„ich ekele mich so!“

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10 | 2008 Heilberufe EMOTIONEN PFLEGE ALLTAG 41 te von Stuhl- und Uringerüchen, können manches Mal daran ‚abriechen‘, welches Problem vorliegt. Sonstigen Körperaus- dunstungen sind wir tagtäglich ausgesetzt, genauso wie optischen Eindrücken. Wer kennt nicht das Gefühl, es fängt schon an zu jucken, wenn man einen sehr unge- pflegten Patienten seiner Kleidung ent- ledigt.“ Oft wird gesagt „schon ok, das macht mir nichts aus“ oder ähnliches. „Das ist schließlich mein Beruf.“ Ich arbeite gern in meinem Beruf, bekennt Altenpflegerin Irina K. Ihre Lieblingsbewohnerin Frau R. erinnert sie D Jeder, der in der Pflege arbeitet, kennt unzählige Situationen, in denen „Ekel“ eine große Rolle spielt. Pfle- gekräfte berichten: Patienten erbrechen bei der Mobilisation; man öffnet einen Verband und kann nicht erkennen, was noch Fleisch ist und was schon nicht mehr; bei gerinnungsgehemmten Pati- enten rutscht eine Braunüle heraus, man merkt es erst nach Minuten und alles ist voller Blut; verwirrte Patienten haben sich und das Bett mit Stuhl beschmiert und man muss sie sauber machen; Eiter- abszesse platzen etc. „Wir kennen hunder- „Ich ekele mich so!“ Unterdrückte Emotionen in der Pflege F Ekel und der damit verbundene Impuls nach Distanz und Rückzug sind angeborene und sinnvolle Reaktionen, die man nicht unterdrücken, sondern entsprechend ausdrücken sollte. In der Realität ist das leichter gesagt als getan. Die eigenen Scham- und Unzulänglichkeitsgefühle führen bei der einzelnen Pflegekraft häufig eher zu einer Verdrängung – manchmal sogar zu einer latenten Gewaltbereitschaft. an ihre Großmutter. Doch eines Tages ist sie geschockt, als sie ins Zimmer tritt. Frau R. ist gerade dabei, ihren eigenen Kot zu essen. Tisch, Bett und das Nacht- hemd sind beschmiert. Sie würgt, muss sich erbrechen; danach steht sie stumm im Raum und ist völlig handlungsun- fähig. Hat sie jetzt versagt? Oder anders aus- gedrückt: Ist sie „unprofessionell“? z DOI 10.1007/s00058-008-0172-1 Foto: Mauriti- 4 Das hilft z Die eigene Überlastung erkennen und akzeptieren z Austausch mit den Kollegen, Ärzten und Vorgesetzten suchen z Fachspezifische Fortbildungen besuchen. z Supervision auf der Station, im Wohnbereich anfordern z Kollegiale Teamberatung starten z Notfallpläne für Pflegende gemeinsam im Team entwickeln z Entwickeln einer Feedback- und Anerkennungskultur auf der Station, im Wohnbereich (www.nacht-gantzberg.de) Sich ekeln am Arbeits- platz? Nichts Außer- gewöhnliches. Auch der noch so professionellen Pflegekraft wird dieses Gefühl nicht fremd sein, sind doch auch sie keine Übermenschen. Sie haben eine eigene Biografie und selbst oft Defizite und Verluste zu betrauern. Nicht selten sind sie zudem mit schwierigen Gefühlen oder gar dem Tod der anvertrauten Personen überlastet. Was hilft?

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10 | 2008 Heilberufe

E M OT I O N E N PFLEGE ALLTAG 41

te von Stuhl- und Uringerüchen, können manches Mal daran ‚abriechen‘, welches Problem vorliegt. Sonstigen Körperaus-dunstungen sind wir tagtäglich ausgesetzt, genauso wie optischen Eindrücken. Wer kennt nicht das Gefühl, es fängt schon an zu jucken, wenn man einen sehr unge-pflegten Patienten seiner Kleidung ent-ledigt.“ Oft wird gesagt „schon ok, das macht mir nichts aus“ oder ähnliches.

