odontogene infektionen – pathologie, therapie, … · 2014-12-29 · nisch ist die unterscheidung...

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ALLGEMEINMEDIZIN Einleitung Der ersteTeil dieses Beitrags 18 hatte den zugrunde liegen- den Pathomechanismus von entzündlichen Zuständen im zahnärztlichen Bereich und die Epidemiologie zum Thema. Die hier auftretenden Infektionen sind überwie- gend Mischinfektionen 4,14,18 . Als direkte Folge einer durch verschiedene Noxen ausgelösten Gewebsschädi- gung soll die entzündliche Reaktion die Beseitigung des schädigenden Einflusses und die Gewebsreparation ermöglichen. Hierzu werden verschiedene Mediatoren ausgeschüttet, die Einfluss auf die umliegenden Gefäße, auf Abwehrzellen und auf die Nervenendigungen neh- men 1,5 . Die Entzündung selbst lässt sich grob in drei Stadien einteilen 1 : 1. seröse Phase mit der Entstehung des entzündlichen Ödems, 2. zelluläre Phase, die von der Akkumulation der Leuko- zyten bis zur Eiterbildung läuft, und 3. reparative Phase, in der es zur Heilung kommt. Markus Tröltzsch, Nils Lohse, Thiha Aung, Petra Santander, Matthias Tröltzsch Markus Tröltzsch Dr. med. Dr. med. dent. Abteilung Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen E-Mail: [email protected] und Praxis Dr. Dr. V. Tröltzsch, Ansbach Nils Lohse Dr. med. Abteilung Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Universitätsmedizin Göttingen Thiha Aung Abteilung Unfallchirurgie, Plastische und Wiederherstellungschirurgie Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie Universitätsmedizin Göttingen Petra Santander Dr. med. dent. Abteilung Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Universitätsmedizin Göttingen Matthias Tröltzsch Dr. med. dent., Arzt Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München und Praxis Dr. Dr. V. Tröltzsch, Ansbach Quintessenz 2014;65(2):189–196 189 Odontogene Infektionen – Pathologie, Therapie, Komplikationen und Differenzialdiagnosen Teil 2: Therapie Indizes Entzündung, Infektion, Infiltrat, Abszess, Bakterien, apikaler Prozess, Logenabszess Zusammenfassung Die Behandlung von Patienten mit entzündlichen Prozessen bildet einen wesentlichen Bestandteil der zahnärztlichen Notfallversorgung. Wie im ersten Teil dieses Beitrags beschrieben, ist der größte Teil der Infektionen im orofazialen Bereich dentogener Natur. Einige können mit antibiotischen oder endodontischen Maßnahmen beherrscht werden, während bei fortgeschrittenen Prozessen chirurgische Eingriffe erforderlich sind. Die bei weiterer Ausbreitung entstehenden Logenabszesse stellen eine Domäne der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie dar. Der vorliegende Artikel soll die Evaluation von entzündlichen Zuständen und die Therapieentscheidung in der zahnärztlichen Praxis erleichtern.

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Page 1: Odontogene Infektionen – Pathologie, Therapie, … · 2014-12-29 · nisch ist die Unterscheidung zu einem Abszess über ... se im Oberkiefer können zu einer Mitreaktion der Vena

ALLGEMEINMEDIZIN

Einleitung

Der erste Teil dieses Beitrags18 hatte den zugrunde liegen-den Pathomechanismus von entzündlichen Zuständen im zahnärztlichen Bereich und die Epidemiologie zum Thema. Die hier auftretenden Infektionen sind überwie-gend Mischinfektionen4,14,18. Als direkte Folge einer durch verschiedene Noxen ausgelösten Gewebsschädi-gung soll die entzündliche Reaktion die Beseitigung des schädigenden Einflusses und die Gewebs reparation ermöglichen. Hierzu werden verschiedene Mediatoren ausgeschüttet, die Einfluss auf die umliegenden Gefäße, auf Abwehrzellen und auf die Nerven endigungen neh-men1,5. Die Entzündung selbst lässt sich grob in drei Stadien einteilen1:1. seröse Phase mit der Entstehung des entzündlichen

Ödems,2. zelluläre Phase, die von der Akkumulation der Leuko-

zyten bis zur Eiterbildung läuft, und3. reparative Phase, in der es zur Heilung kommt.

