medizinethik in gesellschaftlicher und politischer diskussion

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Ethik Med (2002) 14:1–2 Editorial Medizinethik in gesellschaftlicher und politischer Diskussion Marcus Düwell In den letzten zwei Jahren sind Fragen der Medizin- und Bioethik auf ein öffent- liches Interesse gestoßen wie selten zuvor. Fortpflanzungsmedizingesetz, Präim- plantationsdiagnostik und Stammzellforschung sind in den Medien breit disku- tiert worden. Die Medizin- und Bioethik scheint sich nach anderthalb Jahrzehn- ten in Deutschland fest etabliert zu haben. Erkennbar wird auch, dass neben dem wissenschaftlichen Ethik-Diskurs auf der einen und der gesellschaftlichen und politischen Debatte auf der anderen Seite die politisch initiierten Beratungsgre- mien zum festen Bestandteil der Diskussion werden. Mit der Enquete-Kommis- sion „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Parlaments, dem Ethik-Bei- rat des Bundesgesundheitsministeriums und dem sog. Nationalen Ethikrat des Bundeskanzlers sind in der laufenden Legislaturperiode in diesem Bereich sehr viel mehr Initiativen angestoßen worden als zuvor. Beim Fernsehzuschauer dürfte im vergangenen Jahr vielleicht sogar ein Überdruss an Bioethik hervorge- rufen worden sein. Nun hat sich in internationaler Perspektive hinsichtlich der Etablierung von Institutionen und der Intensität des öffentlichen Diskurses eher eine Normalisie- rung eingestellt, insofern es evtl. in Deutschland einen Nachholbedarf gab. Es ist daher gut, wenn in Deutschland neue Formen der Politikberatung, der Streit- kultur oder auch des gesellschaftlichen Diskurses ausgetestet werden, mit denen in anderen Ländern bereits Erfahrungen gemacht wurden (vgl. etwa auch das Bürgerforum „Gendiagnostik“ des Deutschen Hygienemuseums in Dresden). Gleichwohl stellt sich die Frage, wie das Verhältnis von wissenschaftlichem Ethik-Diskurs, Gesetzgebung und gesellschaftlicher Debatte auf längere Sicht sinnvoll gestaltet werden kann. Für den wissenschaftlichen Ethik-Diskurs ist es dabei weiterhin erforderlich, dass er institutionell abgesichert ist und über hin- reichend Forschungsmittel verfügt. Tendenzen einiger Förderprogramme unter dem Label „Ethik“ nicht so sehr die wissenschaftliche Ethik zu fördern als viel- mehr die Vermittlung der Technologiepolitik an die breite Bevölkerung sind hier sicherlich wenig hilfreich. Das Verhältnis zwischen Ethik, Gesetzgebung und Gesellschaft sollte man als ein Spannungsverhältnis ansehen. In der öffentlichen Diskussion äußern sich die vielfältigen Interessen und Überzeugungen einer pluralistischen Gesell- Prof. Dr. phil. Marcus Düwell Philosophische Fakultät, Universität Utrecht, Heidelberglaan 8, 3584 CS Utrecht, Nieder- lande © Springer-Verlag 2002

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Page 1: Medizinethik in gesellschaftlicher und politischer Diskussion

Ethik Med (2002) 14:1–2

Editorial

Medizinethik in gesellschaftlicherund politischer DiskussionMarcus Düwell

In den letzten zwei Jahren sind Fragen der Medizin- und Bioethik auf ein öffent-liches Interesse gestoßen wie selten zuvor. Fortpflanzungsmedizingesetz, Präim-plantationsdiagnostik und Stammzellforschung sind in den Medien breit disku-tiert worden. Die Medizin- und Bioethik scheint sich nach anderthalb Jahrzehn-ten in Deutschland fest etabliert zu haben. Erkennbar wird auch, dass neben demwissenschaftlichen Ethik-Diskurs auf der einen und der gesellschaftlichen undpolitischen Debatte auf der anderen Seite die politisch initiierten Beratungsgre-mien zum festen Bestandteil der Diskussion werden. Mit der Enquete-Kommis-sion „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Parlaments, dem Ethik-Bei-rat des Bundesgesundheitsministeriums und dem sog. Nationalen Ethikrat desBundeskanzlers sind in der laufenden Legislaturperiode in diesem Bereich sehrviel mehr Initiativen angestoßen worden als zuvor. Beim Fernsehzuschauerdürfte im vergangenen Jahr vielleicht sogar ein Überdruss an Bioethik hervorge-rufen worden sein.

