klinische befunde, die für einen mandibulären bzw. artikulären gewebeumbau sprechen

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W. Weise, Klin. Befun(le, die fiir einen mandibul, bzw. artikul. Gewebeumbau spreehen 303 solcher Sch~den sind aber bei der Regenerationsf~higkeit jugendlicher Gewebe, vor allem, wenn die sch~dlichen Einflfisse nur tempor~ren Charakter haben, weit- gehend auszugleichen und k l i nis e h selten als Symptome der Arthropathia def. vor- handen. Werden die Dysgnathien aber keiner Therapie zugefiihrt und damit zum ehronisehen Trauma, ist die M6glichkeit der Entstehung einer Arthropathia def. gegeben. Die Prophylaxe der Arthropathia def. der Kiefergelenke dfirfte deshalb ein eehtes Anliegen der Kieferorthop~die sein! Schrilttum S t e i n h a r d t, K~ndbuchder Z ~hn-, ~und- und Kieferheilkunde ]~d. III, Mtinehen und Berlin 1957. Abschnitt: Kiefergdenkerkrankungen. Anschrift d. u Bremen, Schleifmlihle 46 Aus 4er Kieferorthopgdisehen Abteilung (Leiter : Dozent Dr. H. W u n de r e r) der Westdeutschen Kieferklinik (Direktor: Prof. Dr. K. I~ ~ up l) der Medizinischen Akactemie Diisseldorf Klinische Befunde, die fiir einen mandibul/iren bzw. artikul~iren Gewebeumbau sprechen 1) Von Dr. Walter Weise, Diisseldorf Mit 14 Abbildungen Der mandibul~re bzw. artikulAre Gewebeumbau stellt einen schwachen Punkt in den derzeitigen Ansichten fiber das Umbaugeschehen bei kieferortho- p~discher Behandlung dar. Es ist das Verdienst vor allem yon C. Breitner und K. Hs Psansky, diesen Gewebeumbau im Tierversuch histologisch nach- gewiesen zu haben. Bisher hat es sieh aber als fast unm6glich herausgestellt, diesen mandibul~ren bzw. artikul~ren Gewebeumbau auch am Menschen ein- wandfrei naehzuweisen. Der Versuch erscheint daher angebracht, durch die Untersuchung eines grSBeren Patientengutes klinische Befunde zu sammeln, die flit einen solchen Gewebeumbau bei kieferorthopAdiseher Behandlung sprechen. Solche Untersuchungen wurden an der kieferorthop~tdisehen Abteilung der West- deutschen Kieferklinik in Dfisseldorf an Patienten durehgeffihrt, die mit Aktiva- toren behandelt wurden und bei denen im Laufe der kieferorthop~,dischen Be- handlung Bil]hebungen oder BiBverschiebungen oder beides eintraten. Bei diesen Untersuchungen konnte eine ganze Reihe yon sich wiederholenden Be- funden erhoben werden, die ffir einen mandibul~ren bzw. artikul~ren Gewebe- umbau sprechen. Uber drei yon diesen wiederkehrenden Befunden soll im folgenden berichtet und jeweils ein typisehes Beispiel vorgewiesen werden. Der erste Befund bezieht sieh auf das gelegentliche Vorkommen yon Nonokklusionen bei BiB- hebungen und BiBverschiebungen, der zweite auf Fernr6ntgenauf- nahmen, der dritte auf Messungen an Oberkiefermodellen, die das Verh~ltnis der GaumenfaltenzudenSeitenzKhnenbetreffen. Wenden wir uns nun diesen Befunden im einzelnen zu. I. Vielfach wird eine rasche BiBverschiebung oder BiBhebung als Ausdruek eines mandibul~ren bzw. artikul~ren Gewebeumbaus angesehen. Das hat seine 1) Vortrag, gehalten auf der Wissenschaftlichen Tagung der Deutsehen Gesellschaft fiir Kieferorthop~die in Dfisseldorf am 12.6. 1957.

