend angeordnet sein dürfen oder nochvieles mehr. Bei ein paar exotischen Schöpfungen ist dasRätselgitter nicht einmal mehr quadratisch aufgebaut, wasmitunter zu äußerst verrückten Kreationen führt. Der Fan-

Page 121: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

108 Spiele, Rätsel, Zahlen

18 22 12 16 18

13

14 16 24 16

210222

931

20 10 22 12

13

11 14 11 26

21

Abb. 7.4 Killer-Sudoku: Tragen Sie die Ziffern 1 bis 9 so ein, dassjede der Ziffern in jeder Zeile, jeder Spalte und jedem fett um-randeten Gebiet genau einmal vorkommt. Für jeden der dünnumrandeten Bereiche ist die Summe der einzutragenden Zifferngegeben; in einem solchen Bereich darf keine Ziffer mehrfach vor-kommen

tasie sind kaum Grenzen gesetzt, was das Erfinden neuerSudoku-Varianten und das Entwerfen entsprechender Ver-treter angeht.

Diverse Rätselfreunde führen einen eigenen Blog, in demsie ihre Errungenschaften auf dem Gebiet des Rätselerstel-lens kostenlos mit anderen teilen. Ein bekanntes Beispiel istder Blog von Fred Stalder, einem Schweizer Sudoku-Exper-ten, der schon mehrmals an Sudoku-Weltmeisterschaftenteilgenommen hat. Dort werden über 100 Sudoku-Varian-ten (mit Beispielen) aufgeführt. Und das ist nicht annä-

Page 122: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

7 Die Welt der Sudokus 109

hernd alles, was inzwischen in der Sudoku-Szene bekanntist. In jedem Jahr werden neue Varianten erschaffen; manch-mal werden diese auf nationalen oder internationalen Meis-terschaften vorgestellt, gelegentlich finden sie sich einfachin den erwähnten Blogs wieder und werden ggf. später vonanderen Rätselautoren wieder aufgegriffen.

Was die mathematischen Hintergründe der Sudoku-Va-rianten angeht, sehen diese natürlich anders als bei Stan-dard-Sudokus. Grundsätzlich kann man sich die gleichenFragen stellen, mit denen wir uns schon weiter oben be-schäftigt haben, also die nach der Anzahl aller vollständiggelösten Gitter, der Anzahl wesentlich verschiedener Rät-selgitter, der Minimalanzahl an Vorgaben usw. Im Prinzipmüsste man sich die gleichen Fragen für jede einzelne Vari-ante neu stellen, denn in der Regel lauten die Antworten fürjede Variante anders. Praktisch tut das jedoch kein Mensch,denn es wäre angesichts der Vielzahl an Sudoku-Varianteneinfach hoffnungslos zu viel Arbeit, und die Erkenntnissewürden ohnehin kaum einen Nutzen bieten.

ZumAbschluss dieses Kapitels noch ein Beispiel, das ver-deutlichen soll, wie weit die mathematischen Erkenntnis-se bei Varianten von denen bei Standard-Sudokus abwei-chen. Abbildung 7.5 zeigt ein Sudoku mit unregelmäßigenGebieten (obwohl ein gewisses Muster klar erkennbar ist).Dieses Rätsel ist bereits mit acht Vorgabeziffern eindeutiglösbar. Weniger geht ersichtlich nicht, denn wenn zwei Zif-fern überhaupt nicht vorkommen, so kann die Lösung nichtmehr eindeutig sein: Fehlen z. B. 8 und 9 als Vorgaben, soerhält man aus einer Lösung eine weitere, indem man alleAchten und Neunen vertauscht.

Page 123: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

110 Spiele, Rätsel, Zahlen

1

2

3

4

5

6

7

8

Abb. 7.5 Unregelmäßiges Sudoku: Tragen Sie die Ziffern 1 bis 9so ein, dass jede der Ziffern in jeder Zeile, jeder Spalte und jedemfett hervorgehobenen Gebiet genau einmal vorkommt

Page 124: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

8Lateinische Quadrate

Wir verlassen die Welt der Sudokus und gehen auf eine et-was allgemeinere Klassen von Rätseltypen ein. In diesemKapitel wollen wir uns nach wie vor mit der Aufgabe be-schäftigen, die Zahlen von 1 bis n in ein quadratischesGitterder Größe n�n einzutragen, so dass jede Zahl pro Zeile undpro Spalte genau einmal vorkommt, allerdings ohne die Zu-satzbedingung, welche durch die Blockzerlegung des Gittersgegeben ist. Ein derartiges quadratisches Schema wird einLateinisches Quadrat genannt.

Die Bezeichnung geht vermutlich auf den SchweizerMa-thematiker Leonhard Euler zurück, welcher Buchstaben deslateinischen Alphabets anstelle von Zahlen verwendete. Esist bekannt, dass Euler das Problem untersuchte, 36 Offizie-re mit sechs verschiedenen Rängen in einer quadratischenAnordnung so aufzustellen, dass jeder Rang in jeder Reihegenau einmal vertreten ist. Tatsächlich war Euler an einernoch komplexeren Aufgabenstellung interessiert, auf die wirspäter zurückkommen werden.

Das Problem, ein quadratisches Gitter mit einigen vor-gegebenen Zahlen darin zu einem Lateinischen Quadrat zuergänzen, kann man ohne weiteres als logisches Rätsel be-zeichnen, denn wie bei einem Sudoku sind die Rätselregelnvöllig objektiv und ohne Interpretationsspielraum. Genau

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1_8,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 125: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

112 Spiele, Rätsel, Zahlen

genommen sind Sudokus einfach nur Spezialfälle von La-teinischen Quadraten.

Die fehlende Regel, dass auch jeder Block (bei gegebenerGitterzerlegung) jede Zahl genau einmal enthalten muss,führt dazu, dass es insgesamt deutlich mehr LateinischeQuadrate als Sudokus gleicher Größe gibt. Ganz nebenbeisind Lateinische Quadrate dabei auch wesentlich flexibler,was ihre Abmessungen angeht, dennman kann sie praktischin jeder Größe betrachten. Sudokus hingegen wirken weni-ger attraktiv, wenn die Blöcke nicht quadratisch sind; ist dieSeitenlänge des Gitters eine Primzahl, so gibt es überhauptkeine regelmäßige Rechteckzerlegung (außer den trivialen,wo es sich bei den Blöcken um die Gitterzeilen bzw. -spaltenhandelt).

Allerdings sind Lateinische Quadrate als Rätsel gleich-zeitig weniger gehaltvoll, da sie nicht so viele interessanteLösungstechniken gestatten. Denken wir nur einmal an dienaked singles, also an gesicherte Zahlen in konkreten Fel-dern, welche sich dadurch ergeben, dass alle anderen Zahlenbereits in der gleichen Zeile, der gleichen Spalte oder demgleichen Block vorkommen. Durch die drei verschiedenenMöglichkeiten wird eine dreidimensionale Sichtweise aufein eigentlich zweidimensionales Problem geschaffen, wel-che für das Lösen hilfreich und mitunter auch erforderlichist.

Die scheinbare Dreidimensionalität ist es, die das Wesenvon Sudokus ausmacht. Im Vergleich dazu sind „normale“Lateinische Quadrate eher schlicht; viele andere Lösungs-techniken benötigen ebenfalls die Blockzerlegung oder wer-den zumindest dadurch anspruchsvoller. Aus diesemGrundwerden Lateinische Quadrate ohne Zusatzregeln bei Wett-

Page 126: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

8 Lateinische Quadrate 113

bewerben und insbesondere Rätselmeisterschaften praktischnie gestellt.

Rätselarten in Lateinischen Quadraten

Es gibt eine Reihe von logischen Rätseln, die auf Latei-nischen Quadraten aufbauen. Gelegentlich stößt man aufRätsel, bei denen die einzige Zusatzbedingung darin be-steht, dass auch in jeder der beiden Hauptdiagonalen jedeZahl genau einmal vorkommen muss. Abbildung 8.1 zeigtein – gemessen an seiner Größe und der Einfachheit derRegeln – beachtlich schweres Exemplar.

Wenn man die Terminologie von Sudokus übernimmt,stellt man fest, dass es hier zu Beginn überhaupt keine na-ked singles oder hidden singles gibt. Das Schwierigste bei demRätsel in Abb. 8.1 ist der Einstieg; hat man erst einmal einpaar Ziffern gefunden, dann wird der Rest immer leichter.

2

4 1

6

5

6 3

3

Abb. 8.1 Lateinisches Quadrat mit Diagonalen: Tragen Sie dieZiffern 1 bis 6 so ein, dass jede der Ziffern in jeder Zeile, jederSpalte und jeder der beiden grau hervorgehobenen Diagonalengenau einmal vorkommt

Page 127: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

114 Spiele, Rätsel, Zahlen

Abb. 8.2 Kropki: Tragen Sie die Ziffern 1 bis 7 so ein, dass jede derZiffern in jeder Zeile und jeder Spalte genau einmal vorkommt.Dabei sollen die folgenden Zusatzbedingungen erfüllt sein: Befin-det sich zwischen zwei Feldern ein weißer Punkt, so ist eine derbeiden Zahlen um 1 größer als die andere. Befindet sich zwischenzwei Feldern ein schwarzer Punkt, so ist eine der beiden Zahlengenau doppelt so groß wie die andere. Befindet sich zwischenzwei Feldern kein Punkt, so darf keine der beiden Bedingungenzutreffen

Für den Anfang benötigt man eine der fortgeschrittenen„unsichtbaren“ Lösungstechniken, die im vorigen Kapitelüber Sudokus erwähnt wurden, z. B. eine Kombination vonmehreren pointing pairs.

Beachtenswert ist, dass es schon bei dieser geringen Git-tergröße möglich ist, sehr komplizierte Rätsel zu erstellen.Lateinische Quadrate mit Zusatzregeln sind überraschendunflexibel, was das Vertauschen von kleinen Zifferngruppenwie in Abb. 7.3 angeht. Und die Anzahl der für eindeutige

Page 128: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

8 Lateinische Quadrate 115

1 6

5

4

3 2

Abb. 8.3 Hochhausrätsel: Tragen Sie die Ziffern 1 bis 6 so ein,dass jede der Ziffern in jeder Zeile und jeder Spalte genau einmalvorkommt. Jede Ziffer im Gitter soll dabei ein Haus der entspre-chenden Höhe darstellen. Die Zahlen außerhalb des Gitters gebenan, wie viele Häuser in der jeweiligen Zeile bzw. Spalte von die-ser Position aus gesehen werden können; dabei zählt ein Haus alssichtbar, wenn sich nirgendwo davor ein höheres befindet

Lösbarkeit mindestens notwendigen Ziffern liegt erstaun-lich niedrig, wie das Beispiel schon zeigt.

Dennoch sind Lateinische Quadrate allein mit der zu-sätzlichen Diagonalbedingung nicht sehr verbreitet undkommen in Rätselwettbewerben nahezu niemals vor. Dennsie sind einfach zu eng mit den Sudokus, der wesentlich be-kannteren Rätselart, verwandt und erfordern die gleichenDenkweisen.

Stattdessen gibt es diverse andere Rätselarten, die aufLateinischen Quadraten basieren. In den Abb. 8.2 und 8.3sind zwei Rätselexemplare mit Regeln zu sehen, die beiRätselmeisterschaften regelmäßig anzutreffen sind, näm-lich Kropki und Hochhausrätsel . Die Bezeichnung Kropki

Page 129: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

116 Spiele, Rätsel, Zahlen

ist übrigens nicht japanisch wie viele andere Rätselnamen,sondern polnisch und bedeutet „Punkte“.

Genau wie bei den Sudokus sind noch unzählige weite-re Rätselarten denkbar. Zum Beispiel können in Analogiezu dem Killer-Sudoku in Abb. 7.4 zusätzliche arithmetischeRestriktionen gegeben sein. Viele derartige Rätselvariantenhat es auch wirklich schon in Wettbewerben gegeben.

Griechisch-Lateinische Quadrate

Wir kehren noch einmal zurück zu der ProblemstellungEulers, 36 Offiziere mit sechs verschiedenen Rängen ineinem Lateinischen Quadrat anzuordnen. Natürlich fandEuler schnell heraus, dass dies allein einfach möglich ist.Er beschäftigte sich allerdings auch mit einem noch kom-plizierteren Problem, in dem die 36 Offiziere aus sechsverschiedenen Regimentern stammen sollten, wobei jedeKombination aus Dienstgrad und Regiment genau einmalvorkommen sollte. In der komplexeren Aufgabenstellungwar es sein Ziel, eine quadratische Aufstellung der 36 Of-fiziere zu finden, bei der sowohl jeder Rang als auch jedesRegiment einmal pro Zeile und pro Spalte vertreten seinsollte.

Das Problem lässt sich abstrakt wie folgt formulieren: Inein Quadrat der Größe 6 � 6 sollen 36 verschiedene zwei-stellige Zahlen eingetragen werden, die nur die Ziffern 1bis 6 enthalten. Sowohl in der Zehnerstelle als auch in derEinerstelle soll dabei jede der sechs Ziffern genau einmal injeder Zeile und in jeder Spalte vorkommen. (Bei geeigneterKodierung der Dienstränge und der Regimenter könnte al-

Page 130: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

8 Lateinische Quadrate 117

so die Zehnerstelle für das Regiment und die Einerstelle fürden Rang des jeweiligen Offiziers stehen.)

Eine Anordnung mit diesen Eigenschaften wird Grie-chisch-Lateinisches Quadrat (mitunter auch OrthogonalesLateinisches Quadrat oder Euler-Quadrat) genannt. Hin-tergrund dafür ist der Umstand, dass Euler selbst anstellevon zweistelligen Zahlen Paare aus griechischen und la-teinischen Buchstaben für die Einträge in einem solchenQuadrat verwendet hat.

Die Definition eines Griechisch-Lateinischen Quadratsist offenbar nicht an die exakte Größe 6 � 6 geknüpft, son-dern lässt sich auf alle Größen n�n verallgemeinern. Ledig-lich bei der Darstellung muss man etwas flexibler sein undals Einträge abstrakte Zahlenpaare .a; b/ mit 1 � a; b � nanstelle von zweistelligen Zahlen wählen.

Euler fand ein festes Schema, nach dem es möglich war,Griechisch-Lateinische Quadrate beliebiger ungerader Grö-ße zu erzeugen. Eine entsprechende Anordnung der Größe7 � 7 ist in Abb. 8.4 zu sehen.

Auch für alle durch 4 teilbaren Zahlen gelang es Eu-ler schließlich, einGriechisch-LateinischesQuadrat der ent-sprechenden Größe zu finden; lediglich für die Situationeines 6 � 6-Quadrats war er nicht erfolgreich. Er stellte dieHypothese auf, dass für die Seitenlängen 4n C 2 mit ganz-zahligem n keine Griechisch-Lateinischen Quadrate existie-ren sollten.

Im Jahr 1959 wurde der Beweis erbracht, dass Eulers Ver-mutung in ihrer Allgemeinheit falsch war. Zuerst konstru-ierten die beiden indischen Mathematiker Bose und Shri-khande ein Gegenbeispiel der Größe 22�22, anschließendfand ihr amerikanischer Kollege Parker mit Computerhil-

Page 131: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

118 Spiele, Rätsel, Zahlen

11 25 32 46 53 67 74

22 36 43 57 64 71 15

33 47 54 61 75 12 26

44 51 65 72 16 23 37

55 62 76 13 27 34 41

66 73 17 24 31 45 52

77 14 21 35 42 56 63

Abb. 8.4 Griechisch-Lateinisches Quadrat der Größe 7 � 7

fe ein Griechisch-Lateinisches Quadrat der Größe 10 � 10.Kurze Zeit später erbrachten sie zu dritt den Nachweis, dasssich für jede Seitenlänge 4nC2mit n � 2 einGegenbeispielfinden lässt.

Für die Größe 6 � 6 existiert allerdings tatsächlich keinGriechisch-Lateinisches Quadrat; diese Aussage war bereits1901 verifiziert worden. Die Feststellung Eulers war also zu-mindest in diesem Punkt korrekt gewesen.

Griechisch-Lateinische Quadrate lassen sich ebenfalls indie Kategorie der logischen Rätsel einordnen, sie kommendort allerdings extrem selten vor. Das Problem bei ihremEinsatz als Wettbewerbsrätsel ist, dass sie extrem unüber-sichtlich sind. Infolge ihrer strikten strukturellen Anforde-rungen genügen bereits äußerst wenige Einträge, damit dieLösung eindeutig wird. Doch die Lösungen lassen sich nurschwer per Hand und ohne ein tiefes Verständnis der dahin-terliegenden mathematischen Grundlagen finden.

Page 132: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

8 Lateinische Quadrate 119

Insofern müsste man, um interessante Rätsel aus Grie-chisch-Lateinischen Quadraten zu gestalten, deutlich mehrZahlen als notwendig vorgeben. Die Lösungstechniken sinddann aber wiederum stark mit denen bei Sudokus oder den„einfachen“ LateinischenQuadraten verwandt und insofernwenig reizvoll für Rätsellöser.

Mathematische Zugängezu Lateinischen Quadraten

Wenn wir einmal die Frage außer Acht lassen, inwiefern La-teinische Quadrate für Rätselfreunde interessant sein kön-nen, haben sie aus mathematischer Sicht sehr viel zu bieten.Spannende Fragen, die wir uns analog für Sudokus bereitsim vorigen Kapitel gestellt haben, betreffen zum Beispiel dieAnzahlen von Lateinischen Quadraten oder von wesentlichverschiedenen Lateinischen Quadraten (eine ähnliche Defi-nition wie bei Sudokus vorausgesetzt) sowie die Anzahl derfür eindeutige Lösbarkeit mindestens notwendigen Vorga-ben.

Schon die Bestimmung der Gesamtzahl an verschiede-nen Lateinischen Quadraten einer festen Größe ist eine sehrschwierige Angelegenheit. Im Gegensatz zu Sudokus, beidenen man sich hauptsächlich für die Standardgröße 9 � 9interessiert, sucht man hier nach einer allgemeinen Formel.Bisher sind lediglich die konkreten Anzahlen bis zur Grö-ße 11 � 11 sowie darüber hinaus äußerst grobe obere unduntere Schranken bekannt.

Wenn man bedenkt, wie viele (exakte oder geschätzte)Resultate von anderen Problemstellungen im Zusammen-

Page 133: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

120 Spiele, Rätsel, Zahlen

hang mit Rätseln und Spielen – gegebenenfalls mit Com-puterhilfe – erzielt wurden, ist das ein bemerkenswerterZustand. Beispielsweise wurde ermittelt, dass die Anzahl al-ler möglichen Positionen im Schach in der Größenordnungvon 1047 und im Go, gespielt auf einem 19 � 19-Brett, inder Größenordnung von 10171 liegt. Was die Anzahl derLateinischen Quadrate der Größe 19 � 19 angeht, weißman nicht viel mehr, als dass sie irgendwo zwischen 10187und 10214 liegt.

Die Ungenauigkeit hierbei ist frappierend. Wie kommtes, dass bei einem Problem mit so präzisen Regeln undRestriktionen ein so unbefriedigendes Ergebnis vorliegt?Im Computerzeitalter liegt das sicher nicht an der fehlen-den Verfügbarkeit elektronischer Hilfsmittel. Es stellte sichvielmehr heraus, dass es unglaublich schwer ist, einen präzi-sen Algorithmus zum Abzählen aller Lateinischen Quadratezu finden.

Die Aussage bedarf sicher einer genaueren Erklärung.Zum Verständnis der kombinatorischen Gedankengängewollen wir ein viel einfacheres Beispiel heranziehen. Stel-len wir uns die Frage, wie viele verschiedene Skatblätter esgibt, also wie viele Möglichkeiten, 10 Spielkarten aus 32auszuwählen.

Wenn wir 10 Karten der Reihe nach aufnehmen, gibt es32Möglichkeiten für die erste Karte, dann 31 für die zweite(und zwar für jede Wahl der ersten), dann 30 für die dritte,und so weiter. Daraus ergeben sich insgesamt 32 � 31 � : : : �23 D 32Š

22ŠD 234:102:016:512:000 Möglichkeiten, also

rund 2;34 � 1014.

Page 134: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

8 Lateinische Quadrate 121

Hierbei ist jedoch noch zu berücksichtigen, dass dieReihenfolge, in der wir die Karten aufnehmen, irrelevantist. Zu jedem Blatt, das aus 10 Karten besteht, gibt es10Š D 3:628:800 Permutationen und folglich genausoviele Varianten, die Karten in irgendeiner Reihenfolgeaufzunehmen. Durch diesen Faktor muss man noch dasvorige Resultat dividieren. Das Endergebnis ist gleich32Š

22Š�10ŠD 64:512:240, also etwa 64,5 Millionen.

Derartige Abzählargumente sind typisch für kombina-torische Rechenaufgaben, und es liegt der Gedanke nahe,dass man zur Bestimmung der Anzahl aller LateinischenQuadrate einer fest vorgegebenen Größe nur das geeigneteAbzählverfahren finden muss. Und genau da liegt der Hundbegraben; eine exakte Zählweise dieser oder ähnlicher Artzu finden, die für alle Gittergrößen gleichermaßen funktio-niert, ist bisher niemandem gelungen.

Wir wollen versuchen, auf die gleiche Weise alle Mög-lichkeiten abzuzählen, ein Lateinisches Quadrat aufzubau-en. Wenn man der Reihe nach die Felder der ersten Spaltevon einem Ende bis zum anderen mit Zahlen füllt, gibt esdafür nŠ Möglichkeiten, wobei n die Seitenlänge des Qua-drats bezeichnet.

Leider stoßen wir schon bei der zweiten Spalte auf einkleines Problem, wenn wir das Verfahren fortsetzen wollen.Im ersten Feld der zweiten Spalte können n�1 verschiedeneZahlen eingetragen werden. Wie viele Möglichkeiten es fürdas zweite Feld gibt, hängt nun davon ab, ob die unmittelbarvorangegangene Zahl die gleiche wie in dem nebenstehen-den Feld oder eine andere ist; es können n � 1 oder n � 2mögliche Einträge sein. Mit dem Rest der Spalte verhält essich ähnlich.

Page 135: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

122 Spiele, Rätsel, Zahlen

1 12 2

2 23 1

3 34 4

4 41 3

4343 4343

4314 4314

2121 2121

2132 2132

Abb. 8.5 Möglichkeiten zur Füllung eines Lateinischen Quadratsabhängig von den bereits eingetragenen Zahlen

Aber nehmen wir an, wir hätten für die Möglichkeiten,die zweite Spalte zu füllen, auch noch einen exakten Termin Abhängigkeit von der Variablen n gefunden. Spätestensab der dritten Spalte ist das Problem nicht mehr eindeutiglösbar, und für jede weitere Spalte wird die präzise Anzahlder Möglichkeiten durch die Füllung aller vorigen Spaltenbeeinflusst. Zur Untermauerung dieser Aussage betrachtenwir Abb. 8.5.

Wenn man sich in dem linken Diagramm in Abb. 8.5ein beliebiges Feld in der rechten Gitterhälfte auswählt unddort eine einzige Ziffer einträgt, folgen die restlichen siebenZiffern automatisch. Da es für das ausgewählte Feld genauzwei Möglichkeiten gibt, eine Ziffer einzutragen, existierenausgehend von den ersten beiden Spalten auch genau zweivervollständigte Lateinische Quadrate.

Man kann sich leicht davon überzeugen, dass es in demrechten Diagramm vier verschiedene Vervollständigungengibt, nämlich zwei für den rechten oberen 2� 2-Block undunabhängig davon zwei für den rechten unteren Block. DieDiskrepanz zwischen beiden Diagrammen ergibt sich da-durch, dass die bereits vorhandenen Ziffern im rechten Dia-gramm gewissermaßen in zwei Blöcke und die zugehörigen

Page 136: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

8 Lateinische Quadrate 123

Gruppen zu je zwei Ziffern zerfallen, während eine analogeAufteilung im linken Diagramm nicht möglich ist.

Dieser Effekt ist es, welcher den Abzählprozess so kom-pliziert gestaltet. Es ist sicher gut vorstellbar, dass die Kom-plexität der hier vorgestellten Problematik mit wachsenderGittergröße rasant zunimmt. Eine allgemeine Formel ausdem obigen Vorfahren direkt abzuleiten, ist daher unmög-lich.

In Analogie zu Sudokus wollen wir zwei LateinischeQuadrate der Größe n� n wesentlich verschieden nennen,wenn sie nicht durch eine Hintereinanderausführung derfolgenden Operationen ineinander überführt werden kön-nen:

� Permutation der Ziffern von 1 bis n im gesamten Gitter;� Permutation der n Zeilen des Gitters;� Permutation der n Spalten des Gitters;� Drehungen und Spiegelungen des Gitters.

Da die von Sudokus bekannte Blockzerlegung nicht mehrvorliegt, sind hier sämtliche Zeilen- bzw. Spaltenpermuta-tionen erlaubt.

Für die Anzahl wesentlich verschiedener LateinischerQuadrate gilt das gleiche wie für die Anzahl LateinischerQuadrate allgemein: Die exakten Werte sind nur biseinschließlich nD 11 bekannt. So gibt es zum Bei-spiel 5.524.751.496.156.892.842.531.225.600 LateinischeQuadrate der Größe 9 � 9 und 377.597.570.964.258.816wesentlich verschiedene Lateinische Quadrate der gleichenGröße (also etwa 5;5 � 1027 bzw. 3;8 � 1017).

Page 137: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

124 Spiele, Rätsel, Zahlen

Minimale Vorgaben

Die Frage nach der minimalen Anzahl an Einträgen, die füreindeutige Lösbarkeit notwendig sind, ist ebenfalls nur fürkleine Werte gelöst und maschinell geprüft. Dabei man-gelt es nicht an Bemühungen; in diversen wissenschaftli-chen Veröffentlichungen werden bereits obere und untereSchranken genannt, welche allerdings nicht annähernd sopräzise sind, wie man vielleicht hoffen mag.

In Abb. 8.6 sind mehrere 5 � 5-Quadrate mit einigenvorgegebenen Ziffern gezeigt, die sich alle eindeutig zu ei-nem Lateinischen Quadrat ergänzen lassen. (Zufällig han-delt es sich bei der Vervollständigung in allen drei Fällen umdas gleiche Lateinische Quadrat.) Die Vorgaben im linkenoberen Quadrat sind nach einem offensichtlichen Mustereingetragen, welches sich auf beliebige Größen verallgemei-nern lässt. Es führt zu der Erkenntnis, dass bei einem n�n-Quadrat immer n�.n�1/

2 Vorgaben ausreichen können.Diese Schranke kann allerdings deutlich unterboten wer-

den. Man stellt beispielsweise leicht fest, dass dieses kon-krete Lateinische Quadrat eindeutig lösbar wird, wenn dieersten beiden Zeilen und Spalten vollständig gegeben sind.Die Vorgaben im rechten oberenQuadrat sind ausreichend,um diese Zeilen und Spalten zu liefern, und dadurch wirdder Rest der Lösung ebenfalls eindeutig.

Es ist deutlich schwerer, ein solches Muster ebenfalls aufandereGittergrößen zu verallgemeinern; wir werden in Kür-ze auf sehr ähnliche Problemstellungen zurückkommen. Zuberücksichtigen ist dabei, dass ein vergleichbares Muster al-lein, selbst wenn es perfekt ausgearbeitet ist, nie als Beweis

Page 138: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

8 Lateinische Quadrate 125

1

3 4

4 4 5

3

3 34

2

2

1543

1

1

2

2

3 34 4

Abb. 8.6 Eindeutig lösbare Lateinische Quadrate der Größe 5 � 5

dafür herhalten kann, dass eine bestimmte Anzahl an Vor-gaben das Minimum darstellt. Denn es ist immer möglich,dass schon eine geringere Anzahl genügt, welche sich nichtaus dem Muster ergibt.

Diesen Sachverhalt soll das dritte Gitter in Abb. 8.6 de-monstrieren. Hier sind nur sechs Einträge vorgegeben, undzwar nicht in Anlehnung an die Anordnungen in einem derbeiden anderen Gitter, sondern nach einem neuen Schema,und dennoch hat das zugehörige Rätsel eine eindeutige Lö-sung. Sechs Vorgaben stellen für Lateinische Quadrate derGröße 5 � 5 tatsächlich das Minimum dar.

Page 139: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

126 Spiele, Rätsel, Zahlen

Partielle Lateinische Quadrate

Sowohl in der Rätselwelt als auch in mathematischen Krei-sen wird die Fragestellung, unter welchen Umständen einerst teilweise gefülltes Lateinisches Quadrat eine (eindeuti-ge) Lösung besitzt, als interessant angesehen. Dazu gibt eszahlreiche Arbeiten, allerdings kaum umfassende Antwor-ten. Selbst für spezielle Situationen sind bisher relativ weni-ge Resultate bekannt.

Ein quadratisches Gitter, welches in einigen FeldernZahlen aus dem Intervall von 1 bis n enthält, so dass in kei-ner Zeile oder Spalte die gleiche Zahl mehrfach vorkommt,wird ein partielles Lateinisches Quadrat genannt. Ein uni-versell anwendbares und gleichzeitig einfach verständlichesKriterium zur Lösbarkeit von partiellen Lateinischen Qua-draten gibt es nicht und wird es wohl auch niemals geben;dazu sind diese Strukturen zu komplex.

Daher habenMathematiker begonnen, ausgewählte Spe-zialfälle zu analysieren. Zum Beispiel ist bekannt, dass einpartielles Lateinisches Quadrat der Größe n� n immer lös-bar ist, wenn höchstens n � 1 Einträge vorgegeben sind.Diese Aussage ist nicht besonders überraschend; unter dieserVoraussetzung kommt für jedes Feld mindestens ein candi-date in Frage, und es ist unmöglich, eine Konstellation zuerzeugen, in der irgendeine Zahl in einer Zeile oder Spaltesofort überhaupt keinen Platz mehr findet.

Klar ist weiterhin, dass ein partielles Lateinisches Qua-drat niemals eindeutig lösbar sein kann, wenn höchstensn � 2 Zahlen im Gitter stehen. Denn daraus folgt sofort,dass wenigstens zwei Zahlen aus dem Intervall von 1 bis n

Page 140: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

8 Lateinische Quadrate 127

überhaupt nicht gegeben sind; aus einer eventuell vorhan-denen Lösung kann man dann auf jeden Fall eine zweiteerzeugen, indem man zwei derartige Zahlen hernimmt undin der kompletten ersten Lösung gegeneinander austauscht.Folglich besitzen partielle Lateinische Quadrate mit so we-nigen Vorgaben immer mindestens zwei Lösungen.

Darüber hinaus sind alle partiellen LateinischenQuadra-te mit exakt n Vorgaben bekannt, die keine Lösung mehrbesitzen. Es handelt sich um genau diejenigen Konstellatio-nen, bei denen entweder ein Feld überhaupt keine candida-tesmehr besitzt oder in einer konkreten Zeile oder Spalte ei-ne bestimmte Zahl überhaupt keinen möglichen Platz mehrhat.

Wir wollen ein partielles Lateinisches Quadrat wider-sprüchlich nennen, wenn es trotz Einhaltung der Regeln beiden Vorgaben nicht zu einem vollständigen LateinischenQuadrat aufgefüllt werden kann. Verwenden wir wieder dieTerminologie der Sudokus, so besagt die Aussage im vori-gen Absatz im Prinzip, dass ein Widerspruch nur vorliegenkann, wenn er sich schon bei der Suche nach naked singlesoder hidden singles zeigt.

Ein naked single war, wie wir uns erinnern, einGitterfeld,in das nur noch ein einziger candidate passt; ein Wider-spruch bei der Anwendung dieser Technik wäre also ein Feldgänzlich ohne candidates. Unter einem hidden single verstan-den wir das Vorkommen einer Gitterzeile oder -spalte mitder Eigenschaft, dass eine bestimmte Zahl dort nur noch aneiner Stelle platziert werden kann; ein Widerspruch würdeauftreten, wenn wir eine Zeile bzw. eine Spalte finden, indie eine bestimmte Zahl überhaupt nicht mehr eingetragenwerden kann. Das zuvor vorgestellte Resultat bedeutet al-

Page 141: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

128 Spiele, Rätsel, Zahlen

1 2 3 5 4

34

4 2

1

Abb. 8.7 Partielle Lateinische Quadrate der Größe 5�5 mit genaufünf Vorgaben, die sich nicht vervollständigen lassen

so, dass diese beiden Arten vonWidersprüchen die einzigensind, die sich aus genau n Vorgaben bilden lassen.

Beide Situationen sind in Abb. 8.7 dargestellt. Im linkenGitter ist klar, dass die Zahl 4 nirgends in der obersten Zeileplatziert werden kann. Im rechten Gitter ist die andere ArtdesWiderspruchs zu sehen: Für dasGitterfeld in der rechtenoberen Ecke kommt keine einzige Zahl mehr in Frage.

Schon ab n C 1 Vorgaben (in beliebiger Anordnung) istdas Problem so unübersichtlich, dass kaum noch Bemühun-gen bestehen, dieWiderspruchssituationen zu klassifizieren.Stattdessen werden solche partiellen Lateinischen Quadrateauf Lösbarkeit – und gegebenenfalls auf Eindeutigkeit derLösung – untersucht, in denen die bereits bekannten Zah-len nach speziellen Mustern angeordnet sind, z. B. so, dasssie einen exakt rechteckigen Teilbereich des Gitters bildenoder dass der noch leere Bereich rechteckig ist.

Obwohl der Ausgangspunkt für die Nachforschungensicher nicht die logischen Rätsel waren, sind diese Fragestel-lungen in der Rätselwelt hochinteressant. Es ist nicht unüb-lich, dass bei Rätseln in Lateinischen Quadraten besondereZusatzbedingungen gestellt werden, die sich genau auf ein-

Page 142: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

8 Lateinische Quadrate 129

zelne Zeilen oder Spalten beziehen. Restriktionen arithme-tischer oder sonstiger Natur für die Anordnung der Zahlenin ausgewählten Zeilen bzw. Spalten kommen in diversenRätseltypen vor, wie es beispielweise bei dem Hochhausrät-sel in Abb. 8.3 der Fall ist.

