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1 „Immer flexibler, mobiler, vielfältiger?“ fragte die Friedrich-Ebert-Stiftung am 25. Februar 2010 im Rahmen einer Konferenz in Berlin. Vor dem Hintergrund einer rasant sich wandelnden Arbeitswelt stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für viele Menschen immer dringlicher. Beschäftigte müssen heut- zutage nicht nur flexibel und mobil, sondern mitunter auch rund um die Uhr einsatzbereit sein. Von dieser Ent- wicklung bleibt auch das Familienleben nicht unberührt. Dabei sind es längst nicht nur Hochqualifizierte oder Führungskräfte, die vor der täglichen Herausforderung stehen, freie Zeit für ihr Familienleben finden zu müs- sen. Gerade im Dienstleistungsbereich sind Arbeitneh- mer/innen zunehmend von Wochenendarbeit und kurz- fristigen Schichtwechseln betroffen. Die klare Trennung von Berufs- und Privatleben verwischt dabei immer mehr. Hinzu kommen häufigere beruflich bedingte Umzüge und Wochenendpendeln zwischen Arbeits- und Wohn- ort. Auf dem Arbeitsmarkt hat in den letzten Jahren die Zahl der prekär Beschäftigten deutlich zugenommen und somit auch die Notwendigkeit von Zwei-Verdiener- Familien. Frauen sind von dieser Entwicklung besonders betroffen, da sie häufig in Branchen mit geringen Löhnen beschäftigt sind und überdies oft in Teilzeit arbeiten. Welche Rahmenbedingungen sind notwendig, damit Eltern Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren können. Was können Politik und Betriebe tun? Braucht es gesetzliche Regelungen für eine familienfreundlichere Arbeitswelt? Welchen Einfluss haben die aktuellen Ent- wicklungen auf Geschlechterverhältnisse? Wie müssten Arbeitsmarkt-, Familien- und Gleichstellungspolitik auf- einander abgestimmt sein, um möglichst vielen Beschäf- tigten eine bessere Work-Life-Balance zu ermöglichen? An der Konferenz haben folgende Expert/innen aus Gewerkschaften, Politik, Verbänden und Wissenschaft teilgenommen. Thomas Fischer, Referent im Referat „Chancengleich- heit im Erwerbsleben, Bundesgleichstellungsgesetz“ im BMFSFJ Sofie Geisel, Projektleiterin Netzwerkbüro „Erfolgsfak- tor Familie“ Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe, Professur für Wirtschafts- lehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen Swetlana Jung, Betriebsratsmitglied der Vattenfall Europe Netzservice GmbH Matthias Lindner, Bereichsleiter Gender ver.di Bundes- verwaltung Elisabeth Niejahr, Hauptstadtkorrespondentin DIE ZEIT und Buchautorin (Moderation) Christiane Reckmann, Vorsitzende des Zukunftsforum Familie e.V. Sönke Rix, stellvertretender Sprecher der SPD-Bundes- tagsfraktion für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Dr. Manuela Schier, Leiterin der Schumpeter-Nach- wuchsgruppe „Multilokalität von Familie“ und Deutsches Jugendinstitut e.V. Immer flexibler, mobiler, vielfältiger? Arbeit und Familie im Wandel Zusammenfassung der Konferenz vom 25. Februar 2010, Berlin Urban Überschär Forum Familienpolitik Impressum: Friedrich-Ebert-Stiftung Forum Politik und Gesellschaft Hiroshimastr. 17, 10785 Berlin Tel. 030 - 269 35 7321 www.fes.de/forumpug Text: Urban Überschär, Friedrich-Ebert-Stiftung Redaktion: Bettina Luise Rürup, Friedrich-Ebert-Stiftung Gestaltung: Inge Voß, Friedrich-Ebert-Stiftung Fotonachweis: Pavel Losevsky, Fotolia Berlin, Mai 2010

