interdisziplinäre systemintegration und innovationsgenese: ein methodologischer zugang für die...
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Interdisziplinare Systemintegration undInnovationsgenese: Ein methodologischerZugang fur die interdisziplinare Forschung
Interdisciplinary System Integration and Inducementof Innovation: A Methodological Approachfor Interdisciplinary Research
Dietmar Wechsler • Annette C. Hurst
Published online: 16 March 2011� Springer Science+Business Media B.V. 2011
Zusammenfassung Die zunehmende Bedeutung inter- und transdisziplinarer For-
schungsfelder wirft die Frage nach entsprechenden methodischen und wis-
senschaftstheoretischen Grundlagen auf. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage fuhrt
hier zur Entwicklung eines interdisziplinaren Forschungsablaufes mit zwei methodischen
Kernbereichen, die Systemintegration und Innovationsgenese. Eine wissenschaftstheor-
etische Betrachtung zeigt auf, dass sich die interdisziplinare Forschung selbst als
eigenstandige Disziplin begreifen lasst, und ihr Synthesepotential nicht als zentrales Un-
terscheidungsmerkmal zu anderen Disziplinen angesehen werden kann. Vielmehr ist die
hier entwickelte Methodologie zunachst analytisch und im Wesentlichen auf die Ers-
chließung des Forschungspotentials im Spannungsfeld der Einzelwissenschaften ausge-
richtet. Es entsteht somit eine erkenntnisleitende interdisziplinare Methodologie, die sich
auf komplexe bzw. kooperationsintensive Forschungsinhalte, sowohl im akademischen
Bereich als auch auf Fragestellungen aus Industrie und Gesellschaft, anwenden lasst.
Abstract The increasing significance of inter- and transdisciplinary research raises the
demand for principles with respect to methodology and philosophy of science. The dis-
cussion of this question leads to the development of an interdisciplinary research process
with two methodic core areas: system integration and inducement of innovation. It will be
shown that interdisciplinary research can be understood as a discipline of its own, while its
potential of synthesis cannot be declared as a central distinctive feature relative to other
disciplines. In fact the developed methodology is firstly aligned analytically, with a focus
on the research potential from the area of tension between individual disciplines. This
results in an interdisciplinary methodology, generating epistemological progress, which
can be applied to complex and cooperation intensive research in academia as well as
industry and society.
D. Wechsler (&) � A. C. HurstUniversitat Stuttgart, SRC Simulation Technology, Pfaffenwaldring 7a, 70569 Stuttgart, Germanye-mail: [email protected]
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J Gen Philos Sci (2011) 42:141–155DOI 10.1007/s10838-011-9145-1
Keywords Interdisciplinary research � Innovation � Knowledge integration �Methodology � Systems theory � Recurrence � Self-organisation � Transdisciplinarity �Transfer � Variation
1 Interdisziplinare Forschung im Wissenschaftstheoretischen Bestimmungsdilemma
Die Begriffe Inter- und Transdisziplinaritat sind in aller Munde—zwischen den Disziplinen
sollen integrative Brucken geschlagen und somit ubergreifende Forschungsfragen oder
auch außerwissenschaftliche Problemstellungen bearbeitet werden.
Allerdings hat sich noch keine klare wissenschaftliche Linie und Einordnung fur ein
entsprechendes Forschungsprogramm herausbilden konnen. Schon die Begriffe selbst
werden unterschiedlich (stark) ausgelegt, so dass es erforderlich ist, der nachfolgenden
Untersuchung eine auch relativ zur verwendeten Literatur unverfangliche Bezugsbasis
voranzustellen:
Unter einer Disziplin ist eine historisch gewachsene wissenschaftliche Fachrichtung zu
verstehen, die sich auf Basis bestimmter Forschungsgegenstande und -zwecke, Theorien
und Methoden entwickelt und ausdifferenziert hat.
Die interdisziplinare Forschung verwendet, integriert, kombiniert und erweitert die
jeweiligen Erkenntnisse und Methoden verschiedener Fachrichtungen zur Losung eines
wissenschaftlichen Problems—in der Regel motiviert durch die Nicht-Erschließbarkeit im
Rahmen des wissenschaftlichen Potentials von nur einer Disziplin.
Der transdisziplinaren Forschung wird zumeist eine noch starkere Zusammenfuhrung
von disziplinaren Erkenntnissen und Methodologien zugeschrieben, hin zu einer andau-
ernden integrativen Neuausrichtung wissenschaftlicher Strukturen. Oftmals liegt mittler-
weile die Betonung aber vor allem darin, dass die eigentliche Forschungsfrage im
außerwissenschaftlichen (lebensweltlichen) Bereich anzusiedeln sei.1
Fur unsere Zwecke werden diese Unterscheidungen nicht weiter vertieft, sondern die
Rede von interdisziplinarer Forschung entsprechend umfassend verstanden—etwa wie bei
Mittelstraß,2 der Transdisziplinaritat als ,,Interdisziplinaritat im recht verstanden Sinne‘‘
ansieht.
Wie lasst sich nun eine wissenschaftstheoretische Bestimmung der interdisziplinaren
Forschung vornehmen? Zumeist wird versucht, eigenstandige Grundlagen, Motive und
Merkmale herauszuarbeiten, oder/und sie uber die Entstehung und Einordnung der Ein-
zeldisziplinen selbst zu definieren.
So mochte Schmidt einer Wissenschaftstheorie der Interdisziplinaritat den Weg berei-
ten, indem er eine Zuordnung uber vier verschiedene Dimensionen vornimmt3: Eine
ontologische mit Bezug auf interdisziplinare Gegenstands- bzw. Objektfelder, eine epis-
temologische mit Fokus auf die Erschließung von Wissens- und Erkenntnisbereichen sowie
eine methodologische, in der genuin interdisziplinare Methoden und Zugangsweisen auf-
gehen sollen. Hinzu kommt eine vierte Dimension, die eine interdisziplinare Problem-
wahrnehmung und Losungsorientierung bei entsprechend ubergreifenden Zielen, Motiven
und Rahmenbedingungen abdecken wurde. Um die Bedeutung der Dimensionen zu fes-
tigen, stellt er sie jeweils beispielhaft in Bezug zu Forschungsprogrammen, die gemeinhin
1 vgl. auch Jaeger and Scheringer (1998, 12–13).2 Mittelstraß (2005, 19).3 Schmidt (2008, 53–69).
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als interdisziplinar gelten (Reihenfolge entsprechend der Darstellung der Dimensionen):
Nanotechnologie, Theorie komplexer Systeme, Bionik und Technikfolgenabschatzung.
