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know-how:sportklettern 98 |outdoor guide|sommer|09 Ab in die Vertikale! Basiswissen für Sportkletterer Immer mehr Outdoorsportler zieht es in die Verti kale. Sportklettern ist für sie physische und psychische Herausforderung zugleich. Der outdoor guide zeigt Einsteigern und Fortgeschrittenen, wie man sich und seine Kletterpartner in der Halle, im Klettergarten und auf Mehrseillängenrouten richtig sichert und wie man kraftschonend klettert. Sportklettern erfreut sich grosser Beliebtheit, und dies in allen Spielformen: in den Kletterhallen, beim Bouldern, draussen im Klettergarten oder in den Bergen in so ge- nannten «Plaisir»-Routen. Der Einstieg in diese Sportart erfolgt immer öfter über die Kletterhalle, in der manch einen die Faszination für das leichte Spiel mit der Schwer- kraft packt. In dieser ersten Lernphase ist nicht das Er- lernen spezieller Klettertechniken entscheidend, sondern eine solide Seil- und Sicherungstechnik. Ein Grossteil der Unfälle passiert in der Konstellation «Neuling sichert den ihn instruierenden Freund». Es empfiehlt sich deshalb unbedingt, zum Einstieg einen Kurs oder zumindest eine Instruktion zu besuchen und sich das nachfolgend präsen- tierte theoretische Basiswissen zu verinnerlichen. Danach Text: Emanuel Wassermann, Michael Wicky Grafiken: Atelier Guido Köhler & Co., Binningen

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Page 1: know-how:sportklettern Ab in die Vertikale! · gezogen werden. Die Gurtschlaufe muss beim abgebildeten Typ zwingend zurückgeschlauft werden. Angeseilt wird parallel zum eingenähten

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Ab in dieVertikale!

Basiswissen für Sportk let terer

Immer mehr Outdoorsport ler z ieht es in die Vert i kale.

Sportk let tern is t für s ie physische und psychische

Her ausforderung zugle ich. Der outdoor guide ze igt

E inste igern und Fortgeschr i t tenen, wie man s ich

und seine Klet terpartner in der Hal le, im Klet tergarten

und auf Mehrsei l längenrouten r icht ig s ichert und

wie man kraf tschonend klet ter t .

Sportklettern erfreut sich grosser Beliebtheit, und dies in allen Spielformen: in den Kletterhallen, beim Bouldern, draussen im Klettergarten oder in den Bergen in so ge-nannten «Plaisir»-Routen. Der Einstieg in diese Sportart erfolgt immer öfter über die Kletterhalle, in der manch einen die Faszination für das leichte Spiel mit der Schwer-kraft packt. In dieser ersten Lernphase ist nicht das Er-lernen spezieller Klettertechniken entscheidend, sondern eine solide Seil- und Sicherungstechnik. Ein Grossteil der Unfälle passiert in der Konstellation «Neuling sichert den ihn instruierenden Freund». Es empfiehlt sich deshalb unbedingt, zum Einstieg einen Kurs oder zumindest eine Instruktion zu besuchen und sich das nachfolgend präsen-tierte theoretische Basiswissen zu verinnerlichen. Danach

Text: Emanuel Wassermann, Michael WickyGrafiken: Atelier Guido Köhler & Co., Binningen

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kann und soll jedermann das Wissen über jene Varianten der Seil-, Sicherungs- und Klettertechnik ausbauen, die ihm am besten entsprechen. Das Klettern kann man nicht in der Theorie allein lernen, sondern nur Schritt für Schritt durch selbst gesammelte Erfahrungen, wobei man sich natürlich zuerst das grundlegende Wissen aneignen sollte, bevor man aufbricht.

Sicherungstechnik beim Klet tern in Hal len und Klet tergärten

Klettergurt richtig anziehenEs gibt zahlreiche verschieden konstruierte Klettergurte, wobei der in Grafik 1 abgebildete Typ am gebräuchlichsten ist. Wichtig ist, dass man sich in der mitgelieferten Bedie-nungsanleitung informiert, wie der Klettergurt angelegt und korrekt geschlossen wird. Im Zweifelsfall hilft auch der Bergsport-Fachhändler, bei dem man das Produkt gekauft hat. Die Grösse muss passend sein – auch hier hilft der Fachhändler weiter. Wird der Klettergurt meist in der Halle oder bei warmen Temperaturen draussen verwendet, wählt man am besten einen Gurt mit fixen Beinschlaufen. Soll der Gurt jedoch mit verschieden dicken Bekleidungsschichten (zum Beispiel auch im Winter für Skitouren auf dem Glet-scher oder im Sommer auf Hochtouren mit dicken Hosen) zum Einsatz kommen, sind verstellbare Beinschlaufen von Vorteil. Das Seil muss durch die richtigen Schlaufen einge-bunden werden. Nie nur mit Schraubkarabiner (also ohne im Gurt eingebundenen Knoten) anseilen!

Die meistverwendeten KnotenZum Klettern in der Halle genügen zwei Knoten: Der Achterknoten, mit dem sich der Kletterer anseilt, und der Halbmastwurf (oft auch in der abgekürzten Version HMS genannt), mit dem gesichert wird. Beim Achterknoten zum Anseilen (siehe Grafiken 2 bis 5) muss das Seilende min-destens zehn Zentimeter aus dem Knoten herausragen. Der Knoten muss an den einzelnen Seilsträngen stark an-gezogen werden.

Die Gurtschlaufe muss beim abgebildeten Typ zwingend zurückgeschlauft werden. Angeseilt wird parallel zum eingenähten Sicherungsring.

