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Pflege von Menschen mit Behinderungen im Alter LWL-Abt. für Krankenhäuser und Gesundheitswesen LWL-PsychiatrieVerbund Westfalen

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Pflegevon Menschen

mit Behinderungen

im Alter

LWL-Abt. für Krankenhäuser und GesundheitswesenLWL-PsychiatrieVerbund Westfalen

Pflege von Menschenmit Behinderungen

im Alter

-Beiträge zur Meinungsbildung-

LWL-Workshop

1. März 2007LWL-Klinik Dortmund

Impressum

Veranstalter und Herausgeber:

Landschaftsverband Westfalen-LippeLWL-Abt. für Krankenhäuser undGesundheitswesenLWL-PsychiatrieVerbund Westfalen

Dezernentin Helga Schuhmann-Wessolek

Redaktion: Margarete Weber

Layout: LWL-Print- und Postcenter

Fotos: LWL

Münster, August 2007

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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

I. Vorträge

Begrüßung und Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5Klaus StahlDiplom-Sozialwissenschaftler, LWL-Abteilung für Krankenhäuser und Gesundheitswesen,LWL-PsychiatrieVerbund WestfalenDr. med. Eckhard GollmerModeration, Stadt Münster, Sozialpsychiatrischer Dienst, Psychiatriekoordination

Psychisch behindert und pflegebedürftig- was nun? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6Monika Niehoff-UsterDipl. Pädagogin, Sozialtherapeutin, Dozentin am Berufskolleg für Heilerziehungspflegeder St. Vincenz Gesellschaft Ahlen

Alternde und alte Menschen mit einer geistigen Behinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12Eine Herausforderung für Einrichtungen der BehindertenhilfeOlaf SollbachDipl. Heilpädagoge, Fachleiter Wohnstätten Welver, Sozialwerk St. Georg e.V.

Pflege alter Menschen mit einer geistigen Behinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15Der pflegewissenschaftliche BeitragAndré FringerMaster of Science in Nursing, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für familienorientierteund gemeindenahe Pflege des Institutes für Pflegewissenschaft der Universität Witten-Herdecke

Behinderung, Altern und zunehmende Pflegebedürftigkeit als Herausforderungfür Pflege und Betreuung in stationären Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24Bernhard FleerDipl. Pflegewirt, Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e.V. (MDS),Fachgebiet pflegerische Versorgung

II. Ergebnisse der Arbeitsgruppen

Mögliche Organisationsformen zur Versorgung von Pflegebedürftigen Menschenmit Behinderungen im Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32Klaus StahlMararete WeberDipl.-Verw.-Wirtin, LWL-Abteilung für Krankenhäuser und Gesundheitswesen,LWL-PsychiatrieVerbund Westfalen

Inhaltsverzeichnis

Die demographische Entwicklung macht auch beiMenschen mit Behinderungen keine Ausnahme.Glücklicherweise unterscheidet sich derenLebenserwartung heute nicht mehr signifikant vonder der übrigen Bevölkerung. Verbunden mit demProzess des Älterwerdens ist jedoch oftmals auchdie zunehmende Pflegebedürftigkeit. Ein erhebli-cher Anteil der Menschen, die in den Einrichtun-gen der Behindertenhilfe leben, ist bereits heutepflegebedürftig. Während von pädagogischerSeite die damit verbundenen Herausforderungenan das Hilfesystem schon seit einiger Zeit disku-tiert werden, hat sich die Pflege dieses Themasbisher noch nicht angenommen.

Mit dem Workshop am 01.03.07 hat der LWL die-ses aktuelle Praxisthema der bedarfsgerechtenPflege von Menschen mit Behinderungen aufge-griffen mit dem Ziel, Perspektiven für zukünftigeVersorgungsstrukturen zu entwickeln.

Nachdem Vormittags unterschiedliche Sichtweisenaus der Perspektive der Pädagogik und derEingliederungshilfe in Vorträgen vermittelt wurden,

schloss sich am Nachmittag eine lebhafteDiskussion zu möglichen Organisationsformenzur Versorgung von pflegebedürftigen Menschenmit Behinderungen im Alter in zwei Arbeits-gruppen an.

Dabei wurden Fragen der Anforderungen angeeignete Settings zur Betreuung und Pflege älte-rer geistig, psychisch und suchtkrank behinderterMenschen aus unterschiedlichen fachlichenBlickwinkeln beantwortet.

Wir hoffen, dass die vielfältigen Diskussions-beiträge dazu dienen können, die Pflegeangebotefür Menschen mit Behinderungen bedarfsgerechtweiterzuentwickeln.

Helga Schuhmann-WessolekLandesrätinLWL-Krankenhausdezernentin

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Vorwort

Im Namen des LWL-PsychiatrieVerbundesWestfalen begrüße ich Sie in der LWL-KlinikDortmund.

Die Ankündigung der Fachtagung hatte mit über150 Anmeldungen eine sehr gute Resonanz.Wegen der begrenzten Raumkapazitäten konntenjedoch nur jeweils ein/eine Verbands- oderEinrichtungsvertreter/in eingeladen werden.

Mit der Veranstaltung möchte der LWL-Psychia-trieVerbund Westfalen einen konkreten Beitrag zurDiskussion der Frage liefern, welche realistischenMöglichkeiten es gibt, dem in den nächstenJahren steigenden Bedarf an pflegerischerVersorgung für behinderte Menschen im Alternachzukommen. Hier ist versorgungspolitischeVorsorge zu treffen, um nicht Gefahr zu laufen,schlechte Ad-hoc-Lösungen finden zu müssen,wenn die Bedarfssituation sich zuspitzt.

Der Veranstalter möchte mit diesem Diskussions-angebot nicht dazu beitragen, die auch imBehindertenbereich „älter werdende Gesellschaft“als Bedrohungsszenario zu begreifen. Im Gegen-teil, wir sollten stolz darauf sein, dass der gesell-schaftliche Fortschritt ein höheres Alter auch fürbehinderte Menschen möglich macht.

Der Zugang dieser Fachtagung zur Fragestellungsoll ein praxisnaher sein. Die Arbeitserfahrungender Teilnehmer/innen sollen zum Ausgangspunktversorgungspolitischer Entwürfe gemacht werden.

Mit Dank an die Referenten/innen wünsche ichuns einen konstruktiven Dialog.

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Begrüßung und Einführung

Klaus StahlDiplom-Sozialwissenschaftler, LWL-Abteilung für Krankenhäuser und Gesundheitswesen,LWL-PsychiatrieVerbund Westfalen

Gliederung

1. Vorspann

2. Überlegungen zur Tagesstruktur anhand derSeniorenabteilung des Stift Tilbeck

3. Überlegungen zu Wohnkonzepten für psy-chisch beeinträchtigte Menschen mitPflegebedürftigkeit anhand der Pflegeabteilungdes St. Josephheims Neubeckum

4. Überlegungen zu besonderen Problemfeldernbestimmter Personenkreise

– Über Fünfundsechzigjährige

– Chronisch mehrfach beeinträchtigteAbhängige

– Ältere behinderte Menschen in denVersorgungsstrukturen der ambulantenDienste

5. Resümee

1.Vorspann

Sehr geehrter Herr Stahl,sehr geehrter Herr Dr. Gollmer, sehr geehrte Damen und Herren

Zunächst einmal möchte ich mich für die freundli-che Begrüßung und für ihreEinladung zu dem Thema psychisch behindertund Pflegebedürftigkeit referieren zu dürfen,bedanken.Dieses Thema, das mich seit Anbeginn meinerberuflichen Tätigkeit im Rahmen derBehindertenhilfe begleitet und beschäftigt, hat vonseiner Aktualität nichts verloren. Im Gegenteil, eswird uns nach meinem Dafürhalten in den kom-menden Jahren noch weitaus mehr beschäftigen

als wie bisher, und wir alle, Fachleute vor Ort inden Heimen und ambulanten Diensten, aber auchbei den Kosten- und Leistungsträgern aber auchin den Ausbildungsstätten, tun gut daran, unsintensiv mit den Fragestellungen zu befassen.

Dieses zu unterlassen, wäre aus Sicht derLeistungsanbieter unternehmerischer Leichtsinn,denn wie allgemein in der Gesellschaft nimmtauch unter den behinderten Menschen der Anteilder Pflegebedürftigen und Hochbetagten zu, imVerhältnis zur allgemeinen gesellschaftlichenEntwicklung sogar überproportional. Die Gründehierfür sind vielfältig. Ich setze sie als allgemeinbekannt voraus, da es den Rahmen meinesVortrages sprengen würde, hier jetzt differenzierterdarauf einzugehen.

Wir brauchen in naher Zukunft dem speziellenHilfebedarf dieses Personenkreises angepassteflexible Betreuungskonzepte undOrganisationsstrukturen, und ich hoffe mit meinemVortrag einen kleinen Beitrag zur begonnenenDiskussion beitragen zu können.

Im Fokus der Diskussion in der Fachöffentlichkeithaben bislang aber eher immer Menschen miteiner geistigen Behinderung gestanden, wenigerdie mit einer psychischen Beeinträchtigung. Diesgilt erst recht für die Menschen, die aufgrundeines oft jahrelangen Drogen- undAlkoholmissbrauches in unserenBehinderteneinrichtungen leben.Ich möchte mich von daher besonders diesen bei-den Personengruppen zuwenden.

Da meine Überlegungen und Fragestellungen, dieich Ihnen jetzt unterbreiten möchte, Ausdruck vonErfahrungen und Diskussionen vor Ort sind undweniger das Ergebnis theoretischerAuseinandersetzung mit dem Thema, gestattenSie mir einen Rückblick auf meinen beruflichenWerdegang in der Behindertenhilfe, immer Bezugnehmend auf unsere Fragestellung.

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Psychisch behindert und pflegebedürftig – was nun?Ein Erfahrungsbericht

Monika Niehoff-UsterDiplom-Pädagogin, Sozialtherapeutin und Dozentin am Berufskollegfür Heilerziehungspflege der St. Vincenz-Gesellschaft mbH in Ahlen

2.Überlegungen zur Tagesstruktur

1991 nahm ich meine Tätigkeit als Pädagogin imStift Tilbeck auf. Dabei handelt es sich um eineder sogenannten Komplexeinrichtungen mit einerüber hundertjährigen Tradition in der Behinderten-hilfe, und mit über 450 Bewohnerinnen undBewohnern sowohl mit geistiger als auch psychi-schen Behinderungen einer der großen Anbieterim Münsterland. Mein Bild von behindertenMenschen entsprach zu diesem Zeitpunkt demeher allgemein üblichen „Aktion-Sorgenkind“ –Behinderten.

Geistig behindert mit einem Down-Syndrom, imWohnheim lebend und die Werkstatt besuchend.Daneben hatte ich noch eine Vorstellung vonSchwerst-Mehrfach-Behinderten, die nicht in derLage waren, eine Werkstatt zu besuchen, aberauch alle jünger waren und an heilpädagogischenMaßnahmen teilnahmen.

Auf ältere Menschen, ja sogar Hochbetagte, mitpsychischen Behinderungen oder auch geistigbehindert und eben nicht mehr in der Werkstatt,war ich nicht eingestellt.

Genau mit diesem Personenkreis bekam ich esaber auch im Rahmen meiner Tätigkeit zu tun.Meine Kollegen und ich stellten rasch fest, dassman im Stift, bei all seiner Komplexität, derAusgefeiltheit seines Betreuungsangebotes, fürdiese Menschen offenbar kein adäquates Angebotin der Tagesstruktur vorhielt. Auf das Älterwerdenihrer Bewohnerschaft im größeren Maßstab mitden entsprechenden Konsequenzen war mannicht eingerichtet. So gerieten die Wohngruppendie auf einmal eine Seniorin tagsüber auf derGruppe zu betreuen hatte, in Nöte, weil man kon-zeptionell und das hieß oft auch personell, garnicht auf eine ständige Besetzung eingerichtetwar. Es tauchten aber auch bei zunehmenderPflegebedürftigkeit Probleme auf, die gelöst wer-den mussten: Angefangen von unzureichendenräumlichen Strukturen bis hin zu nicht ausreichen-den Kenntnissen des Alterungsprozesses bis hinzu ungenügenden Kenntnissen fachgerechterGrund- und Behandlungspflege.

Wir im Freizeitbereich waren mit der Tatsachekonfrontiert, dass unser Angebot ebenfalls eherauf die Bedürfnisse der jüngeren noch imArbeitsleben stehenden BewohnerInnen ausge-richtet war. Und das hieß, werktags begannenunsere Angebote nicht vor 18.00 Uhr, und an denWochenenden standen große Ausflüge, Diskosund Tanzveranstaltungen auf dem Programm.Damit trafen wir die Bedürfnisse der Jüngeren

nach Ausgleich und Bewegung und Action, weni-ger aber die der älteren und pflegebedürftigeren.Die intensive Auseinandersetzung mit derThematik führte letztendlich zur Schaffung eineseigenen Seniorenbereiches als tagesstrukturieren-de Maßnahme zu den werkstattüblichen Zeiten.