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Page 1: Immer flexibler, mobiler, vielfältiger? Arbeit und …library.fes.de/pdf-files/do/07282.pdf2 Familie(n) im Wandel Familie hat sich in den letzten Jahren in Deutschland stark gewandelt

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„Immer flexibler, mobiler, vielfältiger?“ fragte die Friedrich-Ebert-Stiftung am 25. Februar 2010 im Rahmen einer Konferenz in Berlin. Vor dem Hintergrund einer rasant sich wandelnden Arbeitswelt stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für viele Menschen immer dringlicher. Beschäftigte müssen heut-zutage nicht nur flexibel und mobil, sondern mitunter auch rund um die Uhr einsatzbereit sein. Von dieser Ent-wicklung bleibt auch das Familienleben nicht unberührt. Dabei sind es längst nicht nur Hochqualifizierte oder Führungskräfte, die vor der täglichen Herausforderung stehen, freie Zeit für ihr Familienleben finden zu müs-sen. Gerade im Dienstleistungsbereich sind Arbeitneh- mer/innen zunehmend von Wochenendarbeit und kurz- fristigen Schichtwechseln betroffen. Die klare Trennung von Berufs- und Privatleben verwischt dabei immer mehr. Hinzu kommen häufigere beruflich bedingte Umzüge und Wochenendpendeln zwischen Arbeits- und Wohn-ort. Auf dem Arbeitsmarkt hat in den letzten Jahren die Zahl der prekär Beschäftigten deutlich zugenommen und somit auch die Notwendigkeit von Zwei-Verdiener-Familien. Frauen sind von dieser Entwicklung besonders betroffen, da sie häufig in Branchen mit geringen Löhnen beschäftigt sind und überdies oft in Teilzeit arbeiten.

Welche Rahmenbedingungen sind notwendig, damit Eltern Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren können. Was können Politik und Betriebe tun? Braucht es gesetzliche Regelungen für eine familienfreundlichere Arbeitswelt? Welchen Einfluss haben die aktuellen Ent-

wicklungen auf Geschlechterverhältnisse? Wie müssten Arbeitsmarkt-, Familien- und Gleichstellungspolitik auf- einander abgestimmt sein, um möglichst vielen Beschäf-tigten eine bessere Work-Life-Balance zu ermöglichen?

An der Konferenz haben folgende Expert/innen aus Gewerkschaften, Politik, Verbänden und Wissenschaft teilgenommen.Thomas Fischer, Referent im Referat „Chancengleich-heit im Erwerbsleben, Bundesgleichstellungsgesetz“ im BMFSFJSofie Geisel, Projektleiterin Netzwerkbüro „Erfolgsfak-tor Familie“Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe, Professur für Wirtschafts-lehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft der Justus-Liebig-Universität GießenSwetlana Jung, Betriebsratsmitglied der Vattenfall Europe Netzservice GmbHMatthias Lindner, Bereichsleiter Gender ver.di Bundes-verwaltungElisabeth Niejahr, Hauptstadtkorrespondentin DIE ZEIT und Buchautorin (Moderation)Christiane Reckmann, Vorsitzende des Zukunftsforum Familie e.V. Sönke Rix, stellvertretender Sprecher der SPD-Bundes-tagsfraktion für Familie, Senioren, Frauen und JugendDr. Manuela Schier, Leiterin der Schumpeter-Nach-wuchsgruppe „Multilokalität von Familie“ und Deutsches Jugendinstitut e.V.

