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Präventives Bewegungstraining aus trainingstherapeutischen Gesichtspunkten
Stufe 1 -Automatisierung der Beckenkippung, Thoraxhebung und der
Kopfkontrolle sowie Mobilisation der Wirbelsäule
MMag. Dr. Eva Schulc UMIT – EWZ 1, 6060 Hall i. Tirol [email protected]
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1.1 Die Bausteine der Rückenschule
1. Automatisierung der Beckenkippung, Thoraxhebung und der Kopfkontrolle sowie Mobilisation
der Wirbelsäule
(Ziel: Mobilisation und Wahrnehmung)
2. Stabilisierung der Dynamik des Rumpfes
(Ziel: Stabilisierung der Wirbelsäulendynamik)
3. Stabilisierung der Beinachse
(Ziel: Achsengerechte Körperhaltung über die Beine)
4. Stabilisierung des Schultergürtels
(Ziel: Gelenksschonende Stabilisierung zur Entlastung der Wirbelsäule und des
Schultergelenkes)
5. Stabilisierung des Gangzyklus
(Ziel: Stabilisierung der natürlichen Koordination von Alltagsbewegungen unter erschwerten
Bedingungen)
1.2 Hintergrund der Rückenschule
Von der isolierten zur automatisierten und stabilisierten Wirbelsäulendynamik.
Von der stabilisierten Beinachse im Sinne des Fundaments hin zum stabilisierten Schultergürtel.
Von einer koordinierten Kniebeuge hin zur Fortbewegung.
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1.3 Hintergrund der Stufe 1
Bezugnehmend auf das Zahnradphänomen nach Brügger wird der Zusammenhang zwischen der
Beckenkippung und Wirbelsäulenaufrichtung nachvollziehbar erklärt.
Abb.1:
Zahnradphänomen
nach Brügger
In Abbildung A wird das Becken nach ventral (=vorne) gekippt, daraus folgt die lordotische
Wirbelsäulenkrümmung im Lendenwirbelsäulenbereich bis in den unteren thorakalen Bereich.
Das darauf stehende Zahnrad bewegt sich demzufolge in die entgegen gesetzte Richtung und zeigt
an der Körperhaltung sichtbar, eine Aufrichtung der Wirbelsäule im Sinne einer kyphosierten
Brustwirbelsäule. Der Thorax hebt sich und das Zwerchfell kann optimal als Atemmuskel eingesetzt
werden.
Das dritte Zahnrad bewegt sich dem darunter stehenden Zahnrad entgegengesetzt, sodass eine
Aufrichtung von Seitens der Halswirbelsäule und des Kopfes mit nach vorne gerichtetem Blick
erkennbar ist.
In Abbildung B wird einerseits eine Entspannungsposition oder auch eine Belastungshaltung
aufgezeigt.
Entspannungsposition deshalb, da hier die Bewegung des Beckens nach dorsal kippt und der
Wirbelsäulenkrümmung entsprechend eine Dehnung der Haltemuskulatur aufgezeigt wird. Dem ist
nichts zu entgegnen, da die Muskulatur von Spannung und Entspannung lebt.
Aus dieser Entspannungsposition wird eine Belastungshaltung sofern diese Körperhaltung über
längeren Zeitpunkt eingehalten wird bzw. aus dieser Position keine Gegenposition eingenommen
werden kann.
Das Ziel ist es diese Beckenkippung als zentrale Übung für den weiteren Aufbau eines jeden
Trainings bzw. einer Therapie zu sehen. Eine achsengerechte Körperhaltung kann nur erreicht
werden, wenn auch die Beweglichkeit der Wirbelsäule über das Becken ohne großen Kraftaufwand
gewährleistet ist.
A B
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Beispiel 1: Die Bedeutung der Beckenkippung und der Beweglichkeit der Wirbelsäule zeigt sich in der
Durchführung eines Bauchmuskeltrainings.
Die Kräftigung des tiefen Bauches ist erst dann gewährleistet, wenn auch die entspannte
Lendenmuskulatur die Beckenkippung nach dorsal verhindert.