Zweifelsohne spiegeln die dargestellten Dimensionen wichtige Aspekte der interdiszi-
plinaren Forschung wider, auch wenn die einzelne Zuordnung zu spezifischen Fors-
chungsprogrammen etwas isoliert erscheint, da nicht die Relevanz aller vier Dimensionen
fur das jeweilige Beispiel ausgelotet wird. Wie bei anderen Versuchen der Merkmalsb-
estimmung, Typisierung oder gar Kategorisierung der Interdisziplinaritat4 bleibt auch hier
die Frage unbeantwortet, wie uber das Klassifikationsschema der wissenschaftstheoretische
Status der interdisziplinaren Forschung erschlossen werden soll.
Ropohl hingegen nimmt eine verbindlichere Position ein und spricht von Inter-
disziplinwissenschaften, die ein vollig anderes Forschungsprogramm (,,Paradigma‘‘)5 als
die Spezialdisziplinen verfolgen wurden.6 Anhand charakteristischer Merkmale eines
Paradigmas (Problemdefinition, Sprache und Begrifflichkeit, Denkmodelle, Methoden,
Qualitatskriterien) arbeitet Ropohl vermeintlich bestehende Unterschiede zu dem Para-
digma einer Fachdisziplin heraus. Als zentrales und abgrenzendes Merkmal sieht er den
integrativen, synthetischen Gehalt der interdisziplinaren Forschung. Die Probleme werden
demnach nicht wie in wissenschaftlichen Einzeldisziplinen analytisch sondern synthetisch
begriffen, was sich auch im Einsatz von integrativen Methoden der Wissensorganisation
und Wissenssynthese niederschlagen soll. Ropohl bietet durch die Festlegung auf ein stark
abgrenzendes Paradigma der Interdisziplinwissenschaften, das er in einer ,,synthetischen
Philosophie‘‘ verortet sieht, eine interessante wissenschaftstheoretische Steilvorlage an, die
als Kontrapunkt zu unserer Position, namlich interdisziplinare Forschung selbst als Dis-
ziplin zu begreifen, im vierten Kapitel wieder aufgegriffen wird.
Im Gegensatz zu Ropohl versteht Mittelstraß Transdisziplinaritat (und damit auch die
Interdisziplinaritat) als Forschungs- und Wissenschaftsprinzip bzw. wissenschaftliche
Organisationsform und nicht als ,,Theorieprinzip, das Lehrbucher verandern konnte‘‘.7 Sie
ließe sich deshalb auch nicht als Methodologie auffassen bzw. in theoretische Formen
gießen. Vielmehr orientiert sie nach Mittelstraß Disziplinen hin zu ubergreifenden Fra-
gestellungen, die diese aufgrund eng gefasster Spezialkompetenzen nicht alleine losen
konnen. Dies mag auch dazu fuhren, dass die Disziplinen selbst einem methodischen und
theoretischen Veranderungsprozess unterworfen werden.
Baumgartner & Becker spitzen diesen Gedanken zu: Sie diskutieren die Moglichkeit,
Interdisziplinaritat als zeitliches Ubergangsphanomen zu betrachten, das wie oben erwahnt
in den beteiligten Disziplinen bedeutsame theoretische und methodische Spuren hinter-
lassen kann. In manchen Fallen konnte man die interdisziplinare Forschung gar als
Transformationsprozess ansehen, der zur Entwicklung einer neuen Disziplin fuhrt (z.B.
von der Biologie und Chemie zur Biochemie).8
Dieser Aspekt der Veranderung bis hin zur Transformation gibt die Richtung vor,
welche wissenschaftstheoretische Bedeutung ein interdisziplinares Forschungsprogramm
erlangen kann. In den folgenden beiden Abschnitten werden entsprechende methodische
Grundlagen erarbeitet, die einen systematischen und leistungsfahigen Zugang zur inter-
disziplinaren Forschung ermoglichen, ohne sie durch starre Festlegungen wieder ihres
4 vgl. z.B. Deppert and Theobald (1998), Lenk (2001).5 nach Kuhn (1976).6 Ropohl (2001, 26–29).7 Mittelstraß (2005, 18).8 Baumgartner and Becker (2005, 15).
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wissenschaftlichen Potentials zu berauben. Um dieses voll auszuschopfen, wurde es eine
zu starke Einschrankung bedeuten, ihren zentralen Gehalt nur in der Wissensintegration
und einer synthetischen Methodik zu sehen (s.o.). Vielmehr kann sie auch auf ungeloste
Probleme innerhalb der aktuell bestehenden Einzeldisziplinen angewendet werden und
naturlich spielt das analytische Wissenschaftsverstandnis auch im Rahmen der interdiszi-
plinaren Forschung eine gewichtige und grundlegende Rolle. Selbst eine Syntheseleistung
steht nicht im Widerspruch zu vorausgehenden Problemzerlegungen, im Gegenteil, uber
wissenschaftliche Analysen konnen ja gerade die Grundlagen fur eine bedeutsame Syn-
these erarbeitet werden. In diesem Sinne sehen Jaeger & Scheringer die interdisziplinare
Integrationsaufgabe eher als analytisches denn als synthetisches Problem an.9
Die folgende Darstellung ist darauf ausgerichtet, eine Methodologie der interdiszipli-
naren Forschung zu entwerfen, und nimmt somit aus wissenschaftstheoretischer Sicht nicht
den zuruckhaltenden Standpunkt von Mittelstraß (s.o.) ein, sondern weist ahnlich wie
Ropohl der Interdisziplinaritat einen eigenstandigen wissenschaftlichen Theorienstatus zu.
Allerdings wird hierbei die Bedeutung der Wissenssynthese relativiert und gezeigt, dass
eine Abgrenzung von disziplinaren Zugangen eher vom Kern des interdisziplinaren For-
schungspotentials wegfuhrt.
2 Interdisziplinare Systemintegration
Bei der interdisziplinaren Forschung sind viele Einflussfaktoren zu berucksichtigen,
moglichst effektiv aufeinander abzustimmen und zusammenzufuhren (integrieren). Hierbei
sind zunachst die (ggf. außerwissenschaftlichen, fachubergreifenden) Aufgabenstellungen,
externe Vorgaben bzw. Einflusse und naturlich die beteiligten Disziplinen mit ihren
Methoden, strukturellen Beziehungen, Wissensbereichen etc. zu identifizieren (,,Gegen-
standssystem‘‘). Des Weiteren stellen die beteiligten Akteure (,,Akteurssystem‘‘)—allen
voran die Manager bzw. Koordinatoren des Forschungsprozesses, Forscher aus den
beteiligten Fachgebieten und ggf. außerwissenschaftliche Teilnehmer—und die damit
verbundenen Kompetenz-, Kommunikations- und Konsenszustande, sowie Kooperations-
und Wissensstrukturen entscheidende Ausgangspunkte fur das interdisziplinare For-
schungsvorhaben dar.
