Änderungsmanagement im produktlebenszyklus„nderungsmanagement im produktlebenszyklus d as...

4
Änderungsmanagement im Produktlebenszyklus Das Änderungsmanagement stellt einen der integrativsten Vorgänge des Produktlebenszyklus dar. Insbesondere die der Produktentwicklung nachgela- gerten logistischen Prozesse können so ihr Erfahrungswissen hinsichtlich Trans- port, Fertigungsaufwand oder Wartbarkeit zur Verfügung stellen und für eine kosten- und aufwandsoptimierte Bereitstellung sorgen. Voraussetzung dafür ist eine enge Verknüpfung der relevanten konstruktiven und logistischen Pro- zesse und somit ein reibungsloses Zusammenspiel von PLM- und ERP-System. Der Artikel beschreibt die Möglichkeiten, Herausforderungen und Vorgehens- weisen zu diesem Prozess und den zugrunde liegenden IT Strukturen anhand eines konkreten Projektbeispiels aus dem Anlagenbau. 20 PLM IT REPORT Nr. 4, 2015 PLM-TECHNOLOGIE Das Änderungsmanagement zwischen technischen, logistischen und kaufmännischen Prozessen ist ein Thema, das inzwischen viele Unternehmen beschäftigt.

Upload: dinhthu

Post on 02-Apr-2018

227 views

Category:

Documents


2 download

TRANSCRIPT

Page 1: Änderungsmanagement im Produktlebenszyklus„nderungsmanagement im Produktlebenszyklus D as Änderungsmanagement stellt einen der integrativsten Vorgänge des Produktlebenszyklus

Änderungsmanagement im Produktlebenszyklus

Das Änderungsmanagement stellt einen der integrativsten Vorgänge des Produktlebenszyklus dar. Insbesondere die der Produktentwicklung nachgela-gerten logistischen Prozesse können so ihr Erfahrungswissen hinsichtlich Trans-port, Fertigungsaufwand oder Wartbarkeit zur Verfügung stellen und für eine kosten- und aufwandsoptimierte Bereitstellung sorgen. Voraussetzung dafür ist eine enge Verknüpfung der relevanten konstruktiven und logistischen Pro-zesse und somit ein reibungsloses Zusammenspiel von PLM- und ERP-System. Der Artikel beschreibt die Möglichkeiten, Herausforderungen und Vorgehens-weisen zu diesem Prozess und den zugrunde liegenden IT Strukturen anhand eines konkreten Projektbeispiels aus dem Anlagenbau.

20 PLM IT REPORT Nr. 4, 2015

P L M - T E C H N O L O G I E

Das Änderungsmanagement zwischen technischen, logistischen und kaufmännischen Prozessen ist ein Thema, das inzwischen viele Unternehmen beschäftigt.

Page 2: Änderungsmanagement im Produktlebenszyklus„nderungsmanagement im Produktlebenszyklus D as Änderungsmanagement stellt einen der integrativsten Vorgänge des Produktlebenszyklus

PLM IT REPORT Nr. 4, 2015 21

Die Herausforderung, Produktänderungen zu meistern, nimmt aufgrund externer Faktoren wie steigendem Wettbewerbsdruck sowie dem Wunsch nach kürzeren Produkt- und Innova-tionszyklen stetig zu. Auch interne Faktoren, wie eigenes globales Wachstum und daraus resultierende heterogene und inkompatible Systemlandschaften, zwingen die Unterneh-men zum Handeln.

Änderungen gehören in den Alltag eines jeden Entwicklungsprojekts und beeinflussen „Fit, Form oder Funktion“ des Produktes. Als Änderung wird jeder Eingriff in einen fest-gelegten Stand eines Produktes oder dessen Dokumentation betrachtet. Wichtige Aspekte im Rahmen des Änderungsmanagements sind die strukturierte Durchführung und Dokumen-tation aller Maßnahmen und Aktivitäten im Zuge des Änderungsverlaufes.

Trotz der wachsenden Bedeutung von Än-derungen geben in einer Untersuchung der Aberdeen Group 85 Prozent der Teilnehmer an, dass ihre Verfahren für das Änderungs-management entweder unvollständig oder verbesserungswürdig sind [1]. Insbesondere werden die durch Änderungen entstehenden Kosten häufig vernachlässigt. Dies liegt zum einen daran, dass diese Kosten schwer zu beziffern sind und häufig in einem Gemein-kostentopf verschwinden, und zum anderen nur wenige Benchmarks zum Vergleich der Änderungskosten zur Verfügung stehen. Nach Erfahrung der Unternehmensberater von Ernst & Young belaufen sich die Änderungskosten im Maschinen- und Anlagenbau auf rund zwei Prozent des Gesamtumsatzes. Bei den aktuell häufig einstelligen Prozentsätzen der Netto-Umsatzrenditen im Maschinen- und Anlagen-bau stimmt diese Größenordnung bedenklich.

