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1 Patientenorientierte Risikokommunikation in der personalisierten Medizin Dr. Markus Feufel Harding Zentrum für Risikokompetenz 5. Oktober 2010

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Page 1: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

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Patientenorientierte Risikokommunikation

in der personalisierten Medizin

Dr. Markus FeufelHarding Zentrum für Risikokompetenz

5. Oktober 2010

Page 2: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

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Fingerabdruck

HIV-Test

Mammographie

DNA-Test

Expert Horoscope

Prozentualer Anteil von 1.016 randomisiert befragtenDeutschen, die glauben der Test sei 100% sicher

Das Problem: „Illusion der Sicherheit“

Page 3: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

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Realität der Unsicherheit: „Genetic tests are not perfect, because ...“

1. „...there has been relatively little independent analysis of the validity of tests [and] there is no comprehensive public source of informationabout the more than 2.000 genetic tests ...“→ Was bedeutet ein positiver Gentest?

2. „...most gene mutations do not perfectly predict outcomes.“→ Was bedeutet ein positiver Test für Menschen mit Genmutationen?

3. „Success depends on having accurate diagnostic tests that identifypatients who can benefit from targeted therapies ... [while] limitingoff-target effects of gene-based therapies.“→ Nutzen versus Schaden (z.B. Überbehandlung, Nebenwirkungen)?

Hamburg, M. A. & Collins, F. S. (2010). NEJM

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Wie sollte man mit Unsicherheit umgehen?

„… the result of [genetic] tests can be quite challenging to interpret“

„Statistik ist wie ein Bikini. Was sie enthüllt gibt einem zu denken, was sie verhüllt ist jedoch entscheidend.” (Aaron Levenstein)

→ Risiken verstehen durch transparente Statistik!

Was bedeutet ein positiver Test?Bedingte Wahrscheinlichkeiten VERSUS natürliche Häufigkeiten

Nutzen versus Schaden?Relative VERSUS absolute Risiken

Hamburg, M. A. & Collins, F. S. (2010). NEJM

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Bedingte Wahrscheinlichkeiten VERSUS natürliche HäufigkeitenUm Patienten informieren zu können, müssen Experten die Relevanz von Testergebnissen verstehen und transparent kommunizieren.Beispiel: Habe ich Krebs, wenn meine Mammografie positiv ist?P(Krebs | positive Mammografie)

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Bedingte Wahrscheinlichkeiten: P(Krebs | positive Mammografie)

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau im Alter zwischen 50 und 69 Jahren Brustkrebs hat, beträgt 1% (Prävalenz).

Wenn eine Frau Brustkrebs hat, dann liegt die Wahrscheinlichkeit, dass das Mammogramm positiv ist, bei 90% (Sensitivität).

Wenn sie kein Brustkrebs hat, dann beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass der Test dennoch positiv ausfällt, 9%(Falsch-Positiv-Rate = 1 - Spezifizität).

Page 7: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

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160 Gynäkologen in der ärztlichen Fortbildung

Gigerenzer et al. (2007). Psychological Science in the Public Interest.

Page 8: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

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Natürliche Häufigkeiten: P(Krebs | positive Mammografie)

Von je 1.000 Frauen sind etwa 10 Frauen an Brustkrebs erkrankt (1% Prävalenz).

Von diesen 10 Frauen werden 9 ein richtig-positives Testergebnis erhalten (90% Sensitivität).

Von den 990 Frauen, die nicht an Brustkrebs erkrankt sind, werden etwa 89 ein falsch-positives Testergebnis erhalten (9% falsch-positive Rate).

Page 9: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

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160 Gynäkologen in der ärztlichen Fortbildung

Gigerenzer et al. (2007). Psychological Science in the Public Interest.

Page 10: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

P(BRCA 1 | positiv)

=82

82 + 9

10

1.000Frauen

91783

182 9089

BRCA 1 Kein BRCA 1

positiv negativ positiv negativ

0,083 x 0,990,083 x 0,99 + 0,917 x 0,01

P(BRCA 1 | positiv)

=

P(BRCA 1 | positiver BRCA 1 Test)

Bedingte WahrscheinlichkeitenP(BRCA 1) = 8.3% P(positiv|BRCA 1) = 99%°P(positiv|kein BRCA 1) = 1%°

Natürliche Häufigkeiten

Olopade, Grushko, Nadna, Huo (2008). Clin Cancer Res.°Sensitivität (99%) und Spezifizität (99%) für BRCA1 Test basiert auf einer Annahme.Bestätigte Sensitivitäten / Spezifizitäten für Gentests sind oft nur schwer erhältlich.

Was bedeutet ein positiver Gentest für Ashkenazi Jews?

Page 11: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

P(BRCA 1 | positiv)

=5

5 + 10

11

1.000Frauen

9955

05 98510

BRCA 1 Kein BRCA 1

positiv negativ positiv negativ

0,005 x 0,990,005 x 0,99 + 0,995 x 0,01

P(BRCA 1 | positiv)

=

P(BRCA 1 | positiver BRCA 1 Test)

Bedingte WahrscheinlichkeitenP(BRCA 1) = 0.5% P(positiv|BRCA 1) = 99%°P(positiv|kein BRCA 1) = 1%°

Natürliche Häufigkeiten

Olopade, Grushko, Nadna, Huo (2008). Clin Cancer Res.°Sensitivität (99%) und Spezifizität (99%) für BRCA1 Test basiert auf einer Annahme.Bestätigte Sensitivitäten / Spezifizitäten für Gentests sind oft nur schwer erhältlich.