Aber auch hier mussten wir uns zunächst einmalmit der Erkenntnis auseinandersetzen, dass es –genauso wenig wie es den Menschen mitBehinderung gibt, nicht den Menschen mitBehinderung im Alter und erst recht nicht auchnoch mit Pflegebedürftigkeit gibt. Unsere Palettemusste von daher ganz unterschiedlicheAngebote hinsichtlich Mobilität, Belastbarkeit,Alterungsprozess, Berücksichtigung spezifischerpflegerischer Handgriffe und Abläufe,Ermüdbarkeit etc. beinhalten. Biographiearbeit,Kenntnisse alten Liedgutes und alter Traditionen,z.B. auch alter Kochrezepte, Gedächtnistraining,etc waren auf einmal ebenso gefordert wie dieKenntnis um Michael Jacksons neuesten Hit.

Junge Kollegen, dem Alter eher der Enkel-Generation näher stehend, mußten sich mit einerLebenswelt auseinandersetzen, die sie selber z.T.nur noch über das Hörensagen der eigenen Groß-oder Urgroßeltern kannengelernt hatten. Dazugehörte auch die Auseinandersetzung mit einemNorm- und Wertegefüge, das in vielen Punktennicht mehr dem ihren entsprach. So erinnere ichmich beispielsweise an eine lange heftigeAuseinanderssetzung zwischen einer Kollegin undeiner Bewohnerin über das Tragen von Strumpf-hosen. Von der jungen Kollegin wegen Bequem-lichkeit sehr favorisiert, von der Bewohnerin hef-tigst abgelehnt, die aus Gewohnheit nicht vonihren Strümpfen, vor allem aber nicht von ihremHüfthalter lassen mochte.

Und wir mussten die Auseinandersetzung mit denKollegen führen, dass das Vorhalten einer eigenenTagesstruktur für Senioren nun kein nahtloserErsatz für Werkstatttätigkeit und damit auchVersorgtsein bedeutete, sondern dass Freiwilligkeitan der Teilnahme ein Grundsatz unserer Arbeitwar, und zum anderen Senioren auch ein Rechtauf: Ich will meine Ruhe, ich möchte zuhausebleiben, “ haben. Das Thema „Wohnsituation“bedurfte anderer Lösungen.

Genauso wie mit dem Ausscheiden eines nicht-behinderten Menschen aus dem Berufslebenseine Lebenswelt und seine Lebensqualität sichverändern, so gilt dies generell auch für alle behin-derten Menschen nach Ausscheiden aus derWerkstatt. Eintretende Pflegebedürftigkeit ist dabeinur ein spezieller Aspekt.

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3.Überlegungen zu Wohnkonzepten

Vor zehn Jahren, also 1997, wechselte ich dannzu meinem jetzigen Träger, der Caritas-Träger-gesellschaft Nord im Kreis Warendorf, seit 2006umbenannt in St. Vincenz-Gesellschaft. Träger derSt. Vincenz-Gesellschaft sind wiederum dieSt. Mauritz-Franziskanerinnen.

Die St. Vincenz-Gesellschaft unterhält ein Kran-kenhaus, ein Alten- und Pflegeheim, eine Kran-kenpflege- und Hebammenschule, sowie dasBerufskolleg für Heilerziehungspflege, für das ichseit Oktober tätig bin, sowie drei große stationäreEinrichtungen der Behindertenhilfe und ambulanteDienste (FUD und Bewo). Insgesamt werden 455Menschen unterschiedlichen Behinderungsformenund Grade betreut. Zu dem Angebot gehöreneben auch zwei Pflegeabteilungen, speziell fürMenschen mit Behinderungen mit derzeit 87Plätzen sowie auch eine spezielle Abteilung fürchronisch mehrfach geschädigte Abhängige.

1997, übernahm ich zunächst einmal die Leitungdes St. Josephheimes in Neubeckum, späterdann die Gesamtleitung der Behindertenhilfe. Zudem Zeitpunkt liefen gerade die Verhandlungenmit dem Lwl über die Umwandlung von 47 Plät-zen aus der Eingliederungshilfe in eine SGB XIAbteilung.April 98 wurde sie dann in Betrieb genommen.Ich gebe gerne zu, dass ich als überzeugtePädagogin zu Anfang mit der Entscheidung mei-nes Trägers gar nicht glücklich war. Die Diskus-sionen darüber, wann endet Eingliederungshilfe,wann beginnt Pflege, das Denken in Schablonenvon entweder- oder, hat damals und zum Teilheute noch viele Diskussionen bestimmt. Heutebin ich dankbar für den Weg, den wir gegangensind. Anderen Falls wäre es ja auch nicht zurEröffnung der zweiten Pflegeabteilung im St.Vinzenz am Stadtpark gekommen. Ich möchteaber betonen, dass ich dabei die Schaffung einerspeziellen Abteilung nur als einen gangbaren Wegansehe, der sich bei meinem Träger aufgrund sei-ner Struktur und seiner Funktionssysteme anbot.

1998 jedenfalls fand ich eine bunt gemischteAbteilung vor, bei der ich den Eindruck hatte, dassdie Zuweisung der Bewohner in erster Linie sichan zwei Kriterien ausgerichtet hatte: nach Lebens-alter und /oder Schweregrad an Pflegebedürftig-keit. Eine meiner ersten Aufgaben bestand darin,hier zunächst einmal eine Differenzierung vorzu-nehmen. Die räumlichen Strukturen - vier Wohngruppen á12 bzw. 13 Bewohner gaben uns hierbei dieäußere Form vor.

Eine Wohngruppe - aus geistig behindertenMenschen bestehend, kann ich hier in unseremZusammenhang jetzt in der Darstellung einmalvernachlässigen.Aber auch die Gruppe der psychisch behindertenMenschen, die den weitaus größeren Teil stellten,war in sich sehr unterschiedlich, so dass dreiGruppen mit unterschiedlichen Konzepten undSchwerpunkten entstanden und bis heute beste-hen.

Die erste Gruppe setzte sich zusammen ausBewohnern in höherem und hohem Lebensaltermit hohem Pflegebedarf. Anders als bei Men-schen mit geistiger Behinderung ist das Erreichender Lebensspanne 80 bis 100 bei psychischbehinderten trotz langjähriger chronischer Erkran-kung keine Seltenheit. Es liegt in der Natur derSache, dass das Risiko, im hohen Lebensalterauch pflegebedürftig im Sinne des SGB XI zu wer-den, steigt. In dieser Gruppe überlagert diePflegebedürftigkeit den Hilfebedarf, der sich ausder Primärbehinderung ergibt.

Die zweite Gruppe bestand aus vorwiegendnoch mobileren psychisch kranken Bewohnern,und ich spreche jetzt bewusst von krank. Hier hat-ten wir es mit einem Phänomen zu tun, dass sichim Laufe der zehn Jahre eigentlich immer wiederbestätigt hat.In der vorwiegend aus psychisch behindertenMenschen bestehenden Bewohnerschaft derEinrichtung St. Joseph machten wir die Erfahrung,dass anders als bei Nicht-Behinderten, bei denendas Eintrittsalter von Pflegebedürftigkeit undEinzug ins Heim bei 85sten Lebensjahr durch-schnittlich liegt, dass bei unseren Bewohnern mitAnfang bis Mitte 70 ein Abbauprozess eintrat, dereinen Verbleib in den Außenwohngruppen kaumerlaubte. Offenbar besteht ein Zusammenhangzwischen langjährigem Psychopharmakakonsumeinerseits und eintretender Herz-Kreislaufsympto-matik, Inkontinenz und zunehmender Sturzge-fährdung andererseits. Vor allen die Herz-Kreislauf-symptomatik hatte zur Folge, daß die Psycho-pharmaka deutlich reduziert werden mussten. Dieshatte wiederum zur Folge, dass die untergründigja immer vorhanden gewesene akute psychischeSymptomatik wieder zum Vorschein kam. Dieserhieß es jetzt mit anderen Mitteln und Konzepten zubegegnen. Hier nimmt die psychiatrische Pflege,der pädagogisch fachliche Umgang mit der psych-iatrischen Symptomatik sicherlich einen genausohohen Stellenwert ein wie klassisch pflegerischeAufgaben der somatischen Pflege.Unter anderem bedeutete dies hohe Fachlichkeit

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der Mitarbeiter, Schulungen und Weiterbildung inder Thematik psychische Erkrankung, Vorhaltentagesstukturierender Angebote, enge Begleitungdurch Supervisoren und Ärzte.

Die dritte Gruppe bildete sich im Laufe der Zeitzu einer Gruppe für Personen jüngeren Altersaus, die aufgrund zumeist exogen verursachterhirnorganischer Beeinträchtigungen auf stationäreHilfe angewiesen waren. Also, z.b. Motorradfahrernach schwerem Unfall, Berufsunfallopfer, aberauch Sechzigjährige nach Schlaganfall, Herzinfarktund Zustand nach Reanimation, oder auch Men-schen nach einem mißglückten Selbstmord-versuch, Querschnittsgelähmte im Rollstuhl etc.Die Altersspanne reichte hier von Mitte 20 bisMitte 60.

Während wir zu Beginn unserer Inbetriebnahmevom Klientel her ja zunächst auf unsere eigeneBewohnerschaft und auf die der nahe umliegen-den Häuser eingestellt waren, sprach sich dasVorhandensein unserer Abteilung gerade für diejüngeren massiv pflegebedürftigen herum. Z. T. alsaustherapiert geltend, waren sie, weil auf stationä-re Hilfe angewiesen in übliche Einrichtungen derAltenhilfe gezogen. Über Folgen und Konse-quenzen brauche ich hier nicht zu sprechen. Alleindas Zusammenleben mit Menschen, die sich ineiner vergleichbaren Lebenssituation befandenund in einem vergleichbaren Alter waren, löste beietlichen einen Motivationsschub und eineRessourcenentwicklung aus, die es uns ermög-lichte, einen erheblichen Anteil von ihnen in dieWFB einzugliedern. Unterstützt wurde dies durchein stark rehabilitativ ausgerichtetes Konzept,durch ein enges Zusammenwirken eines multipro-fessionellen Teams, verstärkt durch intensivenEinsatz über Ergotherapie, Logopädie undPhysiotherapie auch von außen, und durch dasNutzen der Möglichkeiten die uns unser Trägereinfach aufgrund seiner Vielfalt bot. Damit aber begann die große Konfusion bei denKostenträgern. Pflegebedürftig, in einer SGB XI-Abteilung lebend, z. T. Leistung der Pflegever-sicherung beziehend, und dann WFB- Tätigkeit,also eigentlich ein Fall der Eingliederungshilfe, dasging nicht!!

Letztendlich führte diese aus Sicht der Kosten-träger unhaltbare Situation dazu, dass wir dieseBewohner, deren Eingliederung in die WFB dauer-haft gelang, dann wieder in den Eingliederungs-bereich überführen konnten. Nicht in jedem Fallgelingt es, es gibt auch Rückschläge , aber dannist ein Verbleib in einer Wohngruppe der Pflege,die altershomogen ist und deren Bewohnerlebensgeschichtlich ähnliche Erfahrungen haben,

immer noch förderlicher als ein Verbleib in derklassischen Altenhilfe.

Kehrseite der Medaille- und damit wird ein ande-res Problem sichtbar, das aus dem nebeneinanderzweier Hilfearten entsteht, dass ein Bewohner, derAnspruch auf Leistung nach dem Pflegever-sicherungsgesetz hat und nun wieder in denBereich der Eingliederungshilfe wechselt, diesenAnspruch bis auf eine im Verhältnis geringePauschale verliert. Ich erinnere mich an einen Fall,wo aus nachvollziehbaren ökonomischen Gründenein Achtundzwanzigjähriger zurück wechselte ineine Einrichtung der Altenhilfe.

4. Überlegungen zu speziellen Gruppen

Über fünfundsechzigjährige

Wie an anderer Stelle schon erwähnt, waren wirzu Beginn unserer Betriebsaufnahme eher aufunsere eigene Bewohnerschaft oder auf pflegebe-dürftige Bewohner anderer Behindertenein-richtungen eingestimmt. Nun kamen aber auchAnfragen auf uns zu, die wir gar nicht im Blickfeldhatten. Ich spreche von dem Menschen im höhe-ren Lebensalter, also die über fünfundsechzigjähri-gen, die entweder zu den psychisch Spät-Erkrankten zählten oder die sich im Laufe ihresLebens mittels Angehöriger und anderer Hilfenalleine helfen konnten. Der Hilfebedarf bestandeigentlich eher in dem krankheitsbedingten hohendauerhaften Aufsichtsbedarf, weniger in derPflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI. EineAufnahme und Betreuung im Sinne der Einglie-derungshilfe hätte im Individualfall durchaus seineBerechtigung. Jeder, der aus der Praxis stammt,weiß aber, wie schwierig es inzwischen für überfünfundsechzugjährige es ist, Eingliederungshilfezu erhalten. Jeder Praktiker weiß auch, wie müh-selig Gespräche mit den unterschiedlichstenSozialhilfeträgern geworden sind, seitdem derLWL sich als Kostenträger für diese Altersgruppezurückgezogen hat. Im Gegenteil, ich befürchte,dass trotz anders lautender Postulate die Koppe-lung der Eingliederungshilfe an das Lebensalternoch längst nicht vom Tisch ist.Andererseits fiel es den Betroffenen, also den Er-krankten, ihren Angehörigen und manchmal auchihren Betreuern, leichter, einer Aufnahme in einerspeziellen Pflegeeinrichtung zuzustimmen denneiner Aufname in einer Behinderteneinrichtung.Gerade Späterkrankten fällt es oft leichter, sich alspflegebedürftig zu akzeptieren, nicht aber die psy-chische Erkrankung im Sinne einer Behinderungals Teil des eigenen zukünftigen Lebens.