Gegenstands- und Akteurssystem bilden insgesamt einen Systemkomplex, dessen sys-
temtheoretische Bestimmung die grundlegende Basis fur wichtige Einblicke, Planungs-
und Steuerungsmoglichkeiten in Bezug auf die interdisziplinare Forschungsarbeit darstellt.
Ropohl10 betont angelehnt an die Allgemeine Systemtheorie die drei folgenden Mod-
ellkonzepte: Das funktionale Konzept thematisiert die Systemzustande und deren Abhan-
gigkeiten/Beziehungen zum Ein- und Ausgabebereich eines Systems, das strukturaleKonzept umfasst die Systemelemente sowie deren Verknupfungen und schließlich erortert
das hierarchische Konzept eine Aufteilung in unter- und ubergeordnete Systembereiche
und die mogliche Einbindung des betrachteten Systems selbst in eine ubergeordnete
Systemumgebung. Auch wenn Ropohl in diesen Modellkonzepten vor allem einen sys-
temtheoretischen Zugang zu interdisziplinaren Syntheseleistungen sieht, so bilden sie (in
ihrer Abstraktheit) gleichsam einen Erfassungsrahmen zur allgemeinen Beschreibung bzw.
Modellierung und Analyse eines interdisziplinaren Forschungssystems.
9 Jaeger and Scheringer (1998, 16).10 Ropohl (2005, 27–28).
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Mittels analytischer Betrachtungen der systemischen Zusammenhange kann nun erortert
werden, an welchen Stellen interdisziplinare Forschungsimpulse (siehe hierzu Kapitel 3)
zu setzen sind, und wo Methoden aus Projekt-, Wissens- und Kooperationsmanagement zur
Systemintegration eingesetzt werden mussen. Gegebenenfalls wird auch Nac-
hbesserungsbedarf identifiziert, der z.B. zur Einbeziehung weiterer Kompetenzen oder
Umgruppierungen innerhalb des Systems fuhren konnte.
So kann man systematisch fur die Forschungsarbeit relevante Faktoren (Zwischensch-
ritte und Ziele, Kompetenzen, Kommunikation und Kooperation, Konsens, Wissen) eror-
tern und zueinander in Beziehung setzen. Hierdurch soll insbesondere das Akteurssystem
bestmoglich auf das Gegenstandssystem ausgerichtet werden.
Beispielsweise konnen schon Kommunikationsbarrieren, die oftmals zwischen den
Akteuren einzelner Disziplinen bestehen, die Bearbeitung eines gemeinsamen For-
schungsprojektes entscheidend behindern.11
Spezielle Fachtermini und feinsinnige Differenzierungen mogen fur die disziplinspez-
ifische Arbeit und Weiterentwicklung durchaus ihren Sinn haben, fuhren aber auch auto-
matisch zu Abgrenzungen und Missverstandnissen relativ zu anderen Disziplinen und
Akteuren. Im Rahmen der interdisziplinaren Systemintegration gilt es, eine uberhohte
Fachsprache zu vermeiden und gemeinsame Verstandnisbereiche zu schaffen, ohne
dadurch aber disziplinare Forschungsbestandteile, sofern diese fur die jeweilige Aufgabe
erforderlich sind, zu behindern. Die Systembetrachtung sollte somit Anhaltspunkte liefern,
inwieweit und an welchen Stellen Kommunikation und Verstandnis gezielt gefordert und
unterstutzt werden muss.
Vergleichbares ist naturlich auch im Hinblick auf Konsens im interdisziplinaren Vor-
gehen durchzufuhren—unter Berucksichtigung bzw. idealerweise sogar konstruktiver
Integration von bestehenden unterschiedlichen Sichtweisen und disziplinaren Interessen.
Ebenso gilt es, die jeweiligen Erfahrungen und Expertisen beteiligter Akteure an geeig-
neter Stelle einzusetzen, miteinander zu verbinden und ggf. durch externe Kompetenzen zu
erganzen.
Die Integration von Wissen ist etwas naher zu beleuchten, da sie gemeinhin als der
zentrale Mehrwert der interdisziplinaren Forschung erachtet wird.
Die Wissensintegration steht hier zunachst fur das Zusammenfuhren des Wissens aus
unterschiedlichen Disziplinen (und außerwissenschaftlichen Bereichen) in der Regel
bezogen auf die jeweiligen Zielvorgaben. Hierbei verdienen drei Wissensbereiche
besondere Beachtung, das geteilte, das nicht-geteilte und das Meta-Wissen.12 Fur die
interdisziplinare Forschung gilt es, einen gemeinsamen Wissensbereich fur alle beteiligten
Akteure (das geteilte Wissen) zu erschließen, zu pflegen und zweckdienlich auszubauen.
Disziplinares oder auch außerwissenschaftliches Erfahrungs- und Spezialwissen, das
zumeist nicht allen Beteiligten bekannt bzw. verstandlich ist (nicht-geteiltes Wissen), ist
fur die interdisziplinare Problembearbeitung, die nach wie vor auch rein fachspezifische
Arbeitseinheiten beinhalten kann, ebenfalls von großer Bedeutung. Hierfur sollte ein
effektiver Austausch bzw. verstandliche Thematisierung zumindest auf der Ebene von
Aufgaben und Ergebnissen organisiert werden. Die Akteure (und naturlich in erster Linie
das Management) einer interdisziplinaren Forschergruppe sind außerdem angehalten, sich
11 vgl. als Extrembeispiel die erheiternden, aber auch irgendwie tragischen ,,Kommunikationsproblemezwischen Philosophie und Physik‘‘, dargestellt in Schmidt (1995, 106–115).12 vgl. Menold (2006, 48–55).
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ein ubergreifendes Wissen (Meta-Wissen) uber Zustandigkeiten, Spezialwissen, Methoden,
Arbeitsweisen etc. der anderen Gruppenmitglieder zu erschließen, in erster Linie also
ein Meta-Wissen uber nicht-geteiltes Wissen. Das Meta-Wissen ist quasi eine
komplexitatsreduzierende reprasentative Abbildung des Spezialwissens mit ausreichender
Indikatorfunktion, so dass vor allem nicht spezialisierte Koordinatoren bestimmte Fors-
chungsinhalte und Moglichkeiten der Bearbeitung beurteilen und in einen großeren
Zusammenhang setzen konnen.
Fur wichtige Anhaltspunkte und Methoden zur Unterstutzung dieser Wissensintegra-
tion, sei auf die entsprechende Literatur verwiesen.13 Hierbei ist je nach Aufgabenstellung,
Zusammensetzung und Zustand einer Forschergruppe zu prufen, welche der Vielzahl an
Methoden aus dem Bereich des Wissensmanagements die interdisziplinare Wissensinte-
gration voranbringen kann.