Immer flexibler, mobiler, vielfältiger?Arbeit und Familie im WandelZusammenfassung der Konferenz vom 25. Februar 2010, Berlin

Urban Überschär

Forum Familienpolitik

Impressum: Friedrich-Ebert-StiftungForum Politik und GesellschaftHiroshimastr. 17, 10785 BerlinTel. 030 - 269 35 7321www.fes.de/forumpug

Text: Urban Überschär, Friedrich-Ebert-StiftungRedaktion: Bettina Luise Rürup, Friedrich-Ebert-StiftungGestaltung: Inge Voß, Friedrich-Ebert-StiftungFotonachweis: Pavel Losevsky, FotoliaBerlin, Mai 2010

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Familie(n) im Wandel

Familie hat sich in den letzten Jahren in Deutschland stark gewandelt. Die traditionelle Großfamilie ist nach und nach zu einem Auslaufmodell geworden. Die räumliche Ent- fernung zwischen Eltern und Kindern hat nicht zuletzt be-dingt durch die beruflichen Mobilitätsanforderungen zuge-nommen. Dies hat unter anderem zur Folge, dass der Mangel an Kinderbetreuung nicht mehr durch das familiäre Netzwerk kompensiert werden kann. Umso mehr sind Familien heute auf ein unterstützendes und familienbegleitendes Netzwerk an Dienstleistungen und eine funktionierende Infrastruk-tur angewiesen. Gerade in dieser Hinsicht besteht in vielen Regionen Deutschlands nach wie vor ein großer Mangel. Während z. B. in Sachsen-Anhalt immerhin 55 Prozent der Kinder unter drei Jahren in einer Kita betreut werden, sind es in Nordrhein-Westfalen nur 16,5 Prozent. Bundesweit herrscht besonders in Großstädten ein eklatanter Mangel an Krippenplätzen. Unflexible Öffnungszeiten erschweren die Situation für die Betroffenen zusätzlich.

Von der letzten Bundesregierung wurde daher im Jahr 2006 ein Gesetz beschlossen, dass von August 2013 an für alle Kinder einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr vorsieht. Derzeit kommt der Krippenausbau aber nur langsam voran und es scheint eher unrealistisch, dass der Fahrplan eingehalten werden kann. Zudem müssten deutlich mehr Erzieher/innen eingestellt und zugleich die Ausbildungssituation verbessert werden. Am Beispiel unseres Nachbarlandes Frankreich zeigt sich, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen einem guten Betreu-ungsangebot und der Zahl der Geburten. Auch der Anteil der erwerbstätigen Mütter (auch von Vätern) ist in Frankreich deutlich höher. Hier zu Lande setzt sich die Erkenntnis, dass in den personenbezogenen Dienstleistungsberufen – so auch in der Kinderbetreuung - ein enormer Wachstumsmarkt für zukünftige Arbeitsplätze liegt, aber erst allmählich durch.

Wachsende Vielfalt von Familien

In den letzten Jahren hat die Vielfalt von Familienformen zugenommen. Die Zahl der Ein-Eltern-Familien beträgt aktuell 1,57 Millionen – Tendenz steigend. 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen. Diese Gruppe ist in Deutsch-land inzwischen einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt. Knapp 40 Prozent der Alleinerziehenden beziehen ALG II, darunter auch viele gut ausgebildete. Fast eine Million Kinder, die nur bei einem Elternteil aufwachsen, leben in Armut. Gerade der Gruppe der Alleinerziehenden wird es nicht leicht gemacht, Familie und Beruf miteinander zu verein-baren. Wer aufgrund der starren Öffnungszeiten sein Kind mittags aus dem Kindergarten abholen muss, kann kaum einem Vollzeitjob nachgehen. Erschwerend kommt hinzu, dass alleinerziehende Mütter oftmals in Branchen arbeiten, in denen besonders niedrige Löhne gezahlt werden und es häufig auch keinen Kündigungsschutz gibt. Die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes wäre daher eine wichtige familienpolitische Maßnahme – nicht nur für Allein-erziehende. In diesem Zusammenhang wird u.a. die Abschaf-

fung des Ehegattensplittings im Steuersystem zugunsten einer Besserstellung von Haushalten mit Kindern und weitere Verbesserungen im Unterhaltsrecht gefordert.