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Überlegungen zu chronisch mehrfach beein-trächtigten Abhängigen

Wenden wir uns nun einer vermeintlich kleinen,ganz speziellen Gruppe zu. Ich meine dieMenschen mit chronischen Suchterkrankungen.Dieser Personenkreis nimmt in der allgemeinenDiskussion in der Behindertenhilfe bislang wenigRaum ein. Zahlenmäßig ist er nach meinemWissen bisher auch nicht sehr stark vertreten.

Chronisch Alkoholkranke tauchen bislang in denStatistiken bisher oft aber auch als psychischkrank auf oder sie werden auf Grund ihrerMultimorbidität in den Einrichtungen der Altenhilfemit versorgt. Aber auch dies ist ein Personenkreis,der in Zukunft uns weitaus stärker beschäftigenwird als bisher. Dafür sprechen zum einen dasimmer jünger werdende Eintrittsalter in denAlkohol- und Drogenkonsum; somit sinkt auchdas Altersdurchschnitt, wo körperliche und vorallem Hirnleistungsschäden manifest werden, undwir bekommen es zu tun mit Konsumenten illega-ler Drogen, die so langsam ins Rentenalter kom-men. Unter Fachleuten ist der Begriff„Amsterdam-Rückkehrer“ durchaus nicht fremd.Ich erwarte zwar keinen dramatischen Ansturm,aber auch hier müssen wir uns rüsten undAntworten parat haben.

Ebenso wächst der Anteil chronisch alkoholab-hängiger Menschen. Das Eintrittsalter in dieAlkoholikerkarrieren sinkt. Einmal unterstellt, daßes ca. dreißig Jahre braucht, bis ständiger massi-ver Alkoholmißbrauch zu massiven irreparablenFolgeschäden führt, ist die Prognose zulässig, daßwir es in zehn bis zwanzig Jahren mit einem deut-lich wachsenden Anteil vierzig bis sechzigjährigerAlkoholgeschädigter zu tun bekommen, und zwarebenso Männer wie Frauen.

Chronisch mehrfach beeinträchtigte Abhängige(CMA), so der Terminus technicus, stellt diebetreuenden Einrichtungen, insbesondere aberdie klassische Altenhilfe, derzeit vor großeSchwierigkeiten. Gerade letztere sind in ihrenAngebotsstrukturen auf eher alterstypischeVeränderungen und Morbiditäten ausgerichtet undnicht so sehr auf die an der Suchterkrankung ori-entierten betreuerischen Erfordernisse eines eherjüngeren, chronisch mehrfach beeinträchtigtenKlientel. Problematische Verhaltensweisen wienach wie vor bestehender Suchtdruck, Unfähigkeitund Unwille zur Abstinenz, nicht kooperatives undaggressives Verhalten, sozial unangepassteVerhaltensweisen und das alles gepaart mit einerim vergleich großen körperlichen Mobilität stellenMitarbeiter aber auch Mitbewohner einer klassi-schen Altenhilfeeinrichtung vor große Probleme.

Gleichzeitig stellt diese Klientel aufgrund der durchden massiven Alkoholkonsum verursachten multi-plen Organschäden hohe Anforderungen an diepflegerische Kompetenz.

Ältere behinderte Menschen in den Ver-sorgungsstrukturen der ambulanten Dienste

Es kommt aber noch eine weitere Gruppe von„Rückkehrern“ auf uns zu: und jetzt mache ich aufein Problem aufmerksam, das zu einem Zeitpunkt,bei dem die Ambulantisierung und das persönli-che Budget mit seinen Möglichkeiten das Denkenin Öffentlichkeit und Politik bestimmt, nicht geradeim Vordergrund der Diskussion steht. Ich sprechevon den Rückkehrern aus dem Bewo in stationäreoder teilstationäre Angebote der Behinderten- undAltenhilfe. Auch das Ambulante Netz stößt mit sei-nen bisherigen Versorgungsstrukturen an seineGrenzen. Hier ist es zurzeit weniger die Frage ein-setzender Pflegebedürftigkeit, die mit ambulantenPflegediensten aufgefangen werden kann, son-dern zunehmend die Frage nach der Tages-struktur bei Ausscheiden aus der WfbM oder demArbeitsleben. Hier bedarf es konzeptioneller undflächendeckender Lösungen.

Aber auch hier gilt, wie allgemein gesellschaftlichdiskutiert brauchen auch wir in der Behinderten-hilfe Diskussionen und alternative Wohnkonzepteim Alter. Spezielle Abteilungen sind nur ein Teil derAntwort.

5.Resümee

Lassen Sie mich nun zum Schluß meines Vortra-ges versuchen, die Praxisschilderungen zu einigenAussagen zusammenzufassen und Thesen für diespätere Diskussion zu formulieren.

– Behinderte Menschen werden, wie dieGesamtbevölkerung immer älter. Der Anteilder über fünfundsechzigjährigen wächst dabeistetig.

– Alle Behinderteneinrichtungen werden sichzukünftig dieser Thematik stellen müssen.

– Im Fokus der Fachöffentlichkeit stehen inHinblick auf unser Thema derzeit eher nochMenschen mit einer geistigen Behinderung. Esist höchste Zeit, sich den speziellen Frage-stellungen der psychisch behinderten Men-schen verstärkt zuzuwenden.

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– Gemessen an der Prognose der sich verän-dernden Altersstruktur und des sich darausableitenden Hilfebedarfs ihrer Klientel müssendie Einrichtungen und ihre Träger Antwortenfinden auf Fragen

– ihrer räumlich-sachlichen Ausstattung

– der Alltagsgestaltung ihrer in Ruhestandgehenden bzw. befindlichen Bewohner (Fragender Altersteilzeit, Vorruhestandsregelung,Tagesstruktur, Freizeitangebote etc.)

– der Anpassung der Qualifikation desBetreuungspersonals an den sich wandelndenHilfebedarf

– des Einsatzes multiprofessioneller Teamssowohl in den Systemen der Altenhilfe und derEingliederungshilfe und der gegenseitigenAkzeptanz als Fachkraft

– Schaffung der gesetzlichen Voraussetzungendafür

– Vernetzung von Angeboten der Altenhilfe undder Behindertenhilfe

– Kooperation beider Hilfesysteme

– Durchlässigkeit beider Hilfesysteme

Altwerden und pflegebedürftig sein, ist bei behin-derten Menschen, wie bei nicht behinderten, nichtidentisch.Der Alterungsprozeß verläuft individuell, und wirsind gefordert, für die Menschen, die sich unsanvertrauen, passende Antworten und Lösungenzu finden. Ich hoffe ich kann ein wenig dazu bei-tragen.

Ich danke für ihre Geduld.

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Gliederung des Vortrags

1. Kurze Vorstellung der Einrichtung WohnstättenWelver

2. Das Phänomen des Alterns aus verschiedenenPerspektiven

3. Darstellung der Herausforderungen

4. Kernaussagen

5. Leitideen

6. Ausgewählte Handlungsfelder

– Gestaltung der nachberuflichen Phase

– Das Versprechen vom lebenslangenWohnrecht

– Eingliederungshilfe versus Pflege- zweiKönigskinder-

– Bedeutung der individuellen Betreuungs-planung

– Möglichkeit einer sinnvollen Beschäftigungin der Tagesstätte

1. Vorstellung der Einrichtung

1. Die Wohnstätten Welver

– Gemeindeintegrierte Einrichtung derEingliederungshilfe für insg. 65 Menschenmit einer geistigen Behinderung

– Unterschiedliche Wohnformen(Wohngruppen für 6- 9 Personen,Appartements, Außenwohngruppen)

– Angebot einer Wohngruppe für Personenmit einem erhöhten Pflegebedarf

– Ausbildung der Mitarbeiterinnen(Altenpflegerinnen, Erzieherin,Ergänzungskräfte)

– Tagsstrukturierenden Angebote -Kurzvorstellung

2. Das Phänomen des Alterns aus verschie-denen Perspektiven

2.1 Das Altern aus der Sicht der …Menschen mit einer geistigen Behinderung

– Eigene Wahrnehmung vonAlterungsprozessen

– Auseinanderklaffen von biologischem Alterund sozialer Alterseinschätzung

– Wohn- und Betreuungserfahrungen alsprägende biografische Ereignisse

– Versorgung u. Verwahrung bis in die 80-erJahre

– Menschen mit geistiger Behinderung alsscheinbar „zeitlose Wesen“

– Ansprache von Klienten

– Prägung des Selbstbildes durch denAbgleich von Selbst- und Fremdbild

– Individuelles Betreuungssetting

– Außenkontakte werden nach Möglichkeitaufrecht erhalten

– Einsatz von ehrenamtlichen Kräften, bzw.Honorarkräften

– Erschwerte soziale Teilhabe bei hoherPflegebedürftigkeit

2.2 Das Altern aus der Sicht …der MitarbeiterInnen

– MitarbeiterInnen erleben sich im Umgangmit alternden Menschen oft als nicht aus-reichend qualifiziert

– Oftmals hat die Arbeit mit diesem Klientelkein hohes Prestige

– Schwierigkeiten im Umgang mitKompetenzabbau und Stagnation vonEntwicklung

– MitarbeiterInnen müssen sich mit Tod undSterbebegleitung auseinandersetzen

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Alternde und alte Menschen mit einer geistigenBehinderungEine Herausforderung für Einrichtungen der Behindertenhilfe

Olaf SollbachSozialwerk St. GeorgDipl. Heilpädagoge u. FachleiterDortmund, 01.03.2007

2.3. Das Altern aus der Sicht der …Institutionen

– Das Altern der Menschen als konzeptionel-le und personelle Herausforderung

– Wie können MitarbeiterInnen sinnvoll quali-fiziert werden

3. Auf folgende „Herausforderungen“ müssenAntworten gefunden werden

– Wohneinrichtungen der Behindertenhilfehaben den Personaleinsatz darauf ausge-richtet, dass die Personen die WfbM besu-chen.

– Was geschieht mit der Mehrzahl anbehinderten Personen, die bei den Elternwohnen?

– Wie müssen tagesstrukturierendeAngebote gestaltet werden?

– Wann stellt sich die Frage nach der Ab-grenzung der Behindertenhilfe zur Altenhilfe(Teilhabe versus Pflege); Wer trifft die Ent-scheidung?

– Wie können ambulante Hilfen ausgebautwerden, so dass eine stationäre Aufnahmenicht, bzw. zu einem späteren Zeitpunktnotwendig ist?

– Wie gehen Einrichtungen damit um, wennsie sich schrittweise zu Pflegeheimen ent-wickeln?

– Wie werden MitarbeiterInnen für diesesArbeitsfeld fortgebildet?

– Welche Lebensräume kommen denBedürfnissen dieser Personengruppe ent-gegen?

– Entsprechen die baulichen Gegebenheitenden Bedürfnissen dieser Personengruppe?

