wei wu wei - die einfache erkenntnis

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Die einfache Erkenntnis Klassiker der Esoterik Wei Wu Wei

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Page 1: Wei Wu Wei - Die Einfache Erkenntnis

Die einfache Erkenntnis

Klassiker der Esoterik

Wei Wu Wei

Page 2: Wei Wu Wei - Die Einfache Erkenntnis

Widmung

Diese Ausgabe ist P.J.G. gewidmet, der gesagt hat, daß dieses Buch die kürzeste, klarste und direkteste Fas­sung der Arbeiten ist, die unter dem taoistischen Sym­bol „Wei Wu Wei" erschienen sind und die in moder­ner Terminologie versuchen, die Urlehre der Weisen aller Zeiten darzustellen. In der Tat kann gesagt wer­den, daß die diesem Buch nachgefolgten Werke in gewissem Sinn Kommentare und Ausarbeitungen des vorliegenden sind, so daß deren Leser auf „Alles ande­re heißt Gebundensein"1 als der konzentrierten Fas­sung zurückgreifen können.ɯ

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1 Der Originaltitel wurde vom Verlag für diese Ausgabe geändert.

Page 3: Wei Wu Wei - Die Einfache Erkenntnis

Wei Wu WmDie einfache Erkenntnis

Über die Abwesenheit der Gegensätze

Übersetzt von Ernst Schönwiese Redaktion Ingrid Fischer-Schreiber

Verlag Bruno Martin

Page 4: Wei Wu Wei - Die Einfache Erkenntnis

Reihe: „Klassiker der Esoterik" 5

Originaltitel: All Else Is Bondage © 1970 Hong Kong University Press (English edn.)

© 1994 deutsche Ausgabe:Verlag Bruno Martin GmbH D- 21394 Südergellersen

Mit freundlicher Unterstützung von Erich Skrleta,Octopus Verlag und Buchhandlung, Wien

Übersetzt von Ernst Schönwiese Redaktion: Ingrid Fischer-Schreiber

Umschlaggestaltung: Nana Nauwald Satz: Verlag Bruno Martin GmbH Druck: Fuldaer Verlagsanstalt, Fulda

1. Auflage 1994

Alle Rechte beim Verlag. Kein Teil des Buches darf auf irgendeine Weise ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder nachgedruckt werden.

ISBN 3-921786-85-1

Page 5: Wei Wu Wei - Die Einfache Erkenntnis

Inhalt

Motto ....................................................................................7Vorwort.................................................................................8Die Begriffe „Wollen und Verursachung"..................... 110 Erleuchtung und das Erlöschen

der Ich-Vorstellung........................................................ 141. Denken............................................................................152. Wahrheit......................................................................... 163. Dem Denken unerreichbar...........................................184. Es: Über das Erkennen des Geistes.............................195. Fort mit dem Kopf.........................................................216. Diese phänomenale Abwesenheit...............................237. Unsere Buddha-Natur.................................................. 248. Dies, was wir sind......................................................... 259. Potentielle Realität........................................................ 2710. Potentielle Fülle...........................................................2811. Potentielles Sein...........................................................3012. Schlußfolgerung.......................................................... 3213. Den Suchenden suchen.............................................. 3614. Reine Funktion............................................................ 4115. Zuallerletzt................................................................... 4316. „Noch einmal stürmt, noch einmal,

liebe Freunde".............................................................. 4417. Genesis..........................................................................4618.? 4719..Aetemitas......................................................................48

I. Das Nicht-Begriffliche Universum...........................................48II. Zeitlosigkeit.................................................................................. 50III. Beschreibung der Nicht-Zeit..................................................... 51IV. Beschreibung des Nicht-Raums................................................52V..Dem Buddha glauben.................................................................. 53

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20. Alles andere heißt Gebundensein.............................5421. Ego.................................................................................5822. Hommage ä Hui Hai...................................................6123. Die Antwort auf die einzige Frage........................... 6324. Die noumenale Antwort............................................ 6525. Nicht-Entität................................................................ 71

Wu Wei und You Wei.................................................7326. Noumenales Leben..................................................... 7427. Der Lebende Traum....................................................7528. Objets Perdus...............................................................8029. Absichten......................................................................83

II. Ohne Absichten...................................................... 83III. Wollen und Willentlichkeit..................................84IV. Seliges Leben......................................................... 85

30. Nicht-Willentliches Leben.........................................8831. Letzte Illusion..............................................................9032. Tao.................................................................................9133. Beseitigung der Unfreiheit.........................................9234. Dir Persönlich.............................................................. 93

Über den Autor................................................................. 95

Page 7: Wei Wu Wei - Die Einfache Erkenntnis

Motto

Minister: „Aber ich bin ein Mann der Weltlichkeit und habe ein Amt zu versehen. Wie kann ich mich lernend bemühen, um auf den Weg des DAO zu gelangen?"

Shen Hui: „Exzellenz, Ihr habt Euch nur um das echte Verstehen zu bemühen. Ohne sonstige Übungen sollt Ihr nur ein vollkommenes Begreifen erreichen, denn wenn Ihr tief durchdrungen seid von Eurem richtigen Begreifen, werden all die Irrtümer und trügerischen Gedanken nach und nach schwinden ... Wir weisen immer sofort darauf hin, daß das Begreifen entscheidet und daß es nicht nötig ist, eine Vielzahl von Texten zu Hilfe zu rufen."

Shen Hui

Ja, aber Shen Hui war da, um dieses Begreifen hervor­zurufen: Wir haben ihn nur als einen aus einer „Vielzahl von Texten".

Ja, er sagt es - Begreifen kann genügen. Aber wir müs­sen dieses Begreifen „leben" - noumenal natürlich!

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Vorwort

Es scheint niemals eine Zeit gegeben zu haben, zu der die Menschen nicht versucht hätten, dem Kerker der individuellen Vereinzelung zu entrinnen. Im Osten war die Befreiung zu einer Art schönen Kunst entwik- kelt worden. Ob aber nicht trotzdem mehr Menschen außerhalb der organisierten Religion als mit deren Hilfen sich aus ihrer Einzelhaft befreit haben?

Im Westen ist die Reintegration sehr sporadisch er­folgt. Aber in den letzten Jahren haben immer größere Kreise sich mit deren Problemen befaßt. Dabei hat sich die Heranziehung der östlichen Literatur - die manchmal von Gelehrten übersetzt wurde, deren Sprachkenntnisse größer waren als ihr Verständnis des Gegenstandes selbst - oft unglücklicherweise als ein Hindernis erwiesen, das ein volles Verständnis mühsam und langwierig machte. Es scheint daher von wesentlicher Bedeutung zu sein, daß eine solche Leh­re, soweit sie übermittelbar ist, in einer modernen Ausdrucksweise und gemäß unseren eigenen Denk­gewohnheiten weitergegeben wird.

Aber eine solche Darstellung kann mittels einer rein denkerisch erörternden Methode, wie wir sie etwa beim Erwerben von rein rationalen Kenntnissen zu benützen gewohnt sind, niemals angemessen gegeben werden, denn das geforderte Verständnis ist nicht ausschließlich rationaler Art und daher kein bloßes Wissen.

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Das mag die außerordentliche Popularität von Werken wie dem Daodejing und in bescheiderem Aus­maß des Diamant- und Herz-Sutra sowie etwa von Padma Sambhavas Erkennen des Geistes erklären. Denn all den gewaltigen Mengen überflüssiger Worte zum Trotz, in denen die Ur-Lehre in neuerer Zeit darge­stellt wurde, trifft der direkte Hinweis auf die Wahr­heit statt einer Erklärung unmittelbar das Herz der Sache und ermöglicht es dem Geist, seine eigene le­bendige Vision zu entfalten. Eine noch so ausgearbei­tete, rein rational entwickelte These muß hier immer ihr Ziel verfehlen, denn nur durch Andeutungen, die eine Fähigkeit der Intuition voraussetzen, kann dieses Verständnis erweckt und gefördert, niemals aber zur Gänze von außen erlangt werden.

Ob aber eine moderne Präsentation östlicher oder ewiger Metaphysik als zuverlässig akzeptiert werden wird? Wahrscheinlich ist eine Zwischenstufe zweck­mäßig, während der die Methode der Präsentation in moderner Sprache von der Autorität der großen Mei­ster gestützt wird, soweit die Interessierten mit deren Gedanken und technischen Begriffen wenigstens allgemein vertraut sind. Noch schwieriger wird die Angelegenheit durch den zur Konvention geworde­nen Gebrauch der meist aus dem Sanskrit stammen­den Begriffe, deren von den frühen Übersetzern ak­zeptierter Sinn weiter verwendet wird. Dieser Sinn ist oft nicht bloß beträchtlich verschieden von der Bedeu­tung, die diese Begriffe in den chinesischen Werken haben, sondern gelegentlich fast genau ins Gegenteil verkehrt worden! Diese irreführenden Begriffe wer­den weiter gebraucht, was ohne Bedeutung für die

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wenigen ist, die wissen, worauf diese sich wirklich beziehen und für die ein andeutendes Wort oft ge­nügt, es ist aber eine ernste Behinderung für jeman­den, der um deren Verständnis ringt.

Die Unangemessenheit der kleinen Absätze, die folgen, entspricht dem Ungenügenden der Aus­drucksmöglichkeit. Sie werden in der Hoffnung dar­geboten, daß die ihnen zugrundeliegende Wahrheit durch das Nebelhafte ihrer Darbietung hindurch­dringt und einen Funken auslöst, der sich zur Flamme der Erfüllung zu entfalten vermag.

Nichts Mysteriöses oder irgendwie Geheimnisvolles ist an der ganzen Sache. Wenn sie leicht wäre, würden wir dann nicht alle Buddhas sein? Zweifellos. Aber die scheinbare Schwierigkeit rührt von unserer Unfähig­keit her, das Offenbare wahrzunehmen, und zwar aufgrund eines Reflexes, der uns veranlaßt, beharrlich in die falsche Richtung zu schauen.

w.w.w.

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Die Begriffe „Wollen" und „Verursachung"

Alle Phänomene sind nur das Ergebnis einer Objekti­vierung. Sie sind notwendigerweise bedingt und dem Gesetz von Ursache und Wirkung unterworfen.

Diese Kausalität unterliegt dem, was wir als Zeit und Raum begreifen, schließt also Raum-Zeit ein, und vice versa, so daß Verursachung und Willentlichkeit als Ausdruck eines einzigen Prozesses betrachtet wer­den können.

Daher muß jede Art von Aktivität in der Zeit be­dingt und dem Kausalzusammenhang unterworfen sein.

Per contra: Was immer außerhalb der Zeit oder was immer Zeitlosigkeit ist, kann nicht durch den Kausal­zusammenhang gebunden sein, da es nicht Raum-Zeit unterworfen sein kann.

Aber was immer wir sind, was immer alle Lebewe­sen sein mögen, liegt außerhalb der Zeit, alles, was in Raum-Zeit erscheint, ist nur phänomenal.

Folglich ist das Wollen in seinem phänomenalen Aspekt eine Manifestation einer Ich-Vorstellung und muß ein Element in der Kausalitätskette sein, während Wollen in seinem noumenalen Aspekt so etwas über­haupt nicht ist, es ist nie als solches manifest und funktioniert als ein unidentifizierbarer Drang, als

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Spontanität, unabhängig von jeder Überlegung, jedem Denkvorgang und aller phänomenalen Aktivität.

Dieses noumenale Wollen ist weder Wollen noch Nicht-Wollen: Es ist Wollen, das Nicht-Wollen ist, so wie Wei das reine Tun ist, das Wu-wei ist, denn alle Einmischung von Seiten einer Ich-Vorstellung bleibt ausgeschlossen, und das Tun (Wei) ist Ausdruck des Wollens.

Letztlich ist es, was wir in der Zeitlosigkeit sind, denn es ist frei von jeder Objekthaftigkeit. Es ist, was alle Lebewesen sind, die Natur, die sich manifestiert und in die Nicht-Manifestation zurückkehrt, die gebo­ren wird, wächst, reift, sich fortpflanzt und stirbt. Das ist das nicht-willentliche Leben eines Menschen des Dao.

NoumenalWen gäbe es, der Willen besitzen und ausüben könn­te? Wen gäbe es, der die Auswirkungen des Willens erfahren könnte?

Wen gäbe es, der Ursachen schaffen könnte? Wen gäbe es, der eine Wirkung erleiden könnte?

Es gibt keine Entität, die einen Willen ausüben könnte, es gibt keine Entität, die die Auswirkungen des Wollens erleiden könnte.

Es gibt weder eine verursachende noch eine Wir­kung erleidende Entität.

PhänomenalDie Subjekt-Objekte der phänomenalen Welt sind selbst Resultate der Zeithaftigkeit.

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Die Ursachen und Wirkungen der phänomenalen Welt sind selbst abhängig vom scheinbaren Ablauf der Zeit.

Die Subjekt-Objekte sind in der phänomenalen Welt niemals getrennt, sie sind keine unabhängigen Entitäten: Sie sind eine ganzheitliche Denkvorstellung, die den Mechanismus der Manifestation enthüllt.

Die Ursachen und die Wirkungen der phänomena­len Welt sind niemals getrennt, sie sind jedes beide, abhängig von der Zeit, und beschreiben den zeithaften Wirkungsverlauf des manifestierten Universums.

Die Subjekt-Objekte sowie Ursache und Wirkung der phänomenalen Welt sind nicht nur jedes eine einzige Denkvorstellung, gespalten durch die Illusion der Zeit, sondern sind beide Aspekte einer einzigen Denkvorstellung und sind identisch.

Daher können sie „verursachendes Subjekt - Wir­kung erleidendes Objekt" genannt werden. Verur­sachung ist ein Name für den Prozeß der Objektivie­rung, durch den das sinnenhafte Universum entsteht.

Ich wiederhole: Nur ein Objekt kann leiden, denn es bedarf eines Objektes, um Leiden zu erfahren, und nur ein Objekt kann die Wirkung einer Ursache erlei­den.

Daher können nur Objekte in Verursachung und Bedingtheit verwickelt werden, denn das phänomena­le Subjekt wird im Augenblick eines solchen Gesche­hens zum Objekt.

Die noumenale Subjekthaftigkeit muß ewig von Verursachung unbeeinflußt sein. Die noumenale Sub­jekthaftigkeit ist ewig un-bedingt und frei.

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Erleuchtung und das Erlöschen DER ICH-VORSTELLUNG

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Wenn wir die Ich-Vorstellung beiseite lassen, ist dies gleichbedeutend mit der Aufgabe des Begehrens nach „persönlicher Erleuchtung".

Sie nicht mehr zu begehren heißt, „es" zu haben, denn „es zu haben" bedeutet in jedem Fall nichts an­deres, als daß wir uns dessen entledigt haben, was verhüllt hat, was für immer das ist, was wir einzig und allein sind.

Wenn wir also nicht mehr danach streben, die „persönliche Erleuchtung" erlangen zu wollen, so bedeutet dies, die Ich-Vorstellung aufzulösen, die dessen Verhüllung darstellt.

Die Idee der Befreiung verhindert automatisch die einfache Erkenntnis, daß wir frei sind.

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1.Denken

Wenn die Meister uns auffordem, dem „Denken" abzuschwören/so meinen sie damit nicht, daß wir das Denken unterdrücken sollen; diese Aufforderung bedeutet vielmehr, den Impuls, der in dualistischem Denken resultiert, mittels Artikulation auf sein un­mittelbares Sich-Ausprägen umzuorientieren.

Unterdrücktes Denken ist der negative Aspekt des Dualismus „Denken - Nichtdenken", also eine andere Art des Denkens selbst und die „eine Hälfte des Paa­res". Was dagegen die Meister meinten, ist Wu-nian, die Abwesenheit beider Gegensätze, des Denkens und des Nicht-Denkens, was die Anwesenheit der Soheit des Denkens ist, und das drückt sich in spontanem Tun aus (in reinem Tun, das aus Nicht-Tun entsteht: Wu-wei).