Grafik 1

Grafik 2 Grafik 3

Grafik 4 Grafik 5

10 cm

Grafik 6 Grafik 7

Die SeilausgabeBeim HMS läuft das Seil auf der einen Seite zum Kletterer, auf der anderen Seite wird mit dem Bremsseil gesichert. Das Bremsseil darf nie losgelassen werden. Dazu kann es mit einer Hand festgehalten werden, oder die Hand kann gleichzeitig beide Seile umgreifen, was wegen der grös-

Hängt sich der Kletterer in das Seil oder stürzt er, so kann die sichernde Person mit dem Halbmastwurf-Knoten HMS (Grafik 6) das Seil blockieren. Anstelle des HMS kann auch mit diversen Sicherungsgeräten gesichert werden, so zum Beispiel mit einem Tuber (Grafik 7) oder mit dem halbau-tomatischen Sicherungsgerät Grigri von Petzl. Sicherungs-geräte nur mit Instruktion in der Halle oder im Klettergar-ten, nicht aber in Mehrseillängenrouten verwenden. Jedes hat seine Tücken und Gefahren, die man kennen muss! Der HMS-Knoten wird in einen speziellen, birnenför-migen Karabiner mit Sicherung eingehängt und verriegelt. Diese meist zuschraubbare Sicherung muss immer wieder kontrolliert werden, denn sie kann sich von selbst lösen.

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seren Reibung noch einfacher geht. Der HMS-Karabiner wird so eingehängt, dass der Verschluss gegenüber der Bremshandseite liegt. Braucht der Kletterer Seil, so wird das Bremsseil mit der einen Hand in den HMS geschoben und mit der anderen hinausgezogen (Grafik 8 und 9).

Nie vergessen: Partnercheck Wichtige sicherheitsrelevante Aktionen müssen überprüft werden. Bei Einsteigern drohen Fehler aus Unwissenheit, bei Fortgeschrittenen aus Routine. Vor jedem Start muss folgender Routinecheck gemacht werden: Die sichernde Person kontrolliert, ob der Kletterer richtig angeseilt ist. Ist der Anseilgurt korrekt verschlossen und zugeschlauft? Ist der Achterknoten richtig geknüpft und durch die richtigen Schlaufen gezogen? In einem zweiten Schritt kontrolliert der Kletterer bei der sichernden Person, ob der Halbmast-wurf richtig eingehängt ist, ob der Karabiner verriegelt und in der richtigen Schlaufe eingehängt ist und ob der An-seilgurt korrekt verschlossen und zugeschlauft ist. Zudem wird geprüft, ob das Seil genügend lang ist. Falls Zweifel bestehen, wird am einfachsten am Ende angeseilt oder das Seilende zumindest verknotet (Grafik 12).

Grafik 8

Grafik 9

Grafik 10 Grafik 11

Bremshand

Zum Vorsteiger

Bre

mss

eil

Eine Hand schiebt das Seil in den Kno-ten hinein, die andere zieht es hinaus. Das Bremsseil wird dabei nie ganz losgelassen, damit es im Fall eines Sturzes sofort blo-ckiert werden kann.

Ob die linke oder die rechte Hand als Bremshand dient, ist unerheblich. Wichtig ist, dass man sich wohl fühlt und der Verschluss des HMS-Karabiners von der Bremshand wegschaut.

Bremshand

Ablassen des SeilpartnersHat der Kletterer das Ende der Route erreicht, so hängt er sich ins Seil und wird von der sichernden Person abge-lassen. Wichtig ist, dass diese dabei das Bremsseil in bei-den Händen hält. Falls es aus einer Hand springen würde, wäre noch die andere da. Es gibt für das Ablassen zwei gute Techniken: Grafik 10: Ein Rechtshänder drückt mit der linken Hand kurz oberhalb des HMS die beiden Seile zusammen und lässt das Seil langsam durch die Hände schleifen. Zur Si-cherheit und zum Eingeben des Seils umfasst die rechte Hand lose das Bremsseil. Grafik 11: Das Bremsseil wird durch ein Übergreifen der beiden Hände von oben in den HMS gelassen. Dabei schleift das Seil nicht durch die Hän-de. Bei beiden Varianten wird das Bremsseil parallel geführt zum Seil, das zur Person führt, die abgelassen wird. An-dernfalls bestünde die Gefahr, dass das Bremsseil unge-wollt den HMS-Karabiner aufdrückt. Zudem verhindert die parallele Seilführung die Krangelbildung im Seil. Grafik 12

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Die Aufgaben der sichernden Person Die sichernde Person steht nahe an der Wand unter der ersten Zwischensicherung, damit sie bei einem Sturz nicht unkontrolliert gegen die Wand gezogen wird. Bis die erste Zwischensicherung eingehängt ist, wird der Kletterer von der sichernden Person gespottet. Das heisst die Sichernde Person stellt sich so hin, dass sie den kletternden Partner im Falle eines Sturzes so manipulieren kann, dass er auf die Beine zu stehen kommt.Die sichernde Person ist darauf bedacht, dass wenig loses Seil ausgegeben ist. Sie reduziert damit die potenzielle Sturzhöhe. Das bedeutet, dass sie unter Umständen auch ab und zu wieder etwas Seil einziehen muss. Bis zum Ein-hängen des vierten Hakens ist diese Regel besonders sorg-fältig zu beachten, denn bis dort ist ein Sturz des Vorsteigers bis zurück auf den Boden eher möglich. Klettert dieser eher schnell, so gibt die sichernde Person etwas mehr loses Seil aus. Insbesondere beim Einhängen von Zwischensiche-rungen muss schnell genügend Seil ausgegeben werden. Ist die Wand überhängend und genügend «Bodenfreiheit» vorhanden, so gibt die sichernde Person bei einem Sturz ein bisschen Seil aus oder springt auf. Der Sturz wird da-durch etwas sanfter abgebremst. Insbesondere beim Stür-zen oberhalb eines Überhanges sollte die sichernde Person zusätzliches Seil ausgeben, damit der stürzende Kletterer nicht unglücklich an die Kante pendelt. Die sichernde Person sollte drei Viertel oder mehr des Ge-wichts des Kletterers wiegen. Darauf ist insbesondere beim Klettern mit Jugendlichen und Kindern zu achten. Tipp: Um etwas mehr Seilreibung zu haben, zusätzlich auch den ersten Haken der Nebenroute einhängen.

