rösli & heidi auf grosser fahrt - gueti gschichte · 2016. 6. 23. · sie weiss alles über land...

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52 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE Fahrt auf grosser Rösli & Heidi Die Alter-Native für reiselustige Senioren. Chauffeuse Rösli Dönni, 66, und Hostess Heidi Furrer, 70, betreiben eine CAR-REISEFIRMA für Oldtimer. Wir «Jungen» dürfen mitfahren. Ein Tagesausflug im (G)reisecar. Ziemlich abgefahren Chauffeuse Rösli Dönni (l.) und Reisehostess Heidi Furrer haben ihren Bus Liseli getauft. «Wir wissen von jedem Gast, was er mag und wos ihm wehtut.»

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  • 52 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE

    Fahrt auf grosserRösli & Heidi

    Die Alter-Native für reiselustige Senioren. Chauffeuse Rösli Dönni, 66, und Hostess Heidi Furrer, 70, betreiben eine CAR-REISEFIRMA für Oldtimer. Wir «Jungen» dürfen mitfahren. Ein Tagesausflug im (G)reisecar.

    Ziemlich abgefahren Chauffeuse Rösli Dönni (l.) und Reisehostess Heidi Furrer haben ihren Bus Liseli getauft. «Wir wissen von jedem Gast, was er mag und wos ihm wehtut.»

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    Versorgt und betreut.

    Ausfahrtim Seniorenexpress

    Auf Achse «im Tüütsche» Röslis Car, unterwegs in Baden-Württemberg. «Mit unserem Fünf-Sterne-Bus Royal-Class reist man königlich.»

    Rösli Dönni, 66 Seit über 45 Jahren lenkt sie Lastwagen und Busse. Sie weiss alles über Land und Leute und kommentiert während der Fahrt.

    Heidi Furrer, 70 Die pensionierte Hebamme arbeitet als Reisehostess in Röslis Car. Sie ist zuständig für alle Wünsche und Kundenwunden.

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    Rundumbetreuung Rösli hilft ihren Passagieren beim Einsteigen. Nach üppigem Spargel-Zmittag samt Dessert sind die Senioren satt und müde.

    Für Schrammen aller Art Rechts Röslis Mechanikerkoffer, links Heidis Sanitäts-tasche. Die zwei Damen heilen stotternde Motoren und rumorende Mägen.

    Ren(n)tnerin Reisehostess Heidi hetzt an Bord. Sie hat Rösli beim Einparkieren geholfen. Das Ziel ist erreicht: Breisach am Rhein, Deutschland.

    Prost – aufs Geschäft Spargel schmaus im «Kaiserstühler Hof» in Breisach. Rösli trinkt nur Wasser, dafür gönnt sich Heidi gern ein Glas Wein mehr.

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    TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS KURT REICHENBACH

    Und immer wieder nachzählen. Nach jedem WC-Halt, vor jeder Weiterfahrt: Sitzen wieder alle im Reisecar? Ginge ein Gast ver-gessen – man sähe ja schön alt aus. «… 21, 22, 23, komplett», zählt Heidi und ruft nach vorne ins Cockpit: «Hinde fertig, vorne furt!» Und Chauffeuse Rösli star-tet den Motor.

    Das Nachzählen sei bei ihrer Car-Firma immens wichtig, sagt Heidi. Es komme öfter vor, dass angemeldete Gäste gar nicht erst erscheinen, «weil sie schlicht ver-gessen haben, was sie heute vor-hatten». «Sie wissen schon», sagt Heidi, «das Alter halt.»

    Rösli Dönni & Heidi Furrer. «Altunternehmerinnen» nennen sie sich, was in ihrem Fall sowohl Geschäftsidee wie Lebensstatus beschreibt. Obwohl pensioniert, geben beide nochmals richtig Gas (Diesel, um präzise zu sein). Mit ihren Dönni-Rösli-Carreisen haben sie sich auf alte Fahrgäste und Senioren mit hohem Betreu-ungsbedürfnis spezialisiert.