„Wir werden weniger, älter und bunter“ – Chance und Herausforderung zugleich

Die Zukunft der Familie und eine progressive Familienpoli-tik lässt sich nicht ohne Berücksichtigung der rasanten Ver- änderungen im Altersaufbau unserer Gesellschaft diskutie-ren. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes wird es im Jahr 2050 ungefähr doppelt so viele 60-Jährige wie Neugeborene geben. Die Zahl der Menschen, die 80 Jahre und älter werden, wird sich von heute nicht ganz vier Millio-nen auf zehn Millionen nahezu verdreifacht haben. Der de-mografische Wandel steht uns nicht bevor – wir sind bereits mittendrin.

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Z. B. ist die Zahl der Geburten in den letzten Jahren deutlich zurück-gegangen. Kinder werden in unserer Gesellschaft immer mehr zu einem „knappen und raren Gut“. 2008 wurden in Deutschland nur noch ca. 650.000 Kinder geboren. In einer Stadt wie Hamburg leben inzwischen nur noch in knapp 25 Prozent aller Haushalte Kinder. Auffallend ist dabei, dass nach wie vor eine hohe Anzahl von Akademi- ker/innen kinderlos bleibt. Im Jahr 2004 hatten insgesamt 73,1 Prozent der Akademiker/innen im Alter bis 44 Jahre kei-ne Kinder. Daran hat bislang auch die Einführung des vom Einkommen abhängigen Elterngeldes nicht viel geändert.

Nicht zuletzt aufgrund der oben beschriebenen Ent- wicklungen hat das Thema Familie und Kinder in der öffent-lichen Wahrnehmung deutlich an Bedeutung gewonnen. Wichtige gesellschaftliche Bereiche, wie z. B. der Arbeits-markt, sind schließlich direkt davon betroffen. Prognosen gehen davon aus, dass in Deutschland bis 2015 ein Arbeits-kräftedefizit zwischen zwei und drei Millionen erreicht sein wird. Um diese Lücken zu schließen wird die Wirtschaft zukünftig noch stärker darauf angewiesen sein, Frauen als Arbeiternehmerinnen zu gewinnen und im Unternehmen zu halten. Diese Entwicklung könnte dazu beitragen, dass die Arbeitswelt insgesamt familienfreundlicher gestaltet wird. Zumal Frauen inzwischen im Durchschnitt über bessere Bil-dungsabschlüsse verfügen als Männer. Für diese Gruppe von Frauen stellt sich auch die Frage nach der Aufteilung der Fürsorgearbeit in der Familie mit dem Partner zunehmend unter ganz anderen Voraussetzungen. Auf der anderen Seite wollen auch die (jungen) Männer mehr Zeit für und mit ihrer Familie verbringen.

Zunehmende Polarisierung der Lebenschancen von Kindern

Anlass zur Sorge gibt ein weiterer wichtiger Befund: Neuesten Studien zufolge, hängt der Bildungserfolg von Kindern in Deutschland stärker denn je von der sozia-len Herkunft ab. Selbst wenn Kinder aus benachteiligten

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Herkunftsverhältnissen einen gleich guten Notendurchschnitt haben wie Kinder aus Akademiker/innen-Haushalten, so er-halten sie statistisch gesehen dreimal seltener eine Empfeh-lung für das Gymnasium. Von 100 Arbeiterkindern schaffen es derzeit nur 24 an eine Hochschule, gleichzeitig besuchen von 100 Kindern, deren Eltern selbst einen akademischen Abschluss haben, 71 eine Hochschule. Hier sind Gesellschaft und Politik gefordert, die Situation von Kindern in armen und prekären Lebenslagen besonders im Blick zu haben und ihnen eine faire Chance auf Partizipation auf dem Arbeits-markt und damit auch in der Gesellschaft zu ermöglichen. Mit der wachsenden Bildungsarmut gehen in zunehmendem Maße gesundheitliche Beeinträchtigungen und ein erhöhtes Armutsrisiko einher – gerade bei Kindern. Den neuesten Er-gebnissen des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) zufolge lebten 2008 in Deutschland 14 Prozent der Bevölkerung in Haushalten mit einem Einkommen unterhalb der „Armuts-risikoschwelle“. Von 1998 bis 2008 ist das Armutsrisiko der Gesamtbevölkerung und insbesondere der Kinder und jungen Erwachsenen – darunter viele Alleinerziehende – noch einmal stark angestiegen.