Zwischensicherungen einhängenKlettert man im Vorstieg, so hängt man Zwischensiche-rungen ein und reduziert so die potenzielle Sturzhöhe immer wieder. Man spart Kraft, wenn man eine solche Zwischensicherung schnell anbringen kann. Es lohnt sich also, das Einhängen gut zu üben. Dabei müssen vier Vari-anten beherrscht werden: jeweils Karabineröffnung links und rechts und beides sowohl mit der linken als auch der

rechten Hand (Grafik 13). Das vorne liegende Seil läuft dabei zum Kletterer; damit wird beim Weiterklettern die Expressschlinge nicht verdreht, und das Seil kann nicht aushängen. Ein Sturz während des Einhängens sollte vermieden werden, da das bereits hochgezogene Seil die Sturzhöhe enorm vergrössert.

Das Einhängen von Expressschlingen in die Haken Die beiden Karabiner werden so in das verbindende Band eingehängt, dass sich beide Karabiner auf dieselbe Seite öffnen. Das Seil kommt in den Karabiner mit dem runden oder leicht geknickten Öffnungssteg. Die Expressschlinge muss so eingehängt werden, dass sich beim Weiterklettern die Schlinge nicht verdrehen kann und dass die Karabi-ner so zu liegen kommen, dass ihre Öffnung nicht am Fels scheuert und aufgedrückt werden können. An Stellen, wo das Aushängen einer Expressschlinge einen fatalen Sturz zur Folge hätte, können entweder zwei Schlingen mit ge-gengleicher Karabineröffnung in denselben Haken einge-hängt oder eine Expressschlinge mit Schraubkarabinern verwendet werden (Grafiken 14 bis 16).

Das einhändige Einhängen des Seils in die Expressschlingen muss geübt werden!

Richtig eingehängte Expressschlingen.

Grafik 13

Karabiner­öffnung nach rechts

Karabiner­öffnung nach links

Grafik 14

Grafik 15 Grafik 16

Falsch eingehängte Expressschlingen.

Auch richtig eingehängte Expressschlingen können durch die Seilbewe-gungen verdrehen und aushängen.

Umlenken am Ende der Route In der Regel wird man im Klettergarten nach dem Durch-stieg einer Route vom Sicherungspartner wieder zum Bo-den abgelassen. Dazu muss das Seil am Ende der Route umgelenkt werden. Die Umlenkung muss absolut zuver-

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lässig sein. Folgende Punkte müssen beachtet werden: Sie muss aus zwei Fixpunkten bestehen oder sonst über alle Zweifel erhaben sein (eine Kette an einem dicken Baum würde z.B. auch genügen). Es darf nur durch Eisenteile umgelenkt werden, denn Seilstücke oder Bänder scheuern beim Ablassen fatalerweise durch. Das Seil nicht um die ganze Kette, sondern durch ein Kettenglied fädeln, damit es auch dann hängen bleibt, wenn ein Fixpunkt ausreissen sollte. Achtung: Ein Umlenkkarabiner kann durch Korro-sion oder starkes Abschleifen geschwächt sein und muss deshalb unbedingt kontrolliert werden.

Top­Rope­KletternZum Einüben einer Route oder aus Sicherheitsgründen werden Routen manchmal von oben gesichert geklettert. Dabei ist zu beachten, dass die Umlenkung verstärkt wird (Grafik 17). Ein ungesicherter Karabiner als Umlenkung reicht nie fürs Top-Rope-Klettern! Sie muss mit einem zu-sätzlichen Karabiner verstärkt werden, damit das Seil si-cher nicht aushängen kann. Im Zweifelsfall wird die letzte Zwischensicherung der Route zusätzlich eingehängt. Es darf nur eine Umlenkung aus Metall verwendet werden. Würde das Seil direkt durch eine Schlinge zur Umlenkung gefädelt, würde diese beim Ablassen sofort durchschmel-zen, und der Sturz bis zum Boden wäre unvermeidlich! Die Umlenkung darf nicht ausgehängt werden. Falls die Rou-te vorher im Vorstieg begangen wurde und alle Express-schlingen hängen, kann es passieren, dass eine im Top Rope kletternde Person im Flow des Kletterns alle Express-schlingen der Reihe nach und am Schluss auch das Seil aus der Umlenkung aushängt, was natürlich ebenfalls zu einem lebensbedrohende Sturz führen könnte! Die gleiche Umlenkung darf nie für zwei verschiedene Seile gebraucht werden, weil das eine das andere durchscheuern könnte. Besonders in der Halle die Kollisionsgefahr mit Klette-rern auf parallelen Routen im Auge behalten! Während des Kletterns die Gefahr einbeziehen, dass jemand in der Nähe stürzen könnte.

Richtiger Seilverlauf beim VorsteigerGrundsätzlich sollte beim Vorsteigen das Seil nie hinter den Beinen durchlaufen, sondern immer vor oder zwi-schen den Beinen. Bei einem Sturz könnte sonst der Fuss im Seil hängen bleiben, und der stürzende Kletterer würde auf den Kopf gedreht! (Grafik 18)

Grafik 17

Eine ungesicherte Umlenkung muss mit einer zusätzlichen Expressschlinge gesichert werden. Sie kommt zum Zug, falls das Seil aus der Umlenkung aushängen würde (z.B. wenn der Nachsteiger über den Stand hinausklettern würde).

Seilverlauf falsch und gefährlich!

Seilverlauf richtig!

NO!

