heinrich von kleist - der zerbrochne krug - material.pdf · heinrich von kleist - der zerbrochne...

35
Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 18031806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater in Weimar, überarbeitete Buchausgabe mit gekürztem Schluss 1811 Materialmappe zusammengestellt von Peter Hilton Fliegel zur Inszenierung von Olaf Strieb, Spielzeit 2011/2012 Inhalt Heinrich von Kleist, Zeittafel zu Leben und Werk .......................................................................... 2 Stichworte zum Gespräch mit Lars Eickmeier ................................................................................. 3 Rezeptionsmöglichkeiten .................................................................................................................... 3 Die (umstrittene) Kantkrise nur zur Erinnerung .......................................................................... 4 Heinrich Zschokke über Kleists Schweiz Aufenthalt ...................................................................... 4 Zu Kleists Ansiedlungsvorhaben in der Schweiz ............................................................................ 5 Zentrale Passagen wichtiger Interpretationen ................................................................................. 6 Hans Joachim Schrimpf ................................................................................................................... 6 Claude David .................................................................................................................................... 7 Wolfgang Barthel .............................................................................................................................. 8 Dirk Grathoff ..................................................................................................................................... 9 Wolfgang Wittkowski .................................................................................................................... 10 Zum Aufbau des „Zerbrochnen Krugs“ ......................................................................................... 12 „Der zerbrochne Krug“ im Spiegel der Theaterkritik ................................................................... 12 Rudolstadt 1987: Komischer Krug - ernst genommen .............................................................. 12 Das Trauerlustspiel ........................................................................................................................ 14 Anhang................................................................................................................................................. 17 Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden Heinrich von Kleist (1805) 17 Mentales Fast Food: Der Wikipedia-Eintrag zu Kleist .............................................................. 20

Upload: others

Post on 19-Oct-2019

20 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug

Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater in

Weimar, überarbeitete Buchausgabe mit gekürztem Schluss 1811

Materialmappe zusammengestellt von Peter Hilton Fliegel zur Inszenierung von Olaf Strieb, Spielzeit 2011/2012

Inhalt

Heinrich von Kleist, Zeittafel zu Leben und Werk .......................................................................... 2 Stichworte zum Gespräch mit Lars Eickmeier ................................................................................. 3 Rezeptionsmöglichkeiten .................................................................................................................... 3 Die (umstrittene) Kantkrise – nur zur Erinnerung .......................................................................... 4 Heinrich Zschokke über Kleists Schweiz Aufenthalt ...................................................................... 4 Zu Kleists Ansiedlungsvorhaben in der Schweiz ............................................................................ 5 Zentrale Passagen wichtiger Interpretationen ................................................................................. 6

Hans Joachim Schrimpf ................................................................................................................... 6 Claude David .................................................................................................................................... 7 Wolfgang Barthel .............................................................................................................................. 8 Dirk Grathoff ..................................................................................................................................... 9 Wolfgang Wittkowski .................................................................................................................... 10

Zum Aufbau des „Zerbrochnen Krugs“ ......................................................................................... 12 „Der zerbrochne Krug“ im Spiegel der Theaterkritik ................................................................... 12

Rudolstadt 1987: Komischer Krug - ernst genommen .............................................................. 12 Das Trauerlustspiel ........................................................................................................................ 14

Anhang ................................................................................................................................................. 17 Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden Heinrich von Kleist (1805) 17 Mentales Fast Food: Der Wikipedia-Eintrag zu Kleist .............................................................. 20

Page 2: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Heinrich von Kleist, Zeittafel zu Leben und Werk

1777 - 18. Oktober. Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist als ältester Sohn des Kompaniechefs Joachim Friedrich von Kleist und seiner zweiten Frau Juliane Ulrike, geb. von Pannwitz, in Frankfurt a. d. O. geboren. - Erster Unterricht bei dem Hauslehrer Christian Ernst Martini, später Erziehung bei dem Prediger S. H. Catel in Berlin.