Markus Tröltzsch, Nils Lohse, Thiha Aung, Petra Santander, Matthias Tröltzsch

Markus Tröltzsch Dr. med. Dr. med. dent.Abteilung Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieUniversitätsmedizin GöttingenRobert-Koch-Straße 4037075 GöttingenE-Mail: [email protected] Dr. Dr. V. Tröltzsch, Ansbach

Nils Lohse Dr. med.Abteilung Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieUniversitätsmedizin Göttingen

Thiha AungAbteilung Unfallchirurgie, Plastische und WiederherstellungschirurgieKlinik für Unfallchirurgie und OrthopädieUniversitätsmedizin Göttingen

Petra Santander Dr. med. dent.Abteilung Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieUniversitätsmedizin Göttingen

Matthias Tröltzsch Dr. med. dent., ArztKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieKlinikum der Ludwig-Maximilians-Universität MünchenundPraxis Dr. Dr. V. Tröltzsch, Ansbach

Quintessenz 2014;65(2):189–196 189

Odontogene Infektionen – Pathologie, Therapie, Komplikationen und DifferenzialdiagnosenTeil 2: Therapie

IndizesEntzündung, Infektion, Infiltrat, Abszess, Bakterien, apikaler Prozess, Logenabszess

ZusammenfassungDie Behandlung von Patienten mit entzündlichen Prozessen bildet einen wesentlichen Bestandteil der zahnärztlichen Notfallversorgung. Wie im ersten Teil dieses Beitrags beschrieben, ist der größte Teil der Infektionen im orofazialen Bereich dentogener Natur. Einige können mit antibiotischen oder endodontischen Maßnahmen beherrscht werden, während bei fortgeschrittenen Prozessen chirurgische Eingriffe erforderlich sind. Die bei weiterer Ausbreitung entstehenden Logenabszesse stellen eine Domäne der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie dar. Der vorliegende Artikel soll die Evaluation von entzündlichen Zuständen und die Therapieentscheidung in der zahnärztlichen Praxis erleichtern.

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zur weiteren Behandlung in eine Klinik überwiesen werden7,12,14. Ebenfalls durch Palpation fällt ein nicht durchtastbarer Unterkieferrand auf. Dieses Symptom markiert eine weitere Ausbreitung des Prozesses um den Unterkiefer herum, so dass sich bei nicht sicherer Beherrschung des Krankheitsbildes gleichfalls eine Überweisung des betroffenen Patienten in eine Klinik empfiehlt6,10,14.

Eine schmerzhaft eingeschränkte Mundöffnung deu-tet auf eine Mitbeteiligung der Kaumuskulatur hin und sollte genauso wie eine kloßige Sprache und auch nur beginnende Schluck- oder sogar Atembeschwerden eine schnelle Vorstellung bei einem Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen nach sich ziehen6,10,14. Das Gleiche gilt für Fieber als Anzeichen für einen entzündlichen Prozess, der nicht mehr lokalisiert ist6,14.

Konservative Therapie

Eine nicht chirurgische Therapie kann immer dann zur Anwendung kommen, wenn wie im Fall des entzündli-chen Infiltrates noch keine Eiterbildung stattgefunden hat oder diese auf die Pulpa, den Wurzelkanal und den direkten periapikalen Bereich beschränkt ist.

Das entzündliche Infiltrat

Innerhalb der ersten 36 Stunden der Entzündungsreak-tion kommt es zum Einstrom der ersten Leukozyten1 sowie zur Gefäßdilatation durch die Wirkung der Ent-zündungsmediatoren5. Daraus resultiert eine Hyper-ämie, die mit Überwärmung, Schwellung und Rötung einhergeht5. Der betroffene Bereich ist meist sehr schmerzhaft (Abb. 1). In diesem ersten Stadium hat noch keine Abkapselung der Infektion stattgefunden, und eine Pusansammlung lässt sich nicht auffinden15. Kli-nisch ist die Unterscheidung zu einem Abszess über die fehlende Fluktuation möglich, jedoch kann dies nicht in jedem Fall sicher erfolgen. Es können alle peri-oralen Weichgewebe betroffen sein.

Therapeutisch ist die Identifizierung und Behand-lung des schuldigen Zahnes genauso wichtig wie eine antibiotische Therapie und lokale physikalische Maß-

Die Eingriffsmöglichkeiten des Zahnarztes hängen von dem Stadium der Entzündung und der Lokalisation des Prozesses ab. Während im ersten Stadium noch keine Eiterbildung stattgefunden hat und dementspre-chend eine konservative Therapie meist ausreichend ist, muss bei Eiteransammlungen eine lokalisations-gerechte Drainage durchgeführt werden6,14.

In diesem Artikel erfolgt die Ordnung der entzünd-lichen Prozesse nach der üblichen therapeutischen Vorgehensweise. Für genauere Beschreibungen des chirurgischen Prozederes sei auf einschlägige Lehr-bücher verwiesen.