Grafik 18

Klet tern in abgesicherten Mehrsei l längenrouten

Von Standplatz zu Standplatz Die Seilschaft bewegt sich von Standplatz zu Standplatz, indem jeweils der Seilschaftsführer gesichert als erster zum nächsten Standplatz klettert und dann den Seilpart-ner von oben nachsichert. Klettert man mit Doppelseil, so seilt man sich an jedem Seilstrang einzeln mit dem Achter-knoten an. Den HMS-Knoten macht man direkt mit bei-den Seilen zusammen. Vor dem Losklettern führt man wie im Klettergarten den Partnercheck durch. Der Sichernde ist am Stand «selbstgesichert». Dazu wird das Seil mittels Mastwurf und gesichertem Karabiner am Stand fixiert. Der Vorsteiger wird mittels Halbmastwurf (HMS) gesichert. Durch das Einhängen von Zwischensicherungen reduziert er seine potenzielle Sturzhöhe. Der Nachsteiger wird vom Seilpartner von oben mit HMS gesichert. Oft sieht man nicht von Standplatz zu Stand-platz, und lange Wortwechsel versteht man bei Wind und über die Distanz einer Seillänge kaum. Deshalb muss die Kommunikation knapp und eindeutig sein. Eingeübte Seilschaften brauchen nur zwei Kommandos: «Stand» heisst «ich bin gesichert». «Kommen» (oder «Nachkom-men») heisst «ich sichere dich». Manche ersetzen diese Kommandos sogar durch Signale mittels Seilzug. Die volle Kommunikation besteht aus vier Kommandos:

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1. Sobald der Vorsteiger am Stand ist und sich selbstgesi-chert hat, ruft er «Stand».

2. Der Nachsteiger löst daraufhin die HMS und ruft «Seil ein».

3. Ist das restliche Seil eingezogen und der Nachsteiger vom Vorsteiger mit der HMS gesichert, so ruft der Vor-steiger ihm «kommen» (oder «nachkommen») zu.

4. Der Nachsteiger darf nun seine Selbstsicherung lösen und den Stand abbauen. Bevor er mit Nachsteigen be-ginnt, ruft er «ich komme».

Standplatzbau Es gibt viele richtige Möglichkeiten, einen Standplatz zu bauen. Wichtig ist, dass er in jedem Fall hält. Deshalb be-steht er in der Regel aus mindestens zwei guten Fixpunk-ten, die miteinander verbunden werden. Beim Einrichten eines Standplatzes macht es einen Unterschied, ob in der nächsten Seillänge wieder der gleiche Kletterer vorsteigt (auch «Raupen» genannt) oder ob abwechselnd vorge-stiegen wird (Wechselführung, wechselnder Vorstieg, auch «Überschlagen» genannt). Wird «geraupt», werden die Ka-rabiner für den Nachsteiger vorbereitet, damit der Stand-platz einfacher übergeben werden kann.

Der Normalfall: Stand an zwei BohrhakenDer Vorsteiger kommt an einen Stand mit zwei Bohrha-ken (BH) und richtet diesen wie folgt ein: Am unteren BH fixiert er sich mittels Schraubkarabiner und Mastwurf. (Beim «Raupen» hängt er zwei Schraubkarabiner und den Mastwurf in den unteren ein. Er verbindet diesen mit dem Kletterseil zum oberen BH. Dazu hängt er eine Express-schlinge ein und den Mastwurf in den oberen (beim «Rau-pen» in den unteren) Karabiner der Expressschlinge. Beim unteren BH wird der HMS-Karabiner in den Schraubka-rabiner eingehängt. Danach ruft der Vorsteiger «Stand», zieht das restliche Seil ein und sichert den Nachsteiger im vorbereiteten HMS-Karabiner. Kommt der Nachsteiger beim Stand an, sichert er sich zuerst selbst. (Beim «Rau-pen» sichert er sich dabei am vorbereiteten Schraubkara-biner mittels Mastwurf und verbindet diesen mit dem Seil zum oberen BH. Dazu hängt er den Mastwurf in den frei-en oberen Karabiner der Expressschlinge.) Der Vorsteiger übernimmt danach das Material für die nächste Seillänge (Grafiken 19 und 20).

Grafik 19 Grafik 20

Standplatz zum Sichern des Nach-steigers. Der Nach-steiger steigt die folgende Seillänge vor («Wechselführung», «Überschlagen»).

Standplatz zum Sichern des Nach-steigers. Der Nach-steiger bleibt am Stand, und der Vorsteiger der letzten Seillänge steigt wie-der vor («Raupen»).

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Grafik 21

Stand an einem BH und einem anderen Fixpunkt Befindet sich nur ein BH am Stand, so wird dieser mit min-destens einer zusätzlichen Sicherung verstärkt. Dies kann ein geschlagener Haken, eine Zackenschlinge, ein Klemm-keil oder ein Klemmgerät sein. Die Selbstsicherung und HMS werden immer am untersten Fixpunkt angebracht, auch wenn dies nicht der BH sein sollte. Achtung: Die erste Zwischensicherung darf in diesem Fall nicht am Stand ein-gehängt werden. Oft ist es besser, in diesem Fall den Vor-steiger, direkt am Stand und nicht am Körper zu sichern.

Stand an einem einzigen guten Fixpunkt Ein einziger Fixpunkt ist die Ausnahme und genügt nur, wenn er sehr stabil ist wie z.B. ein dicker Baum oder ein stabiler Felszacken. Kann man ohne grossen Aufwand ei-nen weiteren Fixpunkt einbeziehen, so sollte man dies un-bedingt tun. Sind keine Bohrhaken oder stabilen Zacken vorhanden, wird der Standplatz an verschiedenen impro-visierten Fixpunkten gebaut. Nicht überall ist die Felsstruktur für das Bauen eines impro-visierten Standes günstig. Als erstes gilt es deshalb, einen geeigneten Platz zu finden. Das heisst: Nicht erst mit dem Suchen nach einem möglichen Standplatz beginnen, wenn das Seil schon ganz ausgegeben ist! Es sollten mindestens zwei Fixpunkte miteinander verbunden und an einem zen-tralen Karabiner zusammengeführt werden (Grafik 21). Der Belastungswinkel sollte kleiner als 90 Grad sein. Die erste Zwischensicherung darf nicht im Stand eingehängt werden. Der Vorsteiger wird besser im Stand als am Kör-per gesichert. Ist der Vorsteiger deutlich schwerer oder sind

grosse Stürze nicht auszuschliessen, so macht es Sinn, eine zusätzliche Sicherung einzubauen, die nach oben hält.