Beispiel 2:
Eine schwache Gesäßmuskulatur liegt oft darin begründet, dass das Becken zu weit nach ventral
gekippt ist, aufgrund einer hypertonen Lendenmuskulatur.
In der Übungsausführung zeigt sich dies darin, dass beispielsweise bei der Kräftigung des M.glutaeus
max. das Bein zu weit in die Extension (nur 10-15° möglich) geführt wird und des M.glutaeus medius
zu weit abduziert (nur 30-45° möglich) wird.
Die Gelenksbeweglichkeit im Hüftgelenk liegt zwischen 10-15° in der Extension und in der Abduktion
zwischen 30-45°. Jegliche Erweiterung der Schwingungsweite wird unweigerlich von der
Lendenwirbelsäule kompensiert und erhöht den Muskeltonus, der die Beckenkippung beeinträchtigen
kann.
10-15°
Abb.2: Schwingungsweite
der Extension und
Abduktion im Hüftgelenk
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(1) Funktionelle Anatomie des Beckens
Das Becken als Zentrum des Körpers ist nach Ansicht der Anatomen in erster Linie als
knöcherne Schale anzusehen, welches lebenswichtige Organe umhüllt und sowohl statische
als auch dynamische Funktionen erfüllen soll. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden,
sollte das Becken bestimmten Voraussetzungen genüge tun, geringes Gewicht, Stabilität
(=statisch) und Mobilität (=dynamisch).
Das Os sacrum bildet den Abschluss als Vervollständigung der noch lückenhaften, aus
Einzelknochen bestehenden Schale.
Statische Funktion des Beckens
Die STATISCHE FUNKTION des Beckens stellt
klar, wieso hier das Zentrum des Körpers liegt.
Durch die Verbindung nach kranial und kaudal
treffen sich im Becken drei kinetische Ketten
seitens der beiden unteren Extremitäten und
der Wirbelsäule. In beiden Hüften und
Sacroiliacalgelenken wirken somit die
absteigenden und aufsteigenden Kräfte. Die
Aufgabe liegt nun darin, die absteigenden
Kräfte der Wirbelsäule und die aufsteigenden Kräfte des rechten und linken Beines zu
absorbieren.
Dynamische Funktion des Beckens
Die DYNAMISCHE FUNKTION des Beckens ist durch das Zusammenwirken der aktiven und
passiven Strukturen um das Becken realisierbar.
Beim STEHEN (a) verschiebt sich das Os sacrum (Kreuzbein) nach kranial (oben), während
sich die beiden Os ilii (Darmbeinschaufeln) nach lateral und die beiden Os pubis
(Schambein) nach medial bewegen. Beim SITZEN (b) wird das Os sacrum nach kaudal
(unten) bewegt und die beiden Os ilii nach medial und die Os pubis nach lateral.
Abb. 3: Bewegung des Beckens beim Stehen (a) Bewegung des Beckens bei Sitzen (b)
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DIE AKTIVE MUSKELFÜHRUNG FÜR DIE AUFRICHTUNG ÜBER DAS BECKEN
Os ilium nach ANTERIOR durch
M.sartorius M.gracilis M.rectus femoris
M.tensor f. l. M.iliacus Mm.addurctores
M.quadratus lumborum M.erector trunci M.latissimus dorsi
Os ilium nach POSTERIOR durch
Hamstrings M.glutaeus maximus
M.psoas major M.rectus abdominis
Abb..4: Anatomie des Beckens
1.4 Zielsetzung der Stufe 1
Übergeordnete Ziele: Mobilisations- und Wahrnehmungsverbesserung der Wirbelsäule
1. Automatisierung der Beckenkippung
2. Automatisierung der Thoraxhebung
3. Automatisierung Kopfkontrolle
4. Mobilisation der Wirbelsäule
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1.5 Übungssammlung
Zur Automobilisation und Mobilisation zählen alle Wahrnehmungsübungen aus Feldenkrais,
Qi Gong, Yoga, Autogenes Training sowie die Muskelrelaxationsübung nach Jacobson.
Ausgewählte aktive Mobilisationsübungen werden wie folgend aufgezeigt.