    Rösli, 66, Car-Chauffeuse. Heidi, 70, Reisehostess. Die Marktlücke der zwei Da-

    men – eine wahre Alter-Native. Heute gehen wir Spargeln

    essen! Nach Deutschland. Tages-ausflug ins Städtchen Breisach am Rhein an der deutsch-franzö-sischen Grenze. 155 Kilometer hin (via Basel), 156 zurück (via Lör-rach). Wir dürfen mit. «Ihr kaut doch keinen Kaugummi, oder?», fragt uns Heidi. Das sei drum ei-ner der grossen Vorteile bei Seni-orenreisen, da müsse man nach der Fahrt keine Kaugummis un-ter den Sitzen abkratzen, «bei euch Jungen hingegen weiss man

    nie». Mit dem «Jungen» hat sich die Reisehostess bereits in unsere Mittvierziger-Herzen getadelt.

    Bei Dönni-Rösli-Carreisen erweist sich die senile Bettflucht als Wettbewerbsvorteil. Schon im Morgengrauen mechen die Damen am Car rum. In einem Industriege-biet in Adliswil ZH, in einer Halle, steht er : 12 Meter lang, 3 Meter, 60 hoch, 2 Meter 50 breit. «Mit meinem Fünf-Sterne-Bus Royal-Class reist man königlich», wirbt Rösli. Sie nennt ihn, in Anlehnung an Queen Elizabeth, Liseli.

    Rösli checkt den Ölstand, Hei-di den Kaffeewasserpegel in der Bord küche. So ein Bus, Marke Bo-va Magiq, böte eigentlich 50 Plät-ze, doch Rösli liess lediglich 32 Sit-ze montieren, die Senioren hätten so viel mehr Platz, erklärt sie und zeigt weitere altersgerechte Gad-gets an Bord: ein Schemeli für un-ter die Füsse, überall zusätzliche Haltegriffe, und im Kofferraum ist ein Rollator verstaut. Rösli stu-diert die Reiseroute, Heidi die Passagierliste: Die meisten Gäste seien Stammkunden. «Ich weiss von jedem, was er mag und wo es ihm wehtut.»

    Materialcheck. Rösli prüft die Werkzeugkiste, Heidi die Sani täts tasche. Schraubenschlüs-sel, Zange, Dieselhandschuhe da, Blutdruckmessgerät, Stethoskop, Latex-OP-Handschuhe dort. Man bewältigt Notfälle aller Art, Blech wie Knochen. Rösli war früher LKW-Chauff euse, Heidi Kranken-schwester und Hebamme. Viele Gäste trauen sich keine Reisen mehr zu – dank dem Rösli-Rund-umservice aber und Heidis Pfle-gekünsten wagen und geniessen die Veteranen die Ausfahrten.

    8 Uhr. Liseli fährt los. Ange-halten wird überall dort, wo Gäs-te warten. Eine weitere Service-Exklusivität der Rösli-Reisen: Man holt die Senioren vor der

    Haustür ab. Und begrüsst sie mit Küsschen. Der jüngste Fahrgast heute ist 61, der älteste 89. Wir, die beiden «Jungen», sitzen zu-hinterst und werden vom Ältes-tenrat kommentarlos beäugt; wie Neuzugänge in einer Schulklasse.

    Zwei Dinge an Bord lösen Streit aus: Musik und Temperatur. Beide sind immer falsch. Drum verzichtet Rösli auf Reisesound, und Heidi bestimmt als Ideal-klima 22 Grad. Und wenn Heidi bestimmt, wirds so gemacht. Alt-klug muss ihr da keiner kommen.

    Rösli orgelt heftig am Steuer-rad, die Auffahrt hinauf gehts auf die Autobahn. Sie fährt sanft, umsichtig, unbeirrt. Und mit drei Versicherungen: zwei GPS und ihrem Kopf. Ungestüm ist bei ihr nur der Glarner Dialekt. «Zäche Johr» sei sie nun ihr eigener Chef, erzählt sie und begrüsst per Head-set ihre heutigen Gäste zur Spar-gelfahrt «is Tüütsche use».