Fixpunkte Die Erstbegeher einer Route bestimmen auch die Art ih-rer Absicherung – manchmal wird diese im Rahmen ei-ner Sanierung ergänzt und/oder erneuert. In der Regel werden bei der Erstbegehung an den Standplätzen und als Zwischensicherungen Bohrhaken zurückgelassen. In älteren Routen wurden in Risse geschlagene Haken ein-gesetzt. Manchmal muss der Kletterer selber zusätzliche Zwischensicherungen wie Zackenschlingen, Keile oder Klemmgeräte anbringen oder damit einen Stand verstär-ken. Der Nachsteiger «räumt» diese Zwischensicherungen wieder aus. Welches und wie viel Material für eine Route mitgenommen werden muss, steht meist im Kletterführer.

Bohrhaken Bohrhaken werden in ein vorgebohrtes Loch geklebt oder geschraubt und halten in der Regel über 20 kN. Vorsicht ist bei älteren Haken geboten. Insbesondere dann, wenn sie sehr dünn oder angerostet sind. Bei schlechtem Fels kann der Fels um den Haken ausbrechen, vor allem wenn der Fels bereits Risse aufweist oder die Haken nahe an Kanten und Rissen gesetzt wurden.

Geschlagene Haken Die Haltekraft eines geschlagenen Hakens ist auch für Profis schwer abzuschätzen. Misstrauen ist angebracht! Trotzdem werden sie natürlich eingehängt.

Der Belastungs-winkel sollte klei-ner als 90 Grad sein. In jedem Karabiner ist ein Knoten. Würde ein Fixpunkt aus-reissen, würde der Stand trotz-dem noch halten.

Grafik 22 Grafik 23 Grafik 24 Grafik 25

Gut ge-schlagener Haken: Unter Zug verklemmt er sich noch besser.

Ein nicht ganz im Fels steckender Haken wird abgebun-den, damit kein grosser Hebelarm entsteht.

Band-schlinge oder Reepschnur durch Haken öse.

Falsch: Eine Knickbe-lastung des Karabiners wie in der Abbildung oben gezeigt ist zu ver-hindern.

NO!

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Grafik 26

Mobile Zwischensicherungen Was früher Hammer und Haken waren, sind heute Keile und Klemmgeräte. Richtig angebracht, halten sie einen Sturz problemlos. Wenn Sicherungen aus der Kletter-position heraus angebracht werden müssen, macht das eine Route einerseits anspruchsvoller, andererseits aber auch interessanter. Schlingen, Klemmgeräte und Keile können durch die Seilbewegung aus der idealen Positi-on rutschen. Verlängerte Expressschlingen helfen, dies zu verhindern. Wegen der Reibung und dem potenziellen «Aushebeln» von Schlingen und Keilen ist auf eine mög-lichst geradlinige Seilführung zu achten. Ideale Platzie-rungsmöglichkeiten für mobile Zwischensicherungen sollten gesucht werden, bevor man sie unbedingt benö-tigt.

Klettern in der DreierseilschaftZum Klettern in der Dreierseilschaft benutzt man idealer-weise ein Doppelseil. Die beiden Nachsteiger werden je an einem Halbseilstrang mit einem speziellen Sicherungsge-rät (z.B. mit dem «ATC Guide», dem «Reverso» oder der «New Alp»-Platte) nachgesichert. Weil das Sicherungs-gerät im Fall eines Sturzes selbsttätig blockiert, muss die sichernde Person die Seile nicht immer voll in der Hand halten und kann deshalb jeden der beiden Nachsteiger in-dividuell sichern. Diese Technik ist nur mit dem Halbseil, nicht aber mit Zwillingsseilen erlaubt. Der vordere Nach-steiger belässt in Quergängen die Zwischensicherungen, damit der hintere Nachsteiger bei einem Sturz nicht zu weit pendelt.

AbseilenOft wird über Mehrseillängenrouten abgeseilt. Das ist be-quemer, und die Wanderschuhe für den Zu- und Abstieg können dabei erst noch am Einstieg zurückgelassen wer-den. Das Seil muss dabei immer doppelt geführt werden, damit es wieder abgezogen werden kann. Alle bereiten eine Selbstsicherungsschlinge vor (Grafik 26). Zusätz-lich braucht jeder je eine Abseilbremse (z.B. Achter oder «ATC») und eine Prusikschlinge zur Selbstsicherung beim Abseilen.

Der Abseilstand Häufig verwendete Abseilstände sind meist gut eingerichtet. Ein Abseilstand besteht in der Regel aus mindestens zwei verbundenen Fixpunkten wie bei Top-Rope-Umlenkungen. Im Gegensatz zu Top-Rope-Ständen darf das Seil auch di-rekt durch Schlingen geführt werden. Schon vorhandene Schlingen muss man überprüfen und allenfalls verstärken, und älteren Bandschlingen sollte man misstrauen, auch wenn sie unbeschädigt sind. Die intensive Sonnenein-strahlung kann ihre Festigkeit massiv reduzieren. Die beiden Halbseile werden mit einem Achterknoten zusammengeknüpft (Grafik 27). Die Seilenden sollten ca. 30 cm lang und der Knoten fest angezogen sein. Der Knoten und damit der Seilstrang, an dem man beim Ab-ziehen zieht, muss beim Umlenkring immer hinten liegen, damit sie beim Abziehen nicht eingeklemmt werden. Ist man nicht ganz sicher, ob das Seil genügend lang ist, oder wenn der Routenverlauf unklar ist, werden die Seilenden vor dem Auswerfen einzeln verknotet.

Zum Abseilen wird eine solche Selbst-sicherungsschlinge vorbereitet.

Seile zum Abseilen vorbereitet: Der Achterknoten ist auf der Wandseite, damit das Seil beim Abziehen nicht zwischen Ring und Wand einklemmen kann.