Der Kostentreiber Änderungsmanagement

Es ist aus wirtschaftlichen Gründen also durchaus sinnvoll, das Thema Änderungsma-nagement detaillierter zu betrachten und mög-liche Potentiale zu heben. Leading Practice im Änderungsmanagement ermöglicht es zum einen, die Transparenz über den gesamten

Lebenszyklus – von der Idee und Entwicklung über Fertigung bis hin zum Kunden – zu erhö-hen. Zum anderen können die entstehenden Änderungskosten deutlich gesenkt und die Durchlaufzeit der Änderung bei Integration der gesamten Wertschöpfungskette um bis zu 50 Prozent verkürzt werden. Dies wirkt sich wie-derum positiv auf Time-to-Market und somit Preise, Umsatz und Marge aus. Ein systema-tisches Änderungsmanagement ist daher ein wesentlicher Baustein eines finanziell erfolg-reichen Unternehmens.

Standards im Änderungsmanagement

Im Änderungsmanagement haben sich im Laufe der Zeit unterschiedliche Standards eta-bliert. Diese Standards beschreiben Prozesse, Rollen und Methoden zur Behandlung von Änderungen. Damit soll sichergestellt werden, dass nichts entwickelt, geändert oder gefertigt wird, das nicht zuvor eindeutig dokumentiert wurde. Jede Änderung durchläuft somit einen geschlossenen Gesamtprozess (siehe Abbil-dung 2), welcher verhindern soll, dass aus einer einfachen Produktänderung eine Reihe von unvorhergesehenen Problemen entsteht. Zu den bekanntesten Standards zählen: der CMII-Standard als internationaler software- und branchenunabhängiger Standard, die VDA ECM-Empfehlung 4965 für die Automobilindu-strie und die etwas in die Jahre gekommene DIN 199 (Teil 4)

P L M - T E C H N O L O G I E

Abbildung 2 zeigt die Schritte eines idealtypischen Änderungsprozesses

DatensicherheitDatensicherheitMade in

GermanyMade in

Germany

Page 3: Änderungsmanagement im Produktlebenszyklus„nderungsmanagement im Produktlebenszyklus D as Änderungsmanagement stellt einen der integrativsten Vorgänge des Produktlebenszyklus

Änderungsprozesse sind wie Entwicklungs-prozesse, jedoch immer unternehmensab-hängig – den allgemeingültigen Änderungs-prozess gibt es nicht. Der größte Nutzen von Änderungsprozessen entfaltet sich vor allem dann, wenn diese zum einen auf spezifischen Geschäftsanforderungen eines Unternehmens basieren und zum anderen nicht ausschließ-lich auf die Produktentwicklung beschränkt werden.

Projektbeispiel integriertes Änderungsmanagement im

Anlagenbau

In einem Projekt bei einem global aufge-stellten Unternehmen aus dem Anlagenbau hat EY mittels seiner etablierten Methodik ein integriertes Änderungsmanagement kon-zipiert und umgesetzt (siehe Abbildung 3). Dabei wurden basierend auf den konkreten Geschäftsanforderungen Änderungskategorien auf Basis wiederkehrender Änderungsgründe (qualitative Mängel, Gesetzesänderungen, si-cherheitstechnische Änderungen, Änderungen von Produktionsressourcen) definiert. Dabei haben sich die Projektverantwortlichen nicht nur auf die Produktentwicklung beschränkt, sondern auch nachgelagerte Bereiche wie Planung, Produktion oder Transport berück-sichtigt, die ebenfalls Auslöser und Betroffene einer Änderung sein können. Dadurch werden höchst integrative Prozessen zwischen tech-nischen, kaufmännischen und logistischen

Abteilungen mit größtmöglicher Transparenz und Effizienz geschaffen.

Als Basis für die Definition der detaillierten Prozessschritte, Rollen und Verantwortlich-keiten, welche je Änderungskategorie unter-schiedlich ausfallen, dienten die im vorange-gangenen Abschnitt betrachteten Standards. Der Vorteil hierbei ist, dass viele Software-systeme auf diesen Standards aufbauen und somit bei Umsetzung ein geringerer kunden-spezifischer Anpassungsaufwand zu leisten ist. Doch nicht nur abgestimmte Prozesse und IT sind für Leading Practice im Änderungs-management essentiell. Die Etablierung ei-ner Governance Struktur (Change Board) ist ebenso wesentlich, da sie die Änderungen nach Kosten-Nutzen-Kriterien priorisiert und als zentrale Steuerungseinheit des gesamten Änderungswesens agiert.