„Das ist schließlich mein Beruf.“Ich arbeite gern in meinem Beruf,

bekennt Altenpflegerin Irina K. Ihre Lieblingsbewohnerin Frau R. erinnert sie

D Jeder, der in der Pflege arbeitet, kennt unzählige Situationen, in

denen „Ekel“ eine große Rolle spielt. Pfle-gekräfte berichten: Patienten erbrechen bei der Mobilisation; man öffnet einen Verband und kann nicht erkennen, was noch Fleisch ist und was schon nicht mehr; bei gerinnungsgehemmten Pati-enten rutscht eine Braunüle heraus, man merkt es erst nach Minuten und alles ist voller Blut; verwirrte Patienten haben sich und das Bett mit Stuhl beschmiert und man muss sie sauber machen; Eiter-abszesse platzen etc. „Wir kennen hunder-

„Ich ekele mich so!“Unterdrückte Emotionen in der Pflege F Ekel und der damit verbundene Impuls nach Distanz und Rückzug sind angeborene und sinnvolle Reaktionen, die man nicht unterdrücken, sondern entsprechend ausdrücken sollte. In der Realität ist das leichter gesagt als getan. Die eigenen Scham- und Unzulänglichkeitsgefühle führen bei der einzelnen Pflegekraft häufig eher zu einer Verdrängung – manchmal sogar zu einer latenten Gewaltbereitschaft.

an ihre Großmutter. Doch eines Tages ist sie geschockt, als sie ins Zimmer tritt. Frau R. ist gerade dabei, ihren eigenen Kot zu essen. Tisch, Bett und das Nacht-hemd sind beschmiert. Sie würgt, muss sich erbrechen; danach steht sie stumm im Raum und ist völlig handlungsun-fähig.

Hat sie jetzt versagt? Oder anders aus-gedrückt: Ist sie „unprofessionell“? z

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z Austausch mit den Kollegen, Ärzten und

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z Fachspezifische Fortbildungen besuchen.

z Supervision auf der Station, im Wohnbereich

anfordern

z Kollegiale Teamberatung starten

z Notfallpläne für Pflegende gemeinsam im

Team entwickeln

z Entwickeln einer Feedback- und

Anerkennungskultur auf der Station, im

Wohnbereich

(www.nacht-gantzberg.de)

Sich ekeln am Arbeits-platz? Nichts Außer-gewöhnliches. Auch der noch so professionellen Pflegekraft wird dieses Gefühl nicht fremd sein, sind doch auch sie keine Übermenschen. Sie haben eine eigene Biografie und selbst oft Defizite und Verluste zu betrauern. Nicht selten sind sie zudem mit schwierigen Gefühlen oder gar dem Tod der anvertrauten Personen überlastet. Was hilft?

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Heilberufe 10 | 2008

PFLEGE ALLTAG E M OT I O N E N42

Heilberufe: Frau Nacht-Gantzberg, wie sieht die Situation in Deutschland in Bezug auf verdrängte Gefühle von Pflegekräften aus?Nacht-Gantzberg: Verdrängung geschieht unbewusst. Wir wissen nicht genau, wie viele Pflegekräfte ihre Gefühle verdrängen. Was wir wissen beziehungs-weise erfahren, ist, dass verdrängte Gefühle auf Dauer krank machen kön-nen. Das können sowohl körperliche Symptome sein, wie Kopf- oder Magen-schmerzen, Schwindelgefühle als auch psychische Symptome wie stark andau-ernde Ängste und Selbstzweifel, depres-sive Verstimmungen und andere mehr. Eine Erhebung der Deutschen Angestell-ten-Krankenkasse und der Berufsge-nossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege ergab, dass Altenpflege-rinnen und -pfleger überdurchschnittlich häufig an körperlichen Erkrankungen aufgrund seelischer Konflikte leiden.

Wird der Umgang mit starken Gefühlen in der Ausbildung der Pflegekräfte „gelehrt“?Die theoretische Ausbildung beinhaltet eine begrenzte Anzahl von Stunden für Reflexionen zu psychosozialen Themen, wie den Umgang mit eigenen Ängsten und Vorurteilen, Umgang mit Nähe und Distanz, mit Sterben und Tod, mit Konflikten. Im Fach Psychologie lernen Auszubildende unter anderem etwas über Emotionen als psychologische Konstruk-te, ihre Entstehungsmechanismen und Auswirkungen. Hat eine Pflegekraft ihre Ausbildung absolviert, so kann man noch nicht

davon ausgehen, dass sie im Umgang mit starken Gefühlen „fit“ ist.

Gibt es dazu Fortbildungen?Ja, es gibt Fortbildungen und Supervisio-nen für Pflegekräfte zu diesen Themen. Sie werden in einigen Einrichtungen angeboten, es besteht aber keine Teilnah-mepflicht für die Mitarbeiterinnen. Oft liegt es im Ermessen der Pflegenden zu beurteilen, ob eine entsprechende Fort-bildung für sie notwendig ist. Und es gibt auch Einrichtungen, in denen Pflegende sehr gerne psychosoziale Themen aufgrei-fen würden, es aber kein Angebot gibt.

