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Das Handwerk im Wandel der Zeit Was ist unter „Strukturwandel“ zu verstehen? War das Handwerk ein Verlierer des zurückliegenden Strukturwandels? Hat sich der Strukturwandel in den letzten Jahren beschleunigt? Georg-August-Universität Göttingen Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und Mittelstandsforschung Volkswirtschaftliches Institut für Mittelstand und Handwerk

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  • Das Handwerk im Wandel der Zeit

    Was ist unter „Strukturwandel“ zu verstehen?

    War das Handwerk ein Verlierer des zurückliegenden Strukturwandels?

    Hat sich der Strukturwandel in den letzten Jahren beschleunigt?

    Georg-August-Universität Göttingen

    Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und Mittelstandsforschung

    Volkswirtschaftliches Institut für Mittelstand und Handwerk

  • 222

    Übersicht

    1. Einführung: Strukturwandel im Handwerk

    2. Das Handwerk in der Industriegesellschaft

    3. Das Handwerk in der Dienstleistungsgesellschaft

    4. Beschleunigter Strukturwandel ab Mitte der 90er

    5. Diskussion: Neue Herausforderungen für das Handwerk?

  • 1. Einführung: Strukturwandel im Handwerk

    • „Strukturwandel“ bezeichnet die längerfristige Veränderung

    volkswirtschaftlicher Größen. Somit unterscheiden sich Struktur-

    veränderungen von kurzfristigen Konjunkturschwankungen

    3

    Begriff

    „Strukturwandel“

    Qualifikations- und Altersstruktur von Beschäftigten

    Regionale Strukturen

    Verteilung der Wertschöpfung auf

    Wirtschaftsbereiche und -branchenVerteilung der Beschäftigen auf

    Wirtschaftsbereiche und -branchenGeänderte Bedeutung von Produktionsfaktoren

    (Kapital, Arbeit, Wissen etc.)

  • Wie hat sich das Handwerk im vergangenen Strukturwandel

    behauptet?

    4

    Wirtschaftsbereich

    Handwerk

    Einzelne

    Handwerksbranchen

    Einzelner

    Handwerksbetrieb

    Auswirkungen des

    Strukturwandels im

    Handwerk

  • 2. Das Handwerk in der Industriegesellschaft

    Herausforderung: Wandel durch technischen Fortschritt

    5

    Industriegesellschaft

    (ab ca. 1900)

    Zeitverlauf

    Agrargesellschaft

  • • An der Wende zum 20. Jahrhundert entbrannte unter Experten

    eine Diskussion über die Zukunftsfähigkeit des Handwerks

    • Damalige Prognose: Verdrängung handwerklicher Produktions-

    weise durch den technischen Fortschritt im Zuge der Industria-

    lisierung

    • Das „traditionelle“ Handwerk wurde durch moderne Produktions-

    formen in der Tat massiv verdrängt (z.B. Textil- und Bekleidungs-

    handwerke)

    • Zahlreiche Handwerksberufe sind im Zuge des Strukturwandels

    verschwunden (z.B. Kesselflicker, Besenbinder, Nagelschmiede)

    6

  • • Insgesamt konnte sich das Handwerk den neuen Gegebenheiten

    aber anpassen und vom technischen Fortschritt profitieren…

    z.T. Eroberung von Nischen der Massenproduktion

    Verschiebung der Tätigkeitsschwerpunkte von der Produktion zu

    Handel, Wartung und Reparatur: z.B. Uhrmacher oder Schumacher

    Entstehen neuer Handwerksberufe

    z.B. Kfz-Mechaniker, Radio- und Fernsehtechniker

    Wandel von Arbeitsinhalten und -strukturen durch den technisch-

    en Fortschritt, der bis heute andauert („Selbstindustrialisierung“)

    (z.B. Schreiner: „vom Fuchsschwanz und Handhobel zur CNC-gesteuerten

    Holzbearbeitungsmaschine“) 7

  • • Anstatt verdrängt zu werden, hat sich also „nur“ der Charakter

    von handwerklichen Tätigkeiten dem technischen Fortschritt

    angepasst!