Wu-nian ist die Anwesenheit der Abwesenheit von Nicht-Denken.

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2.Wahrheit

Das Erkennen der Wahrheit kann nicht dualistisch sein - ein „Ding", das erkannt wird.

Sie kann nicht von einem Erkennenden oder via ei­nes Erkennenden erkannt werden.

Es kann nur ein Erkennen geben, das selbst die Wahrheit ist.

Die Unfreien (die noch durch Objekte Gebundenen) wollen, daß ein Objekt eine relative Realität ist (daß es relativ existiert), das heißt, es sollte unabhängig von dem, der es erkennt, projiziert sein. Dies ist grundle­gend dualistisch.

Aber ein Objekt wird von dem, der es erkennt, pro­jiziert, und das Erkennen des Objekts ist gleichzeitig die Projektion des Objekts.

Die Unfreien wünschen sich zwei unabhängige Vor­gänge:a) Das Funktionieren des Grundprinzips, das als Ob­

jekt lokalisiert ist,b) Das Objekt, wahrgenommen von einem fühlenden

Wesen, das selbst ein vom Grundprinzip projizier­tes Objekt ist.

Aber:a) Das fühlende Wesen ist selbst Subjekt und Objekt,

das heißt, es ist Grundprinzip insofern, als es ist. Es

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ist ein projiziertes Objekt2, das im allgemeinen als „John Smith" interpretiert wird, und zwar insofern, als es ein Objekt der Wahrnehmung ist.

b) Die verallgemeinerte Interpretation der Projektion des Grundprinzips als „John Smith" ist ein Objekt, also nur eine bloße Erscheinung: Das, was dieser J.S. ist, ist das Grundprinzip, dessen scheinbares Funktionieren ihn solch verallgemeinerter Interpre­tation seitens „anderer" verallgemeinerter Aspekte dieses Funktionierens unterwirft, die so wie schein­bar unabhängige Objekte im Raum-Zeit-System sind.

2 „Projiziert" meint hier den ganzen Prozeß der Interpretation, durch den ein wahrgenommener Gegenstand zu einem phäno­menalen Objekt wird, das durch die Sinne als solches wahrge­nommen und konzeptualisiert wird.

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Dem Denken unerreichbar

3.

Das in Raum und Zeit als Subjekt und Objekt erschei­nende phänomenale Universum ist eine Manifestation des Geistes, wovon der Tagtraum und der Schlaftraum Beispiele zweiten Grades sind.

Das Resultat dieses auf einem Nacheinander beru­henden Individualisationsprozesses, das alle Arten von Träumer als „Wirklichkeit" kennen, hat keine objekthafte Ähnlichkeit mit dem, was sein Erscheinen verursacht, weil das, was sein Erscheinen verursacht, keinerlei objekthafte Eigenschaft hat.

Daher ist es gänzlich unerreichbar für jede Form des objekthaften Denkens, geschweige denn für eine Beschreibung. Die einzigen Worte, die überhaupt darauf hinzuweisen vermögen, sind: Dieses, Hier, Jetzt und Bin, und dies in einem Zusammenhang, der völlig abstrakt ist.

Die negative Methode ist nur eine behelfsmäßige; sie wendet sich vom Positiven zu dessen Gegenstück und negiert dann beide. Das löscht alles Objekthafte aus und hinterläßt eine Leere, die Fülle repräsentiert, vollkommene Abwesenheit, die vollkommene Anwe­senheit repräsentiert. Hier endet der Prozeß des Den­kens (und Nicht-Denkens), und die Abwesenheit da­von selbst ist das Unbegreifliche.

Unfaßbar für jeden, der es zu fassen versucht. Aber wer würde raten, das zu tun?

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Page 19: Wei Wu Wei - Die Einfache Erkenntnis

ES: ÜBER DAS ERKENNEN DES GEISTES

4.

Sobald, die Zeit endet, verschwindet das Universum.

Es ist jederzeit hier, eben weil es jenseits des Bereichs der Zeit ist, und es kann nicht festgehalten werden, weil die Zeit aussetzt.

Es ist in jedem Jetzt-Moment gegenwärtig zwischen dem Tick-Tack der zeitlich ablaufenden Manifestation, durch die es indirekt funktioniert.

Wir kennen es seit einer Ewigkeit. Es ist nicht nur die Basis des Denkens - wie uns Maharshi sagte - , sondern jeder Lebenstätigkeit.

Darum ist es reine Funktion und das, was reine Funktion ist.

Es ist zu klar und daher schwer zu erkennen.Ein Narr suchte einmal mit einer brennenden Laterne nach Feuer.Hätte er gewußt, was Feuer ist,er würde seinen Reis viel früher gekocht haben.

Mumon

Es ist die Funktion, deren dualistische und zeithafte Manifestation Leben ist. Es ist das Tun allen Tuns, der Ursprung allen Denkens, die Grundlage allen Wahr­nehmens. Es ist nicht unmittelbar, was wir tun, was wir denken, was wir sehen, was wir nacheinander mit den Sinnen als phänomenales Objekt, der Zeit unter­

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worfen, projizieren. Es ist das Leben des Lebens selbst und nicht die Art und Weise, wie wir es objekthaft leben.

Der Erwachte vermag unmittelbar zu leben (so wie der Zen-Bogenschütze oder Schwertkämpfer unmit­telbar zu handeln vermag), „wir" leben indirekt, aber auch mittelbares Leben ist letztlich es, denn es, nicht die „Marionette", das Objekt, ist alles, was wir sind.

„Der Geist oder der Mund können nicht aus eige­nem handeln", sagte Maharshi, „anerkenne die Macht des göttlichen Willens und sei still!" Und:

„Der Geist und der Mund können nicht ohne das Selbst handeln."

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Page 21: Wei Wu Wei - Die Einfache Erkenntnis

Fort mit dem Kopf

5.

Mein Kopf ist das Zentrum des Universums.Alles, was ich sehe, fühle, erkenne, ist in meinem

Kopf zentriert (und in deinem und in dem des Käfers).Alle sind Objekte, deren Subjekt mein Kopf ist

(mittelbares Subjekt als Kopf, letztes Subjekt als „Ich").Aber ich kann meinen Kopf nicht sehen, fühlen

oder erkennen; und auf seine Existenz zu schließen, ist unzulässig und sinnenhaft nicht zu rechtfertigen. Ich nehme kein derartiges Objekt wahr, zwar alle anderen Objekte, aber nicht dieses. Einzig mein Kopf ist nicht mein Objekt.

Natürlich nicht: Er ist Subjekt, und ein Auge kann sich selbst nicht sehen, ich kann mich selbst nicht sin­nenhaft wahrnehmen, das Subjekt kann sich nicht selbst erkennen - denn alles, was erkannt wird, wird dadurch ein Objekt. Das Subjekt kann nicht als sein eigenes Objekt existieren.

Weshalb alles, was Objekt ist, zu existieren scheint;Nur das Subjekt scheint nicht zu existieren.

Aber das Objekt kann nicht getrennt vom Subjekt existieren, dessen Erscheinungsform es ist.

Daher ist es das scheinbar nicht existierende Subjekt, das ist, und das scheinbar existierende Objekt, das nichtist.

Doch weil das Objekt Subjekt ist und das Subjekt Objekt ist, ist das, was sie jenseits der Zeit sind, alles,

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was sie sein können, und alles, was ist, ist die Abwe­senheit meines Kopfes (und deines und des Käfers Kopf), was zugleich die Anwesenheit von allem ist.

Wo also bin ich? Wo also bist du und der Käfer?Wir sind unsere Abwesenheit!3

3 Wir entschuldigen uns bei Douglas Harding, dessen „On Having No Head" (deutsch unter dem Titel „Zen und die Wiederentdek-

kung des Offensichtlichen", Basel 1969) soviel mehr soviel besser sagt.

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Diese phänomenale Abwesenheit

6.

Nirgendwo, wo ich ein Objekt bin, bin ich, auch nicht dort, wo irgendein Teil von „mir" ein Objekt ist, ist er ein Teil von mir oder ist er mein. Nur hier, wo ich nichts erkennen kann (außer dem objekthaften Uni­versum), bin ich - und objekthaft bin ich nur eine Ab­wesenheit.

Sobald ich das klar erkenne, höre ich auch auf, ein individuelles „Ich" zu sein, denn alles Individuelle wird dadurch ein Objekt.

Meine Abwesenheit als Objekt ist die Anwesenheit der reinen Nicht-Objekthaftigkeit, die eben das ist.

Meine einzige Existenz ist nicht-objekthaft, als Nicht-Objekthaftigkeit an sich.

Ich kann in keiner Weise abgebildet, gezeichnet, photographiert oder beschrieben werden. Das, was ich nicht-personhaft bin, hat keine Eigenschaften oder Ähnlichkeiten mit einem individuellen Subjekt-Objekt, das eine reine Denkvorstellung ist.4

4 Ein „Selbst", ein „Ego", jede Art von getrennter Persönlichkeit oder Wesenheit ist ein Objekt. Weshalb nichts derartiges existiert - wie das „Diamant-Sutra" immer wieder betont.

Mein objekthaftes Selbst existiert nur als Denkbegriff.Nicht-objekthaft bin ich das erscheinende Universum.Identifiziere ich mich selbst mit meinem denkbegrifflichen

Objekt, so entsteht Gebundensein. Erkenne ich klar, daß mein denkbegriffliches Objekt nur insoweit existiert, als es und sein Subjekt diese phänomenale Abwesenheit hier und jetzt sind, führt dies zur Befreiung.

Ich bin meine phänomenale Abwesenheit.

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Page 24: Wei Wu Wei - Die Einfache Erkenntnis

Unsere Buddha-Natur

7.

Es gibt keinerlei Geheimnis - nur die Unfähigkeit, das Offenbare wahrzunehmen.

„Er hat keinen Ort, wo er sich verbergen könnte!", wie Mumon sagt.

Das vermutete oder scheinbare „Geheimnis" ist zu­rückzuführen auf die objekthafte Nichtexistenz der reinen Nicht-Objekthaftigkeit - die die Buddha-Natur ist, weil Objekthaftigkeit nur eine Vorstellung ist und Nicht-Objekthaftigkeit unvereinbar ist mit irgendei­nem Grad von Bestimmtheit.

Huang Po sagt kategorisch: „Unsere ursprüngliche Buddha-Natur ist in letzter Wahrheit leer jedes Atoms von Objekthaftigkeit."

Was gibt es Geheimnisvolles in Dies-Hier-Jetzt-Bin, das überall ist und von dem getrennt nichts sonst ist?

Dieses, das ist, ist reine Anwesenheit, autonom und spontan.

Es ist Dies, das nach sich selbst ausschaut, wenn wir nach Ihm ausschauen, und wir können Es nicht fin­den, weil Es Dies ist, was wir sind.

Objekthaft ist Es nicht da.5

5 Die dualistische Sprache erlaubt uns nicht, diese Dinge auszu­drücken, ohne objekthafte Begriffe wie „Es" zu benützen. Es gibt weder ein Wort wie „Diesselbst", noch kann das Wort „dieses" unbegrenzt wiederholt werden, und es ist überhaupt nur ein Fingerzeig. Der Sinn muß eine kontinuierliche Subjekthaftigkeit wahren.

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Dies, was wir sind

8.

Da wir genötigt sind, eine dualistische Sprache zu benützen, um uns zu verständigen, wären wir gut beraten, wenn wir die Wörter in einer Weise gebrauch­ten, die nachprüfbar ist, das heißt, in einer Art, die etymologisch korrekt ist.

Das englische Wort „per-ceive" (wahrnehmen) be­deutet, „vollständig ergreifen", aber metaphysisch gibt es niemanden, der etwas ergreifen könnte, und nichts, das ergriffen werden könnte. Die Perzeption ist die erste Stufe des Verbegrifflichungsprozesses, und die beiden Elemente - Perzeption und Konzeption - bilden ein Ganzes, und dieses eine Ganze ist der Mechanis­mus, durch den wir das Samsara erschaffen.

Was von uns gefordert wird, ist das Gegenteil: alles abzulegen, nichts zu sein und zu erkennen, daß wir nichts sind, und damit auch den ganzen Verbegriffli- chungsprozeß fallen zu lassen. Wenn wir dies tun, hören wir auf, das zu sein, was wir niemals waren, nicht sind und niemals sein können. Dies ist zweifellos Nirvana. Da nichts gedanklich vorgestellt wird, wird nichts wahrgenommen und nichts via des somato- psychischen Apparates projiziert, der selbst eine ge­danklich vorgestellte Wahrnehmung ist.

In diesem Augenblick existiert das phänomenale Universum nicht länger, soweit es uns angeht. Wir „sitzen" im Bodhi-Mandala, in einem Zustand vollkom­mener Verfügbarkeit. Damit sollten wir automatisch wieder völlig das werden, was wir immer waren, sind

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und für immer sein müssen. Und das kann - weil es Dieses ist - niemals gedacht oder ausgesprochen wer­den, denn dieses, das rein nicht-objekthaft ist, liegt in einer ganz anderen Richtung als jede begriffliche Di­mension, da es die Quelle aller Dimensionalität und aller Phänomenalität ist.

Dieses ist die Sonne selbst, die durch den Dualismus von Positiv und Negativ hindurchscheint, deren Strahlen (die Es selbst sind) sich aufzuspalten scheinen in das Negative (Nirvana) und in das Positive (Samsara), aus dem alle Phänomene aufsteigen, das ganze wahr- nehmbar-vorstellbare Universum, einschließlich dem, was wir als uns selbst erkannt haben.

„Ich bin, der ich bin", sagt Jahwe - was zweifellos bedeutet: „Ich bin dieses, was ich bin." Wir sind auch „dieses, was wir sind", denn Dieses ist alles, was jemals war, ist oder jemals sein kann.

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Page 27: Wei Wu Wei - Die Einfache Erkenntnis

Potentielle Realität

9.

Der Extrovertierte nimmt an, daß die Dinge als Objek­te existieren und daß sie als Subjekte nicht existieren. Das ist auch der akzeptierte Sinn dieser Begriffe und, ich glaube, die theoretische und experimentelle Basis der Wissenschaft.

Es erfordert Jahre intuitiven Forschens, um zu ver­stehen, daß das Gegenteil wahr ist, daß kein Ding als Objekt, sondern nur als Vorstellung existiert, und daß jedes Ding als Subjekt potentielle Existenz besitzt, das heißt, ständig als Möglichkeit existiert.

Wenn die Meister unermüdlich wiederholen, daß jedes einzelne Ding „weder existiert noch nicht exi­stiert", meinen sie genau das: Seine einzige Existenz ist eine Existenz als Potential, was die Integration von Objekt und Subjekt, des Negativen und des Positiven ist, wodurch jeder vom anderen abhängige Gegenbe­griff aufgehoben worden ist.

Der Begriff „Realisation" - „eine Sache wirklich ma­chen" - ist logischerweise nur auf den illusionären Prozeß anwendbar, der annimmt, daß vorgestellte Dinge existieren: denn sie haben keine andere Wirk­lichkeit.

Das, was sie letzlich sind, und alles, was sie jemals sein könnten, ist weder Realität noch Relative Realität (auch nicht mit einem großen „R"), sondern Potential.

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Page 28: Wei Wu Wei - Die Einfache Erkenntnis

10.Potentielle Fülle

Die ständig wiederholte Formel der Meister, in gewis­sem Sinn ihre wesentliche „Lehre", nämlich von jedem Dharma zu erklären, daß es „weder ist noch nicht ist", bedeutet genau (und faktisch), daß es „weder positiv noch negativ ist". Daher ist es müßig zu tun, was wir wahrscheinlich alle tun, nämlich sofort das zu suchen, was es („wirklich", wie wir sagen) ist - weil wir uns vor dem Kern des Problems drücken, daß es, wie uns gera­de gesagt wurde, nicht ist.

