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Herbert Hrz: Marxistische Philosophie und Naturwissenschaften 1
OCR-Texterkennung und Copyright by Max Stirner Archiv Leipzig 17.10.2016
Akademie-Verlag Berlin 1976, 2., durchgesehene Auflage
Philosophie: Welterklrung und Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis
Aktuelles Vorwort 2016
Philosophie ist Brcke zwischen Wissenschaft und Weltanschauung. (Hrz, H. 2007) Sie
beantwortet die weltanschaulichen Grundfragen nach der Entstehung, Existenzweise und
Entwicklung des Universums, nach der Stellung des Menschen in ihm, nach dem Charakter
der gesellschaftlichen Entwicklung und dem Sinn des Lebens. Das gilt auch fr die marxisti-
sche Philosophie. Der Marxismus als Weltanschauung beruht auf dem dialektischen Materia-
lismus, der eng mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaften verbunden ist. Grnde fr
eine bejahende Antwort auf die Frage, ob der Marxismus noch zeitgem ist, sind an anderer
Stelle ausfhrlich behandelt. (Hrz, H. 2016a) Philosophie mit ihren Antworten auf die welt-
anschaulichen Grundfragen erweist sich dabei als Welterklrung und allgemeine Rahmen-
theorie fr spezialwissenschaftliche Forschungsergebnisse. Aus der philosophischen Analyse
neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse knnen sich heuristische Hinweise fr die weitere For-
schung ergeben, wenn aus philosophischen Verallgemeinerungen philosophische Hypothesen
ber mgliche zuknftige Beitrge zur Przisierung allgemeiner philosophischer Aussagen
abgeleitet werden.
Wie schon im Vorwort zum vorliegenden Buch betont, ging es mir um die Auswertung von
bisherigen Erfahrungen in Diskussion und Zusammenarbeit mit philosophisch Interessierten
unter denen, die auf dem Gebiet der Naturwissenschaften und angrenzender Gebiete forsch-
ten und lehrten. Der seit 1959 an der Humboldt-Universitt Berlin (HUB) existierende Lehr-
stuhl Philosophische Probleme der Naturwissenschaften, dessen Grndung und Entwick-
lung ich aktiv mit begleitete, suchte die interdisziplinre Kooperation. Auf den von uns orga-
nisierten Konferenzen kam es zu fruchtbaren Debatten zu Lsungsanstzen fr unterschiedli-
che weltanschauliche, erkenntnistheoretische, methodische und methodologische Probleme.
Das wirkte sich dann auch positiv auf die Betreuung der in Philosophie und Naturwissen-
schaften Ausgebildeten aus, die nun auf Grenzgebieten am Lehrstuhl promovierten, um als
Lehrende mit Sachkenntnis Philosophie an naturwissenschaftlichen Einrichtungen im obliga-
torischen Grundlagenstudium zu vermitteln. Auseinandersetzungen mit dogmatischen Auf-
fassungen und einseitigen politisch-ideologischen Forderungen blieben nicht aus. (Hrz, H.
2005; S. 105 ff.)
Konzeptionelle Grundlagen fr die Forschung auf dem Gebiet der philosophischen Probleme
der Naturwissenschaften, der Mathematik, der Geologie, der Medizin, spter spielten die
Technikwissenschaften eine grere Rolle, waren m. E. auf der Basis dieser Erfahrungen
auszuarbeiten. Dieses Projekt nahm beim Durchdenken immer mehr Formen an. Es ging um
die dialektisch-materialistische Sicht auf die Naturwissenschaften in ihren historischen Wur-
zeln, in den Darlegungen der Klassiker des Marxismus-Leninismus und in ihrer damals aktu-
ellen Bedeutung. Es geht auch heute immer wieder um das Verhltnis von Materialismus und
Dialektik, dessen historische Wurzeln der dialektische Materialismus nutzte, um eine umfas-
sende philosophische Theorie zu entwickeln, die die wissenschaftlichen Erkenntnisse ber
die Natur und die Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Natur einbezog. Diese, den
Darlegungen im Buch zu Grunde liegenden Ideen, sind zuerst im Abschnitt Naturwissen-
schaften in dialektisch-materialistischer Sicht zu erlutern. Das Projekt war geplant, doch
die Bedingungen zu seiner Verwirklichung waren zu organisieren. Da half die Einladung zu
einer Gastprofessur in Moskau, die ich annahm. In der Moskauer schpferischen Arbeitsat-
mosphre konnte ich mein Manuskript fast vllig fertigstellen. Es folgen berlegungen zu
einer Forschungsstrategie, Bemerkungen zur Kritik weltanschaulicher Kurzschlsse zu
den Funktionen der Philosophie und zu Philosophischer Heuristik. Der mit dem wissen-
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schaftlichen Material der damaligen Zeit geschilderte Prozess der Verallgemeinerung von
Erkenntnissen ist weiter aktuell. So sind in gegenwrtigen Diskussionen oft die Stufen der
Verallgemeinerung nicht bercksichtigt und es kommt eben zu weltanschaulichen Kurz-
schlssen.