1792 Eintritt in das Garderegiment Potsdam als Gefreiter-Korporal. 1793-1795 Teilnahme am Rheinfeldzug. 1797 Beförderung zum Sekondeleutnant. 1799 Kleist erbittet und erhält den Abschied; der König stellt ihm eine spätere

Anstellung im Zivildienst in Aussicht. Nach bestandener Reifeprüfung im April immatrikuliert sich Kleist an der Universität Frankfurt a. d. O. und studiert Physik, Mathematik, Kulturgeschichte, Naturrecht und Latein.

1800 Verlobung mit Wilhelmine von Zenge. 1801 März: die sogenannte Kant-Krise. Verschiedene Reisen u. a. nach Paris und in

die Schweiz, Aufenthalt in Bern und Thun. Umgang mit Heinrich Zschokke, Heinrich Geßner, Ludwig Wieland.

1802 - Anregung zum „Zerbrochnen Krug“ durch den Kupferstich von Le Veau. Kleist soll den Stoff als Lustspiel, Zschokke als Erzählung, Ludwig Wieland als Satire behandeln. - Kleist wohnt auf einer Aare-Insel bei Thun. Arbeit an "Familie Ghonorez" (als "Familie Schroffenstein" 1803 erschienen). Anfänge des "Guiskard". Bruch mit Wilhelmine.

1803 „Familie Schroffenstein“ erschienen (anonym). Reisen: Leipzig, Dresden, Paris. Vernichtung des "Guiskard"-Manuscripts. Körperlicher und seelischer Zusammenbruch, Selbstmordpläne.

1804 Aufführung der "Familie Schroffenstein" in Graz. Bewerbung um Anstellung im preußischen Zivildienst.

1805 - Seit dem 1. Mai Arbeit als Diätar (Angestellter, der Tagegelder erhält) an der Domänenkammer in Königsberg. Hört nebenbei finanz- und staatswissenschaftliche Vorlesungen. - „Der zerbrochne Krug“ vorläufig fertiggestellt.

1806 - Fortdauernde Unpäßlichkeiten, sechsmonatiger Urlaub, Aufgabe der Beamtenlaufbahn. - 14. Oktober: Napoleons Sieg bei Jena, Preußens Zusammenbruch.

1807 - Auf der Reise nach Dresden Verhaftung als angeblicher Spion. - Februar bis Juli in französischer Gefangenschaft. - „Amphitryon“ erschienen, „Penthesilea“ abgeschlossen.

1808 - Zeitschrift „Phöbus" zusammen mit Adam Müller herausgegeben. - 2. März: mißlungene Uraufführung des „Zerbrochnen Krugs“ in Weimar durch Goethe. - „Die Hermannsschlacht“ fertiggestellt.

1809 Kleist in Prag. Politische Lyrik. 1810 - Uraufführung und Buchausgabe des „Käthchen von Heilbronn“

- Erscheinen des ersten Bandes „Erzählungen" bei Reimer („Michael Kohlhaas“, „Die Marquise von O ...“, „Das Erdbeben in Chili“) - Im Oktober die erste Nummer der „Berliner Abendblätter“

1811 - Buchausgabe des „Zerbrochnen Krugs“ in überarbeiteter Fassung mit gekürztem Schluß. - Zweiter Band der Erzählungen bei Reimer („Die Verlobung in St. Domingo“,

Page 3: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

„Das Bettelweib von Locarno“, „Der Findling“, „Die heilige Cäcilie“, „Der Zweikampf“) - Fertigstellung des Schauspiels „Prinz Friedrich von Homburg“ - Versuche, eine Anstellung als Redakteur zu finden oder wieder in preußischen Zivildienst übernommen zu werden. - 21. November: Selbstmord am Wannsee bei Berlin zusammen mit Henriette Vogel.