Das, was weder positiv noch negativ ist, ist das Er­gebnis des gegenseitigen Auslöschens, der wechselsei­tigen Verneinung (Shen Hui's doppelte Verneinung), durch die jedes Charakteristikum durch sein Gegen­stück aufgehoben wird (wie Licht durch Schatten und Schatten durch Licht bei positiven und negativen Filmen). Es bleibt eine phänomenale Leere zurück, in der es keine Phänomene, welcher Art auch immer, gibt, das heißt eine vollkommene, objekthafte Leere, die unglücklicher- und auch absurderweise „Die Lee­re" genannt wird.

Shen Hui hat festgestellt, daß für den Erwachten Leere nicht länger als solche besteht, was besagt, daß Leere nicht länger als ein Objekt erscheint. Aber das, was, als Objekt gesehen, leer ist, kann niemals etwas anderes sein, kann zum Beispiel niemals „voll", eine „Fülle" sein, für die es gehalten worden ist (aber nie­mals, wie ich glaube, von einem Meister): das, dessen Identität das Leersein von Objekten ist, kann niemals

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Page 29: Wei Wu Wei - Die Einfache Erkenntnis

nicht leer von Objekten sein, ohne aufzuhören zu sein, was es ist. Solange es selbst ein Objekt ist, muß es leer von Objekten bleiben, aber wenn es aufhört, selbst ein Objekt zu sein - wenn es überhaupt aufhört, selbst zu sein -, kehrt es dadurch zum Subjekt zurück, als wel­ches es reines Potential ist und als solches eine poten­tielle Fülle.

Das ist zweifellos der Sinn von Shen Hui's Feststel­lung, die einige Verwirrung in den Köpfen der Su­chenden verursacht hat.6

6 Anmerkung: Können wir nicht von hier aus verallgemeinern und erklären, daß das Gleiche für alle Objekte gilt? Ist es nicht evident, daß jedes Objekt, wenn es aufhört, es selbst zu sein, das heißt objekthaft zu sein, dadurch leer wird, zum Subjekt zurück­kehrt und wieder Potentialität wird - die alles ist, was irgendetwas ist? Wir wollen aber dabei immer im Geist festhalten, daß „Potentialität" nur ein Hinweis ist, nicht irgendein „Ding", denn phänomenal muß es immer totale Abwesenheit sein, die nicht- objekthaft totale Anwesenheit sein muß, genauso wie das, was objekthaft leer ist, subjekthaft Fülle ist.

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11.Potentielles Sein

Das Objekt zum Subjekt zurückführen - in manchen Übersetzungen der Chan-Meister „Rückführen der Funktion zum Grundprinzip" genannt - sollte das Rückführen des „Es" (was immer es sein mag) zur Potentialität sein. Andererseits kann gesagt werden, daß die Projektion der Phänomene - das sinnenhaft wahrgenommene Universum oder die Objektivierung- durch den dualistischen Mechanismus der Zeithaf- tigkeit geschieht, das heißt, durch eine Aufsplitterung der Potentialität, die eine Einheit ist, in Subjekt und Objekt, was dann zu einem Pseudosubjekt, das etwas als negativ und positiv „wahrnimmt", und zu dessen intellektueller Interpretation als projiziertem Bild führt, das als real existierend akzeptiert wird.

So wird „Wahrnehmen" selbst als dualer Prozeß in der Zeit gesehen, als ein form-freies Gegebensein und ein Erfassen als Form, das dann objekthaft interpretiert wird. Das form-freie Gegebensein, manchmal „reine Wahrnehmung" genannt, kann vielleicht als Bodhi betrachtet werden, während das Erfassen, die normale Wahrnehmung und ihre intellektuelle Interpretation, somato-psychisch und illusionär sind.

Die „Identität" von Form und Leere in den Sutras ist ein Ausdruck dieses dualen Aspekts der „Wahrnehmung" - „Nicht-Form" wird durch den Me­chanismus der Skandhas in „Form" gebracht und durch den sechsten Sinn, das Denken, interpretiert.

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Aber das objekthaft zu verstehen, hat wenig prakti­sche Bedeutung. Es muß uns geschehen. Es geschieht „uns" unaufhörlich. Es ist das, wodurch „wir" gelebt werden. Wenn wir, anstatt es „uns" „leben" zu lassen, es leben, dann entdecken wir, daß wir es sind und daß es alles ist, was wir sind.

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12.SCHLUßFOLGERUNG

Vielleicht haben wir es zu oft gesagt, daß Objekte nicht existieren, vielleicht haben wir es so oft wiederholt, daß es kein Ich gibt, daß es zu einer leeren Formel geworden ist; und vielleicht ist es auch nicht die ganze Wahrheit? Tatsächlich kann nichts, was der gespaltene Geist ausdrückt, jemals etwas Ganzes sein.

Wissen wir schließlich nicht, daß jedes Dharma (Ding, Objekt) weder existiert noch nicht existiert?

Haben wir nicht vielleicht auf halbem Weg haltge­macht und damit verfehlt, zum Herzen der Sache vorzudringen? Sind wir nur halb abgewendet von der falschen Blickrichtung geblieben? Wir mögen es ver­säumt haben, in die lebendige Wahrheit hineinzuse­hen.

Wenn ein Mönch zu einem Tang-Meister gesagt hätte, was wir gesagt haben, mit der gleichen sicheren Selbstzufriedenheit, mit der wir es gesagt haben, hätte er nicht dreißig Schläge mit dem Stock erhalten statt der Zustimmung, die er selbstgefällig erwartet hatte? Was hätte er dann gesagt, wenn er als Ergebnis der Stockschläge glücklich genug gewesen wäre, um die ganze Wahrheit in einem Aufblitzen reiner Einsicht zu erkennen?

Hätte er nicht gesagt, Objekte sind überhaupt keine Objekte, kein Objekt ist ein Objekt?

Der Satz „Ein Objekt ist kein Objekt" besagt nicht dasselbe wie der Satz „Kein Objekt existiert". Warum? Er mag bedeuten, daß ein Objekt etwas anderes ist.

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Nicht-Existenz ist eine Form der Existenz, Existenz und Nicht-Existenz sind ein Paar voneinander abhän­giger Gegensätze. Keiner davon kann allein existieren als „Hälfte eines Paares", wie Huang Po uns sagt. Sie müssen ihre Auflösung in ihrer gegenseitigen Vernei­nung finden.

Ich möchte ein Beispiel geben, das klassische Bei­spiel. Wir haben gesagt, daß ein Ego nicht existiert, daß es überhaupt nicht ist, überhaupt nicht. Aber tatsäch­lich existiert es weder, noch existiert es nicht. Also? „Ein Ego ist überhaupt kein Ego" - das ist sicher die Ein­sicht in die Angelegenheit. Und was bedeutet das? Es bedeutet, daß „Ego" niemals ein Objekt ist. Es behaup­tet nicht, daß es nicht etwas anderes sein könnte. Aber was könnte es sein, was könnte irgendetwas sein, das nicht ein Objekt ist?

Alles, was wir sagen können, ist: Die genaueste uns mögliche Bezeichnung von etwas, das nicht ein Objekt ist - denn auch ein Subjekt wird für uns ein Objekt, wenn es als solches im Denken oder in Worten objek­tiviert wird besteht darin, uns darauf als ein Nicht- Objekt zu beziehen.

Da Objekte überhaupt keine Objekte sind, mögen sie vielleicht als Nicht-Objekte betrachtet werden, und „ein Ego" (oder „ein Ich") mag als Nicht-Ego (oder Nicht-Ich)) betrachtet werden. Aber was ist ein Nicht- Objekt oder Nicht-Ego (oder Nicht-Ich)?

EingrenzungWas ist es? Ist es nicht das Objekt, Ego, Ich, wenn das nicht ein Objekt, Ego, Ich ist? Schrecken uns die Mei­ster des Chan und des Vedanta, also aller Advaita-

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Lehren, nicht deshalb gelegentlich auf mit der Bemer­kung, daß alle Phänomene real sind, daß auch ge­dankliche Vorstellungen real sind? Schließlich ist nichts mehr oder weniger real als etwas anderes - denn auch die Realität (als Konzept, als Objekt) ist überhaupt nicht „real" (weil sie objekthaft ist) und kann es nur in ihrer Negation sein.

Alles, was uns nun zu fragen bleibt, ist, was sind alle Dinge, seien sie „materiell" oder „psychsisch", wenn sie nicht das sind, wenn sie „leer jeder Spur von Objekthaftigkeit sind" (Huang Po)? Da sie offensicht­lich objekthaft überhaupt kein Ding sind, können wir im Nacheinander der Zeit keinen Namen finden für das, was sie sind, denn welchen Namen wir auch im­mer finden würden, er machte sie zu dem, was sie nicht sind. Also kann eine Antwort als solche von un­serem dualistischen Standpunkt aus nur negativ sein.

Können wir nicht sagen, daß es irreführend ist zu denken, daß „alle Dinge nichts" sind, daß es aber eine Eröffnung ist wahrzunehmen, daß „jedes Ding Nicht- Ding ist", das heißt, kein Ding ist? Warum? Weil diese nicht-begriffliche Nicht-Objekthaftigkeit, die sie, alle Dinge, sind, Dies ist, nicht Das.

Wie offensichtlich die Antwort ist! Aber wie enttäu­schend, da wir sie nicht denken können, geschweige denn ihr einen Namen geben können, ohne sie da­durch in das Objekt zurückzuverwandeln, das sie nicht ist!

Aber ist das von Bedeutung? Genügt es nicht, es ein­zusehen? Zerstört diese Einsicht selbst nicht alle Not­wendigkeit und damit alle Möglichkeit, es zu verbe-

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grifflichen? Und das, weil gerade das Einsehen selbst die Antwort ist? Das Auge, das sich nicht selbst sehen kann, kennt weder Notwendigkeit noch Bedauern gegenüber dem Nicht-Auge, das es ist.7

7 Anmerkung: Laßt uns vorsichtig sein, keine Schlußfolgerungen zu ziehen, die die Voraussetzungen nicht rechtfertigen. Laßt uns erinnern, daß „das, was wahrgenommen wird, nicht wahrnehmen kann", wie Huang Po uns sagt. Das Wahrgenommene ist das „Objekt", das als solches nicht wahrnehmen kann; nur dies, was es ist - Nicht-Objekt -, kann das. Und das, weil Objekt Subjekt und Subjekt Objekt ist.Kurz: Das mit den Sinnen wahrgenommene Universum ist über­haupt nicht objekthaft.

Und dieses ist nicht dessen Seher, sondern das Daraufblicken. Begrifflich betrachtet sind Denken und Nicht-Denken, Geist und Nicht-Geist, Tun und Nicht-Tun, Ich und Nicht-Ich, Objekt und Nicht-Objekt alles Denkvorstellungen, die als solche nicht sind, und ihre sogenannte Soheit, Istheit, Quiddität ist die Anwesenheit ihrer phänomenalen und begrifflichen Abwesenheit.

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13.Den Suchenden suchen

Das, was du suchst und nicht finden kannst - ist der Sucher.

Der Grund, warum der „Dharmakaya" nicht gefun­den oder beschrieben werden kann, liegt letztlich darin, daß es der Sucher, der Beschreiber ist, der sucht- und das würde heißen: Das Subjekt macht ein Objekt aus sich selbst.

Jedesmal wenn du versuchst, Dies-Hier-Jetzt zu be­nennen, bist du ein Auge, das versucht, sich selbst zu sehen. Du kannst Dies-was-Du-bist nicht objektivie­ren; was du objektivieren kannst, ist Das-Was-Du- nicht-bist.

Dies, das sucht, ist das, was gesucht wird, unddas, was gesucht wird, ist dies, das sucht.

Der „Dharmakaya" ist einfach der Geist (der nicht ge­funden werden kann, weil er, gesucht, der Suchende ist); und „Shunyata" (Leere) ist das, was ein Auge nicht sieht, wenn es versucht, sich selbst zu sehen.

Aber es gibt keinen „Dharmakaya", keinen „Geist", kein „Shunyata" - es gibt kein Ding, das zu suchen wäre. Und es gibt kein „Ding", das ein anderes „Ding" suchen könnte.

Genausowenig gibt es irgendjemanden, der ihre vollständige Abwesenheit, die auch seine eigene ist, erleben könnte.

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Als Bodhidharma Hui Ke aufforderte, er solle ihm sei­nen Geist bringen, damit er ihn befrieden könne, Hui Ke ihn aber nicht zu finden vermochte, sagte Bodhi­dharma: „Da siehst du - ich habe ihn für dich befriedet." Was hatte da Hui Ke die Erleuchtung gebracht? Er hatte erkannt, daß das Gesuchte der Suchende war und der Suchende das Gesuchte.

Als Huang Po sagte: „Du kannst nicht den Geist da­für benutzen, um den Geist zu suchen, du kannst nicht den Buddha dafür benutzen, um den Buddha zu su­chen, oder den Dharma, um den Dharma zu suchen", wies er auf dieselbe wesentliche Wahrheit hin. Das Gesuchte kann nicht suchen, denn das Gesuchte kann nur der Suchende sein.

IST ES EINE GEDACHTE VORSTELLUNG?8 Wenn wir uns umschauen, ist es ganz offensichtlich, daß die Bedeutung von Huang Po's wiederholter Fest­stellung über den Gebrauch des Geistes nicht begriffen worden ist. Wir haben darauf hingewiesen, daß der Grund für die Feststellung „Du kannst deinen Geist nicht benutzen, um den Geist zu suchen", der ist, daß wir der Geist sind und daß es daher nichts zu suchen gibt. „Geist" ist hier die Bezeichnung, die die Tang- Meister bevorzugten, während sie gleichzeitig darauf hinwiesen, daß etwas Derartiges nicht wirklich exi­

8 Anmerkung des Herausgebers:Wei Wu Wei weist in der englischen Originalausgabe hier auf sein Buch „Why Lazarus Laughed" hin.Da dieses Werk derzeit vergriffen und daher nur schwer zugäng­lich ist, haben wir uns entschlossen, das entsprechende Kapitel (Nr. 93) einzufügen.

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stiert. Für uns ist der Ausdruck „Geist" verwirrend, und „Realität" wäre ein besseres Wort. „Wie kannst du den Geist benutzen, um den Geist zu erfassen (oder zu erreichen oder zu ergreifen)?", fragte Huang Po aber­mals. „Wie kann ein Auge sich selbst sehen?" haben wir gefragt. Und alle Meister haben uns belehrt, daß es nichts gibt, was auf irgendeine Weise zu erfassen wä­re. Huang Po fügt gewöhnlich als Erklärung hinzu: „Wie kannst du den Buddha benutzen, um den Buddha zu erfassen? Oder den Dharma, um den Dhar­ma zu erfassen, oder die Formlosigkeit, um die Form­losigkeit zu erfassen, oder die Leere, um die Leere zu erfassen, oder den Weg, um den Weg zu erfassen?" In seinem Wunsch, daß wir verstehen mögen, läßt er nichts unversucht. Ich habe versucht zu zeigen, daß - in unserer abendländischen Ausdrucksweise - das Ich- Subjekt der Buddha oder die Buddha-Natur ist. Es gibt nichts zu suchen oder zu erreichen oder zu ergreifen, weder unser eigenes gegenwärtiges Antlitz noch unser „ursprüngliches Antlitz" - denn wir haben bereits beide, genauso wie wir die „Erleuchtung" haben, aber ohne uns dessen bewußt zu sein.

Aber es gibt noch einen zweiten Sinn in Huang Po's Satz über den Geist, der es verdient, hervorgehoben zu werden. Wir können nicht unsere Psyche benutzen, um den Geist zu suchen, zu erreichen oder zu erfas­sen. Wir können keine wie immer geartete gedachte Vorstellung benutzen, um den Geist wahrzunehmen. Kein Objekt im Bewußtsein kann das. Man würde eine Rechenmaschine benötigen, um zusammenzuzählen, wie oft die Meister uns gesagt haben, daß der Verbe- grifflichungsprozeß uns im Weg steht und daß wir,

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solange wir ihn nicht umgehen, nicht hoffen können, weiterzukommen - nicht in Äonen, so zahlreich wie die überstrapazierten und abgenutzten Sandkörner im Ganges.