Generelle kritische Anzeichen

Bei der Beurteilung von Infektionen im orofazialen Be-reich sollten verschiedene Warnzeichen beachtet wer-den, die unter Umständen einen Übergang zu einem bedrohlichen Gesamtkrankheitsbild anzeigen. Prozes-se im Oberkiefer können zu einer Mitreaktion der Vena angularis führen, welche sich in einer Druckschmerz-haftigkeit des medialen Augenwinkels äußert6,12,14. Da es hierbei zu einer Sinusvenenthrombose kommen kann, sollten Patienten, die dieses Symptom zeigen,

Abb. 1!Entzündliches Infiltrat

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Parodontalabszess

Bei parodontalen Entzündungsprozessen kann es im-mer wieder zu lokalen Sekretansammlungen oder gar Taschenabszessen kommen. Die Therapie besteht in der Kürettage und ggf. auch Inzision, gefolgt von einer regelhaften parodontologischen Diagnosestellung und Therapie2,6,13.

Die Dentitio difficilis

Bei dieser häufig im Akutstadium abszedierenden Ent-zündung kommt es zu einer Infektion unter einer Schleimhauttasche, welche oft bei im Durchbruch be-findlichen oder arretierten Molaren anzutreffen ist2,14 (Abb. 2). Meistens sind die unteren Weisheitszähne betroffen6. Im Akutstadium besteht die Therapie in der Kürettage der Tasche, in der lokalen Exzision der Schleim-haut und – nach Abheilung – in der kieferorthopädischen Einordnung oder Extraktion des Zahnes. Eine Antibiose ist meist nicht erforderlich, jedoch sollte besonders der linguale, palatinale, retromolare und pharyngeale Be-reich genau inspiziert und gezielt nach kritischen Symp-tomen wie Schluckbeschwerden und Mundöffnungs-einschränkungen gesucht werden, um eine mögliche Ausbreitung früh zu erkennen.

nahmen – insbesondere feuchte Kühlung z. B. durch ein mit kaltem Wasser getränktes Tuch6,10,14. Als Anti-biotikum bietet sich für Gesunde Amoxicillin an, das bei Patienten mit einer potenziell eingeschränkten Im-munantwort mit einem -Lactamasehemmer kombi-niert werden sollte4,9,11. Bei Allergien kann auf Clin-damycin oder Clarithromycin ausgewichen werden9. -Lactamasehemmer und Clindamycin dürfen in der

Schwangerschaft nicht zur Anwendung kommen, und der Einsatz von Clarithromycin sollte mit dem behandeln-den Gynäkologen abgesprochen werden9,16. Weitere Details zur antibiotischen Behandlung finden sich bei Tröltzsch et al.17,19.

Der apikale Prozess

Die zahnärztlich-diagnostische Abklärung bei entzünd-lichen Infiltraten führt meist zur Identifizierung eines avitalen Zahnes, häufig bereits mit apikalem Prozess. Allerdings weist längst nicht jeder apikal beherdete Zahn im klinischen Alltag ein die Weichteile betreffen-des entzündliches Infiltrat auf.

Therapeutisch steht hier die endodontische Thera-pie im Vordergrund. Idealerweise kommt es dabei zum Pusabfluss aus dem Kanal. Eine Antibiose ist bei iso-lierten apikalen Prozessen, auch im akuten Stadium, meist nicht notwendig. Nur wenn ein entzündliches Begleitinfiltrat vorliegt oder der Patient wegen seiner Medikation bzw. aufgrund von Vorerkrankungen im-munkompromittiert erscheint, kann eine Indikation zur antibiotischen Therapie bestehen3,7,20.

Zahnärztlich-chirurgisches Prozedere

Sobald es zu einer Pusansammlung kommt, reicht eine konservative Therapie nicht mehr aus, und es muss ei-ne Inzision und Drainage des Prozesses erfolgen6,10,14. Eine antibiotische Therapie ist im Fall eines Pusabflus-ses meist nicht nötig und eher bei befürchtetem oder bereits eingetretenem Fortschreiten der Entzündung in die angrenzenden Logen (siehe Abschnitt „Mund-, kiefer- und gesichtschirurgisches Vorgehen“) und bei Risikopatienten indiziert6.

Abb. 2!Dentitio difficilis

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nicht zur regelhaften Wundheilung, sondern zu einer lokalen und schmerzhaften Entzündung der Extrak tions-alveole6,10,14. Diese zeigt sich einige Tage nach der Extrak-tion und weist eine leere Alveole, einen schmierigen Wundgrund und einen deutlichen Foetor auf2,6. Die The-rapie besteht in der Kürettage der Wunde z. B. mit einem scharfen Löffel und der offenen Nachbehandlung2,6. Eine Antibiose, etwa mit Amoxicillin, ist sinnvoll6,14.