Wie äußern sich verdrängte Gefühle?Verdrängte Gefühle wirken im Unterbe-wusstsein weiter. Sie drängen zu einem späteren Zeitpunkt wieder hervor und können negative Folgen für die Gesund-heit und die Arbeitsqualität haben. Wenn Pflegende längerfristig unter ungünstigen Rahmenbedingungen arbeiten müssen, können sich abgewehrte Gefühle in Fehl-handlungen, Träumen, Fantasien, in see-lischen und körperlichen Symptomen wie depressive Verstimmungen oder Schmer-zen, in Fehlzeiten und Krankmeldungen niederschlagen.

Kommt die Abneigung, der Ekel nicht aus der übergroßen unmittelbaren Nähe zu den zu Pflegenden? Ist der Umgang mit ihnen nicht intimer als intim?Abneigung, Scham, Ekel begleiten Pfle-gende täglich bei ihrer Arbeit. Die Arbeit in ungewohnter Intimität zu einzelnen Bewohnerinnen und Bewohner oder Patienten berührt das eigene Scham-

4 INTERVIEW4 Fragen an Daniela Nacht-Gantzberg

Abneigung, Scham, Ekel aber auch Trauer – Wie geht man mit verdrängten Gefühlen, die Bestandteil des Pflegeberufes sind, professionell um? Was gibt es für Taktiken? Heilberufe sprach mit der Diplom-Psychologin Daniela Nacht-Gantzberg, Düsseldorf, über diese komplizierte Thematik.

gefühl und ruft unter Umständen Ekel und Abscheu hervor. Im Laufe der Jahre helfen Routine und Gewöhnung, solche Gefühle in Schach zu halten. So hört man oft Pflegende sagen: „Am Anfang war das sehr schwierig mit all diesen Gerüchen und nackten Körperteilen und Berüh-rungen ..., aber man gewöhnt sich dran.“ Ekel, Abneigung und Scham bleiben aber weiterhin bestehen und werden bei neuen Bewohnern immer wieder wachgerufen.Der technische Umgang mit dem Körper, der Arbeitsdruck, die mangelnde Zeit werden oft als Gründe dafür genannt, dass man nicht so „genau hinschauen“ kann. Körperliche Intimität tangiert übri-gens auch die Sexualität. Diese ist immer noch ein Tabuthema für viele Fortbil-dungspläne in Einrichtungen der Pflege.

Häufig schämen sich Pflegekräfte ihrer negativen Gefühle – was kann man ihnen als Trost oder Taktik empfehlen?Es ist keine Schande oder Schwäche, Ängste, Abscheu oder Ekel zu empfinden. Kommentare wie: „Das hättest Du Dir früher überlegen müssen, hier zu arbei-ten“ sind fehl am Platz. Die Pflege am Menschen lebt nicht nur vom Pflegefach-wissen und der Organisation, sondern auch von der eigenen und fremden emo-tionalen Entwicklung. Die Emotionalität im Rahmen der Pflege ist ständig da, wir können sie nicht wegschieben oder abschaffen.

Kann man sich Ekel „abgewöhnen“?Die Pflegekräfte scheinen sich an die ständige Konfrontation mit starken Gerü-chen, unangenehmen Bildern weitgehend Fo

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gewöhnt zu haben. Wenn das gewöhn-liche Maß für einzelne Pflegende jedoch überschritten wird, reagieren einige mit Ekel. Sich den Ekel abgewöhnen, kann man nicht. Als menschliche Reaktio-nen auf den erlebten Ekel sind folgende Verhaltensmöglichkeiten bekannt: den Bewohner/Patienten zur Rechenschaft ziehen, mit Sarkasmus, Schimpfen oder eher belustigt reagieren, bestimmte Tätig-keiten oder Personen meiden bis hin zu depressiven Verstimmungen, Fluchtten-denzen, Fehlzeiten und Krankmeldungen.

Darüber hinaus sind viele Pflegende mit dem Tod konfrontiert, müssen Seelsorge betreiben ...Nicht alle Pflegende sind in der Lage, mit dem Thema Sterben und Tod umzu-gehen. Die Konfrontation damit ist für viele belastend und kann Ängste hervor-rufen. Zusätzlich können unbewältigte Erfahrungen wieder hochkommen. Es ist verständlich, wenn sich Pflegende in Trauersituationen von den Pflegebe-dürftigen distanzieren. Langfristig aber sollten sie im Rahmen einer Fortbildung zum Thema Sterben und Tod eigene Erlebnisse analysieren, reflektieren und aufarbeiten. Nur über diesen Weg kann eine individuelle Bewältigung der eigenen Angst geschehen.