Wir können uns nicht entschließen, ihnen zu glau­ben? Wir wissen wirklich nicht, was sie meinen? Und wir haben keinen blassen Schimmer, wie es zu tun wäre? „Ich denke, daher bin ich" - wir sind ein Echo dieses Satzes von Descartes. Ja, tatsächlich, tatsächlich, leider, leider! Ich denke, daher denke ich, ich bin ein Ego! Ich denke, ich bin ein Ego, daher denke ich! Aber der Intellekt ist eine Maschine, und oft eine nützliche; die elektronische Spielart ist besser, aber unsere ent­spricht den realen Notwendigkeiten. Hat unsere In­tuition es nicht klar gemacht, daß unsere intellektuelle Maschine niemals den Geist enthüllen kann? In den Zwischenräumen zwischen unseren Gedanken können wir uns selbst als Geist erkennen. Durch das Unterdrük- ken unserer Gedanken? Niemals im Leben! Laß sie in Ruhe!

Und was die Manipulation der Psyche als Mittel zu diesem Ziel anlangt ... Schlingen, um Schnepfen zu fangen.

Laßt uns immer wieder fragen: „Ist es eine gedachte Vorstellung?" Wenn ja - haben wir unseren Weg ver­fehlt. (Ende der Einfügung)

Padmasambhava, der überragende Meister, sagte: „Es gibt keine zwei Dinge wie Gesuchtes und Suchender (ebensowenig wie Übung und Übender, Gedanke und Denker, Tat und Täter). Sobald du das vollständig verstanden hast, wird sich heraussteilen, daß das Ge­

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suchte (die Übung usw.) eins ist mit dem Suchenden (dem Übenden usw.). Wenn der Suchende selbst, so er gesucht wird, nicht gefunden werden kann, dann ist das Ziel der Suche (der Übung usw.) erreicht, und damit auch das Ende der Suche selbst. Denn es gibt nichts mehr zu suchen und auch keine Notwendigkeit, etwas zu suchen. Er fügt hinzu: „Insofern, als es seit Ewigkeit nichts zu üben gibt, besteht auch kein Grund, unter den Einfluß irriger Methoden zu geraten."

Hier ebenso wie in allen diesbezüglichen Äußerun­gen ist dieses Verständnis zugleich das Verständnis von allem, was zu verstehen ist, von allem, was ver­standen werden muß, vielleicht von allem, was ver­standen werden kann - denn was sonst wäre so grundlegend und absolut wahr? Dieses integrale Ver­stehen ist der erwachte Zustand selbst.

Die einzige Übung ist: einzusehen, was Gewahrsein ist, was zugleich das ist, was ein Auge nicht sehen kann, wenn es auf sich selbst blickt.

Praxis heißt: Verstehen vertiefen, denn Verstehen ist zuerst ein intuitives Aufblitzen dieser Wahrheit, dann das willentliche Erreichen dieses intuitiven Aufblitzens und schließlich die dauernde Gegenwart der gewonnen Einsicht, ob man „geht, steht, sitzt oder liegt", in der Öffentlichkeit wie im privaten Leben, schlafend oder wachend.

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14.Reine Funktion

Dieses, das sucht, ist das, was gesucht wird; das, was sucht, ist dieses, das sucht.

Es gibt keinen Suchenden und kein Ding, das ge­sucht wird.

Die Funktion des „Suchens" im ganzheitlichen Geist wird durch den gespaltenen Geist als Suchender und Gesuchtes verbegrifflicht.

Dieses, das objektiviert, ist das, was objektiviert wird; das, was objektiviert wird, ist dieses, das objekti­viert.

Es gibt keinen, der objektiviert, es gibt kein Ding, das objektiviert wird.

Die objektive Funktion des ganzheitlichen Geistes wird durch den gespaltenen Geist als Subjekt und Objekt verbegrifflicht.

Dieses, das handelt, ist das, was getan wird; das, was getan wird, ist dieses, das handelt.

Es gibt keinen, der handelt, und keine Sache, die getan wird.

Die Funktion des ganzheitlichen Geistes wird durch den gespaltenen Geist als Täter und Tat verbe­grifflicht.

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Dieses, das denkt, ist das, was gedacht wird; das, was gedacht wird, ist dieses, das denkt.

Es gibt keinen, der denkt, und es gibt keinen Ge­genstand des Denkens.

Die Funktion des „Denkens" durch den ganzheitli­chen Geist wird durch den gespaltenen Geist als Den­ker und Gedanke verbegrifflicht.

Dieses, das übt, ist das, was geübt wird; das, was ge­übt wird, ist dieses, das übt.

Es gibt keinen Übenden und nichts, was geübt wird.

Die Funktion des „Übens" durch den ganzheitli­chen Geist wird durch den gespaltenen Geist als Übender und Übung verbegrifflicht.9

9 Anmerkung: Die einzig mögliche Rechtfertigung für den Begriff „das Mittel", der in jeder anderen Verbindung metaphysisch Nonsens ist, ist in diesem Zusammenhang: „suchend", „objektivierend", handelnd, denkend, übend, das heißt reine Funktion. Es repräsentiert das „Mittel" zwischen „Suchendem und Gesuchtem", „Übendem und Geübten" und so weiter und deutet dadurch die reine Funktion an.„Reine" Funktion bedeutet Funktion, die „chemisch" unbefleckt durch irgendeine Art von „Objekt", welcher Art auch immer, ist, das heißt spontanes und unbedingtes Funktionieren des Grund­prinzips oder einfach Unmittelbarkeit.

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Zuallerletzt

Von Uranfang an existiert kein Ding.

Hui Neng

Dies, was ich bin, ist das (was ich nicht bin),Das, was ich nicht bin, ist dies (was ich bin).Es gibt weder dies noch das.Weder bin ich, noch bin ich nicht (es gibt weder ein

Ich, das ist, noch ein Ich, das nicht ist).Es gibt weder den Ganzen Geist noch den Gespal­

tenen Geist.Es gibt nichts, das funktionieren könnte, und kein

Funktionieren.Es gibt keine Abwesenheit und keine Anwesenheit.Somit bliebe spontane Unmittelbarkeit?Auch von ihr gilt, daß sie weder ist noch nicht ist.Verstehst du jetzt, daß es nichts gibt, das verstan­

den werden müßte?Wer hat verstanden? Was wurde nicht verstanden?Wer ist all die Jahre gelebt worden? Was hat gelit­

ten?

Requiescat in pace; de mortuis...

15.

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„Noch einmal stürmt, NOCH EINMAL, LIEBE FREUNDE..."

Shakespeare

Es gibt kein objekthaftes Ich oder Selbst. Nichts Derar­tiges könnte es als ein Objekt geben. Sogar die Worte selbst lassen das nicht zu.

Meinte der Buddha etwas anderes als das, wenn er auf der Nicht-Existenz eines „Selbst", welcher Art auch immer, beharrte?

Ich bin - aber nicht, niemals, unmöglich als ein Ob­jekt.

Unser Zustand scheinbaren Gebundenseins rührt von der Identifikation mit einer eingebildeten Objek- tivisation des „Ich" her. Ich wurde mit meinen Selbsten identifiziert, und meine Selbste sind alle Lebewesen. Wann immer wir wie von dem Objekt aus, mit dem wir irrigerweise identifiziert sind, denken oder spre­chen, machen wir dadurch ein Objekt aus dem Subjekt.

Darum kann Ent-Identifikation oder Erwachen aus dem objekthaften Lebenstraum nicht als Ergebnis von Denken oder Sprechen stattfinden.

Was sonst bin ich, da ich niemals ein Objekt sein kann? Dies könnte klarerweise niemals gedacht wer­den, geschweige denn benannt werden, ohne mich dadurch zu dem zu machen, das ich nicht bin.

Vielleicht könnte man sagen: „Ich bin, aber es gibt kein 'mich', oder 'Du bist reines Ich: es gibt kein 'dich'." Denn tatsächlich: Es gibt kein „Ich" - aber ich bin.

16.

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Verbringen nicht beinahe alle von uns die Zeit mit der Suche nach uns selbst als einem Objekt, das ein anderes ist als wir selbst - das wir als Realität, als „das" Absolute, Gott, Dao, Reiner Geist bezeichnen? Ist das nicht die Quintessenz des Nonsens? Die Idee „eines Ich" oder „eines Selbst" ist absurd, handgreiflich ab­surd, auch sprachlich. Es ist kein „Ich". Aber ich bin.

Wenn das klar ist, dann müssen wir fähig sein zu sehen, daß das, was wir suchen, nicht das ist, sondern dies, und dies ist „ich bin". Es gibt kein Das und kein Dies, kein Selbst und kein Anderes, keinen Menschen und keinen Gott, keinen Buddha, kein Dao, kein Abso­lutes, keine Realität und keine Nicht-Realität, kein „Du", kein „Ich". Ich bin kein Objekt, du bist reines Ich. Und ich bin völlige Abwesenheit.

Wir haben den Kreis geschlossen: Das Gesuchte ist der Suchende - und es gibt keinen. Alles andere heißt Gebundensein.

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17.Genesis

Ich bewege mich.Raum entsteht (als Ergebnis meiner Bewegung).Zeit beginnt (als Maß meiner Bewegung im Raum).Ich habe Objekte (weil ich das Subjekt von Raum und

Zeit geworden bin).Der Dualismus entsteht.Das Universum erscheint.Ich identifiziere mich mit meinen Objekten (und es

kommt zum Entstehen illusionärer Egos).Ich leide illusionärerweise (und das Leiden wird uni­

versal).

Metanoesis

Ich halte still.Der Raum schwindet (denn ich habe aufgehört, mich

zu bewegen).Die Zeit endet (denn es gibt keine Bewegung mehr zu

messen).Es gibt keine Objekte (denn ich bin nicht länger ein

Subjekt).Den Dualismus gibt es nicht mehr.Das Universum verschwindet.Es gibt keine illusionären Egos mehr.Es gibt kein Leiden.Ich bin, aber es gibt „mich" nicht.

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18.?

Was bin ich?Soweit ich es verstehen kann, bin ich die Abwesenheit meiner Anwesenheit und die Abwesenheit der Anwe­senheit meiner Abwesenheit.

Was ist damit gemeint?Daß ich meine phänomenale Abwesenheit bin und auch die Abwesenheit dieser noch phänomenalen Abwesenheit selbst.

Die sich ergebende Abwesenheit ist phänomenal vollkommen, aber sie ist noumenal nicht nil - oder was manchmal reiner Nihilismus genannt wird.

Sie ist eine Abwesenheit aller möglichen phänome­nalen Anwesenheit, die selbst - noumenal - ist, was immer ich bin.

Sie ist keinesfalls ein Ding, weshalb sie weder be­nannt noch beschrieben werden kann, was bedeutet, daß sie nicht das „sie" ist, womit ich mich gerade auf sie bezogen habe.

Aber die Feststellung „ihrer" vollkommenen phä­nomenalen Nicht-Existenz als ein Objekt der Sinne oder des Denkens, als ein Ding für sich, bedeutet in keiner Weise ihre Nichtheit (Nullität) im Zeitlosen.

Im Gegenteil: Eben die Nichtexistenz ihrer selbst in der Zeit als ein Objekt des Bewußtseins verlangt und bezeugt Istheit im Zeitlosen.

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19.Aeternitas

I. Das nicht-begriffliche Universum

Das phänomenale Universum ist im wesentlichen zeitlich bedingt - Zeit als Maß der Bewegung im Raum. Mit „wesentlich" meine ich, daß seine Phänomenalität gänzlich von seiner Raum-Zeit-Bedingtheit herrührt, das heißt von der Tatsache, daß es sich in den Raum erstreckt und in einem zeitlichen Nacheinander fort­besteht. Als solches, und als ein Objekt des Subjekts wahrgenommen, ist es, was die Wissenschaft, trotz seiner Unbeständigkeit und Phänomenalität, als real erkennt. Realität ist „Dinghaftigkeit", Realwerdung heißt, „etwas als ein Ding erkennen" oder vergegen­ständlichen, und es gibt keine Realität oder Realwer­dung, die anderes als phänomenal wäre. Das gleiche gilt für die Zeithaftigkeit.

Die Zeitlosigkeit ist nicht grundlegend verschieden davon; sie ist nichts anderes. Sie ist das gleiche zeit­verbundene Universum ohne Räumlichkeit und zeitli­che Abfolge, und als solche kann sie nicht so wahrge­nommen werden, als ob sie Form oder Eigenschaften hätte; sie erscheint notwendigerweise als „Leere". In der Zeitlosigkeit kann das zeitlose Universum über­haupt nicht wahrgenommen werden, es sei denn als Gewahrsein, weil es nicht länger ein Ding, ein Objekt ist. Daher ist es auch nicht länger „real".

Der Begriff „real" wurde hier korrekt gebraucht, denn Realität und Nicht-Realität sind gedankliche

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Vorstellungen, so phänomenal und objekthaft wie das wahrnehmbare Universum selbst. Sie können korrek­terweise nicht auf das Noumenale und Nichtobjekt­hafte angewendet werden, das weder real noch nicht­real ist und nicht als irgendein „Ding" wahrgenom­men werden kann oder als Besitzer irgendeiner Eigen­schaft, die als solche notwendigerweise objekthaft wäre.

Daraus folgt, daß, ungleich dem zeitlichen Univer­sum, das zeitlose Universum nicht als ein Objekt des Subjektes wahrgenommen werden kann. Der Grund hierfür sollte klar sein: Es ist nicht das Objekt irgend­eines Subjektes. Es ist Subjekt, und ein Auge kann nicht sich selbst sehen. Und ein Subjekt ist nicht an sich, denn als solches würde auch das Subjekt ein Objekt, eine Denkvorstellung. Wenn man sich darauf beziehen muß, ist es am angemessensten, es als Ewig­keit zu bezeichnen.

Jedes Lebewesen kann sagen: „Dies-was-ich-bin ist keine Denkvorstellung", denn ein Bodhisattva oder ein Käfer haben kein Selbst - aber es gibt kein Ding im zeitlichen Universum, das nicht sein Selbst in der Zeitlosigkeit wäre. Zeitlosigkeit bzw. das zeitlose Uni­versum ist die Potentialität, und das zeitliche Univer­sum ist deren Aktualisierung; sie ist das Nicht- Manifeste, und das Zeitliche ist dessen Manifestation; sie ist die Subjektivität, und das Zeitliche ist seine Objektivierung.

Aber sie sind keine zwei verschiedene. Es gibt nur ein Universum - nämlich „Dies-was-wir-sind".

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II.

Diese Aeternitas oder Zeitlosigkeit, die all das ist, was der Bodhisattva ist, die all das ist, was der Käfer ist, alles, was jedes Lebewesen ist - sowohl phänomenal als auch noumenal - , hat keine wie immer geartete objekthafte Existenz. Darum heißt es, daß sie „weder existiert noch nicht existiert" - was bedeutet, daß sie als ein Objekt rein denkbegrifflich ist.

Darum hat weder der Bodhisattva noch der Käfer ein Selbst.

Der zweite Patriarch, Hui Ke, den Bodhidharma auf­gefordert hatte, ihm seinen Geist zu bringen, damit er ihn befrieden könne, erwiderte, daß er die ganze Nacht danach gesucht hätte, ohne ihn zu finden. Der Bodhisattva und der Käfer mögen dasselbe tun, sie mögen nach ihrem Selbst suchen - nicht nur eine Nacht, sondern jahrelang - und sie werden niemals die geringste Spur eines Selbst finden. Der Grund hierfür ist derselbe wie beim Versagen von Hui Ke, und das Ergebnis wird das gleiche sein: das Erwachen zur Wahrheit. Allerdings vorausgesetzt, daß der Bodhisatt­va oder der Käfer versteht, was Hui Ke verstanden hat, nämlich: daß das denkbegriffliche Objekt, nach dem er gesucht hat, seit Ewigkeit der Suchende dieses Objekts ist.