Eine solche Restriktion allein kann, selbst wenn sie soinformativ wie nur möglich ist, niemals mehr als nur densicheren Inhalt einer einzigen Zeile oder Spalte des Gitterszur Folge haben. Anders gesagt, mit k Restriktionsvorga-ben können sich unmittelbar bestenfalls k Zeilen oder Spal-ten des Gitters eindeutig ergeben, und der Rest der Lösungfolgt, wenn überhaupt, nur aus der Standardregel für La-teinische Quadrate, dass keine Zeile oder Spalte eine Ziffermehrfach enthalten darf. Die Frage stellt sich nun, wie vieleZeilen- oder Spaltenrestriktionen dieser Art ein Rätsel min-destens enthalten muss, um eindeutig lösbar zu sein.

Lösbarkeit bei bestimmtenVorgabemustern

Eine abstraktere Formulierung wäre die folgende: Wenn ineinem partiellen Lateinischen Quadrat genau a Spalten undb Zeilen (mit 1 � a; b � n) komplett bekannt und keineweiteren Einträge vorgegeben sind, wie groß muss a C bmindestens sein, damit eine eindeutige Vervollständigungexistieren kann? Eng verwandt damit ist die Frage, wie großaCb höchstens sein darf, damit die Existenz vonmindestenseiner Lösung garantiert werden kann.

Page 143: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

130 Spiele, Rätsel, Zahlen

Für die folgenden Überlegungen soll vereinfacht ange-nommen werden, dass die Spalten immer von links begin-nend und die Zeilen von unten beginnend vorgegeben sind.Offenbar kann man das allgemeine Problem auf diesen Fallzurückführen, indem man die Zeilen und/oder die Spaltendes Gitters geeignet permutiert, was zu einer äquivalentenProblemstellung führt.

Wir wollen zunächst den Spezialfall bD 0 betrachten,d. h. in einem partiellen Lateinischen Quadrat sollen genaua Spalten vorgegeben und die restlichen Spalten leer sein.Unter diesen Umständen ist bereits bekannt, dass eine Lö-sung immer existiert, wenn a < n gilt. Sind z. B. in einemQuadrat der Größe 7 � 7 bis zu sechs Spalten mit Vorga-ben gefüllt, so lässt sich der Rest auf jeden Fall ergänzen.Es ist ersichtlich, dass im Fall a D n � 1 dann genau eineLösung existiert, und man stellt unschwer fest, dass es wie-derummehrere Lösungen geben muss, wenn a � n�2 gilt.(In dem Fall kann man – ähnlich wie bei dem Vorgehen mitZiffernpermutationen – aus einer bekannten Lösung weite-re erzeugen, indem man die Spalten vertauscht, die nochnicht vorgegeben waren.)

Der Existenzbeweis für Lösungen besitzt ein möglicher-weise überraschendes Maß an Abstraktion. Er verwendeteine Aussage aus der Graphentheorie und wurde erstmals1945 von dem amerikanischen Mathematiker MarshallHall veröffentlicht.

Der allgemeinere Fall, in dem a und b beide positiv sind,ist viel schwieriger zu behandeln. Er ist sogar so kompliziert,dass wiederum nur eine Handvoll allgemeiner Ergebnissebekannt sind. Die wenigen exakten Erkenntnisse, die zur

Page 144: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

8 Lateinische Quadrate 131

5 1

4 5

3 4

2 3 4 5 1

1 2 3 4 5

Abb. 8.8 Eindeutig lösbares partielles Lateinisches Quadrat derGröße 5 � 5 mit jeweils zwei vorgegebenen Zeilen und Spalten

Zeit vorliegen, funktionieren nur für kleine Werte von a, bbzw. n, und darüber hinaus sind wieder nur grobe Schran-ken bekannt.

Zur Veranschaulichung wollen wir uns ein ganz konkre-tes Lateinisches Quadrat ansehen. Wir schreiben in Spalte iund Zeile j – von links bzw. von unten gezählt – den EintragiC j, falls dieser nicht größer als n ist, andernfalls iC j � n.(Man kann sich leicht davon überzeugen, dass es sich wirk-lich um ein Lateinisches Quadrat handelt.) Dieses Quadratergibt sich bereits eindeutig aus den ersten a Spalten undden ersten b Spalten, wenn a C b D n � 1 gilt.

In Abb. 8.8 ist der Sachverhalt für die Werte nD 5 unda D b D 2 dargestellt. (Die Anordnung ist teilweise iden-tisch mit denen in Abb. 8.6 und führt zu genau der gleichenVervollständigung.) Zur Lösung sei angemerkt, dass sich inder ersten freien Zeile ganz rechts und in der ersten freienSpalte ganz oben zwei naked singles befinden, aus denen so-fort weitere folgen. Beginnt man an einer der beiden Stellen,dann ergeben sich ausgehend von dem jeweiligen Punkt dierestlichen Einträge, einer nach dem anderen – wie fallendeDominosteine.

Page 145: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

132 Spiele, Rätsel, Zahlen

5 4

4 5

3 1

2 3 1 5 4

1 2 3 4 5

Abb. 8.9 Unlösbares partielles Lateinisches Quadrat der Größe5 � 5 mit jeweils zwei vorgegebenen Zeilen und Spalten

Das gleiche Verfahren funktioniert für das analoge Latei-nische Quadrat in jeder beliebigen Gittergröße, solange dieBedingung a C b D n � 1 erfüllt bleibt. Für a D n � 1und bD 0 stößt man dabei auf die von Hall untersuchteSituation.

Man könnte auf die Idee kommen, dass generell n � 1der Schwellenwert für die Summe a C b ist, ab dem eineallgemeine Aussage zur (eindeutigen) Lösbarkeit dieses Pro-blems getroffen werden kann. Das ist jedoch ein Irrtum, wieAbb. 8.9 zeigt.

Schon eine geringe Umordnung der vorgegebenen Zif-fern bei den gleichenWerten für a und b führt dazu, dass daspartielle Lateinische Quadrat überhaupt keine Lösungmehrbesitzt. Konkret enthalten die beiden rechten Felder in derdritten Zeile nur den gleichen einzelnen candidate, nämlichdie Ziffer 2, was zu einem Widerspruch führt. Das Gleichegilt für die beiden oberen Felder in der dritten Spalte. ImGegensatz zu der weiter oben diskutierten Problematik beiinsgesamt genau n vorgegebenen Zahlen lassen sich hier an-scheinend Widersprüche konstruieren, die tiefer als nur inder Suche nach naked singles und hidden singles liegen.

Page 146: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

8 Lateinische Quadrate 133

8 6 7

7 8 6

6 7 8

5 1 2

4 5 1

3 4 5 1 2 8 6 7

2 3 4 5 1 7 8 6

1 2 3 4 5 6 7 8

Abb. 8.10 Unlösbares partielles Lateinisches Quadrat der Größe8 � 8 mit jeweils drei vorgegebenen Zeilen und Spalten

Der Wert n� 1 kann noch unterboten werden, wie manin Abb. 8.10 sieht. Hier sind zusammen nur n � 2 Zeilenund Spalten gefüllt, doch ähnlich wie im vorigen Beispielergibt sich aus den vorhandenen Einträgen schon ein Wi-derspruch. Insofern ist der Ausdruck n�1 als vermeintlicheSchranke nicht annähernd gut genug, um eine allgemeineAussage zur Lösbarkeit von partiellen Lateinischen Quadra-ten dieser Gestalt machen zu können.

Übrigens ist in dem Fall, dass sich eine Lösung findenlässt, deren Eindeutigkeit noch lange nicht selbstverständ-lich. Es existieren Lateinische Quadrate, bei denen selbstdann noch mehrere Lösungen existieren, wenn bis aufvier Einträge das Gitter vollständig gefüllt ist (siehe auchAbb. 7.3). Insofern kann man natürlich auch Beispiele kon-struieren, in denen die Beziehungen a D b D n � 2 unddamit a C b D 2n � 4 erfüllt sind, eine eindeutige Lösungjedoch nicht vorliegt.

Page 147: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

134 Spiele, Rätsel, Zahlen

Fortschritte bei der Suche nach allgemeinen Ausdrückenin Abhängigkeit von n werden äußerst schleppend erzielt.Im Jahr 2008 veröffentlichten die drei australischenMathe-matiker Adams, Bryant und Buchanan eine Arbeit, in dersie bewiesen, dass ein partielles Lateinisches Quadrat mitjeweils zwei vorgegebenen Zeilen und Spalten immer lösbarist, wenn n � 6 gilt.

Das Resultat ist insofern beachtlich, als es für unendlicheviele Werte von n gilt. Andererseits ist die Aussage leidernicht ohne deutlichen Zusatzaufwand auf größere Wertevon a und b übertragbar. Der Umstand, dass aus dem ge-samten Reich der natürlichen Zahlen der Fall a D b D 2der schwierigste erfolgreich behandelte Fall ist, unterstreichtnoch einmal die Komplexität der Probleme beim Umgangmit Lateinischen Quadraten.

Am Rande sei angemerkt, dass für eine weiter vornerwähnte, sehr ähnliche Problemstellung eine wesentlichpräzisere Aussage bekannt ist. Wenn ein partielles Lateini-schen Quadrat genau einen rechteckigen Vorgabenbereichder Breite a und der Höhe b (also mit a � b eingetragenenZahlen) enthält, so existiert genau dann eine Vervollstän-digung, wenn darunter jede Zahl von 1 bis n mindestens.a C b � n/-mal vorkommt.

Dieser Satz geht auf Herbert John Ryser zurück, einenamerikanischen Mathematiker des 20. Jahrhunderts, wel-cher sich hauptsächlich mit kombinatorischen Problemenbeschäftigte. Der Beweis wurde erstmals 1951 vorgestellt;er verallgemeinert Halls Resultat von 1945.

Nach dieser Erkenntnis kann zum Beispiel eine partiellesLateinisches Quadrat der Größe 5 � 5 stets vervollständigtwerden, wenn lediglich ein 2� 3-Bereich an Einträgen vor-

Page 148: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

8 Lateinische Quadrate 135

gegeben ist. Auch für größere Werte von a und b handeltsich noch um ein bemerkenswert geradliniges und leichtnachprüfbares Kriterium.

Dennoch, das sei hier noch einmal wiederholt, ist einallgemeines Kriterium für die (eindeutige) Lösbarkeit einespartiellen Lateinischen Quadrats schlicht undenkbar. Dieauf den vorangegangenen Seiten präsentierten Betrachtun-gen sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für einbeliebiges partielles Quadrat keine elementare Möglichkeitgibt, die Lösbarkeit zu überprüfen. Aus Sicht der Rätsel-freunde ist das auch gut so, denn sonst würden auf Lateini-schen Quadraten basierende Rätsel schnell langweilig wer-den.

Page 149: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

9Graphen und Färbungsrätsel

LateinischeQuadrate gehören zu den regelmäßigsten Struk-turen, die man in der Rätselwelt antrifft. Es ist sicher keinZufall, dass Mathematiker wie Euler schon LateinischeQuadrate untersucht haben, während andere Strukturenmit dem Potenzial für interessante Rätsel weniger Aufmerk-samkeit erregten. Dass dies aber nicht absolut gilt, soll derInhalt dieses Kapitels zeigen.

Es gibt diverse logische Rätsel, die mit den Sudokus undden Lateinischen Quadraten überraschend stark verwandtsind, wenn man sich erst einmal die Mühe macht, sie miteinem hinreichend großen Maß an Abstraktion zu analy-sieren. Das kann relevant sein, wenn man versucht, Com-puterprogramme zum Erstellen und Lösen entsprechenderRätsel zu schreiben; es stellt sich dann nämlich heraus, dassdie gleichen Programme mit geringfügigen Modifikationenauch für die Bearbeitung der verwandten Rätselarten taug-lich sind.

Für alle weiteren Betrachtungen sollen die LateinischenQuadrate, mit denen wir uns zuvor beschäftigt haben, le-diglich als Ausgangspunkt dienen. Unser Ziel ist es, aus ih-nen eine allgemeinere Problemklasse abzuleiten. Auch wennkonkret die Lateinischen Quadrate bei logischen Rätseln ei-ne besonders prominente Rolle spielen, ergibt sich daraus

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1_9,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 150: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

138 Spiele, Rätsel, Zahlen

derWeg zu abstrakteren Fragestellungen, welche für sich ge-nommen sehr interessant sein können.

Die Vierfarbenvermutung

Im Jahr 1852 versuchte Francis Guthrie, ein Mathematik-student in London, eine Karte der Grafschaften von Eng-land so einzufärben, dass keine zwei benachbarten Graf-schaften in der gleichen Farbe abgebildet sind. Er stelltefest, dass dafür vier verschiedene Farben ausreichend sind.Von dieser simplen Erkenntnis angestachelt, untersuchte erweitere Landkarten, um in Erfahrung zu bringen, ob diesimmer der Fall sei.

Bei seinen Recherchen fand Guthrie keine Karte, in dermehr als vier Farben vonnöten waren, um eine Färbung mitder im vorigen Absatz genannten Eigenschaft zu finden. Erstellte daraufhin die Hypothese auf, dass generell vier Far-ben ausreichend seien. Es gelang ihm nicht, einen Beweiszu finden, und so reichte er das Problem an seinen ProfessorAugustus DeMorgan weiter. Selbiger war ein sehr angesehe-ner Mathematiker, der in seinem Leben zahlreiche wichtigeBeiträge auf diversen mathematischen Teilgebieten leistete,doch auch ihm gelang es nicht, eine Lösung für GuthriesProblem zu finden.

De Morgan gab das Problem ebenfalls weiter, und inden folgenden Jahrzehnten wurden mehrere Beweise ver-öffentlicht, die sich jedoch alle als fehlerhaft herausstellten.Zumindest konnte 1890 bewiesen werden, dass fünf Farbenauf jeden Fall ausreichend sind; im Vergleich zu der analo-gen Aussage für vier Farben ist der Beweis dafür sehr einfach.

Page 151: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

9 Graphen und Färbungsrätsel 139

Die Suche nach dem Beweis für vier Farben dauerte bisin die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Dannfanden die beidenMathematiker Kenneth Appel undWolf-gang Haken einen Weg, die Behauptung auf die separateUntersuchung einer endlichen Anzahl an Konstellationenvon Ländern auf einer Karte zurückzuführen. Letztlich ve-rifizierte ein Computer, dass in keiner der Konstellationenmehr als vier Farben benötigt werden. Das Vorgehen sorg-te in Mathematikerkreisen für Furore; es war das erste Mal,dass ein Computer substantiell an der Beweisführung einermathematischen Aussage beteiligt war. Bis heute ist kein ele-mentarer Beweis für die Vierfarbenvermutung bekannt.

Was hat das alles nun mit Rätseln zu tun? Nun, dieProblemstellung, eine Landkarte unter den genannten Be-dingungen einzufärben, kann als logisches Rätsel angesehenwerden. Denn unter der – vernünftigen – Annahme, dassaus der gegebenen Darstellung einer Karte einwandfrei her-vorgeht, welche Länder zueinander benachbart sind, ist dieAufgabenstellung objektiv und ohne Interpretationsspiel-raum.

Erwähnenswert ist, dass bei der Problemstellung meh-rere vereinfachende Annahmen getroffen werden, welche,wenn schon keine praktische, zumindest theoretische Rele-vanz besitzen. Zunächst müsste eigentlich festgelegt werden,ob es sich um ebene Landkarten oder um Landkarten aufeiner anderen Fläche handelt, z. B. auf der Oberfläche ei-ner Kugel oder eines Torus. Da für Karten auf einer Ebeneoder einer Kugeloberfläche (einem Globus, dem praktischrelevanten Fall) effektiv die gleichen Resultate gelten, wirddieser Aspekt üblicherweise ignoriert.

Page 152: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

140 Spiele, Rätsel, Zahlen

Weiterhin sollte sicher gestellt werden, dass jedes Landeine zusammenhängende Fläche besitzt. Das ist in der Rea-lität bei Weitem nicht immer gegeben. Auf einer Europa-oder Weltkarte lassen sich diverse Gegenbeispiele finden,d. h. Länder mit Besitzungen, die nicht mit dem Rest desLandes verbunden sind. Zu Russland gehört eine Exklavezwischen Polen und Litauen, Gibraltar wird zuweilen alszum Vereinigten Königreich gehörig betrachtet, kleinereTeile von Südamerika sind offiziell französisches Staats-gebiet. Zufällig beeinflussen die aufgeführten Fälle nichtdie Korrektheit der Vierfarbenaussage, theoretisch könnenjedoch durch unzusammenhängende Landgebiete Gegen-beispiele konstruiert werden, die eine beliebig große Anzahlan Farben erforderlich machen.

Zuletzt muss die nur aus mathematischer Sicht wesentli-che Annahme getroffen werden, dass sich zwei Länder nichtgenau in einem Punkt berühren dürfen. Das mag trivialklingen, aber wenn man sich beispielsweise eine kreisrundeTorte vorstellt, welche durch Radien in eine beliebige An-zahl an Stücken zerlegt wird, so berührt jedes Tortenstückjedes andere im Mittelpunkt des Kreises; folglich müsste je-dem Stück eine andere Farbe zugeordnet werden. Sobaldman für ein Grenzstück im Sinne der Aufgabenstellung for-dert, dass es eine echt positive Länge besitzen muss, tretenhier keine Schwierigkeiten mehr auf.

Graphen und Färbungsprobleme

Um das Einfärben von Landkarten sauber behandeln zukönnen, wollen wir ein nützliches mathematisches Objekt

Page 153: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

9 Graphen und Färbungsrätsel 141

heranziehen: einenGraphen. Ein Graph besteht definitions-gemäß aus einer endlichen Menge, deren Elemente Knotengenannt werden, sowie einer ebenfalls endlichen Mengeaus Nachbarschaftsbeziehungen zwischen jeweils zwei Kno-ten; eine solche Beziehung wird als Kante bezeichnet. Inpraktischen Anwendungen werden Graphen oft als ebeneZeichnungen visualisiert, wobei die Knoten durch Punkteoder Kreise symbolisiert werden und jede Kante durch dasEinzeichnen einer (nicht notwendigerweise gerade verlau-fenden) Verbindungslinie zwischen den jeweiligen Knotendargestellt wird.

Je nachdem, welche Anwendung im Vordergrund steht,wird die Definition eines Graphen gelegentlich modifiziert,was die Kanten angeht. In der abstraktesten Form sind zweiKnoten entweder benachbart oder nicht benachbart, dasheißt zwischen zwei fest gewählten Knoten verläuft ent-weder genau eine oder überhaupt keine Kante. Mitunterwird jedoch zugelassen, dass zwischen zwei Knoten mehre-re Kanten existieren. Darüber hinaus kann die Definitiondahingehend abgeändert werden, dass Nachbarschaft kei-ne symmetrische, sondern eine einseitige Beziehung ist;die Verbindungslinien, welche den Kanten entsprechen,werden dann mit einem Pfeil versehen. Hinsichtlich Land-kartenfärbungen sind die letzteren Punkte ohne Bedeutung.

Ausgehend von einer Landkarte kann man einen Gra-phen definieren, indem man für jedes Land einen Knotenzeichnet und jeweils zwei Länder, die aneinandergren-zen, durch eine Kante verbindet. Anstelle der Länder sinddann die Knoten des erhaltenen Graphen zu färben. Da-durch wird das ursprüngliche Einfärbungsproblem auf ein

Page 154: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

142 Spiele, Rätsel, Zahlen

graphentheoretisches Problem zurückgeführt, und mathe-matische Methoden können zur Anwendung kommen.

(Es sollte erwähnt werden, dass Knotenfärbungen nureines von vielen Problemen sind, mit denen sich die Gra-phentheorie beschäftigt. Neben diversen anderen Fragensind auch Kantenfärbungen von Interesse. Da sie im Zu-sammenhang mit Rätseln selten vorkommen, wollen wirdarauf nicht weiter eingehen. Weiterhin lohnt es sich an-zumerken, dass weder Rätselfreunde noch Mathematiker,die sich mit der Graphentheorie beschäftigen, regelmäßigmit einer Tasche voller Buntstifte herumlaufen. Es ist üb-lich, anstelle von verschiedenen Farben eine Markierungder Knoten mit den Zahlen 1 bis n zu verwenden, wobei ndie Anzahl zulässiger Farben ist. Trotzdem spricht manbei theoretischen Betrachtungen oft von den Farben derKnoten.)

Ein Graph, der sich auf die eben beschriebene Weise er-gibt, hat eine besondere Eigenschaft: Die Kanten können soeingezeichnet werden, dass sie sich nicht gegenseitig kreu-zen. Ein Graph mit dieser Eigenschaft wird planar genannt.Bei Weitem nicht jeder Graph ist planar; der polnische Ma-thematiker Kazimierz Kuratowski fand 1930 ein Kriteriumfür die Planarität eines Graphen, auf das wir in Kürze zu-rückkommen.

Der Graph, welcher aus genau fünf Knoten besteht, vondenen jeder zu jedem anderen benachbart ist (siehe die linkeFigur in Abb. 9.1), ist nicht planar; damit ist gemeint, dassauch eine Umordnung der Knoten und der Kanten – soferndie Nachbarschaftsbeziehungen erhalten bleiben – nicht zueiner Darstellung ohne Überschneidung der Kanten führen

Page 155: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

9 Graphen und Färbungsrätsel 143

Abb. 9.1 Zwei nicht planare Graphen

kann. Gleichzeitig ist klar, dass dieser Graph nicht mit vierFarben eingefärbt werden kann.

Die graphentheoretische Version der Vierfarbenaussagebesagt, dass jeder planare Graph eine Einfärbung seinerKnoten mit vier Farben gestattet, so dass keine zwei gleichgefärbten Knoten durch eine Kante verbunden sind. Be-achtenswert ist, dass die Umkehrung nicht gilt: Es gibtGraphen, welche nicht planar sind, für die jedoch eine ent-sprechende Färbung existiert. Der rechte Graph in Abb. 9.1ist ebenfalls nicht planar, für ihn genügen jedoch bereitszwei Farben!

Kuratowskis Kriterium besagt, dass die beiden Exempla-re in Abb. 9.1 im Wesentlichen die einzigen Gegenbeispie-le zur Planarität darstellen. Genauer gesagt ist ein Graphplanar, wenn er keine dieser beiden Figuren enthält, wobeidas „Enthaltensein“ eines Graphen in einem anderen nochpräziser definiert werden müsste. So sind zum Beispiel alleGraphen mit mehr als fünf Knoten, von denen jeder zu je-dembenachbart ist, ebenfalls nicht planar.Denn andernfallsmüsste es auch eine planare Darstellung des kleineren Gra-

Page 156: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

144 Spiele, Rätsel, Zahlen

phen geben, bei dem nur fünf seiner Knoten berücksichtigtwerden – dies ist jedoch nicht der Fall.

Graphenrätsel als Verallgemeinerung

Ein quadratisches Gitter kann auf geradlinige Weise zu ei-nem Graphen umgestaltet werden: Jedes Feld entspricht ei-nem Knoten, und zwischen zwei Knoten liegt genau danneine Kante, wenn die entsprechenden Felder in der gleichenZeile oder in der gleichen Spalte liegen. Die Aufgabe, einpartielles Lateinisches Quadrat zu vervollständigen, kannsomit als Färbungsproblem auf einemGraphen interpretiertwerden, wobei die Gittergröße der Anzahl der Farben ent-spricht.

Ebenso können Sudokus in die Gestalt von Graphen-rätseln überführt werden. Dazu müssen lediglich ein paarzusätzliche Kanten eingezeichnet werden, nämlich zwischensolchen Knoten, die Gitterfeldern innerhalb der gleichenBlöcke entsprechen. In Abb. 9.2 ist der Graph zu sehen, wel-cher zu einem Sudoku-Gitter der Größe 4�4 (mit Blöckender Größe 2 � 2) gehört.

Bei Rätseln ist es weitestgehend üblich, die ursprünglicheGitterform beizubehalten. Die zugehörigen Graphen sindäußerst unübersichtlich; man kann sich sicher vorstellen,wie chaotisch der Graph aussehen würde, welcher aus einem9 � 9-Sudoku abgeleitet werden kann. Dazu kommt noch,dass Zusatzbedingungen, wie beispielsweise bei den Rätselnin Abb. 8.2 und in Abb. 8.3, in den quadratischen Gitterndeutlich leichter darstellbar sind. Nichtsdestoweniger sindFärbungsrätsel auf Graphen eine vernünftige Verallgemei-

Page 157: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

9 Graphen und Färbungsrätsel 145

Abb. 9.2 Graphendarstellung eines Sudokus

nerung der in den vorigen Kapiteln betrachteten Rätselar-ten.

Die entsprechenden Rätsel, gelegentlich auch Landkar-tenrätsel oder ähnlich genannt, sind bei Meisterschaftennicht ganz so oft wie andere Rätselarten anzutreffen, siehaben aber ihre Berechtigung. Beim Anblick eines Fär-bungsrätsels inGraphengestaltmag der Eindruck entstehen,dass sie kaum interessante Lösungstechniken gestatten.Mankönnte denken, dass das Lösen eines solchen Rätsels imWe-sentlichen darin besteht, immer wieder ungefärbte Knotenzu suchen, die bereits zu Knoten in drei verschiedenen Far-ben benachbart sind, und diesen dann die jeweils vierteFarbe zuzuordnen.

Das trifft jedoch bei Weitem nicht zu. Dieses Vorgehenentspricht nur den naked singles, die wir bei den Sudokuskennengelernt haben; die komplizierteren Techniken lassensich ebenso aus Sudoku-Gittern auf die zugehörigen Gra-

Page 158: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

146 Spiele, Rätsel, Zahlen

Abb. 9.3 Graphendarstellung der sechzehn BundesländerDeutschlands

phen übertragen. Allerdings ist es leider so, dass dieGraphenfür die praktische Anwendung derselben reichlich ungeeig-net sind, und deswegen wird bei Rätselwettbewerben dieGitterdarstellung bevorzugt.

Insofern ist die Graphendarstellung eigentlich nur sinn-voll, wenn derGraph nicht von einem regelmäßig aufgebau-ten Gitter abgeleitet werden kann. Solche Rätsel werden inder Praxis seltener erstellt.

In Abb. 9.3 ist die AufteilungDeutschlands in seine sech-zehn Bundesländer als Graph dargestellt. Die Abbildungverdeutlicht unter anderem, warum willkürlich gewählteLandkarten als Rätsel wenig taugen. Nehmen wir an, eswird die Aufgabe gestellt, eine Knotenfärbung mit vier Far-ben zu finden, so dass keine zwei gleichfarbigen Knotenzueinander benachbart sind.

Einmal abgesehen von Niedersachen mit seinen neunNachbarländern und einigen anderen zentral gelegenen

Page 159: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

9 Graphen und Färbungsrätsel 147

Bundesländern haben viele der Länder recht wenige Nach-barn. Das Saarland, Bremen und Berlin grenzen nur jeweilsan ein einziges Nachbarland. Wenn man die Farbe dieserLänder nicht vorgibt, so wird sie sich auch nicht eindeu-tig aus der Färbung des restlichen Graphen ergeben. Dasgleiche gilt für Hamburg mit nur zwei Nachbarländern; dieFarbe jedes Knotens, welcher nicht mindestens drei Nach-barn besitzt, muss in dem Rätsel bereits fixiert sein, dennsonst hätte man mindestens zwei Möglichkeiten, eine Farbezu wählen.

Um ein eindeutiges Rätsel mit n Farben zu erhalten (hiernD 4), müssen wenigstens n�1 Farben von Anfang an vor-gegeben sein. Andernfalls, dieses Argument hatten wir beiden Lateinischen Quadraten schon gesehen, könnte manaus einer Lösung eine weitere erhalten, indem man eine ge-eignete Permutation der Farben auf dem gesamten Graphendurchführt.

Auf dem Deutschland-Graphen müssten die Farben dervier zuvor genannten Knoten also Startvorgaben sein, aberman kann sich leicht davon überzeugen, dass das nicht aus-reicht. Bei einem spontanen Test fand ich eine Kombinationvon Farbvorgaben für sieben der sechzehn Knoten, die dieEindeutigkeit der restlichen Färbung implizierte. Generellwerden bei Graphen mit so wenigen Nachbarschaftsbezie-hungen (beispielsweise im Vergleich zu dem Graphen inAbb. 9.3) so viele Vorgaben benötigt, dass der Rest als Rätselnicht mehr interessant ist.

Die Frage, für welche Landkarten drei Farben genügen,hatten wir bis jetzt außer Acht gelassen. Beim oberflächli-chen Betrachten einer Karte ist es nicht immer leicht, soforteine Antwort zu geben. Findet man vier Länder, die sich

Page 160: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

148 Spiele, Rätsel, Zahlen

paarweise berühren, so folgt daraus unmittelbar, dass auchvier Farben benötigt werden. Es gibt aber auch noch einpaar kompliziertere Formationen, welche die gleiche Kon-sequenz haben.

Der Deutschland-Graph enthält eine solche Formation.Wir betrachten den Knoten, welcher dem BundeslandThü-ringen entspricht (zweite Reihe von unten, zweiter Kreis vonrechts). Dieser besitzt fünf Nachbarn, welche gleichzeitigringartig miteinander verbunden sind.

Angenommen, es gäbe eine Einfärbung mit lediglichdrei Farben. Thüringen selbst würde eine davon bekom-men, und jedes der Nachbarländer müsste in einer derbeiden anderen Farben eingefärbt werden. Das ist jedochnicht möglich, da der besagte Ring aus einer ungeradenAnzahl von Ländern besteht.

Das Argument soll veranschaulichen, dass selbst auf un-regelmäßigen und potenziell unübersichtlichen Graphenein paar Techniken zum Einsatz kommen können, die überdas bloße Suchen nach naked singles hinausgehen. Bei Land-kartenrätseln sind solche und ähnliche Konstellationenmeistens wesentlich für einen logischen Lösungsprozess.

Exact Cover und Dancing Links

Wir wollen uns als Nächstes der Frage widmen, wie man ef-fiziente Programme zum Lösen von Sudokus, LateinischenQuadraten und auch allgemein Färbungsrätseln auf Gra-phen schreiben kann. In Kap. 7 waren wir bereits auf grund-sätzliche Ideen eingegangen, der Fokus soll jetzt mehr aufden zugrunde liegenden Datenstrukturen liegen.

Page 161: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

9 Graphen und Färbungsrätsel 149

Bevor wir damit beginnen, soll ganz klar zum Ausdruckgebracht werden, dass die hier vorgestellteMethode nur einevon vielen ist. Im Gegensatz zu den in Kap. 7 diskutier-ten Vorgehensweisen ist hierbei auch nicht von Interesse,ob der von Computern beschrittene Weg für menschlicheLöser nachvollziehbar ist; es geht nur darum, ein technischeinwandfreies Programm zur Bestimmung aller Lösungender entsprechenden Rätsel zu beschreiben.

Als Ausgangspunkt soll eine Rätselart dienen, die unterdem englischen Namen Exact Cover (Exakte Überdeckung)bekannt ist. Dabei handelt es sich streng genommen nichtnur um ein logisches Rätsel, sondern um eine Problemstel-lung mit vielfältigen Anwendungen bei Fragen algorithmi-scher Programmierung.

Hierbei ist eine rechteckige Tabelle gegeben, deren Ein-träge ausschließlich Nullen und Einsen sind. Das Ziel ist es,eine beliebige Anzahl von Zeilen derart auszuwählen, dassinnerhalb dieser Zeilen in jeder Spalte der Tabelle genau ei-ne Eins steht. Die Größe der Tabelle ist im Prinzip keinerleiEinschränkungen unterworfen. Ein eher kleines Exemplarist in Abb. 9.4 zu sehen.

Wie bei den meisten Rätseltypen lassen sich sowohl reinlogisch lösbare als auch schwer zugängliche Exemplare kon-struieren. Ein Programm, welches keine logischen Schluss-techniken beherrscht, sollte wenigstens in der Lage sein, diePrüfung aller in Frage kommenden Zeilenkombinationenmöglichst schnell zu bewältigen. Tatsächlich gibt es hier-für einen effizienten Algorithmus, mit dem ein Computerdas Problem selbst dann noch in vernünftiger Zeit lösenkann, wenn die Tabellengröße über das Fassungsvermögenmenschlicher Löser weit hinausgeht.

Page 162: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

150 Spiele, Rätsel, Zahlen

0 1 0 0 1 0

0 1 0 1 0 0

0 0 1 0 0 0

0 0 0 0 1 1

1 0 0 0 0 1

0 1 0 0 0 0

1 0 1 0 1 0

0 1 0 1 1 0

Abb. 9.4 Exact Cover: Finden Sie eine Auswahl von Zeilen der Ta-belle, so dass innerhalb dieser Auswahl jede Tabellenspalte genaueine Eins enthält

Rein abstrakt besteht der Algorithmus im Wesentlichenaus einer zielstrebigen Fallunterscheidung. Dabei wird je-weils eine Zeile der Tabelle ausgewählt; gleichzeitig werdenin Gedanken alle Zeilen eliminiert, die mit der ausgewähl-ten eine „Kollision“ verursachen, d. h. die in der gleichenSpalte wie die gewählte Zeile eine Eins besitzen. Aus denrestlichen Zeilen wird dann erneut eine ausgewählt, und soweiter. Dieser Schritt muss natürlich so oft wiederholt wer-den, bis man alle Möglichkeiten geprüft hat.

Das Vorgehen wird nach Donald Knuth, einem derherausragendsten Informatiker der Welt, als Knuth’s Algo-rithm X bezeichnet. In einer Veröffentlichung im Jahr 2000stellte Knuth eine Implementierung des Algorithmus vor,welche den Namen Dancing Links (etwa: Tanzende Ver-knüpfungen) trägt.