(zusammengestellt von Frauke Mühle-Bohlen. © 1997 Kleist-Archiv Sembdner der Stadt Heilbronn)

Stichworte zum Gespräch mit Lars Eickmeier

Zu Adams Schuld Alle Vergehen Adams würden unter einem zusammengefasst: Rechtsbeugung. Adam hätte den Prozess gar nicht führen dürfen wegen Befangenheit. Vermutliche Strafe: Verlust der Richterstelle auf Lebenszeit, also auch Verlust der Pension, Sozialleistungen, Krankenkasse, etc., hohe Geldstrafe, die er aufgrund seiner neuen Lebenssituation vermutlich absitzen müsste. Macht des Richters heute 1. Richter hat Hausrecht im Gerichtssaal, kann also ohne Angabe von Gründen jeden im Saal Anwesenden für maximal drei Tage verhaften lassen. 2. Richter kann Beweisangebote der Staatsanwälte oder Verteidiger nach eigenem Ermessen annehmen oder ablehnen. Adams Zwickmühle Da ein ausgefeiltes Regelwerk festlegt, welcher Richter für welchen Fall zuständig erklärt wird – das wurde eingeführt, um Vetternwirtschaft vorzubeugen, nach dem Motto: „Ach, den Fall übernehme ich mal …“ – muss sich ein Richter unter Angabe von Gründen, die er schriftlich niederlegt, von einem Fall entbinden lassen, in Adams Fall wegen Befangenheit. Er müsste also offenlegen, warum er die Verhandlung nicht führen kann. Was dabei ans Licht käme, würde ihn schon so die Stelle kosten: Urkundenfälschung, Amtsmissbrauch, (versuchte) sexueller Nötigung, Unterschlagung von Staatsgeldern, Erpressung. Also ist Adam fast gezwungen, die Verhandlung zu führen und zu versuchen, den Verdacht auf jemand anderen zu lenken. Dass er sich dann immer tiefer im Sumpf seiner Lügen verirrt, ist nicht mehr aufzuhalten.

Rezeptionsmöglichkeiten

Kleists Schauspiel "Der zerbrochne Krug" gehört zu den wenigen anspruchsvollen Komödien, die die deutsche Literatur aufzuweisen hat. Die Mischung aus niederländischem Genrestück, hintergründiger Komik und vielfältig ausdeutbarer, immer wieder neu aktualisierbarer ernsthafter Problematik hat dem Stück ein langes und abwechslungsreiches Leben beschert, vom Theaterflop der Goetheschen Inszenierung in Weimar bis zu neueren Großaufführungen in Wien (Andrea Breth, 1990) und Berlin (Thomas Langhoff, 1990). Die Rezeptionsmöglichkeiten reichen vom lustig-lüsternen Volksstück, in dem sich Gerechtigkeit auf komisch verschlungenen Wegen gegen eine vertrackte, elementare Vitalität durchsetzen muß, bis zum befremdlichen Spiel im Zerrspiegel, das die gesellschaftliche und politische Gewalt und damit Brisanz verstärkt.

Page 4: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Die (umstrittene) Kantkrise – nur zur Erinnerung

„Vor kurzem ward ich mit der neueren sogenannten Kantischen Philosophie bekannt und Dir muß ich jetzt daraus einen Gedanken mitteilen, indem ich nicht fürchten darf, daß er Dich so tief, so schmerzhaft erschüttern wird, als mich. Auch kennst Du das Ganze nicht hinlänglich, um sein Interesse vollständig zu begreifen. Ich will indessen so deutlich sprechen, als möglich. Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem Verstande. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint. Ist das letzte, so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr und alles Bestreben, ein Eigentum sich zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ist vergeblich - Ach, Wilhelmine, wenn die Spitze dieses Gedankens Dein Herz nicht trifft, so lächle nicht über einen andern, der sich tief in seinem heiligsten Innern davon verwundet fühlt. Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe nun keines mehr –“ (Kleist an Wilhelmine von Zenge, 22. März 1801)