Aber so, wie er das gesuchte Objekt nicht finden konnte, so war er auch unfähig, den Sucher dieses Objekts zu finden, denn beim Suchen nach dem Su­chenden machte er ein Objekt aus ihm, und wiederum

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war das, was er suchte, der Suchende - denn der Su­chende war das Gesuchte.

In diesem Sinn gibt es kein Selbst, ja, kann es nie­mals ein Selbst geben, denn „Ich" könnte niemals ein Objekt oder ein Denkbegriff sein, was es automatisch dazu machen würde. Der Bodhisattva wie der Käfer sind, aber nicht als Bodhisattva oder Käfer: Alle Lebe­wesen sind, aber nicht als Lebewesen.

Was sind wir dann? Wir sind keine Dinge: Wir sind, aber es gibt kein „uns". In der Zeitlosigkeit sind wir nicht-manifest, der Ursprung der Phänomenalität: In der Zeit scheinen alle Phänomene zu existieren, auch unser Selbst.

III. Beschreibung der Nicht-Zeit

In der Zeitlosigkeit gibt es keine Gegenwart, denn die Zukunft wird zur Vergangenheit, bevor der zeitliche Prozeß der Wahrnehmung und Interpretation vollen­det werden kann. Die „Gegenwart" ist eine theoreti­sche Demarkationslinie gleich dem Äquator.

In der Zeitlosigkeit gibt es keine Vergangenheit, wie Huang Po feststellte, einfach weil es kein objekthaftes Geschehen gibt, das vergehen, und kein Wo, wohin irgendein Geschehen als solches gehen könnte.

In der Zeitlosigkeit gibt es keine Zukunft, wie Huang Po ebenfalls feststellte, einfach weil es kein objekthaftes Geschehen gibt, das zukünftig werden, und kein Wo, woher irgendein Geschehen als solches herkommen könnte.

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Ist das eigentlich so schwer zu verstehen? Scheint es nicht eher ein wenig seltsam - oder „verwunder­lich", wie Padmasambhava gesagt hätte - daß ein Begriff wie der der zeitlichen Abfolge, der sich aus einer rein theoretischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammensetzt, jemals ein allge- meingültiger Glaube hat werden können?

IV. Beschreibung des Nicht-Raums

In der Formlosigkeit10 kann es keinen Raum geben, weil es keine objektive Entität als solche gibt, die sich darin erstrecken könnte, und begrifflich Wahrgenom­menes kann sich nur begrifflich erstrecken.

In der Formlosigkeit gibt es keine Bewegung, weil es kein objekthaftes Ding als solches gibt, das sich bewegen könnte, und daher ist keine Zeit erforderlich, um eine Bewegungen zu messen; Bewegung und Zeit sind rein denkbegrifflich.

In der Formlosigkeit gibt es keine Gestalt oder Far­be, keine Größe, Dimension oder Trennung, weil diese alle denkbegriffliche Interpretationen von Wahrneh­mungen sind und Wahrnehmungen keine objekthafte Gültigkeit haben; ihre Gültigkeit ist gänzlich nicht- objekthaft und daher als solche formlos.

10 Anm. des Lektors: Im Englischen sagt der Autor „in-formally", das auch ein Wortspiel mit der Information ist, denn Information besitzt keine Form, d. h. sie ist kein Objekt.

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V. Dem Buddha glauben

Es gibt keine Existenz, kein Sein, das anders als denk­begrifflich wäre. Es gibt keine Existenz, kein Sein, das nicht phänomenal wäre.

Es gibt keine Zustände wie Existenz und Sein. Sie sind wahrnehmbar als phänomenale Erfahrungen - die denkbegriffliche Vorstellungen in der Zeitlichkeit sind.

Alle Dinge scheinen denkbegrifflich als Objekte im zeitlichen Universum zu sein; keine Dinge scheinen im zeitlosen Universum zu sein, worin sie als Dinge überhaupt nicht sind.

Alle Dinge sind nur potentiell im zeitlosen Univer­sum, denn darin gibt es nur die reine, un-be-dingte Subjektivität. Und die ist als solche nicht wahrnehm­bar. Sie kann überhaupt nicht erlebt werden, denn auch reines, unbedingtes Selbstgewahrsein ist nicht des Gewahrseins gewahr.

Ob du dem Buddha glaubst oder ob du es für dich selbst erkennst - in jedem Fall muß es notwendiger­weise so sein.

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Alles andere heisst Gebundensein

20.

Wenn das Subjekt rot wäre, könnte es kein Rot geben; wenn das Subjekt blau wäre, könnte es kein Blau ge­ben.

Wenn das Subjekt ein Topf oder ein Berg wäre oder irgendeine Form oder Gestalt hätte, durch Ton, Ge­schmack oder Geruch gekennzeichnet wäre, könnten wir diese nicht kennen.

Wenn das Subjekt irgendein Objekt wäre, ein ma­terielles oder begriffliches, könnte es kein Objekt, sei es materiell oder begrifflich, geben.

Warum? Weil das Subjekt als Objekt nicht dessen Subjekt oder das Subjekt irgendeines Objektes sein könnte.

Subjekt muß durchscheinend sein, damit Undurch­sichtigkeit zu erscheinen vermag, Subjekt darf kein Ding sein, damit irgendein Ding zu existieren schei­nen kann, Subjekt muß Noumenon (d.h. bewußte Wahrnehmung) sein, damit die Phänomene wahrge­nommen werden können.

Subjekt muß Abwesenheit sein, damit es phänome­nale Anwesenheit geben kann.

Subjekt ist der Sinn all der großen Worte, die das Urletzte zu bezeichnen suchen: das Absolute, Dao, Realität, der Eine Geist, Geistessenz, Reines Bewußt­sein, Dharmakaya, Atma, Brahma, das Eine usw. usw. und der anderen großen Worte, die auf Aspekte und Funktion des Subjekts hinweisen: Sat, Chit, Ananda, Prajna, Karuna, Bodhi usw. Sie alle weisen nur auf das

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Subjekt hin: das Subjekt, das niemals ein Objekt sein kann.

Aber weil kein Objekt als ein Ding an sich existiert, scheint es nur als ein Objekt des Subjekts zu existieren.

Als solches kann es nicht Ding sein: Es ist nichts als das Subjekt, und phänomenal ist das Subjekt nichts als seine Objekte.

Daher sind sie eins - aber es gibt kein „Eines".Vielleicht ist das alles, was es zu verstehen gilt?

Subjekt muß immer die Abwesenheit phänomenaler Anwesenheit sein: Objekt (Anwesenheit) muß immer die Anwesenheit der noumenalen Abwesenheit sein. Zeitlosigkeit muß immer die Abwesenheit der phäno­menalen Zeit sein: Zeitlichkeit muß immer die Anwe­senheit der phänomenalen Abwesenheit der Nicht- Zeit sein.

Aber laßt uns nicht vergessen, laßt uns zutiefst be­greifen, daß kein Wort von dem wahr ist, es sei denn, wir sind tief durchdrungen von dem Verständnis, daß es kein Subjekt und kein Objekt, keine Zeit und keine Nicht-Zeit, keine Anwesenheit und keine Abwesenheit von etwas gibt.

Die Wahrheit ist, wie Shen Hui uns sagte, die nou- menale Abwesenheit dieser phänomenalen Abwesen­heiten sowie dieser Anwesenheiten, ihre totale be­griffliche Abwesenheit, und vor allem die äußerste Abwesenheit einer Sache wie Wahrheit selbst sowie deren Abwesenheit.

Denn integrale phänomenale und noumenale Ab­wesenheit ist das blendende Strahlen des gewaltigen weißen Lichtes, das Sat-Chit-Ananda genannt worden

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ist und das überhaupt nicht ist - außer als Dies-was- wir-sind.

II.Solange wir mit einem Objekt identifiziert sind, heißt das Gebundensein.

Solange wir mittels eines Objekts oder als ein Ob­jekt denken, handeln und leben, heißt das Gebunden­sein.

Solange wir uns selbst fühlen, als wären wir ein Objekt, oder glauben, wir wären ein solches (und ein „Selbst" ist ein Objekt), heißt das Gebundensein.

Das ist es, was die Meister die „Gast"-Position, die „Minister"-Position, die „Funktionärs-" Position nann­ten.

Sobald wir wissen, daß wir einzig Subjekt sind, so­bald wir nur als Subjekt leben und handeln, ist es das, was die Meister die „Gastgeber"-Position, die „Fürst"- Position, „Grundprinzip" oder „Potentialität" nannten.

Alles andere heißt Gebundensein.

Alles andere muß notwendigerweise Gebundenheit sein, denn Gebundenheit ist nur das eine - und das ist die illusionäre Identifikation des Subjekts mit seinem Objekt.

Auf oder mittels der phänomenalen Vorstellung zu wirken, die wir als unser ,/Ich" kennen, heißt, auf oder mittels der falschen Identifikation zu wirken, der wir zu entrinnen suchen. Das ist doch der Weg hinein, -nicht der Weg heraus?

Das ist nicht der Weg der Meister; ihre Regel, wie sie Hui Neng niedergelegt hat, war: niemals von der

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„Gast"-, „Minister"- oder „Funktionärs"-Position, der Position des identifizierten phänomenalen Objekts aus zu sprechen.

Ihre Lehre war keine Vermittlung begrifflicher Er­kenntnisse, sondern ein Prozeß der Überredung und lenkenden Taktik, durch den der Schüler dazu ge­bracht wurde, den Weg aus seiner Identifikation her­aus wahrzunehmen, indem er unmittelbar reagiert und so spontan des Meisters eigene Position, nämlich die des „Gastgebers", des „Fürsten"oder des „Grund­prinzips" einnimmt.

Dann gab er dem Meister einen leichten Schlag, ge­nauso wie der Meister ihn geschlagen hatte, oder warf den Meister mit seinem Sessel um - und der Meister lachte voll Freude, denn er wußte, daß sein Schüler jetzt „dessen gewahr geworden war, was sie beide von Ewigkeit her waren".

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21.Ego

Das lateinische Wort ego, allgemein mit „Ich" übersetzt, bedeutet im metaphysischen Zusammenhang Subjekt, absolutes Subjekt, Subjekt jedes manifestierten Ob­jekts, sei es nun geistig oder physisch.

Dieses absolute Subjekt hat keine Eigenschaften, Qualitäten oder Charakteristika außer der: keine Ei­genschaften, Qualitäten oder Charakteristika zu ha­ben, das heißt: niemals irgendeine Art von Objekt zu sein, denn darin liegt seine reine Subjekthaftigkeit.

Jede Manifestation ist das Objekt des Subjekts, da­her ist jede Manifestation, alles, was Objekt geworden ist, nichts als Subjekt, denn es gibt nichts anderes, was irgendein Ding sein könnte. Subjekt ist also Potential all dessen, was zu sein scheint. Aber es gibt kein phä­nomenales Ding wie „Subjekt", denn wenn es das gäbe, würde Subjekt dadurch ein Objekt sein, die objekthafte Form des es wahrnehmenden Subjekts, und solch ein Subjekt des Subjekts würde dann selbst Subjekt sein, das sich „selbst" nicht wahrnehmen kann. Daher kann Subjekt niemals so benannt werden, es kann überhaupt niemals benannt oder gedacht werden. Genausowenig kann es jemals unter irgend­welchen Umständen betrachtet werden, denn es kann nicht sehen, was es nicht ist.

Wenn wir es für notwendig erachten, es zu denken oder von ihm zu sprechen, ist das Beste, was wir tun können, irgendeinen Begriff wie etwa „Potential" zu gebrauchen, der als ein Symbol dienen kann, um das

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zu bezeichnen, worauf wir hinweisen wollen. Aber laßt uns daran erinnern: Das, worauf wir damit hin- weisen wollen, kann nur dieses sein, was darauf hin- weisen will; und dies alles - sei es „ich" oder „wir" - kann niemals als Ding erkannt werden, als ein Objekt des Denkens. Denn dieses hat keine wie immer gearte­te objekthafte Existenz.

Jede Manifestation ist nichts als dieses, das jetzt und hier ist und das Bewegung, Raum und Zeit transzen­diert. Das sind Begriffe, die in lebenden Objekten aufsteigen, wodurch sie die Erscheinung des sinnen­haft wahrgenommenen Universums produzieren. Im Verlauf dieses Prozesses der Manifestation wird das absolute subjekthafte Potential mit jedem Lebewesen identifiziert, das manifest wurde, und diese Lebewe­sen betrachten sich dann selbst als unabhängige Sub­jekte, die die Freiheit der Wahl und des Tuns besitzen. Das, was da vorgibt, als ein separates individuelles Seiendes zu wählen und zu handeln, ist Subjekt in der Identifikation mit seinem Objekt, begrenzt durch Ob- jekthaftigkeit, und wird als ein „Ego" bezeichnet. Das ist der Dualismus von Pseudo-Subjekt und Objekt und ist die Ursache aller Leiden, die existieren oder jemals in dem erscheinenden Universum existiert haben.

Darum gibt es kein solches Ding wie ein „Ego", denn es ist nur das illusionäre Ergebnis der Identifika­tion des Subjekts, welche das Empfindungsvermögen der Lebewesen ist, mit dem scheinbaren Objekt, das empfindungsfähig ist. Als Empfindungsfähigkeit ist das scheinbare Sein reine subjektive Potentialität und nichts anderes. Als ein Objekt, das selbstidentifiziert mit seinem Subjekt ist, stellt es eine ego-besessene

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Monstrosität dar, gebunden durch Konzepte wie „Gut" und „Böse" und das mittels des Vergleichs ge­gensätzlicher Ideen denkt. Diese illusionäre Erschei­nung des Seins ist die Ursache aller bekannten Formen des Leidens, die aus der versuchten Nutzbarmachung- in ihrer individuellen und kollektiven Verkörperung- ihrer Mitwesen und aller Aspekte ihres sinnlich wahrgenommenen Universums resultieren, an wel­ches ihr angeblich unabhängiges Sein gebunden ist.

Jedesmal wenn ein so identifiziertes Objekt denkt oder handelt, objektiviert es seine eigene Subjekthaftigkeit und bringt in sich den als Karma bekannten Prozeß in Gang, der sich im Leiden, das es zufügt und erträgt, ausprägt.

Das ist Gebundensein und Unfreiheit, und die Be­freiung von diesem Gebundensein erfolgt durch die Auflösung dieser illusionären Begrenzung, die zu­rückzuführen ist auf die Identifikation dessen, was es als Subjekt ist, mit einem Objekt, das als solches nicht besteht und das niemals ein „Ich" sein könnte.

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22.Hommage à Hui Hai

Im ersten Dialog seines Traktats erklärt Hui Hai in einem Satz die ganze Wahrheit.

Er sagt: „Erleuchtung ist die Erkenntnis, daß Er­leuchtung nichts ist, was erst erlangt werden muß."

Erleuchtung ist keine Sache - denn sie ist kein Ob­jekt; sie ist auch nicht etwas, das „nicht erst erreicht werden muß", weil wir sie bereits besitzen, wie unge­nau formuliert worden ist, - sondern weil sie dies-ist- was-wir-sind.

Als das, wonach ich suche, ist sie eine Illusion, denn es ist tatsächlich dieses „Ich", das sucht. Dieses „Ich", das sucht, kann nicht gefunden werden, denn ich kann durch Suchen „dieses-was-ich-bin" nicht finden.

Diese Erkenntnis, die Erleuchtung „bedeutet", wie Hui Hai sagt, ist das Ergebnis der Entdeckung, daß der Suchende, der das Gesuchte ist, nirgendwo zu finden ist. Warum kann er nicht gefunden werden? Weil es weder ein Objekt „Suchender" gibt noch ein Irgend­wo, wo er sein könnte. Es gibt überhaupt kein Objekt als solches, es hat es nie gegeben und wird es niemals geben.