Das entscheidende Element hierbei ist die Wahl der Da-tenstruktur zur Durchführung der besagten Fallunterschei-

Page 163: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

9 Graphen und Färbungsrätsel 151

dung. Sinngemäß betrachtet man nur die Einsen der Ta-belle und stattet jede von ihnen mit Zeigerstrukturen aus,die auf die nächstliegenden Einsen in allen vier Richtungenzeigen. Insbesondere kann man beispielsweise die Kollisio-nen zwischen Zeilen sehr schnell ermitteln, indem man vonden Einsen einer Zeile einfach nach oben bzw. unten denZeigern folgt. Die Umsetzung der Fallunterscheidung zurLösung des Exact-Cover-Problems besteht nun in einer ge-eigneten Abarbeitung des gesamten Konstrukts, wobei dieZeigerverknüpfungen immer wieder abgelaufen (und dabeiimmer wieder neu gesetzt) werden.

Übrigens gab Knuth selbst an, dass das Verfahren bereits1979 von den japanischen Wissenschaftlern Hirosi Hito-tumatu und Kohei Noshita entwickelt worden war. Sudo-kus waren damals noch nicht populär, stattdessen wurdeder Algorithmus zur Bearbeitung diverser anderer logisch-mathematischer Problemstellungen wie z. B. des Acht-Da-men-Problems (auf einem Schachbrett sollen acht Damenso platziert werden, dass sie sich nicht gegenseitig bedrohen)genutzt.

Programmierung von Färbungsrätseln

Das Problem, ein partielles Lateinisches Quadrat (LQ) zuvervollständigen, lässt sich elegant in das Exact-Cover-Pro-blem überführen. Zur Erklärung des Verfahrens gehen wirzunächst davon aus, dass in dem Gitter keine einzige Zahlsteht. Dann erstellen wir eine Tabelle mit Nullen und Ein-sen wie folgt (im Folgenden bezeichne die Variable n dieGröße des Quadrats):

Page 164: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

152 Spiele, Rätsel, Zahlen

� Die Tabelle soll n3 Zeilen besitzen. Jede Zeile hat eineBedeutung der Form: „In dem Feld mit den Koordinaten.x; y/ steht die Zahl z“, wobei die Variablen x, y und zjeweils die Werte von 1 bis n durchlaufen.

� Die Tabelle soll 3 � n2 Spalten besitzen, aufgeteilt in dreiGruppen zu je n2 Spalten. Jede Spalte hat eine Bedeutungvon einer der drei folgenden Formen: „Das Feld mit denKoordinaten .x; y/ enthält eine Zahl“ oder „In der Spal-te x (des LQ) kommt die Zahl z vor“ oder „In der Zeile y(des LQ) kommt die Zahl z vor“.

� Jede Zeile der Tabelle enthält drei Einsen, nämlich ge-nau in den drei Spalten, deren Bedeutungsaussage jeweilsaus der Beschriftung der entsprechenden Zeile impliziertwird.

Eine Lösung dieses speziellen Exact-Cover-Problems liefertsofort auch ein Lateinisches Quadrat. Um das zu erkennen,stellen wir uns vor, dass eine Auswahl von Zeilen der Ta-belle getroffen worden ist. Die Bedeutung der ausgewähltenZeilen gemäß der obigen Auflistung entspricht einerMengevon ins Gitter eingetragenen Zahlen.

Wenn jede Tabellenspalte der ersten Gruppe genau ei-ne Eins enthält, so bedeutet das nichts anderes, als dass injedes Gitterfeld genau eine Zahl eingetragen wurde. Die Be-dingung, dass in der Auswahl jede Spalte der zweiten undder dritten Gruppe ebenfalls genau eine Eins enthält, stelltsicher, dass jede Zahl von 1 bis n genau einmal pro Zeileund pro Spalte vorkommt, dass es sich also wirklich um einLateinisches Quadrat handelt.

Page 165: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

9 Graphen und Färbungsrätsel 153

Bei einem partiellen Lateinischen Quadrat sind einigeEinträge bereits vorgegeben. Das entspricht einer Vor-auswahl von manchen Tabellenzeilen. Das Exact-Cover-Problem unter den Vorgaben kann essentiell mit dem glei-chen Verfahren gelöst werden. Das Programm zum Lösenpartieller Lateinischer Quadrate besteht somit aus zwei Tei-len: der Erstellung der Tabelle und dem Dancing-Links-Algorithmus.

Für Sudokus ist das Vorgehen nahezu identisch. Die Ta-belle muss noch um eine zusätzliche Gruppe von Spaltenergänzt werden; jede ihrer Spalten trägt die Bedeutung, dasseiner der 3 � 3-Blöcke (bzw. in anderer Größe, wenn dasAusgangsrätsel kein 9 � 9-Gitter ist) eine bestimmte Zahlenthält. In jeder Zeile der Tabelle stehen dann vier Einsen.

Wenn man sich vor Augen hält, inwiefern Färbungsrät-sel auf Graphen eine Verallgemeinerung von LateinischenQuadraten darstellen, wird auch ersichtlich, wie der Lö-sungsalgorithmus verallgemeinert werden kann. Sind einGraph mit a Knoten und b Kanten sowie eine Anzahl vonn Farben gegeben, so wird zuerst ausgehend von dem Gra-phen die Tabelle wie folgt erzeugt:

� Die Tabelle soll a � n Zeilen besitzen. Jede Zeile hat eineBedeutung der Form: „Der Knoten x besitzt die Farbe z“,wobei x die Knotenmenge und z die Liste der zulässigenFarben durchläuft.

� Die Tabelle soll a C b � n Spalten besitzen, aufgeteilt inzwei Gruppen. Jede Spalte hat eine Bedeutung von einerder zwei folgenden Formen: „Der Knoten x ist mit einerFarbe versehen“ oder „Einer der beidenKnoten, zwischendenen die Kante y verläuft, besitzt die Farbe z“.

Page 166: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

154 Spiele, Rätsel, Zahlen

� Wie zuvor werden die Einsen an denjenigen Stellen in derTabelle gesetzt, wo die Bedeutung der Zeile die der Spalteimpliziert.

Gesucht ist nun eine Lösung eines leicht abgeänderten Pro-blems, nämlich eine Auswahl von Zeilen, so dass innerhalbder Auswahl in jeder Spalte der ersten Gruppe genau ei-ne Eins und in jeder Spalte der zweiten Gruppe höchstenseine Eins vorkommt. Wie es der Zufall so will, kann derDancing-Links-Algorithmus auch die modifizierte Problem-stellung schnell und effizient bearbeiten.

Ein klassisches Sudoku führt gemäß dem gerade vor-gestellten Verfahren zu einer Tabelle mit 729 Zeilen und324 Spalten. Ein Exact-Cover-Rätsel dieser Größenordnungist für Menschen geradezu hoffnungslos, im maschinellenMaßstab aber lediglich eine Fingerübung. Ein herkömmli-cher PC kann mit einem derartigen Programm ein Sudokuin weniger als einer Sekunde lösen.

In der Rätselwelt kann eine beachtlich große Zahl vonRätseln auf ein Exact- Cover-Problem zurückgeführt wer-den. Der Aufwand dafür ist unterschiedlich groß; je regel-mäßiger die Ausgangsstrukturen sind – und ein LateinischesQuadrat steht weit oben auf dieser Liste –, umso leichter istes, die benötigte Tabelle aus Einsen und Nullen zu erstel-len. Selbst zahlreiche Rätselarten, die völlig anderer Naturals die bisher vorgestellten sind, lassen sich mit einem ähnli-chen Algorithmus bearbeiten. Im nächsten Kapitel werdenwir uns einen Eindruck davon verschaffen, was es sonst nochfür logische Rätsel gibt.

Page 167: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

10Weitere Arten

logischer RätselNachdem wir uns in den letzten Kapiteln nur mit sehr spe-ziellen Rätseltypen beschäftigt haben, wollen wir jetzt eineetwas breitere Übersicht über die diversen Arten logischerRätsel präsentieren. Dazu sollte gleich vorweg gesagt wer-den, dass es angesichts der bereits bestehenden Rätselvielfaltschlicht unmöglich ist, eine vollständige Klassifikation zugeben. Auf den nächsten Seiten sind lediglich die wichtigs-ten Klassen von Rätseln aufgelistet.

Der Rätselverein Logic Masters Deutschland führt nebenanderen Dingen auf seiner Homepage eine sehr ähnlicheÜbersicht, die PuzzleWiki, mit einer Beschreibung sehr vie-ler Rätselarten, welche bei vergangenen Wettbewerben zumEinsatz kamen. Sie ist unter wiki.logic-masters.de zu finden.Dort sind bereits über 400 Rätselarten aufgelistet, und dieZahl wächst ständig an.

Die Namen, welche wir im Folgenden verwenden, sindübrigens nicht als offiziell anzusehen. Wir nutzen die Be-zeichnungen lediglich, um einen Eindruck davon zu ver-mitteln, was die diversen Rätselarten gemeinsam haben bzw.was sie unterscheidet.

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1_10,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 168: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

156 Spiele, Rätsel, Zahlen

Füllrätsel

Zunächst wollen wir uns auf Rätselarten beschränken, dieauf einem vorgegebenen, mehr oder weniger regelmäßigaufgebauten Rätselgitter gestellt werden. Bei zahlreichenRätseln besteht die Aufgabe darin, Zahlen aus einer festvorgegebenen Auswahlmenge in das Gitter einzutragen, sodass bestimmte Bedingungen erfüllt sind.

Diese Bedingungen haben in einigen Fällen (wenn auchbei Weitem nicht in allen) die Gestalt, dass in den Zei-len und Spalten jede Zahl genau einmal, mindestens oderhöchstens einmal vorkommenmuss. Die LateinischenQua-drate waren ein Spezialfall dieses Aufgabentyps, und esscheint nicht notwendig, noch ein Beispiel aus dieser Kate-gorie zu geben.

Wir wollen diese Rätsel als Füllrätsel bezeichnen. DieZielstellung, das Gitter mit Zahlen – oder gegebenenfallsauch anderen Symbolen, beispielsweise Buchstaben – aus-zufüllen, ist eine sehr leicht verständliche und als solcheeine der typischsten in der Rätselwelt. Die Verwendung vonZahlen hat den nahe liegenden Vorteil, dass man die zuvorgenannten Bedingungen mit anderen, arithmetischen Re-geln kombinieren kann. Das Killer-Sudoku in Abb. 7.4 istein exzellentes Beispiel.

Abhängig davon, wie intensiv man auf der Regelmäßig-keit des vorgegebenenGitters besteht, können auch dieGra-phenrätsel aus dem vorigen Kapitel als Füllrätsel eingeord-net werden. Die meisten in der Praxis anzutreffenden Rätselbasieren dennoch auf einem Gitter mit quadratischen Fel-dern, was ganz nebenbei den Vorteil hat, dass sie sowohl

Page 169: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

10 Weitere Arten logischer Rätsel 157

Abb. 10.1 Hakyuu: Tragen Sie in jedes Feld eine Zahl so ein, dassjedes Gebiet die Zahlen von 1 bis zur Größe des Gebiets jeweilsgenau einmal enthält. Zwischen zwei gleichen Zahlen in der glei-chen Zeile oder Spalte sollen sich dabei mindestens so viele Felderbefinden, wie die Zahl vorgibt, also mindestens ein Feld zwischenzwei Einsen, mindestens zwei Felder zwischen zwei Zweien usw.

mit Computerprogrammen als auch per Hand (auf karier-tem Papier) besonders leicht gezeichnet werden können.

In Abb. 10.1 ist ein sehr seltener Füllrätseltyp zu sehen,das Hakyuu (gelegentlich auch mit dem englischen NamenRipple Effect bezeichnet). In diesemRätsel gibt es keine prin-zipiellen Vorgaben, welche Zahlen genau in jeder Zeile bzw.Spalte vorkommen müssen, aber stattdessen eine Regel, un-ter welchen Umständen Zahlenwiederholungen in Zeilenbzw. Spalten erlaubt sind, und die Bedingung, welche Zah-len in jedem der Gebiete erscheinen müssen.

Was diese Rätselart auszeichnet, ist die Tatsache, dass dieverschiedenen einzutragenden Zahlen nicht „gleichberech-tigt“ sind. In den Kap. 7 und 8 wurde dargelegt, dass sichaus der Lösung eines Sudokus oder allgemeiner eines La-teinischen Quadrats eine neue ergibt, wenn man auf demvollständigen Lösungsgitter eine Ziffernpermutation durch-

Page 170: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

158 Spiele, Rätsel, Zahlen

3 2

3 2

3 2

Abb. 10.2 Infektion: Tragen Sie in jedes Feld eine Zahl ein,welche genau die Anzahl verschiedener Zahlen in den Nachbar-feldern angibt. Zwei Felder gelten dabei als benachbart, wenn siewaagerecht oder senkrecht aneinandergrenzen und keine dickeTrennlinie dazwischenliegt

führt. Das ist hier nicht der Fall; es liegt eine interessanteUnsymmetrie vor, die – wie im Beispiel in Abb. 10.1 zusehen ist – dazu führt, dass solche Rätsel schon eindeutiglösbar sein können, wenn keine einzige Zahl im Gitter vor-gegeben ist.

Eine weitere Rätselart mit dieser Eigenschaft, Infektion(siehe Abb. 10.2), erfand ich im Rahmen einer Rätselwett-bewerbsserie 2013. Im Gegensatz zu den Sudokus sind diebeiden Rätselarten deutlich stärker gewöhnungsbedürftigund besitzen daher ohne entsprechende Vorbereitung einerelativ hohe Schwierigkeit.

Inzwischen sind eine große Anzahl von Füllrätseln be-kannt, wobei die meisten davon auf Lateinischen Quadra-ten aufbauen, zum Beispiel die weiter vorn erwähnten diver-sen Sudoku-Varianten. Andererseits gibt es, wie das Rätselin Abb. 10.2 demonstriert, immer noch genug Potenzial fürneue Ideen.

Page 171: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

10 Weitere Arten logischer Rätsel 159

Platzierungsrätsel

Wir wenden uns von den Füllrätseln ab und einer ande-ren Klasse logischer Rätsel zu, den Platzierungsrätseln. Wieder Name schon nahe legt, geht es hier darum, in einemRätselgitter eine Menge vorgegebener Objekte zu platzie-ren. Die restlichen Gitterfelder bleiben dabei frei, was einenwesentlichen Unterschied zu den zuvor betrachteten Rät-seln darstellt.

Der Umstand, dass ein Großteil der Gitterfelder leerbleibt, hat einen beträchtlichen Einfluss auf die Heran-gehensweise. Die bei Füllrätseln für jedes Feld separat zubeantwortende Frage, welches Symbol dort einzutragen ist,manifestiert sich direkt in ein paar elementaren Lösungs-techniken wie z. B. der Menge der candidates. Ein solchesVorgehen ist bei Platzierungsrätseln völlig unüblich (mankönnte auch sagen, nutzlos). Vielmehr zeichnet der Lö-ser mitunter dünn die in Frage kommenden Positionender Objekte ein und streicht diejenigen Felder deutlich ab,welche garantiert frei bleiben müssen.

Mit dem Doppelstern in Abb. 6.3 hatten wir im Einlei-tungskapitel bereits einen Vertreter dieser Rätselklasse ken-nengelernt. Ein weiteres Rätsel, welches ganz eng mit demComputerspielMinesweeper verwandt ist, ist dasMinenrät-sel (siehe Abb. 10.3).

Die Regeln beim Rätsel und beim Computerspiel un-terscheiden sich eigentlich nur dahingehend, dass der Löserbei Letzterem die Chance hat, weitere Felder anzuklicken,um zusätzliche Zahlen aufzudecken – allerdingsmit der Ge-fahr, das Spiel zu verlieren, wenn es sich um ein Minenfeld

Page 172: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

160 Spiele, Rätsel, Zahlen

2 4 2 2

33

3 3 5

23

5 1 4

32

3 2 6

42

3 1 1 2

Abb. 10.3 Minenrätsel: Färben Sie einige Felder schwarz, so dassjede Zahl angibt, wie viele der waagerecht, senkrecht und dia-gonal benachbarten Felder geschwärzt sind. Zahlenfelder dürfennicht geschwärzt werden

handelt. Bei dem Rätsel sind die Zahlen von vornherein soausgewählt, dass sich die Lösung bereits eindeutig ergibt.

Wie schon bei dem Doppelstern besteht die verbreiteteNotation von Rätsellösern nicht darin, die gesuchten Fel-der schwarz einzufärben, sondern sie stattdessen auf andereWeise zu markieren, vielleicht wieder durch einen Stern.(Nur ein eher geringer Teil der Löser zeichnet allerdingswirklich Minen.) Auf gedruckten Exemplaren, in denen dieZielfelder bereits gegeben sind, z. B. in einem Anleitungs-beispiel, findet man üblicherweise tatsächlich kleine Minenabgebildet. Generell werden in computergenerierten Grafi-ken bei Platzierungsrätseln anstelle von Schwarzfeldern oftkleineObjekte gezeichnet, die auf die genaueNatur des Rät-sels hinweisen sollen.

Page 173: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

10 Weitere Arten logischer Rätsel 161

1 3 1 3 4 2 1 1 2 2

1 ~~ ~~4 ~~ ~~3 ~~ ~~ ~~ ~~1 ~~1

1

1 ~~3 ~~ ~~ ~~ ~~4 ~~ ~~1 ~~ ~~

Abb. 10.4 Flottenrätsel: Platzieren Sie die rechts abgebildetenSchiffe waagerecht oder senkrecht im Gitter. Für jede Zeile undSpalte ist die Anzahl der darin anzuordnenden Schiffssegmenteam Rand vorgegeben. Felder, die zu verschiedenen Schiffen gehö-ren, dürfen einander nicht berühren, auch nicht diagonal. Die imGitter bereits markierten Wasserfelder müssen frei bleiben

Nicht in allen Platzierungsrätseln sind die verstecktenObjekte genau ein Feld groß. In der nächsten Rätselart, wel-che ebenfalls einem bekannten Spiel – Schiffe versenken –nachempfunden ist, sind Zielobjekte verschiedener Größengesucht (siehe Abb. 10.4).

Bei den Platzierungsrätseln sind ebenfalls schon unheim-lich viele Arten bekannt. Häufig geben die Regeln dabei vor,inwiefern die zu platzierenden Objekte zueinander benach-bart liegen dürfen, wie viele Objekte in den Zeilen und denSpalten (oder in anderen ausgewählten Regionen des Git-ters) liegen müssen, und Ähnliches.

Page 174: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

162 Spiele, Rätsel, Zahlen

Schwarzfärberätsel

In der nächsten Klasse von Rätseln geht es erneut darum,Gitterfelder schwarz zu färben. Der Name ist möglicher-weise irreführend, denn die Rätsel sind nicht unmittelbarmit den Färbungsrätseln auf Graphen verwandt, die wir imKap. 9 eingeführt hatten.

Im Englischen wird für Schwarzfärberätsel gelegent-lich die Bezeichnung shading puzzles verwendet, abgeleitetvon dem Verb to shade, was soviel wie „schattieren“ oder„verdunkeln“ bedeutet, aber im Kontext von Rätseln pro-blemlos auch für „schwärzen“ verwendet werden kann. Diewörtliche Übersetzung „Schattierungsrätsel“ ließe jedochzu wünschen übrig.

In Abb. 10.5 ist ein sehr häufig anzutreffender Vertre-ter zu sehen, das Nurikabe. (Es handelt sich wiederum umden japanischen Namen, welcher sich mittlerweile für die-se Rätselart durchgesetzt hat. Früher wurde gelegentlich derName „Inselrätsel“ verwendet, der sich daraus ergab, dassdie zusammenhängenden Regionen weißer Felder als Inselnbezeichnet wurden.)

Eine exakte Grenze zwischen den Schwarzfärberät-seln und den Platzierungsrätseln lässt sich schwer finden,insbesondere wenn man bei den Letzteren die Zielobjek-te ebenfalls durch das Einzeichnen von Schwarzfeldernmarkiert. In den Schwarzfärberätseln ist es jedoch typi-scherweise so, dass die schwarzen Felder konkrete Formenoder Muster bilden oder dass zumindest große schwarzeBereiche entstehen, welche eine besondere regeltechnischeRelevanz besitzen. In diversen Rätseln dieser Klasse wird

Page 175: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

10 Weitere Arten logischer Rätsel 163

3 3

3 3

3

4 4

4 4

Abb. 10.5 Nurikabe: Färben Sie einige Felder schwarz, so dass dieSchwarzfelder einen zusammenhängenden Bereich bilden. Kein2�2-Quadrat darf ausschließlich aus schwarzen Feldern bestehen.Jeder zusammenhängende Bereich von weißen Feldern soll ge-nau eine Zahl enthalten, welche die Größe dieses Bereichs angibt.(Ein Bereich heißt hierbei „zusammenhängend“, wenn man vonjedem seiner Felder zu jedem anderen durch eine Kombinationwaagerechter und senkrechter Schritte gelangen kann; diagonaleBerührungen sind dafür als nicht ausreichend anzusehen)

explizit gefordert, dass die schwarzen (bzw. mitunter dieweißen) Felder zusammenhängen, wodurch sich diese Rät-sel stark von den Platzierungsrätseln abheben.

Zerlegungsrätsel

Wenn man in dem Nurikabe die Lösungsnotation (bei an-gepasster Formulierung der Aufgabenstellung) dahingehendverändert, dass man lediglich die Trennlinien zwischen denSchwarzfeldern und den Inseln einzeichnet, so ändert sichder Charakter des Rätsel scheinbar vollständig; das Ziel be-

Page 176: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

164 Spiele, Rätsel, Zahlen

steht dann darin, das Gitter entlang derGitterlinien inmeh-rere Teilbereiche zu zerlegen, welche bestimmte Zusatzbe-dingungen erfüllen. Derartige Rätsel werden Zerlegungsrät-sel genannt.

Das Sikaku aus Abb. 6.2 fällt zweifellos in die Kategorieder Zerlegungsrätsel. Es ist übrigens nicht zwingend, abersehr oft der Fall, dass bei den Zerlegungsrätseln alle entste-henden Regionen durch die Regeln gleichberechtigt sind.Das Nurikabe weicht von diesem Prinzip ab, da die aus denSchwarzfeldern entstehende Region ersichtlich einen Son-derstatus besitzt. Vielleicht ist das auch der Grund, warumsich das Schwärzen von Feldern beim Nurikabe als verbrei-tete Lösungsnotation durchgesetzt hat.

Die Herangehensweise an ein logisches Rätsel kann üb-rigens durch eine veränderte Notation durchaus beeinflusstwerden. Zwar handelt es sich rein abstrakt gesehen immernoch um das gleiche Rätsel, doch die Notation beeinflusstdieWahrnehmung des Lösers für logische Zusammenhängeim Gitter und damit die Art der Lösungsschritte, die er ver-wenden wird. In der Rätselszene gibt es diverse Rätselarten,bei denen die Löser unterschiedliche Notationen verwen-den. Ausgenommen sind davon hauptsächlich die Füllrätsel,bei denen die Darstellung der Lösung durch die Vorgabe derin Frage kommenden Symbole diktiert wird.

Zerlegungsrätsel sind in der Rätselwelt insgesamt nichtganz so oft wie Rätsel der anderen Klassen anzutreffen, siekönnen jedoch ihren eigenen Reiz besitzen. Abbildung 10.6zeigt eine weitere interessante Rätselart aus dieser Familie.Man beachte, dass im Gegensatz zum Sikaku hier die For-men, die bei der Zerlegung entstehen dürfen, nicht exakt

Page 177: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

10 Weitere Arten logischer Rätsel 165

Abb. 10.6 Galaxien: Zerlegen Sie das Gitter entlang der Gitter-linien so in Teilbereiche, dass jeder Bereich genau einen Kreisenthält und punktsymmetrisch bezüglich dieses Kreises geformtist (d. h. nach einer Drehung um 180° unverändert aussieht)

vorgegeben sind, sondern nur prinzipiell durch die Regelneingegrenzt werden.

Eine Aufgabenstellung, die früher häufiger anzutreffenwar, in jüngster Vergangenheit allerdings kaum noch beiWettbewerben vorkam, bestand darin, eine gegebene Figurin eine feste Anzahl kongruenter kleinerer Figuren zu zer-legen. Üblicherweise war die Ausgangsfigur unregelmäßiggeformt, setzte sich jedoch in der Regel aus kleinen Qua-draten oder ähnlichen Standardbausteinen zusammen.

Solche Rätsel kann man in vielen Fällen intuitiv meis-tern, sie gestatten jedoch kaum rein logische Lösungstech-niken. Im Rahmen der ständigen Weiterentwicklung derRätselmeisterschaften mag dieser Aspekt ursächlich für dasallmähliche Aussterben dieser Rätselart sein.

Page 178: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

166 Spiele, Rätsel, Zahlen

Streckenzugrätsel

Wir gehen wieder einen Schritt weiter und kommen zu ei-ner anderen Klasse logischer Rätsel, die mit den vorigenrelativ wenig gemeinsam hat – abgesehen davon, dass sietypischerweise auf einem ähnlichen Rätselgitter basiert. Esgeht um Rätsel, die manchmal als Wegerätsel bezeichnetwurden; der Name Streckenzugrätsel scheint aber in vieler-lei Hinsicht passender zu sein.

In den besagten Rätseln geht es darum, Streckenzüge insGitter einzuzeichnen – eine Formulierung, welche wohl ei-ner genaueren Erklärung bedarf. Die Zielstellung zu verste-hen, wird möglicherweise am einfachsten, wenn man einpaar Unterklassen unterscheidet.

In einer einfachen Version besteht die Aufgabenstellungdes Rätsels darin, zwei fest vorgegebene Punkte auf demGitter (wir können sie „Start“ und „Ziel“ nennen) durcheinen zusammenhängenden Pfad zu verbinden, wie es bei-spielsweise bei einem schlichten Labyrinth der Fall ist. ReineLabyrinthe sind allerdings, was den logischen Faktor angeht,zu schlicht und kommen daher nahezu niemals bei Rätsel-wettbewerben vor.

In einem Labyrinthrätsel werden deshalb zusätzlicheAnforderungen gestellt, beispielsweise dass eine Auswahlvon Zwischenstationen in einer bestimmten Reihenfolgepassiert werden muss. Je nach Beschaffenheit der Zusatz-bedingungen können die Rätsel dann sogar einen sehrerheblichen logischen Anteil besitzen, dennoch sind Laby-rinthe extrem selten bei Meisterschaften anzutreffen.

Page 179: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

10 Weitere Arten logischer Rätsel 167

2 1 0 2

3 1 1 3

0 3 3 3

2 1 2 0

2 3 1 0

2 1 2 2

Abb. 10.7 Rundweg: Zeichnen Sie entlang der gestricheltenLinien einen geschlossenen und zusammenhängenden Strecken-zug ein, der sich nicht selbst berühren oder kreuzen darf. JedeZahl im Gitter gibt an, wie viele der direkt angrenzenden Kantenvon dem Streckenzug verwendet werden

In anderen Rätseln geht es darum, einen geschlossenenStreckenzug einzuzeichnen, ohne dass konkrete Ausgangs-punkte oder Zwischenstationen vorgegeben sind. DieseRätsel sind von den Labyrinthrätseln sehr verschiedenund bei Rätselmeisterschaften deutlich populärer. Abbil-dung 10.7 zeigt eine solche Rätselart, den Rundweg . (DerBegriff „Rundweg“ kommt in den Anleitungen ähnlicherRätseltypen ebenfalls häufig vor, und in der Rätselszenewird die Namensgebung als unglücklich angesehen.)

In der englischsprachigen Rätselwelt wird ein Rundwegmit den Regeln wie in Abb. 10.7 als Slitherlink (wörtlich et-wa: gleitende Verbindung) genannt, es gab auch schon dieBezeichnung Fences (Zäune), was vielleicht am ehesten einesinnvolle Namensgebung ist. Dennoch haben sich die we-niger aussagekräftigen Namen am stärksten durchgesetzt.

Page 180: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

168 Spiele, Rätsel, Zahlen

B

E B D

A C

D

F

F A

C E

Abb. 10.8 Arukone: Zeichnen Sie waagerecht und senkrecht ver-laufende Streckenzüge von Feld zu Feld ein, welche genau diePaare gleicher Buchstaben miteinander verbinden. Kein Feld darfdabei von mehr als einem Streckenzug durchzogen werden

Eine dritte Form der Aufgabenstellung im Zusammen-hang mit Streckenzugrätseln wird in Abb. 10.8 gezeigt. Indem entsprechenden Rätsel müssen mehrere separate Stre-ckenzüge ins Gitter eingezeichnet werden. Naheliegender-weise werden Rätsel dieser Art gelegentlich Verbindungsrät-sel genannt. Wir weisen aber noch einmal darauf hin, dassdie Bezeichnungen in diesem Kapitel keinen universellenStandard in der Rätselszene darstellen.

Andere Gitterformen undweitere Rätselarten

Schon weiter vorn hatten wir angedeutet, dass nicht jedesRätsel auf einem quadratischen Gitter basieren muss. Dassquadratische Grundformen verwendet werden, hat – ne-

Page 181: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

10 Weitere Arten logischer Rätsel 169

ben praktischen Gründen – auch ästhetische Hintergrün-de. Rätselfreunde sind sehr angetan von Rätseln, die nebenkniffligen Lösungswegen auch noch ein attraktives Äußeresbesitzen. In der Hinsicht sind regelmäßig aufgebaute Gitternatürlich leichter zu handhaben.

Aus rätseltechnischer Sicht gibt es aber vergleichsweisewenige Gründe, warum ausgerechnet ein quadratisches Git-ter benötigt wird. In ein paar Fällen (z. B. bei LateinischenQuadraten) sind Worte wie „Zeile“, „Spalte“ oder ähnlicheBegriffe unentbehrlich, um die Anleitungen sauber zu for-mulieren. Die meisten anderen Rätselarten könnten abergenauso gut auf anderen Gittern existieren.

Wenn wir an Füll-, Platzierungs-, Zerlegungs- und Stre-ckenzugrätsel denken, ist häufig ein bestimmter Aspekt un-verzichtbar, nämlich die Frage, unter welchen Umständenzwei Gitterfelder als benachbart gelten. Dieser Begriff lässtsich jedoch allgemeiner auf Gittern mit beliebigen Polygo-nen als Feldern definieren: Je nach Rätselart können dannwahlweise zwei Felder benachbart heißen, wenn sie ein Kan-tenstück oder mindestens einen Eckpunkt gemeinsam ha-ben.

Dass es selbst im Reich der Füllrätsel viel Spielraum fürmögliche Gitterformen gibt, mögen die beiden Rätsel inAbb. 10.9 und in Abb. 10.10 demonstrieren. Das erste Rät-sel verwendet ein Sechseckgitter (reguläre Sechsecke gehö-ren zu den Formen, mit denen sich eine Ebene komplettüberdecken lässt). Im zweiten Rätsel ist zwar ein zugrun-de liegendes Quadratgitter zu erkennen, die Felder bestehenteilweise jedoch aus mehreren Quadraten und sind folglichunterschiedlich groß. Für diese Art des Gitters ist in der Rät-selwelt keine einheitliche Bezeichnung bekannt; ich habe

Page 182: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

170 Spiele, Rätsel, Zahlen

1

7

2 3

1

2 3 6

5

Abb. 10.9 Hexagonal-Rätsel: Tragen Sie die Ziffern 1 bis 7 so ein,dass keine Reihe (in einer der drei möglichen Ausrichtungen) eineZiffer mehrfach enthält

3

4

1

2

Abb. 10.10 Schrulliges Quadrat: Tragen Sie die Ziffern 1 bis 5 soein, dass jede der Ziffern in jeder Zeile und jeder Spalte genau ein-mal vorkommt. In Gebiete, die über mehrere Zeilen oder Spaltenreichen, soll dabei nur eine Ziffer eingetragen werden; die ent-sprechende Ziffer soll jedoch als in jeder dieser Zeilen bzw. Spaltenenthalten gelten

Page 183: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

10 Weitere Arten logischer Rätsel 171

in diesem Kontext schon den Begriff der „Felderkomplexe“verwendet, in englischen Beschreibungen bin ich vereinzeltauf das Adjektiv wacky (schrullig) gestoßen.

Zu guter Letzt gibt es eine Reihe von Rätseln, die über-haupt nichts mit Rätselgittern zu tun haben. Es lassen sichbeispielsweise Problemstellungen kombinatorischer Naturfinden, die rein logisch zu beantworten sind und insofernzu den logischen Rätseln gezählt werden könnten. Das Skat-problem, das in Kap. 8 eine kurze Erwähnung fand, würdezu dieser Problemklasse gehören. In der Welt logischer Rät-sel finden solche Aufgaben aber in der Regel keine Berück-sichtigung. Warum ist das so?

Das Ziel von Anhängern logischer Rätsel ist es (unterAnderem), ihre Fähigkeiten im Rätsellösen kontinuierlichzu verbessern. Dazu ist es hilfreich – obgleich nicht unbe-dingt notwendig –, wenn wiederholt verschiedene Rätse-lexemplare mit den gleichen Anleitungen erstellt werden.Wird ein Rätsellöser wieder und wieder mit Rätseln mitidentischen Regeln konfrontiert, so hat er die Chance, sichneue Lösungstechniken anzueignen und dadurch (und na-türlich auch mit zunehmender Praxis) immer besser zu wer-den.

Kombinatorische Aufgaben wie die zuvor erwähnte for-dern zwar auch das logische Denken des Lösers heraus,jedoch in einer anderen Form. Einmal abgesehen davon,dass man gewisse Parameter (bei dem Skatproblem zumBeispiel die Anzahl der betrachteten Spielkarten) variierenkann, bleiben solche Probleme nur kurzweilig, wenn siein immer neuen Gewändern auf einer grundsätzlicherenEbene gestellt werden. Damit verhalten sie sich allerdings

Page 184: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

172 Spiele, Rätsel, Zahlen

anders, als es von den meisten Lösern in der Rätselszenegewünscht wird.