    • Plastische Umschreibung dieses bewältigten Strukturwandels:

    • Als stabile Grundlage des Modernisierungsprozesses wirkte stets

    ein handwerksspezifisches Selbstverständnis

    handwerkliche Berufsausbildung (Lehrling, Geselle, Meister)

    starkes Zusammengehörigkeitsgefühl (Innung, Ehrenamt)8

    Handwerksdefinitionen

    Klassische Definition: Handwerk = Werk der Hände

    Neuere Definition: Handwerk = Individualtechnik

  • 2. Das Handwerk in der Dienstleistungsgesellschaft

    Herausforderung: Wandel durch Tertiärisierung

    9

    Industriegesellschaft

    (ab ca. 1900)

    Zeitverlauf

    Agrargesellschaft

    Dienstleistungsgesellschaft

    (ab ca. 1970)

  • • Enge Strukturwandeldefinition: Sektorale Tertiärisierung („Der

    Weg in die Dienstleistungsgesellschaft“)

    • Wie ist das Handwerk in dieser Entwicklung einzuordnen?

    10

    Quelle: Nolden u.a.

    2010

  • • Das Handwerk ist keine „klassische“ Branche, sondern ein

    sektorübergeifender Wirtschaftsbereich!

    • Produzierendes Gewerbe: z.B. Bau-, Ausbau-, Lebensmittel- und

    technische Investitionsgüterhandwerke

    • Dienstleistungssektor: z.B. Kfz, Friseure, Gesundheitshandwerke

    11Quelle: HZ 1995

  • • „Mittellage“ des Handwerks im Rahmen des sektoralen Struktur-

    wandels mit starker Tendenz zum produzierenden Sektor

    • Konsequenz: Auch das Handwerk konnte im 20. Jahrhundert von

    der sektoralen Tertiärisierung stark profitieren

    Existenz und Expansion von Handwerksbranchen im tertiären Sektor

    (z.B. Gebäudereiniger, Gesundheitshandwerke)

    Wartung, Reparatur und Service als handwerkliche Dienstleis-

    tungsangebote (z.B. Kfz- oder Landmaschinentechniker)

    • Angesichts der gegebenen handwerklichen Berufsstruktur (HwO)

    waren die sektoralen Expansionsmöglichkeiten jedoch begrenzt!

    • Aber: Von der sektoralen Tertiärisierung ist die zunehmende

    Tertiärisierung auf der betrieblichen Ebene zu unterscheiden!12

  • • Begrenzte Aussagekraft der amtlichen Statistik: Dienstleistungs-

    aktivitäten von Unternehmen im Produzierenden Gewerbe kom-

    men nicht zum Ausdruck! (Schwerpunktprinzip)

    • Konsequenz: Unterschätzung gerade des handwerklichen

    Dienstleistungsspektrums, denn…

    Zunehmender Dienstleistungsgehalt der Produkte im Produzie-

    renden Handwerk („Handwerksunternehmen als Problemlöser“)

    Information, Beratung und Service rund um das handwerkliche

    Leistungen immer wichtiger („Mentalitätswandel“)

    Beispiel: Beratungs-, Planungs-, Installations- und Wartungskom-

    petenz beim Einbau einer Solaranlage durch einen SHK-Betrieb13

  • 14

    Verkäufermarkt:

    Nachfrage > AngebotKäufermarkt

    Angebot > Nachfrage

    Motto:

    „Ein gutes handwerkliches

    Produkt verkauft sich von selbst“

    Motto:

    „Der Kunde ist König“

    Konsequenz:

    Beschränkung auf handwerkliche

    Kernkompetenzen (z.B. Tischler,

    Bäcker, Friseure etc.)

    Konsequenz:

    Erweiterung des handwerklichen

    Kernangebots (z.B. Fleischer mit

    Catering-Angebot, Kfz-Betriebe in

    Car-Sharing-Netzwerken etc.)