Heirats- und Beziehungsmarkt wirkt sozial selektiv

Der „Heirats- und Beziehungsmarkt“ in Deutschland weist seit etwa 30 Jahren zunehmend starke Tendenzen der sozialen Homogenisierung auf. D. h., es heiraten vorwiegend Paare untereinander, die über den gleichen Bildungsab-schluss verfügen. Während in den 70er Jahren beispielsweise eine Heirat zwischen einer Krankenschwester und einem Oberarzt durchaus einer gesellschaftlichen Norm enstprach, sind diese Formen der „sozialen Kreuzungen“ heute selte-ner geworden. Hinzu kommt, dass Frauen heute wesentlich bessere Bildungsabschlüsse erzielen als Männer. Dies hat u.a. zur Folge, dass eine wachsende Zahl an Frauen keinen männlichen Partner findet, der ihrem Bildungs- und Sozial-status entspricht. Eine (vermutete) Konsequenz daraus: Die Zahl der Singlehaushalte wird in den nächsten Jahren weiter steigen.

Re-Traditionalisierung von Geschlechterrollen

Experten beobachten im Verhältnis zwischen Frauen und Männern seit einiger Zeit einen Trend zur Re-Traditionali- sierung von Geschlechterrollen. Zwar wird sowohl von Frau-en als auch von Männern eine gleichwertige Aufteilung von Familien- und Berufsaufgaben angestrebt. Die Männer weisen zudem eine deutlich gestiegene Kindorientierung auf. Doch sobald sich Paare dazu entscheiden, eine Familie zu gründen, ändern sich die Vorstellungen von Geschlech-terrollen und Arbeitsteilung in der Beziehung. Insgesamt dominiert nach wie vor in weiten Teilen der Bevölkerung die klassische „Versorgerehe“. In Deutschland leben 52,3 % aller Paare mit Kindern das Modell „Mann Vollzeit, Frau nicht erwerbstätig“ - auch junge Paaren mit Kindern. Interessant dabei ist, dass sich aber nur 5,7 Prozent diese Konstellation

wünschen. Begünstigt wird diese Entwicklung nicht zuletzt durch die Möglichkeit des (steuerlichen) Ehegattensplittings. Vor dem Hintergrund, dass die Qualifikation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zunehmend gebraucht wird, sprach sich eine Mehrheit der Teilnehmenden der Konferenz für eine Abschaffung des Ehegattensplittings aus. Vor allem für Westdeutschland zeigt sich, dass Frauen sich häufiger für eine Phase der Nichterwerbstätigkeit und für Teilzeitarbeit entscheiden. Gerade bei der Teilzeitarbeit han-delt es sich in zunehmendem Maße um prekäre Arbeitsver-hältnisse. Bei den Männern wiederum ist die Vollzeiterwerbs-tätigkeit noch nicht in dem Maße brüchig geworden wie infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise zunächst befürchtet wurde. Verheiratete Frauen mit Kindern weisen heute sogar deutlich weniger Erwerbsarbeitsstunden auf als noch im Jahr 2001. Gleichzeitig ist die Kluft zwischen den weiblichen und männlichen Erwerbsarbeitszeiten weiter auseinander gedrif-tet. Die Mehrheit der Frauen arbeitet dabei deutlich weniger als 20 Stunden. Dies ist nicht nur aus gleichstellungspoli- tischer Sicht bedenklich. Für den Arbeitsmarkt bedeutet dies eine Nichtnutzung von (z.T. hochqualifizierten) Ressourcen, für Städte und Kommunen bedeutet die geringe Erwerbs- tätigkeit von Frauen einen erheblichen Ausfall im Bereich der Einkommenssteuer- und Sozialversicherungseinnahmen.