– Nach welchen Kriterien sollenWohngruppen zusammengesetzt werden?Homogen versus heterogen

4. Kernaussagen

– Lebenserwartung von Menschen nähertsich der Gesamtbevölkerung an

– Fehlende statistische Daten in Deutschlandmit der Folge, dass bedarfsgerechteAngebote nicht entwickelt werden können

– „Es gibt nicht den alternden geistig behin-derten Menschen“

– Unterscheidung zwischen angeborenerund im Erwachsenalter erworbenerBehinderung

– Starre Altersgrenzen sind wenig sinnvoll

– „Das Alter ist weiblich“

– Abgrenzung Altenhilfe von Behindertenhilfe(Pflege versus Teilhabe)

Bedürfnislagen und Hilfebedarfe sind so unter-schiedlich, dass nicht von einer „HomogenenGruppe“ gesprochen werden kann. (DifferenzierteVersorgungsstruktur)Kategorisierung von Menschen mit einer geistigenBehinderung nach dem Kriterium„Pflegebedürftigkeit“

Disziplinübergreifend wird anerkannt, dass Alternvon physischen, psychischen, gerontologischenund sozialen Faktoren beeinflusst wird und pro-zesshaft ist

Begleitung und Förderung zur Selbstbefähigungund Selbstbestimmung als zentrale handlungslei-tende Maxime

5. Leitideen

– Selbstbestimmte Teilhabe am Leben in derGesellschaft ist ein Bürgerrecht

– Grundbedürfnisse behinderter Menschenunterscheiden sich nicht von denenNichtbehinderter im gleichen Alter

– Nach Möglichkeit Verbleib im eigenenUmfeld/Wohnort

– Gemeindeintegrierte Wohnformen solltenfavorisiert werden

– Finanzierbarkeit von Wohnformen

– Individuelles Betreuungssetting u. teilhabe-orientierte Pflege

6. Ausgewählte Handlungsfelder

6.1 Gestaltung des Übergangs vom Arbeitslebenin der WfbM in den Ruhestand (vgl. StudieProf. Mair)

– Tagesstrukturierung des Lebens vonMenschen mit geistiger Behinderung durchden Besuch der WfbM

– Frühzeitige Vorbereitung auf denRuhestand

6.2. Das Versprechen vom lebenslangenWohnrecht

– Grundforderung nach dem Recht auflebenslanges Wohnen

– Entspricht diese Forderung demNormalitätsprinzip?

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– Sind Personen mit einem erhöhtenPflegebedarf tatsächlich in einemWohnheim besser aufgehoben?

– Wer profitiert von dieser Forderung?(Angehörigen, Träger oder Betroffene)

– Wohnortwechsel als gravierenderEinschnitt im Leben

6.3 Eingliederungshilfe versus Hilfe zur Pflege – Zwei Königskinder-

– Behindertenhilfe als Eingliederungshilfenach §§ 53 ff.SGB XII

– Zielrichtung: Ermöglichen oder Erleichternder Teilhabe am Leben in derGemeinschaft

– Eingliederungshilfe als weit gefasster päd-agogischer Ansatz

– Pflegeleistungen als integraler Bestandteilder Eingliederungshilfe

– Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff. SGB XII): tenden-ziell wird mehr die Aufrechterhaltung derKörperfunktionen gewichtet

– Dynamischer versus statischer Charakterder Hilfeart

– Konsequenzen aus der zugrunde liegen-den Hilfeart

– Trennung von Pädagogik und Pflegekonnte bereits in der Vergangenheit nichtüberzeugen

– Kommunikation zwischen den Vertreternbeider Disziplinen ist nicht immer einfach

– Höherer Bedarf an Pflegekräften

Das bewährte System der Eingliederungshilfemuss mit fundiertem gerontologischem Wissenergänzt werden: Gerontologische Grundlagen könnten sein:

– Gerontologie und geistige Behinderung imAlter

– Pflegeplanung als Bestandteil derBetreuungsplanung

– Biografische Begleitung durch Validation

– Aktive Gesundheitsförderung (z.B. Umgangmit Übergewicht)

– Bewegungs- und Aktivierungsanregungen

Multidisziplinäre Zusammenarbeit ist nicht alleinigeAngelegenheit der betreffenden MitarbeiterInnen,sondern eindeutig Leitungsaufgabe!Geeignete Instrumente sind z.B.

– Förderung spezifischer, individuellerKompetenzen

– Einsatz einer beratenden Pflegekraft

– Individuelle Betreuungs- und Pflegeplanung(Punkt 6.4)

Frage nach der Zukunftsfähigkeit der beidenDisziplinen

6.4. Exkurs: Individuelle Betreuungsplanung in derPraxis-Sozialwerk St. Georg

– Einführung der Betreuungsplanung undderen Dokumentation im Jahr 1998 beidem Träger Sozialwerk St. Georg

– Parallel Neustrukturierung derLeitungsebenen

Kernelemente des Betreuungsprozesses:

– Betreuungsplanungsdokumentation,Hilfeplangespräche, Angehörigenarbeitund Schnittstellenarbeit

– BezugsbetreuerInnen sind für dengesamten Betreuungs- undPflegeprozess verantwortlich.

– Wesentlicher Schritt: von der Gruppen -zur individuellen Betreuung

6.5 Individuelle Betreuungsplanung- allgemein

Hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischenPflege - und pädagogischen Kräften hat dieBetreuungsplanung folgende Vorteile:

Im Vordergrund steht ein für den behindertenMenschen geeignetes Betreuungssetting.

Es können aus beiden Bereichen Zielebestimmt werden:

– Bsp.: Förderung von Außenaktivitäten oderVerselbständigungsziele

– Verbindung der morgendlichen Pflege mitElementen der basalen Stimulation

6.6. Tagesstrukturierende Angebote

– Tagesstrukturierende Angebote haben eineherausragende Bedeutung

– Die Wohnstätten Welver haben zwei räum-lich getrennte tagesstrukturierendeAngebote

– Senioren/Seniorinnen nehmen das freiwilli-ge Angebot sehr gerne an

– Individuelle Betreuung bedeutet nicht nurindividuelle Ziele, sondern auch, dass jedePerson ihren Platz nach eigenenVorstellungen gestaltet.

– Wichtig: Auch ältere Personen mit einerstark eingeschränkten Belastbarkeit besu-chen in Abhängigkeit vonBelastungsgrenzen die Tagesstätte.

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Die folgende Präsentation stützt sich zum einenauf die Ergebnisse einer BScN-Arbeit (Fringer2004) und zum anderen auf einen Publikations-entwurf (Fringer 2007).

Themenübersicht

– Einleitung

– Pflege, Familie, Pflegewissenschaft

– Altern und geistige Behinderung

– Körperliche und psychische Veränderungen

– Bedarfe geistig behinderter Menschen im Alter

– Pflegerischer Interventionsrahmen

– Diskussion und Fazit

Der Vortrag spannt einen Themenbogen ausge-hend von einer Definitionsskizze zu den BegriffenPflege sowie Familie und thematisiert anschlie-ßend das Altern, körperliche und psychischeVeränderungen und Bedarfe von geistig behinder-ten Menschen. Der Vortrag endet mit einemVorschlag für einen pflegerischen Interventions-rahmen bei alten Menschen die als geistig behin-derte bezeichnet werden.

Geistig behinderte Menschen sind für die DisziplinPflege unsichtbar gewesen. Nach dem 2. Welt-krieg wurden geistig behinderte Menschen inpsychiatrischen Einrichtungen untergebracht. Inden 60er Jahren des letzten Jahrhunderts über-nahmen zunehmend die Sozial- und Sonder-pädagogik und schließlich die Heilerziehungs-pflege die Betreuung dieser Menschen. Schulenund Ausbildungsplätze wurden geschaffen undWerkstätten für behinderten Menschen eingerich-tet. Parallel zu dieser Entwicklung wurden geistigbehinderte Menschen zunehmend „unsichtbarer“in der Öffentlichkeit, an Arbeitsplätzen und auch inden familiären Lebensbereichen.

Das Thema Behinderung ist wie auch das ThemaPflegebedürftigkeit ein unbequemes Thema, wel-ches auch als Ekelthema bezeichnet werdenkann, über das nicht gerne gesprochen wird.Auch in der Disziplin Pflege wurden geistig behin-derte Menschen zunehmend unsichtbarer, wasdazu führte, dass z. B. auf die Bedarfe in einem„Mainstream Krankenhaus“ nicht adäquat reagiertwerden kann. Aus Untersuchungen am Institut fürPflegewissenschaft der Universität Witten/Her-decke ist bekannt, dass das Thema Behinderungvon Pflegekräften die generell wenig Kontakt zudiesen Menschen haben nicht wahrgenommenwird und Behinderung oft mit Pflegebedürftigkeitgleichgesetzt wird.

Die Lebenserwartung von geistig behindertenMenschen lag deutlich hinter der der „Allge-meinbebvölkerung“. Inzwischen ist aber bekannt,dass sich die Alterspyramide geistig behinderterMenschen umkehrt und es inzwischen mehr gei-stig behinderte Menschen gibt, die über 40 Jahrealt sind als die Anzahl von Kindern und Jugend-lichen die als geistig behindert bezeichnet werden.

Insgesamt findet heute und es fand in den 90erJahren eine Sensibilisierung in Bezug auf dasAltern bei Menschen mit einer geistigen Behin-derung statt. Es gibt viele Tagungsberichte undPublikationen zum Thema bedarfsgerechtes Altern

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Pflege alter Menschen mit einer geistigenBehinderungDer pflegewissenschaftliche Beitrag

André FringerMaster of Science in Nursing, wissenschaftlicher Mitarbeiter amLehrstuhl für familienorientierte und gemeindenahe Pflege des Institutesfür Pflegewissenschaft der Universität Witten-Herdecke

bei Menschen mit einer geistigen Behinderung.Dies kann als eine logische Entwicklung bezeich-net werden, nachdem die ersten geistig behinder-ten Menschen nicht mehr in den Werkstätten fürbehinderte Menschen gehen konnten und auchwollten. Nun muss auf eine weitere Entwicklungreagiert werden, die viel weiter fortgeschritten istals bisher angenommen wurde, nämlich die alters-bezogene Pflegebedürftigkeit bei geistig behinder-ten Menschen. Die Pflegebedürftigkeit von geistigbehinderten Menschen können Einrichtungen derBehindertenhilfe, die nicht adäquat vorbereitetsind, an ihre Leistungsgrenzen bringen. Vor die-sem Hintergrund stellen sich Fragen, wohin gehtdie Entwicklung?

Die Frage, warum sich die Pflegewissenschaft mitdiesem Thema beschäftig, ist berechtigt. Was hatdie Disziplin Pflege damit zu tun? Schröck (1988)definiert Pflege als eine helfende und unterstüt-zende Tat.

Weidner (1999) geht weiter und bezeichnet dieprofessionelle Pflege als ein systematischesSichern und Fördern des Vollzugs der Lebens-möglichkeiten. Das Bundesministerium fürSenioren, Frauen und Jugend (BMfSFJ 2002)fokussiert pflegerisches Handeln auf das Krank-sein und oder die Beeinträchtigung.NURSING data (2004) identifiziert neun Grund-tätigkeiten auf denen pflegerische Interventionenbasieren, nämlich Beobachten, Einschätzen, Infor-mieren, Beraten, Unterrichten, Anleiten, Unter-stützen, Durchführen und Managen. Der Einwandist berechtigt, dass auch andere Disziplinen dieseGrundtätigkeiten als Handlungsgrundlage bean-spruchen, z. B. Medizin oder Psychologie. Hierwird deutlich, dass Pflege wie andere Berufe auchmehr ist als nur eine Verrichtungstätigkeit undPflegen auch denken bedeutet.

Aufgrund dieser Vorüberlegung kann konstatiertwerden, dass das Gesundheits- und Krankheits-spektrum von Menschen die als geistig behindertebezeichnet werden auch Gegenstand pflegerischerBemühungen sein muss und somit ein Thema fürdie Pflegewissenschaft darstellt. Insbesondereinternationale Publikationen lassen deutlich wer-den, dass die Trennung Behinderung und Pflegeein künstliches Produkt deutscher Nachkriegs-geschichte ist. Die noch junge Pflegewissenschaftsteht am Anfang der noch notwendigenEntwicklung sich auch diesem Thema zu nähern.

An dieser Stelle kann festgehalten werden, dassgeistig behinderte Menschen eine Aufgabe undTätigkeitsfeld für die Disziplin Pflege ist. Insbeson-dere internationale Publikationen machen deutlich,dass die Trennung Behindertenpädagogik, Heil-erziehungspflege versus „Krankenpflege“ einesinnlose Trennung ist. Skiba (2004) hat diesesThema treffend als „Neuland“ für die Pflegebezeichnet. Die pflegewissenschaftliche Disziplinsteht erst am Anfang, sich auch diesem Themen-feld zu nähern. Im Umkehrschluss bedeutet diesaber auch für die Behindertenhilfe, sich dem„unliebsamen“ Thema Pflege zu stellen. Für dievorliegenden Thematik wiederum bedeutet diesfür die Behindertenhilfe im Allgemeinen „Neuland“in einer neuen Dimension.

Der Begriff „Familie“ wird sehr offen definiert.Familie ist das, was der Betroffene darunter ver-steht und schließt somit alle denkbaren Lebens-formen mit ein. Erst auf den zweiten Blick werdenbei geistig behinderten Menschen die unter-schiedlichen „familiären“ Konstellationen deutlich.Freundschaftliche Beziehungen erhalten bei nähe-re Betrachtung eine ganz andere Gewichtung, siespielen im Leben von institutionalisierten geistigbehinderten Menschen eine wesentlich andereRolle (siehe hierzu der Film von Thomas Riedels-heimer: Schweben heißt lieben, 1994). Nicht zu

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unterschätzen sind Familienkontakte bezüglichihres sinnstiftenden Elements bei Menschen miteiner geistigen Behinderung.