Übung 1: aktive Hüftmobilisationsübung – Pendelübung
1 ASTE = Ausgangsstellung
Ziel: Mobilisation des Hüftgelenks und Detonisierung
der LWS - Muskulatur
ASTE1: Rückenlage, das aktive Bein ist gebeugt
Übung: Pendelbewegung nach rechts und links – klein
beginnen und immer größer werden(immer 1 cm
größer werden), dann wieder kleiner werden in cm-
Schritten;
Beachte: Um Probleme im Nacken und LWS-Bereich
zu vermeiden, entweder Kopf oder Kniegelenke
unterlagern
Dosierung: Individuell gestalten
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Übung 2: aktive Hüftmobilisationsübung – Pendelübung
2 ASTE = Ausgangsstellung
Ziel: Mobilisation des Hüftgelenks und Detonisierung der
LWS - Muskulatur
ASTE2: Rückenlage, das aktive Bein ist gebeugt;
Beachte: zur Entlastung der LWS inaktives Bein zur Brust
ziehen!!!
Übung: Pendelbewegung des gebeugten Beines nach
innen (A) und außen (B). Bein entlang der Aussenkante
des Fußes nicht ganz strecken (C).
Das Bein nach innen (D) und wieder nach außen (E)
bewegen.
Von der leicht gestreckten Beinposition
über die Aussenkante des Fußes das Bein wieder
beugen (F). Diesen Prozess einige Male wiederholen
Beachte: Wenn nach der Übung die Spannung im
Lendenwirbelsäule erhöht ist bzw. sich nicht verbessert
hat, dann inaktives Bein zur Brust ziehen und mit beiden
Händen während der Übung festhalten. Die Übung pro
Bein 3 mal wiederholen und 3 Serien.
Dosierung: Individuelle Gestaltung
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Übung 3: aktive Wirbelsäulenmobilisation
Übung 4: aktive Wirbelsäulenmobilisation
Ziel: Mobilisation der Brustwirbelsäule
Aste: Sitzposition und beide Hände umfassen die
Kniegelenke
Übungsvariante 1: Das Brustbein abwechselnd nach
hinten in die Beugung der Wirbelsäule bewegen,
sodass eine Dehnung zwischen den Schulterblättern
spürbar ist und dann wieder mit den Händen in den
aufrechten Sitz bewegen.
Übungsvariante 2: Abwechselnd in die Diagonale
nach hinten bewegen.
Dosierung: Individuelle Gestaltung
Ziel: stabile Mobilisation der Brust- und Halswirbelsäule
Aste: im Schneidersitz auf einer erhöhten Unterlage sitzen (z.B. Matterolle)
Übung:
Schritt 1: Mit der rechten Hand (Lumbrikalgriff) die Nackenstrecker festhalten und dabei 3-5x
den Kopf nach vorne neigen. Hand wechseln.
Schritt 2: Mit der rechten Hand die Nackenstrecker festhalten und den Kopf senken. Aus
dieser Kopfhaltung 3-5x den Kopf nach rechts und links bewegen. Hand wechseln.
Schritt 3: Überkreuzt mit der rechten Hand den linken absteigenden Ast des M.trapezius
festhalten und der linke Arm liegt locker im Schoß liegen. Die Schulter bewegt sich aktiv 3-5
mal nach vorne und hinten.
Seite wechseln.
Beachte: Bei Schwindel oder sonstigen Problemen die Übung abrechen bzw. kein 2.mal
durchführen. Rheumapatienten sollten von jeglichen Nackenübungen unterlassen. (Aufgabe
des Physiotherapeuten)
Dosierung: Individuelle Gestaltung
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Übung 6: aktive Wirbelsäulenmobilisation – Die Uhr
Ziel: stabile Mobilisation der gesamten Wirbelsäule
Aste: im Schneidersitz auf einer erhöhten Unterlage sitzen
(z.B. Matterolle) oder am Boden und sich vorstellen, man sitzt
auf der Mitte eines Ziffernblattes einer Uhr.
Übung:
Schritt 1: Sternum bewegt sich in Richtung 12 Uhr und wieder
zurück in die Mittelstellung.