Im Prinzip läuft es daraus hinaus, dass jede solche kombi-natorische Aufgabe ihre eigene Rätselart darstellt. Zwar gibtes ein paar Problemstellungen, die sich nur in Kleinigkeiten(z. B. der Anzahl der Spielkarten bei Kartenspielproblemen)unterscheiden, doch im Normalfall muss man die Aufgabeund alle relevanten Parameter jedes Mal neu formulieren,damit keine Missverständnisse aufkommen.

Genau da liegt nun der Reiz von Sudokus und den vielenanderen Arten logischer Rätsel: Wenn man erst einmal dieRegeln aufgenommen und verstanden hat, kann man im-mer wieder Rätselexemplare mit den gleichen Regeln lösen,ohne sich jedes Mal neu in das Problem hineindenken zumüssen.

Es gibt, das sollte nicht unterschlagen werden, einige an-erkannte logische Rätselarten ohne Gitter. In vielen Fällenbasieren solche Rätsel auf arithmetischen Grundelementen,und einer der bekanntesten Rätseltypen ist in Abb. 10.11dargestellt. Das Symbolrechnen ist unter verschiedenen Na-men bekannt, z. B. wird es manchmal Alphametik genannt;in anderen Quellen steht dieser Begriff für eine etwas grö-ßere Klasse von Rätseln.

Mitunter werden beim Symbolrechnen Buchstaben alsSymbole verwendet, die so ausgewählt sind, dass sich lustigeWortkombinationen ergeben. Rätsel mit diesem zusätzli-chen Anspruch sind jedoch sehr schwer zu erstellen. Dazukommt noch, dass es nicht leicht ist, komplexe Lösungs-schritte in den Lösungsweg einzubauen; in der Praxis hateine ziemlich große Anzahl an Alphametikrätseln die Ei-genschaft, dass sie nur schwer logisch zu lösen sind, dafür

Page 185: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

10 Weitere Arten logischer Rätsel 173

Abb. 10.11 Symbolrechnen: Ersetzen Sie die Symbole durch Zif-fern, so dass eine korrekt gelöste Gleichung entsteht. Dabeistehen gleiche Symbole für gleiche Ziffern, unterschiedliche Sym-bole für unterschiedliche Ziffern

umso leichter durch Probieren. Das macht den Rätseltypeher unattraktiv für Rätselwettbewerbe.

Bastelrätsel

Eine besondere Rätselgattung, die noch Erwähnung findensollte, sind die sogenannten Bastelrätsel (englisch: manipu-lative puzzles). Mit diesem Begriff werden im Grunde ge-nommen alle logischen Rätsel bezeichnet, bei denen die Lö-ser wesentlich mit ihren Händen arbeiten, d. h. nicht nurihre Lösung mit einem Bleistift eintragen bzw. einzeichnenmüssen.

Bei manchen dieser Rätsel geht es darum, aus vorgegebe-nen „Bausteinen“ eine bestimmte Form zusammenzusetzen– ungefähr so wie es bei einem Puzzle (im herkömmlichenSinne) der Fall ist, allerdings mit etwas größerem logischenGehalt; das Tangram ist ein bekanntes Beispiel. Gelegent-lich sind die Aufgabenstellungen sogar dreidimensionaler

Page 186: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

174 Spiele, Rätsel, Zahlen

Natur. Besonders populär in diesem Kontext sind der Zau-berwürfel (auch unter der englischen Bezeichnung Rubik’sCube bekannt) und der Soma-Würfel . Beide sind inzwischenallerdings so verbreitet, dass sie sich nicht mehr für Rätsel-meisterschaften eignen.

Stattdessen versuchen die Organisatoren von Meister-schaften, neue Kreationen zu entwerfen. Das Ziel ist dabeinicht primär, ein Kultspiel wie den Rubik-Würfel zu ent-wickeln, welches die Löser noch jahrelang reizt, sonderneinfach nur eine geistige Herausforderung für diesen einenWettbewerb zu schaffen. Schon ein sehr schlichtes Rätselkann die Teilnehmer verzücken. Häufig orientieren sich dieRätsel von den Regeln her an solchen, die auf Papier zulösen sind. In besonders simplen Fällen bestand ein Meis-terschaftsrätsel einfach nur darin, ein Stück Papier in einegegebene Zielform zu falten.

Rundenmit Bastelrätseln können sehr kuriose Erlebnisseliefern. Deutlich in Erinnerung geblieben ist mir die Deut-sche Meisterschaft 2006, in der eine Runde mit drei Bas-telrätseln vorkam. Bei einem der Rätsel bekamen die Teil-nehmer einen Umschlag mit neun Tetris-Steinen, welcheaus Würfeln in insgesamt sechs verschiedenen Farben zu-sammengesetzt waren. Die Aufgabe bestand darin, aus denSteinen ein 6 � 6-Quadrat so zu formen, dass jede Farbein jeder Zeile und jeder Spalte genau einmal vertreten war– ein Lateinisches Quadrat also.

Die Teilnehmer kamen fast alle halbwegs gut mit demRätsel zurecht; einer jedoch schaffte es partout nicht, einQuadrat mit den gewünschten Eigenschaften zu bilden.Nachdem die Rundenzeit abgelaufen war, schaute er zu-fällig noch einmal in den Umschlag und siehe da: Darin

Page 187: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

10 Weitere Arten logischer Rätsel 175

fand sich tatsächlich noch einer der Tetris-Steine! Er hatteversehentlich versucht, das Quadrat aus nur acht Steinenzusammenzulegen . . .

Natürlich ist das ein Ausnahmefall; Aussetzer dieser Artsind eher eine Seltenheit. Bastelrätsel sind insgesamt we-niger häufig bei Wettbewerben anzutreffen, da ihre Her-stellung normalerweise schwieriger ist. Andererseits sind siedort sehr gern gesehen, da sie den Teilnehmern etwas Auf-lockerung und Abwechslung bieten. In vielen der vergange-nen Deutschen Rätselmeisterschaften und Rätselweltmeis-terschaften kamen Runden mit Bastelrätseln vor.

Damit endet unsere Übersicht über die Rätselklassen, aufdie man bei Meisterschaften stoßen kann. Trotz der Ver-schiedenartigkeit der Rätsel auf den vorangegangenen Sei-ten sollte klar sein, dass wir hinsichtlich der Vielfalt in derWelt logischer Rätsel nur an der Oberfläche gekratzt haben.Mittlerweile gibt es so viele Arten von Rätseln, dass es nie-mals möglich sein wird, sie alle sinnvoll aufzulisten.

Wie ein biologisches System ist die Rätselwelt ein wach-sendes, sich ständig veränderndes Gebilde. Rätselartenwerden neu erfunden, andere geraten in Vergessenheit undsterben quasi aus. Die Rätselautoren sind permanent auf derSuche nach neuen Kreationen, mit denen sie die Löserbegeistern können; die Rätsellöser finden immer neue Tech-niken zum Lösen der von den Autoren bereitgestelltenProdukte. Eins ist sicher: Die Rätselwelt wird für ihre Fansin absehbarer Zeit nicht langweilig werden.

Page 188: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

11Kooperatives Rätsellösen

Bevor wir uns endgültig von den logischen Rätseln abwen-den, folgt noch eine letzte Betrachtung imKontext von Rät-seln aus einer gänzlich anderen Sichtweise. Bei Rätselwelt-meisterschaften gibt es nicht nur eine Individualwertung,bei der die besten Einzelteilnehmer ermittelt werden, son-dern auch eine Mannschaftswertung, wobei Mannschaftenjeweils aus vier Startern der gleichen Nation bestehen. IndieseWertung gehen die vier Resultate der einzelnen Team-mitglieder ein, zusätzlich aber auch speziell angelegte Team-runden. Dies sorgt für einen interessanteren Mannschafts-wettstreit und wird insofern generell als positives Elementbei den Meisterschaften angesehen.

Teamrunden können einen völlig unterschiedlichenCharakter haben. In einer besonders einfachen Variantesitzen alle Mitglieder eines Teams zusammen am selbenTisch und müssen eine Reihe von unabhängigen Einzel-rätseln lösen. Die „Strategie“ jedes Teams besteht dann inder Zuordnung, wer welches Rätsel löst (naturgemäß ha-ben Rätselfreunde bestimmte Vorlieben bei den diversenvorkommenden Rätselarten und ebenso bestimmte Abnei-gungen). Innerhalb des Teams sollte sichergestellt werden,dass jeder Teilnehmer nur Rätsel bekommt, die er erstensgern löst und die er zweitens auch gut und schnell lösen

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1_11,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 189: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

178 Spiele, Rätsel, Zahlen

kann – soweit das in der Gesamtauswahl der Rätsel dieserRunde eben möglich ist.

Da sich die Teammitglieder in der Regel sehr gut kennen,ist nicht davon auszugehen, dass es bei der teaminternenRätselzuteilung Probleme gibt. Derartige Runden sind da-her noch vergleichsweise harmloser Natur, was Gehalt undSpannung des Teamwettbewerbs angeht. Es gibt jedochauch kreativere Rundenmodelle, welche komplexere Ele-mente sowohl des individuellen als auch des gemeinsamenRätsellösens enthalten.

Teamrunden bei Meisterschaften

Bei der Rätsel-WM 2003 wurde eine Teamrunde namensThe weakest link (Das schwächste Glied) eingeführt, welchesehr populär war und seitdem noch mehrmals in weiterenMeisterschaften vorkam. Hierbei wird vorgeschrieben, dasszunächst jedes Teammitglied separat ein Rätsel (oder even-tuell auch mehrere) lösen muss; erst wenn alle vier Einzel-starter ihre Aufgabe erfolgreich bewältigt haben, dürfen sienoch an ein letztes, gemeinsam zu lösendes Rätsel herange-hen.

Der Name von diesem Rundenmodus ist natürlich dar-auf zurückzuführen, dass das Teamergebnis – die gemeinsa-me Lösungszeit – entscheidend vom schwächsten Löser imTeam abhängt. Die Regeln haben mitunter schon zu ku-riosen Resultaten geführt, wenn ein eigentlich erfahrenerRätsellöser mit einer Individualleistung unter seiner Erwar-tung das ganze Team herunterzieht. In einem Fall wurdesogar berichtet, dass ein Teilnehmer, der sein Einzelrätsel in

Page 190: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

11 Kooperatives Rätsellösen 179

der gesamten Wettbewerbszeit nicht lösen konnte (weswe-gen das gemeinsame Rätsel gar nicht erst begonnen werdendurfte), seine Federmappe frustriert durch den gesamtenVeranstaltungssaal warf.

Derart emotionale Reaktionen sind natürlich eher selten.Insgesamt dienen solche Rundenkreationen wesentlich zurAuflockerung von Rätselmeisterschaften. Denn im Gegen-satz zu den Einzelrunden, welche mit großen Klausurwett-bewerben zu vergleichen sind, bringen Teamrunden einendeutlich höheren Unterhaltungsfaktor ins Spiel.

Es gibt noch zahlreiche andere Arten von Teamwettbe-werben; sehr oft versuchen die Rätselautoren bei Meister-schaften, innovative Ideen in diesem Kontext zu entwickelnund in Form konkreter Rätsel umzusetzen. Manchmal be-steht eine Teamrunde aus nur sehr wenigen Rätseln, die aberso groß sind, dass sie den kollektiven Einsatz aller Teammit-glieder beim Lösen erfordern (im Extremfall nur aus einemeinzigen Rätsel). In anderen Fällen sind diverse Einzelrätselvorgegeben, die regeltechnisch so miteinander verbundensind, dass sie die wiederholte Abstimmung oder zumindestKommunikation der Teammitglieder untereinander erfor-dern.

In Abb. 11.1 ist eine Kreation der letztgenannten Art zusehen. Die Runde, welche bei der Rätselweltmeisterschaft2013 zum Einsatz kam, bestand aus acht Rätseln auf gleichgroßen Rätselgittern, welche aber jeweils nur halbiert vor-gegeben waren, und die Löser mussten die Rätsel erst zu-sammensetzen, bevor sie sie lösen konnten. Als zusätzlicheSchikane waren die Bruchstücke der Rätselgitter nicht alslose Blätter gegeben, sondern auf einer drehbaren Tischplat-te aufgeklebt.

Page 191: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

180 Spiele, Rätsel, Zahlen

Abb. 11.1 In einer Teamrunde der Rätselweltmeisterschaft 2013lösen die Mitglieder der deutschen Mannschaft (v. l. n. r. UlrichVoigt, Sebastian Matschke, Nils Miehe und Michael Ley) gemein-sam acht verschiedene Rätsel. © Rätselredaktion Susen

Das Teammusste sich also immer wieder koordiniert umden Tisch herum bewegen, um alle Rätsel erfolgreich bear-beiten zu können. Wie man sich vorstellen kann, handeltees sich um eine sehr aufwendig gestaltete Rätselrunde, unddie meisten Teamrunden sind, was die Bereitstellung fürdie Meisterschaftsteilnehmer angeht, mit deutlich wenigerAufwand verbunden. Dennoch kommen erfahrungsgemäßsolche Projekte bei den Lösern besonders gut an. Dadurchergibt sich für die Organisatoren der Meisterschaften derReiz, immer wieder neue Rätselvorstellungen umzusetzen.

Page 192: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

11 Kooperatives Rätsellösen 181

Das Teamexperiment

Im Rahmen eines Treffens von etwa zwanzig Rätselfreundenhabe ich Anfang 2014 einen Teamwettbewerb oder viel-mehr ein Teamexperiment veranstaltet, dessen Ziel es war,Erkenntnisse über die bestmögliche Herangehensweise beiTeamrunden zu gewinnen. Angesichts der zuvor geschilder-ten Vielfalt von Teamrunden bei Rätselmeisterschaften istes praktisch unmöglich, universell anwendbare Resultate zuerzielen. Dennoch war ich neugierig, was sich möglichstallgemein über Strategien beim kooperativen Rätsellösen sa-gen lässt.

Das Experiment beschränkte sich auf Runden, bei de-nen die Aufgabe für das Team darin besteht, ein einzigesRätsel so schnell wie möglich gemeinsam zu lösen. Zu die-sem Zweck wurde zunächst eine Reihe von Einzelrätselnerstellt, deren Regeln allen Teilnehmern bereits bekannt wa-ren, deren Größe jedoch über dem Durchschnitt von beiMeisterschaften anzutreffenden Exemplaren liegt.

Grundsätzlich ist das gemeinsame Bearbeiten von einemeinzigen Rätsel nur dann sinnvoll, wenn es so groß ist, dassjedes Teammitglied in der Lage ist, Beiträge zum Lösen zuleisten. Wenn wir beispielsweise an Sudokus der Standard-größe 9 � 9 denken, so kann – und wird – es sich ergeben,dass mitunter ein einzelner Teilnehmer das Rätsel schon ineiner so guten Zeitspanne lösen kann, dass die Anwesenheitder anderen Teammitglieder kaum noch eine Verbesserunggestattet.

In der Hinsicht gilt es zu berücksichtigen, dass sich dieMitglieder eines Rätselteams prinzipiell völlig unterschied-

Page 193: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

182 Spiele, Rätsel, Zahlen

lich in den Lösungsprozess einbringen können. Einerseitskönnen mehrere Personen gleichzeitig Lösungskomponen-ten in verschiedene Teile des gegebenen Rätselgitters eintra-gen bzw. einzeichnen, was jedoch bei einer geringen Gitter-größe ersichtlich unhandlich ist und ganz nebenbei auch zuMissverständnissen führen kann, wenn beispielsweise un-terschiedliche Gewohnheiten oder Handschriften der Löserins Spiel kommen.

Andererseits können die Teammitglieder schlicht verba-le Hinweise geben, die ein ausgewähltes, „schriftführendes“Mitglied dann beim Lösen umsetzen kann. Gegebenenfallskönnen die Herangehensweisen auch kombiniert werden,um ein optimales Ergebnis zu erzielen.

Ein Durchgang des besagten Wettbewerbs bestand im-mer nur aus einem einzigen Rätsel, dessen Größe so ge-wählt war, dass mehrere Personen Platz hatten, gleichzeitigim Rätselgitter zu arbeiten. Zum Vergleich der möglichenStrategien beim gemeinsamen Lösen wurden dann jeweilsexplizite Vorgaben gemacht, welche Arten der teaminter-nen Kooperation und Kommunikation erlaubt waren. DerWettbewerb fand trotzdem insgesamt in einer lockeren At-mosphäre statt, denn die Rätsel sollten in erster Hinsichtimmer noch Spaß machen.

Keines der Ergebnisse, die das Experiment geliefert hat,ist als überraschend zu bezeichnen. Aufgrund der geringenDatenmenge wäre es ohnehin vermessen, bei Abweichun-gen von den Erwartungen von revolutionären Erkenntnis-sen zu sprechen. Aber in fast jeder Hinsicht ließen sich dieResultate allein durch den gesunden Menschenverstand be-gründen.

Page 194: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

11 Kooperatives Rätsellösen 183

Zunächst wurde sehr klar deutlich, dass die Lösezeitender Rätselteams nahezu durchgehend besser als die parallelvon Einzellösern erzielten Zeiten waren. Bei dem Experi-ment bestanden Teams immer aus drei Personen, und durchdas gemeinsame Arbeiten wurden Leistungsverbesserungenvon bis zu 50% erzielt. In der Hinsicht gab es also über-haupt keine Überraschungen.

Obwohl es dahingehend keine fundierten Daten gibt,kann man rationalerweise vermuten, dass – natürlich jenach Beschaffenheit der ausgewählten Rätsel – durch ko-operatives Vorgehen im Idealfall sogar zwei Drittel der Zeiteingespart werden können. Allgemeiner sollte gelten: Wennjedes Teammitglied für sich mit maximaler Leistungsfähig-keit an dem gleichen Rätsel arbeiten kann, ohne dass es zugegenseitigen Behinderungen kommt, müsste die gemein-same Lösungszeit umgekehrt proportional zur Anzahl derLöser sein.

Das ist nur eine sehr grobe Behauptung, in welche meh-rere vereinfachte Annahmen einfließen. Die Rechnung imvorigen Absatz kann nur Gültigkeit besitzen, wenn dieTeammitglieder etwa gleich gut im Lösen der entsprechen-den Rätsel sind. Besteht ein Team zum Beispiel aus einemstarken Löser und zwei schwächeren Rätselfreunden, so soll-te klar sei, dass auch beim gemeinsamen Lösen der stärksteTeilnehmer eine dominierende Rolle spielt und für diezu erwartende Lösungszeit des Teams gewissermaßen eineGewichtung der Einzelleistungen vorgenommen werdenmüsste.

Darüber hinaus ist es nahezu unmöglich, ein Rätsel so zugestalten, dass die Teilnehmer komplett ohne gegenseitigeBehinderungen oder, sagen wir, Beeinträchtigungen arbei-

Page 195: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

184 Spiele, Rätsel, Zahlen

ten können. Insofern kann der Idealfall praktisch sowiesonicht eintreten. Korrekterweise muss man dazu sagen, dasses sich nur um statistische Betrachtungen handelt und inEinzelfällen die theoretische Erwartung durchaus erreichtoder sogar übertroffen werden kann.

Umgekehrt stellt sich die Frage, ob es Lösungstechnikengibt, die so kompliziert sind, dass sie erst durch die Anwe-senheit mehrerer Personen vernünftig zum Einsatz kommenkönnen. In diesem Fall würde die gemeinsame Lösungszeitnoch unterhalb der zuvor genannten Schranke liegen kön-nen. Dieser Punkt ist schwer zu klären, da die Schwierigkeitvon Lösungsschritten bei logischenRätseln kaum konsistentmessbar ist. In der Regel ist davon auszugehen, dass alle vor-kommenden Lösungsargumente von einer einzelnen Personnachvollzogen werden können; spannend ist lediglich dieFrage, wie schnell eines der Teammitglieder den besagtenLösungsschritt findet.

Vergleich von Teamstrategien

Bei dem zuvor erwähnten Wettbewerb wurden insgesamtvier verschiedene Strategievorgaben getestet. Bei der erstenStrategie gab es keine Einschränkungen, was die teamin-terne Kommunikation angeht. Beim gemeinsamen Lösenwar im Prinzip jede Form der Kooperation erlaubt, unddie Teams durften während des Lösens entscheiden, wie sievorgehen wollten. Wir wollen diese Strategie „improvisiert“nennen.

Die zweite Strategie, die wir mit demWort „individuell“bezeichnen wollen, sah vor, dass zwar jedes Teammitglied

Page 196: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

11 Kooperatives Rätsellösen 185

die Lösung bzw. Teile davon einzeichnen durfte, allerdingswar verbale Kommunikation jeder Art verboten. Die dritteStrategie, welche die Bezeichnung „kooperativ“ tragen soll,war ziemlich genau das Gegenteil: Gespräche mit anderenTeammitgliedern waren nach Belieben erlaubt, doch nur ei-ne Person durfte jeweils schriftlich im Rätselgitter arbeiten.

Als letzte wurde noch eine reichlich ungewöhnliche Stra-tegie vorgeschrieben, welche durch das Wort „reihum“ tref-fend erklärt wird. Dabei darf nur eine Person aktiv lösen,d. h. schreiben, und Kommunikation ist ebenfalls nicht er-laubt. Allerdings darf der aktive Teilnehmer das Rätselblattzu einem beliebigen Zeitpunkt an den nächsten weiterrei-chen. Da jener bereits vorher auf das Blatt schauen darf,kann er dann gegebenenfalls sofort Lösungsfortschritte ein-zeichnen.

Die Reihumstrategie stellte sich in dem Experiment alsdie am wenigsten erfolgreiche heraus. Das ist überhauptnicht verwunderlich; wenn ein Teilnehmer seine Gedan-ken erst zu Papier bringen darf, wenn er an der Reihe ist,muss dieses Vorgehen schlechter sein als beispielsweise dieimprovisierte Strategie, bei der er sofort seine Notizen ma-chen dürfte. Und auch gegenüber den anderen Strategienist diese Vorgabe nur nachteilig.

Die improvisierte Herangehensweise lieferte sehr guteErgebnisse, in manchen Fällen sogar die besten. Alle Teil-nehmer kannten ja die Rätselarten und damit verbundendie wichtigsten Lösungstechniken schon, daher fiel es ihnennicht schwer, sich ohne vorherige Absprache während desLösens auf ein sinnvolles Vorgehen zu einigen.

Zwischen der individuellen und der kooperativen Strate-gie gab es keinen klaren Sieger, vielmehr hing die Rangfol-

Page 197: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

186 Spiele, Rätsel, Zahlen

3 3 1

6 4 3

3 5

4 3

8 3

1 4

4 8 2

2 2 6

Abb. 11.2 Fillomino: Zerlegen Sie das Gitter entlang der Gitter-linien in Gebiete beliebiger Form und Größe und tragen Sie injedes Feld eine Zahl ein. Dabei dürfen in einem Gebiet nur gleicheZahlen stehen, und jede Zahl muss die Fläche des entsprechen-den Gebiets angeben. Es darf auch Gebiete geben, in denen zuBeginn keine Zahl oder schon mehr als eine Zahl vorgegeben ist.Zwei gleiche Zahlen, die nicht zum selben Gebiet gehören, dürfennicht waagerecht oder senkrecht benachbart sein

ge von den vorkommenden Rätselarten ab. Das ist eigent-lich ebenfalls keine spektakuläre Erkenntnis, dennoch wol-len wir den Sachverhalt noch ein wenig genauer beleuchten.Zur Demonstration betrachten wir eine weitere populäreRätselart, das Fillomino (siehe Abb. 11.2).

Was die Regeln angeht, scheinen Fillomino-Rätsel zu-nächst nicht mehr oder weniger interessant als andere Rät-sel zu sein, allerdings gibt es einen beachtenswerten Unter-schied zu denmeisten anderen Rätseltypen. Die Regeln sindausschließlich „lokaler“ Natur; damit ist gemeint, dass jedeRegel sich nur auf einen kleinen Ausschnitt des Rätselgittersbezieht und keine Einschränkungen zur Lösung auf demRest des Gitters liefert.

Page 198: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

11 Kooperatives Rätsellösen 187

Falls diese Aussage etwas verwirrend wirkt, hier anhandeines Beispiels eine klarere Darstellung: Wenn man in einGitterfeld die Zahl 4 einträgt, so besagen die Regeln, dassdas Feld zu einem Gebiet aus genau vier Feldern gehörensoll, von denen jedes eine 4 enthalten muss. Darüber hinausfordert nur noch die letzte Regel, dass kein weiteres Gebietder gleichen Größe unmittelbar an dieses Gebiet angrenzendarf.

Somit liegt alles, was die Regeln zu dem ursprünglichbetrachteten Feld vorgeben, in einem Umkreis von vieroder fünf Feldern, und es lassen sich keine unmittelbarenSchlüsse für weiter entfernte Felder ziehen. Analoge Aussa-gen gelten für alle anderen Zahlen. Natürlich wird sich imLösungsverlauf herausstellen, dass der Inhalt jedes Feldesimplizit auch Einfluss auf den Rest des Gitters haben muss,sonst wäre die Lösung des Gesamträtsels ja nicht eindeu-tig. Aber allein regeltechnisch existieren keine derartigenImplikationen.

In dieser Hinsicht unterscheiden sich Fillominos von fastallen anderen Rätselarten. Die Rundwegrätsel aus dem vo-rigen Kapitel beinhalten jeweils mindestens eine „globale“Regel bezüglich des Zusammenhangs der einzuzeichnendenStreckenzüge. Ähnliches gilt für alle anderen Rätsel, die wirbisher vorgestellt hatten. Die Graphenrätsel besitzen einegewisse Ausnahmestellung, denn die Färbung jedes Kno-tens wirkt sich zunächst nur auf in Frage kommende Fär-bung benachbarter Knoten aus; andererseits sollte man be-rücksichtigen, dass die Graphen, welche sich zum Beispielaus Sudokus ergeben, sehr unübersichtlich sind und Kantenenthalten, die eigentlich quer übers Blatt verlaufen.

Page 199: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

188 Spiele, Rätsel, Zahlen

Daher sind Lateinische Quadrate, auch wenn man sie alsGraphen darstellen kann, alles andere als Rätselarten mit lo-kalen Regeln. Eine an beliebiger Stelle eingetragene Zahl hatsofort Einfluss auf Felder am anderen Ende des Gitters.Mankann Rätsel, die auf Lateinischen Quadraten basieren, nichtsinnvoll lösen, ohne immer das gesamte Gitter im Auge zubehalten.

Genau an dem Punkt machen sich die Unterschiedein der Herangehensweise massiv bemerkbar. Für die indi-viduelle Strategie sind Fillominos und andere Rätsel mitausschließlich lokalen Regelelementen außerordentlich gutgeeignet. Jedes Teammitglied kann erst einmal in einer an-deren Ecke des Rätsels mit dem Lösen beginnen, und erstin der Endphase, wenn das Gitter fast komplett gefüllt ist,ist eine Abstimmung der Einzellöser erforderlich.

Je globaler die Regeln sind, umso erfolgreicher wurdedie kooperative Strategie in dem experimentellenTeamwett-bewerb. Zwar gab es im Detail Abweichungen von diesemErgebnis, welche bei Studien größeren Umfangs sicher sta-tistisch auszuwerten wären. Trotzdem deuten die Resultatedarauf hin, dass es bei rein lokalen Rätselarten wie dem Fil-lomino im Allgemeinen am besten ist, wenn zunächst jedesTeammitglied einen Teil des Rätsels für sich löst. Dadurchkann die Lösungszeit am effektivsten ausgenutzt werden,und erst zum Schluss scheint ein Übergang in die koope-rative Strategie sinnvoll zu sein.

Page 200: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Teil 3

Computer beim Schachspiel

Page 201: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

12Fernschach

Schachfreunde, die nicht am gleichen Ort sind, können„Fernschach“ miteinander spielen: Die einzelnen Zügewerden mit Post, Telefon, Fax, E-Mail oder mit Hilfe ei-nes Internet-Servers übertragen. Das Ganze ist ziemlichaufwändig, weil für jeden einzelnen Zug eine eigene Über-mittlung nötig ist.

Schickt man sich die Züge etwa mit Postkarten und zahltfür jede Karte 45 Cent Porto, dann kostet eine Partie biszum 40. Zug (also 40 Karten von Weiß und 40 Karten vonSchwarz) die beiden Spieler zusammen allein an Porto 80�0;45 Euro D 36 Euro. Hinzu kommen die Kosten für dieKarten und der Zeitbedarf für den Weg zum Briefkasten.

Im 20. Jahrhundert war Fernschach mit Postkarten trotzder Portokosten sehr populär. Es wurden nationale und in-ternationale Turniere ausgetragen, und seit 1947 auchWelt-meisterschaften. Ein bisschen Geld sparten die Spieler, in-dem sie ihre Karten als Drucksachen verschickten. Zügewaren als Nummernfolgen kodiert, und für jede Ziffer (zwi-schen 1 und 8) hatte man ein kleines Stempelchen.

Die Bedenkzeit war im Allgemeinen wie folgt geregelt:Pro Zug hatte ein Spieler im Durchschnitt drei Tage. Dabeibetrug bei einer Antwort an dem Tag, an dem die Postkar-te des Gegners ankam, die Bedenkzeit null Tage. Die Zeit

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1_12,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 202: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

192 Spiele, Rätsel, Zahlen

für den Postweg wurde nicht gezählt. Das ehrliche Angebender Ankunftstage der Karten gehört(e) zum Ehrenkodex derSpieler.

Üblich ist es, nicht einzelne Partien zu spielen, son-dern gleichzeitig mehrere Partien eines Turniers. Bei einemWeltmeisterschafts-Finale sind das in der Regel 14 oder16 Partien.

Mit dem Aufstieg des Internets wurde das klassischePostkarten-Fernschach mehr und mehr von den schnelle-ren elektronischen Varianten abgelöst. Zwar beträgt auchhier die durchschnittliche Bedenkzeit zwei oder drei Tagepro Zug, aber immerhin dauern die meisten Partien nichtmehr länger als ein Jahr, weil die Postwege entfallen.

Nicht kontrollierbare Hilfe

Fernschach hat ein prinzipielles Problem: Es ist so gut wieunmöglich, zu kontrollieren, ob ein Spieler Hilfe von au-ßen bekommt. Deshalb ist es in den meisten Fernschach-Turnieren explizit erlaubt, während der laufenden PartienSchachbücher zu studieren (vor allem in der Eröffnungs-phase und in den Endspielen), sich mit anderen Spielernzu beraten und seit dem Aufkommen starker Schachpro-gramme auch, diese für Analysen einzusetzen. Während esalso schon „immer“ Fernschach-Beratung gab, ist es in denletzten Jahren ausgeufert. Viele starke Spieler haben einenoder mehrere PCs rund um die Uhr laufen. Sie beschrän-ken sich aber nicht auf das reine Ablesen und Ziehen derComputer-Vorschläge, sondern nutzen die Maschinen in-teraktiv. Bekannt ist etwa der „1 C 23“-Stunden-Modus.

Page 203: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

12 Fernschach 193

Dabei hat der Mensch etwa eine (oder zwei) Stunden amTag, die er zusammen mit seinen Computern analysiert.Am Ende solch einer Sitzung gibt er den Schachprogram-men Schlüsselstellungen, über denen sie in den nächsten23 Stunden alleine brüten. Eine große Kunst besteht dar-in, zum einen die interaktive Zeit möglichst gut zu nutzenund zum anderen die richtigen Schlüsselstellungen zu iden-tifizieren.

Inzwischen ist allgemein akzeptiert, dass Fernschach-Spieler Computerhilfe nutzen und dass niemand mehreinen Weltmeister-Titel ohne Maschinen-Unterstützungerringen kann. Um die Jahrtausendwende war das nochanders. 1999 wurde der Este Tõnu Õim zum zweiten MalFernschach-Weltmeister. Seinen ersten Titel hatte er 1982,also 17 Jahre vorher, gewonnen. Nach dem Sieg in 1999behauptete Õim steif und fest, ganz ohne Computerhil-fe gespielt zu haben. Das hinderte ihn aber nicht daran,seine Glanzpartien aus dem Turnier als E-Mail-Anhängeim Fritz5-Format zu verschicken (zur Erklärung: Fritz5war damals eines der führenden kommerziellen Schachpro-gramme). Außerdem stellte sich einige Zeit nach dem Siegheraus, dass Õim sich in „manchen“ Stellungen von finni-schen Fernschach- Freunden hatte beraten lassen, und überderen Computer-Nutzung hat er keine Aussage gemacht.

Page 204: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

194 Spiele, Rätsel, Zahlen

Die Anfänge des Computer-Einsatzesim Fernschach

Heinrich Burger aus Berlin ist ein Fernschach-Großmeister.In den 1990er Jahren war er sogar einer der führendenFernschach-Spieler weltweit. Wie es dazu kam, erzählte mirim neuen Jahrtausend ein starker Fernschach-Spieler aus Je-na, der Ende der 1980er Jahre auch zur DDR-Fernschach-Nationalmannschaft gehörte.

Fernschach ist eigentlich ein Einzel„sport“; trotzdemgibt es auch Mannschaftskämpfe und Nationalmannschaf-ten. Die DDR-Spieler pflegten ihren Teamgeist. Dazutrafen sie sich ab und an im richtigen Leben reihum anden Wohnorten der einzelnen Spieler. 1988 war HeinrichBurger in Berlin-Birkenwerder der Gastgeber. Der JenaerSpieler kehrte anschließend verstört nach Thüringen zu-rück: „Ihr glaubt nicht, was ich erlebt habe.“ „Ja, was denn?“„Der Heinrich Burger nutzt mehrere verschiedene Schach-computer für seine Fernpartien. In einer Nachbarwohnunghat er ein kleines Zimmer angemietet. Dort laufen dreiMephisto-Schachcomputer rund um die Uhr und rechnenan den aktuellen Stellungen aus seinen Fernpartien.“ EinigeJahre später holte dieDDR-Mannschaft bei der Fernschach-Olympiade die Bronze-Medaille, vor allem durch das guteAbschneiden von Heinrich Burger. Diese Olympiade warübrigens erst 1993 abgeschlossen – da gab es die DDRschon lange nicht mehr.