Schaut man sich Situationsanalysen von geistigbehinderten Menschen in ihren Familien an, sowird deutlich, dass ca. die hälfte der geistig behin-derten Menschen in Großbritannien zuhause beiden Eltern wohnen. Schätzungen hierzulandegehen davon aus, dass ca. 60% der geistigbehinderten Menschen in ihren Familien leben.Aus Großbritannien ist auch bekannt, dass einDrittel dieser Menschen über 70 Jahre alt sind.Erst der Tod oder die Pflegebedürftigkeit derEltern ist der Grund dafür, dass eine Heimein-weisung notwendig wird. Oft scheitern die Verso-rgungs- und Zukunftspläne der Eltern von geistigbehinderten Menschen aufgrund von Geldmangel.Das heißt, dass die Eltern zwar den Bedarf ihrerKinder sehen und einschätzen können, aber eineLösung nicht realisiert werden kann. Zur Situa-tionseinschätzung gehört auch die Analyse familiä-rer Kontakte zur Ursprungsfamilie geistig behin-derter Menschen in Heimen.

Die Ergebnisse der Studie von Bland et al. (2003)in der familiäre Kontakte von 94 alten geistig be-hinderten Menschen mit einem Alter ab 65 Jahrenuntersucht wurden, lassen deutlich werden, dasskaum Kontakte zur Familie im „herkömmlichen“Sinne bestehen. Die Konsequenz mangelnderKontakte zu Familienangehörigen kann unter an-derem auch ein Grund für altersbezogene Depres-sionen sein. Wiederum muss eine künstlich geför-derte Steigerung familiärer Kontakte sensibelorganisiert werden, da die Qualität dieser Kontaktvor Quantität geht.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO führt dasgesteigerte Altern bei geistig behinderten Men-schen auf die medizinischen und sozialen Fort-schritte unserer Zeit zurück. Die WHO konstatiertjedoch auch, dass geistige Behinderung nach wievor eine doppelte Benachteiligung bedeutet, dadiese Errungenschaften der medizinischen undsozialen Systemen nicht Bedarfsgerecht dieseMenschen berücksichtigt (z.B. Stichwort DRG).

Wann beginnt eigentlich das „Altern“ bei geistigbehinderten Menschen? International gilt alsunausgesprochener Konsens, dass das Alterabca. 50 Jahren ein Schwellenwert darstellt. Bei

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Menschen mit Downsyndrom wird dieserSchwellenwert ab dem 30sten Lebensjahr gese-hen. An dieser Stelle kann die Frage gestellt wer-den, ob die altersbedingten Verlusterfahrungen beigeistige behinderten Menschen im Vergleich zurNormalbevölkerung gleich sind?

Die Heilpädagogen konstatieren, dass dieseVerlusterfahrungen schwerer wiegen, da dieseMenschen das ganze Leben lang benachteiligtwaren, insbesondere diejenigen, die heute als „alt“bezeichnet werden, da diese nicht in dieErrungenschaften der modernen Behindertenhilfegekommen sind.

In Bezug auf das Altern von geistig behindertenMenschen gab es längere Zeit in der ÖffentlichkeitMythen und wenig abgesichertes Wissen. DieseMythen können nachfolgend entnommen werden:

– „Ältere Menschen mit geistiger Behinderungsind grundsätzlich hilfebedürftiger oder pflege-bedürftiger;

– Ältere Menschen mit geistiger Behinderungkönnen nicht denken, bei ihnen ist die Lern-fähigkeit ganz zurückgegangen;

– Aktivierung bei älteren Menschen mit einer gei-stigen Behinderung ist aufgrund des fortge-schrittenen Alters sinnlos, denn Lern- undVeränderungsfähigkeit sind nicht mehr gege-ben;

– Entscheidend ist die „Verwahrung“ aber nichtdie Frage nach der Lebensqualität und Wohn-qualität;

– Menschen mit geistiger Behinderung erreichenkein höheres Lebensalter, bei ihnen verläuft derAlterungsprozess grundsätzlich „anders“ alsbei Menschen ohne geistiger Behinderung“(Kruse 2001a, 103).

Als Zwischenbilanz in Bezug auf das Altern beigeistig behinderter Menschen konnte durch diezugrunde liegende Literaturanalyse festgestelltwerden, dass ältere Menschen mit einer geistigenBehinderung in vier Bereichen eine Verlusterfah-rung machen:

1. Verlust der Beschäftigung in der Werkstatt fürbehinderte Menschen

2. Verlust der vertrauten Umgebung3. Verlust von Familie, Beziehung und Freunden4. Verlust der Selbstständigkeit durch altersbezo-

gene Einschränkungen

Seit den 90er Jahren wird Altern und Pflegebe-dürftigkeit bei geistig behinderten Menschenzunehmend ein Forschungsthema. Dabei könnenzwei große Themenfelder identifiziert werden, diedas Altern bestimmen:

– Vermehrt körperliche Einschränkungen– Zusätzlich höhere psychische Einschränkungen

Untersuchungen zu physischen Veränderungenaufgrund des Alters bei geistig behindertenMenschen im Vergleich zur „Allgemeinbevölke-rung“ zeigen, dass deutliche Abweichungenbei folgenden Erkrankungen festzustellen sind:

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– Herz- u. Kreislauferkrankungen– Arthritis und rheumatische Folgeerkrankungen– Atemwegserkrankungen– Osteoporose– Schilddrüsenerkrankungen– Nebenwirkungen durch Polypharmazie– Sensorische Beeinträchtigungen– Epilepsie

Die Folgen altersbezogener Veränderungenmachen sich überwiegend durch Mobilitätsverlustbemerkbar. Dabei kann die Frage gestellt werden,ob es geeignete Präventionsprogramme fürMenschen mit einer geistigen Behinderung gibt?

Bei Downsyndrom sind insbesondere endokrineStörungen und Veränderungen des Seh-,Geschmacks- und Hörvermögens festzustellen.Zusätzlich psychische Erkrankungen können dieFolge sein. Diese identifizierten Veränderungenwurden nicht nur im Vergleich zur Normalbevöl-kerung herausgefunden, sondern auch imVergleich von alten zu jungen Menschen mit einergeistigen Behinderung.

Die Heilpädagogen konstatieren ganz andereBedarfskataloge für geistig behinderte Menschenim Alter, auf die im Folgenden nicht näher einge-gangen werden soll. Im Folgenden soll der Fokusauf pflegebezogene Bedürfnisse gelegt werden.Zwei Themen bestimmen dabei die Bedarfs-analyse. So lassen sich Bedarfe identifizieren, diesich aus dem Prozess des Alterns ergeben undBedarfe, die sich aus den Sekundärerkrankungenim Alter ergeben.

Bedarfe, die aufgrund des Prozess des Alternsentstehen, können folgenden drei Bereichenzugeschrieben werden:

– Biografie/Lebensbilanz

– Hilfe-, Pflege und Betreuung

– Lebensumfeld

Aus den Überschneidungen dieser Bereiche kön-nen weitere Bedarfsbereiche identifiziert werden:

– persönliche Wünsche, Bedürfnisse und Ängste

– Altersentsprechende Wohnformen

– Familie, Freunde und Beziehungen

Die folgende Tabelle veranschaulicht die Beson-derheiten bei geistig behinderten Menschen inden zuvor identifizierten Bereichen:

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Wenn heute von alten, geistig behinderten Men-schen gesprochen wird, dann sind das Men-schen, die nicht in die Errungenschaften dermodernen Behindertenhilfe gekommen sind. Vielehaben eine lange Institutionalisierung mit mehrerenWechsel von Versorgungskonzepten hinter sich.Sie haben nicht gelernt ihre Bedürfnisse zu artiku-lieren und ihre Gesundheit vor Schaden zu schüt-zen. Hinzu kommt noch, dass das Risiko altersbe-zogener Erkrankungen höher ist. Die folgendeTabelle lässt deutlich werden, welche Kriterien zuberücksichtigen sind, wenn man über dieseMenschen in Bezug auf die Besonderheiten desAlters zu sprechen kommt.

Anhand der Studie von Bland et al. (2003) könnenaltersbedingte Gesundheitsproblemen bei geistigbehinderten Menschen näher betrachtet werden,die stellvertretend als Beispiel für Forschungsergeb-nisse, die zu diesem Thema durchgeführt wurden.Deutlich wird, dass folgende Gesundheitsproblemevon geistig behinderten Menschen identifiziert wer-den können, die 65 Jahre und älter waren:– Psychologisch/Verhalten– Inkontinenz Stuhl/Urin– Herz-, Kreislauf und Atemwege– Sehkraft

Wie aus der Tabelle (rechts) entnommen werdenkann, zeigt sich, dass fast alle geistig behindertenMenschen aus dieser Stichprobe mehr als zweigesundheitliche Probleme aufweisen. Die Forscherhaben diese Kriterien noch weiter untersucht unddie Teilnehmer befragt, welches der Hauptgesund-heitsprobleme auf den Alterungsprozess an sichzurück zuführen sei. Im Bereich Psychologisch/Verhalten wird deutlich, dass es hierbei vermehrtum kognitive Fähigkeiten handelt, die vermehrt zuProbleme führen, wie z.B. Vergesslichkeit. Es sindweniger körperliche Unruhe bzw. körperliche undverbale Aggressionen die im Alter auftreten.

Von Bedeutung sind die Ergebnisse bezüglich derAussagen zu Urin- und Stuhlinkontinenz. Hierbeiwird deutlich, dass laut Aussagen der Studien-teilnehmer die Gesundheitsprobleme eindeutig aufdie Veränderungen durch den Alterungsprozess

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zurückzuführen sind und somit im Alter alsProblem neu hinzukommen.Es wird auch deutlich, dass zwar das Erinne-rungsvermögen durch das Alter beeinträchtigtwird, aber vielmehr Inkontinenzprobleme einebedeutende Rolle in Bezug auf Gesundheitspro-bleme im Alter von geistig behinderten Menschenspielen. Fazit dieser Betrachtung ist, dass einhoher Anteil alter Menschen mit einer geistigenBehinderung psychische Probleme bzw. Verhal-tensauffälligkeiten aufweisen, zu denen Inkonti-nenzprobleme hinzukommen, die wiederum inVerbindung mit Atem- und Kreislaufproblemenwesentlich zur Immobilität dieser Menschen bei-tragen. Kommunikative Probleme durch sensori-sche Beeinträchtigungen machen die Betreuungund Pflege dieser Menschen hoch komplex, wasein hohes pflegerisches Niveau erfordert, das aufentsprechendem Hintergrundwissen aufbaut.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dassdas Altern bei geistig behinderten Menschendurch einen früh einsetzenden Alterungsprozessgekennzeichnet ist, welches durch das fehlen vonpersönlicher Gesundheitsfürsorge als Risiko fürAltersbezogenen Erkrankungen eine neue Dimen-sion erhält. Die lange Institutionalisierungsbiografiehat auch dazu geführt, dass diese Menschennicht gelernt haben ihre Bedarfe, Wünsche undVorstellungen zu artikulieren. Dies gilt insbesonde-re bei der Bedarfsanalyse zu berücksichtigen.

In der Literaturanalyse von Fringer (2004) zumThema „Pflege alter Menschen mit einer geistigenBehinderung“ konnten vergangenheits-, gegen-warts- und zukunftsbezogene Aspekte identifiziertwerden, die einen Arbeitsrahmen für die Pflegealter Menschen mit einer geistigen Behinderungbietet. Die folgende Tabelle präsentiert diesenRahmen:

Den in der linken Spalte analysierten terminalen„Besonderheiten“ alter Menschen mit einer geisti-gen Behinderung können beispielhaft pflegerischeGrundtätigkeiten gegenübergestellt werden, umden identifizieten Bedarfen zu begegnen. DieseErgebnisse lassen sich durch die Bedarfsanalysevon Jahncke-Latteck et al. (2005) bestätigen, siezeigte:

– ein hoher pflegefachlichen Bedarf aus Sichtder Bewohner besteht (z.B. bei der Körper-pflege).

– Weder Bewohner noch Mitarbeiter verfügenüber fachlich ausreichende Fähigkeiten, umsystematisch Pflegeprobleme und Risikopoten-ziale erkennen zu können.

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– Notwendige Unterstützungsleistungen beiBewohnern werden nicht auf dem Hintergrundeinheitlicher und aktueller Erkenntnisse, son-dern fast ausschließlich auf dem Hintergrundindividueller Lebenserfahrungen durchgeführt.

– Pflege findet weder geplant noch nachweislichdokumentiert statt (Jahncke-Latteck et al.2005).