In weiterfuhrender Linie ist die Wissensintegration aber auch so zu verstehen, dass eine
Syntheseleistung, also letztlich neues Wissen, entsteht. Wahrend Ropohl diese Synthese
auf Basis der allgemeinen Systemtheorie erschließen will (s.o.), setzt vor allem die viel-
diskutierte lebensweltlich orientierte transdisziplinare (Umwelt-)Forschung auch andere
Akzente. Unterschieden werden drei Wissensbereiche, das System-, Ziel- und Transfor-
mationswissen.14 Sie beziehen sich jeweils auf die Ausgangszustande und Hintergrunde
eines Problemfeldes, auf die Zielzustande und auf mogliche Handlungen, Hurden und
Losungswege.15
Aus den bisherigen Erfahrungen, diese Wissensbereiche im Kontext außerwissens-
chaftlich orientierter Problemstellungen zu erschließen und Synthesen auszuarbeiten,
wurden bereits mehr oder minder theorietaugliche methodische Leitfaden extrahiert.16
Vor allem in Form von Fallstudien wurde ein weit gefasstes Methodenspektrum
erschlossen und (vornehmlich im Bereich der Umweltforschung) angewandt. Einen
schonen Uberblick17 bietet die Zusammenstellung der Fallstudiengruppe an der Uni
Luneburg, wobei die Methoden in die vier Klassen ,,Fallreprasentation und Modellierung‘‘,
,,Fallbewertung und Evaluation‘‘, ,,Fallentwicklung und Fallveranderung‘‘ und ,,Fallstu-
dien-Gruppen‘‘ eingeteilt wurden.18 Die Methoden haben zumindest teilweise das Potential
sich hin zu generellen Methoden der interdisziplinaren Wissensintegration zu entwickeln,
wahrend die meisten doch zu speziell auf die Umweltforschung ausgerichtet sind, oder ihre
integrationsrelevanten Alleinstellungsmerkmale relativ schwach ausgepragt erscheinen. So
treffen Zierhofer & Burger bei Ihrer Analyse von 11 transdisziplinaren Projekten und
Programmen integrative Methoden nur in 7 Fallen an, wobei diese sich auf die System-
und/oder Szenarioanalyse beschranken.19
Die im Folgenden dargestellte Methodik bezieht sich nun primar auf die Erschließung
innovativer Potentiale, wird aber im Verlauf eines interdisziplinaren Forschungsprozesses
auch wesentlich zur Synthese von Wissen beitragen.
13 siehe z.B. Menold (2006, Kapitel 2) und Lehner (2009, Kapitel 4).14 vgl. Pohl and Hirsch Hadorn (2006, 32–36).15 siehe z.B. die Analyse des Projekts Okostrom in Truffer (2007, 41–45).16 vgl. Bergmann and Schramm (2008), Hirsch Hadorn et al. (2008), Pohl and Hirsch Hadorn (2006).17 basierend auf den Arbeiten von Scholz and Tietje (2002).18 siehe Burandt et al. (2003).19 Zierhofer and Burger (2007, 29–34).
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3 Interdisziplinare Innovationsgenese
Der Erfolg interdisziplinarer Forschungsarbeiten hangt nicht nur von den oben beschrie-
benen Integrationsmaßnahmen ab, sondern wesentlich davon, welche Innovationsimpulse
gesetzt und verfolgt werden konnen. Die Rede von Innovation bezieht sich hier freilich
nicht nur auf wirtschaftlich verwertbare Entwicklungen, sondern ganz im wortlichen Sinne
einer Neuerung oder Erneuerung auf wissenschaftliche Strukturen, Losungswege,
Methoden und Entdeckungen bzw. auch auf die beteiligten Disziplinen.20
Ein methodisches Vorgehen, das wir als interdisziplinare Innovationsgenese bezeichnen
wollen, soll auf Basis der folgenden Heuristiken den Weg zur erfolgreichen Bearbeitung
interdisziplinarer Aufgabenstellungen bereiten:
• Identifikation von interdisziplinaren Leitstrukturen und Schnittstellen
• Disziplinubergreifender Methoden- und Wissenstransfer
• Interdisziplinares Variationsprinzip
• Rekursionsprinzip
Unter interdisziplinaren Leitstrukturen werden hier zentrale Anhaltspunkte verstanden,
an denen sich die Forschungsarbeit ausrichten und orientieren kann. Ebenso wie Schnitt-
stellen (bestehende Bezugspunkte, Ubergangsbereiche etc.), die zwischen unterschiedli-
chen Disziplinen bestehen konnen, sind sie der Quell von interdisziplinarem
Innovationspotential, das im Rahmen der anderen benannten Heuristiken erschlossen
werden kann.
Zur Identifikation und spateren Bearbeitung dieser Leitlinien ist nicht nur methodische
Unterstutzung aus dem Bereich der Systemanalyse gefragt, sondern zu prufen, welche
strukturwissenschaftlichen Methoden auf das gebildete interdisziplinare System angewandt
werden konnen.
Strukturwissenschaften analysieren, identifizieren und erforschen Gesetzmaßigkeiten in
Bezug auf abstrakte Strukturen, die sich in unterschiedlichen konkreten Objekt- bzw.
Anwendungsbereichen wiederfinden konnen. Kuppers sieht sie gar als ,,Bindeglied zwi-
schen Natur- und Geisteswissenschaften‘‘, wodurch ihre Bedeutung im hier benannten
Kontext unterstrichen wird.21
Systemtheorie, Informationstheorie, Kybernetik, Synergetik, Nichtlineare Dynamik und
naturlich die Mathematik selbst sind Beispiele fur Strukturwissenschaften, deren Metho-
denspektrum fur die interdisziplinare Innovationsgenese nutzbar gemacht werden sollte.
Des Weiteren beinhalten Prognose-, Erprobungs- und validierungsorientierte Verfahren
wie Simulationsmethoden oder auch die Szenarioanalyse, sowie weitere Methoden aus
dem Bereich der Technikbewertung bzw. Technikfolgenabschatzung vielversprechende
Forschungsinstrumentarien, die auf die interdisziplinare Erkenntnisgewinnung abgestimmt
werden konnen.