Als irgendwann (im neuen Jahrtausend) fast jeder starkeFernschachspieler Computerhilfe nutzte, war Burgers Spiel-stärke wieder auf „normalem“ Niveau; er, der zwischenzeit-

Page 205: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

12 Fernschach 195

lich fast wie ein Vogel über allen hatte fliegen können, verlordas große Interesse.

Remis-Seuche und Lasker-Schach

Inzwischen sind die Schachprogramme so stark und ihre Be-nutzung beim Fernschach so weit verbreitet, dass auf hoherEbene fast alle Partien unentschieden ausgehen. Ein Bei-spiel ist die Endrunde der 26. Fernschach-WM, die Mit-te Februar 2014 kurz vor ihrem Abschluss stand. Von den136 Partien waren 134 beendet. Von den 134 Partien en-deten 109 unentschieden (81,3 Prozent), 20 endeten miteinem Sieg, und die anderen 5 Partien wurden durch Tur-nierrücktritte als Sieg für einen Spieler gewertet. Es ist alsofast schon so wie beim Mühlespiel.

Arno Nickel , Schach-Verleger und starker Fernschach-Großmeister aus Berlin, hat sich viele Gedanken gemacht,wie die Remisquote gesenkt und dadurch die Attraktivitätdes Fernschachs wieder erhöht werden könnte. Sein wich-tigster Vorschlag betrifft die Einführung eines „Pattsieges“.Beim „normalen“ Schach endet eine Partie auch dann un-entschieden, wenn ein Spieler am Zug ist, nicht im Schachsteht, aber keinen regulären Zug mehr hat. Man sagt, derSpieler sei pattgesetzt worden. Siehe als Beispiel das Bauer-nendspiel in Abb. 12.1.

Nickel führt neben den üblichen Stufen „Sieg, Re-mis, Niederlage“ kleine Siege ein: Wer den Gegner patt-setzt, bekommt 0,75 Punkte, der Gegner immerhin noch0,25 Punkte.Mit seinenZielen istNickel bescheiden.Wennin Zukunft beim normalen Spitzenfernschach 95 Prozent

Page 206: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

196 Spiele, Rätsel, Zahlen

Abb. 12.1 Schwarz ist pattgesetzt

der Partie unentschieden enden und bei seiner Variantenur 90 Prozent mit solch einem 0;5 W 0;5, wäre er schonzufrieden.

Bereits Emanuel Lasker (der gleiche, der auch Lasker-Mühle vorgeschlagen hat) hatte 1917 einen ähnlichen,technisch aber komplizierteren Vorschlag gemacht. Ihm zuEhren hat Nickel seine Schachversion „Lasker-Schach“ ge-nannt. Es bleibt abzuwarten, ob die Fernschach-Szene aufdas Lasker-Schach anspringt.

Der Informatik-Student Marco Bungart hat in seinerMasterarbeit Endspiel-Datenbanken für das Lasker-Schachberechnet: alle 4-Steiner und einige ausgewählte 5-Steiner,insbesondere das Endspiel König, Turm und Bauer gegenKönig und Turm und auch das Endspiel König, Turm undLäufer gegen König und Turm. Es ändert sich einiges. Ins-

Page 207: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

12 Fernschach 197

Abb. 12.2 Weiß am Zug setzt in 43 Zügen patt. Gewinnen durchMatt kann er diese Stellung gegen perfekte Verteidigung nicht

gesamt ist aber der Anteil an Stellungen, bei denen zwarein Pattsieg, aber kein richtiger Sieg möglich ist, viel kleinerals der Anteil normaler Siegstellungen. Diese Beobachtungkönnte ein Indiz dafür sein, dass Lasker-Schach vielleichtdoch keine so gute Abhilfe des Problems mit der Remis-Seuche ist. Abbildung 12.2 zeigt eine extremale Stellung,die bei beiderseits bestem Spiel zu einem Pattsieg für Weißführt. Bis dahin dauert es 43 Züge.

Page 208: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

13Das 3-Hirn

Es kann Sinn haben, Phasen zwischen zwei Lebensabschnit-ten zu nutzen, um etwas ganz Anderes auszuprobieren.Manche jungen Leute machen nach dem Abitur und vordem Studium eine weite Reise. Manche alten Arbeitneh-mer probieren vor dem „wirklichen“ Ruhestand etwas ganzNeues. Der theoretische PhysikerBernd Brügmannhat 1993zwischen Promotion und erster Postdoc-Stelle ein revolu-tionäres Computer-Go-Programm geschrieben und dabeidas Konzept des „Monte-Carlo-Go“ eingeführt [Brügmann(1993)].

Auf meinem Lebensweg habe ich an zwei Stellen bewusstinnegehalten: Zwischen der Assistentenstelle in Bielefeldund meiner Professur in Jena war ich im Sommer 1994 fürein Semester Gaststudent an einem theologischen Seminar.Erzählen will ich hier aber über das 3-Hirn-Konzept, dasim Frühjahr 1985 zwischen meiner letzten harten Diplom-prüfung und der Doktorandenstelle entstand.

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1_13,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 209: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

200 Spiele, Rätsel, Zahlen

Das 3-Hirn-Konzept underste Experimente

Ich wollte einen seit der Jugendzeit gehegten Traum realisie-ren: den Einstieg in die Schachprogrammierung. Weil ichaber kein begnadeter Programmierer war, suchte ich nacheinem neuen Weg; „Überholen ohne einzuholen“ hätteErich Honecker es genannt. Was wäre, wenn ich ein Pro-gramm schriebe, das „nur“ aus den Zug-Vorschlägen vonzwei verschiedenen schon existierenden Schachprogram-men X und Y die Endauswahl träfe? Wenn X einen Zug xwollte und Y einen Zug y, dann hätte „der Auswähler“ nurzu entscheiden, ob x oder y gespielt würde.

Solch ein Auswahl-Programm müsste die taktischenAspekte des Schachspiels gar nicht verstehen, weil ja diebeiden Programme X und Y Vorschläge berechnen, die ihrerMeinung nach in Ordnung sind. Das Auswahl-Programmkönnte nach ganz anderen Kriterien entscheiden, welchenvon den beiden Vorschlägen es realisiert. Insbesonderekönnte es versuchen, Mustererkennung einzusetzen undlangfristige Pläne zu realisieren, was damals (1985) in dennormalen Schachprogrammen gar keine Rolle spielte.

Als Vorabtest wollte ich statt eines Auswahl-Programmseinen menschlichen Schachspieler mit der Aufgabe desAuswählens betrauen. Weil ich selbst begeisterter Vereins-Schachspieler war, fiel die Wahl der ersten Versuchspersonleicht: Ich selbst würde die Rolle übernehmen.

Einen passenden Namen für das Gesamtsystem hatte ichübrigens gleich vor Augen: „Dreihirn“. „Drei“ gibt die An-zahl der beteiligten Agierenden an: zwei Elektronenhirne

Page 210: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

13 Das 3-Hirn 201

X und Y für die normalen Zugvorschläge und ein weiteresHirn (egal ob nun Computerprozessor oder menschlicherKopf ) für das Auswählen. Auf den Namen Dreihirn warich auch gekommen, weil damals ein Zeichentrickfilm „Dasletzte Einhorn“ in den Kinos lief und weil mir in GustavMeyrinks Geschichtensammlung „Des deutschen SpießersWunderhorn“ eine Figur mit zwei Köpfen und demNamen„Zweihirn“ über denWeg gelaufen war. Etliche Jahre später,als der Dreihirn-Ansatz auch international Beachtung fandund ich etliche Amerikaner und Franzosen erlebt hatte, diesich mit der Aussprache von „Dreihirn“ abquälten, änderteich die Schreibweise in 3-Hirn ab („speak the i in Hirn likethe i in Winter“).

Eine Besonderheit des 3-Hirns ging in manche Köpfeschwer hinein: Der Auswähler im 3-Hirn hat kein Über-stimmrecht. Er muss sich für x oder y entscheiden. Insbe-sondere gilt dies auch, wenn beide Programme den gleichenZug x vorschlagen. Dann muss der Auswähler x nehmen.

Später, als der Plan, selbst ein Auswahl-Programm zuschreiben, ad acta gelegt war, habe ich das Veto-Verbotauf folgende Weise abgemildert: Die Programme liefenim Modus mit unendlicher Zeit, würden also von alleinnie stoppen. Der Auswähler schaute auf die Anzeige ihrerZugvorschläge und entschied selbst, wann er die beidenProgramme stoppte. Dabei durfte er auch die zugehörigenHauptvarianten und die Stellungsbewertungen berücksich-tigen.

1985 besorgte ich mir zwei verschiedene Schachcompu-ter der Marke Mephisto und begeisterte acht Spieler auslippischen Schachvereinen, an einem Experimentalturniergegen das 3-Hirn teilzunehmen. Um die Spieler besonders

Page 211: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

202 Spiele, Rätsel, Zahlen

zu motivieren, gab es – aus meiner eigenen Tasche – Geld-preise für die erfolgreichsten Teilnehmer. Zur Einordnungder Spielstärken: Damals hatten die meisten Vereinsspielerwenig Probleme, gegen normale Schachcomputer zu gewin-nen. In insgesamt 20 Partien schlug sich das 3-Hirn wacker:7 Siegen standen 13 Niederlagen gegenüber. Die Mephistoswaren deutlich schwächer als der Auswähler, aber die Spiel-stärke des 3-Hirns lag ungefähr in der Mitte zwischen derMephisto-Stärke und der meinigen.

Das Hobbymagazin „ComputerSchach & Spiele“ brach-te einen ausführlichen Bericht über das 3-Hirn-Konzept[Althöfer (1985)], der über die Grenzen Deutschlands hin-aus Anklang fand. Es stellte sich heraus, dass der IngenieurHelmut Weigel in Wien ganz unabhängig und praktischzeitgleich etwas ähnliches erprobt hatte: vier verschiedeneSchachcomputer und vier menschliche Auswähler. Spätererweiterte er den Ansatz sogar auf fünf verschiedene Schach-computer und fünf auswählende Menschen. Seine Erfolgewaren aber nie ganz so groß: Vielleicht haben die vielenmenschlichen Köche den Brei verdorben.

In den Folgejahren ergaben sich immer wieder Gelegen-heiten, mit einem 3-Hirn Spielerfahrung zu sammeln. DasBesondere daran war, dass ich (fast) jedes Mal neue undspielstärkere Schachcomputer bzw. Schachprogramme zumEinsatz brachte.

1987 durfte mein 3-Hirn bei der offenen Bielefelder Ver-einsmeisterschaft mitspielen. Nach einigen Startschwierig-keiten holte es am Ende den zweiten Rang und konnte da-bei in der Schlussrunde sogar den damals frischgebackenenMeister von Nordrhein-Westfalen schlagen. Der Turnierer-folg führte in der Bielefelder Zockerszene zu erregten Dis-

Page 212: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

13 Das 3-Hirn 203

kussionen. Einige gestandene Schachmeister sahen das En-de der gewachsenen Schachkultur kommen (die normalenSchachcomputer waren damals noch nicht so stark, im Un-terschied zum 3-Hirn). Auch mein Doktorvater, Prof. Ru-dolf Ahlswede, wurde in solche Diskussionen hineingezo-gen. Er fand die Sache aber einfach nur spannend.

1989 und 1992 durfte ich sogar Gelder aus seinemLehrstuhletat einsetzen, um zwei 3-Hirn-Wettkämpfe ge-gen einen internationalen Schachmeister zu finanzieren.Den 1989er-Wettkampf gegen Dr. Helmut Reefschläger(Mathematiker und Schachprofi) verlor das 3-Hirn nochziemlich klar mit 2;5 W 5;5. Anfang 1992 gab es gegen dengleichen Gegner eine 5 W 3-Revanche.

Inzwischen hatten auch Entwickler normaler Schachpro-gramme vom 3-Hirn Kenntnis genommen. So war mein3-Hirn 1992 mehrfach als Sparringspartner des Parallel-Programms „Zugzwang“ von der Uni Paderborn im Einsatz(mit einem Gesamtergebnis von 9;5 W 4;5 für das 3-Hirn).Für die Paderborner Doktoranden Rainer Feldmann undPeter Mysliwietz war das Training hilfreich: Bei der Com-puterschach-WM Ende 1992 erreichte „Zugzwang“ denzweiten Platz.

Anfang 1993 durfte das 3-Hirn sogar zwei Partien gegendas damals führende Schachprogramm Deep Thought (Vor-läufer von Deep Blue) austragen – über das noch nicht sopopuläre Internet. Das Ergebnis war eine 0;5 W 1;5-Nieder-lage, wobei das 3-Hirn in der Remis-Partie im späten Mit-telspiel durchaus Gewinnchancen hatte, siehe Abb. 13.1.

Page 213: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

204 Spiele, Rätsel, Zahlen

Abb. 13.1 Aus der zweiten Partie gegen Deep Thought. Das3-Hirn hat Schwarz und spielt in dieser Stellung mit 41. d5-d4 aufSieg. Das Alternativangebot war das remisträchtige Se6-d4

Das 3-Hirn in den Niederlanden

In Den Haag gab es viele Jahre lang ein großes und gutorganisiertes Vergleichsturnier zwischen Schachcomputernund starkenmenschlichen Spielern. Ausrichter und Sponsorwar der große Versicherungs-Konzern AEGON. Für 1993bat ich um eine Teilnahme des 3-Hirns – auf Computersei-te – und wurde freudig zugelassen. Für manche menschlicheSpieler war das 3-Hirn ein besonders unangenehmer Geg-ner, weil sie sich auf die speziellen Schwächen von norma-len Schachcomputern eingestellt hatten. Die konnte ich alsAuswähler aber zu einem großen Teil vermeiden. Nach fünfvon sechs Runden hatte das 3-Hirn vier Punkte (drei Siege

Page 214: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

13 Das 3-Hirn 205

und zwei Remisen) und spielte um den Turniersieg mit. Inder letzten Runde wurde es aber vom Ex-VizeweltmeisterDavid Bronstein wie ein Tanzbär vorgeführt. Diese Nieder-lage war für mich im Nachhinein besonders schmerzlich,weil ich sie durch meine Naivität im Wesentlichen selbstverschuldet hatte.

Vor demTurnier hatte mir der Bielefelder StudienkollegeDr. Ulrich Tamm helfen wollen. Er war (zusammen mit sei-nem Vater) auchManager eines Schach-Bundesligisten. SeitEnde der 1980er Jahre setzte ihr Verein (SG Enger-Spenge)das Datenbank-Programm ChessBase für die Vorbereitungauf Mannschafts-Kämpfe ein. Wenn die für Enger-Spengestartenden Legionäre (auch ausländische Großmeister) zuden Spiel-Wochenenden anreisten, wurden sie direkt vorden Computer-Monitor gesetzt und bekamen (viele) Parti-en ihrer wahrscheinlichen Gegner gezeigt.

Als das Turnier in Den Haag anstand, hatte Uli auch fürmich eine Diskette mit ChessBase-Material vorbereitet. Wirwussten, welche starken menschlichen Spieler in den Vor-jahren in Den Haag mitgespielt hatten, und für jeden da-von war auf der Diskette ein Ordner mit Partie-Notationen.Auch von David Bronstein waren 150 Partien auf dem Da-tenträger. Ich spielte die 150 auch brav am Vormittag – einpaar Stunden vor der letzten Runde – durch, war aber nichtin der Lage, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. So liefich in eine Eröffnung mit zugemauertem Zentrum, in derweder meine Programme noch ich als Auswähler die richti-gen Pläne verstanden. Wir verloren ohne wirkliche Gegen-chancen. Kurz vor Schluss blieb mir in hoffnungsloser Stel-lung nichts anderes, als Bronstein zuzuflüstern: „In a normalsituation I would resign right now. But I want to make a few

Page 215: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

206 Spiele, Rätsel, Zahlen

more moves for the audience.“ Der Altmeister lächelte nurund erwiderte: „Okay, play it for the audience.“

Ein besonders erfreuliches Erlebnis passierte beimAEGON-Turnier nach einer der Runden. An der Bus-haltestelle wartete ich mit meinen Computern. Neben mirsaß Hans Berliner aus Pittsburgh, einer der Pioniere desComputerschachs. Mitte der 1980er Jahre war sein Pro-gramm „HiTech“ mit Spezial-Hardware ganz an der Spitzedes Computerschachs gewesen. Eigentlich war ich müdeund ohne Drang nach Konversation.

Aber Berliner legte plötzlich los: „Es ist nicht gut, dassSie mit dem 3-Hirn bei diesem Turnier mitspielen dürfen!Durch Ihr Auswählen haben Sie gegenüber den anderenComputer-Startern einen großen Vorteil.“ Prof. Berliner,den ich von Computerschach-Tagungen persönlich kann-te, konnte als starker Schachspieler (unter anderem war er1968 Weltmeister im Fernschach geworden) viel besser alsandere einschätzen, wie viel ein klein wenig menschlicherEinfluss an den richtigen Stellen hilft.

Ich verteidigte mich höflich, erklärte auch, dass ich jamit offenen Karten spiele: Die Veranstalter hätten von An-fang an gewusst, wie das 3-Hirn funktioniert, und hättendiese Information in der Turnierbroschüre auch an alle Teil-nehmer weitergegeben. Berliner ließ aber nicht locker undwiederholte seine Bedenken.

Jetzt mischte sich zu meiner großen Überraschung derdritteWartende ein: Es war Großmeister Vlastimil Hort, derin der zweiten Runde gegen das 3-Hirn gespielt hatte unddabei nicht über ein Remis hinausgekommen war. Hort er-griff meine Partei, befürwortete die Teilnahme des 3-Hirnsund lobte auch die neuen Erkenntnisse, die der Einsatz des

Page 216: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

13 Das 3-Hirn 207

3-Hirns bringe. Damit hatte Berliner wohl überhaupt nichtgerechnet – und ließ von mir ab.

Berliner und ich hatten die Unterhaltung auf Englischgeführt. Auch Vlastimil Hort brachte sich in gutem Eng-lisch ein, was aber natürlich durch seine tschechische Ein-färbung (den „gä-Bauern“ kennt jeder, der Hort mal imdeutschen Fernsehen als Kommentator erlebt hat) unver-wechselbar originell war.

Jena und der 5-Jahres-Plan

Seit Herbst 1994 unterrichte ich an der Universität in Jena.Interessanterweise hatte Thüringen früh eine Computer-schach-Szene, sogar schon vor der Wende. Im November1994 fand ein gemischtes Turnier statt, organisiert vondem immer freundlichen Original Rainer Serfling. Erlaubtund erwünscht waren sowohl menschliche Teilnehmer alsauch Schachprogramme. Ich fragte an und wurde mit dem3-Hirn zugelassen.

Das Starterfeld im „Dorfkrug“ zu Clodra bestand ausneun Programmen, drei Menschen und eben dem 3-Hirn.Gespielt wurden sieben Runden in vier Tagen, und für das3-Hirn lief alles wie am Schnürchen. Zwar holten wir inRunde 1 nur ein Remis gegen das Schachprogramm „Ge-nius 3“, was auf einem besonders schnellen PC lief. Dochdann eilten wir von Sieg zu Sieg: Am Ende stand das 3-Hirnmit 6,5 Punkten auf Platz 1, dicht gefolgt von Genius 3, das6,0 Punkte holte. Dann kam eine Lücke wie ein Grand Ca-nyon: Das Programm auf Rang 3 hatte gerade mal 4 Punkte

Page 217: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

208 Spiele, Rätsel, Zahlen

gesammelt. Der beste menschliche Spieler ergatterte respek-table 3 Punkte.

Eine Situation mit Slapstick-Pointe zeigte, wie wenig da-mals manche Schachfreunde und Programm-Bediener ver-standen, was Mensch und Computer gemeinsam schaffenkönnen: In einer der Partien stand das 3-Hirn nach einermisslungenen Eröffnung lange Zeit unter Druck. Mit vielGeduld und umsichtiger Verteidigung konnten wir dieUm-klammerung aber abschütteln.

Als die Stellung wieder ausgeglichen und ruhig war,meinte Herr H, der das gegnerische Programm bediente:„So, jetzt können wir Remis vereinbaren.“ Ich schüttelteden Kopf: „Nein, jetzt geht es erst los.“ Der arme Mannstarrte mich verwirrt an. Was er nicht verstanden hatte: Das3-Hirn war im Spiel gegen normale Computerprogram-me dann am stärksten, wenn die Stellung ruhig und ohnekonkrete Ansatzpunkte für taktische Pläne war.

Zwei Stunden später stand das 3-Hirn auf Gewinn. Eshatte zwei Mehrbauern in einem Endspiel mit ungleich-farbigen Läufern. Solche Endspiele sind für einzelne Com-puter schwer zu behandeln, aber einfach für ein 3-Hirn.Abbildung 13.2 zeigt die Stellung nach dem 79. Zug des3-Hirns.

Hier machte ich den Fehler, dem Gegner, der sein Pro-gramm ja nur bediente, meinen klaren Siegplan anzukün-digen: „Jetzt mit dem Läufer von e2 über d1 und b3 nachd5; dann ist Schwarz erledigt.“ Herr H hörte zu, sagte abernichts. Gemeint hatte ich, dass ich die Läuferzüge (e2-d1;d1-b3; b3-d5) an passenden Stellen aus den Vorschlägenmeiner Programme auswählen wollte, wobei es bis zur Ge-samtumsetzung der drei Züge wohl auch etliche planlose

Page 218: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

13 Das 3-Hirn 209

Abb. 13.2 Clodra 1994: Das 3-Hirn ist Weiß und hat gerade denTurm nach h7 gezogen

Zwischenzüge geben würde. Es kam aber anders: Innerhalbvon vier Zügen war alles realisiert, und Schwarz verlor da-nach ganz schnell.

Fernsehreif war das Nachspiel am nächsten Morgen:Etliche Teilnehmer warteten schon auf dem Parkplatz vordem noch geschlossenen „Dorfkrug“, auch ich. Ein weite-res Fahrzeug kam näher, auf dem Beifahrersitz Bediener H.Noch während der Wagen ausrollte, riss er die Tür auf undstürzte heraus, Betrugsvorwürfe gegen mich brüllend.

Meine Beteuerungen, dass alles mit rechten Dingenzugegangen sei, akzeptierte er nicht. Auch andere Tur-nierteilnehmer konnten ihn nicht beruhigen. Als reinerProgramm-Bediener ohne tieferes Schachverständnis konn-te er sich nicht vorstellen, was ein Mensch mit Computer-

Page 219: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

210 Spiele, Rätsel, Zahlen

hilfe gegen einen allein „kämpfenden“ Computer erreichenkonnte.

Der Erfolg von Clodra brachte mir ein Preisgeld von1000 DM ein – und schon auf der Heimfahrt nach Jenaskizzierte ich einen großen Plan. 1999 würde Weimar, nur20 km westlich von Jena gelegen, europäische Kulturhaupt-stadt sein,mit einemRiesenangebot aus sehr vielen verschie-denen Kultur-Bereichen.

Wie wäre es, wenn im Rahmen des Festes ein 3-Hirngegen den weltbesten Schachspieler Garri Kasparow antre-ten könnte? Als Aufbau-Training wollte ich in jedem Jahreinen 8-Partien-Wettkampf gegen einen starken menschli-chen Meister bestreiten und dabei durch immer bessere Er-gebnisse nachweisen, dass das 3-Hirn für Kasparow ein wür-diger Gegner war.

Im Laufe der Jahre machten wir, insbesondere auch einProfessor der Bauhaus”-Universität in Weimar, viele Pläne.Unsere verrückteste Idee war, die Stellungen aus dem Kas-parow-Wettkampf mit Lasertechnik an die Unterseite derWolken im Himmel über Weimar zu projizieren. Es wäreein Spektakel sondergleichen geworden.

Bei den geplanten jährlichen Aufbau-Wettkämpfen solltejedesMal neue Hardware zum Einsatz kommen, und natür-lich auch aktuelle Schachprogramme.

Für 1995 verpflichtete ich den Kölner GroßmeisterChristopher Lutz als Gegner. Das Ereignis stieg in Jenaim Oktober, und Lutz gewann knapp mit 4;5 W 3;5: Nacheinem Unentschieden in Runde 1 siegte er in den Parti-en 2 und 3; in Runde 4 holte das 3-Hirn seinen einzigenSieg. Danach gab es nur noch vier Remisen, auch weil

Page 220: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

13 Das 3-Hirn 211

der Großmeister nach seiner einzigen Niederlage deutlichvorsichtiger zu Werke ging als vorher.

Im Juni 1996 erlebten meine Kasparow-Pläne einenDämpfer. Nach 1993 nahm das 3-Hirn zum zweiten Malbei dem Mensch-Computer-Turnier in den Niederlandenteil. Auf der Hardware-Seite hatte ich gegenüber 1993 abernur minimal aufgerüstet: Die Programme liefen auf zweieinfachen Laptops mit bescheidener Prozessor-Leistung.Dafür waren die eigentlich baugleichen Geräte (eines indunkelgrau, das andere in weiß) aber zierlich und wirk-lich hübsch anzuschauen neben dem Schachbrett. Leiderachteten die Gegner nicht auf die Optik, sondern nur aufdie schachlichen Schwächen des Systems. Bam, bam, bamflogen uns die guten Züge nur so um die Ohren.

Nach den sechs Runden hatte das 3-Hirn gerade mal3,5 Punkte: 2 Siege, 3 Remisen und eine Niederlage. Ins-gesamt am meisten Spaß machte mir noch die Partie gegenSofia Polgar in Runde 5. In der sizilianischen Eröffnungfolgte ich dem Chaos-Vorschlag eines des Programme undopferte einen Bauern, obwohl ich das Opfer gar nichtverstand. Die Gegnerin, die mittlere der drei berühmtenPolgar-Schwestern aus Ungarn, schüttelte nur den Kopf, lä-chelte kurz und nahm den Bauern. Die Stellung des 3-Hirnserwies sich rasch als hoffnungslos. Aber ich schaffte es, diePartie in ein Endspiel mit Turm, Springer und Bauernauf beiden Seiten zu schleppen. Polgar biss sich bei ihrenGewinnversuchen längere Zeit die Zähne aus, ehe wir im67. Zug remis vereinbarten.

Page 221: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

212 Spiele, Rätsel, Zahlen

Doppel-Fritz mit Boss

Oft lösen Rückschläge neue Ideen aus. In den Partien vonDen Haag gab es mehrere Situationen, bei denen beide Pro-gramme des 3-Hirns den gleichen schlechten Zug wolltenund ich somit keine Auswahl hatte. Nach dem schwachenAbschneiden rumorte es inmir. Ein paarWochen später wardie Idee von „Doppel-Fritz mit Boss“ geboren.

Seit 1994 gab es einige PC-Schachprogramme, die imAnalyse-Modus für die vorliegende Stellung nicht nur denihrer Meinung nach besten Zug ausrechneten, sondern diezwei besten – oder auch die k besten, wobei der Benutzer dieAnzahl k selbst vorgeben konnte. Ich, der Boss, ließ das Pro-gramm Fritz4 im 2-Best-Modus laufen (also „Doppel-Fritz“statt einfacher Fritz), schaute mir dann die Zugkandidatensamt Bewertungen und Hauptvarianten an und traf meineAuswahl. Abbildung 13.3 zeigt „Doppel-Fritz mit Boss“ alsGebilde im Smilie-Stil.

Oft erkennt man als Mensch an einer Hauptvariante,wenn ein Schachprogramm Unsinn rechnet oder an einemHorizonteffekt laboriert. Auch kann man es als Indiz fürdie Qualität eines Zuges werten, wenn dieser auch in derHauptvariante des anderen Kandidatenzuges vorkommt.Abbildung 14.2 zeigt eine Beispiel-Stellung aus der Partie Zgegen Torsten Lang, Lampertheim 2002.

Das Programm Fritz5 schlägt als seine erste Wahl dendirekten Vorstoß des c-Bauern vor und als Alternative dasDamenschach auf a4. In den folgenden zwei Zeilen ist dieZahl am Anfang die Stellungsbewertung. Dann folgt der

Page 222: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

13 Das 3-Hirn 213

Abb. 13.3 Doppel-Fritz mit Boss als Smilie-Ensemble

Zugvorschlag mitsamt seiner Hauptvariante.

C0:44 7.c5 Sf6 8.Da4C Ld7 9.Db4 Sg4 10.cxd6C0:41 7.Da4C Ld7 8.Db4 Db8 9.c5 dxc5 10.Lxc5

Für Menschen wirkt der Bauern-Vorstoß ungewöhnlich.Man denkt eher an die Entwicklung des Sg1 oder des Lf1.

Als erste Testmöglichkeit in der Nähe von Jena bot sichdas Sommerturnier in Apolda an. Die Ausrichter erlaubtenmeinem Team die Teilnahme; ich hatte von vornherein anauf alle Preise verzichtet.

Es spielten insgesamt 133 Teilnehmer sieben Rundenim Schweizer System. Doppel-Fritz startete mit drei Siegen,gefolgt von drei Remisen (gegen Großmeister Kuczinski,FIDE-Meister Machelett und einen starken Berliner). ZumSchluss gewann mein Team noch einmal gegen einen Inter-

Page 223: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

214 Spiele, Rätsel, Zahlen

nationalen Meister aus Dresden. So hatten wir 5,5 Punktegesammelt, was den geteilten dritten Rang bedeutete.Das war eine gelungene Probe, und ich beschloss, beimGroßmeister-Wettkampf im Herbst auch Doppel-Fritz mitBoss statt des klassischen 3-Hirns einzusetzen.

Im Oktober 1996 kam Großmeister Gennadi Timo-schenko zu einem 8-Runden-Wettkampf nach Jena. Eswurde ein enges Duell mit intensiv ausgekämpften Partien.Bei allen vier Spielen mit Weiß eröffnete ich mit dem Kö-nigsbauern, also 1. e2-e4. Timoschenko erwiderte jedesMalmit der Caro-Kann-Verteidigung 1. . . c7-c6. Unvergesslichbleibt mir Runde 4, in der „Timo“ auch Schwarz hatte.

Zum einen war der Psychologe Dr. Reinhard Munzertbei der Partie in Jena anwesend. Munzert hatte ein Buchüber Schachpsychologie geschrieben [Munzert (1988)]. Fürihn war beim 3-Hirn interessant, wie ich als menschlicherPart verstärkt auf Aspekte achtete, für die ein normaler Tur-nierspieler während einer laufenden Partie keine Ressourcenhat. So kann ich Körpersprache und andere unbewusste Si-gnale des Gegners aufnehmen und versuchen, Schlüsse dar-aus zu ziehen.

Nach Timoschenkos Zug 7. . . . h6 entstand die Stellungin Abb. 13.4.

Fritz4 war noch im Eröffnungsbuch und schlug dasSpringeropfer 8. Sg5 x e6 vor. Ich selbst kannte die Theo-rie der Variante kaum und hatte auch dieses Opfer nochnie gesehen. Für mich wirkte der Zug sehr interessant: DieStellung würde hochtaktisch werden, was dem Doppel-Fritz-Team wegen der Computerkomponente und seinertaktischen Stärke gute Chancen geben sollte.

Page 224: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

13 Das 3-Hirn 215

Abb. 13.4 Aus der 4. Partie von Doppel-Fritz mit Boss gegenTimoschenko (1996) und später auch aus der 6. Partie zwischenDeep Blue und Kasparow (1997). Weiß am Zug wird mit 8. Sxe6eine Figur opfern

Überrascht war ich, als Timoschenko relativ zügig ant-wortete. Dabei erweckte er überhaupt nicht den Eindruck,als mache er sich wegen des Opfers irgendwelche Sorgen.Noch überraschter war ich nach der Partie, als der Groß-meister bei der Analyse verriet, er habe Sxe6 auch nichtgekannt. Jedenfalls fand Timoschenko starke Züge, und imLaufe der Partie musste ich als Weißer hart um das Überle-ben kämpfen. Auch Munzert war von „Timos“ Vorstellungbeeindruckt.

Der Wettkampf endete mit einem 4;5 W 3;5-Sieg fürDoppel-Fritz mit Boss. Es gab einen Bericht darüber im in-ternationalen Computerschach-Journal [Althöfer (1997)].

Page 225: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

216 Spiele, Rätsel, Zahlen

Zudem trug Timoschenko Partiekommentierungen bei,insbesondere auch eine sehr ausführliche zu dieser viertenRunde. Der Bericht erschien Anfang 1997.

Sieben Monate nach dem Wettkampf wurde mein am-bitionierter 5-Jahres-Plan über den Haufen geworfen. ImMai 1997 fand in New York der Revanche-Kampf zwischenGarri Kasparow und dem IBM-Supercomputer Deep Bluestatt. 1996 hatte Kasparow noch deutlich mit 4 W 2 gewon-nen. Aber jetzt war es knapper: Nach fünf Runden standes unentschieden 2;5 W 2;5. Kasparow war nervlich ange-spannt. Eine mögliche Betrugssituation in Runde 2 ließ ihnnicht zur Ruhe kommen, und IBM hatte eine Aufklärungdes Vorfalls geschickt hinausgezögert.

In der sechsten (und letzten) Partie führte Kasparowdie schwarzen Steine, spielte Caro-Kann und wurde ingenau der gleichen Stellung wie Timoschenko beim Jena-er Wettkampf mit dem Opfer 8.Sxe6 konfrontiert (sieheAbb. 13.4). Deep Blue hatte diesen Zug nicht selbst be-rechnet, sondern aus seiner Eröffnungs-Datenbank über-nommen. Kasparow war geschockt, verpasste die besteVerteidigung und gab im 19. Zug völlig demoralisiert auf.

Ich hatte das Spiel im Internet live verfolgt und erin-nerte mich natürlich sofort an die Partie von Doppel-Fritzgegen Timoschenko. Nach dem Einschlag auf e6 war ich ge-spannt, wie sich Kasparow auf dem Brett verteidigen würde,und war dann enttäuscht von seinem schnellen Zusammen-bruch.