Kann man lernen, mit starken Emotionen „professionell“ umzugehen?Ja, in gewissem Sinne man kann lernen, mit starken Emotionen umzugehen. Dafür benötigen Pflegende eine länger-fristige fachpsychologische Begleitung, zum Beispiel im Rahmen einer Super-vision oder über mehrere auf das Jahr verteilte Fortbildungstage zu einem bestimmten Thema. Entsprechende Ange-bote helfen, eigene Grenzen einzuschät-zen, persönliche Gefühle und Verhaltens-stile früher zu erkennen, zu akzeptieren

und zu verarbeiten. Nur so können adäquate Strategien zur Bewältigung von starken Emotionen entwickelt werden. Eine einmalige zwei- oder dreitägige Fortbildung im Jahr kann das Thema dagegen nur punktuell aufgreifen.

Sollten die betroffenen Pflegenden mit Kollegen und Vorgesetzten über das Tabu „Gefühle und Ängste“ sprechen? Ja, Pflegende sollen sich über ihre Gefühle austauschen können. Dafür benötigen sie eine verständnisvolle, akzeptierende und wohlwollende Haltung von Seiten ihrer Vorgesetzten aber auch untereinan-der, etwas Zeit und einen „geschützten“ Raum. Auf der Station oder im Wohn-bereich sollte eine Feedbackkultur gepflegt werden, die auf gegenseitigem Respekt und Anerkennung basiert.

Haben Sie Tipps für den Umgang mit Körperflüssigkeiten? Wichtig ist, dass jede Pflegende selbst-kritisch hinterfragt: „Was löst bei mir die eine oder andere Tätigkeit im Intimbe-reich oder der Anblick aus?“ Denn nicht alle Pflegenden empfinden das Gleiche. Zweitens sollten Pflegende raus aus der Isolation und den kollegialen Austausch wagen, unter dem Aspekt: „Wie schaffst Du das?“ Über Vor- und Nachteile spre-chen und eventuelle Überlegungen im Team aufgreifen. Drittens sollte man, wenn möglich, den Bewohner oder Pati-enten als „Partner“ in den Prozess der Pflege einbeziehen. Man kann ruhig mit ihm darüber sprechen, was man gerade tut. In diesem Prozess verlagert sich die Konzentration von der optischen und Geruchswahrnehmung auf die Kom-munikation mit dem Pflegebedürftigen. Dabei sollte man sein Gegenüber beob-achten, um mögliche Reaktionen deuten und ansprechen zu können. Schließlich sollten Pflegende nicht zögern, eigene

Warnsignale zu akzeptieren, ernstzuneh-men und fach-psychologische Beratung oder eigeninitiativ Fortbildungen in Anspruch zu nehmen.

Was ist, wenn aus der Abwehrhaltung Aggressionen werden, die sich an den Wehrlosen abarbeiten?Aggressionsausbrüche entwickeln sich über die Zeit hinweg. Anfangs spricht man von aggressiven Tendenzen – ver-borgen und diffus im Ton, in der Kör-perhaltung und in der Sprache. Die Ursachen sind vielfältig. Oft sind erlebte Hilflosigkeit, Angst und Frustration dafür verantwortlich. Haben sich aggressive Tendenzen eingespielt, können sie sich sehr schnell vermehren (Gewöhnungspro-zess) und Eskalationen in der Beziehung zu Bewohnern, Patienten als auch Kol-legen hervorrufen. Aggressionen rufen Gegenaggressionen hervor. Der Prozess schaukelt sich hoch. Pflegende müssen jederzeit die Spirale der Gewalt unter-brechen können. Dies erfordert allerdings Selbstreflexion. Von daher erscheint eine Vorbeugung durch psychologische Fortbildungen erfolgversprechender. Die Pflegenden müssen verstehen, warum sie sich aggressiv verhalten, Ursachen analysieren, eigene Lösungsstrategien entwickeln. Und sie benötigen psycholo-gische Unterstützung, um Warnsignale beziehungsweise seelische Konflikte auf-zuarbeiten. Sie müssen über ihre Gefühle von Angst, Trauer, Hilflosigkeit, Wut und Aggressionen sprechen können, sie müssen erfahren, was, wie und warum sie abwehren, um sich neu zu orientieren und strukturieren. Dann können sie auch Bewältigungsstrategien ausprobie-ren und antrainieren.

Vielen Dank für das Gespräch.

E Die Fragen stellte Ines Landschek.