Grafik 27

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Grundausrüstung:

– Rucksack

– Wanderschuhe

– Kletterhose

– Regen-/Windjacke

– Evtl. warme Kleidung

– Gute Sonnenbrille

– Sonnencrème/Lippenschutz, evtl. Sonnenhut

– Geld/Ausweise

– Getränk

– Lunch

– Evtl. Fotoapparat

– Evtl. Feldstecher

– Evtl. persönliche Medikamente

– Evtl. Blasenpflaster

Technisches Material:

– Anseilgurt

– 3–4 Schraubkarabiner, 2 davon birnenförmig

– 1–3 Bandschlingen (Länge 120 cm, evtl. 60 cm)

– Kletterfinken

– Helm

– Magnesia

– Reepschnurstücke (4 m, Ø 6 mm und 1.20 m, Ø 6 mm)

– Evtl. Abseilgerät

– Evtl. Keile, Friends

– Evtl. Pickel

Pro Gruppe:

– Seil, evtl. Doppel- oder Zwillingsseil

– 8–13 Expressschlingen

– Topo, Karte

– Evtl. Kompass, Höhenmesser, GPS

– Evtl. «ATC Guide», «Reverso oder «New Alpine»-Platte

(für Dreierseilschaft)

– Tourenapotheke mit Verbandsmaterial, Schmerzmitteln,

Wärmefolie (Rettungsdecke)

– Sackmesser

– Handy und evtl. Funkgerät

Für Hüttenübernachtung zusätzlich:

– Stirn- oder Taschenlampe

– Toilettenartikel

– Evtl. Seidenschlafsack

– Evtl. Ohropax

– Evtl. Alpenvereinsausweis

Material für Mehrseillängenrouten Der Ablauf beim AbseilenAlle Personen sind immer mit der Selbstsicherungs-schlinge («Nabelschnur») gesichert. Der Prusik-Knoten (Grafik 28) kann bereits eingeknüpft werden, während ein anderes Seilschaftsmitglied am Abseilen ist. Die nächste Person kann mit dem Abseilen beginnen, wenn die vor ihr abseilende Person am nächsten Stand angekommen, sich dort selbstgesichert und die Abseilvorrichtung gelöst hat. Dazu ist kein Rufen nötig: Die obere Person kann starten, sobald das Seil entlastet ist, was am Stand gut spürbar ist. Die nächste Person hängt die Abseilbremse ein (Grafik 29), macht den ABS-Check, hängt ihre Selbstsicherungs-schlinge aus und seilt ab.

Ø=d

Ø~½d

Prusikknoten: Er blockiert am Seil, wenn er mit einer Reep-schnur gemacht ist, die ungefähr halb so dick wie das Seil ist. Beim Abseilen wird der Knoten direkt um beide Seile gemacht.

Grafik 28

Abseilbremse

Prusik zur Selbstsicherung

Kletterer

«Nabelschnur» für die Selbstsicherung am Standplatz

Grafik 29

ABS­Check vor Start A für Anker: Hält der Stand? Ist das Seil richtig in die Ver-

ankerung eingeknüpft? B für Bremse: Ist das Abseilgerät richtig eingehängt und

am Abseilgurt fixiert? Ist der Prusikknoten korrekt ge-macht und eingehängt?

S für Seilende: Reicht das Seil bis zum nächsten Stand-platz? Falls das unsicher ist: Sind die Seilenden mit

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Knoten versehen? An welchem Seilstrang muss gezogen werden, um das Seil abzuziehen?

Beim AbseilenBeim Abseilen halten beide Hände das Seil unterhalb des Abseilgerätes, die eine führt den Prusik mit. Eine Prusik-sicherung wird immer gemacht. Sie blockiert sich, wenn die Hände das Seil nicht mehr halten können. Die erste Person, die abseilt, muss allenfalls ein hängen gebliebenes Seil neu auswerfen. Dabei achtet sie darauf, dass ober-halb von ihr kein loses Seil mehr ist; es könnte, wenn es sich verklemmt, von unten evtl. nicht mehr gelöst werden oder beim Herunterziehen Steinschlag auslösen. Ach-tung: Man sollte nie bis ganz ans Seilende abseilen. Sind dort keine Knoten, rutschen die Seilenden allzu schnell durch die Bremse. Im Zweifelsfall immer Knoten in die Seilenden machen. Wenn nicht klar ist, wo der nächste Stand ist, führt man zusätzlich eine lange Reepschnur mit, um notfalls mit dem Prusik wieder am Seil aufsteigen zu können.

Klet ter technik

Die häufige Aussage von Kletterern «ich habe zu wenig Kraft für diese Route» mag zwar ab und zu stimmen, oft wäre dieselbe Route jedoch mit gleicher Kraft, aber bes-serer Technik machbar. Das Ziel einer verbesserten Tech-nik muss sein, einen Bewegungsablauf zu finden, der es erlaubt, eine Route bzw. eine Stelle mit weniger Kraft zu klettern. Je grösser das Bewegungsrepertoire, umso mehr Möglichkeiten hat man, eine schwierige Stelle zu meistern. Neue Bewegungsmuster lernt man am besten beim angst-freien Klettern, denn bei Stress greifen wir nur auf bekann-te Bewegungsmuster zurück. Das Top-Rope-Klettern (von oben gesichert) oder Bouldern sind dafür besonders ge-eignet. Je nach Typ, Schichtung, Erosion und Neigung des Gesteins sind andere Klettertechniken gefragt. Man unterscheidet grob: Reibungskletterei, Trittkletterei, Risskletterei, über-hängende Kletterei und Klettern an künstlichen Wänden. Ein Hallenkletterer, der das erste Mal in natürlichem Fels klettert, wird sich angewöhnen müssen und wird zu Be-ginn nicht die gleichen Schwierigkeiten meistern wie in der Halle.

Antreten Meist wird den Griffen viel mehr Beachtung geschenkt als den Tritten, was eigentlich falsch ist, weil die Füsse ja in der Regel einen grösseren Anteil des Körpergewichtes tragen. Es lohnt sich immer wieder, bewusst die Aufmerk-

samkeit auf die Füsse zu lenken. Fast jeder Kletterer kann eine Geschichte davon erzählen, wie eine Schlüsselstelle, die unmöglich erschien, mit der richtigen Platzierung der Füsse plötzlich machbar wurde. Je mehr Gewicht auf den Füssen ist, desto weniger lastet auf den Armen. In flachem bis senkrechtem Gelände sind eher kleine Schritte zu neh-men, damit die Arme weniger Gewicht hochziehen müs-sen (Grafiken 30 und 31).