    Dann – Auftritt Heidi. Mit Mikro in der Hand steht sie im Gang, balanciert Busschwenker tänzelnd aus und verliest, zackig, witzig, burschikos, das Mittags-menü. Über das Wort «Kaiser-stühler Stangenspargel» stolpert sie, lacht, heisst die Senioren: «Alle mal nachsprechen!», und die ganze Schar versucht im Chor das zungenbrechende «Kaiser-stühler Stangenspargel». Kichern, glucksen, erste rote Bäckchen, Heidi weiss, wie man Stimmung macht; und wer noch Anlauf braucht, läuft spätestens beim Bordkaffee langsam warm.

    Der ideale Zeitpunkt für uns Jungen, die auftauenden Senio-ren zu befragen: Was schätzen Sie an den Rösli-Reisen? Immer lus-tig seis, sehr sicher fühle man sich, wenn Rösli fahre, eine familiäre Stimmung herrsche. Und: Bei dem Service vergesse man die Altersgebrechlichkeit.

    Ein Team Das Cockpit ist Röslis Domäne. Einzig die Klimanlage darf Heidi am Armaturenbrett selber bedienen. Ideale Reisetemperatur: 22 Grad.

    Asphalt-Cowgirl Nach zehn Jahren im LKW wechselt das junge Rösli 1979 in die Car-Reisebranche.

    Die Hebamme Insge- samt 2000 Babys holt Heidi auf die Welt. Hier ein Foto von 1987.

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    Rösli Dönni wächst im Glar-nerland auf. Der Bruder baut ihr eine Seifenkiste, seither liebt sie «alles, was Rädli hät». Nach einer Bürolehre geht Rösli ins Militär, fährt Sanitätswagen, später macht sie die LKW-Prüfung, pilotiert als eine der ersten Glarnerinnen Sattelschlepper und Bagger. Dann wechselt sie ins Car-Business, reist 25 Jahre um die halbe Welt.

    Vor zehn Jahren kauft sie ihrem Chef den Bus ab und gründet die Dönni-Rösli-Carreisen. «Min Car», sagt sie, «isch mis Chind.» In all den Jahren hatte sie nie einen Un-fall, das «Chind» keinen Kratzer. «Ich weiss, ich spinne ein biss-chen, wenns ums Liseli geht.» Heidi auf dem Beifahrersitz nickt. Wenn Rösli in den Ferien sei, müs-se sie, Heidi, täglich zum Car schauen, den Motor laufen lassen «und Liselis Blech tätscheln».

    «Pipi-Halt in exakt 13 Minu-ten!», verkündet Rösli. Sie lenkt und denkt präzise. Ganz so, als sei ihr Hirn mit Liselis Bordcompu-ter kurzgeschaltet. Raststätte Pratteln, vor den WC-Anlagen ein kurzer Fight mit einer asiatischen Reisegruppe. Wir Senioren ( jetzt schreib ich schon «wir»!) gewin-nen, weil wir den Pipi-Eintritts-Fränkler schon seit Wettingen-Ost in der Faust horten.

    Alle steigen – erleichtert – wie-der ein. Heidi zählt. «Hinde fertig, vorne furt!» Und Rösli gibt Gas.

    Heidi Furrer. 43 Jahre arbei-tet sie als Krankenschwester und Hebamme. «2000 Babys habe ich zur Welt gebracht.» Nach der Frühpensionierung lernt sie auf einer Carfahrt die Chauffeuse kennen. Rösli. Man versteht sich gut. Am Ende der Reise hat Heidi einen neuen Job: Reisehostess.

    Die Damen erfahren mit ih-rem Liseli die halbe Welt. Von Nordafrika bis ans Nordkap, von Russland bis Spanien. Tagesthe-

    menreisen wie Spargel-, Kürbis-, Wild-, Fisch- und Weinfahrten. Aber auch mehrwöchige Europa-Reisen samt Übernachtungen in Hotels. Rösli recherchiert und organisiert jede Reise, handelt mit Wirten und Hoteliers Preise aus. «Sie kann hart feilschen und wenns sein muss ihren Stachel ausfahren», sagt Heidi. Rösli sei nämlich Sternzeichen Skorpion.