Mehr Sensibilität für das Thema Gender entwickeln

Vor diesem Hintergrund sprachen sich die Expert/innen der Diskussionsrunde für eine gleichere Verteilung der Möglich-keiten der Teilzeiterwerbstätigkeit und der Elternzeit zwi-schen den Geschlechtern aus. Dies könnte vielleicht auch mehr Männern die Entscheidung erleichtern, sich aktiv an der Erziehung ihrer Kinder zu beteiligen. Ein weiterer Ansatz wäre es, die junge Generation besser auf ihre zukünftige Rolle als Erwachsene und Eltern vorzube-reiten. In diesem Kontext müssten auch „Genderkompeten-zen“, ein besseres Verständnis von den sozialen Rollen der Geschlechter und ihrer Veränderbarkeit vermittelt werden. Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang auch der Vor-schlag, die Lebensläufe zukünftig wieder zu entschleunigen, damit einerseits ausreichend Zeit für Bildung und eine gute Erwerbsbiografie bleibt, andererseits aber auch Zeit für Fa-milie und Kinder.

Zwar gibt es in vielen Betrieben inzwischen die Möglichkeit von Arbeitszeitkonten und lebensphasenbezogenen Arbeits-modellen. Nach wie vor zeigt sich aber für diesen Bereich, dass die häufig vorherrschende Anwesenheitskultur nur schwer mit Familie und Kindern vereinbar ist. Hier braucht es in den Unternehmen einen Kulturwandel. Das fängt bereits bei der Planung von Teamtreffen an. Ein erster Ansatz wäre es z. B., wichtige Dienstbesprechungen – wie es in anderen Ländern bereits üblich ist – vor 15 Uhr anzusetzen. So hätten auch Eltern, die nachmittags ihre Kinder vom Kindergarten abholen müssen, Gelegenheit an diesen Sitzungen teilzu-nehmen. Auch mehr Betriebskindergärten würden dazu bei-tragen, Eltern zeitlich zu entlasten.

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Darüber hinaus sind gerade Führungskräfte gefordert, mehr Sensibilität für das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Fa-milie aufzubringen. Häufig hängt die Akzeptanz für Mit- arbeiter/innen, die Elternzeit beantragen (wollen), davon ab, ob die Vorgesetzten „familiensensibel“ sind, häufig weil sie direkt betroffen sind - entweder selber Kinder haben oder deren Kinder vor denselben Problemen stehen. Führungs- kräfte sollten darüber hinaus auch selbst Vorbilder sein und z. B. nicht davor zurück schrecken, selbst Elternzeit in Anspruch nehmen oder in Teilzeit zu arbeiten. Einig waren sich die Teilnehmenden darüber, dass ein solcher Prozess top-down erfolgen müsse. Väternetzwerke und spezielle Ansprechpersonen im Betrieb könnten es zudem Männern erleichtern, Elternzeit in Anspruch zu nehmen.