Schritt 2: Sternum in Richtung 11°° und wieder zurück und
dann in Richtung 13°° bewegen. Abwechselnd durchführen.
Schritt 3: Sternum in Richtung 10°° und wieder zurück und
dann in Richtung 14°° bewegen. Abwechselnd durchführen.
Schritt4: Zwischendurch Schritt 1 durchführen: Sternum
bewegt sich in Richtung 12 Uhr und wieder zurück in die
Mittelstellung.
Schritt 5: Thorax nach 9°° und 15°° seitlich verschieben ohne
dabei den Rumpf zur Seite zu neigen.
Schritt 6: Den Halbkreis des Ziffernblattes „durch-bewegen“.
Alle Zeitpunkte von 9°° bis 15°° mit vorgeneigtem
Oberköoper
Dosierung: alle Schritte einige Male durchführen
Beachte: Bei Schwindel oder sonstigen Problemen die Übung
abrechen bzw. kein 2.mal durchführen.
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Dieselbe Übung nur in Richtung 16°° bis 9°° (Unterer
Halbkreis.)
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Übung 7: Übungen zur Beckenkippung
Übung 8: Übungen zur Beckenkippung mit der MFT – Platte
Ziel: Beckenkippung
Aste: Rückenlage mit gebeugten Beinen
Übung: Sprungelenk in Dorsal- und Plantarflexion
bewegen
Beachte: Bewusstmachen der Bewegung der Füße,
die sich bis in die Wirbelsäule fortsetzt.
Dosierung: einige Male durchführen
Ziel: Beckenkippung
Aste: Rückenlage mit gebeugten Beinen und die Füße
stehen auf der MFT - Platte
Übung: Platte nach vorne und hinten bewegen
Beachte: Bewusstmachen der Bewegung der Füße,
die sich bis in die Wirbelsäule fortsetzt.
Dosierung: einige Male durchführen
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Übung 9: aktive Mobilisation
Übung 10: aktive Mobilisation
Ziel: Mobilisation der Wirbelsäule
Aste: Rückenlage mit angewinkelten Beinen
Übung: Gegengleich das Knie zum Oberkörper
bewegen
Beachte: Ohne Kraftaufwand durchführen
Dosierung: einige Male durchführen
Ziel: Mobilisation der Wirbelsäule
Aste: Vierfüßlerstand
Übung: Schub nach vorne und Wirbelsäule im
Lendenbereich lordosieren – Gewichtsverlagerung
nach hinten und die Wirbelsäule kyphosieren.
Beachte: Abwechselnd Gewichtsverlagerung nach
vorne und nach hinten. Gefahr der Überlastung im
Lendenbereich, wenn das Gewicht nicht auf die Arme
verlagert wird. (=Amuskuläre Haltearbeit der LWS
wäre ansonsten möglich = kann Schmerzen auslösen)
Dosierung: einige Male durchführen
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Übung 11: aktive Mobilisation
Übung 12: aktive Mobilisation mit Tennsibällen
Übung 13: aktive Mobilisation für die BWS
Aste: Bauchlage und Unterarmstütz
Übung: Abwechselnd Brustwirbelsäule beugen und
strecken
Beachte: Schmerzen im LWS dürfen nicht spürbar
sein, ansonsten Arme weiter nach vorne richten
Dosierung: 3-4x durchführen; 5 Serien
Ziel: Mobilisation der Wirbelsäule mit Tennisbällen
Aste: Rückenlage mit angewinkelten Beinen
Übung: Tennisbälle seitlich der Wirbelsäule auf den
Muskelsträngen der Brustwirbelsäule legen.
Oberkörper langsam jeweils in cm-Schritten nach
unten bewegen, bis zum Schultergürtel und dann
wieder zurück.
Beachte: Bälle nicht unter die LWS und HWS
Ziel: Mobilisation der Brustwirbelsäule
Aste: Vierfüßlerstand
Übung: ein Arm zieht unter dem Körper zur
Gegenseite. Gegenbewegung einleiten, indem der
Arm nach oben aufdreht.
Beachte: die Knie dürfen den Boden nicht verlassen
Dosierung: einige Male durchführen
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