Was bedeutet ein positiver Gentest für Asian Americans?

Page 12: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

P(Krebs | positiv)

=570

570 + 40

P(Krebs | positive MRT für BRCA 1 Patientin)

Bedingte WahrscheinlichkeitenP(Krebs) = 60% P(positiv|Krebs) = 95% P(positiv|gesund) = 10%

Natürliche Häufigkeiten

12

1.000Frauen

400600

30570 36040

mit Krebs gesund

positiv negativ positiv negativ

0,6 x 0,950,6 x 0,95 + 0,4 x 0,1

P(Krebs | positiv)

=

Olopade, Grushko, Nadna, Huo (2008). Clin Cancer Res.

Was bedeutet eine positive MRT für BRCA 1 Patientinnen?

Page 13: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

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Relatives VERSUS absolutes RisikoUm informiert entscheiden zu können, müssen Patienten den Nutzen und die Risiken einer Vorhersage / Maßnahme verstehen.Beispiel: Was ist der Nutzen von Mammografie-Screening?

Page 14: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

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Relative Risiko-ReduktionMammografie-Screening verringert das Risiko, an Brustkrebs zu sterben, um 20 Prozent.

“Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt:

Bei Frauen dieser Altersgruppe [50 - 69

Jahre], die an Screening Programmen

teilnehmen, zeigt sich eine bis zu 35%

reduzierte Brustkrebssterblichkeit.”

Page 15: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

33.1

13.7

16.8

21.3

12.8

0.81.4

28.026.9

17.0

13.9

10.3

1.92.0

0,0

10,0

20,0

30,0

40,0

0 1 10 50 100 200 weißnicht

Deutschland

Großbritannien

15

GEFÜHLTER NUTZEN DES MAMMOGRAFIE-SCREENINGSWie viele von 1000 regelmäßig untersuchten Frauen sterben weniger an Brustkrebs, im Vergleich zu 1000 Frauen, die nicht untersucht werden?

Sch

ätzu

ngen

in %

Gigerenzer, G., Mata, J. & Frank, R. (2009). Journal of the National Cancer Institute

Page 16: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

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Brustkrebs-Früherkennung mit Mammografie über 10 Jahre:

je 1.000 Frauen, 50-69 Jahre

MIT Screening OHNE ScreeningNutzen?

Gesamtkrebsmortalität Kein UnterschiedBrustkrebsmortalität 4 5

Schaden?Falsch-positive (z.B. Biopsien, Ängste) 50 - 200 --Unnötige Behandlung (z.B. Lumpektomie) 2 - 10 --

Gøtzsche, P. C. & Nielsen, M. (2006). Cochrane Database of Systematic ReviewsWoloshin, S. & Schwartz, L. M. (2009). Journal of the National Cancer Institute

Absolutes Risiko für Nutzen und SchadenNutzen: Mammografie-Screening verringert die Anzahl der Frauen, die an Brustkrebs sterben, um 1 von 1.000 FrauenSchaden: nach einer positiven Mammographie werden 2–10 von 1.000 Frauen unnötig behandelt

Page 17: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

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Template: Absolutes Risiko für Nutzen und SchadenNutzen: X statt XX von 1.000 Frauen / MännernSchaden: ?? statt ? von 1.000 Frauen / Männern

Angabe eines Screening / einer Behandlung über welchen Zeitraum?

Referenzklasse (1.000 Frauen)MIT Screening/

BehandlungOHNE Screening/

Behandlung

Nutzen?

Nutzenvariable1 (z.B. Mortatilität, Inzidenz etc) X XX

Nutzenvariable2 (z.B. Mortatilität, Inzidenz etc) X XX

Schaden?

Schadenvariable° (z.B. Falsch-positive) ?? ?

Schadenvariable° (z.B. Überbehandlungen) ?? ?Schadenvariable° (z.B. Lebensqualität) ?? ?

1Literaturangabe 1² Literaturangabe 2° Literaturangabe 3

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Wir brauchen keine „Illusion der Sicherheit“ mehr!Wenn informiert, können wir entspannter mit Risiken umgehen.

Wir brauchen transparente Kommunikation von RisikenUnsicherheit offenlegen (z.B. mangelnde Daten, Teststandards)Absolute Zahlen mit Referenzklassen verwenden (Prävalenz!)Nutzen und Schaden kommunizieren

Mehr zum Thema Gigerenzer et al. (2007). Psychology in the Public Interestwww.harding-center.de

Page 19: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

Überlebensraten VERSUS Sterberaten

British Office for National Statistics: 5-Jahres Überlebensrate von Darmkrebspatienten beträgt 60% in den USA aber nur 35% in Großbritannien

“We don’t match other countries in its prevention, diagnosis and treatment.”

Politiker setzen das Ziel: Erhöhung derÜberlebensrate für Darmkrebspatienten um 20% in den kommenden 10 Jahren

ABER: Darmkrebsmortalität ist in beiden Ländern identisch

Page 20: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

Lead-time bias

Page 21: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

Überdiagnose-Fehler

Page 22: Patientenorientierte Risikokommunikation in der

Korrelation von Überlebens- und Sterberaten