Die Analyse zeigt die Defizite der professionellenPflege. Bland et al. (2003) ergänzen dieses Bildund formulieren Herausforderungen an dasGesundheitssystem anhand einer Negativliste.Laut Autoren herhalten Menschen mit einer geisti-gen Behinderung:

– zu wenig diagnostische Maßnahmen

– wenn, dann inadäquate diagnostischeMaßnahmen

– zu wenig präventive Maßnahmen

– zu wenig spezifisch Behandlungen

– keine Bedarfsorientierung im häuslichenUmfeld

– wenn, dann keine spezifisch ausgerichteteambulante Pflege

– wenn, dann keine spezifisch ausgerichtete sta-tionäre Pflege die auf die auf die veränderten

Anforderungen vorbereitet wurde

Forschungsergebnissen von Thompson (2002),die 253 geistig behinderten Menschen in Pflege-einrichtungen in Großbritannien untersucht habenzeigen, dass 40% der geistig behinderten Men-schen vor dem 65. Lebensjahr in eine Institutionder Altenhilfe einzogen. Bei Einzug in die Ein-richtungen hatten sie ein Durchschnittsalter von64,8 Jahren (SD = 11,5; Spannweite 17 – 88Jahre). Die Verweildauer in diesen Heimen lagdurchschnittlich bei 6,2 Jahren (SD = 8,2) miteinem Durchschnittsalter von 71,0 Jahren (SD =10,6; Spannweite 33- 95 Jahren). Die Gruppe der

geistig behinderten Menschen ist somit jünger alsdie der anderen Bewohner (80. bis 90. Jährige).Das „Department of Health“ (2001b) in Groß-britannien gibt als akzeptables Eintrittsalter in eineEinrichtung der Altenhilfe das Alter von 75 Jahrenvor. Nur 38% der geistig behinderten alten Men-schen in der Studie von Thompson (2002) wiesendieses Alter bei Eintritt in die Einrichtung auf.

Darüber hinaus sind Menschen mit einer geistigenBehinderung in großen Einrichtungen der Pflegesehr dünn verstreut, was gern als Ausrede ver-wendet wird, warum nicht adäquat auf den indivi-duellen Bedarf dieser Menschen eingegangenwerden kann (Thompson 2002). Hier liegt aucheine Gefahr der Stigmatisierung durch „andere“Altenheimbewohner, die aufgrund mangelndenVerständnisses gegenüber behinderten Men-schen. Es stellt sich generell die Frage, ob esangemessen ist, Menschen mit unterschiedlichenBedürfnissen zu (ver-)mischen (Thompson 2002).

Alte Menschen mit einer geistigen Behinderung,die in Pflegeheimen untergebracht sind haben ver-minderte Möglichkeiten ihren Alltag aktiv auszufül-len, einen eingeschränkten Zugang zu Tagesein-richtungen und einen reduzierten Kontakt zu ihrerFamilie und Freunden, die sie aus der Zeit derWfB kennen, da oft die Orte der Altenpflege sichnicht unmittelbar in der alten Umgebung befinden.Um das Risiko einer negativen Auswirkung beieinem Umzug in ein Heim zu minimieren, sollte imVorfeld die Möglichkeiten einer adäquaten Versor-gung geprüft werden, die den altersbezogenenBedürfnissen bei geistig behinderten Menschengerecht werden.

Die Diskussion um den Ort der Betreuung vonalten geistig behinderten Menschen ist zur Zeithoch aktuell. Hierbei stellt sich die Frage, wer sich für die Versorgung dieser Menschen verantwort-lich zeichnet. Die Beantwortung dieser Frage soll-te nicht ohne Behinderten- Selbshilfegruppen, der

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Bewegung People First unternommen werden.Die „Foundation for People with learningDisabilities“ (2002) weist darauf hin, dass oft einezu frühe Heimeinweisung vor dem 65. Lebensjahrder Regelfall ist und dass diese Heime nichtadäquat auf die Bedarfe ausgerichtet sind. Hierbeibesteht die Gefahr des „nicht Annehmens“, d.h.Menschen mit einer geistigen Behinderung in derAltenhilfe werden unsichtbar.

In „Evidence Based Nursing Projects“ (EBNP) amLehrstuhl für familienorientierte und gemeindenahePflege des Instituts für Pflegewissenschaft konn-ten von Masterstudenten erste Forschungs-ergebnisse in Bezug auf die Erfahrungen behin-derter Menschen, deren Angehörige und profes-sionell Pflegende in Mainstreameinrichtungengesammelt werden. Insgesamt wird deutlich, dassdie Disziplin Pflege sensibilisiert werden muss, umadäquat und systematisch den Lebensvollzug die-ser Menschen zu sichern, zu unterstützen und zufördern.

Die Herausforderungen an die bestehendenStrukturen können wiederum anhand derAnalysen aus Großbritannien formuliert werden.Sie zeigen, dass folgende Grundvoraussetzungennotwendig sind, um eine effektive und effizienteVersorgung gewährleisten zu können:

– eine Partnerschaft zwischen den Einrichtungender Behindertenhilfe, den Institutionen derDemenzhilfe und der ambulanten Versorgungs-szene

– eine auf Forschungsergebnissen fundierteVersorgungsstruktur durch entsprechendeRahmenbedingungen des Heimes und derPflegekräfte

– Erkenntnisse über die Versorgungsbedarfe die-ser Menschen

– Flexibilität in Bezug auf die Verantwortungs-übernahme

– Entsprechende Weiterbildungen undMotivation der Pflegekräfte

Herausforderungen betreffen hauptsächlich dieKoordination der verschiedenen Versorgungs- undPflegesystemen und die Entwicklung vonPartnerschaften der verschiedenen Anbieter undEinrichtungen (Hatzidimitriadou & Milne 2005).

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Gliederung des Vortrags

– Vorstellung des MDS und seiner Aufgaben

– Begriffsdefinitionen:– Behinderung– Pflegebedürftigkeit/Pflegebedarf

– Gesetzliche Grundlagen

– Pressespiegel/Publikationen– Öffentliche Diskussion

– Bedarf behinderter Menschen

– Behinderung und Pflegebedürftigkeit

– Analyse der Ist-Situation

– Bericht der Bundesregierung (16.12.04)über die Lage behinderter Menschen undder Entwicklung ihrer Teilhabe

– Empfehlungen für eine teilhabeorientiertePflege (Behindertenbeauftragte derBundesregierung)

– 1. Bericht des BMFSFJ über die Situationder Heime und die Betreuung derBewohnerinnen und Bewohner

– Qualitätskriterien für die Betreuung und Pflege– Möglichkeiten der Konzeptentwicklung

unter den jetzigen Rahmenbedingungen

MDS

– Koordinierung der medizinischen Dienste undBeratung der Spitzenverbände

– Aufgaben: § 282 SGB V:– Richtlinien über die Zusammenarbeit

Krankenkassen mit den MedizinischenDiensten zur Sicherstellung einer einheitli-chen und qualifizierten Begutachtung

– Grundsätze zur Fort- und Weiterbildung

– Grundsatzstellungnahmen

– Begutachtungs-Richtlinien

– Bundesweite Statistik zu Daten derPflegebegutachtung

– Gründung: 1989, Sitz: Essen, Mitglieder:Spitzenverbände der Krankenkassen, ca. 60Mitarbeiter

Aufgaben MDS / MDK für die Pflegever-sicherung

– Einzelfallbegutachtung

– Qualitätsprüfungen

– Pflegestufe, Prävention und Rehabilitation

– Anregungen zur Verbesserung der aktuellenPflegesituation

– Beratung der Pflegekassen in grundsätzlichenFragen

Behinderung

– Körperlich

– Sinnesbehinderung (Hören, Sehen)

– Sprachbehinderung

– Psychische (seelische) Behinderung

– Lernbehinderung

– Geistige Behinderung

– Erworbene und angeborene Behinderungen(WIKIPEDIA.DE)

Behinderung

– (allg.) Bez. für Einschränkung des Wahrneh-mungs-, Denk-, Sprach-, Lern- u. Verhaltens-vermögens

– Behinderung, geistige: veraltete Bez. Oligo-phrenie, Schwachsinn; Bez. für angeb. od.frühzeitig erworbene Intelligenzminderung, diemit einer Beeinträchtigung des Anpassungs-vermögens einhergeht (...)

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Behinderung, Altern und zunehmendePflegebedürftigkeit als Herausforderung für Pflegeund Betreuung in stationären Einrichtungen

Bernhard FleerDipl. Pflegewirt, Medizinischer Dienst der Spitzenverbände derKrankenkassen e.V. (MDS), Fachgebiet pflegerische Versorgung

– Behinderung, psychische: syn. seelische Be-hinderung; allg. Bez. für die Folgen einerchron. psychischen Störung od. Erkr., die nichtnur vorübergehend zu einer erhebl. Beein-trächtigung der Alltagsbewältigung, derErwerbstätigkeit u. der sozialen Integrationgeführt haben. Die p. B. ist rechtlich der kör-perlichen bzw. geistigen Behinderung gleich-gestellt u. kann nach amtl. Feststellung u. U.zur Inanspruchnahme best. Sozialleistungenberechtigen.(Pschyrembel, 258. Auflage)

Begriffsdefinitionen: Behinderung laut WHO

– ICF: Internationale Klassifikation derFunktionsfähigkeit, Behinderung

und Gesundheit

– Behinderungsbegriff der ICF umfassender alsder Begriff des SGB IX

– Funktionsfähigkeit eines Menschen:– Alle Aspekte der funktionalen Gesundheit

ICF

– Demnach ist eine Person funktional gesund,wenn – vor dem Hintergrund ihrer Kontext-faktoren

1. ihre körperliche Funktionen (einschließlichdes mentalen Bereichs) und Körperstruk-turen denen eines gesunden Menschenentsprechen (Konzepte der Körperfunk-tionen und Körperstrukturen),

2. sie all das tut oder tun kann, was voneinem Menschen ohne Gesundheits-problem (ICD) erwartet wird (Konzept derAktivitäten),

3. sie ihr Dasein in allen Lebensbereichen, dieihr wichtig sind, in der Weise und demUmfang entfalten kann, wie es von einemMenschen ohne gesundheitsbedingteBeeinträchtigung der Körperfunktionen oder–strukturen oder der Aktivitäten erwartetwird (Konzept der Partizipation (Teilhabe) anLebensbereichen).

– Schädigung, Aktivitätsbeeinträchtigung, Partizi-pationseinschränkung

– Behinderungsbegriff der ICF als Oberbegriff zujeder Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeiteines Menschen.

– Dieser Begriff ist damit umfassender als derBehinderungsbegriff des SGB IX.

Behinderung – sozialrechtliche Definition

Behinderung nach SGB IX

– Menschen sind behindert, wenn ihre körperli-che Funktion, geistige Fähigkeit oder seelischeGesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit län-ger als sechs Monate von dem für dasLebensalter typischen Zustand abweichen unddaher ihre Teilhabe am Leben in der Gesell-schaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behin-derung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zuerwarten ist. § 2 I SGB IX

– Menschen sind im Sinne des Teils 2 schwerbe-hindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behin-derung von wenigstens 50 vorliegt und sieihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthaltoder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatzim Sinne des § 73 rechtmäßig im Geltungs-bereich dieses Gesetzbuches haben.§ 2 II SGB IX

– Schwerbehinderten Menschen gleichgestelltwerden sollen behinderte Menschen mit einemGrad der Behinderung von weniger als 50,aber wenigstens 30, bei denen die übrigenVoraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen,wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne dieGleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz imSinne des § 73 nicht erlangen oder nichtbehalten können (gleichgestellte behinderteMenschen). § 2 III SGB IX

Pflegebedürftigkeit

– Die Pflegebedürftigkeit eines Menschen ist einedeskriptive Größe, in die die Einschränkungeneines Menschen, seine Potenziale undRessourcen des sozialen Umfelds mit einflie-ßen (vgl. Wingenfeld 2000, Bartholomeyczik,Hunstein, Koch et al 2001). Sie ist Teil einermöglichen umfassenden Hilfebedürftigkeiteines Menschen und beschreibt „nur“ die pfle-gerischen Probleme (Halek 2003).

Pflegebedarf

– Der Pflegebedarf dagegen ist nicht an diePerson selbst gebunden. Er beschreibt dieInterventionsebene, d. h. Handlungen, Maß-nahmen und Leistungen der Pflege, die für dieBewältigung der Pflegeprobleme erforderlichsind. Der Pflegebedarf orientiert sich an dengesetzten Pflegezielen und den vorhandenenRessourcen. Er kann durchaus anders sein, alsdas subjektive Bedarfsempfinden des Pflege-bedürftigen und wird, außer durch die Pflege-ziele, durch normative Werte wie Gesetz-gebung, Ökonomie, Kultur und Professions-

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verständnis beeinflusst. Der Pflegebedarf istdie Gesamtheit aller Hilfen, die erforderlichsind, um die gestellten Pflegeziele zu erreichen(vgl. Wingenfeld 2000). (Halek 2003)

Begriff der Pflegebedürftigkeit SGB XI

– § 14 SGB XI: Fähigkeits- und Aktivitäts-störungen (verrichtungsbezogen)

– Ausgenommen:– Kommunikation– Fähigkeit, den Alltag selbst zu strukturieren

und zu steuern

– § 45a SGB XI: Leistungen für Pflegebedürftigemit erheblichem allgemeinem Betreuungs-bedarf

– Benachteiligung von Menschen mit Demenz,mit geistigen und psychischen Behinderungen

– Finanzielle Rahmenbedingungen der Pflege-versicherung

Begriff der Pflegebedürftigkeit

– Die Arbeitsgruppe II des Bundespflegeaus-schuss hat im Jahre 2002 vorgeschlagen,

... für alle Leistungsträger einen umfassen-den Pflegebegriff zu schaffen, um damit ggf.die bisherige aufgespaltene Zuordnung vonPflegebedarfen zu bestimmten Kosten-trägern zu überwinden. Konsequenz dessenwäre, dass allen Sicherungssystemen einumfassender Pflegebegriff zugrunde gelegtund erst in einem weiteren Schritt eineZuordnung der Leistungszuständigkeiten aufdie einzelnen Kostenträger oder ggf. dieEigenverantwortung bezogen auf die jeweili-gen Hilfebedarfe vorgenommen wird.