Heinrich Zschokke über Kleists Schweiz Aufenthalt

Unter zahlreichen, lieben Bekannten, deren Umgang den Winter mir verschönte, befanden sich zwei junge Männer meines Alters, denen ich mich am liebsten hingab. Sie atmeten fast einzig für die Kunst des Schönen, für Poesie, Literatur und schriftstellerische Glorie. Der eine von ihnen, Ludwig Wieland, Sohn des Dichters, gefiel mir durch Humor und sarkastischen Witz, den ein Mienenspiel begleitete, welches auch Milzsüchtige zum Lachen getrieben hätte. Verwandter fühlt' ich mich dem andern, wegen seines gemütlichen, zuweilen schwärmerischen, träumerischen Wesens, worin sich immerdar der reinste Seelenadel offenbarte. Es war Heinrich von Kleist. Beide gewahrten in mir einen wahren Hyperboreer1, der von der neuesten poetischen Schule Deutschlands kein Wort wußte. Goethe hieß ihr Abgott; nach ihm standen Schlegel und Tieck am höchsten, von denen ich bisher kaum mehr, als den Namen, kannte. Sie machten mir's zur Todsünde, als ich ehrlich bekannte, daß ich Goethes Kunstgewandtheit und Talentgröße mit Bewunderung anstaunen, aber Schillern mehr denn bewundern, daß ich ihn lieben müsse, weil sein Sang, naturwahr, aus der Tiefe deutschen Gemütes, begeisternd ans Herz der Hörer, nicht nur ans kunstrichternde Ohr, schlage. Wieland wollte sogar den Sänger des Oberon, seinen Vater, nicht mehr Dichter heißen. Das gab unter uns manchen ergötzlichen Streit. Zuweilen teilten wir uns auch freigebig von eigenen poetischen Schöpfungen mit, was natürlich zu neckischen Glossen und Witzspielen den ergiebigsten Stoff lieferte. Als uns Kleist eines Tages sein Trauerspiel „Die Familie Schroffenstein“ vorlas, ward im letzten Akt das allseitige Gelächter der Zuhörerschaft, wie auch des Dichters, so stürmisch und endlos, daß, bis zu seiner letzten Mordszene zu gelangen, Unmöglichkeit wurde. Wir vereinten uns auch, wie Virgils Hirten, zum poetischen Wettkampf. In meinem Zimmer hing ein

1 Hyperborea (griechisch Ὑπερβορέα „jenseits des Nördlichen“, Boreas war der Gott des Nordwinds) ist ein sagenhaftes, von den antiken griechischen Geographen und Mythographen weit im Norden lokalisiertes Land. Seinen Bewohnern, den Hyperboreern (Ὑπερβόρε(ι)οι Hyperboreioi) wurde eine besonders enge Verbindung mit dem Gott Apollon und dessen Kult zugeschrieben.

Page 5: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

französischer Kupferstich, „La cruche cassée“. In den Figuren desselben glaubten wir ein trauriges Liebespärchen, eine keifende Mutter mit einem zerbrochnen Majolika2-Kruge und einen großnasigen Richter zu erkennen. Für Wieland sollte dies Aufgabe zu einer Satire, für Kleist zu einem Lustspiele, für mich zu einer Erzählung werden. Kleists „Zerbrochner Krug“ hat den Preis davon getragen. (H. Zschokke, Selbstschau (1842). Zit. nach: Sembdner: Lebensspuren, Nr. 67a) Mit vieler Laune hat Zschokke seinen späteren Freunden noch oft erzählt, wie Ludwig Wieland, der nicht das mindeste Talent zum Tragöden, sondern vielmehr ein launig-humoristisches hatte, wie sein nachmaliges Leben deutlich bewies, unaufhörlich mit der Idee umging, er sei dazu bestimmt, ein großer Trauerspiel-Dichter zu werden; Heinrich Kleist aber sich anstrengte, witzige und lustige Komödien zu verfassen. Das Unglück wollte, daß die Gesellschaft, worin die Corpora delicti mitgeteilt wurden, über die Trauerspiele Wielands sich halb tot lachte, und über die Lustspiele Kleists sich halb tot gähnte, was beide denn oft nicht wenig verdroß. (H. Zschokke, Nach Zschokkes Erzählung (Münch 1831). Zit. nach: Sembdner: Lebensspuren, Nr. 67b)