Naturwissenschaften in dialektisch-materialistischer Sicht
Bei den konzeptionellen Grundlagen fr die interdisziplinre Zusammenarbeit zwischen mar-
xistischen Philosophen und Fachspezialisten ging es mir vor allem um die Analyse der Bin-
deglieder zwischen allgemeinen philosophischen Aussagen und speziellen Theorien und Hy-
pothesen der Naturwissenschaften. Die Frage, was philosophische Verallgemeinerung ist, war
zu beantworten, da nicht selten die schon genannten weltanschaulichen Kurzschlsse eine
Rolle spielten. So wurde z. B. mit den Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelationen der Mate-
rialismus und dialektische Determinismus in Frage gestellt. (Hrz, H. 1966, 2013 und 1971,
2013) Es galt, philosophische Grundaussagen mit neuen Erkenntnissen zu przisieren und
deutlich zu machen, dass es nicht um einen klassischen, sondern um den dialektischen Mate-
rialismus, jedoch nicht in einer dogmatisierten Form, ging. Mit Hinweis auf spezifische Ar-
beiten zu Detailproblemen, ging ich im Buch auf das komplizierte Beziehungsgeflecht zwi-
schen Philosophie und Naturwissenschaften ein. Das Buch erschien 1974 gleichzeitig in er-
ster Auflage im Akademie-Verlag Berlin und als Parallelausgabe im Verlag Pahl-Rugenstein in
Kln. Eine zweite durchgesehene Auflage war 1976 erforderlich, da die erste schnell vergrif-
fen war. 1982 erschien im Progress-Verlag Moskau eine russische bersetzung.
Einerseits wirkte ich bewusst mit meinen Darlegungen der Reduzierung der marxistischen
Philosophie auf Gesellschaftstheorie entgegen, die nicht selten anzutreffen war. Ignoriert man
naturwissenschaftliche Erkenntnisse in ihrer philosophischen Relevanz, dann amputiert man
die marxistische Philosophie an wichtigen Punkten. Der Mensch ist ein sozial organisiertes
Naturwesen. Er gestaltet die Natur und verndert die natrlichen Lebensbedingungen, um
seine Lebensqualitt zu erhhen. Rcksichtslose Ausbeutung der Natur fhrt jedoch zu ko-
logischen Katastrophen, mit teils verheerenden Auswirkungen auf Mensch und Kultur. Ande-
rerseits ging es um eine konzeptionelle Basis fr die Forschungen auf dem Gebiet philosophi-
scher Probleme der Wissenschaftsentwicklung. Das Verhltnis von Mensch und Natur, die
bewusste humane Gestaltung der Natur und die Przisierung philosophischer Grundaussagen
durch neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse waren zu erforschen, um einen fruchtbaren
Gedankenaustausch mit den naturwissenschaftlich Forschenden und Lehrenden fhren zu
knnen.
Der dialektische Materialismus entstand in der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts, verbun-
den mit den Arbeiten von Karl Marx und Friedrich Engels. Es ging um die kritische ber-
windung bisheriger einseitiger philosophischer Auffassungen in der Geschichte durch einen
neuen konstruktiven Ansatz, eben den Zusammenhang von Materialismus und Dialektik. Ma-
terialismus heit, alles auf materielle Ursachen zurckzufhren und einen Monismus theore-
tisch durchzuhalten, der als Grundlage die raum-zeitlich strukturierte materielle Bewegung
hat. Dabei ist der dialektische Materialismus eben kein platter Naturalismus, denn er nimmt
Dialektik als Widerspieglung (Reflexion) objektiver Prozesse. Wer das Primat der Materie
gegenber dem Bewusstsein anerkennt, ist Materialist und wer das Primat des Bewusstseins
gegenber der Materie betont, ist objektiver Idealist, wenn dieses Bewusstsein als objektiv,
etwa als Weltgeist gesehen wird, oder subjektiver Idealist, wenn es sich um unser menschli-
ches Bewusstsein als dem konstruktiven Element gegenber der Materie handelt. Subjekte
erkennen einerseits Objekte. So sind Experimente in den Naturwissenschaften ein objektiver
Analysator unter bestimmten Bedingungen. Ergebnisse der Analyse sind auszuwerten, in eine
Theorie einzubauen, um Erklrungswissen zu erhalten. Menschen erwerben generell durch
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Beobachtung, Experimente und Kommunikationsformen Einsichten ber das Objekt und sei-
ne Verhaltensweisen, modellieren es fr sich, um mit ihm umgehen zu knnen. Auf Grundla-
ge vorhandener Erkenntnisse und nach bestimmten Wertvorstellungen werden Entscheidun-
gen als Grundlage des Handelns oder Unterlassens getroffen. Das Subjekt wirkt auf das Ob-
jekt ein und verndert es. Wir untersuchen Denkmglichkeiten wirklichen Verhaltens, antizi-
pieren zuknftige Zustnde und machen so Bauplne des Geschehens. Dialektischer Materia-
lismus ist von der motivierenden Rolle von Ideen, Idealen und Plnen berzeugt, verweist
jedoch materialistisch stets auf die ausstehende berprfung im wirklichen Geschehen, auf
die Rolle von konkret-historischen Bedingungen fr die Verwirklichung von antizipierten
Mglichkei