Folgerungen für Gesellschaft und Politik

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Zeiten einer stärkeren Flexibilisierung der Arbeitswelt stellt Familien in Deutschland nach wie vor vor große Herausforderungen. Eine familiengerechtere Politik muss eingebettet sein in eine Kultur der Anerkennung für die besonderen Leistungen in der Familien- und Fürsorgearbeit, die Männer und Frauen miteinschließt. Der weitere Ausbau der Kinderbetreuungsangebote, die Umsetzung des Rechtsanspruches und darüberhinausgehen-de Betreuungsmöglichkeiten, ist dringend erforderlich. Dies ist nicht nur aus der Elternperspektive notwendig. Gerade in den personenbezogenen Dienstleistungsberufen liegt ein großer Wachstumsmarkt für mehr Beschäftigung. Durch solche Maßnahmen würde insbesondere den Ein-Eltern-Familien der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden. Die Mehrzahl der teilnehmenden Expert/innen sprach sich gegen das Ehegatten-Splitting zugunsten einer steuerlichen Begünstigung von Familien mit Kindern aus. Im Alltag müs-sen familienrelevante Institutionen (wie z. B. Bibliotheken, Kitas, Supermärkte, Vereine etc.) ihre Öffnungszeiten besser auf den tatsächlichen Bedarf von Eltern abstimmen. In der Mobilitätsforschung zeigt sich, dass vor allem Frauen damit konfrontiert sind, Beruf und Familie und damit auch die ver-schiedenen „multiplen weiblichen Wegeketten“ miteinan-der zu koordinieren. Eine bessere Zeitkoordinierungspolitik könnte zur Überwindung dieser geschlechtersegregierten Alltagszeiten beitragen. Insgesamt braucht es einen Pers-pektivenwechsel und eine Politik, die die Chancen einer Ver-bindung zwischen einer familienfreundlichen Infrastruktur, Standortattraktivität und einer besseren Lebensqualität vor Ort sieht und vorantreibt. Auch in den Unternehmen ist ein Kultur- und Mentalitäts-wandel erforderlich. Es sollten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Frauen und Männer Elternzeit in Anspruch nehmen können und auf das Verständnis und Akzeptanz von Seiten ihrer Vorgesetzten und der eigenen Arbeitskolleg/innen treffen. Führungskräfte sollten für die Themen Gender und Geschlechtergerechtigkeit stärker sen-sibilisiert sein und ihrer Vorbildfunktion gerecht werden.

Die Umsetzung von Geschlechtergerechtigkeit in der Wirt-schaft wäre ein weiterer Faktor, der die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern würde – und den Unter- nehmen zu Gute käme. Noch immer gibt es in Deutschland ein Lohngefälle zwischen Frauen und Männern von über 20 Prozent. Damit belegt Deutschland auch im europäischen Vergleich einen der hinteren Plätze. Auch die Zahl der Frauen in den oberen Führungsetagen der Wirtschaft ist immer noch sehr gering. Etliche Studien legen den Schluss nahe, dass der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens steigt, je höher der Anteil von Frauen im Top-Management ist. So bedarf es wohl weiterer freiwilliger und gesetzlicher Maßnahmen um die Gleichstellung von Frauen und Männer in der Wirtschaft im Sinne einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten.

Weiterführende Literatur:

DGB-Bundesvorstand, Bereich Gleichstellungs- und Frauenpolitik (Hrsg.): Gleich am Ziel?: Chancengleichheit in der Privatwirtschaft durch die freiwillige Vereinbarung und das AGG; Dokumentation einer Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Bereichs Gleichstellungs- und Frauenpolitik beim DGB-Bundesvorstand, Berlin 2007.http://library.fes.de/pdf-files/do/05691.pdf

Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Politik und Gesellschaft (Hrsg.): Unternehmen Vereinbarkeit: Perspektiven familienfreundlicher Un-ternehmenspolitik, Berlin 2008.http://library.fes.de/pdf-files/do/05290.pdf

Jurczyk, Karin/Schier, Michaela/Szymenderski, Peggy/Lange, Andreas/Voß, G. Günter: Entgrenzte Arbeit – entgrenzte Familie. Grenzmanagement im Alltag als neue Herausforderung.Reihe: For-schung aus der Hans-Böckler-Stiftung, Bd. 100, Berlin 2009.

Meier-Gräwe, Uta: Armut in Deutschland. In: Haushalt & Bildung, 86. Jg., Heft 2, S. 33-40 (2009).

Meier-Gräwe, Uta: Armut von Kindern in der Wohlstandsgesell-schaft. In: Frühe Kindheit, H. 1, S. 35-40 (2008).

Dieses Projekt wird gefördert durch Mittel der DKLB-Stiftung.