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Bianchi XR2 82 PROCYCLING JUNI 2015

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Bianchi XR2

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NUMMER VIER FÄHRT

Bianchi kann sein Flaggschiff,

das Oltre, nie lange allein lassen.

Marcel Wüst testet die jüngste Version,

das XR2, und findet es genauso

unwiderstehlich wie seine Vorgänger.

Text Marcel Wüst Fotografie Kai Dudenhöfer

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Die Super Record ist schön und lässt sich so gut bedienen, wie sie aussieht.

ES GAB EINE ZEIT, WO ES FÜR EINEN ITALIENISCHEN FAHRRAD-

HERSTELLER UNDENKBAR GEWESEN WÄRE, KEINE CAMPAGNOLO-TEILE

ZU VERBAUEN.

Ein neues Jahr, ein neues Bianchi Oltre. Das ist die vierte Version, die ich ge-testet habe – nach dem Oltre, dem Oltre XR und dem Oltre XR Superleg-

gera. Anscheinend kann Bianchi nicht wi-derstehen, ein neues Modell auf den Markt zu bringen, sobald sich eine Möglichkeit zur Verbesserung gefunden hat. Nur ist die Schwierigkeit für mich, dass ich mich – wie bei anderen Herstellern, die mit ei-ner erstaunlichen Frequenz neue Modelle produzieren – jedes Mal, wenn die jüngste Version bei mir eintrifft, frage, ob ich den Unterschied wohl merken werde. Einen Rahmen 50 Gramm leichter zu machen, ist prima, aber fast unmöglich zu spüren. Aber ich mochte die Bianchi Oltres im-mer sehr, vor allem ihr Design und ihr

Fahrverhalten, also kostete es mich keine große Überwindung, ein neues unter die Lupe zu nehmen. Das heißt natürlich auch, dass ich besonders enttäuscht wäre, wenn ich feststellen sollte, dass sie es ver-masselt haben! Glücklicherweise wurde schnell klar, dass das nicht der Fall war. Schon allein die Optik des XR2 spricht mich sofort an. Ich liebe die himmelblaue Lackierung und all die kleinen Details, die keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, wo es gebaut wurde: eine italieni-sche Flagge, ein „Italian Design“-Logo und – mein Favorit – ein „Handmade in Italy“- Sticker auf dem Sattelrohr oberhalb des Tretlagers. Es ist ein Rad, das darum bettelt, ge-fahren zu werden, und als ich in die Peda-le trat, machte es sofort Spaß. Es gab eine Zeit in der Radsportbranche (die „guten alten Zeiten“), wo es für einen berühmten italienischen Fahrradhersteller undenkbar gewesen wäre, an seinem Rahmen keine Campagnolo-Teile zu verbauen. Die Zeiten haben sich geändert, aber mein Oltre XR2, das beste Pferd im Bianchi-Stall, war mit der neuesten Campagnolo Super Record ausgerüstet, die ich länger nicht mehr ge-fahren war. Es dauerte fünf Schaltvorgän-ge, bis sich ein nostalgisches „Campa-Ge -fühl“ bei mir einstellte. Weil ich meine Testfahrt oben auf dem Hügel startete, wo Kai und ich die Fotos geschossen hatten, hatte ich gut zwei Ki-lometer Abfahrt vor mir. Als ich aus dem Sattel ging, belohnten mich die Fulcrum-

Bianchi XR2

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Das XR2 ist ein Bolide mit einem Fahrverhalten, das des Profi-Pe-lotons würdig ist.

DIE AERODYNAMISCHEN MERKMALE VERSPRECHEN: JE SCHNELLER MAN

FÄHRT, UMSO MEHR PROFITIERT MAN VON IHNEN.