Mund-, kiefer- und gesichts-chirurgisches Vorgehen

Entzündungsprozesse, die über den direkten anatomi-schen Bereich um den schuldigen Zahn herum fortschrei-ten, breiten sich in die umliegenden Weichgewebe aus6. Je nach Ausgangspunkt kann dies u. a. der submandi-buläre, bukkale, retromandibuläre, retromaxilläre und pharyngeale Raum oder auch die Fossa canina sein. Eine nicht selten zusätzlich auftretende Kieferklemme durch Beteiligung der Muskulatur erschwert die Dia-gnostik erheblich6. Daher werden in diesen Fällen ge-eignete bildgebende Verfahren wie z. B. Ultraschall oder Computertomographie mit Kontrastmittel heran-gezogen. Problematisch ist, dass der entzündliche Prozess im Rahmen dieser Ausbreitung anatomische Logen betreffen kann6,10,14. Logen sind von Bändern oder Faszien be grenzte defi nierte Räume, die Struktu-ren wie Muskeln enthalten und gerade im Gesichts-

Der submuköse Abszess

Wenn ein z. B. von einem apikalen Herd ausgehender entzündlicher Prozess sich weiter ausbreitet, bahnt er sich oft zuerst den Weg durch das Periost und dann weiter intraoral unter die Mukosa2 (Abb. 3). Klinisch imponiert dann eine stark schmerzhafte Schwellung der Mukosa. Obwohl die zahnärztliche Therapie des verursachenden Zahnes meist sinnvoll ist, reicht sie nicht aus, und es muss eine Inzision durchgeführt werden2,6,14. Diese kann beispielsweise über dem Punctum maximum, marginal oder auch paramarginal unter Berücksichtigung der ana-tomischen Strukturen erfolgen6,14. Wichtig ist hier je-doch, dass bei einer geplanten oder auch nur möglichen baldigen Entfernung des schuldigen Zahnes eine margi-nale Schnittführung vorgezogen werden sollte6 (Abb. 4). Nach Pusabfl uss und Spülung muss die eingelegte Drai-nage z. B. durch Annaht gesichert werden6. Bei abge-grenztem Prozess und deutlichem Pusabfl uss ist eine Antibiose meist nicht erforderlich6,14. Lediglich die be-reits angesprochenen Einschränkungen der Immunab-wehr können dazu eine Indikation herbeiführen18.

Die Alveolitis sicca

Im Gegensatz zur Dentitio diffi cilis und zum Abszess ist eine Alveolitis sicca ein eher chronisches Geschehen (Abb. 5). Nach der Extraktion eines Zahnes kommt es

Abb. 4!Marginale Schnittführung mit Pusabfl uss

Abb. 3!Sub muköser Abszess

Submuköser Abszess

Abb. 5!Alveolitis sicca – Alveole nach 1 Woche

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extraoral ca. 4 cm kaudal des Unterkieferrandes mit an-schließendem stumpfem Präparieren bis in die Abszess-höhle notwendig6,10,14. Bei Fossa-canina-Abszessen kann eine intraorale Inzision ausreichen, wobei in manchen Fällen auch hier ein extraorales Vorgehen erforderlich ist6. Das Gleiche gilt für retromaxilläre Abszesse, die leicht übersehen werden können und deshalb das am häufi gsten nicht diagnostizierte Abszessgeschehen im Bereich der Kiefer darstellen6. Eine gründliche retro-maxilläre und -mandibuläre Palpation ist daher im Rahmen der Diagnostik wichtig.

bereich eng kommunizieren, so dass sich Infektionen in den Logen rasch auszubreiten vermögen8 (Abb. 6). Diese sogenannten Logenabszesse können somit re-lativ schnell zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen6,8,10,14. Um das zu verhindern, ist eine zügige Therapie notwendig.

Entzündungsprozesse der Weichteile bedürfen nicht selten einer extraoralen oder kombiniert extra- und intraoralen Eröffnung und müssen stationär mittels intravenöser Antibiose behandelt werden. So ist bei sub- und perimandibulären Abszessen die Eröffnung von

Abb. 6!Logenabszess – Ausbreitungs-möglichkeit Richtung Pharynx

Vagina carotica

Glandula parotidea

Retropharyngealer Raum

Lateraler pharyngealer Raum

Pterygomandibulärer Raum

Musculus pterygoideus medialis

Ramus mandibulae

Musculus masseter

Submandibulärer Raum

Musculus buccinator

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zu gehören die tägliche Reevaluation des Gesamt- und Lokalzustandes sowie tägliche Spülungen und Drai na ge-wechsel6,14. Wenn die Spülung für einige Tage klar war und die Symptome sich zurückbilden, ist es möglich, die Drainage zu entfernen und die Nachsorge intervalle zu verlängern. Falls nach wenigen Tagen keine Verbesserung eintritt oder es nach noch kürzerer Zeit zu einer Ver-schlechterung kommt, sollte der Patient an einen Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen überwiesen werden.