Vorschlag des Bundespflegeausschusses(2002)

– Der Begriff der Pflegebedürftigkeit orientiertsich in Analogie zum SGB IX an den Defizitenzur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

– Verrichtungen des täglichen Lebens aus denGebieten der Körperpflege, Mobilität, Ernäh-rung und hauswirtschaftlichen Versorgung

– Aktivierungs-, Beaufsichtigungs- undBetreuungsaufwand (sowohl bezogen auf dieVerrichtungen des täglichen Lebens als auchaußerhalb der Verrichtungen)

– Bedarf an behandlungspflegerischenMaßnahmen

– Fähigkeit zu kommunizieren und Bedarf ansozialer Betreuung

Relevante Gesetze

– SGB V: Gesetzliche Krankenversicherung

– SGB IX: Rehabilitation und Teilhabe behinder-ter Menschen

– SGB XI: Pflege

– SGB XII: Sozialhilfe

– Heimgesetz

– Gemeinsame Grundsätze und Maßstäbe zurQualität und Qualitätssicherung ... nach § 80SGB XI gelten nur für die entsprechendenEinrichtungen (d.h. nicht für Einrichtungen derBehindertenhilfe)

– H. Fuchs: „ Behinderte und pflegebedürftigeMenschen sind alle behinderte Menschen imRechtssinne (§2 SGB IX).“

§ 55 SGB XIISozialgesetzbuch (SGB)Zwölftes Buch (XII)- Sozialhilfe -Sechstes KapitelEingliederungshilfe für behinderte Menschen § 55Sonderregelung für behinderte Menschen inEinrichtungen

– Werden Leistungen der Eingliederungshilfe fürbehinderte Menschen in einer vollstationärenEinrichtung der Hilfe für behinderte Menschenim Sinne des § 43a des Elften Bucheserbracht, umfasst die Leistung auch diePflegeleistungen in der Einrichtung. Stellt derTräger der Einrichtung fest, dass der behinder-te Mensch so pflegebedürftig ist, dass diePflege in der Einrichtung nicht sichergestelltwerden kann, vereinbaren der Träger derSozialhilfe und die zuständige Pflegekasse mitdem Einrichtungsträger, dass die Leistung ineiner anderen Einrichtung erbracht wird; dabeiist angemessenen Wünschen des behindertenMenschen Rechnung zu tragen.

EingliederungshilfeSozialgesetzbuch (SGB)Zwölftes Buch (XII)- Sozialhilfe -Sechstes KapitelEingliederungshilfe für behinderte Menschen § 53Leistungsberechtigte und Aufgabe

(1) Personen, die durch eine Behinderung imSinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des NeuntenBuches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der

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Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt odervon einer solchen wesentlichen Behinderungbedroht sind, erhalten Leistungen der Ein-gliederungshilfe, wenn und solange nach derBesonderheit des Einzelfalles, insbesonderenach Art oder Schwere der Behinderung,Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Ein-gliederungshilfe erfüllt werden kann. Personenmit einer anderen körperlichen, geistigen oderseelischen Behinderung können Leistungender Eingliederungshilfe erhalten.

(2) Von einer Behinderung bedroht sind Personen,bei denen der Eintritt der Behinderung nachfachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlich-keit zu erwarten ist. Dies gilt für Personen, fürdie vorbeugende Gesundheitshilfe und Hilfe beiKrankheit nach den §§ 47 und 48 erforderlichist, nur, wenn auch bei Durchführung dieserLeistungen eine Behinderung einzutreten droht.

(3) Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe istes, eine drohende Behinderung zu verhütenoder eine Behinderung oder deren Folgen zubeseitigen oder zu mildern und die behindertenMenschen in die Gesellschaft einzugliedern.Hierzu gehört insbesondere, den behindertenMenschen die Teilnahme am Leben in derGemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleich-tern, ihnen die Ausübung eines angemessenenBerufs oder einer sonstigen angemessenenTätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wiemöglich unabhängig von Pflege zu machen.

(4) Für die Leistungen zur Teilhabe gelten dieVorschriften des Neunten Buches, soweit sichaus diesem Buch und den auf Grund diesesBuches erlassenen Rechtsverordnungen nichtsAbweichendes ergibt. Die Zuständigkeit unddie Voraussetzungen für die Leistungen zurTeilhabe richten sich nach diesem Buch.

Behinderung und Pflegebedürftigkeit –Pflegebedürftigkeit und Behinderung -Pressespiegel

– Z.B. Ärztezeitung (2005): Neue Konzeptegesucht für alte, pflegebedürftige behinderteMenschen

– Pflegeheime sind oft nicht auf die Betreu-ung von Menschen mit Behinderungen ein-gestellt. Sozialrechtler fordern trägerüber-greifende Budgets.

– Verlust des vertrauten Umfelds

– Wohnheime im Pflegefall nicht mehr zustän-dig (Verantwortung vom Sozialhilfeträger zurPflegeversicherung)

– Ronald Richter, Vorsitzender der Arbeits-gruppe Sozialrecht beim DeutschenAnwaltsverein:„Menschen mit Behinderungen stehen zwi-schen den Gesetzbüchern.“

– Richter: Trägerübergreifendes Budgetsganz schnell!

– Fehlende Ausstattung in Pflegeeinrichtungen

– Ausbildung und Erfahrung der Mitarbeiter

– Leben in der vertrauten Umgebung (lebenslan-ges Wohnrecht?)

– Zukunftskonzepte gemeinsam mit denBetroffenen entwickeln

– Diese Forderung/Darstellung zieht sichdurch alle Veröffentlichungen.

– Jung, behindert - und im Altenheim: MarburgerStudie (2000) ermittelt für Hessen über1400 Behinderte unter 60 Jahren in Einrich-tungen der stationären Altenhilfe.

– Psychosoziale und pädagogischeBetreuung ist in diesen Einrichtungen nach-rangig oder findet nicht statt.

– Behindertengerechte Heimplätze?

Bedarf behinderter Menschen

– Leistungen zur Teilhabe am Leben in derGemeinschaft

– Medizinische Rehabilitation

– Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben

– Leistungen der Krankenbehandlung

– Abgrenzung: Pflege und Teilhabe als Problemin der Praxis

– Leistungen zur Teilhabe trotz Pflegebedürftig-keit

– Verhältnis SGB IX und SGB XI – zwischenPflege und Teilhabe – Verbindung Teilhabe undPflege(nach Welti 2006)

Behinderung und Pflegebedürftigkeit

– Charakteristika

– Psychisch und geistig behinderte Menschen inPflegeeinrichtungen – Wie ist die Qualität?

– Qualitätsindikatoren?

– Messbar, überprüfbar?

– TQM/Qualitätsprüfung analog SGB XI?

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Analyse des Ist-Zustands

– Pflegebedürftige Menschen in Einrichtungender Behindertenhilfe

– Behinderte Menschen in Pflegeeinrichtungen

– Sach- und fachgerechte Betreuung undPflege oft nicht gewährleistet (Quellen:zitierte Veröffentlichungen)

– Herausforderungen für beide Einrichtungsarten

– Geeignete Settings: für die Betreuung undPflege älterer geistig, psychisch und sucht-krank behinderter Menschen

Bericht der Bundesregierung (16.12.04)über die Lage behinderter Menschen und derEntwicklung ihrer Teilhabe

– „Die Bundesregierung wird vor dem Hinter-grund der demographischen Entwicklung undder zunehmenden Anzahl von Menschen mitBehinderung im Rahmen der Reform um dieWeiterentwicklung der Pflegeversicherungdarauf hinwirken, dass Leistungen bei Pflege-bedürftigkeit sich an den Teilhabezielen desSGB IX orientieren, dass alle Rehabilitations-träger des SGB IX die notwendigen Leistun-gen zur Verhinderung von Pflegebedürftigkeiterbringen (§§ 4 und 5 SGB IX, „Reha vorPflege“) und dass Pflegebedürftigkeit in kei-nem Fall dazu führt, dass erforderlicheLeistungen zur Teilhabe nicht erbracht wer-den.“

– Eine Pflegeeinrichtung kann für einen älterenbehinderten Menschen oft nicht die fachlichangemessene und erforderliche Begleitung undAssistenz sicherstellen.

– Geistig Behinderte Menschen: Schaffungvon kleinen, pädagogisch betreuten Wohn-formen zur sozialen Integration

– In den Wohneinrichtungen müssen auchtagsüber altersspezifische Angebote zurVerfügung stehen.

– Abgrenzung Pflegeversicherung/Einglie-derungshilfe

– 10% des Heimentgelts, jedoch höchstens256 Euro monatlich

– Landtag NRW: Enquete Kommission „Situationund Zukunft der Pflege in Nordhein-Westfalen“zitiert im Schlussbericht Ruth Schröck:

– Sicherstellung einer umfassenden Teilhabepflegebedürftiger Menschen am Leben inder Gesellschaft durch die Pflege

– H. Fuchs: „Sicherung der gleichberechtig-ten Teilhabe pflegebedürftiger Menschenam Leben in der Gesellschaft kann von derPflege allein nicht bewältigt werden.“

– „Multi- und interdisziplinäre Aufgaben-stellung, die von den beteiligten Akteuren ingemeinsamer Verantwortung wahrzuneh-men ist“

– „Ko-Produktion“ „mit“ und nicht „am“

Teilhabeorientierte Pflege

– Arbeitskreis teilhabeorientierte Pflege bei derBeauftragten der Bundesregierung für dieBelange behinderter Menschen:

– Empfehlungen für eine teilhabeorientiertePflege

– Übergabe der Empfehlungen am 12.12.06 anFrau Bundesministerin Ulla Schmidt.

– Weiterentwicklung der Pflege aus der Sichtbehinderter Menschen

– Positionen für eine teilhabeorientierte Pflege-politik

– Teilhabe und Selbstbestimmung als wesentli-che Qualitätsmerkmale einer Reform derPflegeversicherung

– Recht auf Teilhabe als Menschenrecht

Empfehlungen für eine teilhabeorientiertePflege

– „Teilhabeorientierte Pflege ist eine Pflege, dieselbstbestimmte Teilnahme am Leben in derGesellschaft ermöglicht.“

– Selbstbestimmung!Teilhabe (ICF) der WHO: Einbezogensein einerPerson in verschiedene Lebensbereiche(Lernen und Wissensanwendung, allgemeineAufgaben und Anforderungen, Kommunikation,Mobilität, Selbstversorgung, häusliches Leben,interpersonelle Interaktionen und Beziehungen,bedeutende Lebensbereiche, Gemeinschafts-leben, soziales und staatsbürgerliches Leben.Konkrete Gestaltung von Teilhabe abhängigvon der individuellen Lebenssituation).

– ICF-orientierte Verfahren zur Feststellung desTeilhabe- und Pflegebedarfs

– Koordination des Sozialrechts

– Pflegebedarf versus Pflegebedürftigkeit

– Verrichtungsbezug überwinden (Grundlage fürdie Erbringung flexibler Angebote S. 11)

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Qualität von teilhabeorientierter Pflege

– Definition von Qualität aus der Perspektive derLeistungsberechtigten

– Erarbeitung und Weiterentwicklung von Stan-dards für bestimmte wesentliche Komponen-ten von Pflege und Teilhabeleistungen

– Betroffenenkompetenz einbeziehen

– Anspruch der Leistungsberechtigten aufZugang zu MDK und Heimaufsichtsprüfbe-richten in verständlicher Form

1. Bericht des BMFSFJ über die Situation derHeime und die Betreuung derBewohnerinnen und Bewohner

– Aspekte Altern, Behinderung und Pflegebedarf

– Altern als individueller Prozess: formale Alters-grenze z.B. von 65 Jahren kann niemals dassubjektive Alter festlegen

– Keine signifikanten Unterschiede zwischen derLebenserwartung behinderter und nichtbehin-derter Menschen

– Das Risiko, bereits in jungen Jahren zumPflege- und Betreuungsfall zu werden ist jenach Art oder Schwere der Behinderung aus-geprägter

– Von 82 Millionen Menschen in der BRD sindca. 8% bzw. 6,6 Millionen Menschen mitSchwerbehinderungen anerkannt (stat.Bundesamt, Dezember 2003)

– 74% der schwerbehinderten Menschen sindälter als 55 Jahre, ab 75 Jahren überwiegt derAnteil der Frauen mit Behinderung deutlich.