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Page 1: Klinische Befunde, die für einen mandibulären bzw. artikulären Gewebeumbau sprechen

W. Weise, Klin. Befun(le, die fiir einen mandibul, bzw. artikul. Gewebeumbau spreehen 303

solcher Sch~den sind aber bei der Regenerationsf~higkeit jugendlicher Gewebe, vor allem, wenn die sch~dlichen Einflfisse nur tempor~ren Charakter haben, weit- gehend auszugleichen und k l i nis e h selten als Symptome der Arthropathia def. vor- handen. Werden die Dysgnathien aber keiner Therapie zugefiihrt und damit zum ehronisehen Trauma, ist die M6glichkeit der Entstehung einer Arthropathia def. gegeben. Die Prophylaxe der Arthropathia def. der Kiefergelenke dfirfte deshalb ein eehtes Anliegen der Kieferorthop~die sein!

Schrilttum S t e i n h a r d t, K~ndbuchder Z ~hn-, ~und- und Kieferheilkunde ]~d. III, Mtinehen und

Berlin 1957. Abschnitt: Kiefergdenkerkrankungen. Anschrift d. u Bremen, Schleifmlihle 46

Aus 4er Kieferorthopgdisehen Abteilung (Leiter : Dozent Dr. H. W u n de r e r) der Westdeutschen Kieferklinik (Direktor: Prof. Dr. K. I~ ~ up l)

der Medizinischen Akactemie Diisseldorf

Klinische Befunde, die fiir einen mandibul/iren bzw. artikul~iren Gewebeumbau sprechen 1)

Von Dr. Walter Weise, Diisseldorf

Mit 14 Abbildungen

Der mandibul~re bzw. artikulAre Gewebeumbau stellt einen schwachen Punkt in den derzeitigen Ansichten fiber das Umbaugeschehen bei kieferortho- p~discher Behandlung dar. Es ist das Verdienst vor allem yon C. B r e i t n e r und K. H s P s a n s k y , diesen Gewebeumbau im Tierversuch histologisch nach- gewiesen zu haben. Bisher hat es sieh aber als fast unm6glich herausgestellt, diesen mandibul~ren bzw. artikul~ren Gewebeumbau auch am Menschen ein- wandfrei naehzuweisen. Der Versuch erscheint daher angebracht, durch die Untersuchung eines grSBeren Patientengutes klinische Befunde zu sammeln, die flit einen solchen Gewebeumbau bei kieferorthopAdiseher Behandlung sprechen. Solche Untersuchungen wurden an der kieferorthop~tdisehen Abteilung der West- deutschen Kieferklinik in Dfisseldorf an Patienten durehgeffihrt, die mit Aktiva- toren behandelt wurden und bei denen im Laufe der kieferorthop~,dischen Be- handlung Bil]hebungen oder BiBverschiebungen oder beides eintraten. Bei diesen Untersuchungen konnte eine ganze Reihe yon sich wiederholenden Be- funden erhoben werden, die ffir einen mandibul~ren bzw. artikul~ren Gewebe- umbau sprechen.

Uber drei yon diesen wiederkehrenden Befunden soll im folgenden berichtet und jeweils ein typisehes Beispiel vorgewiesen werden. Der erste Befund bezieht sieh auf das g e l e g e n t l i c h e V o r k o m m e n y o n N o n o k k l u s i o n e n bei BiB- h e b u n g e n u n d B i B v e r s c h i e b u n g e n , der zweite auf F e r n r 6 n t g e n a u f - n a h m e n , der dritte auf M e s s u n g e n an O b e r k i e f e r m o d e l l e n , die das V e r h ~ l t n i s de r G a u m e n f a l t e n z u d e n S e i t e n z K h n e n b e t r e f f e n . Wenden wir uns nun diesen Befunden im einzelnen zu.

I. Vielfach wird eine rasche BiBverschiebung oder BiBhebung als Ausdruek eines mandibul~ren bzw. artikul~ren Gewebeumbaus angesehen. Das hat seine

1) Vortrag, gehalten auf der Wissenschaftlichen Tagung der Deutsehen Gesellschaft fiir Kieferorthop~die in Dfisseldorf am 12.6. 1957.