Die sensationelle Niederlage von Kasparow wurde welt-weit intensiv diskutiert. Es erinnerten sich Schachjournalis-ten sogar an die 1996er Partie zwischen Doppel-Fritz undTimoschenko. Die altehrwürdige „London Times“ wies in

Page 226: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

13 Das 3-Hirn 217

ihrer Schachspalte darauf hin, dass Kasparow wohl gut dar-an getan hätte, das ICCA-Journal zu studieren und darinauch die Kommentare von Großmeister Timoschenko zuder kritischen Eröffnung. Etwas später kam ein pikantesDe-tail heraus: In den 1980er Jahren war Timoschenko einervon Kasparows Sekundanten bei dessen WM-Kämpfen ge-gen Anatoli Karpow gewesen. Der (Welt)Meister hätte alsodie Analysen seines ehemaligen Helfers studieren sollen.

Schwanengesang

Für mich war Kasparows Niederlage gegen Deep Blue eineKatastrophe. Den Plan, 1999 in Weimar als 3-Hirn gegenihn anzutreten, konnte ich wohl vergessen. Jetzt würde esnicht mehr gelingen, Sponsoren für solch ein Ereignis zufinden. Genau so kam es. Ein angefragter Manager erklärtemir: „Wieso sollen wir ein Ereignis bezahlen, bei dem Kas-parow gegen ein System aus zwei Computern und einemMenschen antritt, wenn schon ein einzelner Computer inder Lage war, ihn zu schlagen?“ Es sei der Öffentlichkeitnicht gut zu vermitteln, dass es dieses Mal um zwei Aldi-PCs und kommerzielle Software ginge und nicht um einenSupercomputer.

Trotzdem spielte ich im September 1997 den schon ge-planten weiteren Wettkampf mit dem 3-Hirn. Dieses Malging es gegen Artur Jussupow. In den frühen 1980er Jahrenwar er die Nummer 3 der Weltrangliste gewesen. Nach ei-nem traumatischen Raubüberfall in seiner Moskauer Woh-nung – er wurde durch denGewehrschuss eines Einbrechers

Page 227: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

218 Spiele, Rätsel, Zahlen

lebensgefährlich verletzt – wechselte er 1991 nach Deutsch-land und war hier jahrelang unangefochten die Nummer 1.

Zum Einsatz kam dieses Mal ein „Listen-3-Hirn“, alsKombination aus klassischem 3-Hirn und dem Doppel-Fritz mit Boss. Es liefen wieder zwei verschiedene Schach-programme auf zwei PCs, aber dieses Mal jedes im 3-Best-Modus. Als Entscheider verfolgte ich auf den Bildschirmendie zwei mal drei Zugvorschläge, ihre Bewertungen undHauptvarianten und wählte davon aus.

Um den Einfluss der Eröffnungstheorie auszuschalten,spielten wir die Partien mit zufällig ausgewürfelten Start-stellungen. Dabei standen die Bauern wie bei einer norma-len Schachpartie am Anfang auf den zweiten Reihen. DieOffiziere dahinter waren aber in zufälliger Anordnung, un-ter den Nebenbedingungen, dass die beiden Läufer auf Fel-dern verschiedener Farben starteten und der König irgend-wo zwischen seinen beiden Türmen stand. Außerdem wardie schwarze Stellung spiegelsymmetrisch zu der des Geg-nersWeiß. In fünf der sechs ersten Runden stand das Listen-3-Hirn mit dem Rücken zur Wand. Aber nur ein einzigesMal drang Jussupows Angriff wirklich durch: in Partie 4.Vorher hatte mein Team das Spiel 3 gegen heroischen Wi-derstand gewonnen.

Beim Stand von 3 W 3 brach Jussupow in der vorletz-ten Runde ein: Abbildung 13.5 zeigt die Stellung vor demSchlussangriff des Listen-3-Hirns. Der Großmeister verlordann auch die Schlusspartie bei dem Bemühen, doch nochein Gesamt-Unentschieden zu erreichen.

Auch wenn einWettkampf gegen Kasparow für 1999 in-zwischen in weite Ferne gerückt war, wollte ich für 1998doch ein Match gegen einen Super-Großmeister organisie-

Page 228: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

13 Das 3-Hirn 219

Abb. 13.5 Weiß ist das Listen-3-Hirn wird jetzt 27.h2-h4 spielen.Danach bricht die Stellung von Großmeister Jussupow in wenigenZügen zusammen

ren. Schon vor dem Jussupow-Wettkampf hatte ich einigeerfolgversprechende Verhandlungen mit Alexei Schirow ge-führt. Er gehörte damals zu den Top Ten der Weltrangliste.Als er das Ergebnis des Listen-3-Hirns gegen Jussupow er-fuhr, sagte er ab. Seine offizielle Begründung: Nach der Nie-derlage von Kasparow gegenDeep Blue habe er das Interesseam Computerschach verloren.

Für mich war die Absage wie ein Sturz in ein dunklesLoch. Zum allererstenMal in meinem Leben hatte ich so et-was wie Depressionen. Dann wachte ich eines Morgens aufund wußte plötzlich, wie aus heiterem Himmel: Ich wür-de mit den Experimenten zum Computerschach aufhören.Schlagartig ging es mir besser. Ein paar Tage später fing ich

Page 229: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

220 Spiele, Rätsel, Zahlen

an, ein Buch über die 13 Jahre mit 3-Hirn-Experimentenzu schreiben, und verarbeitete dabei auch einen großen Teilmeines Frustes [Althöfer (1998)].

Als 3-Hirn-Koordinator habe ich immer auch versucht,Nuancen im Verhalten des Gegners zu erspüren, um dar-aus in der Partie Kapital zu schlagen. Eine der extremstenSituationen passierte in einer Partie gegen einen Großmeis-ter. Das Spiel war schon in der fünften Stunde. Das 3-Hirnstand gut; mir war aber nicht klar, ob es für einen Sieg rei-chen würde. Plötzlich roch ich Schweiß. Schon einen Mo-ment später wurde mir klar, dass es nicht mein Schweißwar. Der Großmeister hatte erkannt, dass er die Partie ver-lieren würde. Zwar hatte er seinen Körper fast komplettunter Kontrolle (keine Grimassen, keine Hand- oder Arm-bewegungen, kein Hin- und Herrutschen auf dem Stuhl),aber den Ausbruch von Angstschweiß konnte er nicht un-terdrücken. Ich ließmir nichts anmerken, wusste aber plötz-lich, wie gut das 3-Hirn wirklich stand. Da habe ich nochvorsichtiger gespielt und die Programme jeweils ziemlichlang rechnen lassen, damit sie den Gewinn nicht noch ir-gendwie verpassten. Jahre später fand ich es witzig, als bei ei-nem menschlichen Turnier der niederländische Großmeis-ter Loek van Wely zu einer Partie mit einem T-Shirt antrat,auf dem gedruckt war: „I can smell your fear!“ („Ich kanndeine Angst riechen!“).

Bilanz und 3-Hirn-Träume

Das 3-Hirn war seit 1987 über all die Jahre besser als je-de seiner Komponenten. Die Kombination aus taktischer

Page 230: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

13 Das 3-Hirn 221

Stärke der Programme und strategischer Weitsicht des aus-wählenden Menschen führte zu Erfolgen, die von großenTeilen der Schachszene nur mit ungläubigemKopfschüttelnzur Kenntnis genommen wurden.

Spielstärke beim Schach lässt sich ziemlich verlässlichmit den sogenannten Elo-Zahlen messen. Jeder Spieler,der mindestens einige Partien gegen andere Spieler mitElo-Wertung gespielt hat, bekommt eine Wertung oderdas nationale Äquivalent dazu; in Deutschland sind es dieDWZ: Deutsche Wertungs-Zahlen. Je größer die Elo-Zahleines Spielers ist, umso besser ist er. Natürlich können Elo-Zahlen nicht exakt vorhersagen, wie X gegen Y in einereinzelnen Partie abschneidet, aber sie helfen abzuschätzen,wie Spieler A im Durchschnitt gegen mehrere Gegner mitElo-Zahlen b1; : : : ; bn abschneiden dürfte.

Für die Erfolgschancen von zwei Spielern gegeneinan-der spielt die absolute Größe ihrer Elo-Zahlen keine Rolle,sondern nur die Differenz. Bei der Differenz null haben bei-de die gleichen Chancen. Bei einem Unterschied von 200Punkten sollte der bessere Spieler im direkten Vergleich et-wa 75 Prozent der Punkte holen.

Schwache Vereinsspieler fangen bei etwa 1000 Wer-tungspunkten an. Ingo Althöfer hat ungefähr 1900, RolandVoigt 2450. Der im März 2014 beste deutsche Spieler,Großmeister Arkadij Naiditsch, hatte ein Elo-Rating von2706 und war damit in derWeltrangliste auf Platz 44.Welt-meister Magnus Carlsen wies 2881 Punkte auf, eine Zahl,die vor ihm noch niemand erreicht hatte.

Ohne absolute Prognosen zu wagen, ergibt sich aus die-sen Zahlen: Carlsen dürfte gegen Naiditsch knapp 75 Pro-zent holen,Naiditschwiederum gut 75 Prozent gegenVoigt.

Page 231: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

222 Spiele, Rätsel, Zahlen

UndVoigt sollte imVergleichmit Althöfer stärker überlegensein (Differenz etwa 550 Punkte) als Carlsen gegen Voigt.

Mit dem 3-Hirn (und ab 1996 auch mit Doppel-Fritzund dem Listen-3-Hirn) spielte ich Turniere und Wett-kämpfe in den Jahren 1985, 1987 und 1989 sowie zwischen1991 und 1997.

Gesamtbilanz: Bei fast all diesen Ereignissen spielte das3-Hirn ungefähr 200 Wertungs-Punkte stärker als die ein-gesetzten Schachprogramme. Das war am Anfang so, als dieRechner mit Ratings um 1500 deutlich schwächer waren alsich mit meinen 1900 Punkten. Und das war am Ende so, alsbeim Listen-3-Hirn die eingesetzten Schachprogramme beiknapp 2550 waren und ich immer noch bei 1900 stand. Ichals vergleichsweise schwacher Spieler (mehr als 600 Punkteunter den Schachprogrammen von 1997) konnte aus denKisten also weitere 200 Leistungspunkte herauskitzeln.

In der Schachszene konnten oder wollten viele Spielerdas nicht glauben. Es gab Versuche anderer, meine Erfolgezu kopieren, so auch von zwei Meistern, die im normalenSpiel um die 2300 Punkte gut waren. Ihre Ergebnisse warensehr enttäuschend, was wahrscheinlich auch daran lag, dasssie ihr Ego (nicht ihr Elo!) bei den 3-Hirn-Experimentennicht im Griff hatten: Als menschlicher Auswähler sollteman nicht mit Gewalt zwischen den Vorschlägen der zweiSchachprogramme abwechseln, sonst kommt es leicht zudem Phänomen, das ein altes Sprichwort „Viele Köche ver-derben den Brei“ nennt. Oft habe ich als Auswähler fast eineganze Partie lang die Erstvorschläge von Programm X reali-siert und nur zwei oder drei Mal solche von Programm Y .3-Hirn-Auswählen ist manchmal wie Bahnfahren. Über

Page 232: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

13 Das 3-Hirn 223

ganz lange Abschnitte geht es strikt geradeaus. Nur an we-nigen Weichen sollte man abbiegen.

Lange hatte ich gehofft, dass Leute in anderen Berei-chen auch auf das 3-Hirn-Prinzip anspringen. Aus welchenGründen auch immer gab es aber nur Enttäuschungen. Diemeiste Energie hatte ich investiert, um Mediziner dazu zubringen, mehrere verschiedene Computersysteme bei derDiagnose von Herzproblemen oder anderen Krankheiteneinzusetzen. Trotz manch interessanter Diskussionen liefes aber immer wieder darauf hinaus, dass die angefragtenÄrzte letztendlich in ihren gewohnten Gleisen blieben.

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht erlebe ich ja dochnoch, dass das 3-Hirn-Prinzip in dem einen oder anderenBereich zu einer Erfolgsgeschichte wird. Vielleicht sogar beidem Beweisen in der Mathematik . . .

Page 233: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

14Betrugsversuche

Spielstarke Schachcomputer und Programme bergen dieGefahr, dass charakterschwache Turnierspieler unerlaubtihre Hilfe in Anspruch nehmen. Hier werden einige spekta-kuläre Fälle von „eDoping“ im Leistungsschach erzählt. DieListe ist nicht vollständig. Erzählt werden solche Geschich-ten, die wegen dieser oder jener Umstände – in jedem Fallwaren es andere – besonders lehrreich sind.

Einen bestrafen – hundert erziehen

Die folgende Parole wird Mao Zedong zugeschrieben, dersein chinesisches Riesenreich mit etlichen hundert Millio-nen Menschen unter Kontrolle halten wollte und dabei vordrastischen Maßnahmen nicht zurückschreckte. „Einen be-strafen – hundert erziehen“ – das konnte man in den letz-ten 15 Jahren auch im bayerischen Teil der schwäbischenSchachwelt erleben. Es ging um den Amateurspieler X. Sei-ne Wertungszahl war bei etwa 1920, als er im Dezember1998 bei einem internationalen Schachturnier in Böblin-gen antrat. Dort kamen mehr als 300 Spieler zusammen,darunter eine Reihe von Profis.

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1_14,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 234: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

226 Spiele, Rätsel, Zahlen

Womit niemand rechnete: nach neun Runden in fünfTagen lag Herr X auf einem geteilten ersten Platz und be-kam dafür ein Preisgeld von 1660 DM. In den Turnierpar-tien erreichte er eine Erfolgszahl von 2630 – das entsprichtmindestens guter Großmeister-Stärke. Damals – 1998 – gabes in Deutschland nur einen Spieler mit noch höherer Wer-tungszahl: den Großmeister Artur Jussupow.

Schon während des Turniers, als X reihenweise gegen in-ternationale Meister siegte, hatten einige Anwesende denVerdacht, dass der wackere Amateur irgendeine Form vonunerlaubter Hilfe nutzte. Er saß – im auch durch die En-ge mehr als 30 Grad warmen Turniersaal – die ganze Zeitunbeweglich mit Krawatte und voluminösem Jackett undrührte sich während der laufenden Partien nicht von seinemStuhl. Hatte er irgendwelche elektronischen Hilfsmittel amKörper versteckt?

In der letzten Runde gelang X ein Meisterstück. Er über-spielte den Turnierfavoriten, den Großmeister Sergey Kali-nitschew, nach Strich und Faden. Als Kalinitschew nach derZeitkontrolle aufgab, sagte Herr X nur „Ja, sie würden jetztauch in acht Zügenmatt werden.“ Kalinitschew lächelte fra-gend; da erwiderte der Sieger: „Es ist so; prüfen Sie es nach!“

Das ließ sich einer der Zuschauer nicht zweimal sagen.Er schleppte einen PC heran. Auf dem Rechner war dasSchach-Programm Fritz 5.32 installiert. Die Stellung, sieheAbb. 14.1, wurde eingegeben – und nach einigen Minu-ten vermeldete der Rechner in der Tat, dass Schwarz in achtZügen matt gehen würde. Die Turnier-Veranstalter zahltendas Preisgeld an Herrn X noch aus, doch danach rollte überden Spieler eine Recherche- undMedien-Welle ungeahntenAusmaßes hinweg.

Page 235: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

14 Betrugsversuche 227

Abb. 14.1 X gegen Kalinitschew. Schwarz am Zug gab auf. Dar-auf erklärte X, es sei ja auch Matt in 8 Zügen

Großmeister weltweit amüsierten sich darüber, dass einMensch in der Schluss-Stellung ein Matt in Acht erkennenkönne – sie selbst schafften es allesamt nicht. Die FirmaChessBase ließ von einem Mitarbeiter prüfen, wie oft es inden neun Böblinger Partien von X Zug-Übereinstimmun-gen mit den Vorschlägen von Fritz 5.32 gab; die Quote warnahe bei 100 Prozent.

Bei der Polizei ging eine anonyme Anzeige wegen Be-trugsverdachts ein. Das Magazin „Der Spiegel“ widmetedem Fall in der Ausgabe vom 25. Januar 1999 eine ganzeSeite, inklusive der Anmerkung „als hätte Helmut Kohl beiden deutschen Meisterschaften im Stabhochsprung gewon-nen“.

Page 236: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

228 Spiele, Rätsel, Zahlen

Ein Schachjournalist recherchierte im Umfeld vonHerrn X und fand Erstaunliches heraus: Bei einer lokalenElektronik-Firma hatte X für 4600DM Ausrüstung erwor-ben: unter anderem zwei digitale Handsprechfunk-Geräte,mit denen auch vier Ziffern auf einmal als digitaler Codeübertragbar waren; außerdem einen klitzekleinen Ohrhörer,der im Innenohr versteckt werden konnte.

Mit solch einer Technik lässt sich Folgendes machen:Spieler X amBrett meldet den letzten Zug desGegners (z. B.5254 für den Zug von Feld e2 nach e4) mit dem Viertas-tenmelder an einen Bekannten Y, der sich an einem na-hen Ort (z. B. einem Hotelzimmer oder einem Fahrzeug)aufhält. Y gibt den empfangenen Zug in den spielbereitenSchachcomputer ein und lässt die Kiste ein bis zwei Minu-ten rechnen. Dann übermittelt ermit demHandsprechgerätden Computer-Zug an X. X hört die Botschaft durch denkleinen Innenohr-Lautsprecher und kann den Zug direktauf dem Brett ausführen.

In allen deutschen Schachzeitungen war der Fall dasThe-ma in den ersten Monaten des Jahres 1999. Egon Ditt, da-mals Präsident des Deutschen Schachbundes, schrieb: Inanderen Sportarten gebe es bei Dopingmehrjährige Strafen.Er würde im Fall von Herrn X auch eine solche Sperre fürangemessen halten. Viele Schachspieler wollten einen Präze-denzfall, um mögliche Nachahmer gehörig abzuschrecken:Einen bestrafen – hundert erziehen.

Der Kreisspielleiter von Südschwaben setzte vorüberge-hend die Mannschaftskämpfe des Vereins von X aus, damitdiese nicht mehr Herrn X einsetzen konnten. X überleg-te kurz, in den Landesverband Württemberg zu wechseln.

Page 237: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

14 Betrugsversuche 229

Doch bevor er einen offiziellen Antrag stellen konnte, wink-te der dortige Präsident ab.

Der bayerische Schachbund griff zu einer drastischenMaßnahme und schloss Herrn X für fünf Jahre vom Spiel-betrieb aus. X zog dagegen vor Gericht und unterlag. Dannging viel Zeit ins Land. Man dachte zwar hin und wiederan den Fall, aber es gab aktuellereThemen. Bei den Recher-chen für dieses Buch erinnerte ich mich an die Geschichteund schaute in die Wertungszahlen-Liste des deutschenSchachbundes.

Siehe da: Herr X wurde wieder geführt. In der Saison2011/12 und auch im Spieljahr 2012/13 war er für seinenalten Verein angetreten. Der Erfolg war allerdings mäßig:In insgesamt nur 12 Partien (über zwei Jahre verteilt) ver-lor X 31 Wertungspunkte. Ich versuchte herauszufinden,von wem und wie denn sein Ausschluss aufgehoben wor-den war, und fand Erstaunliches und auch Erschreckendes:

(i) Herr Xwusste von derDauer seiner Sperre.Nach Ablaufhat er aber noch sieben weitere Jahre gewartet, bis erwieder antrat.

(ii) Im Juni 2011 spielte X bei einem Amateur-Schachtur-nier mit, das eigentlich nur für Spieler mit Wertungs-zahlen unter 1700 offen war. Am Ende gewann er nichteinmal, sondern musste sich mit Rang zwei hinter ei-nem 1570-Spieler begnügen.

(iii) Im Internet konnte man das Protokoll der Jahreshaupt-versammlung 2011 des Schachkreises Südschwabenlesen. Unter Punkt 4 stand da: „Unverständnis wurdegezeigt über die Entscheidung des Bayerischen Schach-bundes, den vor zwölf Jahren gesperrten Schachspieler

Page 238: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

230 Spiele, Rätsel, Zahlen

ohne Rücksprache mit dem betroffenen Kreisverbandwieder spielen zu lassen.“ Da schienen also Personenauch nach zwölf Jahren noch Groll zu haben. Ob MaoZedong Herrn X auch so streng behandelt hätte?

(iv) Als ich einen Bekannten von X wegen der Sache in-terviewte und dabei meinte, Herr X müsse doch inden langen Jahren des Ausschlusses vom Schachlebenschlimm gelitten haben, war die Antwort: „Ach nein,das war nicht so arg. Er konnte ja online anonym aufden Schachservern spielen.“

Es ist gut, dass die Beteiligten die Sache inzwischen (2014)mit mehr Abstand sehen als noch 2011. Strafe ist gut, Ab-schreckung kann gut sein, man sollte aber auch vergebenkönnen.

„Toiletten-Schach“

Vier Jahre nach Böblingen war es wieder so weit. Wergehofft hatte, dass die drakonische Bestrafung und dasAnprangern des „Böblinger Riesen“ die eDoping-Szeneim Schach auf Dauer ausgetrocknet hätte, musste sichgetäuscht sehen. Erneut passierte das Spektakel bei ei-nem offenen Turnier zwischen Weihnachten und Neujahr,dieses Mal in Lampertheim. Vielleicht hatte der Täter Zsein kleines handliches „Pocket-Fritz“ sogar erst unter demWeihnachtsbaum vorgefunden.

Jedenfalls suchte Z die Toilette während seiner laufen-den Partien – bei eigener tickender Schachuhr – so häufigauf, dass Gegenspieler Verdacht schöpften. Es war ihnen

Page 239: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

14 Betrugsversuche 231

aufgefallen, wie er mehrfach nach seinen 00-Sitzungen ziel-strebig vom stillen Örtchen zurück an das Brett eilte undsofort zog. Die folgende Darstellung orientiert sich an demBericht, den der Schiedsrichter für die Schachgremien an-fertigte [ChessBase (2003)].

Der Schiedsrichter wurde von dem Spieler, der in Run-de 5 Opfer von Z geworden war, informiert und kümmertesich darum. Er ließ sich den Sachverhalt vom Z-Gegner inder laufenden Runde 6 bestätigen und beobachtete in derFolge das Brett. Herr Z kam, spielte nun tatsächlich eini-ge Züge recht schnell und verschwand wieder in RichtungToilette. Der Schiedsrichter ging ihm nach. Aus der von Z„besetzten“ Kabine hörte er keine Geräusche. Er wartete ei-nige Minuten im Vorraum, dann wagte er einen Blick unterder Tür durch und sah, dass die Füße von Z parallel zuder Toilette standen. Zumindest war es eine Stellung, in derkein normales Geschäft verrichtet werden kann.

Schließlich wagte der Schiedsrichter einen Blick aus derNachbarkabine über die Seitenwand: Z hielt einenMini-PCin der Hand, auf demDisplay leuchtete das Schachbrett deslaufenden Schachprogramms Pocket-Fritz. Mit der anderenHand bewegte der Toiletten-Gänger einen Bedienstift.

Als Z die Toilette verließ und vom Schiedsrichter mit derBeobachtung konfrontiert wurde, versuchte sich Z heraus-zureden („ich habe nur E-Mails bearbeitet“). Der Schieds-richter wollte sich als Beleg den Kleinrechner zeigen lassen,was der Spieler verweigerte. Daraufhin gingen beide zumBrett, der Schiri erklärte die Partie für Herrn Z als verlorenund schloss den Falschspieler außerdem vom Turnier aus.Z nahm seine Sachen und ging ohne weitere Worte. Fürdie Aktion auf der Toilette hatte der Schiedsrichter einen

Page 240: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

232 Spiele, Rätsel, Zahlen

Abb. 14.2 Stellung aus der Partie Z gegen Torsten Lang. Weißwird, sobald er von der Toilette zurück ist, den Vorstoß 7. c4-c5spielen

Zeugen, der zur Aussage vor einem Verbands- oder einemordentlichen Gericht bereit war.

Abbildung 14.2 zeigt die Stellung in Runde 6, nach dem6. Zug des Schwarzspielers Torsten Lang. Herr Z, der dieweißen Steine führte, war auf die Toilette verschwunden.Nach einigenMinuten kam er an das Brett zurück und führ-te direkt den kühnen Bauernvorstoß 7. c4-c5 aus. Die meis-ten Menschen hätten in der Stellung wohl eher einen Ent-wicklungszug gemacht, z. B. mit dem Springer von g1 oderdem Läufer von f1 aus. Dagegen mögen Schachprogram-me den Vorstoß des c-Bauern sehr. (Siehe hierzu auch denAbschnitt über „Doppel-Fritz mit Boss“.)

Page 241: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

14 Betrugsversuche 233

Applaus gab es, als zum Start der siebten Runde verkün-det wurde, dass ein Spieler in flagranti mit Pocket-Fritz erwi-scht und direkt disqualifiziert worden war. Ebenso begrüßtwurde die Ankündigung, über die Verbände auf eine Sper-re hinzuwirken. Die Veranstalter wählten eine sehr kulanteLösung, um die Opfer von Z zu entschädigen: Neben denausgelobten Preisen wurden auch die Spieler berücksichtigt,die in Runde 1 bis 5 mutmaßlich von Herrn Z geschädigtwurden.Wären sie durch einen Sieg in der Z-Partie in Preis-ränge gerutscht, so bekamen sie diesen (höheren) Preis.

Z war im hessischen Schachverband gemeldet, und die-ser sollte über eine Bestrafung entscheiden, die über denTurnierausschluss in Lampertheim hinausging. In seinemVerband war Z ein seit Jahrzehnten angesehener Schach-freund. Man entschied sich, auch auf Wunsch von Spie-lern aus Z’s Verein, für eine kleine Lösung: Es wurde keinVerfahren eröffnet. Stattdessen gab Z sein Ehrenamt in derJugendförderung auf und verzichtete für ein Jahr auf alleTurniereinsätze.

Offiziell war die Sache damit erledigt, aber seinen Rufhatte Z trotzdem nachhaltig beschädigt. Noch im Jahr 2008erschien in einemMagazin der Bundeszentrale für politischeBildung ein Artikel mit dem Titel „Total daneben“. Darinwurden acht Personen aus verschiedenen Sport-Bereichenals Beispiele dafür vorgestellt, dass Sport nicht unbedingtden Charakter stärkt. Neben Mike Tyson (Ohr abgebissenbeim Boxen) und einem Schlagstock-Prügler beim Eis-kunstlauf wurde auch Herr Z mit seinem LampertheimerToiletten-Auftritt namentlich genannt.

Page 242: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

234 Spiele, Rätsel, Zahlen

Stühle-Code

Der französische Großmeister G nutzte unerlaubte Compu-ter-Unterstützung bei der Schach-Olympiade 2010 inChanty-Mansijsk. Er hatte zwei Meister A und B als Hel-fer. A befand sich irgendwo weit weg vom Turniersaal undverfolgte die Life-Übertragung im Internet. Zur Erklä-rung: Seit einigen Jahren ist es üblich, dass alle Partien derSchach-Olympiade live im Internet übertragen werden. Aufeinem normalen PC hatte der Helfer A die jeweils aktuelleStellung von G in ein starkes Schachprogramm eingege-ben und schaute, welchen Zug dieses Programm vorschlug.Diesen Zug schickte er mit SMS (versteckt als Teil einer 12-stelligen Telefon-Nr.) an Meister B. Dieser war mit seinemHandy im Turniersaal. Kam ein Zug an, musste er ihn an Gübermitteln. Dazu hatten sich die Drei ein ausgeklügeltesSystem überlegt.

Ein Zug lässt sich beschreiben als vierstellige Zahl, wobeidarin nur die Ziffern 1 bis 8 vorkommen. Die ersten zweiZiffern zeigen das Startfeld der zu ziehenden Figur, die an-deren beiden Ziffern das Zielfeld. Beispiel: Der Zug e2-e4wird codiert als 5254. (Von den normalen Brettkoordina-ten kommt man zu „Nur“ziffern, indem die Buchstaben abis h in dieser Reihenfolge auf die Ziffern 1 bis 8 übertragenwerden.)

Bei der Olympiade wird mit Vierer-Mannschaften ge-spielt, wobei die vier Partien einer Paarung imTurniersaal aneinem langen Tisch nebeneinander stattfinden. „Vier Par-tien“ heißt „acht Spieler“. Die Stühle dieser acht Spielerhatten G und Kompagnon B von 1 bis 8 durchnumme-

Page 243: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

14 Betrugsversuche 235

1 2 3 4

5 6 7 8

Abb. 14.3 Stuhlanordnung bei der Schacholympiade

riert. Um etwa 5254 zu übertragen, stellte sich B nach einem„Eröffnungs-Signal“ zuerst hinter Stuhl 5. Dann schlender-te er hinüber hinter Stuhl 2. Dann wieder zurück hinterStuhl 5, und abschließend hinter Stuhl 4.

Ein typischer Zeitbedarf für den ganzen Ablauf eines Zu-ges war etwa: 30 bis 60 Sekunden Berechnung des Zugesauf dem PC von A. Dabei konnte A die SMS mit dem ver-meintlich kommenden Zug schon vorbereiten, so dass er siedann nur noch abschicken musste. Helfer B hatte sich in-zwischen vom Tisch der französischen Mannschaft entferntund empfing dort die SMS (mit den vier Ziffern – verstecktin einer langen Telefonnummer). B ging innerhalb wenigerSekunden zurück zum Tisch, und dann folgte der „Stuhl-rundgang“, auch wieder in 30 bis 60 Sekunden. Das ganzeProcedere würde also in weniger als 2 Minuten vonstattengehen, war also schnell genug, da die Spieler in der norma-len Phase der Partie eine Bedenkzeit von durchschnittlich3 Minuten pro Zug hatten.

Die anderen Spieler der französischen Nationalmann-schaft wussten nichts von der Betrugsmasche und warenentsetzt, als die Sache offenkundig wurde. Viel Lob gab

Page 244: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

236 Spiele, Rätsel, Zahlen

es international für den französischen Verband, der ener-gisch eine vollständige Aufklärung der ganzen Geschichtedurchsetzte, und zwar in der Öffentlichkeit und nicht inirgendwelchen Hinterzimmern.

G, A und B wurden vom französischen Schachverbandverurteilt und langjährig gesperrt. Wegen eines Formfehlerserklärte ein ziviles Gericht die 5-Jahres-Strafe gegen G fürunzulässig. Später sperrte der Weltschach-Verband FIDE Gfür zwei Jahre und neun Monate.

„Toiletten-Schach“ II

Seit einigen Jahren gibt es rechenstarke Smartphones undandere Kleincomputer, die in eine normale Hosentaschepassen. Da ist für manche Schachspieler die Verführunggroß, in kritischen Partiestellungen auf die Toilette zuverschwinden und die aktuelle Stellung dort mit solcheinem mobilen Gerät zu analysieren. Um dem einen Rie-gel vorzuschieben, sind Handys und Kleinstrechner beider Schachbundesliga im Turniersaal verboten. Aber Ver-bot und Durchsetzung sind zweierlei. Im Oktober 2012ergaben sich Verdachtsmomente gegen den deutschenGroßmeister I. In der Samstags-Runde war er ungewöhn-lich oft auf der Toilette. Die Partie gegen einen nominalstärkeren Gegner gewann er überzeugend. Stutzig gewor-den, folgte ihm sein Gegner in der Sonntags-Partie auf dieToilette. I verschwand in einer Kabine für das große Ge-schäft. Der Gegenspieler holte einen Schiedsrichter hinzu.Dieser stellte I nach dem Verlassen der Toilette zur Redeund fragte, ob er ein Handy oder Smartphone dabei hätte.

Page 245: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

14 Betrugsversuche 237

I bejahte, ebenso die Folgefrage, ob auf seinem Gerät einSchachprogramm installiert sei.

Der Schiedsrichter erklärte den Verdacht auf unerlaubteelektronische Hilfe und bat I, das Gerät anzustellen und zuzeigen, in welchem Status das Schachprogramm gerade sei.I lehnte das ab. Daraufhin wurde die laufende Partie für ihnals verloren gewertet – in Analogie zu Entscheidungen beianderen Sportarten, bei denen die Weigerung, zur Doping-probe anzutreten, auch so wie ein Dopingvergehen selbstbestraft wird.

Wochen nach demVorfall verhängte der deutsche Schach-bund eine Zwei-Jahres-Sperre gegen I. Wegen eines un-scheinbaren juristischen Formfehlers musste die Sperrespäter wieder aufgehobenwerden. In der Schach-Bundesligaist I seither (zwischen November 2012 und März 2014)nicht mehr eingesetzt worden. Stattdessen spielt er für einenKlub in der dritten Liga – dort gibt es keine Handykontrol-len während der Partien – und gibt auch hin und wiederTageskurse zur professionellen Nutzung aktueller Schach-Software.

Goldene Füße?

Besonderes Aufsehen erregte 2012 und 2013 der Bulgare L.Mit einer Wertungszahl von etwa 2200 spielte er einige sehrgute Turniere und gewann dabei Geldpreise in beträchtli-cher Höhe. Viele Mitspieler hatten einen Verdacht, dochkonkret nachgewiesen wurde L lange Zeit nichts. Die Sa-che kulminierte, als im Oktober 2013 der mit vielen Was-sern gewaschene US-Großmeister Maxim Dlugy auf L traf,

Page 246: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

238 Spiele, Rätsel, Zahlen

bei einem Turnier in Bulgarien. Dlugy hatte L schon eini-ge Tage beobachtet. Aufgefallen war ihm dabei, dass L mitsehr komischen, vorsichtigen Schritten zu seinem Platz gingund dann die ganzen Partien lang praktisch unbeweglich amBrett saß.