Nun hat sich in internationaler Perspektive hinsichtlich der Etablierung vonInstitutionen und der Intensität des öffentlichen Diskurses eher eine Normalisie-rung eingestellt, insofern es evtl. in Deutschland einen Nachholbedarf gab. Esist daher gut, wenn in Deutschland neue Formen der Politikberatung, der Streit-kultur oder auch des gesellschaftlichen Diskurses ausgetestet werden, mit denenin anderen Ländern bereits Erfahrungen gemacht wurden (vgl. etwa auch dasBürgerforum „Gendiagnostik“ des Deutschen Hygienemuseums in Dresden).Gleichwohl stellt sich die Frage, wie das Verhältnis von wissenschaftlichemEthik-Diskurs, Gesetzgebung und gesellschaftlicher Debatte auf längere Sichtsinnvoll gestaltet werden kann. Für den wissenschaftlichen Ethik-Diskurs ist esdabei weiterhin erforderlich, dass er institutionell abgesichert ist und über hin-reichend Forschungsmittel verfügt. Tendenzen einiger Förderprogramme unterdem Label „Ethik“ nicht so sehr die wissenschaftliche Ethik zu fördern als viel-mehr die Vermittlung der Technologiepolitik an die breite Bevölkerung sind hiersicherlich wenig hilfreich.

Das Verhältnis zwischen Ethik, Gesetzgebung und Gesellschaft sollte manals ein Spannungsverhältnis ansehen. In der öffentlichen Diskussion äußern sichdie vielfältigen Interessen und Überzeugungen einer pluralistischen Gesell-

Prof. Dr. phil. Marcus DüwellPhilosophische Fakultät, Universität Utrecht, Heidelberglaan 8, 3584 CS Utrecht, Nieder-lande

© Springer-Verlag 2002

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schaft. Die Gesetzgebung hat die Aufgabe, in der Auseinandersetzung zwischenden gesellschaftlichen Kräften einen verbindlichen Handlungsrahmen festzule-gen. Dabei ist sie gut beraten, sich der moralischen Grundlagen einer rechts-staatlichen Demokratie zu vergewissern.

In diesem Rahmen kann die wissenschaftliche Ethik eine Aufgabe überneh-men, wenn sie moralische Argumentationen im Hinblick auf die Regelung neuerTechnologien transparent macht und Begründungsmöglichkeiten für moralisch-normative Beurteilungen skizziert. Es ist sicherlich auch die Aufgabe der wis-senschaftlichen Ethik die Ergebnisse ihrer Arbeit allgemein verständlich zu prä-sentieren und durch Politikberatung in die parlamentarischen Debatten einzu-bringen. Unübersichtliche und kontroverse wissenschaftliche Diskussionenmüssen der Politik erst zugänglich gemacht werden. Aber die wissenschaftlicheEthik sollte nicht die Aufgabe zugeschrieben bekommen oder sie für sich rekla-mieren, gesellschaftliche Auseinandersetzungen zu kanalisieren und parlamen-tarische Entscheidungen in semi-politischen Gremien abzufedern. Wenn etwadas rein zahlenmäßige Ergebnis einer Abstimmung in einem Ethikberatungsgre-mium in der Presse vorgestellt wird, noch bevor die relevanten Argumentations-linien schriftlich zugänglich sind, so stellt sich die Frage, welche Erwartungendiese Gremien erzeugen bzw. welche Erwartungen an sie herangetragen werden.Enquete gegen, Ethikrat für Stammzellimporte. And so what? Welche Mehr-heitsverhältnisse in Gremien herrschen, die nicht vom Volke gewählt wurden, istwirklich vollständig unwesentlich. Welche Argumente diese Gremien in politi-sche Prozesse einbringen, sollte von Interesse sein. Es ist aber auch zu fragen,welche Verhandlungsgegenstände denn überhaupt sinnvoller Weise von ethi-schen Beratungsgremien behandelt werden sollten. So kann ein solches Bera-tungsgremium die moralischen Argumente für und wider die Forschung an Em-bryonalen Stammzellen erwägen und kritisch prüfen. Je nachdem zu welchemErgebnis man dabei kommt, ergeben sich moralische Forderungen an den Ge-setzgeber. Die Frage der Stammzellimporte hängt jedoch nicht allein von dermoralischen Beurteilung der Forschung an Embryonalen Stammzellen ab, son-dern auch von der Einschätzung rechtlicher Rahmenbedingungen, die von derethischen Frage zunächst unabhängig zu sehen sind. Es fragt sich sehr, wo hierdie genuine Beratungskompetenz eines Ethikgremiums zu sehen ist.

Ethik kann auf das reflexive Potential einer Gesellschaft beim Umgang mitden Grundlagen der gesellschaftlich verbindlichen Moral einwirken. Hier hatdie Ethik in der Medizin in den aktuellen Debatten um die moralische Dimen-sion neuer biomedizinischer Techniken eine besondere und unersetzbare Aufga-be. Das öffentliche Zutrauen in die Seriosität der Ethik kann jedoch sehr nach-haltig verspielt werden, wenn sich die Ethik nicht mehr ihrer eigenen Aufgabe,Kompetenz und Grenzen bewusst ist. Für die Diskussionskultur und das ethi-sche Reflexionsniveau einer Gesellschaft wäre der daraus entstehende Schadenbeträchtlich.

2 M. Düwell