Hui Hai sagt es einige Male auf verschiedene Weise: Hier sagt er es als Antwort auf die ihm gestellte Frage und mit dreizehn einfachen Worten.

Es gibt weder Erleuchtung noch das Fehlen der Er­leuchtung, weder Gebundensein noch Befreiung vom Gebundensein.

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Es gibt niemanden, der gebunden oder befreit wer­den könnte. Es gibt nur einen Geist, der in keiner Wei­se ein Objekt ist und der daher, da er kein Subjekt hat, niemals irgendeiner objekthaften Einwirkung oder Bedingtheit ausgesetzt sein könnte.

Es ist mein phänomenales Objekt, als „Ich" identi­fiziert, das sich selbst für „gebunden" hält und „befreit" zu werden sucht, aber es ist niemals gebun­den worden und es wird niemals befreit werden: So­bald das „Ich" sich nicht mehr auf „Es" bezieht (das Subjekt auf sein Objekt), gibt es auch kein „Gebundensein“ mehr oder irgendeine „Freiheit", denn solche Vorstellungen kön­nen nicht länger bestehen.

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Die Antwort auf die einzige Frage

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Üben? Wer sollte das tun und für wen?Du für dich selbst.

Ich habe jahrelang mich selbst gesucht und habe keine Spur von irgendetwas gefunden, außer einem Objekt.

Wieso?

Dieselbe Frage bleibt als Antwort - wer sucht?Und die Antwort?

Das, was ich suchte, war dies, was gesucht hat.Hast du dich denn gefunden?

Keineswegs.Wieso nicht?

Es gab nichts zu finden. Das Gesuchte war der Su­chende, und der Suchende war das Gesuchte, und keines existiert als ein Objekt.Und?

Es war das Ende der Suche. Es gab nichts mehr, was man hätte suchen müssen.Was weiter?

Das ist die Antwort auf alle Fragen.Alle Fragen?

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Absolut alle; die endgültige Antwort auf alle Fragen. Die vollständige Antwort.Ich verstehe nicht.

Es kann nicht verstanden werden. Verstehen ist das Ergebnis eines Prozesses, bei dem der Geist als ein Objekt benutzt wird. Verstehen gehört der phänome­nalen Ebene an, geschieht persönlich und ist tot.Soll man nicht versuchen zu verstehen?

Der Geist ist noumenal, unpersönlich, subjektiv: Dar­um ist er alles, was du bist, alles, was jedes Ding ist - und selber kein Ding.Und das bin ich?

Nein, du bist weder das noch dies. Man ist und weiß es nicht. Alles ist und weiß es nicht. Das findet man, wenn man aufwacht. Frag die Erwachten!

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Die noumenale Antwort

Das Haupthindernis ist die Identifikation mit dem Körper, die Vorstellung „Ich-bin-der-Körper"?Jede Identifikation mit irgendeinem Körper ist ein absolutes Hindernis, weil „ich" ohne jede Objekthaf- tigkeit bin, das heißt frei von der geringsten Spur da­von.

Demnach kann man weder zu verstehen suchen, was man ist, noch was man nicht ist?Wissen kann ich nur, was ich nicht bin. Was ich bin, ist unerkennbar, denn ich bin es, und wenn ich es erken­nen könnte, würde „ich" ein Objekt sein. Daher gibt es kein „es", und „ich" bin nicht.

Du bist, und du bist nicht?Weder bin ich, noch bin ich nicht. Es gibt kein „Ich". Wenn es eines gäbe, würde ich ein Objekt sein. Ich bin überhaupt nicht, in keiner denkbaren Weise, Art, Form oder Dimension. Aus dem gleichen Grund gibt es kein Ding wie Wirklichkeit, Wahrheit, Absolutes, Selbst, Bewußtsein, Geist, Dharmakaya oder irgendeine andere Vorstellung welcher Art auch immer.

Aber es gibt das „Ich-bin-nicht"?Es gibt auch kein „Ich-bin-nicht". Es gibt kein Ding, weder ein positives noch negatives, weder Anwesen­heit noch Abwesenheit. Das Diamant-Sutra, wie wir es durch Shen Hui's doppelte Negation verstehen, ist die

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Autorität hierfür - wenn eine Autorität notwendig sein sollte, was nicht der Fall ist, denn jedes Lebewesen ist „Ich" und kann dies wissen - denn Sein und Wissen sind identisch.

Aber es gibt kein Sein oder Wissen!Es gibt kein Ding, nichts „Gewesenes" oder „Gewußtes": Alles, was ich sein oder wissen kann, ist - kein Ding.

Was ist Shen Hui's „doppelte Verneinung"?In Kürze: Abwesenheit der Abwesenheit, die der Ge­gensatz von Anwesenheit ist, und Abwesenheit der Anwesenheit, die der Gegensatz von Abwesenheit ist. Oder, wenn du das vorziehst: Abwesenheit der Vor­stellung von Abwesenheit der Anwesenheit und von Anwesenheit der Abwesenheit.

Was sind dann die Objekte?„Ich" bin die Objekte. „Ich" bin das ganze mit den Sinnen wahrnehmbare, wißbare und vorstellbare Uni­versum.

So bist du das Universum?Keineswegs: Das Universum ist „Ich".

Der Pantheismus behauptet, daß Gott das Universum sei. Gott ist nicht das Universum: Das Universum ist Gott.

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Was ist der Unterschied?In der Physik - keiner; in der Metaphysik - ein absolu­ter Unterschied, der Unterschied zwischen Objekt und Subjekt. Das Universum ist nicht das Subjekt Gottes.

Dann ist das Universum sowohl Gott als auch du?Gewiß nicht: Es kann sowohl Gott wie „Ich" sein.

Also bist du Gott?Keineswegs: „Gott" ist ein Objekt, deine Vorstellung, und das bist auch „du". Was mich betrifft, „dies-was- ich-bin" ist überhaupt kein Ding.

Auch Gott nicht?Jede begriffliche Vorstellung ist ein Ding, aber als sol­ches besteht es nicht. Weder „Gott" noch „Ich" beste­hen als ein Objekt.

Du sagst, daß das Universum „du" ist. Wieso weißt du das? Ich sagte, daß das Universum „Ich" ist. Du kannst das sagen, jeder Käfer, jedes Lebewesen kann das sagen - was sonst gäbe es, das es sein könnte, wo sonst könnte es sein? Bewegung, Raum und Zeit sind nur Begriffe. Es kann nur „Ich" sein, - und ich bin nicht, gleichgül­tig, wer es sagt.

Warum sind dann der Käfer, du und ich verschieden?Wir sind nicht verschieden: wir scheinen nur ver­schieden zu sein. Noumenal sind wir eins: als Phäno­mene (Erscheinungen), als einer des anderen Objekt, nehmen wir sinnenhaft wahr und interpretieren ein­

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ander mit dem Verstand als Käfer, du und ich. Aber als das, was wir sind, sind wir nicht.

So haben wir kein Sein - weder phänomenal noch noumenal? Phänomenal gibt es uns nicht als Wesenheiten, nou­menal bestehen wir nicht als Begriffe - die auch Objek­te sind. Was wir sind, ist weder Wesenheit noch Be- grifflichkeit, noch Objekthaftigkeit irgendeiner Art, daher können wir weder denken noch sagen, daß wir irgendein Ding sind - denn das ist das, was wir nicht sind.

Dann können wir uns selbst überhaupt nicht erkennen?Wir können unser Selbst überhaupt nicht „erkennen", denn wir sind kein kennbares Ding; wir können nur wir selbst sein - „unser Selbst", und damit was-wir- sind.

Und wie kann das getan werden?Es kann nicht getan werden. Es ist. Alles ist, wie es ist.

Gibt es einen autoritativen Nachweis dafür?Ja, gewiß. Aber da er dem Mißverstehen ausgesetzt ist, ist er gewöhnlich indirekt enthalten gewesen, anstatt direkt festgestellt zu werden.

Somit besteht das Hindernis darin, daß wir uns selbst als irgendein Ding betrachten?Das allein ist „Gebundensein".

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Und das Heilmittel dafür?Aufhören, das Universum als ein Objekt anzusehen (da es „ich" ist) oder Objekte als Entitäten anzusehen (weil sie keine sind), „dich selbst" und die „anderen" als solche anzusehen (denn sie waren es niemals)! In die richtige Richtung schauen, aufblicken und hinein­sehen, wo es überhaupt keine Richtung mehr gibt - wo es überhaupt kein Ding gibt, das von irgendwo ver­messen werden könnte (und auch kein Schauen). Wer könnte da gebunden sein, und woran könnte irgend­etwas gebunden werden?

Das ist also Befreiung?Befreiung für wen? Wovon! Es hat beides niemals gege­ben.

Und dann siehst du, daß...?„Es ist, wie es ist. Das ist alles, was man sagen kann", und das sind die Worte des Maharshi.

Was bedeutet, daß es überhaupt weder eine Wesenheit noch ein Objekt als solches gibt, auch nicht uns selbst, auch nicht „Ich"?Auch kein „Nicht-Ich"! Wie könnte es so etwas geben? Überlege, Mensch, überlege! Sind Denken und Intui­tion nicht eins in dieser letzten Erkenntnis? Wie könn­te es das geben?

Ha-ha-ha!Das ist die Antwort, die Antwort, die eine dualistische Sprache nicht zu geben vermag, die nur noumenal er­

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fahren werden kann, das heißt durch intuitives Erfas­sen. Von ganzem Herzen stimme ich zu: Ha-ha-ha-ha!

Aber ist Lachen die richtige Reaktion auf dieses Verstehen? Viele haben gelacht, einige haben geschrieen, manche haben gebetet. Bodhidharma sagte dem Kaiser, daß es keine Lehre gäbe und daß nichts Heiliges um sie wäre, aber der Kaiser war ein zu ernster Mensch, um dies zu verstehen.

Und das ist wirklich alles?Ein Mönch, so wird berichtet, habe das ebenfalls ge­fragt. Die phänomenale Reaktion als Gelächter ist korrekt, aber es schließlich noumenal zu leben, wird gewöhnlich als Glückseligkeit beschrieben oder drückt sich als Universaler Segen aus.

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25.Nicht-Entität

Nur ein Objekt kann „gebunden" sein. Das Subjekt kann weder gebunden sein noch befreit werden, we­der Schmerzen erleiden, noch mit Wohltaten um­schmeichelt werden, weder beeindruckt noch vernach­lässigt werden.

„Ich" kann niemals, nirgendwo, unter keinen Um­ständen ein Objekt sein. „Ich" kann nur Subjekt sein, immer, überall, unter allen Umständen. Aber, als Sub­jekt, gibt es kein „immer", denn es gibt keine Zeit. Es gibt kein „wo", denn es gibt keinen Raum. Es gibt kei­ne „Umstände", denn es gibt keine Bewegung.

Ich bin einzig ewiges Subjekt - und weder in der Ewigkeit noch in der scheinbaren Zeit könnte ich er­kannt werden, noch könnte es jemand geben, mich zu erkennen - denn eine Entität wie „Ich" könnte niemals sein.

II.

Ich-Subjekt kann nicht sehen, hören, fühlen, riechen, schmecken oder erkennen, denn nur ein Objekt kann Organe oder Eigenschaften haben, und es gibt nie­mand und nichts, die sinnenhaft erkannt werden könnten (Sehen, Hören, Fühlen, Tasten, Erkennen sind verschiedenartige phänomenale Manifestationen des Prajna genannten funktionalen Aspekts des Abso­luten Ichs, der immer „zurückkehrt" zu dem unverän­

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derlichen Aspekt, genannt Dhyana, den er niemals verlassen hat).

Das sichtbare Universum ist ein Traumgewebe, durch das Subjekt Form geworden, und es kann daher nichts anderes sein als Ich-Subjekt. Deshalb kann nichts, was darin geschieht, an das Subjekt, das es ist, rühren oder es erreichen. Sowohl der Sehende wie das Gesehene, der Hörende wie das Gehörte, der Beleidi­ger wie der Beleidigte sind Subjekt, nicht als Dualitä­ten, sondern als Unitäten. Der Mensch, der mich haßt und mich schlägt, und das Ich, das gehaßt und ge­schlagen wird, sind beide „Ich", nicht als zwei, son­dern als eines. Ich, der ihn haßt und zurückschlägt, und er, den ich hasse und auf den ich zurückschlage, sind beide „Ich", denn jede mögliche phänomenale Manifestation ist Form geworden durch Ich-Subjekt, und jede mögliche phänomenale Manifestation ist objekthaft, während ich total frei von jedem Element von Objekthaftigkeitbin.

Dann bin ich reine Subjekthaftigkeit? - Keineswegs: Subjekthaftigkeit ist ein Zustand, eine Art von denke­risch verbegrifflichter Verfassung, wenn nicht eine Entität, und daher ein Objekt. Ich bin nichts Derarti­ges, kein Ding welcher Art auch immer. „Ich" kann weder ausgedrückt noch dargelegt werden, weder gezeigt noch erkannt werden. Als „Das-bin-ich" bin ich nicht.

Aber es kann niemals einen Augenblick geben, währenddessen ich etwas anderes sein könnte als „Ich". „Ich" bin ständig erwacht, und „Ich" bin eine Nicht-Entität.

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WU-WEI UND YOU-WEI

Es hat niemals eine Henne gegeben, die ein Ei gelegt hat, aber ungezählte Mengen von Eiern sind von Hennen gelegt worden.

Es hat niemals einen Menschen gegeben, der ein Buch geschrieben hat, aber ungeheure Mengen von Büchern sind von Menschen geschrieben worden.

Keine körperhafte Erscheinung hat jemals irgend­etwas getan, aber ungezählte Taten sind ausgeführt worden.

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26.Noumenales Leben

Sein (oder noumenal, subjekthaft leben) heißt nicht, aufhören zu objektivieren - denn das ist der funktio­nale Aspekt des Subjekts -, sondern aufhören, sich selbst zu einem Objekt zu machen, und damit aufhö­ren, die eigenen Objekte als unabhängige Erscheinun­gen anzusehen, als etwas anderes als einen Aspekt von einem selbst als deren Subjekt.

Das setzt natürlich voraus, sich zutiefst bewußt zu sein, daß man in keiner Weise als begriffliches Objekt besteht, nicht einmal als „Wesen". Jene integrale Ab­wesenheit, sowohl phänomenal als auch noumenal, ist das notwendige Bewußtsein der „Ist-wie-es-ist-heit" - gewöhnlich Erwachen genannt.

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27.Der Lebenstraum

Das Gesuchte ist der Suchende,Das Betrachtete ist dessen Betrachter,

Das Gehörte ist der Hörer dessen, was gehört wird, Der Geruch ist der, der ihn riecht,

Das Geschmeckte ist der, der es schmeckt,Das Berührte ist der, der die Berührung empfindet,

Das Gedachte ist der Denker des Gedankens.

Kurz: Das sinnenhaft Wahrgenommene ist der Wahr­nehmende, dessen Sinne wahrnehmen.

Und kein Wahrnehmender irgendeiner Sinneswahr­nehmung, kein Ausführender irgendeiner Tätigkeit

kann gefunden werden.

II.

Lassen Sie mich ein Beispiel geben: Sie betreten ein Restaurant, Sie sehen einen Tisch, Sie hören die Leute reden, Sie schmecken, was auf Ihrem Teller ist, Sie riechen das Aroma des Weins in Ihrem Glas, Sie fühlen das Messer und die Gabel in Ihren Händen, und Sie wissen, daß Sie Ihr Mittagessen einnehmen.

All das nehmen Sie sinnenhaft wahr, und ich habe einfach darauf hingewiesen, daß das alles sich nur in Ihrem Geist abgespielt hat, dessen Sinne es wahrzu­nehmen schienen, und daß daher nichts davon sich

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wirklich als eine Reihe äußerer, von Ihnen erlebter Geschehnisse ereignet hat.