Laufräder mit Hochprofilfelgen und Schlauchreifen sofort mit diesem unver-kennbaren, zischenden Sound … und so-fort war ich im Rennmodus. Die Fahrt bergab bestätigte, was ich vermutet hatte, als ich für Kais Fotos in moderaterem Tempo ein paar Kurven ge-fahren war: Das XR2 hat einen mindes-tens so agilen Rahmen wie die Vorgänger-modelle. Aufgrund dieser Agilität fand ich es ver-lockend, jede Kurve so schnell wie möglich anzugehen, was ich die meiste Zeit auch tat. Das Fahrverhalten lässt sich am bes-ten so beschreiben: unglaublich steif, wie auf Schienen. Die Veloflex-Reifen mit

klassischem Fischgrätmuster auf den Sei-ten waren sofort vertrauenerweckend. Die Schlauchreifen hatten einen weite-ren Vorteil, wenn es um schnelles Kurven-fahren geht: Feedback. Jedes Mal, wenn ich mich der Gefahrenzonen einer Kurve näherte, sagten mir die Reifen mehr oder weniger genau, wann es an der Zeit war, etwas Tempo rauszunehmen. Mit seinem kürzeren Steuerrohr (vergli-chen mit den sogenannten Gran-Fondo- oder Sportive-Rahmen) und der unglaubli-chen Steifigkeit des Tretlagers ist das Oltre ein reinrassiges Rennpferd. Das BB386- Tretlager ist nicht nur sehr solide und scheint keinerlei Pedalkraft zu vegeuden, sondern hat auch eine fließende Form, die perfekt zum Rest des Rahmens passt. Die Schaltzüge laufen durch eine Füh-rung unterhalb des Rahmens und der hintere führt an der Außenseite des Rah-mens bis zu den Ausfallenden und dem schönen Schaltwerk aus Carbon. So ist

Technische Daten

Rahmen: Bianchi Oltre XR2

Gabel: Bianchi HoC Vollcarbon

Gruppe: Campagnolo Super Record

Kurbel: Campagnolo Super Record

Bremsen: Campagnolo Super Record

Kettenblätter: 50/34

Kassette: 11–25

Laufräder: Fulcrum Speed XLR

Reifen: Vittoria Corsa CX

Schlauchreifen (Veloflex am Testrad)

Steuersatz: FSA Orbit

Vorbau: FSA OS 99 CSI

Lenker: FSA K-Force Compact

Sattelstütze: Oltre Aero –

Reparto Corse

Sattel: Fizik Arione R3

Gewicht: 6,4 kg

Preis: 9.799 €

www.bianchi.com

PROCYCLING JUNI 2015 85

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Ultradünne Sitz-streben sorgen für Komfort und reduzieren den Luftwiderstand.

Marcel mochte das BB386-Tret-lager wegen sei-ner Steifigkeit und der Optik.

der Schaltzug viel leichter zu wechseln als einer, den man erst wieder sieht, wenn er auf den Kettenstreben herauskommt. Der Rahmen hat eine Reihe von aerodynami-schen Merkmalen, die versprechen, dass man umso mehr von ihnen profitiert, je schneller man fährt: Das speziell geformte Steuerrohr verbessert den Luftstrom, ohne die Steifigkeit zu beeinträchtigen, Gabel und Unterrohr sind aerodynamisch ge-formt und aufeinander abgestimmt und auch Sattelrohr und Sattelstütze haben ein windschlüpfiges Profil. Obwohl es kein ausgesprochenes Aero-Straßenrad wie das Felt AR ist, hat Bianchi im Windkanal an der Entwicklung des Oltre gearbeitet, seit die erste Version auf den Markt kam. Es war nicht nur die Aerodynamik, die mir das Gefühl gab, richtig schnell unterwegs zu sein – das ganze Rad vermittelt dieses tolle Gefühl, wenn die Beine zu schmer-zen beginnen, aber du weißt, dass du nicht über den Punkt hinauszugehen brauchst, wo es wirklich wehtut … Kurzum, es ist ein schnelles Rad! Normalweise lassen es aerodynamische Rahmen ein bisschen an Komfort fehlen,

vor allem, wenn die Sattelstreben eher auf Reduzierung des Luftwiderstands als auf Dämpfung ausgelegt sind. Beim XR2 scheinen sie so konstruiert zu sein wie bei den Vorgänger-Oltres: wirklich flach von der Bremsaufnahme bis hin zu den Aus-fallenden. Solche Streben habe ich schon beim frühen Cervélo R3 gesehen, ein Rad, das für seinen Komfort bekannt war, und das Oltre XR2 ist ähnlich geschmeidig. Die Hinterradbremse ist an den Wish-bone-Sattelstreben, nicht an einer Brücke