Zudem sollte auch gepruft werden, ob man bestimmte erkenntnisleitende Perspektiven
auf die interdisziplinaren Zusammenhange und Forschungsfragen einnehmen kann. Hier ist
nicht nur Kreativitat gefragt, sondern es sind durchaus auch unterschiedliche wis-
senschaftstheoretische Reflexionen und epistemologische Standpunkte in Betracht zu
20 vgl. auch in Wiesmann et al. (2008, 174): ,,Die Qualitat transdisziplinarer Forschung ist abhangig vonsoliden Integrationskonzepten und erfordert deshalb die Entwicklung einer eigenen Form der Spezialisie-rung. Transdisziplinare Forschung macht aber ohne solide disziplinare Beitrage keinen Sinn, kann aber zuInnovation in den beteiligten Disziplinen fuhren.‘‘21 Kuppers (2000, 89–105).
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ziehen. So lohnt es sich im Kontext der Interdisziplinaritat Perspektiven, etwa in Bezug auf
Emergenz, Holismus, Evolution, Komplementaritat etc. einzunehmen, um festgefahrene
Denkmuster aufzubrechen und den Weg zur Verfolgung neuer Problemlosungsstrategien
zu bereiten.
Besonders reizvoll ist außerdem die Suche nach Analogien zwischen unterschiedlichen
Wissenschaftsbereichen. Die identifizierten Ahnlichkeiten bergen besonders hohes inter-
disziplinares Gestaltungspotential, da sie die unterschiedlichen disziplinaren Zugange mit
ubergreifenden theoretisch-strukturellen Verwandtschaften und Prinzipien konfrontieren.
Nicht zuletzt konnte auch die dialektische Perspektive (die sich ja bereits im voran-
gehenden Satz versteckt) als interdisziplinare Leitstruktur fungieren: Zwei vermeintlich
nicht vereinbare Disziplinen bzw. bestimmte gegensatzlich erscheinende Aspekte waren
demnach als These und Antithese zu begreifen und erkenntnisdienlich zu akzentuieren, mit
dem Ziel, als interdisziplinare Synthese zusammenfinden zu konnen.
Als zweiter Punkt zur methodischen Umsetzung der interdisziplinaren Innovationsge-
nese ist der Methoden- und Wissenstransfer von einer Disziplin auf eine andere oder auf
eine disziplinubergreifende Problemstellung zu erortern. Zumeist wird gepruft, ob
Erkenntnisse, Vorgehensweisen und insbesondere Methoden aus einem Wissenschafts-
bereich auch auf die Untersuchungsgebiete und -gegenstande einer anderen Disziplin
angewandt werden konnen. Dies geht oftmals einher mit einer Modifikation oder Kom-
bination von transferierten aber auch von nicht-ubertragenen Methoden bzw. Ansatzen, da
ein neuer Anwendungsbereich oder z.B. eine funktionsfahige Komposition von Methoden
gewisse Anpassungserfordernisse mit sich bringt.
Auch die Weiterentwicklung bestehender Analogien (s.o.) spielt als Innovationsfaktor
fur die interdisziplinare Forschung eine bedeutende Rolle. Uber aufgedeckte Analogien
lassen sich besondere heuristische Beziehungen zwischen an sich unterschiedlichen For-
schungsbereichen definieren, die durch weiteren Transfer ahnlicher Strukturen, Eigen-
schaften, (funktionaler) Beziehungen, Prinzipien etc. ausgebaut und auf interdisziplinare
Zielsetzungen ausgerichtet werden konnen. Die erschlossenen Ahnlichkeiten sollten zum
einen ihr kreatives Potential entfalten, zum anderen aber auch kritisch gepruft werden.
Resultierende Beziehungen und Schlussfolgerungen auf Basis von Analogien konnen auch
tauschen oder nur bis zu einem gewissen Grad ubertragen werden. Bezieht man aber die
spezifischen Eigenschaften und Verhaltnisse im Ubertragungsbereich mit ein, oder variiert
(s.u.) entsprechend kritische Punkte einer Analogie, so konnen diese in einem neuen Licht
erscheinen und zielfuhrend angepasst werden.
Auch wenn die Transferheuristik bislang eher intuitiv und nur in manchen Fallen sys-
tematisch eingesetzt wird, gibt es vor allem im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich
zahlreiche Beispiele erfolgreich durchgefuhrter disziplinubergreifender Transfers. Ein
Erfolgsbeispiel, das zudem systematisch von einem Forderprogramm des BMBF und durch
zwei Technologieanalysen unterstutzt wurde, ist die Nanobiotechnologie.22 Hier wurden
zwei Transferrichtungen definiert und auch in die Forschungspraxis umgesetzt—zum einen
der anwendungsnahe Bereich ,,Nano2Bio‘‘ (Miniaturisierung, Unterstutzung bzw. Kon-
trolle biotechnologischer und biologischer Prozesse mittels nanotechnologischer Verfah-
ren) und zum anderen der starker grundlagenforschungsorientierte Bereich ,,Bio2Nano‘‘
(Nutzbarmachung von Prinzipien der Biologie sowie von biologischen nanoskaligen
Objekten zur Entwicklung leistungsfahiger nanotechnologischer Verfahren und Systeme).
Punkt 3 der Liste, das interdisziplinare Variationsprinzip, ist als Entwicklungsimpuls
besonders bedeutsam. Nachdem via Identifikationsheuristik vielversprechende
22 Wevers and Wechsler (2002), Wagner and Wechsler (2004).
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interdisziplinare Ansatzpunkte identifiziert wurden, soll eine zielfuhrende Entwicklungs-
dynamik erfolgen. Hierfur bietet es sich an, Variationen bzw. Modifikationen ausgehend von
einem Ansatzpunkt durchzufuhren, um die interdisziplinaren Entwicklungen anzustoßen
bzw. zu gestalten.
Als Beispiel sei hier das Prinzip der Saattexte aus dem Bereich der Techni-
kfolgenabschatzung benannt.23 Der Saattext dient als Variationsbasis und wird fortlaufend
im interdisziplinaren Diskurs im Hinblick auf das eigentliche Projektziel unter Nutzung der
beteiligten disziplinaren Kompetenzen modifiziert und erganzt. Uber eine gemeinsame
Autorenschaft wird zudem eine Verantwortlichkeit und Verbindlichkeit erzeugt, die moti-
vieren sollte, die disziplinare Perspektive zu erweitern und schließlich einen konsensfahigen
Output zu generieren (also ganz im Sinne der Systemintegration, vgl. Kapitel 2).