Zu Kleists Ansiedlungsvorhaben in der Schweiz

Es dürfte nicht Le Veaus Stich, den Kleist im Winter 1801/02 in Zschokkes Zimmer sah, allein gewesen sein, der ihn auf den Gegensatz von Recht und Gerechtigkeit in dieser Zeit des allgemeinen Übergangs orientierte, so daß er bereits in einer frühen Phase der Arbeit an der Dichtung, also während seines ersten Schweiz-Aufenthaltes, das Ödipus-Motiv umkehrte. Vielmehr muß die ungewöhnliche Ausdeutung des Stückes auch durch Hintergrundkenntnisse, vermutlich vermittelt durch Berichte Zschokkes, Geßners und Ludwig Wielands, aber auch durch Gespräche mit Leuten auf dem Lande (mit denen sich Kleist wohl nicht nur über Landwirtschaft unterhalten haben dürfte), möglich geworden sein. Schließlich war Kleist als potentieller Schweizer Bürger nicht nur an den allgemeinen und außenpolitischen Zusammenhängen interessiert, sondern auch an der inneren Verfassung seiner, wie angenommen werden konnte, künftigen Wahlheimat. Es sei in diesem Zusammenhang aus einem Bericht des Departements für Gerechtigkeitspflege an den Kleinen Rat vom 1. Dezember 1801 zitiert: „Das Departement [...] gibt einen Bericht ein, in dem es vorstellt, daß die Zusammensetzung vieler Districtgerichte und die langweiligen [!] Formen der Procedur unzulänglich seien, um das Gemeinwesen sowohl als die einzelnen Bürger gegen mindere Polizeivergehen zu sichern, indem sich die Uebertreter durch verzögernde Ränke [!] zu leicht den gehörigen Strafen zu entziehen Gelegenheit finden.“ Es werde daher vorgeschlagen (und vom Kleinen Rat beschlossen), extra Polizeirichter aufzustellen, die „Vergehen summarisch beurteilen und nach einer bestimmten Competenz bestrafen würde[n] [...]“ (Actensammlung aus der Zeit der Helvetischen Republik, s. Anm. 15, S. 907), und zwar nach der Art, wie bereits 1799 in der Gemeinde Bern ein „Polizeicommissär“ aufgestellt worden sei. Am 3. Dezember 1801 schreibt der Berner Regierungsstatthalter Tribolet an den Kleinen Rat, daß sich „[...] alle Polizeianstalten nie in einem so traurigen Verfall als jetzt“ befunden hätte. „Die angestellten Ober- und Unter-Beamten sind muthlos, einestheils wegen der schlechten Unterstützung von Seiten der Gerichte, die sich in Bestrafung der Polizeivergehen äußerst nachlässig bezeigen, anderntheils wegen dem beträchtlichen Rückstand ihrer Besoldungen; die

2 Majolika (manchmal auch Maiolica; nach der altitalienischen Bezeichnung für Mallorca) ist eine Keramik, oft ohne Bemalung (Halb-Porzellan), oder auch gewöhnliches Steingut, das mit einer deckenden weißen Zinnglasur überzogen ist. Anschließend mit leuchtenden Farben bemalt, kann derart aufwändig hergestellte Keramik Jahrhunderte überdauern, ohne dass die Farben ihren Glanz verlieren.