befestigt. Die roten Carbon- Brems beläge von Campagnolo waren zuerst ein biss-chen geräusch voll, doch das legte sich bald, und dann waren Dosierung und Bremsleistung unglaublich. Die ergono-mischen Bremshebel sorgen für gutes An-sprechen, sodass man nicht allzu viel Kraft aufwenden muss, um die Geschwin-digkeit zu verringern, und wenn ich mich Kurven schnell näherte, wusste ich im-mer, dass ich mich auf die Skeleton-Brem-sen der Super Record verlassen konnte. Als ich es im Tal etwas lockerer ange-hen ließ, war ich überrascht, was für ein heftiger Gegenwind mir ins Gesicht blies. Noch nicht in selbstquälerischer Stim-mung, blieb ich die meiste Zeit auf dem großen Kettenblatt, aber mit einer Kom-paktkurbel ist das kein Problem. Die Kette lief auf der superleichten (und teuren) 11-25-Kassette aus Titan geschmeidiger denn je. Der Umwerfer war perfekt einge-stellt. So sehr ich auch danach suchte – ich fand einfach nichts zu meckern. Das FSA-Cockpit ist komplett aus Car-bon und der OS-99-Vorbau ist nicht nur superleicht, sondern auch supersteif. Der

Bianchi XR2

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Das Oltre XR2 ist eine weitere Evolutionsstufe beim besten Rennpferd im Bianchi-Stall.

zum Vorbau passende K-Force-Lenker ist oben etwas abgeflacht und leicht gebogen, sodass er in jeder Griffhaltung sehr kom-fortabel ist. Um dem Wind aus dem Weg zu gehen, griff ich in den Unterlenker, ohne allzu sehr zu beschleunigen. Ich wollte meine Beine schonen, um an der Kletterpartie des Tages meine Zeit zu stoppen. Als ich den drei Kilometer langen Anstieg erreich-te, fragte ich mich, ob ich ihn mit einem Schnitt von 20 km/h würde hochfahren können. Natürlich ist die Steigung gleich-mäßig und nicht allzu schwer. Da fahren wir doch mit dem großen Kettenblatt hoch, erst recht mit einer Kompaktkurbel! Als ich von der Hauptstraße abfuhr, startete ich die Stoppuhr und fuhr los, ohne überhaupt aus dem Sattel zu gehen. Ich schaltete hoch, um auf die Trittfrequenz

zu kommen, die ich auf dem ganzen An-stieg beibehalten konnte. Ich schätzte, dass ich dieses Tempo wenigstens neun Minuten durchhalten würde, und alles unter zehn Minuten wäre immer noch okay. Aber manchmal laufen die Dinge nicht nach Plan und sobald man sich wirklich zu verausgaben beginnt, wird das Rad, auf dem man sich kurz zuvor noch wohl ge-fühlt hat, plötzlich zu einem Folterinstru-ment – vor allem, wenn man nicht in ge-wohnter körperlicher Form ist. Nun ja, es war gegen Ende der Saison und ich musste mich wirklich quälen. Nur zweimal ging ich aus dem Sattel, nach zwei scharfen Kurven, aber während des restlichen Anstiegs blieb ich sitzen und versuchte, so viel Luft wie möglich in meine Lungen zu bekommen. So arbeitete ich mich weiter nach oben. Als ich mich der Kuppe näherte, sah ich, dass ich mein Ziel von zehn Minuten knapp verpassen würde. Mental implodierend, schaltete ich ein paar Meter vor dem letzten Baum (Ziellinien gibt’s hier nicht) zähneknir-schend auf das kleine Kettenblatt. Ehrlich gesagt, war das Rad besser als meine Beine, aber das gilt für viele Räder und viele Beine und hat nicht viel zu sa-gen. Die wenigen Male, wo ich die Kraft hatte, auf den Pedalen stehend aus den Kurven herauszufahren, beschleunigte das Rad sofort und alles fühlte sich exakt so an, wie ich es mag: steifer Rahmen, ge-schmeidige Schaltung, schnelle Laufräder. In der Tat war ich besonders beein-druckt von den Fulcrum Racing Speed XLR, die leicht und zuverlässig sind. Bei über 40 km/h konnte ich den aerodyna-mischen Vorteil wirklich spüren und ich nutzte ihn während des Rests meiner Fahrt weidlich aus, denn nach der Abfahrt hatte ich den Wind im Rücken und noch ein paar Körner zu verschießen. Ich glaube, das zeigt, dass ich die zehn Minuten hätte knacken können, aber we-der dem Oltre noch mir konnte das etwas anhaben. Der einzige Bereich, an dem ich norma-lerweise etwas auszusetzen habe, ist die Sattelstütze – aber hier nicht. Die des Olt-re ist aerodynamisch mit integrierter Sat-telklemme und der Mechanismus scheint das Carbon-Gestell des Arione-Sattels zu schonen. Vor allem ist er leicht einzustel-len, sogar mit einem einfachen Multitool. Tatsächlich entdeckte ich das Einzige, was ich am Oltre XR2 zu beanstanden habe, erst bei der nächsten, etwas länge-ren Fahrt. Auf dem Parkplatz, von dem wir los-fuhren, versuchte ich einen zweiten Fla-schenhalter anzubringen. Ich hatte nur ein Multitool dabei, aber die grün eloxier-ten Schrauben an dem Rad sind mit Torx-