Fur die methodische Umsetzung des interdisziplinaren Variationsprinzips sollte man
sich an Konzepten aus dem strukturwissenschaftlichen Bereich der Selbstorganisation
orientieren. Von Interesse ist insbesondere die Gestaltung einer kontrollierten Selbstor-
ganisation.24 Zum einen gilt es die interdisziplinaren Ansatzpunkte quasi durch eine
,,Strukturaufpragung‘‘ oder ,,Programmierung‘‘ in einen ,,Kristallisationskeim‘‘ zu ver-
wandeln, so dass sich der anschließende Forschungsprozess uber vorgepragte Orientie-
rungen und Wechselwirkungsmoglichkeiten interdisziplinar und selbstorganisiert
weiterentwickeln kann. Zum anderen bietet die kontrollierte Variation von Systembe-
dingungen (Kooperationsstarken, Arbeitsformen, neue Vernetzungen, Komplexitatsre-
duktionen, Systemerweiterung etc.) die Moglichkeit, identifizierte Leitstrukturen und
Schnittstellen zu aktivieren bzw. auf die nachfolgenden Entwicklungsprozesse uber die
Steuerung von ,,Umgebungsbedingungen‘‘ Einfluss zu nehmen.
Das Rekursionsprinzip schließlich, das sich auch im Sinne des zur Synthesespirale
erweiterten hermeneutischen Zirkels25 begreifen lasst, begleitet den interdisziplinaren
Forschungsprozess in all seinen Facetten.26 Die rekursive Konzeption ermoglicht im
Rahmen eines mehrfachen Durchlaufens entsprechender Kreisprozesse (vgl. Abbildung 1,
Kapitel 5) zum einen prozedurale und inhaltliche Uberarbeitungen bzw. Neuausrichtungen,
zum anderen eine schrittweise auf Konvergenz ausgerichtete Losungs- und Erkenntnis-
strategie. Hierzu tragt insbesondere das Wechselspiel zwischen bzw. innerhalb der inte-
grativen und innovativen Ausrichtung des Systemflusses bei. So sind z.B. auch die vier
Punkte der Innovationsgenese miteinander in Beziehung zu setzen, wobei nicht zwingend
die vorgenommene Reihenfolge eingehalten werden muss (so konnen unter Umstanden
erst ein Transfer, eine Variation oder auch eine Rekursion die geeigneten Voraussetzungen
zur Identifikation bestimmter Leitstrukturen schaffen).
Das Rekursionsprinzip beinhaltet vor allem drei heuristische Bezugspunkte: Einen, der
systemdynamische Aspekte, Ausgangspunkte, Zwischenschritte, Zielpunkte und Ergeb-
nisse in Beziehung setzt und reflektiert. Einen zweiten, der auf disziplinare und interdis-
ziplinare ,,Systemeinsatze‘‘ ausgerichtet ist, und zielfuhrende Abstimmungsprozesse,
Wechselbeziehungen und Entwicklungen erortert. Und schließlich der dritte, der das ganze
System bzw. die gesamte Problemstellung mit seinen Teilen bzw. Teilaspekten in
Beziehung setzt.
23 vgl. Decker (2007, 65–67).24 nach Hoffknecht and Wechsler (2005, 43–46).25 vgl. Poser (2004, 220–225).26 siehe z.B. auch Pohl and Hirsch Hadorn (2006, 18–19, 39).
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Ein Beispiel hierfur ist der Syndrom-Ansatz aus der Umweltforschung.27 Zunachst gilt
es aus einer umfassend formulierten Herausforderung (z.B. der globale Wandel) charak-
teristische Krankheitsbilder (,,Syndrome‘‘) zu extrahieren (z.B. das Sahel-Syndrom,
Raubbau-Syndrom, Landflucht-Syndrom etc.). Diese werden dann als spezielles Prob-
lemfeld beschrieben und analysiert. Schließlich sind die Bezuge untereinander zu
bestimmen und naturlich Schlussfolgerungen mit Relevanz fur das umfassende Problem-
feld anzustreben.
Auch die Validierung bzw. Qualitatskontrolle eines interdisziplinaren Forschungs-
prozesses ist eng an das Rekursionsprinzip gebunden. Zunachst geben die gesetzten Pro-
blemstellungen sowie die beteiligten Disziplinen und naturlich die Systemakteure selbst
gewisse Bewahrungsstandards bzw. Anforderungen vor. Diese basieren trotzdem in vielen
Fallen auf disziplinubergreifenden Forschungs- und Validierungsstandards, auch wenn
einzelne Parameter, z.B. Anspruche an Genauigkeit, Interpretierbarkeit, Verifikationsme-
thodik, etc. durchaus abweichen konnen.
Die interdisziplinar erzielten Ergebnisse mussen sich daran messen, und der entstandene
Mehrwert konsensfahig von allen Systemakteuren anerkannt werden.
Dieses vermeintliche Idealbild der einfachen Ubernahme bzw. Kombination diszi-
plinarer Bewahrungsstandards wird aber in manchen Fallen gerade durch die interdiszi-
plinare Problemlage, die eben den Rahmen der jeweils einbezogenen Disziplinen
ubersteigt, aufgebrochen. Somit kann die Notwendigkeit entstehen, neue und wiederum
konsensfahige Bewahrungsstandards zu erarbeiten. Die interdisziplinare Forschung muss
also im Rahmen eines Rekursionsprozesses Voraussetzungen und Forschungsstrategien
reflektieren und ggf. weiterfuhrende Maßstabe durch die heuristische Einbeziehung wis-
senschafts- und erkenntnistheoretischer Positionen erschließen.
4 Die Disziplin der Interdisziplinaren Forschung
Nachdem nun ein interdisziplinarer Forschungsablauf und dessen methodologische Aus-
richtung skizziert wurde, soll in diesem Kapitel das Verhaltnis zur rein disziplinaren
Forschung bestimmt werden. Der Gedanke, den interdisziplinaren Zugang durch
Abgrenzung von Fachgebieten zu definieren, erscheint naheliegend, und hat auch dazu
gefuhrt, die Synthese (von Wissen) als zentrales Unterscheidungskriterium darzustellen.
Betrachtet man allerdings die Forschungsablaufe in den Disziplinen, sind dort nicht nur
analytische Prozesse zu erkennen, sondern auch die gestaltende (und verandernde) Inte-
gration von Einzelerkenntnissen in die jeweiligen Theoriengebaude. Umgekehrt ist die
Systemanalyse und generell der analytisch wissenschaftliche Zugang auch fur die inter-
disziplinare Forschung unverzichtbar (siehe Kapitel 1).
Angesichts dieser Uberlegungen wird hier nun folgender Ansatz vertreten: Die inter-
disziplinare Forschung sollte selbst als Disziplin begriffen werden. Entsprechend der Defi-
nition von Disziplin im ersten Kapitel lasst sich auch eine ,,Disziplin der interdisziplinaren
Forschung‘‘ auf Basis von Theorien, Modellen, Forschungsgegenstanden und –zwecken
begrunden. Naturlich muss man derzeit noch einschranken, dass sie sich quasi im Ent-
wicklungsstadium befindet, dies andert aber nichts an der grundsatzlichen Argumentation.