Dlugy kam ein Verdacht: Manche Smartphones habeneinen berührungssensitiven Bildschirm. Könnte man einSchachprogramm auf solch einem Gerät mit Berührungendurch die Zehen steuern und das Gerät durch Vibrationenantworten lassen? Dlugy teilte seinen Verdacht der Tur-nierleitung mit, als er für die nächste Partie gegen L gelostworden war. Die Turnierleitung informierte L zu Beginnder nächsten Runde von dem Verdacht und verlangte, dasser die Schuhe ausziehe und die Schiedsrichter hineinschau-en lasse. L lehnte ab, auch noch, als Dlugy mit „gutem“Beispiel voranging und seine Schuhe und Strümpfe mittenim Turniersaal auszog. L’s Argument, er hätte Schweißfü-ße, wurde nicht akzeptiert; das Aushalten des Geruches seiein vergleichsweise kleines Übel. L wurde aus dem Turnierausgeschlossen.

Ein paar Tage später teilte L im Internet mit, dass die Un-terstellungen in der Schachszene ihm die Lust auf weitereTurniere genommen hätten. Deshalb würde er mit sofor-tiger Wirkung vom Turnierschach zurücktreten. Das hin-derte ihn aber nicht daran, einige Wochen später bei einemspanischen Turnier anzutreten. Dort wurde er, nachdem erin den ersten fünf Runden fast alles in Grund und Bodengespielt hatte, ausgeschlossen, nachdem er eine Leibesvisita-tion abgebrochen hatte. Mitte Dezember 2013 sperrte ihnder bulgarische Schachverband auf Lebenszeit.

Page 247: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

14 Betrugsversuche 239

Vibrationen bis zum Matt?

Zum Ende der Saison 2012/13 fand sich in der Schach-presse ein Artikel, den viele Leser erst einmal nicht ein-ordnen konnten: Nachwuchsspieler J hatte gegen Ende derBundesliga-Serie mehrere Großmeister aufsehenerregendgeschlagen, ebenso hatte er bei einem offenen Turnier ei-ne ganze Reihe von Glanzpartien gespielt. Während desTurniers kam der Verdacht auf, er würde unerlaubte Com-puterhilfe benutzen. Man fand heraus, dass in den Partienauffällig viele Züge von Spieler J mit den Vorschlägen desführenden Schachprogramms Houdini übereinstimmten.

In einem einzigen Spiel war das nicht der Fall.Doch auchdafür gab es eine schlüssige Erklärung: In dieser Runde wardie Live-Übertragung der Partien im Internet abgeschaltetgewesen. So konnten mögliche externe Helfer nicht wissen,für welche Stellung ein Spieler gerade einen Zug suchte.Eine Zeitschrift veröffentlichte neben dem Deizisauer Tur-nierbericht eine Stellungnahme von Herrn J. Darin fandensich eine Reihe eigentümlicher Aussagen. Hier sind sie alsZitate:

� „Mir kann man keine – und wird es auch zukünftig nicht– Computerhilfe nachweisen.“

� „Bei vielen offenen Turnieren kann man beobachten, wiedie Großmeister nicht gegeneinander spielen, sondernsich mit Kurzremisen Ruhezeit verschaffen. Ich habe mirvorgenommen, sie alle dafür zu bestrafen, was ich auchweiterhin tun werde – sie besiegen!“

Page 248: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

240 Spiele, Rätsel, Zahlen

Die häufige Übereinstimmung seiner Züge mit den Vor-schlägen des Computer-Programms Houdini erklärte Spie-ler J damit, dass er häufig mit Schachcomputern trainiereund daher ihre Pläne begriffen habe.

� „Ich halte es deshalb für äußerst wahrscheinlich, dass wirkünftig durchaus weitere Partien sehen werden, die sichnur in Details von Computervorschlägen unterschei-den.“

Robert Houdart, der Programmierer vonHoudini und selbstein starker Schachamateur, kommentierte das in einem In-ternetforum wie folgt (Übersetzung ins Deutsche durchden Autor): „Kein menschliches Wesen kann auf Dauerdie Nr.1- und Nr.2-Vorschläge von Houdini finden. Wirdsolch ein Muster entdeckt, liegt Betrug vor.“

Über die Sache kehrte nach einigen Wochen intensiverDiskussionen relative Ruhe ein, ehe neue Paukenschlägehellhörig machten: Bei zwei Schnellschach-Turnieren imSommer 2013 siegte J überlegen, mit Schach wie von ei-nem anderen Stern. Wieder kochten Diskussionen hoch,und wieder wurde es nach einigen Tagen still.

Dann meldete sich Jüngling J Ende Juli 2013 für eineweitere Veranstaltung mit normaler Bedenkzeit an: das of-fene Turnier in Dortmund. Dort betrug der Preis für denGesamtsieger 1000 Euro. Die Veranstalter sahen keineHandhabe, ihn abzuweisen, stellten J aber unter besondereBeobachtung durch die Schiedsrichter. Diese bemerkten,dass nach jedem Zug der Gegner die Hand von J in seinerHosentasche verschwand und dort auch blieb. In den ersten

Page 249: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

14 Betrugsversuche 241

sieben Runden gewann Herr J alle Partien. Nach Runde 7wurde er gebeten, sein Mobiltelefon vorzuzeigen. Er hattetatsächlich eines in der Tasche und kam der Bitte nach; dasTelefon war nicht eingeschaltet.

Ausgeschaltete Telefone durften bei diesem Turnier mit-geführt werden. Vor der achten Runde wurde J gebeten,trotzdem sein Handy abzugeben. Wieder kam er der Bit-te nach. Als der Schiedsrichter das ausgeschaltete Telefonweglegen wollte, meldete sich dieses mit einem Vibrations-Signal. Das sah die Turnierleitung als hinreichendes Indizdafür, dass der Spieler während der Partien mit Hilfe ei-nes Codes Signale (die Züge) ausgesendet und Signale (dieComputervorschläge) empfangen habe. J wurde disqualifi-ziert.

Ein halbes Jahr lang hatte J die Schachsportler zumNarren gehalten: Bundesliga, Turnier in Deizisau, Schnell-turniere, Open in Dortmund. Der deutsche Schachbundsah nach der mit juristischen Spitzfindigkeiten ausgehe-belten Sperre gegen Spieler I von einer formalen Sperrefür J ab, schloss ihn aber aus seinem C-Kader aus, in demhoffnungsvolle Nachwuchsspieler gefördert werden. DerEthik-Kommission des Weltschachbundes FIDE wurde derVorfall gemeldet. Die FIDE wertete alle Dortmunder Par-tien von J als verloren, was ihn über 60 Wertungspunktekostete: Absturz von gut 2460 auf weniger als 2400.

Eine gewisse Bedeutung können bei der Einschätzungund Entscheidung zwei Vorgeschichten gehabt haben, dieJahre zurück lagen: Bei einer deutschen Jugendmeisterschafterreichte J in seiner Altersklasse den geteilten ersten Rang.Doch vorher, mitten in demTurnier, war sein Vater aus demTurniersaal verbannt worden. Vater J lief mit Kopfhörer her-

Page 250: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

242 Spiele, Rätsel, Zahlen

um, verschwand oft vor der Tür und führte dort Telefonate,kam wieder herein und machte am Spielbrett seines Soh-nes auffällige Handzeichen. Einige Teilnehmer und Betreu-er äußerten den Verdacht, dass hier von außen übermittelteZugvorschläge an den Spieler weitergereicht würden, des-halb die Verbannung. Auch bei einem Mannschaftskampfein Jahr später war Ähnliches beobachtet worden.

Die schachsoziale Ächtung von Herrn J begann bereitsim Sommer 2013: In der Bundesliga-Mannschaft seinesVereins wollten die anderen Spieler nicht mehr zusammenmit ihm antreten. Da wechselte er für die neue Spielzeit zuseinem früheren Klub. Doch auch dort wollten Spieler derersten Mannschaft nichts mehr mit ihm zu tun haben. DerVereinspräsident stellte ihn dann an Brett 1 in der zweitenMannschaft auf und in der Jugendmannschaft. Knapp sechsMonate lang spielte J nicht, aber im Februar 2014 war eswieder so weit: Einsätze in drei Kämpfen der Jugendliga.Jedes Mal verweigerten die Gegenspieler die Partie; so holteder Verein am ersten Brett jeweils kampflose Siege.

Ende des Jahres 2013 hatte Herr J in einem Berichtfür seine Heimatzeitung noch gesagt, er wolle sich nacheiner Bedenkpause entscheiden, in welcher der SportartenSchach, Tischtennis oder Tanzen er in Zukunft anzutretengedenke. Auch mit den Langzeitfolgen von Böblingen 1998und Lampertheim 2002 vor Augen kann man ihm nur ra-ten, sehr gut zu bedenken, auf was er sich mit weiteremLeistungs-Schach einlassen würde.

Page 251: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

14 Betrugsversuche 243

Große Angst vor einem kleinen Tiger

Wieviel unentdecktes eDoping gibt es beim Schach? So wiezumDoping in körperbetonten Sportarten kann auch beimSchach gefragt werden, wie hoch die Dunkelziffer ist. Unab-hängig von den wirklich stattfindenden Betrugsfällen ist diegesamte Schachszene jedenfalls ziemlich verunsichert. EinBeispiel passierte beim Schach-Open in Travemünde EndeDezember 2013. Ein ziemlich unbekannter Spieler Y mitwenig überragender Wertungszahl mischte überraschendganz vorne mit. Bei seinen Partien hatte er neben demBrett immer einen Spielzeugtiger als Maskottchen liegen.In der letzten Runde ging es für Y gegen einen gestandenenGroßmeister. Dieser äußerte die Bitte, dass der Tiger vonBrett weggenommen oder zumindest so hingestellt würde,dass die Augen des Tieres nicht auf das Spielbrett zeigten.Der Großmeister hatte den Verdacht, dass vielleicht in denTigeraugen kleine Kameras eingebaut sein könnten, die dieaktuelle Stellung irgendwohin übertragen, wo ein Helfermit Computer-Unterstützung analysiere und resultierendeZugvorschläge an den Besitzer des Tigers schicken würde.

Dem Wunsch wurde entsprochen, der Tiger gedreht,und der Großmeister war zufrieden. Stunden später warer sogar glücklich, weil er die Partie und damit das gutdo-tierte Turnier in Travemünde gewonnen hatte. Der Autordes Turnierberichts in der Zeitung „Schach“ (Ausgabe Fe-bruar 2014, S. 30–33) erzählte die Geschichte und schriebdazu, dass seiner Meinung nach beim insgesamt immernoch überraschend guten Abschneiden von Y unerlaubteComputerhilfe keine Rolle gespielt haben dürfte.

Page 252: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

244 Spiele, Rätsel, Zahlen

Der Travemünder Vorfall zeigt die Verunsicherung inder Schachszene. Nach den etlichen Vorfällen seit 2010und der fortgeschrittenen Miniaturisierung spielstarkerTaschencomputer kommt ganz leicht ein Verdacht auf un-erlaubte Hilfe auf, wenn ein regulär nicht so starker Spielerplötzlich über sich hinaus wächst und Partien oder garganze Turniere gewinnt. Die Zukunft wird zeigen, ob dras-tische Bestrafungen und soziale Kontrolle ausreichen, daseDoping-Gespenst im Zaum zu halten.

Interdisziplinärer Betrüger: vom Schachzum Sudoku

In den USA gab es innerhalb von drei Jahren einen bemer-kenswerten Doppelschlag im eDoping: 2006 meldete sichbei einem großen offenen Schachturnier in Philadelphia einunbekannter Spieler an, nennen wir ihn Herrn K. Er hat-te eine ganz niedrige Wertungszahl, und niemand gab ihmeine Chance auf einen Preis. Aber dann schlug er einenGeg-ner nach dem anderen, sogar gestandene Großmeister. DerTurnierdirektor bat um eine Leibesvisitation, woraufhin derSpieler erst einmal für zehn Minuten auf die Toilette enteil-te (der Ort scheint bei Tricksern beliebt zu sein). Danachfanden sich keine elektronischen Teile am Spieler, er verloraber auch die beiden restlichen Partien chancenlos. EinigeZeit nach dem Turnier war der Vorfall vergessen.

2009 fanden – auch in Philadelphia – die US-Meister-schaften im Sudoku statt; es ging um eine Siegprämie von10.000 US-Dollar für den Besten und weitere vierstellige

Page 253: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

14 Betrugsversuche 245

56

434

79

2

9

8

3 5

1 9 3

1

63

59 7

92

8

Abb. 14.4 Herr K schaffte genau zwei Einträge – in mehr als achtMinuten. Wieviel schaffen Sie?

Geldpreise für die Platzierten. Die Endrunde der besten dreiTeilnehmer erreichte auch „unser“ Herr K, der vorher nochnie bei Sudoku-Wettbewerben in Erscheinung getreten war.

Das letzte schwere Rätsel, siehe Abb. 14.4, das über dieMedaillenplätze entscheiden sollte, wurde auf offener Büh-ne gelöst. Jeder der drei Finalisten hatte das Rätsel auf einemFlipchart direkt vor sich, ebenso einen dicken Filzschreiberund einen Wischlappen, um Hinweise und falsche Zahlenwieder entfernen zu können. Es gibt ein sehenswertes Vi-deo „How to lose a Sudoku tournament“ dazu auf Youtube,auch wenn der Kopf eines Zuschauers für die meiste Zeitdirekt vor interessanten Bildausschnitten zu sehen ist.

Links auf der Bühne bemühte sich der damalige Welt-meister Thomas Snyder. Nach gut vier Minuten war er fer-tig, riss sich den Hörschutz vom Kopf und hielt stolz – alsMaßnahme zum Direktmarketing – sein Sudoku-Buch indie Kamera. Leider hatte er einen Flüchtigkeitsfehler ge-macht, den die meisten Zuschauer im Video direkt finden

Page 254: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

246 Spiele, Rätsel, Zahlen

dürften. Dadurch siegte Tammy McLeod, die in der Mitteagierte und nach knapp acht Minuten fertig war.

Zu diesem Zeitpunkt hatte unser Herr K, angetreten ineinem Pullover mit hochgeklappter Kapuze, erst zwei Zah-len in sein Gitter eingetragen.

Schon vor dem Finale hatte es Verdachtsäußerungen ge-geben. Aus irgendeinem Grund hatte sich K wohl nicht ge-traut, im Finale wieder seinen elektronischen Helfer zu nut-zen. Stattdessen schien er sich mit dem Preisgeld für Rang 3begnügen zu wollen. Doch auch dieses bekam er nach seinerVorführung nicht, dafür aber schallendes Gelächter aus demSaal. Die Tatsache, dass er drei Jahre zuvor schon einmalbeim Schach betrogen hatte, kam erst nach der Veranstal-tung ans Tageslicht. Es darf gerätselt werden, ob, wann undbei welcher Aufgabenstellung Mr. K das nächste Mal mitComputerhilfe antreten wird.

„Toiletenschach“ III: drastischeAufklärung

Im April 2013 kam es in einem Wochenend-Turnier imsüdirischen Cork zu einer denkwürdigen Enttarnung. DerGeldpreis für den Platz eins betrug 400 Euro, es ging alsonicht um allzu viel. Unsere Darstellung folgt einem Berichtder Zeitung „Irish Independent“ vom 24. April 2013.

P, ein früherer Sekretär des irischen Schachverbandes,hatte in der vorletzten Runde den 16-jährigen Schüler Qals Gegner. Fast nach jedem Zug des 47-jährigen P ver-schwand Q auf die Toilette: Während der ersten 24 Züge

Page 255: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

14 Betrugsversuche 247

20 Mal. Bald glaubte P, dass sein Gegner auf dem stillenÖrtchen wohl mit einem Computer arbeite.

Beim nächsten Mal folgte er dem Schüler und schaute(wohl über die Wand) in die von Q besetzte Zelle. Er sah,wie der Junge Züge in einen Android-Tablet-Computer ein-gab. P wollte hinuntergreifen und sich den Tablet-Rechnerschnappen, aber sein Arm war nicht lang genug. So ging erdirekt zum Turnierleiter und bat diesen, ihm zu folgen. Inder Toilette trat P dann ohne vorherige Erklärung die Türvon Q’s Kabine ein. Q saß auf der Schüssel, aber nicht fürdie normale Tätigkeit . . .

Während einer der Organisatoren versuchte, den Tür-treter zu beruhigen, wollte sich einer von Q’s Betreuernmit P prügeln. P und Q wurden beide aus dem Turnierausgeschlossen. Während P erklärte, stolz auf seine Aktionzu sein („Ich bedauere nichts“), bekam er vom Turnier-Schiedsrichter eine E-Mail, in der der Ausschluss damitbegründet wurde, dass seine Aktion das Schachspiel inMisskredit bringen würde. (Aus der E-Mail: „As I witnes-sed you assaulting another player, a junior player, only 16,I would cite that you certainly took an action that will bringthe game of chess into disrepute.“)

P wurde auch untersagt, weiterhin in zwei Schul-AGs inLimerick Schach zu unterrichten.

Gedächtnis wie das eines Elefanten

Durch das Recherchieren zu den alten Fällen mit unerlaub-ter Computerhilfe im Schach ist mir Eines klar geworden:Die Vorgänge und auch die Namen der Akteure sind mehr

Page 256: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

248 Spiele, Rätsel, Zahlen

als zehn Jahre später in der Schachszene immer noch ingenauer Erinnerung. Zum einen liegt das daran, dass dasInternet so schnell nichts vergisst. Zum anderen sind dieVorfälle für viele Schachspieler auch so wichtig, dass sie sienicht aus dem Kopf bekommen.

Wer in Zukunft beim Schach unerlaubte Computer-hilfe zu nutzen gedenkt (hoffentlich niemand), sollteimmer dieses lange Gedächtnis der Szene vor Augenhaben.

Um im Schach auf faire Weise bis auf Meisterebene vorzu-stoßen, braucht man Talent und sehr viel Fleiß. Der nöti-ge Zeitaufwand bemisst sich in Jahren, egal ob der Spielernun Profi wird oder intensiv spielender Leistungs-Amateur.Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass gerade die Meis-terspieler und Profis sehr kritisch auf solche schauen, diemit Tricks oder durch unerlaubte Hilfsmittel Abkürzungennehmen.

Wer unbedingt mit Computerhilfe Schach spielen will,hat heutzutage genügend Möglichkeiten: Fernschach undFreistil-Schach. Freistil-Schach wird typischerweise in Real-zeit über Internet gespielt. Dabei darf ein Spieler allemöglichen Hilfsmittel benutzen: Beratung durch ande-re Menschen, Literatur, Datenbanken, Schachprogramme(auf beliebig vielen PCs gleichzeitig) usw. Es ist „freier Stil“im wahrsten Sinne des Wortes. Gerade aktuell (Februar bisApril 2014) gab es im Freistil-Schach wieder ein gutdotier-tes Online-Turnier (Preissumme 20.000 US-Dollar) und

Page 257: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

14 Betrugsversuche 249

den Hinweis, dass dieses nur die Generalprobe für nochviel besser dotierte Events sein soll. Auch auf einem po-pulären Schachserver gibt es explizit die Möglichkeit, alsZentaur (also als Mensch mit Computerhilfe) anzutreten.

Page 258: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Teil 4

Mathematik mitZahlenexperimenten

Page 259: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

15Der Tanz der Nullstellen

zu ihren StühlenDie „Reise nach Jerusalem“ hat wohl jeder in seiner Kind-heit mal gespielt. Es gibt Mitspieler und Stühle, aber ins-gesamt einen Stuhl zu wenig. Die Spieler bewegen sich zueiner Musik. Sobald diese verstummt, setzt sich jeder aufeinen Stuhl. Übrig bleibt ein armer Mitspieler ohne Sitz-platz. Er scheidet aus, ein Stuhl wird weggenommen unddie Musik wieder angestellt.

In diesem Kapitel betrachten wir eine mathematischeReise nach Jerusalem. Die Erklärungen gehen ganz einfachlos. Der eine Leser oder die andere Leserin wird an irgend-einer Stelle mathematisch abgehängt werden. Das ist abernicht schlimm; es kommen Momente für den Wiederein-stieg.

Quadratische Gleichungen

Wir fangenmit etwas Schulstoff an: Gesucht sind Lösungender Gleichung

x2 C ax C b D 0 :

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1_15,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 260: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

254 Spiele, Rätsel, Zahlen

Die Formel aus dem Mathematik-Unterricht besagt, dassdie beiden Lösungskandidaten gegeben sind durch

x1 D �a2

Cr

a2

4� b

und

x1 D �a2

�r

a2

4� b :

Wir schreiben absichtlich Lösungs„kandidaten“ und nichtLösungen, weil ein Missgeschick passieren kann. Wenn derAusdruck unter der Wurzel negativ ist, existiert die Wurzeldaraus nicht auf der Zahlengeraden. Und wenn der Aus-druck unter der Wurzel gleich null ist, fallen die beidenLösungen zu einer zusammen.

Mathematiker haben schon vor mehreren Jahrhunder-ten einen elegantenWeg gefunden, die Sache zu glätten. Sieführten einfach künstlich eine Zahl i ein und behaupteten,dass i2 D �1 gilt. Schon war das Problem mit den Wurzelnaus negativen Zahlen gelöst. Zum Beispiel ist dann

p�4 D2 �i, denn es ist 2 �i �2 �i D 2 �2 �i �i D 4 �.�1/ D �4 : Durchdie hinzugefügte neue Zahl i sind also auf einen SchlagWur-zeln für alle negativen reellen Zahlen „entstanden“. Auch füri selbst und sogar für alle Zahlen der Form aC ib gibt es aufnatürliche Weise Quadratwurzeln.

Vokabel-Ängste eines Mathe-Schülers

Ich erinnere mich noch an den Mathematik-Aufbaukurs inder neunten Klasse. Unser Lehrer Osterhage hatte die Wur-

Page 261: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

15 Der Tanz der Nullstellen zu ihren Stühlen 255

zel aus �1 eingeführt, direkt vor der Pause. Auf dem Schul-hof ratterte es in meinem Kopf: Würde es mit den Wurzelnaus negativen Zahlen so schlimm werden wie im Latein-Unterricht mit den vielen Vokabeln, die ich auswendig zulernen hatte? Würde es für jede negative Zahl einen eige-nen Buchstaben zu behalten geben? Aber irgendwie konntedas nicht sein, weil es ja nur 26 Buchstaben gab . . . Auf dieeinfache Idee, mit der Zahl i ebenso wie mit anderen gan-zen oder gebrochenen Zahlen zu rechnen, kam ich auf dieSchnelle nicht. Direkt nach der Pause die Erlösung: HerrOsterhage erklärte, dass man ganz einfach gemischte Zahlender Form a C i � b betrachtet, wobei a und b herkömmli-che (reelle) Zahlen sind. Rechnen kann manmit ihnen ganznormal, z. B. beim Addieren:

.a1 C i � b1/ C .a2 C i � b2/ D .a1 C a2/ C i � .b1 C b2/ :

Die Multiplikation geht fast genauso einfach:

.a1 C i � b1/ � .a2 C i � b2/ D a1 � a2 C i � .a1 � b2/C i � .b1 C a2/C i � i � .a2 C b2/

Jetzt berücksichtigt man, dass i � i D �1 ist, und erhält alsGesamtergebnis

� � � D .a1 � a2 � b1 � b2/ C i � .a1 � b2 C a2 � b1/ :

Zahlen wie .aC i � b/ werden „komplexe Zahlen“ genannt.Man kann sie in der Ebene veranschaulichen, in der diex-Achse durch die Vielfachen von 1 gegeben ist und diey-Achse durch die Vielfachen von i.

Page 262: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

256 Spiele, Rätsel, Zahlen

Lösungen anderer Gleichungen

Die reellen Zahlen sind also nicht das Ende der Zahlenstan-ge. Sie bilden nur die eine Achse in der Ebene der komple-xen Zahlen. In dieser Ebene hat jeder Punkt z eineWurzel y,also eine Zahl ymit y �y D z. (Bis auf die Null hat jede kom-plexe Zahl sogar genau zwei verschiedene Wurzeln.)

Klar ist auch, wie die komplexen Zahlen beim Lösenunserer quadratischen Gleichung helfen. Wenn . a

2

4 �b/ ne-gativ ist, dann hat die Gleichung die (beiden) Lösungen

�a2

˙ i �r

�a2

4C b :

Die Mathematiker erkannten eine weitere tolle Eigenschaftder komplexen Zahlen: Sie taugen auch als geniales Hilfs-mittel, um Gleichungen höheren Grades statt nur des Gra-des 2 zu lösen. Eine Gleichung n-ten Grades (mit führen-dem Koeffizienten 1) ist gegeben durch

xnCcn�1 �xn�1Ccn�2 �xn�2C� � �Cc1 �xCc0 D 0 ; (15.1)

wobei die ci reelle Zahlen oder allgemeiner komplexe Zah-len sind. Für nD 1 ergibt sich eine lineare Gleichung, im-mer mit genau einer Lösung; für nD 2 hat man immer zweiLösungen (in den komplexen Zahlen), die verschieden oderidentisch sein können.

Page 263: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

15 Der Tanz der Nullstellen zu ihren Stühlen 257

Der Fundamentalsatz der Algebra

Der Fundamentalsatz der Algebra besagt: Zu jeder Gleichungvom Typ (15.1) gibt es komplexe Zahlen ˛1 bis ˛n, so dassgilt:

xn C cn�1xn�1 C � � � C c1x C c0 D .x � ˛1/ � : : : � .x � ˛n/ ;

in mathematischer Kurzschreibweise also

xn Cn�1XjD0

cjx j DnY

jD1

.x � ˛j/ :

Natürlich können mehrere der ˛i identisch sein. Carl Fried-rich Gauß (1777–1855) war von diesem Sachverhalt sobegeistert, dass er im Rahmen seiner Doktorarbeit (1799)einen für damalige Verhältnisse sehr genauen Beweis für dieAussage angab. Zu Ehren von Gauß gab es übrigens 1977in der Bundesrepublik Deutschland eine Briefmarke, diedie komplexe Zahlenebene zeigt.

Zwischenruf:Wann kommt endlich die „Reise nach Je-rusalem“?

Die nMitspieler haben wir schon, nämlich die Nullstel-len der Gl. (15.1). Es fehlen noch die n � 1 Stühle.

Zu Gl. (15.1) gehört das Polynom P.z/ D zn C cn�1 �zn�1 C � � � C c0 vom Grad n. Für solch ein Polynom ist dieAbleitung P 0.z/ definiert durch

P 0.z/ D n � zn�1 C .n� 1/ � cn�1 � zn�2 C � � � C 2 � c2 � z C c1

Page 264: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

258 Spiele, Rätsel, Zahlen

für irgendeine komplexe Zahl z. Es wird also für jedes jzwischen n und 1 der Summand cj � z j ersetzt durch denSummanden j � cj � z j�1; und der letzte Summand c0 fällteinfach weg.

Achtung: Wir brauchen hier nicht die Interpretation derAbleitung als Maß für die Steigung einer Kurve. Wichtig istaber die Beobachtung, dass P 0.z/ auch wieder ein Polynomist, und zwar eines vom Grad .n� 1/, wenn P.z/ den Gradn> 0 hat.

Die Anwendung des Fundamentalsatzes auf P 0 ergibt,dass n�1 komplexe Zahlen ˇ1; : : : ; ˇn�1 existieren, so dassgilt:

P 0.z/ D n �n�1YjD1

.z � ˇj/ :

Der Vorfaktor n bei dieser Produktdarstellung kommt vondem Vorfaktor n vor zn�1 in P 0.

Jerusalem-Update: Die Zahlen ˇ1 bis ˇn�1 werden dieStühle für das Spiel repräsentieren.

Historische Aussagen über Nullstellenund ihre Stühle

Wir erzählen zwei altbekannte Ergebnisse, die die Nullstel-len von P.z/ mit denen von P 0.z/ in Beziehung setzen. DieBeweise lassen wir weg. Der von Satz 15.1 ist einfach, dervon Satz 15.2 dagegen schwer.

Page 265: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

15 Der Tanz der Nullstellen zu ihren Stühlen 259

Satz 15.1 Die Nullstellen ˛i von P.z/ haben den gleichenSchwerpunkt wie die Nullstellen ˇj von P 0.z/. Als Formel ge-schrieben:

1n

�nX

iD1

˛i D 1n � 1

�n�1XjD1

ˇj : (15.2)

Aufgefallen sein dürfte die Gleichheit (15.2) für nD 2 allen,die einmal eine Normalparabel P mit ihren zwei Nullstellengenauer betrachtet haben. Der Scheitelpunkt liegt immergenau auf halbem Weg zwischen den Nullstellen. Und derScheitelpunkt ist nun einmal die einzige Nullstelle der Ab-leitung P 0.

Satz 15.2 (Satz von Gauß und Lucas) Alle ˇj liegen in derkonvexen Hülle der ˛i.

Gauß hat die Aussage von Satz 15.2 im Jahr 1836 formu-liert, allerdings ohne Beweis. Der erste publizierte Beweisgeht zurück auf Felix Lucas, aus dem Jahr 1879.

Zwei Beispiele in den Abb. 15.1 und 15.2 machen klar,was mit konvexer Hülle gemeint ist.

Frage: Wie kann man auf formale Weise (also nicht nurnach Bauchgefühl) eine natürliche oder die natürlichste Zu-ordnung der Nullstellen zu den Stühlen erreichen? Wir stel-len zwei Wege vor.

Page 266: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

260 Spiele, Rätsel, Zahlen

i2

i

1 2

× ×

Abb. 15.1 Drei Nullstellen bei 0, 1 C i und 2. Die Nullstellen derAbleitung des zugehörigen Polynoms sind als Kreuzchen einge-zeichnet

i

2i

3i

4i

1 2 3 4

×

×

×

×

Abb. 15.2 P hat die 5 Nullstellen 0, 2i, 2 C 2i, 3 C i, 4 C 4i in derkomplexen Ebene, von denen die vier äußeren die konvexe Hülleaufspannen. Der grau unterlegte Bereich ist die konvexe Hülle.Die vier Nullstellen von P0 liegen alle in diesem grauen Bereich

Page 267: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

15 Der Tanz der Nullstellen zu ihren Stühlen 261

Abb. 15.3 Die 16 Nullstellen eines Polynoms vom Grad 16 und die15 Nullstellen der Ableitung dieses Polynoms

Vorher aber ein weiteres Beispiel mit Diagrammen:Die Abb. 15.3 zeigt die Nullstellen für ein Polynom vomGrad 16. Der Leser mag selbst entscheiden, wie er dieZuordnung zu den Nullstellen der Ableitung vornehmenwürde. Abbildung 15.4 zeigt unseren Lösungsvorschlag.

Page 268: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

262 Spiele, Rätsel, Zahlen

Abb. 15.4 Betrachtet werden wieder die Nullstellen des Poly-noms und seiner Ableitung wie in Abb. 15.3. Hier hat jemand mitgesundem Menschenverstand durch Kringel angedeutet, welcheNullstellen von P auf welchen Stühlen zum Sitzen kommen könn-ten. Die eine Nullstelle ohne Stuhl ist durch eine Fragezeichenmarkiert

Zuordnungen à la Kaffka

Der Mathematik-Student Konrad Kaffka [Kaffka (2012)]hat in einem Kapitel seiner Diplomarbeit folgenden Ansatzverfolgt: Für jedes Paar ˛i und ˇj von Nullstellen bestimmt

Page 269: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

15 Der Tanz der Nullstellen zu ihren Stühlen 263

er den euklidischen Abstand d.i; j/ D k˛i � ˇjk. Außer-dem führt er ein neues Element ˇn ein, was zu allen ˛iden künstlichen Abstand null hat, also d.i; n/ D 0 füralle i. Die Abstände d.i; j/ fasst er als Kosten auf und be-rechnet dazu eine kostenminimale Lösung des Zuordnungs-Problems, was jeder P-Nullstelle eine P 0-Nullstelle zuordnetund die nichtversorgte P-Nullstelle mit Kosten 0 „tröstet“.Solche Zuordnungs-Probleme sind eine Standardaufgabe inder kombinatorischen mathematischen Optimierung.

Als Beispiel betrachten wir ein Polynom dritten Gradesmit Nullstellen bei ˛1 D 0, ˛2 D 2 und ˛3 D 1 C i. DasPolynom ist gegeben durch

P.z/ D z � .z � 2/ � .z � .1 C i//D z3 � .3 C i/ � z2 C .2 C 2i/ � z :

(15.3)

Die Ableitung ist

P 0.z/ D 3 � z2 � .6 C 2i/ � z C .2 C 2i/ :

P 0 hat Nullstellen bei

ˇ1 D 3 � p2

3C 1

3� i 0;53 C 0;33i

ˇ2 D 3 C p2

3C 1

3� i 1;47 C 0;33i

˛3 hat von jedem der ˇj den euklidischen Abstand 0;81,während ˛1 nur 0;62 weit von ˇ1 entfernt ist. Die distanz-minimale Zuordnung ist also:

˛1 $ ˇ1 und ˛2 $ ˇ2. Dabei geht ˛3 leer aus, weil eseinfach zu hoch und damit zu weit weg von den ˇj liegt.

Page 270: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

264 Spiele, Rätsel, Zahlen

Zuordnungen à la Schmeisser

Kaffkas Diplomarbeit schickte ich im Sommer 2012 anProf. Gerhard Schmeisser nach Erlangen. Er ist einer derweltweit führendenMathematiker auf demGebiet der Ana-lyse von Polynomen [Rahman, Schmeisser (2002)]. UnserJenaer experimenteller Zugang (mit nur wenigen Beweisen)war für ihn gewöhnungsbedürftig. Die Ergebnisse fand ertrotzdem interessant. Für die Zuordnung im Jerusalem-Spielschlug er eine andere Lösung vor als die von Kaffka: WennP das eine Polynom (vom Grad n) ist und P 0 das andere(vom Grad n� 1), dann kann man das gemischte Polynom

P�.z/ D .1 � �/ � P.z/ C � � P 0.z/

für reellwertige � betrachten. Für alle reellen � ungleich 1ist P�.z/ ein Polynom vom Grad n, hat also n komplexeNullstellen.