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304 Fortschritte der Kieferorthop/idie Bd. 18 H. 4 (1957)

Ursache darin, daft erfahrungsgem/~ft ZahnstellungsverKnderungen infolge para- dentalen Gewebeumbaus bei Aktivatorbehandlung eine gewisse Zeit beanspruchen. Wenn nun z .B. bei B i f t v e r s e h i e b u n g e n ganze ZahnbSgen gesehlossen die Stellung zueinander rascher verandern als man dies yon einzelnen Z~hnen oder Zahngruppen erfahrungsgemal~ gewohnt ist, liegt es nahe, den Umbau anderenorts zu vermuten, zumindest einen zusKtzlichen Umbau. Das ist um so naheliegender~ als bei Zahnverschiebungen nicht selten Nachstellschrauben in Verbindung mit dem KauflKehenrelief angewandt werden, wahrend bei der Behandlung dysgnather Biftlagen die funktionellen Reize im Sinne einer horizontalen Verschiebung der Zahne meist lediglich durch die Fiihrungsflachen iibertragen werden. Bei Bil t- h e b u n g e n ist es ahnlieh. Hier werden gelegentlich sogar schon innerhalb weniger Wochen sehr ausgepragte Verringerungen des FrontzahnSberbisses beobaehtet. Nicht iibersehen darf man dabei allerdings, da$ bei gfinstiger Reaktionslage ein- zelne Zahne oder Zahngruppen sehr schnell ihre Stellung verandern kSnnen. Man kann daher bei allen raseh verlaufenden Biftverschiebungen oderBifthebungen als Ursaehe fiir den sehnellen Fortschri t t ebenso eine giinstige Reaktionslage des paradentalen Gewebes armehmen. Diese Annahme ist aber wohl nur dann vor allem in Betraeht zu ziehen, wenn trotz der raschen BiBverschiebung oder BiB- hebung allseits Okklusionskontakt bes t eh t Dieser Umstand ~4irde nKmlich fiir eine giinstige Reaktionslage des paradentalen Gewebes sprechen. Demnach kann also ein a u s g e d e h n t e r V e r l u s t de s O k k l u s i o n s k o n t a k t e s bei r a s c h v e r - l a u f e n d e n B i B v e r s c h i e b u n g e n u n d B i B h e b u n g e n auf einen mandibulKren bzw. artikul~ren Gewebeumbau hindeuten. Von Wichtigkeit erscheint hierbei die folgende Beobachtung : Man kann vielfach in solchen Fallen die Kiefermodelle, die den Zustand naeh Auftreten der Nonokklusion wiedergeben, so zusammen- fiigen, dab die urspriingliche Okklusionsstellung wieder hergestellt wird. Diese Beobachtung spricht eindrucksvoll fiir einen mandibul~ren bzw. artikulKren Gewebeumbau.