    Wandel

  • Zwischenfazit:

    • Das Handwerk konnte sich bisher im Strukturwandel durch seine

    Anpassungsfähigkeit an neue Gegebenheiten behaupten

    • Die pessimistischen Einschätzungen zur Zukunftsfähigkeit des

    Handwerks an der Wende zum 20. Jahrhundert haben sich somit

    nicht bewahrheitet

    • An der Schwelle zum 21. Jahrhundert ist jedoch erneut eine

    Debatte über die Zukunftsfähigkeit des Handwerks entbrannt

    Was ging dem voran?

    15

  • 4. Beschleunigter Strukturwandel ab Mitte der 90er

    • Vergleich zur Gesamtwirtschaft im Jahr 2009: Nach wie vor hohe

    volkswirtschaftliche Bedeutung des deutschen Handwerks

    - 26,1 % aller Betriebe

    - 11,8 % aller Erwerbstätigen

    - 29,4% aller Auszubildenden

    - ca. 8,4% der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung

    • Jedoch ab Mitte der 1990er starker Schrumpfungsprozess (Be-

    schäftigte, Umsatz), der sich erst in jüngster Zeit verlangsamt hat

    Rückgang der Handwerksbeschäftigung in Deutschland um mehr als

    1,5 Millionen zwischen 1995 und 2005

    16

    Quelle: ZDH

  • 17

    • Niedersächsisches Handwerk im Jahr 2009:

    - 426.800 Beschäftigte

    - 37,0 Mrd. Euro Umsatz

    Quelle: LHN, LSKN

  • • Dabei Tendenz zur Verschiebung der Betriebsgrößenstruktur

    („Zweiteilung des Handwerks“)

    1. viele Kleinstbetriebe („Ein-Mann-Betriebe“)

    2. Zunahme der Großbetriebe (50 Beschäftigte und mehr)18

    Quelle: Müller 2011

  • • Mögliche Ursachen der Veränderungsprozesse im Handwerk:

    Zusammenspiel struktureller und konjunktureller Einflüsse

    • Strukturell: starke Schrumpfung im Bausektor ab Mitte 90er

    durch langanhaltende Krise in der Bauwirtschaft

    19

    siehe Beschäftigungsstruktur im zulassungspflichtigen Handwerk:

    Quelle: ZDH

  • • strukturell: starke Marktanteilsverluste gegenüber nichthand-

    werklichen Anbietern (vor allem im Konsumgüterbereich)

    • strukturell: Weichenstellungen der Wirtschaftspolitik

    90er: Verteuerung des Faktors „Arbeit“ zuungunsten des Handwerks

    HWO-Novelle 2004: vor allem Einfluss auf die Betriebszahlen

    • konjunkturell: ungünstige Konjunkturkonstellation 2002 bis 2005

    (Benachteiligung des binnenmarktorientierten Handwerks)20

    Quelle: Dürig u.a. 2004

    Marktanteilsverluste des Handwerks in ausgewählten Wirtschaftszweigen

    Rückgang des Marktanteils gegenüber nicht-handwerklichen

    Anbietern zwischen 1994 und 2000

    Fleischerhandwerk - 4 %

    Bäcker- und Konditorenhandwerk - 10 %

    Uhrmacherhandwerk - 27 %

  • • Der Wirtschaftsbereich „Handwerk“ hat sich im vergangenen

    Strukturwandel durch seine Anpassungsfähigkeit behauptet

    • Wahrnehmung beschleunigter Veränderungsprozesse im

    Handwerk ab Mitte der 90er Jahre

    Hat sich auch aus Ihrer Sicht der Strukturwandel im Handwerk in

    den letzten Jahren beschleunigt?

    Wenn ja, woran macht sich das fest?

    21

    5. Diskussion

  • Neue Herausforderungen für das Handwerk?

    22

    Industriegesellschaft

    (ab ca. 1900)

    Zeitverlauf

    Agrargesellschaft

    Dienstleistungsgesellschaft

    (ab ca. 1970)

    ?

  • These 1

    Auch der gegenwärtige Strukturwandel wird das

    Erscheinungsbild des Handwerks wesentlich verändern.

    These 2

    Die Bewältigung der aktuellen Herausforderungen wird von

    den Handwerksbetrieben auch weiterhin eine umfassende

    Wandlungsbereitschaft und Anpassungsfähigkeit erfordern.

    23

  • 2424

    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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