Wissen muss man Folgendes: Die Nullstellen eines Po-lynoms cn � xn C � � � C x1 � x C c0 hängen stetig von denKoeffizienten c k ab. Wenn sich zwei Polynome vom glei-chen Grad in ihren Koeffizienten nur wenig unterscheiden,werden ihre Nullstellen an ähnlichen Orten liegen. Für � �0 haben P� und P�0 also fast die gleichen Nullstellen.

Herrn Schmeissers Idee war: Die Nullstellen von P.z/wandern bei den P�.z/ mit � auf stetigen Linien in derkomplexen Ebene herum, bis sie für � D 1 bei den Null-stellen von P 0 angekommen sind. Solch einen Ansatz nenntman Homotopie-Methode, nach dem griechischen Aus-druck „homos topos“ für „gleicher Platz“. Wenn das ganzeohne Überschneidung von Wegen abläuft, hat man am En-

Page 271: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

15 Der Tanz der Nullstellen zu ihren Stühlen 265

Abb. 15.5 Die Kurven der Nullstellen von .1 � �/ � P C � � P0 für Pin Gl. (15.3)

de also eine 1 : 1-Zuordnung zwischen den Nullstellen vonP und P 0. Typischerweise wird dabei eine P-Nullstelle leerausgehen. Ihr Pfad wird „irgendwo“ im Nirwana enden.

Konrad Kaffka hat inzwischen die Uni Jena verlassen.So suchte ich einen anderen Studenten zur Fortsetzung derExperimente und fand Patrick Wieschollek. In der Master-Vorlesung „Diskrete und experimentelle Optimierung“gibt es keine wöchentlichen Übungsserien. Stattdessenbekommt jeder einzelne Teilnehmer zu Beginn des Se-

Page 272: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

266 Spiele, Rätsel, Zahlen

Abb. 15.6 Die �-Nullstellen zum Polynom in Gleichung (15.3) füralle � 2 Œ � 10; C11�: In den drei Lücken der Kurve liegen dieNullstellen für � < �10 und � > 11

mesters eine echte Forschungs-Aufgabe gestellt, bei dernicht klar ist, was am Ende herauskommen wird. Insbe-sondere weiß auch ich als Themensteller nicht, was genaupassieren wird. Der Student hat alle drei Wochen einenEinzel-Betreuungstermin, und zwei Mal im Laufe des Se-mesters gestaltet er eine Sitzung der Vorlesung zu seinemThema. Herr Wieschollek programmierte also die Idee vonProf. Schmeisser. Die gefundenen Nullstellen der P� trägtsein Programm in ein Diagramm ein. Für das Beispiel in

Page 273: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

15 Der Tanz der Nullstellen zu ihren Stühlen 267

Abb. 15.7 Die Kurven für das Polynom in Abb. 15.2. Es sind nurdie Nullstellen für Werte � 2 Œ0; 1� eingezeichnet

Abb. 15.1 (mit P-Nullstellen bei 0, 2 und 1C i) ergibt sichdas Bild in Abb. 15.5.

Man sieht eine Zuordnung; im Beispiel geht die linkeNullstelle (bei 0) leer aus. Für � gegen 1 konvergiert ihrPartner über Realteil �1 hinaus gegen minus unendlich.Nachdem wir uns etliche solche Bilder angeschaut hatten,kam die Idee, es auch einmal mit beliebigen reellen Parame-tern für � zu probieren und nicht nur mit solchen aus demIntervall Œ0; 1�.

Abbildung 15.6 zeigt das Ergebnis, wenn � das Intervallvon �10 bis C11 durchläuft. Jetzt sieht man auch, dass die

Page 274: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

268 Spiele, Rätsel, Zahlen

Abb. 15.8 Diagramm zum gleichen Polynom wie in Abb. 15.7,jetzt mit den Nullstellen für alle � zwischen �10 und C11

drei „Bögen“ in Abb. 15.5 in Wirklichkeit Teilstücke einerlangen Kurve sind.

Für das Polynom mit den drei Nullstellen bei 0, 2 und1 C i ergeben der Kaffka- und der Schmeisser-Ansatz alsoverschiedene Zuordnungen.

Für das Polynom mit den Nullstellen in Abb. 15.2 erge-ben sich mit der Schmeisser-Methode für die verschiedenen� die Nullstellen in Abb. 15.7 (0 � � � 1) und Abb. 15.8(�10 � � � C11).

Auf der Webseite http://www.althofer.de/tanz-der-nullstellen.html zeigen wir farbige Diagramme mit den

Page 275: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

15 Der Tanz der Nullstellen zu ihren Stühlen 269

Nullstellen-Kurven. Dabei haben wir speziell die Farbehellblau absichtlich gewählt, weil sie an die Streckenmar-kierungen bei Super-G-Rennen im Skisport erinnern.

Mehrere Jerusalem-Runden

Die Reise nach Jerusalem besteht ja aus mehreren Runden:n Spieler „kämpfen“ um n � 1 Stühle, einer scheidet aus.Dann kämpfen die verbliebenen n � 1 Spieler um n � 2Stühle usw. Übertragen auf die Welt der Polynome, wer-den die n Nullstellen von P den n � 1 Nullstellen von P 0zugeordnet. Dann werden die n � 1 Nullstellen von P 0 denn�2Nullstellen von P 00 zugeordnet usw. Bei Kaffkas Ansatzlässt sich aus der Folge der Zuordnungen ein schönes buntesDiagrammmachen, wenn man die Nullstellen der verschie-denen Stufen und die Verbindungskanten in verschiedenenFarben darstellt, z. B. in denen eines Regenbogens. Auf derWebseite zum Buch sind Beispiele gezeigt, für Polynomevom Grad 10 und 50 und ihre Ableitungen.

Bei dem Homotopie-Ansatz kann man nach Transitivi-tät fragen: Es werde bei dem Übergang von P zu P 0 die P-Nullstelle ˛i in die P 0-Nullstelle ˇj überführt und bei demÜbergang von P 0 zu P 00 dieses ˇj in die P 00-Nullstelle �küberführt.Was geschieht imVergleich dazu, wenn direkt dieP-Nullstellen (n Stück) in die P 00-Nullstellen (n � 2 Stück)überführt werden? Transitivität würde bedeuten, dass dasgenannte ˛i direkt in �k übergeht. Das ist aber durchausnicht immer der Fall. Auch dazu gibt es ein Beispiel auf derWebseite.

Page 276: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

270 Spiele, Rätsel, Zahlen

Die Vermutung von Rehr

Während des Experimentierens mit den Nullstellen undihren Stühlen wurde der Student Hauke Rehr auf unsaufmerksam. Im Rechnerpool der Uni Jena saß er nebenKonrad Kaffka, als dieser mit dem Tippen seiner Arbeitbeschäftigt war. Rehr begeisterte sich für die Nullstellen-Bilder auf dem Monitor und fing an, Verständnisfragen zustellen. Nach wenigen Minuten war ihm klar, um was esging, und er stellte erste Forschungs-Fragen, auf die Kaffkakeine direkten Antworten hatte.

Am Ende des Tages kristallisierte sich eine von HaukeRehrs Fragen als wirklich interessante Vermutung heraus.Wenn sie stimmt, wäre sie eine Verschärfung des Satzes vonGauß und Lucas. Zunächst formulieren wir die Vermutungfür den Spezialfall eines Polynoms vom Grad 4.

Wenn keine der 4 Nullstellen in der konvexen Hüllender anderen 3 Nullstellen liegt, behauptet Rehr nicht mehrals die Aussage von Gauß-Lucas. Wenn aber eine Nullstel-le ˛4 echt in der konvexen Hülle der anderen 3 Nullstellen˛1; ˛2; ˛3 liegt, dann zerlegen die Verbindungsstrecken zwi-schen ˛4 und den anderen ˛i die konvexe Hülle in dreiDreiecke D1;D2;D3. Rehr behauptet dafür: Dann liegt imInneren von mindestens einem Dk keine Nullstelle der Ab-leitung (kein ˇj). Abbildung 15.9 veranschaulicht die Situa-tion.

Es gibt Beispiele, bei denen auf dem Rand von jedemDkmindestens ein ˇj liegt, aber nicht im Inneren.

Allgemein bezieht sich die Vermutung von Rehr (2012)auf Polynome über den komplexen Zahlen, deren Nullstel-

Page 277: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

15 Der Tanz der Nullstellen zu ihren Stühlen 271

D1 D2

D3

α1

α2

α3

α4

Abb. 15.9 Die 3 Nullstellen der Ableitung des Polynoms P.z/ D.z � ˛1/.z � ˛2/.z � ˛3/.z � ˛4/ liegen in zweien der DreieckeD1; D2; D3, d. h. ein Dreieck enthält keine Nullstelle der Ableitung

len nicht alle auf einer Geraden liegen. Sie besagt für diesePolynome: Es gibt einen geschlossenen Streckenzug, der sei-ne Ecken nur an den Nullstellen von P hat und der die Ebe-ne in einen inneren und einen äußeren Teil so teilt, dass alleNullstellen der Ableitung im inneren Teil (inklusive Rand)liegen.

Die obige Aussage mit den Innen-Dreiecken für Poly-nome vom Grad 4 ist gerade ein Spezialfall, weil der ge-schlossene Kantenzug nur über die Außenseiten des großenDreiecks und über die Kanten zu ˛4 verlaufen kann.

Im April 2014 wurde dieser Spezialfall der RehrschenVermutung bewiesen [Rüdinger (2014)], ebenso der ana-loge Fall für Polynome vom Grad n, bei denen genau eineder Nullstellen von P im Inneren der konvexen Hülle derübrigen n � 1Nullstellen liegt.

Page 278: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

16Mathematische Optimierung

im Land der Quadrate

Schokoladen-Transportin Ritterspordanien

Es gibt Länder, in denen sich fast alles um Schokolade dreht.Ritterspordanien gehört dazu. Dort werden Schokoladenta-feln nur in quadratischen Größen hergestellt: Es gibt Tafelnmit 1�1, mit 2�2, 3�3 Stücken usw. Zu jeder natürlichenZahl n gibt es Gussformen für die n � n-Tafeln.

Von den Werken werden die Tafeln in besonderen Con-tainern zu den Kunden verschickt, wobei in jeden Contai-ner nur genau eine quadratische Tafel passt. Der Transporteiner Tafel kostet, unabhängig von ihrerGröße und der Län-ge des Transportwegs, einen Taler.

Neulich kam es zu folgender Liefersituation: Gleichzeitiggingen Bestellungen von zwei Kunden B1 und B2 ein: Dererste wollte 7 Einheiten haben, der andere 113. Gerade hat-ten zwei Werke A1 und A2 Kapazitäten frei, und zwar jedesder beiden für 60 Schokoladen-Einheiten. Schnell wurdeein Lieferplan entworfen: B1 sollte vier Tafeln bekommen,

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1_16,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 279: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

274 Spiele, Rätsel, Zahlen

nämlich eine mit 2� 2 Einheiten und drei mit je 1 Einheit.Dies alles sollte Werk A1 machen und liefern.

Die 113 Einheiten an den Kunden B2 sollten in sechsPartien geliefert werden: zwei Tafeln (mit 7 � 7 bzw. 2 � 2Einheiten) vonWerkA1, Tafeln mit 7�7, 3�3 und zweimal1�1 vonWerk A2. Als der cholerisch veranlagte Generaldi-rektor des Schokoladenkonzerns davon erfuhr, explodierteer: „Seid ihr schoko? Bei dem Plan kostet uns der Transportzehn Taler. Das muss besser gehen! Um Alles muss man sichselbst kümmern.“

Hatte der Chef Recht? Es wurde der Konzern-Mathema-tiker eingeschaltet. Der rechnete still und routiniert. Weil eram Ende seinem Chef nicht total vor den Kopf stoßen woll-te, formulierte er das Ergebnis so: „In ganz vielen Szenarienmit zwei Werken und zwei Konsumenten geht es in der Tatmit 8 oder 9 Tafeln. Aber in dieser speziellen Situation kom-men wir um die zehn Taler Transportkosten nicht herum,Chef. Im Übrigen können wir froh sein, denn es gibt auchBeispiele, bei denen 11 Taler nötig sind.“

Um die Aussage des Konzern-Mathematikers nachvoll-ziehen zu können, holen wir etwas aus.

Der Vier-Quadrate-Satz von Lagrange

Die Situation mit nur einem Werk und einem Kunden istseit Joseph Louis Lagrange (1736–1813) gut verstanden. Eslässt sich nämlich sein alter Satz aus der mathematischenZahlentheorie auf den Schokoladen-Transport anwenden.

Page 280: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

16 Mathematische Optimierung im Land der Quadrate 275

Satz 16.1 (4-Quadrate-Satz, Lagrange, 1770) Jede natür-liche Zahl n lässt sich als Summe von höchstens vier Quadrat-zahlen schreiben.

Den Beweis wiederholen wir hier nicht. Man weiß auch ge-nau, welche natürliche Zahl n für ihre Darstellung wie vieleQuadrate benötigt. Es sei Si die Menge der Zahlen n, beidenen i Quadrate nötig sind, um sie als Summe von Qua-dratzahlen darzustellen.

Natürlich ist S1 dieMenge derQuadratzahlen selbst, alsoist S1 D f1; 4; 9; 16; 25; : : : g.

S4, sozusagen dieMenge am anderen Ende, ist auch rechtübersichtlich, nämlich gegeben durch

Satz 16.2 S4 D f4d �.8kC7/jd ; k 2 Ng D f7; 15; 23; : : : g[ f28; 60; 92; : : : g [ f112; : : : g [ : : :

Auch schon lange bekannt ist

Satz 16.3 Eine natürliche Zahl ist genau dann in S3 [ S4,wenn es in ihrer Primfaktor-Zerlegung einen Primfaktor pgibt, der einen ungeraden Exponenten hat und kongruent3 .mod 4/ ist.

Beispiel 16.1 63 D 32 � 71 gehört zu S4 und 27 D 33 D25C1C1 sowie 75 D 52 �31 D 49C25C1 sind in S3.

Damit sind die Mengen S1, S3 und S4 charakterisiert.Alle anderen natürlichen Zahlen liegen in S2. Insbeson-

dere sind alle Primzahlen p, für die p kongruent 1 .mod 4/

Page 281: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

276 Spiele, Rätsel, Zahlen

ist, als Summe von zwei Quadratzahlen darstellbar. Im Start-beispiel hatten wir das schon für 53 D 72 C 22 gesehen.

Im Bereich richtig großer Zahlen gibt es nur relativ we-nige Elemente in S1 [ S2. Genauer gesagt, gibt es eine Kon-stante cLR, benannt nach Landau und Ramanujan, so dassfür große n in der Menge f1; 2; : : : ; ng etwa cLR � n=

plog n

viele Zahlen zu S1 [ S2 gehören. Es ist cLR 0;764. Manbeachte, dass der Ausdruck

plog n mit n nur ganz langsam

wächst. Aber weil er für n gegen unendlich beliebig großwird, nimmt der relative Anteil der S2-Zahlen immer mehrab.

Einschub: das Transportproblemohne Zahlentheorie

Wir zeigen zunächst, dass es für das Transportproblem mit2 Werken und 2 Kunden in Ritterspordanien immer eineLösung mit höchstens 12 Tafeln gibt.

Dazu betrachten wir die 2 � 2-Version des klassischenTransportproblems – ohne Quadratbedingungen. Die bei-den Werke sollen die Kapazitäten a1 und a2 haben, und diezwei Kunden die Stückbedarfe b1 und b2. Die Randbedin-gung a1 C a2 D b1 C b2 heißt Balanciertheit. Im Beispieloben war a1 D a2 D 60, b1 D 7, b2 D 113. Für jedes Paar.i; j/ sei xij die Menge, die von Werk i zu Kunde j geschafftwird.

Anmerkung Für balancierte Probleme (beliebiger Größem�n) gibt es immer einen Treppenplan.

Page 282: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

16 Mathematische Optimierung im Land der Quadrate 277

a4

a1

a7

a5

a3

a2

a6

b5 b4 b2 b3 b7 b1 b6

Abb. 16.1 Ein Treppenplan für ein 7 � 7-Transportproblem. Grauunterlegt sind die Zellen mit positivem xij

Was ist ein Treppenplan? Die Menge der benutzten .i; j/-Verbindungen, also solchen mit xij > 0, beginnt in einemTreppenplan links oben und endet rechts unten. An der ers-ten Position setzt man das Minimum von a1 und b1 ein.Dadurch ist eine Spalte oder eine Zeile erledigt. In jedemeinzelnen Schritt geht es dann entweder nach rechts odernach unten weiter. Abbildung 16.1 zeigt einen typischenTreppenplan für ein 7 � 7-Transportproblem.

Die Abb. 16.2, 16.3 und 16.4 zeigen die drei möglichenFormen einer Treppe für das 2�2-Problem. Das dritte Bei-spiel ist ein Sonderfall, wo die mittlere Eckstufe (1,2) oder

Page 283: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

278 Spiele, Rätsel, Zahlen

b1 b2

a2

a1

Abb. 16.2 Ein Treppenplan für ein 2 � 2-Problem

b1 b2

a2

a1

Abb. 16.3 Ein anderer Treppenplan für ein 2 � 2-Problem

b1 b2

a2

a1

Abb. 16.4 Ein degenerierter Treppenplan für ein 2 � 2-Problem

(2,1) fehlt. In den Fällen in Abb. 16.2 und Abb. 16.3 sinddrei xij-Werte positiv.

Page 284: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

16 Mathematische Optimierung im Land der Quadrate 279

Teure Treppenpläne

Nach dem Satz von Lagrange genügen für jedes graue Feldvier Quadrate, insgesamt kommt man also mit 3 � 4 D 12Quadraten aus. Im Sonderfall mit nur zwei grauen Feldern(Abb. 16.4) genügen sogar 8 Quadrate. In Ritterspordaniensind für das 2� 2-Problem Treppenpläne aber nicht immerbestmöglich. Hier ist ein Beispiel. Die beidenWerke mögendie Kapazitäten 126 und 112 haben, und die beiden Kun-den je 119 Stücke benötigen. Als Treppenplan ergibt sichdie in Abb. 16.5 dargestellte Lösung mit Liefermengen 119,7, 112 (und 0). Alle drei Zahlen liegen in S4, also brauchtdieser Treppenplan wirklich 12 Quadrate. Verzichtet manauf die Treppenbedingung, so gibt es z. B. mit x11 D 100,x12 D 25 C 1, x21 D 9 C 9 C 1 und x22 D 64 C 25 C 4eine 9er-Lösung.

119 119

112

126 119 7

0 112

Abb. 16.5 Ein Beispiel mit teuren Treppenplänen

Page 285: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

280 Spiele, Rätsel, Zahlen

Elf Quadrate genügen immer!

Diese Aussage haben die Jenaer Mathematik-Studenten Ka-tharina Collatz und Robert Hesse für das 2 � 2-Problemin Ritterspordanien mit einer Fallunterscheidung bewiesen.Für vorgegebene Tupel .a1; a2I b1; b2/ ganzer Zahlen sindsie die möglichen Zugehörigkeiten der einzelnen Größenzu den Mengen Si durchgegangen und haben für jeden Falleine Lösung mit höchstens 11 Quadraten angegeben.

Es gibt Instanzen, die elf Quadratebenötigen

Unser Argument hierfür ist nur ein Existenzbeweis. Dievier Werte der Instanz seien gegeben durch (448, 2c � 448;c, c). Dabei soll man sich zunächst c nur als ganz große Zahlvorstellen, die kongruent 7 .mod 8/ ist. Es ist 448 D 43 � 7,also gehört 448 nach Satz 16.2 zur Menge S4. Das Beson-dere an 448 ist, dass alle Summendarstellungen von 448mit genau vier Quadraten (es gibt drei verschiedene davon)nur Quadrate enthalten, die Vielfache von 16 sind. Die dreimöglichen Darstellungen sind

448 D 400 C 16 C 16 C 16;

448 D 256 C 64 C 64 C 64;

448 D 144 C 144 C 144 C 16:

All die vorkommenden Summanden .16; 64; 144; 256;

400/ sind natürlich auch Vielfache von 8. Zieht man einige

Page 286: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

16 Mathematische Optimierung im Land der Quadrate 281

von ihnen von dem oben genannten c ab, bleibt ein Rest c0,der auch kongruent 7 .mod 8/ ist. Wenn man also für dasGesamtproblem eine Lösung hat, bei der die 448 in insge-samt vier Quadrate aufgeteilt wird, bleibt sowohl bei demersten als auch bei dem zweiten c ein Rest, der kongruent7 .mod 8/ ist. Diese Reste sind in S4, also sind weitere 4C4Quadrate für den Plan erforderlich.Damit braucht eine Lö-sung, die 448 in nur vier Summanden zerlegt, insgesamt 12Quadrate.

Aus dem im Beispiel 16.1 in Abschn. 16.2 genanntenErgebnis von Landau und Ramanujan folgt, dass es natürli-che Zahlen c kongruent 7 .mod 8/ gibt, so dass alle Zahlender Menge C WD fc � 448; c � 447; : : : ; c � 1; cg in derVereinigung von S3 und S4 liegen. Wenn nun die 448 nichtin 4, sondern in mindestens 5 Quadrate zerlegt wird, blei-ben für jeden der beiden Kunden Restbedarfe aus C . Jederdieser Werte braucht mindestens 3 Quadrate; man hat alsoeine Gesamtquadratzahl von mindestens 5 C 3 C 3 D 11.

Niemand weiß, welches das kleinstmögliche c für solcheine Instanz ist. Es dürfte aber im Bereich der Zahlen mitmehreren hundert Dezimalstellen liegen.

Ein wohl kleineres Beispiel, das auch elfQuadrate benötigt

Hier nimmt man als Parameter die Zahlen .96; 2d � 96Id ; d/, wobei wiederum d eine sehr große Zahl kongruent7 .mod 8/ sein soll. 96 wird sich als fast so „gut“ wie die 448in der vorherigen Konstruktion erweisen. Zwar erlaubt sie

Page 287: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

282 Spiele, Rätsel, Zahlen

eine (eindeutige) Darstellung mit drei Quadraten, nämlich96 D 64C 16C 16, aber es gibt keine „andere“ Zerlegungin 3 oder 4 echte Quadrate.

Weil sowohl 64 wie auch 16 Vielfache von 8 sind, blei-ben nach einer Verteilung der 96 auf 3 Quadrate bei beidenKunden Restwerte, die auch wieder kongruent 7 .mod 8/

sind. Für solch eine Lösung wären also insgesamt 3 C 4 C4 D 11 Quadrate nötig. Stellt man dagegen 96 durch 5oder mehr Quadrate dar, bleiben bei beiden KonsumentenReste aus der Menge

D D fd � 96; d � 95; : : : ; d � 1; dg :

Die Anwendung des Ergebnisses von Landau und Rama-nujan zeigt, dass es (große) Werte für d gibt, so dass alleElemente aus D in S3 [ S4 liegen. Das kleinstmögliche dmit dieser Eigenschaft dürfte um viele Größenordnungenkleiner sein als das analoge kleinste c für die Menge C beider Konstruktion mit 448.

Offene Fragen zu Ritterspordanien

Frage 1: Welche sind die kleinsten Konstanten für c und din den Konstruktionen zu 448 und 96?

Frage 2: Welche ist die kleinste Summe a1 C a2, so dassfür ein balanciertes Problemmit .a1; a2I b1; b2/ 11 Quadra-te gebraucht werden?

Frage 3: Gibt es ein � > 1, so dass für alle Instanzen mitmaxfa1; a2; b1; b2g � � �minfa1; a2; b1; b2g stets Lösungen

Page 288: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

16 Mathematische Optimierung im Land der Quadrate 283

mit höchstens 10 Quadraten existieren? Falls ja, welches istdas größtmögliche � mit dieser Eigenschaft?

Frage 4: Wie sehen die Maximalanzahlen q.m; n/ benötig-ter Quadrate für das Transportproblem mit m Werken undn Kunden in Ritterspordanien aus? Der kleinste noch unge-löste Fall ist mD 2, nD 3.

Schokoladen-Transport in Tobleronien

Das Nachbarland Tobleronien von Ritterspordanien hatnur Dreiecks-Tafeln, siehe Abb. 16.6. Die möglichen Grö-ßen, gezählt in Schoko-Stücken, sind 1, 3, 6, 10, 15 usw.

Die Dreieckszahlen haben das BildungsgesetzD.1/ D 1und D.n/ D D.n � 1/ C n für alle n> 1. Gauß war 1796ganz stolz, als er die damals 50 Jahre alte Vermutung bewei-sen konnte, dass sich jede natürliche Zahl als Summe vonhöchstens drei Dreieckszahlen schreiben lässt.

Wie sieht die Problematik mit 2 Werken und 2 KundeninTobleronien aus? Aus der Treppenkonstruktion folgt, dasses immer eine 9er-Lösung gibt. Gibt es auch Beispiele, beidenen 9 Dreieckszahlen gebraucht werden? Falls nicht, wel-che ist dann die schlimmstmögliche Zahl?

Page 289: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

284 Spiele, Rätsel, Zahlen

Abb. 16.6 Tafeln in Tobleronien für die kleinsten Parameter 1, 2,3 und 4

Page 290: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Anhang Rätsellösungen

5 6 2 8 3 9 1 4 7

4 7 1 2 5 6 9 8 3

8 9 3 4 7 1 5 6 2

2 3 5 6 4 7 8 9 1

6 8 7 1 9 2 4 3 5

9 1 4 5 8 3 2 7 6

7 2 8 9 6 5 3 1 4

1 4 6 3 2 8 7 5 9

3 5 9 7 1 4 6 2 8

Abb. A.1 Lösung des Sudokus aus Abb. 6.1 in Kap. 6

4

8 2

5 4

3 6

5 6

6 3

2 4

6

Abb. A.2 Lösung des Sikakus aus Abb. 6.2 in Kap. 6

I. Althöfer, R. Voigt, Spiele, Rätsel, Zahlen, DOI 10.1007/978-3-642-55301-1,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Page 291: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

286 Spiele, Rätsel, Zahlen

Abb. A.3 Lösung des Doppelsterns aus Abb. 6.3 in Kap. 6

4 6 9 7 2 3 1 8 5

1 7 5 8 4 6 9 2 3

2 8 3 5 9 1 6 7 4

7 4 2 6 3 9 8 5 1

9 5 8 4 1 7 3 6 2

6 3 1 2 5 8 7 4 9

8 9 4 3 6 2 5 1 7

3 2 6 1 7 5 4 9 8

5 1 7 9 8 4 2 3 6

18 22 12 16 18

13

14 16 24 16

210222

931

20 10 22 12

13

11 14 11 26

21

Abb. A.4 Lösung des Killer-Sudokus aus Abb. 7.4 in Kap. 7

Page 292: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Anhang Rätsellösungen 287

9 8 7 6 5 4 3 2 1

1 9 8 7 6 5 4 3 2

2 1 9 8 7 6 5 4 3

3 2 1 9 8 7 6 5 4

4 3 2 1 9 8 7 6 5

5 4 3 2 1 9 8 7 6

6 5 4 3 2 1 9 8 7

7 6 5 4 3 2 1 9 8

8 7 6 5 4 3 2 1 9

Abb. A.5 Lösung des Unregelmäßigen Sudokus aus Abb. 7.5 inKap. 7

4 2 1 5 6 3

3 5 4 6 2 1

2 6 3 1 4 5

1 3 6 2 5 4

6 4 5 3 1 2

5 1 2 4 3 6

Abb. A.6 Lösung des Lateinischen Quadrats mit Diagonalen ausAbb. 8.1 in Kap. 8

Page 293: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

288 Spiele, Rätsel, Zahlen

3 5 4 1 6 2 7

4 6 7 5 2 1 3

6 1 2 4 7 3 5

7 2 5 3 1 6 4

2 7 3 6 5 4 1

1 4 6 7 3 5 2

5 3 1 2 4 7 6

Abb. A.7 Lösung des Kropkis aus Abb. 8.2 in Kap. 8

1 6

5 6 2 3 1 4

6 4 3 1 2 5

5 1 2 4 5 3 6

4 2 3 5 6 4 1

4 1 6 2 5 3

3 5 1 4 6 2

3 2

Abb. A.8 Lösung des Hochhausrätsels aus Abb. 8.3 in Kap. 8

Page 294: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Anhang Rätsellösungen 289

0 1 0 0 1 0

0 1 0 1 0 0

0 0 1 0 0 0

0 0 0 0 1 1

1 0 0 0 0 1

0 1 0 0 0 0

1 0 1 0 1 0

0 1 0 1 1 0

Abb. A.9 Lösung des Exact-Cover-Rätsels aus Abb. 9.4 in Kap. 9

1 2 3 1 4 2 3

2 3 1 4 2 3 1

3 4 5 2 3 1 2

4 1 2 3 1 4 1

1 2 3 1 2 1 3

2 3 1 2 4 3 2

3 1 2 1 3 2 4

Abb. A.10 Lösung des Hakyuus aus Abb. 10.1 in Kap. 10

Page 295: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

290 Spiele, Rätsel, Zahlen

1 3 3 1 3 2 1

1 2 2 3 3 2 2

3 2 2 4 4 2 1

3 2 2 1 1 1 2

1 3 3 1 1 2 2

1 2 1 2 1 2 1

1 3 3 2 2 2 1

Abb. A.11 Lösung der Infektion aus Abb. 10.2 in Kap. 10

2 4 2 2

3 3

3 3 5

3 2

5 1 4

2 3

3 2 6

2 4

3 1 1 2

Abb. A.12 Lösung des Minenrätsels aus Abb. 10.3 in Kap. 10

Page 296: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Anhang Rätsellösungen 291

1 3 1 3 4 2 1 1 2 2

1 ~~ ~~4 ~~ ~~3 ~~ ~~ ~~ ~~1 ~~1

1

1 ~~3 ~~ ~~ ~~ ~~4 ~~ ~~1 ~~ ~~

Abb. A.13 Lösung des Flottenrätsels aus Abb. 10.4 in Kap. 10

3 3

3 3

3

4 4

4 4

Abb. A.14 Lösung des Nurikabes aus Abb. 10.5 in Kap. 10

Page 297: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

292 Spiele, Rätsel, Zahlen

Abb. A.15 Lösung der Galaxien aus Abb. 10.6 in Kap. 10

2 1 0 2

3 1 1 3

0 3 3 3

2 1 2 0

2 3 1 0

2 1 2 2

Abb. A.16 Lösung des Rundwegs aus Abb. 10.7 in Kap. 10

Page 298: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Anhang Rätsellösungen 293

B

E B D

A C

D

F

F A

C E

Abb. A.17 Lösung des Arukones aus Abb. 10.8 in Kap. 10

7 1 5 22 4 3 7 6

5 6 2 4 1 33 7 1 6 5 2 42 4 5 3 7 66 3 7 1 21 2 4 5

Abb. A.18 Lösung des Hexagonal-Rätsels aus Abb. 10.9 in Kap. 10

2 3 5

4 5

4

2 4

1 3 2

3 2 51

5

3

4

5 1

3

4

2

1

Abb. A.19 Lösung des Schrulligen Quadrats aus Abb. 10.10 inKap. 10

Page 299: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

294 Spiele, Rätsel, Zahlen

1 1 0 9 2

5 8 9 7

5 1 9 5

Abb. A.20 Lösung des Symbolrechnens aus Abb. 10.11 in Kap. 10

3 3 6 3 3 3 1 3

3 6 6 4 4 4 3 3

1 3 6 4 5 5 5 5

4 3 6 3 5 4 3 3

4 3 6 3 8 4 4 3

4 1 8 3 8 2 4 6

4 8 8 8 8 2 6 6

2 2 8 2 2 6 6 6

Abb. A.21 Lösung des Fillominos aus Abb. 11.2 in Kap. 10

Page 300: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

Literatur

Althöfer, I.: Das Dreihirn-Konzept. ComputerSchach&Spiele De-zember 1985, 20–22 (1985)

Althöfer, I.: A symbiosis of man and machine beats GrandmasterTimoshchenko. ICCA Journal 20, 40–47 (1997)

Althöfer, I.: 13 Jahre 3-Hirn – meine Schach-Experimentemit Mensch-Maschine-Kombinationen. 3-Hirn-Verlag, Lage(1998)

Althöfer, I.: Clobber – a new game with very simple rules. Interna-tional Computer Chess Association Journal 25, 123–125 (2002)

Behre, J., Voigt, R., Althöfer, I., Schuster, S.: On the evolutionarysignificance of the size and planarity of the proline ring. Natur-wissenschaften 99, 789–799 (2012)

Bouton, C.L.: Nim, a game with a complete mathematical theory.Annals of Mathematics 2(3), 35–39 (1901–1902)

Brügmann, B.: Monte Carlo Go, Technischer Report, 1993(1993). unveröffentlicht. http://www.althofer.de/Bruegmann-MonteCarloGo.pdf

ChessBase. Tatort Toilette. Online verfügbar unter http://de.chessbase.com/post/tatort-toilette

Kaffka, K.: Zuordnungen zwischen Nullstellen und kritischenPunkten von Polynomen. Diplomarbeit, FSU Jena, Fakultätfür Mathematik und Informatik (2012). http://www.althofer.de/diplomarbeit-kaffka.pdf

Page 301: Spiele, Rätsel, Zahlen ||

296 Spiele, Rätsel, Zahlen

Lasker, E.: Brettspiele der Völker. Scherl, Berlin (1931)Munzert, R.: Schachpsychologie. Beyer-Verlag, Hollfeld (1998)Rahman, Q.I., Schmeisser, G.: AnalyticTheory of Polynomials. Ox-

ford University Press, Oxford (2002)Rüdinger, A.: Strengthening the Gauss-Lucas Theorem for Poly-

nomials with Zeros in the Interior of the Convex Hull, arXiv(2014). http://arxiv.org/abs/1405.0689

Zermelo, E.: Über eine Anwendung der Mengenlehre auf dieTheorie des Schachspiels. Proceedings of the Fifth Internatio-nal Congress of Mathematicians. Cambridge University Press,Cambridge, S. 501–504 (1913)