Es sei nun ein typisches Beispiel vorgeffihrt. Die Abb. 1 und 2 zeigen die Kiefermodelle einer bei Behandlungsbeginn (Abb. 1) 8 Jahre 10Monate alten Patientin. Es bestand ein TiefbiB mit Drehstand der mittleren oberen Schneide- z/~hne sowie NeutralbiB. 10 Monate nach C~bergabe eines Aktivators lag in beiden Seitenzahnbereichen ein vollstandiger Verlust des Okklusionskontaktes vor, ohne dab dabei die ZahnbSgen in horizontaler Riehtung ihre Beziehung geandert hat ten (Abb. 2). Ein solcher Zustand ist nieht selten bei der Behandlung yon Patienten mit steilem Tiefbift, insbesondere DeckbiB festzustehen. Es wird dann ein seitlich oftener BiB bei gleichzeitiger Verringerung des frontalen L'berbisses beobachtet. In diesem Fall w~r dabei eine horizontale Verschiebung der Zahn- b6gen zueinander nicht festzustellen. Eine Intrusion der Seitenz~hne als Ursache der Nonokklusion ist dabei ausgeschiossen, erstens wegen der Verrh~gerung des frontalen ~berbisses und zweitens, well in solchen Fallen auf BiBhebung ein- geschliffen ist, das KauflKchenrelief des Aktivators also entfernt wird. Dieser Zustand ist wohl damit zu erklKren, dab die gesenkte Stellung des Unterkiefers im Akt ivator teilweise durch einen mandibul/~ren bzw. artikul~ren Gewebeumbau konsolidiert wh'd. Es kommt dabei zu einer Senkung des gesamten horizontalen Unterkieferanteils. Hal t dann der paradentale Gewebeumbau im Sinne einer Extrusion der Seitenz~hne mit dem mandibularen bzw. art ikularen nicht Schritt, so kommt es zu einer Nonokklusion. Es handelt sich hierbei eindeutig um eine mandibulare bzw. artikulare BiShebung, und zwar um den Typ, der durch Sen- kung des gesamten horizontalen Unterkieferanteils gekennzeichnet ist.

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II . Der zweite Befund bezieht sieh auf F e r n r S n t g e n s e i t e n a u f n a h m e n . Ftir Vergleichsuntersuehungen sind Fernr6ntgenbilder nut dann geeignet, wenn sie bei v611ig gleieher Einstellung gewonnen werden. Diese Forderung ]i~Bt sieh fast nieht verwirkliehen. Hinzu kommt, dab augerdem die wiehtigen Bezirke klar und deutlieh zu erkennen sein miissen. Das ist beim Gelenkbereieh fast nie

Abb. 1 Abb. 2

Abb. 3 Abb 4.

der Fall infolge der iJberlagerung anderer Sch~deteile. Ganz abgesehen davon ist bei einer Seitenaufnahme das GelenkkSpfchen nur selten scharf gezeichnet wegen seiner Walzenform. Beinahe yon der gleichen Sehwierigkeit ist es, fiber- sichtliche Verhitltnisse im Bereich der Z~hne zu erhalten. Das ist nur dann der ~Fall, wenn die einander entsprechenden Zahne vSllig aufeinander projiziert sind.

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306 Fortsehritte der Kieferorthop~tdie Bd. 18 H. 4 (1957)

Hierzu miissen best immte Voraussetzungen gegeben sein, vor allem, dab keine oder nut gleiehe Zahnversehiebungen auf beiden Kieferseiten erfolgt sind und keine Sehwenkung des Unterkiefers im Gelenk vorliegt. Ff i r V e r g l e i e h s - u n t e r s u e h u n g e n , d ie V e r ~ i n d e r u n g e n i n f o l g e k i e f e r o r t h o p i ~ d i s e h e r B e h a n d l u n g e i n d e u t i g z e i g e n s o l l e n , s i n d z u d e m n u r s o l e h e F~tlle g e e i g n e t , be i d e n e n m a n W a e h s t u m s v e r ~ n d e r u n g e n a u s s e h l i e B e n k a n n . Das ist bei einer kieferorthop~tdisehen Behandlung jedoeh fast hie der

Abb. 5 Abb. 6

Fall, da sie sieh im allgemeinen fiber Jahre erstreekt. Man kann der Erffillung der zweiten Forderung aber dadureh nahe kommen, dab die Vergleichsaufnahmen in so kurzen Abstiinden gemaeht werden, dag Wachstumsver~tnderungen kaum eingetreten sein k6nnen. Dann sind ~ber aueh die dureh die Behundlung ein- getretenen Ver~nderungen im allgemeinen so gering, daft sie nicht naehzuweisen sind. Alle diese Voraussetzungen treffen beim hiesigen Material gleiehzeitig fast hie zu. Es mug daher als ein besonderer Gltieksumstand gewertet werden, dab ein Fall vorliegt, bei dem diese Voraussetzungen weitgehend zutreffen.