Kopf ausgestattet. Also steckte ich mir den losen Flaschenhalter und einen Er-satzschlauch in die Trikottasche und fuhr los, um noch ein bisschen Spaß zu haben. Danke an Bianchi für ein weiteres bril-lantes Oltre! Wissen Sie was? Ich freue mich schon darauf, das XR3 zu testen!

Welche Ziele haben Sie bei der Entwicklung des Oltre XR2 verfolgt? Die Philosophie des Oltre XR2 folgt diesen drei Konzepten: • ExtremeSteifigkeitfürmaximale Kraftübertragung• SuperagileGeometriefürbesseres Fahr- und Ansprechverhalten • AerodynamischeFormbeisehr geringemGewicht

Was wünschten sich die von Bianchi ge-sponserten Radprofis, nachdem sie das Vorgänger-Oltre-XR gefahren waren? Wir bekommen Reaktionen von den Fahrern dervonunsausgerüstetenTeamsundversu-chen,das„guteFeedback“fürdieEntwicklungneuer oder aktualisierter Produkte zu nutzen. So haben wir zum Beispiel 2012 das Oltre her-ausgebracht und dann die XR-Version entwi-ckeltundjetzthabenwirdasXR2;beiderEnt-wicklung dieser neuen Versionen haben wir das Input der Fahrer genutzt.

Haben verschiedene Teams verschiedene Wünsche? Die Teams wollen eigentlich alle dasselbe: Sie wollen ein leichtes und steifes Rad. Das sinddiebeidenwichtigstenPunktefürdieProfiteams.

Wird Aerodynamik bei den Rahmen wichtiger?WirhabendasAerodynamik-KonzeptschonbeiunseremOltreXR2.NatürlichistdasjetzteinwirklichwichtigesdrittesElementbeimRennrad:Steifigkeit,GewichtundAerodyna-miksinddiewichtigstenParameterfüreinStraßenrad der Spitzenklasse.

Bianchi ist einer von wenigen Herstellern, die kein ausgesprochenes Aero-Straßen-rad neben einem traditionellen leichten Rennrad anbieten. Glauben Sie, dass Sie ein Aero-Straßenrad brauchen, oder wird die Strategie von Bianchi immer sein, das Oltre zu einem Allrounder zu machen, das einige Aero-Elemente aufweist? Esstimmtnicht,dasswirkeinaerodynami-sches Bike haben. Wir gehörten sogar zu den Ersten,alswirdasOltreherausbrachten.Na-türlichisteskeinreinaerodynamischerRah-men, weil er auch ein leichter Rahmen ist. Wir habendasKonzeptderaerodynamischenFormbeiunserenPräsentationenfürdasOltreimmerdiskutiertundeswarbeiderEntwick-lung immer eines unserer Ziele, wie ich schon sagte. Von der ersten Version an haben wir TestsimACE-WindkanalanderFormel-1-Stre-ckeinMagnyCoursinFrankreichgemacht.

EHRLICH GESAGT WAR DAS RAD BES-SER ALS MEINE BEINE, ABER DAS GILT FÜR VIELE RÄDER UND VIELE BEINE

UND HAT NICHT VIEL ZU SAGEN.

INSIDER-INFO ANGELO LECCHIPRODUKTMANAGER STRASSE BEI BIANCHI

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