Zunachst soll die folgende Position argumentativ untermauert werden: Ebenso wie sich
ein Fachgebiet von einem anderen unterscheidet, lasst sich die Disziplin der interdiszi-
plinaren Forschung von einer anderen Disziplin abgrenzen.
27 vgl. Dubielzig and Schaltegger (2004, 18–23).
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123
Unterschiede zwischen Fachgebieten ergeben sich zumeist durch den Bezug auf andere
Objektfelder bzw. Forschungsgegenstande (oder auch auf andere Aspekte/Eigenschaften
gleicher Untersuchungsgebiete). Hieraus resultiert auch die Entwicklung anderer Metho-
den, Wissensstande und Theorien.
Wahrend z.B. fur die Psychologie eben die Psyche den Objektbereich darstellt, oder
sich eine Strukturwissenschaft wie die Systemtheorie auf besondere zu analysierende
Strukturen bezieht, ist die interdisziplinare Forschung vornehmlich auf die (beteiligten)
Disziplinen selbst ausgerichtet (naturlich auch insgesamt auf das oben beschriebene Sys-
tem, das u.a. ja diese Disziplinen und ein in der Regel nicht rein disziplinar losbares
Problemfeld umfasst).
Sie untersucht, orientiert und verandert das Objektfeld (etwa in Bezug auf mehrere
Fachgebiete, die unter anderem z.B. nanoskalige Objekte erforschen), wobei sich auch im
Laufe der Zeit eine eigenstandige Disziplin herauskristallisieren kann (z.B. die Nano-
technologie). Diese dauerhaft als ,,Interdisziplinwissenschaften‘‘ (nach Ropohl, vgl. Kap.
1) zu bezeichnen, nur weil sie in einem (mehr oder weniger bewusst durchlaufenen
interdisziplinaren Prozess) entstanden ist, bzw. mit (integrierten) Elementen aus mehreren
Einzeldisziplinen arbeitet, wurde wieder zu Irritationen fuhren. Es handelt sich eben in
letzter Konsequenz einfach um eine neue Disziplin.
Betrachtet man zudem die Entwicklung und den Aufbau lang etablierter Fachbereiche,
wie z.B. die Physik, konnte man innerhalb dieser Disziplin auch Teilbereiche identifizie-
ren, aus denen im Sinne einer quasi intradisziplinaren Entwicklung ein neuer (evtl. auch
ubergeordneter) entstanden ist. Es ist also letztlich eine Frage des Rahmens, den man
ziehen mochte, und der kann prinzipiell auch von einer einzelnen Disziplin unter Bezug
auf ihre Untergliederungen gesetzt werden. Insofern kann auch fur den oben skizzierten
interdisziplinaren Forschungsablauf nur eine Disziplin mit ihren Teildisziplinen als zen-
traler Objektbereich dienen.
Die Paradigmenunterschiede, die Ropohl28 gerade zwischen Disziplinen und Interdis-
ziplinen festmachen will, bestehen unserer Ansicht nicht. Sie resultieren aus einer Uber-
betonung von vermeintlich exklusiven Eigenschaften der Interdisziplinaritat, z.B. der
Einsatz integrativer Methoden der Wissensorganisation und Wissenssynthese, eine exo-
terische Bildungssprache, externe Tauglichkeit fur Praxis- und Weltbildorientierung etc.
Diese Eigenschaften finden sich durchaus auch in den konventionell begriffenen Diszi-
plinen wieder, naturlich nicht unbedingt in allen bzw. mit unterschiedlich starker
Auspragung.
Letztlich hat auch die von uns dargestellte interdisziplinare Forschung eigenstandige
Paradigma-Merkmale, insbesondere die oben beschriebene Methodik oder auch den
Objektbereich, der disziplinubergreifende Problemstellungen und andere Disziplinen mit
einbezieht. Aber in diesem Sinne hat eben jede Disziplin ihre Paradigma-Merkmale, die sie
mehr oder weniger stark von einer anderen Disziplin abgrenzen. So lasst sich auch die
interdisziplinare Forschung von anderen Fachbereichen abgrenzen, aber nicht in einem
fundamentalen Sinne von allen anderen Disziplinen (selbst wenn dies der Fall ware, sollte
man ihr einen eigenstandigen Disziplinenstatus nicht absprechen. Sie hatte dann eben im
Vergleich zu den ,,konventionellen‘‘ Disziplinen nur ein besonders exklusives Paradigma).
Im Vergleich zum Begriff der Interdisziplinwissenschaft ist unsere Konzeption wie
folgt zu verstehen:
Die interdisziplinare Forschung richtet sich u.a. auf mehrere Fachbereiche als For-
schungsgegenstand aus, wodurch als Ergebnis eines zumeist langer andauernden
28 vgl. Ropohl (2005, 29–30).
Interdisziplinare Systemintegration und Innovationsgenese 151
123
Forschungsprozesses, wenn man so will, eine ,,Interdisziplinwissenschaft‘‘ entstehen kann.
Diese durchlauft einen gewissen Akzeptanz- und Bewahrungsprozess innerhalb der wis-
senschaftlichen Gemeinschaft, der letztlich dazu fuhrt, dass sie schließlich als eigenstan-
dige Disziplin anerkannt wird (z.B. die Bionik).
Wenn uberhaupt wurden wir somit den Begriff Interdisziplinwissenschaft nur im
Gegenstandsbereich der interdisziplinaren Forschung und im Sinne des Ubergangs zu einer
neuen Disziplin gebrauchen, und nicht mit der interdisziplinaren Forschung selbst, die ja
den Transformationsprozess gestalten soll, identifizieren.
Ein letzter Punkt soll erganzend zu dieser Diskussion noch beleuchtet werden:
In den beiden vorangehenden Kapiteln wurde eine Methodologie fur die interdiszipli-
nare Forschung entworfen, hierbei aber auch auf den Einsatz bereits bestehender Methoden
verwiesen. Dies scheint der hier vertretenen Auffassung als eigenstandige For-
schungsdisziplin zu widersprechen.29 Dem kann folgendes entgegnet werden:
Es ist keineswegs ungewohnlich, dass eine wissenschaftliche Methode in mehreren
Fachgebieten Verwendung findet—sei es als unterstutzendes Verfahren zur Aufbereitung
von Proben, als Organisationsverfahren, oder auch in einer auf den jeweiligen Objekt-
bereich angepassten Form. Schon allein der vielfaltige Einsatz mathematischer Methoden
ist bezeichnend fur diese Situation.