Grafik 30

Grafik 31

Auf feine Leisten steht man seitlich mit dem vorderen Innen- oder Aussenrist. Mit engeren Kletterfinken und harten Sohlen ist man hier im Vorteil.

Auf Reibungstritte steht man mit viel Sohlenfläche, meist frontal und mit hängender Ferse. Ist ein Tritt einmal belastet, den Fuss nicht mehr drehen, sonst nimmt die Haftreibung ab. Weiche Sohlen sind von Vorteil.

In Rissen können die Füsse verklemmt werden – tut weh, ist aber oft die einzige Möglichkeit!

Übungen zum Antreten Roboterklettern: Beim Bouldern werden dem Kletterer die Tritte (und evtl. auch die Griffe) gezeigt, die er brau-

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Führerknoten

Einfachster und wahrscheinlich allen bekannter Knoten. Damit lässt sich z.B. eine

Schlaufe ins Seil knoten, mit der man ein Seil über einen Felszacken oder in einem

Karabiner fixieren kann. Allgemein lassen sich damit zwei Seile gleicher Dicke ver-

knoten. Den Knoten gut anziehen und beachten, dass genügend lange Seilenden

(mindestens das Zwanzigfache des Seildurchmessers) aus dem Knoten schauen.

Führerknoten gesteckt

Ein gesteckter Führerknoten ist unter Belastung besser als ein normaler. Gut anzie-

hen. Seilenden, die etwa zehnmal so lang sind wie der Seildurchmesser, genügen.

Achterknoten

Zum Anseilen (gesteckt). Beim Abseilen zum Zusammenknoten der beiden Seile.

Durch seine flache Form lässt er sich wieder gut öffnen, auch wenn er stark zu-

sammengezogen wurde.

Mastwurf

DER Knoten, um ein Seil in einem Karabiner zu blockieren. Ideal für die Selbst-

sicherung an Standplätzen, weil der Knoten leicht verschoben werden kann.

Prusik (Klemmknoten)

Zum Selbstsichern beim Abseilen. Hat man zwei Reepschnüre, kann man mit dem

Prusik an einem Seil aufsteigen. Auch für Flaschenzüge geeignet.

Prohaska

Alternative, wenn der Prusik nicht klemmen sollte oder eine dünne Reepschnur

fehlt. Dieser Knoten klemmt, auch wenn er mit einer Bandschlinge oder einer

dickeren Reepschnur gemacht wird.

Wichtige Knoten

1

1

1

Ø=d

Ø~½d

2 3 4

2

3 4

2

3

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Körperschwerpunkt kontrollierenDer Körperschwerpunkt (kurz KSP) des Menschen be-findet sich in etwa beim Bauchnabel. Wie das Gewicht auf Hände und Füsse verteilt ist, hängt im Wesentlichen von der Lage des KSP ab. Ideal ist, wenn er sich möglichst senkrecht über den Standflächen befindet (Grafik 39). Um die Kontrolle des KSP zu üben kann man am Klet-tergurt ein Pendel (z.B. Kette aus drei Expressschlingen) vorne am Anseilpunkt befestigen. Das Pendel veran-schaulicht, wohin der KSP zeigt. Danach kann man mit dem Fuss vor jedem Tritt drei Sekunden verharren und möglichst versuchen, den KSP über die Füsse zu verla-gern.

Stützgriffe sind insbesondere beim Verschneidungsklettern ein grosse Hilfe.

Grafik 34

Seitgriffe

Untergriffe: Je höher der Köperschwerpunkt, desto besser können sie gehalten werden.

Zangengriffe

Löcher: Je nach Grösse pas-sen ein oder mehrere Finger hinein. Finger können auch übereinander gelegt werden.

Grafik 35 Grafik 36

Grafik 37 Grafik 38

chen muss. So können verschiedene Varianten ausprobiert werden. Variationsmöglichkeiten: Besonders darauf ach-ten, dass ein Tritt präzise angetreten wird, sonst den Tritt-wechsel wiederholen. In flachem Gelände zwischendurch versuchen, hinter dem Rücken zu klatschen. Es kann auch ein Boulderquergang oder eine Route mehrmals auf eine andere Art geklettert werden: Ohne Einschränkung, nur mit Aussenrist, nur mit der Fussspitze, nur Innenrist, mit kleinen oder ganz grossen Schritten, falls es plattig ist, nur mit einer Hand oder nur mit einem Finger für das Gleich-gewicht usw. Weiters kann eine Route im Top Rope geklet-tert werden, indem die Füsse in einem Abstand von 30 bis 50 cm zusammengebunden sind, so dass nur noch kleine Schritte möglich sind.

Greifen Beim Klettern werden Griffe nicht nur nach unten belastet – auch mit Seit-, Zangen-, Stütz- und Untergriffen kann manche Kletterstelle elegant gelöst werden (Grafiken 32 bis 37. Ziel dabei ist es, möglichst «weich» zu greifen, das heisst, Griffe nur so stark halten, wie unbedingt nö-tig. Oft klammert man sich aus Angst unnötig stark fest, was zusätzlich Kraft kostet und Muskelverkrampfungen verursacht. Die Finger sind anfällig auf Verletzungen. Am effektivsten kann dies vermieden werden durch Aufwär-men und langsames Steigern der Belastung, kontrolliertes Greifen (z.B. bei Dynamos Aufmerksamkeit auf die Hand, die hält) und man bei aufgestellten oder verdrehten Fin-gern besonders vorsichtig ist. Hier sind nämlich die Bela-stungen besonders hoch.

Feine Leisten werden mit aufgestellten Fingern ge-halten. Oft kann auch der Daumen eingesetzt werden; da nur die Fingerspitzen am Fels aufliegen, werden die Fingergelenke stark belastet.

Weniger verletzungsanfällig sind aufgelegte Finger. Bei grösseren Griffen ist das die einzig mögliche Art, sie zu halten. Kleine Griffe sollten besonders im Training auch mit aufgelegten Fingern gehalten werden.