Page 6: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Gefängnisse und Zuchthäuser sind mit Verbrechern überhäuft [...] die Zuchtmeister sowohl als die Marachaussees sind seit mehreren Monaten nicht bezahlt und können daher nicht zur genaueren Erfüllung ihrer Pflichten angehalten werden.“ (Ebd., S. 908) Offensichtlich hatten sich besonders im Raum Bern Ende 1801/Anfang 1802 Justizprobleme bedenklich angestaut. Einerseits wollte die konservative Regierung anarchischen Zuständen (die, wie im Zerbrochnen Krug, durch die Rechtshüter selbst provoziert werden) mit verstärkter Kontrolle begegnen; andererseits wollte man die Ordnungskräfte straff in die Hand bekommen, um „Unordnungen“ (S. 908) von unten bei der Machtbefestigung vorzubeugen. Auch das Durcheinander von zentralen und föderalen Kompetenzen unter der Reding-Regierung3 wurde beklagt. Der unitarisch geprägte Verfassungsentwurf vom 25. Mai 1802 gab dann vorübergehend wieder einem zentralen obersten Gerichtshof wichtige Funktionen. Vor ihn sollten nicht nur „die bürgerlichen Streithändel gezogen werden können, deren Gegenstand den Werth von dreitausend Franken übersteigt [...]“; Art. 74 lautete: „Er entscheidet in letzter Instanz über die gegen Beamte der Staatsverwaltung wegen Pflichtverletzung [...] erhobenen Klagen [...] sowie über die von bürgerlichen und peinlichen4 Richtern in ihrer Amtsverwaltung begangenen Vergehen.“ (Ebenda, S. 1385) Kleist scheint sich in der damaligen Diskussion über Rechtsangelegenheiten für mehr zentrale Organisation und Kontrolle ausgesprochen zu haben, worauf die Figur des Revisors Walter im Zerbrochnen Krug hindeuten mag. Mit dem Fall der unitarisch dominierten Verfassung und dem Sieg der föderalistischen Kräfte 1803 war an eine Strukturreform in der Schweiz dann nicht mehr zu denken. Das Problem verlor für Kleist an Aktualität, und erst 1804 am Rhein und 1804/06 in Preußen kommt es erneut auf ihn zu. (Rudolf Loch u. Herbert Pruns: Zu Kleists Ansiedlungsvorhaben in der Schweiz. In: Beiträge zur Kleistforschung. 1993. S. 78-79)

Zentrale Passagen wichtiger Interpretationen

Hans Joachim Schrimpf

Ein Zugang ist die Anwendung der aus den anderen Werken des Dichters abgelesenen typisch „Kleistischen“ Problematik auch auf seine Komödie. Dafür bietet sich einerseits die Eve-Ruprecht-Handlung an. Weil man sie mit Recht - als Darstellung einer charakteristisch Kleistischen, im Grunde tragischen Vertrauenskrise deuten darf, wie sie auch sonst in seinem Werk thematisch ist, steht man nicht an, sie zur inneren Mitte des Stücks zu machen, wobei eine ältere Fassung der Schlußszene, der „Variant“, den Kleist selbst im Anhang dem Druck beigegeben hat, wesentliche Bedeutung erlangen mußte. (...) (...) Eve, ein schlichtes Landmädchen, das „twatsche Kind“, wie Adam sie nennt, drall und anziehend in ihrer jungmädchenhaften Lieblichkeit. Aber wie viel mehr als das: zunehmend zeigt sich im Verlauf des Stücks der hohe Adel ihres Herzens. Sie ist die ganz in sich wohnende reine Seele, in der es keinen falschen Ton gibt, nur die sichere Goldwaage des Gefühls, eine der innigsten Mädchengestalten Kleists, die an das Käthchen oder die Agnes der „Schroffensteiner“ gemahnt, frei von Komik. (...) (...) denn für Kleist gibt es nur noch eine letzte Möglichkeit der ungespaltenen Wahrheit in der Welt: in der vertrauenden Hingabe an das untrügliche individuelle Gefühl. Der Dichter

3 Als Napoléon die französischen Truppen aus der Schweiz abzog, verlor die Regierung ihren wichtigsten Halt. Restaurative und föderalistische Kreise gingen zum offenen bewaffneten Aufstand über und bildeten im August 1802 eine Gegenregierung unter Alois Reding in Schwyz. 4 Man verstand unter einer peinlichen Befragung im Mittelalter Verhöre unter Anwendung der Folter. In Teilen Europas hatte diese Form des Verhörs vor Gericht bis ins frühe 19. Jahrhundert lokal überlebt.