Und schließlich habe ich festgestellt, daß Sie selbst, als eine unabhängige Wesenheit, deren Sinne diese Geschehnisse zu erleben schienen, nirgendwo gefun­den werden können. Wie kann das sein? Wie ist das möglich?

Lassen Sie mich die Antwort des Sechsten Patriar­chen Hui Neng in Erinnerung rufen, die er den Mön­chen gab, die darüber stritten, ob es die Fahne wäre oder der Wind, was das flatterte. Er wies sie darauf hin, daß einzig ihr Geist dafür verantwortlich sei, und sie erkannten sogleich, daß er die Wahrheit verstan­den hatte.

III.

Es gibt keine Lebewesen, die durch den Tathagata11 befreit wurden. Wenn nicht einmal das Selbst eine objekthafte Exi­stenz hat, um wieviel weniger das Andere-als-Ich! Also existieren objekthaft weder Buddha, um zu befreien, noch Lebewesen, die befreit würden.

Huang Po

Es gibt kein „Ding" wie einen Traum (oder eine Spie­gelung, eine Illusion, eine Halluzination), der Traum als ein Ding-an-sich existiert nicht. Es gibt ein Phäno­men, ein scheinbares Träumen, so wie es zehntausend Phänomene auf Grund des scheinbaren Sehens,

11 Tathagata = der Vollendete, einer der zehn Titel Buddhas.

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scheinbaren Hörens, Fühlens, Riechens, Schmeckens, des scheinbaren Erkennens gibt, aber die Objekte, die von den Sinnen scheinbar wahrgenommen werden, sind keinesfalls Wesenheiten. Es gibt nur ein Wahr­nehmen von scheinbaren Objekten, die sich im scheinbaren Raum im scheinbaren Ablauf der Zeit bewegen.

Im täglichen „Leben" sind die scheinbar „anderen" Lebewesen, die dieselben Phänomene sinnenhaft wahrnehmen, die wir wahrnehmen, synchron in der­selben scheinbaren Zeit, selber auch Phänomene, wechselseitig wahrgenommen oder wechselseitig nicht wahrgenommen. Aber es gibt nichts als das Wahrnehmen, so wie es in einem Traum nichts als das Träumen gibt. Wenn der Träumer erwacht, endet das Träumen, und es stellt sich nicht die Frage bezüglich der „Lebewesen" oder anderer Phänomene des Traums, ob „sie" ihre Traumaktivitäten fortsetzen oder ebenfalls erwacht sind. Auch im Leben überlegt der Erwachte nicht, ob seine Gefährten im „Lebens" - Traum nun erwacht sind oder ihren „Lebens"-Traum weiterführen, denn er weiß jetzt, daß weder diese noch jener, der er selbst zu sein scheint, etwas anderes waren als phänomenale Objekte des vermeintlichen Träumers. In beiden Fällen ist die scheinbare Realität des geträumten Geschehens für immer verschwunden.

Wenn es sich um die zweite Stufe des Träumens handelt, ist dies für alle von uns offenbar, denn wir waren der vermeintliche Träumer und sind jetzt er­wacht, aber auf der ersten Stufe oder dem „Lebens"- Traum, der in seinem Wesen identisch ist, haben wir Schwierigkeiten, das zu erkennen, denn wir sind noch

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Teilnehmer an unserem Traum, und als solche sind wir nicht gewahr, daß wir geträumt werden.

Wir haben jedoch auf dieser ersten Stufe, dem „Lebens"-Traum, die Möglichkeit, dessen gewahr zu werden, und dann kann jeder von uns erkennen, daß er nicht die scheinbare Wesenheit in seinem eigenen Traum ist, die er selbst zu sein glaubte, sondern der scheinbare Träumer seines eigenen Traums. Diese Erkenntnis wird ebenfalls „Erwachen" genannt. Aber er kann nicht die „anderen" in seinem Traum zum Aufwachen bringen, denn sie waren nur seine Objekte und waren keine Entitäten für sich selbst, ebenso we­nig wie er es in dem Traum war.

Daher kann jeder Träumer nur aus seinem eigenen Traum erwachen, aus dem Traum, an dem er selbst als „er selbst" teilgenommen hat, denn auch wenn die Freunde aus seinem „Leben" in seinem Traum er­schienen, taten sie das nur als seine Objekte, das heißt, nachdem er sie zufällig verbildlicht hatte. „Andere" sind daher nichts als unsere Objekte; so wie wir sie kennen, sind sie keine Entitäten an und für sich, und sie scheinen das nur jedem als Träumer seines eigenen Traums zu sein, das heißt subjekthaft.

Erwacht jedoch findet jeder Träumer, daß er das scheinbare Subjekt aller Objekte in seinem Traum vom „Leben" war, aber trotzdem ist er jetzt keine Entität - denn er existiert nicht länger als ein Objekt, außer im „Lebens"-Traum der „anderen". Er ist die reine nichtbe­dingte Subjekthaftigkeit, mittels der er geträumt wur­de, so wie alle anderen scheinbaren Lebewesen ge­träumt werden, und sein offensichtliches Empfin­dungsvermögen ist nichts anderes.

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Als der Geträumte aus seinem Schlaftraum erwach­te, war er niemals der Träumer, sondern wurde selbst noch immer geträumt. Es hat überhaupt niemals einen Träumer gegeben. Es gibt nur das Phänomen des Träumens.

Das also ist der „Lebens"-Traum, das heißt: eine Objektwerdung im Geist, in dem die scheinbaren Entitäten keine sind und dessen Träumer niemals als ein Objekt existiert hat und niemals an und für sich ein Objekt sein kann - denn ein solches „Ding" könnte es niemals geben.

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28.Objets Perdus

Existierst du?Noumenal fühle ich, daß ich bin, aber ich kann mich selbst nicht finden. Und das gilt für dich und für jedes Lebewesen.

Warum ist das so?Aus demselben Grund, der uns daran hindert, unser eigenes Gesicht zu sehen.

Aber du kannst mein Gesicht sehen und ich kann deines sehen.Unsinn, vollkommener Unsinn! Wir sehen nichts Der­artiges. Was wir sehen, wenn wir einer den anderen anschauen, und überhaupt alles, was wir sehen kön­nen, einschließlich unserer eigenen Füße, ist nur unser Objekt. Und unser Objekt ist ein Teil von uns selbst als seinem Subjekt.Niemand anderer kann uns sehen, weil wir keine objekthafte Existenz haben, und wir können niemand anderen sehen, weil auch er keine hat. Jeder von uns kann nur seine eigenen Objektivierungen sehen, was immer sie sein mögen.

Wir existieren als Objekt nicht?Natürlich nicht! Kein Ding existiert als ein Objekt. Darum gibt es nicht so etwas wie eine Entität. Wie könnte es auch eine geben? Raum und Zeit sind reine

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Verstandesgebilde, Denkvorstellungen im Geist. Wo sonst könnte eine Entität sein?

Dann ist kein Objekt unabhängig?Es ist auch keines abhängig. „Andere" sind du selbst als das, was immer ihr „beide" seid, und ihre scheinba­re Andersheit als deine Objekte ist zur Gänze ein Teil deines phänomenalen Geistes. Phänomenale Existenz oder phänomenales Sein ist noumenal Nicht-Sein. Absolut kann es als Wie-es-ist-heit bezeichnet werden.

Ich beginne zu verstehen!Natürlich verstehst du das jetzt! „Ist das alles?", wie der Mönch lachend seinen Meister fragte, als er plötz­lich verstand, oder als er, wie es heißt, „sich erwacht fand".

II.

Kein Ding bestehtßr sich? Selbst wir nicht?Kein Ding. Daher gibt es „uns" nicht - denn „wir" sind als „wir" nur einer des anderen Objekte.

In welcher Weise sind wir dann?Nur als totale, objekthafte Abwesenheit, was die An­wesenheit der Das-bin-ich-heit bedeutet, die die Was- ich-bin-heit ist, die die Dies-bin-ich-heit ist.

Jeder von uns ist das?Jeder von uns ist nicht „das", nicht „dies", überhaupt keinerlei Begriff. Nichts Geheimnisvolles. Nichts Hei­

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liges. Lediglich phänomenale Nichtheit, und die Ab­wesenheit des Begriffs derselben (Nichtheit).

Dann haben wir keinerlei positives Sein?Positivität und Negativität sind phänomenale Denk­vorstellungen. Wir sind überhaupt nicht begrifflich faßbar.

Wer lebt dann?Du kannst keinen Täter irgendeiner Tat finden, keinen Denker irgendeines Gedankens, keinen Wahrnehmer irgendeiner Wahrnehmung.Das Unfindbare ist alles, was wir sind, und das Un- findbare ist das Gefundene.

Wenn du noch an der Vorstellung festhältst, daß irgend­etwas, sei es auch nur so winzig wie der hundertste Teil eines Staubkornes, objekthaft existieren könnte, dann wird selbst eine vollkommene Beherrschung des gesamten Maha- yana-Kanons dir den Sieg nicht ermöglichen. Nur wenn du jedes der noch so winzigen Teilchen als nichtig erkennst, kann das Mahayana diesen Sieg für dich erringen.

Huang Po

Es gibt kein „Ich-selbst" und keine „anderes". Es gibt kein „falsches Begehren", keinen „Haß", keine „Liebe", keinen „Sieg", keine „Niederlage". Laßt ab von dem Irrtum der begrifflichen Denkvorgänge, und euer Wesen wird sich in seiner ursprünglichen Reinheit offenbaren. Dies allein ist der Weg zur Erleuchtung.

Huang Po

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29.Absichten

Nur durch das Vermeiden von Absichten wird der Geist von den Objekten befreit.

Shen Hui

Nur jemand, der sich einbildet, daß er zu seinem eige­nen Vergnügen lebt, kann Absichten haben. Wenn er die Wahrheit erkennt, daß er, als eine scheinbare We­senheit, gelebt wird, wie könnte er dann Absichten haben?

Wer weiß, daß er gelebt wird, muß wissen, daß er demnach als solches nicht das Subjekt von Objekten sein kann. Da er gelebt wird, ist er kein Subjekt; Objek­te können nicht seine Objekte sein.

Daher: Wissen, daß man gelebt wird, heißt wissen, was man nicht ist, und wissen, was man nicht ist, heißt wissen, was man ist.

II.

Ohne „Absichten" haben wir es nicht nötig, Begriffe zu bilden, wir handeln einfach. Das allein bedeutet, über die Verbegrifflichung hinauszugelangen. Nicht durch das Unterdrücken der Begriffe, falls wir es könnten, sondern dadurch, daß wir uns des Wollens enthalten, können wir zur Übereinstimmung mit den Forderun­gen der Meister gelangen.

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Shen Hui sagt: „Ein Mensch ohne zweckhafte Ab­sicht ist frei vom Bilden von Begriffen (Wu-nian)." Da­her ist es die willentliche Tätigkeit des Geistes, die die Denkvorstellungen schafft. Die nicht-willentliche Akti­vität des Geistes ist Wu-nian.

Aber laßt uns eines genau verstehen: So wie Wu- nian nicht nur die Abwesenheit der Begriffsbildung ist, sondern auch die Abwesenheit seines negativen Aspektes, der Nicht-Begriffsbildung, das heißt auch Abwesenheit des willentlichen oder begrifflich gebil­deten Nicht-Denkens, so ist auch Wu-wei nicht nur die Abwesenheit des willentlichen Tuns, sondern auch die Abwesenheit des willentlichen Nicht-Tuns (der ab­sichtlichen oder bewußten oder verstandesmäßigen Nicht-Aktivität oder des Nicht-Tuns).

III. Wollen und Willentlichkeit

Nur die Ich-Vorstellung kann „Absichten" haben - denn „Ego" und „Wille" sind Synonyme. Deshalb ist die Abwesenheit des einen auch die Abwesenheit des anderen.

„Absichten" sind Akte des Willens. Das daoistische Wu-wei bedeutet nicht phänomenale Untätigkeit, son­dern Abwesenheit des willentlichen Tuns. Die Abwe­senheit willentlichen Tuns ist die Anwesenheit nou- menalen Tuns, das heißt des daoistischen De, des dy­namischen Aspekts des Dao. Was aber ist noumenale Tätigkeit?

Es gibt einen positiven Hinweis in Shen Hui's Defi­nition des Wu-nian als einer doppelten Abwesenheit,

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der Abwesenheit des Nicht-Denkens oder des Nicht­Begriffebildens, was die Anwesenheit dieser Abwe­senheit ist (siehe Kapitel I), und diese Anwesenheit ist die Soheit des Denkens, das heißt: spontanes Tun. Nicht-willentliches Tun (Wu-wei), ob wahmehmend, denkend oder körperlich, ist noumenales Tun, und noumenales Tun ist das sogenannte „Nicht-Tun" (das nicht-willentliche, nicht-egoistische Tun) des Weisen.

IV. Seliges Leben

Einzig durch das Vermeiden absichtsvoller Handlungen kann man erleuchtet werden.

Shen Hui

Der Versuch einer „gelebten" Puppe, ihr eigenes Le­ben zu führen, ist im Wesen das gleiche wie der Ver­such einer „geträumten" Puppe, ihr eigenes Leben zu führen, und ist so real wie jeder Traum. Diese Versu­che sind außerdem die einzige Wirklichkeit, die beide jemals kennen können.

Aber beide können nicht „leben". Und beide wer­den nicht von einer Wesenheit „gelebt". Beide sind Puppen, die auf Impulse reagieren, die von psychi­schen Zuständen erzeugt werden, über die sie keine Gewalt haben. Keine fühlt objekthaft, und keine be­sitzt ein Wesen. Die scheinbare Empfindungsfähigkeit beider ist ein Reflex des Geistes, der alles ist, was sie sind.

Der Ich-Begriff, der Absichten hat, ist schon selbst ein Reflex. Daß er als Urheber vorgebliche Willensakte vollführt, ist Einbildung, und es ist genau diese Einbil­

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dung, aus der das Leiden entsteht. Wenn die Traum- Einbildung fehlt, gibt es nur die Seligkeit des Tief­schlafs, und beim Fehlen der Lebens-Einbildung gibt es nur die Seligkeit des Nirvana oder des erwachten Lebens.

Die Absicht ist die zeithafte Ursache des psycholo­gischen Konflikts, und zweckhafte Absicht ist die zeit­hafte Ursache des physischen Konflikts. In der Zeit- losigkeit gibt es keine Absicht, und ohne Absicht gibt es keinen Gegensatz zur Seligkeit. Das Wort „Seligkeit" ist nur ein konventioneller Hinweis auf den Zustand des un-bedingten Seins, das frei ist von jedem Element der Objekthaftigkeit.

Daher ist das Wollen die psychische Fessel, die das phänomenale Individuum in scheinbarer Knechtschaft hält, denn das Wollen ist das Pseudo-Subjekt, das versucht, unabhängig von der Macht der Umstände zu handeln. Die Absurdität eines solchen Bemühens soll­te genügend evident sein.

Alle Lehren aller Meister aller Schulen der Befrei­ung, nicht nur der buddhistischen, vedantischen oder taoistischen, sondern auch der semitischen - wie der Satz bezeugt: „Nicht mein Wille, sondern der Deine, oh Herr" -, bestehen in den Versuchen, mittels Er­kenntnis, praktischer Übung und gewisser Kunstgriffe das Pseudo-Individuum von den Fesseln des Wollens zu befreien, denn sobald das Wollen aufgegeben ist, bleibt keine Knechtschaft mehr zurück.