Letztlich wird sich trotzdem, wie bei anderen Disziplinen auch, der eigenstandige Cha-
rakter der dargestellten Methoden der interdisziplinaren Forschung kontinuierlich starker
heraus kristallisieren, und auch ihre ,,Hilfsmethoden‘‘ (z.B. aus den Strukturwissenschaften,
vgl. Kapitel 3) einer interdisziplinar zugespitzten Weiterentwicklung unterliegen.
Zudem soll ein weiterer Hinweis nicht unterbleiben: Das Verfahren des disziplinuber-
greifenden Methoden- und Wissenstransfers impliziert ja die Anwendung einer Methode
aus einem Teil des Objektfeldes (gleichzusetzen mit der Disziplin, aus der die Methode
stammt) auf einen anderen. Nichts anderes geschieht, wenn im Rahmen der interdiszipli-
naren Methodologie, z.B. zur Identifikation von Leitstrukturen, auch Instrumente und
Verfahren aus anderen Disziplinen (die einfach ins Objektfeld einbezogen werden) zum
Einsatz kommen.
5 Schlussbetrachtung und Ausblick
Der dargestellte interdisziplinare Forschungsablauf soll hier nochmals im Uberblick
betrachtet werden. Wie in Abbildung 1 skizziert, handelt es sich hierbei um einen rekursiv
ausgerichteten Kreisprozess, wobei im Rahmen mehrerer Durchlaufe eine Konvergenz
hinsichtlich bestimmter Zielstellungen erfolgen sollte. Die Teilschritte im Systemablauf
sind zueinander rekursiv definiert, damit flexible und reflexive Anpassungsprozesse an
bestimmten Systemkomponenten vollzogen werden konnen.
Die Initialisierung des Forschungssystems fungiert zunachst als Startpunkt, d.h. unter
Berucksichtigung der bestehenden Moglichkeiten, Zielstellungen etc. werden zunachst
Gegenstands- und Akteurssystem (vgl. Kapitel 2) definiert und die strukturellen, funktio-
nalen und hierarchischen Bezuge erfasst.
Uber die interdisziplinare Systemausrichtung wird nun angestrebt, die einzelnen
Systemkomponenten integrativ aufeinander abzustimmen und innovations- bzw. erkennt-
nisdienlich auf die zu erfullenden Aufgaben einzustellen. Dies geschieht auf Basis
29 vgl. auch Balsiger (1996, 79–80).
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systemanalytischer Betrachtungen im Rahmen der Systemintegration (unter Einsatz
interdisziplinar und integrativ auszurichtender Managementmethoden, vgl. Kapitel 2)
und der Innovationsgenese (Identifikation—Transfer—Variation—Rekursion, vgl.
Kapitel 3).
Die Anwendung des Forschungssystems auf eine Problemstellung ist als dynamischer
Folgeprozess der interdisziplinaren Systemausrichtung zu betrachten. Dies kann auch im
Sinne von induzierten Ablaufen (aktiviert z.B. durch einen Methodentransfer, oder einer
entsprechenden Ausrichtung einer Kooperationsgruppe), die sich innerhalb des Objekt-
feldes der interdisziplinaren Forschung (vgl. Kapitel 4) fortentwickeln, interpretiert
werden.
Methoden der interdisziplinaren Forschung begleiten diese Prozesse und kommen durch
die Rekursionen zur Innovationsgenese und Systemintegration, und der damit verbundenen
interdisziplinaren Reflexion, Kontrolle und katalytischen Steuerung der pro-
blemstellungsorientierten Ablaufe, zum Einsatz.
Schließlich ist eine Validierung der erzielten (Zwischen-)Ergebnisse sowie des inter-
disziplinaren Prozesses selbst durchzufuhren. Hierbei sind vor allem folgende Faktoren zu
berucksichtigen: Konsens, bestehende disziplinare und disziplinubergreifende Validi-
erungsstandards und ggf. die rekursive Erarbeitung neuer Akzeptanzkriterien (vgl. Kapitel
3). Die Validierung fuhrt nicht nur auf Ergebnisse, die von allen Systemakteuren konsistent
nach außen vertreten werden konnen, sondern dient auch der Bestatigung erfolgreich
eingesetzter Methoden bzw. der Reflexion und ggf. Uberarbeitung des interdisziplinaren
Prozesses, der ja in der Regel mehrfach durchlaufen wird. So kann sich z.B. die Not-
wendigkeit ergeben, bei der nachsten Initialisierung, neue Disziplinen, Akteure, Erfah-
rungswissen etc. in das Forschungssystem einzubeziehen.
Im Idealfall fuhrt dieser Kreisprozess schließlich zu einer Gesamtlosung der Aufga-
benstellung—evtl. sogar zur Entstehung einer neuen Disziplin (vgl. Kapitel 4).
Die entworfene Methodologie gibt auf der einen Seite den Verlauf eines interdiszipli-
naren Forschungsprozesses vor, eroffnet aber auf der anderen Seite die notwendige Fle-
xibilitat fur einen variablen und problemorientierten Methodeneinsatz.
Abb. 1 Schematische Darstellung des interdisziplinaren Forschungsprozesses
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123
Eine besondere Bedeutung kommt hierbei den Managern bzw. Koordinatoren des
Systemablaufes zu.30 Vor allem sie sollten disziplinubergreifende Kompetenzen besitzen,
die dargelegte Methodologie verinnerlicht haben und anwenden, sowie die weiteren
Akteure interdisziplinar anleiten. Sie sind die unmittelbaren Vertreter der Disziplin der
interdisziplinaren Forschung und es bleibt zu hoffen, dass diese auch in das universitare
Curriculum aufgenommen wird—entsprechende Ansatze sind an manchen Universitaten ja
durchaus bereits vorhanden.
Die Zeit ist jedenfalls reif, das Potential der interdisziplinaren Forschung voll
auszuschopfen. Dies bedeutet nicht nur ihre integrationsorientierte Anwendung auf dis-
ziplinubergreifende Problemstellungen, sondern generell ihre erkenntnisleitende, para-
digmenwechselfahige Ausrichtung auf komplexe, zumeist kooperationsintensive und
bislang ungeloste Fragestellungen. Diese konnen z.B. auch einer rein disziplinaren
Umgebung entstammen, als gesellschaftliche oder auch industriespezifische Herausfor-
derung formuliert sein. Der dargestellte Systemablauf vermag die benotigten interdiszi-
plinaren Bezuge selbst einzubinden, zu integrieren und fur eine Innovationsgenese
einzusetzen, sie mussen nicht bereits von der Problemstellung oder durch andere
Rahmenbedingungen vorgegeben sein.
Wurdigung Wir danken den Herausgebern sowie den anonymen Gutachtern fur ihre wertvollen Hinweisezur Einordnung und Darstellung unserer methodologischen Konzeption fur die interdisziplinare Forschung.
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