Dieser Ausnahmefall sei an dieser Stelle vorgewiesen. Es handelt sieh um einen bei Behandlungsbeginn 15 Jahre 10 Monate alten Jungen, bei dem tin Deekbigtyp mit TiefbiB, Distalbift und Retrusion der mittleren oberen Sehneide- ziihne vorlag. Naeh einer Behandlungszeit yon 3 Monaten hat te sieh ein fast vollstiindiger RegelbiB eingestellt, zugleieh war der Big gehoben. Die Kiefer- modelle zu diesen Zeitpunkten zeigen die Abb. 3 und 4. Aueh dureh starken Handdruek konnte der Unterkiefer nieht naeh distal gedriingt werden. Es war m6glieh, die FernrSntgenseitenbilder vom Behandlungsbeginn und 3 Monate naeh

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()bergabe des Aktivators im Bereich der Konturen des oberen Gesichts- und des vorderen Hirnseh/idels vollstitndig zur Deekung zu bringen. Diese Aufnahmen sind auf den Abb. 5 und 6 zu sehen. Wir waren also n i e h t daraufangewiesen, nut bestimmte Punkte oder eine bestimmte Linie a]s feststehend oder unver- iinderlieh anzunehmen und als Bezugspunkte oder- l inie zu wi~hlen und zur Deekung zu bringen. Es war daher mSglieh, diese beiden FernrSntgenbilder zur Auswertung aufeinander zu projizieren. Wir haben zur Aussehaltung yon Fehler-

Abb. 7 Abb. 8

quellen ganz bewul3t dieses Verfahren der Auswertung gewghlt und aufDurehzeieh- nung verziehtet. Die Abb. 7 bringt nun diese beiden Fernr6ntgenbilder so aufeinan- der projiziert, dab die Konturen des oberen Gesiehts- und des vorderen Hirnsehgdels zur Deekung gebraeht sind. Sie zeigt, dab die oberen Seitenzghne ihre Stellung beibehalten haben, lediglieh bei den oberen Prgmolaren ist eine geringe Ex- trusion festzustellen. Dagegen sind alle unteren Seitenziihne vom zweiten Bild um 2 3 mm weiter mesial projiziert. In gleieher Weise ist aueh die vordere Kontur des Unterkiefers vom zweiten Bild um den gleiehen Betrag weiter mesial abgebildet. Diese A b b i l d u n g ze ig t a l so m i t g a n z b e s o n d e r e r D e u t l i e h - ke i t , d ab die E i n s t e l l u n g der l ~ e g e l b i g l a g e in d i e s e m F a l l n i e h t d u r e h Z a h n v e r s e h i e b u n g e n , s o n d e r n v i e l m e h r a u s s e h l i e g l i e h d u t c h Ver- s e h i e b u n g des g a n z e n U n t e r k i e f e r s e r fo lg t e . Dieser Befund wird dadureh unterstriehen, dab die horizontalen Unterkieferanteile beider Bilder fiir sieh allein zur Deekung gebraeht werden kSnnen. Das zeigt die Abb. 8. Diese Beobaehtung sprieht dafiir, dab der Gewebeumbau in diesem Bereieh h6ehstens gering-

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gradiger Natur war. Lediglich bei den unteren Pr/~molaren ist eine geringe Extrusion erkennbar. I m besonderen ist ein Vergleich der Lage der unteren Weisheitsz/~hne auf den Abb. 5 und 6 eindrucksvoll. Bei Mesialverschiebung der anderen unteren Seitenz/~hne im Kiefer hKtte wohl ein ZwischeIlraum zwischen diesen und jenen ein- t re ten mfissen, da die Weisheitsz/~hne noch im Kiefer liegen und durch den Aktivator nur unwesentlich beeinflul]t worden sein konnten. Diese Bilder zeigen auBerdem, dab auch die erreichte Bighebung kaum der Ausdruck einer Ex- trusion der Seitenz/~hne (nur bei den Pr/~molaren ist eine solche festzustellen) und einer Protrusion beider Fronten ist, sondern vielmehr das Ergebnis einer Verschiebung des ganzen Unterkiefers.