– Pflegequalität in Einrichtungen der Behinder-tenhilfe weitgehend unerforscht

– Andere Qualitätsmaßstäbe als in der Alten-pflege: Lebenszufriedenheit der Klienten (??)

– Ähnlich Altenhilfe: Einrichtungen selbst entwik-keln die QS

– Umzug von älteren Menschen mit Behinde-rungen in andere Wohnheime oder in Pflege-einrichtungen unter Berücksichtigung derWünsche des Betroffenen

– Umzüge sind realistischerweise nicht immerauszuschließen

– Überleitung

– Bauliche und sachliche Ausstattung

– Kooperationen von Einrichtungen der Behin-dertenhilfe mit Einrichtungen der Altenhilfe undPflegeeinrichtungen zukunftsweisend

– Normalitäts- und Integrationsprinzip derBehindertenhilfe

– Zielgruppenorientierte Zusammenarbeit mitSeniorenbegegnungsstätten (offeneAltenhilfe)

– Einbindung in das Tagesprogramm teil-bzw. vollstationärer Pflegeeinrichtungen

– Plädoyer: SGB XI weiterentwickeln: Pflege-bedürftige Menschen in Einrichtungen derBehindertenhilfe sollen Leistungen der SPV inAnspruch nehmen können:

– ...etwa durch die Anerkennung des Heimsals eigene Häuslichkeit zur Erbringungambulanter Pflegeleistungen (Kostenfrage)

– Einbeziehen von Selbsthilfegruppen

– Breite gesellschaftliche und politische Debatteführen

– ...

– Einrichtungen der Behindertenhilfe sollten ihreQualität gegenüber dem Kostenträger definie-ren

– Qualitätshandbücher

– Ältere Menschen mit Behinderungen als quan-titativ bedeutsame Gruppe

– Aktuell Durchschnittsalter in Einrichtungen derBehindertenhilfe ca. 40 Jahre. Anteil der über65-jährigen steigt

– Keine signifikanten Unterschiede zwischen derLebenserwartung behinderter und nichtbehin-derter Menschen

– Risiko, bereits in jungen Jahren zum Pflege-und Betreuungsfall zu werden je nach Art oderSchwere der Behinderung ausgeprägter

– ...

Qualität

– Versorgung lebenslang behinderter Menschenin Einrichtungen der Behindertenhilfe(KDA, s. 177)

– Ausreichend und geeignetes Fachpersonal(multiprofessionelles Team: Pflegekräfte undHeilerzieher, Qualifizierungsmaßnahmen,Weiterbildungen)

– Umbau/Anpassung Wohnbereiche (recht-zeitig)

– Befragung der Bewohner (rechtzeitig) zusubjektiven Wünschen und Erwartungen

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– Kooperation stärken zwischen Wohnein-richtungen/WfbM/Pflegeeinrichtungen)

– Verknüpfung Pflegegesetz, Eingliederungs-hilfe (bundesweiter Standard)

– Raum für individuelle Lösungen(Case Managements)

– Aus der Präambel der gemeinsamenGrundsätze und Maßstäbe zur Qualität undQualitätssicherung einschl. des Verfahrenszur Durchführung von Qualitätsprüfungen nach§ 80 SGB XI in vollstationären Pflegeeinrich-tungen

– Für die Pflege von Behinderten in denEinrichtungen der Behindertenhilfe gilt dieseVereinbarung nicht.“

– Soweit in solchen Einrichtungen Pflegeerbracht wird, sollen die dafür geltendenQualitätsmaßstäbe gesondert vereinbartwerden.“

– Zukunft: vermehrte Anstrengungen erforderlich,um (alters-) adäquate Versorgung der älterwerdenden Menschen mit Behinderung zugewährleisten (KDA S. 192)

– Kompetenztransfer zwischen pädagogischund pflegerisch qualifiziertem Personal:Erkenntnisse der Behindertenpädagogikund der Pflegewissenschaftintegrieren

– Messbare Qualitätsindikatoren: Zufriedenheits-befragungen?

– Lebenslanges Wohnrecht? – Umgang mit Todund Sterben?

– Pflege: psychiatrisch/somatisch

– Sozial-Arbeit / Soziale Betreuung und Beschäf-tigung / Lebensweltorientierung

– Pflegeüberleitung

– Fachkräfte

– Managementanforderungen!

– Lernende Organisation

– Reflexion: MA: Supervision, kollegialeBeratung

– Welche Berufsgruppen

– Dokumentation, Überleitung

– Angehörige und Ehrenamtler

– Lebensqualität

– Autonomie und Behinderung: Kommunen

– Pflegebegriff, Begutachtung von Pflege-bedürftigkeit

Klientel

– Breites Altersspektrum (z.B. 24 – 85 Jahre)

– Geistige und psychische Behinderungen– Suchterkrankungen

– Herausforderndes Verhalten

– Verhaltensstörungen

– Psychosen, Schizophrenien,Depressionen,Angst- und Zwangsstörungen

– Forensische Problematik

– Sogenannte ehemalige „LANGZEITPATIEN-TEN“

– Ambulant und Stationär

– Leistungs- und Prüfungsvereinbarungen mitdem überörtlichen Sozialhilfeträger

– Leistungstypen werden beschrieben

Leistungstypen (Beispiele)

– Menschen mit einer geistigen Behinderung undweiteren Beeinträchtigungen wie selbst- undfremdaggressives Verhalten, gering ausgepräg-te Integrationsfähigkeit und ausgeprägteRückzugstendenzen

– Menschen mit körperlichen oder Mehrfach-behinderungen. Kombination aus einer körper-lichen und anderen Behinderungen. Heilpäda-gogische und pflegerische Anteile

– Gehörlose und hörbehinderte Menschen, diedurch Sinnesbeeinträchtigung auf stationäreHilfen angewiesen sind

– Menschen mit einer psychischen Behinderungmit hohen Unterstützungsleistungen inelementaren Bereichen und durchgängigemAufsichtsbedarf. Maßregelvollzugspatienten:Sicherungsmaßnahmen und Kontrollen

– Menschen mit Suchterkrankungen, auch auf-grund illegaler Drogen und mit Mehrfachbe-hinderungen. Suchtmittelfreies Leben durch diestationäre Hilfe. Abhängigkeit chronisch undmeist mehrfach

Rahmenbedingungen

– Aufhebung der SchnittstellenproblematikTeilhabe und Pflege

– Weiterentwicklung des Pflegebedürftigkeits-begriffs

– Konzeptentwicklung für pflegebedürftigeMenschen mit Behinderung

– Aufgaben Gesetzgebung und Politik

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Aufgabenstellung heute

– Konzeptentwicklung unter den heutigenBedingungen ist möglich.

– Qualitätsindikatoren entwickeln

– Psychisch-kognitive und körperliche Aspektevon Pflege und Betreuung

– Ziel: umfassende und an den Bedürf-nissen des Klienten orientierte Pflege undBetreuung

– Managementanforderungen

– Interprofessionelle Zusammenarbeit:(Psychiatrische) Pflege und Pädagogik

– Einbeziehen des Klienten

– Konzepte für Menschen mit psychischenBehinderungen und mit geistigenBehinderungen

2 parallele Workshops

– Mögliche Organisationsformen zur Versorgungvon pflegebedürftigen Menschen mit Behin-derungen im Alter

– Monika Niehoff-Uster und André Fringer

– Olaf Sollbach und Bernhard Fleer

– Gemeinsame Entwicklung in den Workshopsmit Zusammenfassung der Ergebnisse imPlenum

Quellen/Literaturhinweise

– Arbeitskreis Teilhabeorientierte Pflege bei derBeauftragten der Bundesregierung für dieBelange behinderter Menschen (2006):Empfehlungen für eine teilhabeorientiertePflege

– KDA (Hrsg.) (2005): Die demographischeEntwicklung und ihre Auswirkungen auf ältereMenschen mit Behinderung – eine unlösbareHerausforderung? Köln

– Fuchs, H. (o.J.): Aspekte einer wirksamenStrukturreform der Pflegeversicherung.Düsseldorf

– Halek, M. (2003): Wie misst man diePflegebedürftigkeit? Hannover: Schlütersche

– Erster Bericht des Bundesministeriums fürFamilie, Senioren, Frauen und Jugendüber die Situation der Heime und dieBetreuung der Bewohnerinnen und Bewohner(15.08.06)

– Bericht der Bundesregierung über die Lagebehinderter Menschen und der Entwicklungihrer Teilhabe (16.12.04)

– Welti, F.: Workshop Pflegebedürftigkeit – QuoVadis des Deutschen Vereins für

öffentliche und private Fürsorge (14.12.2006)

Vielen Dank fürIhre Aufmerksamkeit!

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Zwei themengleiche multiprofessionell zusammen-gesetzte Arbeitsgruppen diskutierten möglicheOrganisationsformen zur Versorgung von pflege-bedürftigen Menschen mit Behinderungen imAlter. Ziel sollte sein, möglichst realitätstauglicheAnsätze unter Berücksichtigung der aktuellenRahmenbedingungen zu entwickeln. Dabei wur-den natürlich die Rahmenbedingungen, diegegenwärtig die Pflege und Betreuung vonMenschen mit Behinderungen bestimmen, kritischbetrachtet, z.B. die zersplitterte Finanzierungs-zuständigkeit, die fehlende Möglichkeit, Behand-lungspflege zusätzlich zum Vergütungssatz zufinanzieren, die Entscheidungskriterien, ob einMensch mit Behinderung dem Leistungsbereichdes SGB XI oder des SGB XII zugeordnet wird,oder die Möglichkeiten der Tagesstruktur imRahmen der Pflegeversicherung bzw für berente-te Bewohner im Rahmen der Eingliederungshilfe.Der Schwerpunkt der Diskussion lag jedoch in derErarbeitung einer praxisnahen Zukunftsperspek-tive.

Folgende Schwerpunkte kristallisierten sich dabeiheraus:

Konvergenz-Aufeinander zugehen derHilfesysteme

Einige Teilnehmer nahmen aus ihrer Sicht wahr,dass die pflegerischen Leistungsangebote alsnachrangiger oder geringwertiger betrachtet wur-den, als die pädagogischen Angebote der Ein-gliederungshilfe. Dies wurde als nicht angemessenbetrachtet. Ein Grund dafür ist sicherlich auch dieUnkenntnis über das jeweilig andere Hilfesystem.Ziel der Arbeit mit Menschen mit Behinderungensoll es daher sein, dass alle Berufsgruppen bzwbeteiligten Institutionen mit gegenseitiger Wert-schätzung aufeinander zugehen. Dies kann z.B.durch gegenseitige Hospitationen, gemeinsameVeranstaltungen und Fortbildungsangebote unddie gemeinsame Entwicklung von Standards erfol-gen. Eine besondere Verantwortung kommt hier-

bei der Leitungsebene von Einrichtungen zu.Wichtig ist es ebenfalls, die Hilfen im Alter frühzei-tig zu planen und für eine gute Überleitung sichverändernder Hilfeangebote zu sorgen.

Organisation ambulanter Hilfen

Bereits vorhandene pflegerische ambulanteAngebote, wie z.B. ambulante Pflegedienste,Tagespflegeeinrichtungen oder Altentagesstättensollten auch Menschen mit Behinderungen offenstehen. Voraussetzung dafür ist die Entwicklungentsprechender Konzepte.

Familienentlastende Angebote sind stärker aufältere Menschen auszurichten. Dazu ist dieKlärung der Kostenträgerschaft erforderlich.

Alternative Wohn- und Betreuungsangebote, wiesie sich derzeit auf dem Gebiet der Altenpflegeentwickeln (Stichwort Demenz-WG) können auchfür ältere Menschen mit Behinderungen geschaf-fen werden.

Zur Bedarfsermittlung, frühzeitigen Planung vonund rechtzeitigen Überleitung in diese Hilfen ist dieEinbeziehung der Angehörigen erforderlich.

Organisation stationärer Hilfen

Als sinnvolle und zeitgemäße Möglichkeit, pflegeri-sche Hilfen für älter werdende Menschen mitBehinderungen in Einrichtungen derEingliederungshilfe zu orgnisieren, wurde dieKonzipierung von bzw. Umwandlung in spezielleSGB XI-Pflegeabteilungen betrachtet. DieseMöglichkeiten kommt eher für größereEinrichtungen in Betracht.

Kleinere Einrichtungen der Behindertenhilfe sindgehalten, die Pflege so lange es möglich ist, alsIndividualfall zu lösen und sich dabei Koopera-tionspartner zu suchen.

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Ergebnisse der Arbeitsgruppen

Mögliche Organisationsformen zur Versorgung von pflegebedürftigenMenschen mit Behinderungen im AlterVorgestellt und zusammengefasst von

Klaus StahlMargarete Weber