Erst in der Folge wurde das integrierte IT-Systemkonzept für die expliziten Änderungs-durchläufe erstellt. Dabei galt die Maxime, den Anwender dort abzuholen, wo er sich haupt-sächlich bewegt. Somit wurde für den Anwen-der ein Springen zwischen verschiedenen IT Systemen vermieden. Je Änderungskategorie und Prozessschritt wurden unterschiedliche führende Systeme (PLM und ERP) festgelegt.

Im Änderungsmanagement führende Un-ternehmen haben zudem einen Prozess zur Definition und Überwachung von Messgrößen etabliert. Die kontinuierliche Überwachung von Messgrößen erlaubt es einerseits, den Änderungsprozess selbst zu verbessern, und andererseits, vermeidbare Änderungen zu ver-hindern. Typische Messzahlen sind die Anzahl an Änderungen je Änderungskategorie oder deren Durchlaufzeiten.

Konkreter Anwendungsfall eines Änderungsprozesses

Um die Vorgehensweise zu verdeutlichen, wird nachfolgend die integrative Natur von Änderungsprozessen in PLM und ERP anhand eines konkreten Anwendungsfalls beschrieben (siehe Abbildung 4).

Bei der Fertigung wird die leichte Ent-zündbarkeit eines Bauteils festgestellt, wo-raufhin der Fertigungsleiter im ERP-System eine Qualitätsmeldung erstellt, die als zentrale Sammelstelle für Fehlermeldungen dient. Die zuständige Qualitätsabteilung prüft und ver-vollständigt die Anfrage, kategorisiert sie als sicherheitstechnische Änderung und generiert daraufhin im PLM-System automatisiert eine zugehörige Änderungsanfrage. Der zuständige Konstruktionsleiter erhält automatisch eine

22 PLM IT REPORT Nr. 4, 2015

P L M - T E C H N O L O G I E

Abbildung 3: Vorgehensmodell zur Definition von Ände-rungsprozessen

Page 4: Änderungsmanagement im Produktlebenszyklus„nderungsmanagement im Produktlebenszyklus D as Änderungsmanagement stellt einen der integrativsten Vorgänge des Produktlebenszyklus

PLM IT REPORT Nr. 4, 2015 23

Systembenachrichtigung über die Anfrage und zieht die zuständige Fachabteilung bezüglich Auswirkungen und zu ändernden Objekten hinzu. Zur Detailanalyse des Aufwands und der Auswirkungen führt die Fachabteilung ei-nen Verwendungsnachweis der betroffenen Bauteile und identifiziert somit Zusammen-hänge. Nach erfolgter Analyse bewertet das Change Board den Änderungsantrag. Diesem Gremium gehört unter anderem der Beauf-tragte für Sicherheitstechnik an, weshalb die Änderung schnellstmöglich zur Durchführung freigegeben wird. Durch die Freigabe wird ein Änderungsauftrag erstellt, der die betroffenen Objekte im PLM- und ERP-System automatisiert kaufmännisch und logistisch sperrt und so eine weitere Verwendung in Einkauf, Fertigung et cetera unterbindet.

In der Folge wird die Änderung konstruktiv durchgeführt und im PLM-System technisch freigegeben. Mit Freigabe der konstruktiven Tätigkeit im PLM-System wird im ERP-System

ein Prozess zur Pflege der kaufmännischen und logistischen Daten wie Materialstämme, Arbeitspläne oder Fertigungsstücklisten an-gestoßen. Nach der industriellen Freigabe des Änderungsauftrags im ERP-System werden die Sperren automatisiert gelöst, womit die betrof-fenen Objekte wieder verwendbar sind. Beim Schließen der Qualitätsmeldung durch die zentrale Qualitätsabteilung wird die Informa-tion über die erfolgreiche Änderung an einen fest definierten Adressatenkreis versandt. -sg-Autoren: Dr.-Ing. Alexander Burger, Ina Brozmann, Dr. Adrian Reisch; Ernst & Young GmbH

Literatur: [1] Aberdeen Group: Engineering Change Management: Avoiding Bottlenecks for Competitive Advantage. Research Report. 2012.

Ernst & Young (EY), Berlin, Tel. 030/25471-0, www.ey.com/de

P L M - T E C H N O L O G I E

Abbildung 4: Anwendungsfall eines integrierten Änderungsprozesses zwischen PLM und ERP