I I I . Der drit te Befund bezieht sich auf l ~ e s s u n g e n a n O b e r k i e f e r - m o d e l l e n . Nach den Untersuchungen von E. H a u s s e r ver~ndern die Teilungs- stellen der Gaumenfal ten an der Raphe - - im Gegensatz zu ihren freien Endi- gungen - bei Zahnverschiebungen ihre Stellung zum Kiefer nicht. Dieses Er- gebnis ist die Grundlage der folgenden Untersuchungen. Es wird dabei so vor- gegangen, dab man auf den beiden zu vergleichenden Oberkiefermodellen die Teilungsstelle eines gleichen, mSglichst dista]en Gaumenfaltenpaares an der Raphe markiert . Diese Teilungsstelle muir auf beiden Modellen eindeutig festzustellen sein. Dann wird auf beiden Modellen jeweils ein MeBb]att nach der Raphemedian- ebene ausgerichtet. Hierzu werden zweckm/iBigerweise die yon K. B e r n k l a u angegebenen Megbl/~tter benutzt und dabei so vorgegangen, dab jeweils der eine der beiden darin befindlichen Stifte der Tei]ungsstelle, der andere der Raphe an einem beliebigen Punk t aufliegt. Die Mel]bl/~tter liegen auBerdem den ZahnbSgen an. Sofern keine wesentlichen J~nderungen der sagittalen Kompensationskurve eingetreten sind, lassen sich die Megbl/~tter bei den beiden Vergleichsmodellen ann/ihernd in die gleiehe Lage bringen, so dab sich die Fehler in tragbaren Gren- zen halten. Man kann nun leieht eventuelle Verschiebungen ablesen.

Fiir den Unterkiefer konnte bisher kein Verfahren entwicke]t werden, das eine solche Ausmessung ermSglicht. Man ist hierbei auf Analogieschlfisse an- gewiesen. Entsprechend dem reziproken Wirkungsprinzip des Aktivators werden die unteren ZahnbSgen bei angestrebten Bi[tverschiebungen bei der Behandlung des Mesial- und Distalbisses in gleicher oder zumindest sehr iihnlicher Weise wie die oberen - allerdings entgegengesetzt - beeinflul3t. Aus eigenen Untersuchun- gen zur Dehnung mittels Aktivators ist jedoch bekannt, dal~ die Zahnverschie- bungen im Sinne einer Bukkalverdri~ngung im Unterkiefer geringgradig hinter denen des Oberkiefers zurfiekbleiben. Es werden demnach bei der Behandlung dysgnather Biitlagen im Unterkiefer sehr wahrscheinlich nur geringere Verschie- bungen im Sinne der Einstellung der RegelbiBlage als im Oberkiefer eintreten.

Besonders geeignet sind fiir diese Untersuchungen die Gebisse nach beendetem Zahnwechsel, da dann die aus dem Zahnwechsel folgenden Zahnverschiebungen auszuschlieBen sind. Bisher wurden 40 F/~lle in dieser Weise danach untersucht, ob bei s tat tgefundener Bil]verschiebung eine sagittale Verschiebung der oberen ersten Molaren festzustellen war. Gelegentlich festzustellende Verschiebungen im anterioren Bereich sollen in diesem Zusammenhang unberficksichtigt bleiben. Bei dieser Untersuchung konnte bisher ausnahmslos nur in den F/~llen eine Ver- schiebung der oberen ersten Molaren im Sinne der Einstellung der Regelbil]lage gefunden werden, bei denen ein Progenieaktivator nach H. W u n d e r e r oder ein Deckbigakt ivator mit Abstiitzung all den ersten oberen Molaren angewandt wurde. Diese Verschiebungen waren jedoch nur geringgradiger Natur und haben ihre Ursache wohl vor allem in der besonderen Eigenart der Konstruk-

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W. ~Veise, Klin. Befunde, die ftir einen mandibul, bzw. artikul. Gewebeumbau sprechen 309

tion und Abstfitzung dieser Apparate. Auf Grund des erw/ihnten Ergebnisses fiber das Verh/iltnis der Oberkieferdehnung zur Unterkieferdehnung kann dann mit einiger Wahrseheinliehkeit angenommen werden, dab in den Fiillen ohne Versehiebung der oberen ersten Molaren aueh keine Versehiebung der unteren ersten Molaren stattfand. Die BiBversehiebung war dann also nieht der Ausdruek eines paradentalen Gewebeumbaues.