Die unverfälscht gebliebenen Lehren, wie etwa die von Ramana Maharshi, Padmasambhava, Huang Po und Shen Hui, weisen uns, daß es genügt, durch Analyse vollkommen zu verstehen, daß es keine Entität gibt,

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die einen wirklichen Willen haben könnte, und daß ein scheinbarer Willensakt, wenn er im Einklang mit dem Unvermeidlichen ist, nur eine leere Geste bleibt, wenn er jedoch nicht im Einklang dazu steht, ist es nur das Flattern eines gefangenen Vogels gegen die Stäbe seines Käfigs. Wer das weiß, der findet Frieden und ist glücklich.Als ich ein Kind war, konnte man auf dem Jahrmarkt so tun, als ob man in einem kleinen Auto im Kreis führe. Es hatte ein Steuerrad, das beweglich war, aber das Fahrzeug wurde automatisch von unten bewegt und gesteuert. Da man instinktiv das Steuer in die Richtung drehte, in die sich der kleine Wagen bewe­gen mußte, war es schwer, nicht daran zu glauben, daß man das Auto lenkte, und noch schwerer, mit dem Lenken aufzuhören und es einfach den Weg nehmen zu lassen, den es nehmen würde, denn das hätte zu einem Unfall führen können. Genau so ist unser wil­lentlicher Lebensweg.

Nicht-willentliches Leben ist seliges Leben.„Gelebt" werden, als eine Nicht-Entität, ist subjekt-

haftes Leben, in dem es Leiden nicht mehr gibt, in dem kein Platz ist für Kummer und Sorge, in dem alles ist, wie es ist und wie es sein muß. Denn die „Absicht" ist verantwortlich für die dualistische Vorstellung und die sich aus ihr ergebenden, voneinander abhängigen Vergleichsstücke, die als Gegensätze gesehen werden, von denen der eine „gut", der andere „schlecht" ist.

Es ist ein noumenales Leben und all das, was nou­menales Leben ist. Es könnte auch Reintegration ge­nannt werden.

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Nicht-Willentliches Leben

30.

Die akademische Psychologie hat schon lange erkannt, daß Träume ein Ausdruck der Wunscherfüllung sind. Es bedarf keiner Wissenschaft, uns zu sagen, daß die Tagträume auch eine künstliche Erfüllung von Wün­schen sind. Daher sind beide Manifestationen einer Ich-Vorstellung oder eines „Egos", eines Pseudo- Subjektes, mit dem wir uns identifizieren, also dessen, was die Ichheit des phänomenalen Individuums schafft.Ist nicht das Denken an die Zukunft ebenfalls eine Form des Tagträumens, nur mit stärkerer Berücksich­tigung der Wahrscheinlichkeit? Ist das Denken an die Vergangenheit, sei es mit Freude oder mit Schmerz, wirklich verschieden vom Denken an die Zukunft, sei es voll Hoffnung oder voll Furcht? Sie alle sind künst­liche Wunscherfüllungen positiver oder negativer Art. Alle sind daher Akte des Wollens.Darum sagen uns die Meister, daß nichts erreicht, nichts ergriffen oder besessen werden kann und daß wir die Zukunft und die Vergangenheit nicht beachten sollen. Und darum wird auch von Vergangenheit und Zukunft gesagt, daß sie nicht existieren, denn sie sind nur Annahmen, gehören zur theoretischen Apparatur des dualistischen Lebens. Und beide, sowohl Zukunft wie Vergangenheit, sind gedankliche Begriffe, und da Geschehnisse bereits zeitlich vorüber sein müssen, wenn wir sie interpretieren, haben sie niemals anders

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denn als Ereignisse im Bewußtsein existiert. Ich glau­be, daß das bereits erklärt worden ist.Vergangenheit und Zukunft sind reine Willensakte. Daher muß ein nicht-willentliches Leben ein Leben rein in der Gegenwart sein. „Sei gegenwärtig in der Gegenwart", wie Robert Linssen uns sagt. Das ist alles, was nicht-willentliches Leben sein kann, aber das heißt nicht, daß es als etwas, das sich zuträgt, existiert. Ich habe eben gesagt, daß alles, was wir erleben, die Interpretation einer Wahrnehmung ist, die in einem bedingten Reflex, den wir als Zeit bezeichnen, bereits vorüberging. Gegenwart im Jetzt-Augenblick währt ewig: sie ist zeitlos. Phänomenal können wir sie nicht erkennnen. Robert Linssen''s „present au present" ist phänomenal nicht-willentliches Leben, aber es bedeu­tet noumenal, daß wir uns in der Zeitlosigkeit des erwachten Seins befinden - was unser ewiges Erbe ist. Dao, der pfadlose Weg, hat ein torloses Tor, das - ge­nauso wie der Äquator die nördliche von der südli­chen Hemisphäre trennt - das Phänomenale und Nou- menale, Samsara und Nirvana trennt und verbindet. Es ist der offene Fluchtweg aus der Einzelhaft des Ker­kers der Individualität. Es ist der Weg zur Reintegrati­on in dies-was-wir-sind, und es ist reine Wie-es-ist- heit.

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31.Letzte Illusion

Die Illusion willentlichen TunsDas phänomenale Objekt muß gänzlich bedingt

(Ursache und Wirkung unterworfen) sein.Das phänomenale Subjekt ist gänzlich Illusion.Das Nichtbedingte kann keine Eigenschaft (wie et­

wa Willen) haben.In der Zeithaftigkeit (der Zeit-Vorstellung unter­

worfen) ist Wollen eine Erscheinung (ein Phänomen), gleich jeder anderen Erscheinung, ein Element des Lebensmechanismus. Es hat keine Selbst-Natur (ist als solches nicht): Seine einzige Existenz ist seine phäno­menale Abwesenheit.

Eine scheinbare Entität wird „gelebt" oder „ge­träumt": wie eine Rolle, die von einem „Schauspieler" gespielt wird. Die dramatis persona hat kein eigenes Wollen: Das scheinbar entfaltete Wollen ist eine Vor­täuschung, die zur Rolle gehört, und die Energie, mit der die Rolle gespielt wird, unterliegt keinem Akt des Wollens.

Denn der „Spieler" ist keine Wesenheit, sondern Nur-Geist.

Anmerkung: Die nachdrücklich von den Meistern unterstrichene Lehre des Buddha, daß nichts zu erreichen ist, ist hierfür kennzeichnend, denn „Erreichen" ist ein Ausdruck, der einen Akt des Wollens meint.

Nicht nur kann die sogenannte Erleuchtung nicht durch irgendjeman­den „erreicht" werden, denn „Erreichen" ist ein Ausdruck, der einen Akt des Wollens meint.

Nicht nur kann die sogenannte Erleuchtung nicht durch irgendjeman­den „erreicht" werden, so wie sie auch vom Buddha nicht „erreicht" worden war, sondern es gibt überhaupt keinerlei willentliches Erreichen.

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32.Dao

Die Lehre ist die Lehre der Nicht-Lehre.Die Praxis ist die Praxis der Nicht-Praxis.

Die Methode ist die Meditation durch Nicht- Meditation.

Und die Übung ist die Übung durch Nicht-Übung.

Dies ist der Geist des Nicht-Geistes, der Wu-xin ist, Das Denken des Nicht-Denkens, das Wu-nian ist,

Das Tun des Nicht-Tuns, das Wu-wei ist,Die Anwesenheit der Abwesenheit des Wollens,

Die Dao ist.

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Beseitigung der Unfreiheit

33.

Ursache und Wirkung sind zeitbedingte Manifestatio­nen: zeitlos sind sie eins. Auf der Ebene der Zeit ist Wollen ein kausaler Faktor (eine unmittelbare Ursa­che), selber eine Wirkung.

Wenn der formenbildende Geist (der unnennbare - weil nicht-objekthafte - Faktor, der aller Erscheinung Form gibt) durch den Nebel hindurchscheint, der auf Grund der Identifikation mit einem phänomenalen Objekt entstanden ist, wird Wollen illusionär, da es zum Nebel gehört.

Ursache und Wirkung bleiben bestehen, aber Wol­len als ein verursachender Faktor ist beseitigt. Ein Körper wird noch gelebt durch Verursachung, aber der phänomenale Aspekt des Geistes, der dualistische Spaltungsaspekt von Subjekt-und-Objekt, ist frei von allem, was vom Wollen abhängt, sei es gefühlshaft oder intellektuell, und ist damit befreit.

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34.Dir persönlich

Wenn man das verstanden hat, tief verstanden, gibt es da noch länger einen Grund, warum man sich im Le­ben einer Identifikation mit einem psychosomatischen „Ich" unterwerfen sollte, von dem man nun klar er­kannt hat, daß es nicht ist? Hat man nicht erkannt, daß ein „Ich" nur unser eigenes Objekt ist, erfaßbar wie denkbegrifflich, und daß es nicht sein kann, was wir sind?

Wenn es so ist, ist man frei, sich aus der Fixierung zu lösen und zu leben, wie man ist - denn man „ist, wie man ist", und man muß stets das sein, unter welch illusionären Vorstellungen auch immer man leiden mag. Kann man nicht einfach „frei leben" - gleich Elsa, der Löwin -, ohne unsere „lebenslangen" Bindungen aufzugeben, den „Lebensstand, zu dem es Gott gefal­len hat, uns zu berufen", doch jetzt ohne Affektgebun­denheit? Kann man nicht seinen Part im Spiel des täglichen Lebens spielen, wie der Schauspieler seine Rolle, und unseren Lebenstraum ausleben, schlicht und würdig, wiewohl ohne identifiziert zu bleiben mit ihm oder „ohne ihn ernst zu nehmen", wie man sagt? Neid, Haß und Bosheit werden nicht mehr sein. Rache wird nicht länger wünschenswert scheinen, wir wer­den unverwundbar sein, und wir wissen warum - wir haben es wieder und wieder in den vorhergegange­nen Seiten gesagt -, und somit gibt es keinen, der ein „Uns" verletzen könnte. Liebe und Haß sind durch universalen Segen ersetzt, der sich als Güte und na­türliches Gutsein gegenüber der Welt um uns manife­stiert, die wir als wir-selbst wiedererkennen.

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Wir können dies einfach als noumenales statt phä­nomenales Leben betrachten, obwohl es sein mag, daß rein noumenales Leben eine weitere Stufe der Einsicht bedeutet, ähnlich der, in welcher der Maharshi und die großen Weisen ihr „Leben" ausgelebt haben. Aber Stufen sind Gedankenvorstellungen, und jedes leben­de Ding ist einzig Buddha-Geist (was alles ist, was ein Buddha ist), was immer seine Stufe der Gebundenheit sein mag, und „Stufen" erkennen heißt phänomenal leben.

Die Weisen entsprachen nicht der Vorstellung ir­gendeiner Heiligkeit, ihre phänomenalen Manifesta­tionen waren gelegentlich ganz unfromm. Ihre Phä- nomenalität bleibt nicht auf ihre körperlichen Funk­tionen beschränkt. Sai Baba war oft heftig, obwohl solche Manifestationen nur augenblickshaft und nicht verwurzelt, aber vielleicht absichtlich waren. Unsere Vorstellungen vom Verhalten der Weisen sind nur gedankliche Begriffe, und sie können jedenfalls nicht kopiert werden. Wir müssen noumenal leben - und das bedeutet ein Gewahrsein, das seiner selbst nicht gewahr ist und das keinen Platz für die Bildung von Begriffen hat.

Laßt uns dies tun. Laßt uns selig leben! Ganz gewiß: Wir sind frei, dies zu tun. Vielleicht ist es unsere einzi­ge Freiheit, aber es ist unsere, und es ist nur phäno­menal eine Freiheit. „Frei leben" heißt sein, „wie man ist". Können wir das nicht jetzt und sofort tun? Kön­nen wir es eigentlich nicht-tun? Es ist gar kein „Tun": Es ist jenseits von Tun und Nicht-Tun. Es ist sein-wie- wir-sind.

Das ist die einzige „Praxis".

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Über den Autor

Wei Wu WEI (Terence Grey, 1895-1986), geb. in reicher anglo-irischer Familie in Felixstowe, Suffolk (England). Vollendete seine Ausbildung in Cambridge und ini- tierte ein Theater in der Stadt. Später lebte er in Monte Carlo und erwarb einen Weinberg im Rhone-Tal, wo er eigenen Wein erzeugte. Eine Zeitlang hielt er sich eine Reihe von Rennpferden und gewann in einem Jahr den Goldpokal von Ascot. Als ein Mitglied des Carlton Club fuhr er einen Rolls Royce. Er war zwei­mal verheiratet. In den 1960em reiste er in den Osten und besuchte Lama Govinda in Almora und Arthur Osborne in Tiruvannamalai. Er begegnete John Blofeld in Bangkok und besuchte Taiwan und Hongkong auf der Suche nach den Überbleibseln der Chan-Tradition; in Japan lebte er mit Ogata San und besuchte D.T. Suzuki und Nakagawa So Roshi. Er schrieb mehrere Bücher, von denen bisher nur das vorliegende ins Deutsche übersetzt wurde. Seine klare Art zu denken ist gleichermaßen in daoistischen wie zenbuddhisti­schen Kreisen hoch geschätzt.

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Aus der Reihe „Klassiker der Esoterik"

Avadhuta GitaGesang eines Erleuchteten

Dieses alte indische Werk ist nicht nur eine subtile und stürmische Poesie, es ist ein ekstatisches Lied, das den direkten Weg zur spirituellen Wahrheit zeigt. Es setzt die Gedanken des nicht-dualistischen Vedanta mit allen Konsequenzen fort. Denn wenn man den Nicht- Dualismus zu Ende denkt, kommt man zu einer feine­ren Erkenntnis der letztendlichen Wirklichkeit. Man stellt fest, daß auch der Gegensatz von Dualität und Nicht-Dualität irreführend ist.

Da unser Denken auf dualistischen Konzepten be­ruht, werden in der Avadhuta Gita die Paradoxien dieser Denkweise immer wieder auf paradoxe Weise herausgefordert, so daß der Leser über jeden Abschnitt meditieren muß, weil er die Lösung des Paradoxes nur durch inneres „Gleichgewicht" finden kann. Nur die Wahrheit kann die Quelle des Wissens sein, von der alles weitere kommt.120 Seiten, geb. mit Schutzumschlag ISBN 3-921786-84-3

Wir schicken Ihnen gerne kostenlos unseren Gesamt­katalog mit weiteren Titeln in der Reihe

„Klassiker der Esoterik".Verlag Bruno Martin GmbH

Auf der Höhe 10, D-21394 Südergellersen.Tel.: 04135-414 - Fax: 04135-7745

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In der Tradition der Lehrmeister des Zen und Tao drückt dieses Werk die höchste Weisheit in sprühenden Geistesblitzen aus. "Praxis heißt: Verstehen vertiefen, denn Verstehen ist zuerst ein intuitives Aufblitzen dieser Wahr­heit, dann das willentliche Erreichen dieses intuitiven Aufblitzens und schließlich die dauernde Gegenwart der gewonnenen Ein­sicht."

Wei Wu Wei war Schriftsteller und Sucher, der von Lama Govinda, John Blofeld, D.T. Suzuki, Ramana Maharshi und anderen großen Wei­sen die einfache Erkenntnis gewonnen hat. Seine brillianten Texte, die hier erstmals in deutscher Sprache vorliegen, wurden auf hervorragende Weise von Kennern der Mate­rie übersetzt.

ISBN 3-921786-85-1

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Diese kurzen, beinahe aphori­stischen Gedanken des Bu­ches drehen sich um die Wiedererinnerung der ver­gessenen Urwahrheit, wie sie vor allem in den drei Überlie­ferungen des Tao, des Vedan­ta und des Buddhismus, besonders dessen Ausprä­gung als Zen, am klarsten und vollständigsten enthalten ist. Diese Urwahrheit hat für den abendländischen Men­schen und dessen Denkge­wohnheiten keiner so fast bis zu mathematischer Exaktheit dargestellt wie Wei Wu Wei. Es geht darum, über das intellektuelle Verständnis hin­auszugelangen, in ein Begrei­fen metarationaler, überver­nünftiger Art. Der ganzheitli­che Geist: erlebnishaft, er­fahrbar, spürbar, gefühlt, muß wieder erwachen.Das Entscheidende kann nicht willentlich ausgeführt werden, sondern ist ein Nicht-Tun (Wu-wei), wodurch dem Geist die Kontrolle der äußeren Aktivität überlassen wird.

"Klassiker der Esoterik" 5