    Für die Kunden-Wunden ist Ex-Hebamme Heidi zuständig. Sie kennt von jedem Gast Lebens- und Krankengeschichte – und viele Spitäler im Ausland. «Senio-ren stürzen halt schnell mal, da brechen oft Knochen. Und wäh-rend sie mit dem Verletzten im Spital den Bruch subito gipsen lässt, dreht Rösli mit den Gästen halt eine extra Stadtrundfahrt.

    Dönni-Rösli-Carreisen haben sich auf das Ü70-Kundensegment spezialisiert. Mitfahren darf, wer es schafft, im Car allein ein- und auszusteigen. Vielleicht diversi-fizieren die Damen ja eines Tages. Ü90 oder noch älter. Fahrten für sehr alte, pflegebedürftige Men-schen – mit dem (G)reisecar.

    11.07 Uhr. Einfahrt in Brei-sach (Rösli plante die Ankunft für 11.10 Uhr). Im «Kaiserstühler Hof» werden saftige, Reckstangen-dicke Spargeln serviert. «Passt auf», warnt Heidi ihre Gäste, «die schöpfen immer wieder nach.» Für alle Fälle hat sie Imodium («Anti-schiss») in der Sanitätstasche und Grappa in der Bordküche.

    Sowieso kümmert sich Dön-ni-Rösli-Carreisen weit über die Fahrleistung hinaus um ihre

    Kundschaft. Treue Gäste genies-sen den zusätzlichen Rösli-Heidi-Service. Die beiden übernehmen für gebrechliche Kunden Einkäu-fe, fahren sie zum Arzt, besuchen sie im Altersheim – «und ein letz-tes Mal dann auf dem Friedhof», wie nur Heidi solche delikaten Dinge so unverblümt, aber ehr-lich auf den Punkt bringen kann.

    Nach dem Dessert (Erdbee-ren) besteigen die Veteranen wie-der den Bus. Heidi zählt. «Hinde fertig, vorne furt!» Und Rösli gibt Gas. Noch ein kurzer Shopping-Halt in einem Bauernhof-Lädeli, dann gehts Richtung Heimat.

    Ab und zu kommt auch mal ein Senior mit, der Stunk macht und nonstop nörgelt. Da kennt Heidi dann aber gar nichts. «Am Schluss der Reise sage ich ihm, wir näh-men ihn nie wieder mit.»

    Doch heute waren alle nett. Und werden selbstverständlich bis vor ihre Haustür chauffiert. Küsschen, Umarmung, «schön ischs gsi, fein ischs gsi, z vill gesse hani». Um 18 Uhr steht Liseli wieder in der Garage in Adliswil, Rösli putzt aussen, Heidi innen. Wir Jungen werden gelobt: Nir-gends klebt ein Kaugummi.

    Feierabend. Seit einigen Jahren wohnen Rösli und Heidi auch zusammen, das sei «gäbiger so». Sie steigen in ihr Auto, einen To-yota Corolla. Doch diesmal sitzt Heidi am Steuer. Rösli chauffiere drum nicht gern kleine Wagen, erklärt sie. Rösli lehnt sich zurück, zum ersten Mal an diesem Tag. Sie ist müde. «Endlich fertig, vor-ne furt!» Und Heidi gibt Gas.

    Wer fährt mit? «Wer uns fin- det, findet uns gut», so Röslis Werbespruch.www.doenni- roesli-carreisen.ch

    Rösli liebt ihren Car.

    Mis Chindnennt sie ihn

    Saubere Leistung Zurück von der Tagesfahrt wird Luxus-Bus Liseli geputzt. Rösli ist zuständig fürs Äus- sere, Heidi staubsaugt das Interieur.

    Innere Werte Als langjährige Last- wagenchauffeuse kennt sich Rösli auch in den Eingeweiden eines Cars aus. Sie überprüft den Motorraum.

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