Hierzu sei wieder ein typisehes Beispiel angeffihrt: Es betrifft eine bei Be- handlungsbeginn 12 Jahre 5 Monate alte Patientin. Die Abb. 9 bis 11 zeigen die

Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11

Abb. 12 Abb. l a abb . 14

zugeh6rigen Kiefermodelle. Es bestand eine progene Verzahnung der gesamten Front, TiefbiB, geringer MesialbiB sowie Liickenstand im Unterkiefer (Abb. 9). Die Patientin konnte nicht Kopfbig einnehmen. 5 Wochen nach {]bergabe eines Aktivators lag normaler Frontzahnfiberbil3 vor. Zu diesem Zeitpunkt bestand ein DistMbil3, ein Zustand, der als Zwischenstadium anzusehen ist (Abb. 10). 2 Jahre 2Monate spgter hat te sich fast NeutralbiB eingestellt (Abb. 11). Die Untersuchung der jeweiligen Kiefermodelle in der beschriebenen Weise ergab, dab die ersten Molaren ihre Stellung in sagittaler Richtung nicht geiindert hatten. Die entsprechenden Oberkiefermodelle mit ausgerichteten Megblgttern zeigen die Abb. 12 bis 14. Mit diesem Beispiel sei die Folge der an dieser Stelle zu besprechen- den ldinischen Befunde, die fiir einen mandibulgren bzw. artikulgren Gewebe- xlmbau sprechen und wiederholt beobachtet wurden, abgeschlossen.

Die vorgewiesenen drei Befunde sprechen eindeutig daf/ir, dab bei den ab- gebildeten Beispielen und entsprechenden Fgllen die erreichten BiNageiinde-

Fortschr i t te dcr Kieferorthopiidie Bd. 18 H. 4 21

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310 Fortsehritte der Kieferorthopadie Bd. 18 It. 4 (1957)

rungen (bei Beispie l 1 die Bighebung , bei Beispie l 2 u n d 3 die Bigverschiebung) n ich t de r A u s d r u c k eines p a r a d e n t a l e n Gewebeumbaues , sonde rn v ie lmehr das Ergebn i s e iner Verschiebung des ganzen Unte rk ie fe r s sind. D e m d r i t t e n Befund k o m m t dabe i besondere B e d e u t u n g zu, d a in gleicher Vfeise eine Re ihenunte r - suchung durchgef f ihr t wurde . Diese U n t e r s u c h u n g ergab f a s t a u s n a h m s l o s , dab im Bere ich der e r s t en Molaren ke ine s ag i t t a l en Zahnversch iebungen im Sinne der E ins te l lung der lZegelbiBlage s t a t t f ande n , u n d besag t somit , dal3 d a s W e s e n d e r B e h a n d l u n g d y s g n a t h e r B i i 3 1 a g e n m i t t e l s A k t i v a t o r s i m a l l g e m e i n e n i n d e r V e r s e h i e b u n g d e s g a n z e n U n t e r k i e f e r s liegt. Da es wenig Wahrseheinl ieh ist , d a b eine veri~nderte Unte rk ie fe r s t e l lung al lein dureh eine Ums te l l ung der M u s k u l a t u r auf die Daue r f ixier t werden kann , mfissen die fes tges te l l t en :Biglage~nderungen wohl A u s d r u c k eines m a n d i b u l ~ r e n bzw. a r t i k u l ~ , r e n G e w e b e u m b a u e s i m S i n n e e i n e r F o r m v e r i ~ n d e r u n g d e s U n t e r k i e f e r s b z w . d e s G e l e n k e s sein - ein Geschehen, das im Tierversuch his to logisch e inwandf re i nachgewiesen win'de. Ob dieser Gewebeumbau nun am Kieferge lenk , a m auf s t e igenden As t oder im Gelenkbereich, insbesondere auch a m Col lum m a n d i b u l a e s t a t t f i n d e t oder an al len diesen Stel len, k a n n an H a n d dieser Be funde jedoch n ich t gekli~rt werden.