Hinweis

Die in der Checkliste dieses Beitrags angegebenen Do-sierungen sind bezogen auf einen durchschnittlichen Erwachsenen und häufig als Standardrichtwert zu nutzen. Die genaue Dosierung muss individuell nach Packungs-beilage erfolgen. Für schwangere Patientinnen wird zu-sätzlich auf die Ausführungen bei Tröltzsch16 verwiesen. Der Zahnarzt stellt die Indikation zur Antibiose. In Zwei-felsfällen sollte Rücksprache mit dem behandelnden Arzt gehalten werden.

Vorgehen bei Kindern

Grundsätzlich gelten für Kinder die gleichen Regeln wie für Erwachsene. Jedoch kommt es im klinischen Alltag leicht zu entzündlichen Infiltrationen und Begleitöde-men, die schnell bedrohlich aussehen können (Abb. 7). Daher sollten betroffene Patienten zügig einem Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen vorgestellt werden. Ein stationärer Aufenthalt mit intravenöser Antibiose ist hier ratsam und führt meist zu einer schnellen Rückbil-dung der Symptomatik. In vielen Fällen reicht dann die chirurgische Zahnsanierung, wohingegen eine extra-orale Eröffnung selten notwendig ist.

Postoperatives Vorgehen

Grundsätzlich bedürfen alle odontogenen Infektionen nach der initialen Therapie einer engmaschigen Nach-sorge bis zum kompletten Abklingen der Symptome. Auch bei erfolgreicher konservativer Therapie und bei jedem invasiven Vorgehen ist initial eine tägliche Wieder vorstellung der Patienten notwendig6,10,14. Da-

Abb. 7!Entzündliches Infiltrat bei einem Kind

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CHECKLISTEBewahren Sie diese Aufstellung leicht zugänglich auf oder fügen Sie sie Ihren Qualitätsmanagement-Unterlagen bei.

Antibiotikum Indikation Beachten/KontraindikationPenicillin V, 1 Mega 1-1-1 Kinder: gewichtsadaptiert

Kinder, leichte Fälle mit vorbeugendem Charakter

Allergien

Amoxicillin 1.000 mg 1-0-1 Standardantibiotikum Allergien

Amoxicillin 875 mg + Clavulansäure 125 mg 1-1-1

schwerere Infektionen, Patient nicht gesund (z. B. Diabetes), Antibiose mit -Lactam-Antibiotikum zeigt nach

3 Tagen keine Wirkung

Allergien, Schwangerschaft

Clarithromycin 500 mg, 1-0-1 Ausweichpräparat bei Allergie Allergien

Clindamycin 600 mg, 1-0-1 Ausweichpräparat bei Allergie Allergien, Schwangerschaft, Darmerkrankungen

Grundsätzliches zur Beispielauswahl von Antibiotika(Cave: Allergien, weitere Kontraindikationen)

Parotitis: Amoxicillin 875 mg + Clavulansäure 125 mg, 1-1-1Parodontitis: nach Erregerspektrum, z. B. Amoxicillin 500 mg 1-1-1 und Metronidazol 400 mg 1-1-1 (Van-Winkelhoff-Cocktail)Apikaler Prozess: Amoxicillin 1.000 mg 1-0-1Abszess: wenn zusätzlich zur chirurgischen Ent lastung notwendig, z. B. Amoxicillin 1.000 mg 1-1-1Kinder: Penicillinsaft gewichtsadaptiertSchwangere: Amoxicillin 1.000 mg 1-0-1 (vgl. Tröltzsch16)Endokarditisprophylaxe: 2 g Amoxicillin 2 Stun den vor OP; bei Allergie: 600 mg Clindamycin

Kritische Entzündungszeichen im orofazialen Bereich

Druckschmerzhafte Vena angularisEingeschränkte MundöffnungNicht durchtastbarer UnterkieferrandSchluckbeschwerden/Atembeschwerden/kloßige SpracheFieber/Kreislaufbeschwerden

Beim Auftreten dieser Symptome wird eine Überweisung in eine Klinik empfohlen.

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