Grafik 32 Grafik 33

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Dynamisch klettern Werden die Phasen der Verschiebung des KSP und des Greifens schnell ausgeführt, so spricht man von dy-namischem Klettern. Dies wird vor allem dann angewen-det, wenn der nächste Griff weit weg ist und eine Hand das ganze Gewicht nicht oder nur ganz kurz in der höch-sten Position alleine zu halten vermag. Wichtig ist dabei, dass der KSP im Moment des Greifens ganz nahe an der Wand ist. Die Konzentration gilt speziell der Hand, die hält.

Spezialtechniken Piazen: Auch Dülfer- oder Gegendrucktechnik genannt. Die Piaztechnik wird angewendet, um Kanten, Schuppen oder steile Risse zu erklettern und braucht sehr viel Kraft. Sie wird deshalb in der Regel nur für kurze Stellen ange-wendet, dann nämlich, wenn Füsse und Hände nicht im Riss verklemmt werden können (Grafik 43).

Grafik 43

Piaz- oder Dülfertechnik.

Mit den Füssen ziehen: In Überhängen kann viel Gewicht von den Händen genommen werden, indem ein Fuss auf Kopfhöhe «eingehängt» wird (Grafik 44). Man kann sich auch mit den Füssen zur Seite ziehen (Grafik 45)

1. Vorbereitung – Planung des

nächsten Zuges.

– Füsse höher stellen, dabei bleiben die Arme möglichst gestreckt.

2. Verschiebung des KSP Beide Hände ziehen, und die Füsse stossen den KSP in Richtung Zielgriff. Immer mit beiden Hän-den ziehen, auch, wenn man es mit einer Hand allein tun könnte.

Grafik 39

Weitergreifen in steilem Gelände In senkrechtem und überhängendem Gelände ist es wich-tig, dass das Weitergreifen möglichst schnell und präzise vonstatten geht, weil dabei für eine kurze Zeit das Gewicht und die Balance nur von einer Hand gehalten werden müssen. Bei einem Kletterzug werden grob drei Phasen unterschieden: Vorbereitung, Verschiebung des KSP und Greifphase (Grafiken 40 bis 42).

Reibungskletterei – je mehr Gewicht auf der Sohle, desto besser die Reibung.

Schlecht… Besser, der Körperschwer-punkt befindet sich über den Füssen.

Schwerkraft

Körperschwerpunkt

Distanz zur Wand

Grafik 40 Grafik 41 Grafik 42

3. Greifen Die Hand packt schnell den Ziel-griff, wenn der KSP genügend hoch ist. Die Hand, die greift, lässt den alten Griff möglichst spät los, und die Füsse suchen ein neues, kraftsparendes Gleichgewicht.

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Grafik 46

Kraftsparend klettern Setzt man die optimale Bewegung und Griffabfolge ein, so braucht eine Schlüsselstelle am wenigsten Kraft. Was aber, wenn man schon ausgepowert zur Schlüsselstelle kommt? Es hilft, auch in einfacheren Passagen Kraft sparend zu klettern und Ruhepositionen zu nutzen. Tipps: Planen von Ruheposition zu Ruheposition – so können die Passagen dazwischen zügig durchstiegen werden. Insbesondere in der Halle merkt man sich, mit welcher Hand welcher Griff genommen wird. Auch in steilem Gelände können Ruhepositionen bewusst gesucht und ausgenutzt werden. In steilen Passagen sind die Arme in der Vorbereitungs-phase gestreckt. Jedes Fingerglied wird von einem ande-ren Muskel gebeugt. Diese Tatsache nutzt man aus, indem man gewisse Muskeln für die Schlüsselstelle schont oder umgekehrt im Training eine Passage mit immer den gleich grossen Griffen klettert und so gewisse Muskeln trainiert. Es können auch bewusst Daumen und Handgelenk ein-gesetzt werden, um so die üblichen Handmuskeln zu

Grafik 44

Grafik 45

Foothook im Überhang.

Wenn ein Griff fehlt, um sich zur Seite zu ziehen, kann dies mit dem Fuss gemacht werden. Je nach Form des Trittes wird dies mit der Sohle (a), Ferse (b) oder Fussoberseite (c) gemacht.

schonen. Wer «weich» greift, das heisst, nur so fest zupackt wie unbedingt nötig ist, schont die Muskula-tur. In flachem bis senkrechtem Gelände sollte man darauf achten, dass in der Phase der Verschiebung des KSP beide Füsse gesetzt sind, damit beide Beine stossen können. In weni-ger steilem Gelände sind mög-lichst kleine Schritte zu machen. ]

C

a

b

Emanuel Wassermann und Michael Wicky sind Bergführer

mit eidgenössischem Fachausweis. Sie waren als Klas-

senlehrer in der Bergführerausbildung tätig, arbeiten als

Gutachter bei Bergunfällen und sind Gründer und Leiter

der Bergschule «Bergpunkt». Die beiden Spezialisten sind

Autoren verschiedener Fachartikel und Bücher zu diversen

Alpinismus-Themen, u.a. Buch «Technik und Taktik plaisir

klettern», ISBN 3-906087-29-8. Bergpunkt bietet ein um-

fangreiches Ausbildungs- und Tourenprogramm. Die Daten

für die diesjährigen Outdoor-Kletterkurse für Einsteiger

sind: 9./10. Mai, 13./14. Juni, 15./16. August sowie 3./10.

Oktober. Mehr Informationen unter:

www.bergpunkt.ch, [email protected], Tel. 031 832 04 06

Die Autoren

In Ruhepositionen bzw. an gros-sen Griffen die Arme bewusst schütteln, damit sich Verkramp-fungen lösen und die Arme gut durchblutet werden. Dazu zuerst eine kraftsparende Position suchen: Haltearm gestreckt, die Füsse optimal platziert. Dann den Arm nach unten fallen lassen; darauf achten, dass kein Armmuskel ange-spannt ist. Nun die Schultermus-kulatur so bewegen, dass man den Arm locker schütteln kann.