W i e e ingangs bere i ts angef t ihr t wurde , h a n d e l t es sich bei d iesen Befunden nur urn eine Auswahl . Wei t e re Befnnde , die e rhoben werden konnten , betreffen vor a l l em das A u f t r e t e n yon vor i ibe rgehenden Doppelb issen , die gelegent l ich zu be obach t ende Abf lachung des Kie fe rwinke ls bei D i s t a lb iBbehand lung sowie das gelegent l iche H ine inwachsen des Gelenkk6pfchens in die Gelenkpfanne . l~'tir d iesen l e t z t en Befund werden F e r n r S n t g e n a u f n a h m e n bei e ingese tz tem A k t i v a t o r angefer t ig t . Der Unte rk ie fe r war d a b e i im Kons t ruk t ionsb i i3 so wei t nach vorn geschoben, wie die B e h a n d l u n g es eben noch zulieB, u n d das Kaufli~chenrelief war belassen. Al le d iese Be funde zeigen in besondere r Deut l ichke i t , wie weit- gehend die E i n f l u g n a h m e des A k t i v a t o r s au f das gesamte K a u s y s t e m ist.

S c l ~ t u m

B e r n s d o r f f , K. H., Zahn~rztl. Rdsch. 1953, 18. - - Ders. , Fortschr. Kieferorthop. 16, 139 (1955). - - B r e i t n e r , C., Zschr. Stomat. 1930, 2, 7; 1931, 4. - - H~up l , K., Zschr. Stomat. 1937 , 1. - - Ders. , Dtsch. zahnarztl. Zschr. 1954, 20. ~ t I a u p l , K., uncl 1~. P s a n s k y . Dtsch. Zahn-Mund-Kieferhk. 1939, 7. - - t t a u s s e r , E., Dtseh. zahnarztl. Zschr. 1950, 16. 18. ~ K o r k h a u s, G., Die kieferorthop~dische Bigverlagerung. Zahn-, Mund- und Kiefer- heilkunde in Vortr~,gen, H. 11. Miinchen 1954. - - Ohta , H., Kokubyo gakka.i, zasshi, Tokyo 1937 (zit. naeh G. S t e i n h a r d t ) . - - S t e i n h a r d t , G., Dtsch. Zahn-Mund-Kieferhk. 1939, 7. - - Ders. , Zahn~rztl. Welt 1952, 3. - - Weise , W., Zahni~rztl. Welt 1955, 21. - - Ders. , Dtsch. zahnarztl. Zschr. 1956, 13. ~ Ders. , Zahnarztl. Welt/l~eform 1956, 14; 195;, 10; 1957, 17. - - Ders . , 0sterr. Zschr. Stomat. 1955~ 5. - - W u n d e r e r , I-I., Zahn~rztl. Rdsch. 1955~ 19.

Anschrift des Yerf. : Sgestdeutsche Kieferklinik, Dfisseldorf, tlimmelgeisterstrage 152

Hemitrophische Wachstumsst6rungen des Oberkiefers

Von Dr. Maria Grosse-Wienker, Miinster/'Westf. Mit 6 Abbildungen

Neben den uns t~tglich in mann ig fa l t i g s t en Var i a t ionen begegnenden Kiefer- deformit/~ten nehmen die s i ch tba ren A s y m m e t r i e n der Kiefer und des Gesichtes -- zur i ickzuf / ihren au f hemi t roph i sche p r imare W a c h s t u m s s t 6 r u n g e n - wegen ihrer bis heu te noch unk la ren "~tiologie und Pa thogenese einersei ts und der in