Page 7: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

des „Zerbrochnen Krugs“ jedoch weicht der tragischen Zuspitzung aus, er trägt diesen Konflikt nicht zu Ende durch. Er gestaltet vielmehr die „Physiognomie des Augenblicks“, läßt den Kontrast als einen komischen stehen. Und darum wird es möglich, daß etwas in uns dem Ruprecht zustimmt, mit befreiendem Lachen, wenn er antwortet: „Mein Seel', das dauert mir zu lange, Evchen.“ (...) (...) Hier wird nun zugleich aber auch erkennbar, daß das, was die Komik des „Zerbrochnen Krugs“ umgreift und quälend durchzieht, keineswegs tragisch genannt werden kann. Die Beziehung Eve-Ruprecht deutet eine tragische Möglichkeit an; auf den „Krug“ als Ganzes trifft die Kategorie nicht zu. Denn zum Tragischen gehört unabtrennbar, daß nicht nur etwas zerstört wird und zugrunde geht, worum es im menschlichen Dasein zuhöchst geht, sondern zugleich auch, daß in diesem Zugrundegehen etwas Neues, Sinnerfülltes sichtbar wird. In Kleists Tragödie ist das immer wieder die Schönheit der Menschenseele, des holden Unbewußten, das unter der Folter heraufleuchtet. Darum kann man seinen „Amphitryon“, das „Lustspiel nach Molière“, tragisch nennen. Im „Zerbrochnen Krug“ aber fehlt eine solche Sinngebung. An die Stelle des Zugrundegehens tritt - es ist ja eine Komödie - die Blamage, die unvermeidliche Erniedrigung; mag sein, daß das Weimarer Theaterpublikum auch diese grausame Demütigung des kreatürlichen Menschen, die sich nicht einfach mehr verlachen läßt, nicht ertragen hat. (...) (...) In dieser Komödie wurde nicht einfach das Menschenbild seiner anderen Dichtungen in komischer Umkehrung gestaltet, sondern zu einer umfassenden Ganzheit erweitert. Hier sind neben der individuellen Wahrheit der allein im innersten Gefühl sich selbst findenden Seele die entblößte generische Kreatürlichkeit und Endlichkeit, die mit dem „Adamsfall“ gegebene Fehlbarkeit und Erbärmlichkeit als Wesen des Menschen begriffen. (Hans Joachim Schrimpf: Kleist, Der zerbrochne Krug. In: Benno von Wiese, Das deutsche Drama. Düsseldorf 1958. S. 339-362)

Claude David

Der Reiz des Stückes beruht auf etwas anderem, auf der mitreißenden Bewegung, die das ganze Stück trägt, es unaufhaltsam weitertreibt und ihm erst seinen Sinn verleiht. Die beschränkte Szenerie im Stile Teniers' nimmt Höllenfarben an wie bei Breughel. Die Episode, die sich hier abspielt, ist grotesk-komisch und abstoßend, vordergründig-belanglos und diabolisch zugleich. Der Teufel reizt zum Lachen, da er in dem niederen Bereich, in dem er hier wirkt, entwaffnet und ungefährlich erscheint. Und doch ist es der Teufel in Person: als am Ende des Stückes der Richter, verhöhnt und vernichtet durch den Prozeß, den er gegen seinen Willen führen mußte, aus der Gerichtsstube flieht und ins Land hinaus rennt, „als flöh' er Rad und Galgen“, da sieht man ihn in der Ferne mit seinem Klumpfuß das „aufgepflügte Winterfeld“ durchstampfen, die Perücke vom Wind herabgerissen. Gerade auf dieser Ebene der Farce offenbart sich die Tiefe des Kleistschen Dramas; das Burleske, Komische dient weder als bloßer Dekor noch als Ergötzung, es ist vielmehr der Ort der tieferen Bedeutung, ja diese selbst. Kleist hat die echte Komödie wiederentdeckt. (...) Dieser lasterhafte Richter, das ist der Mensch, der Mensch in seiner Verderbtheit und Bosheit, der von einem bösen Dämon bewohnte Mensch. Adam sucht sein Geheimnis zu verbergen, aber die Masken fallen, eine nach der anderen: der Mensch wird bloßgestellt, seine verborgene Schande kommt ans Licht. Der Utrechter Gerichtsrat, der wegen einer Inspektionsreise zufällig zugegen ist, versucht die Würde der Justiz zu retten und wenigstens den Skandal, den er vorausahnt, zu unterdrücken. Aber vergebens: es muß zu diesem Skandal kommen, der Teufel muß ausgetrieben und Adam dem Spott preisgegeben werden. Am Ende der Komödie, wenn der Böse verspielt hat und die Guten triumphieren, empfindet der Zuschauer dennoch keine Befriedigung. Diese unaufhaltsam fortschreitende Bewegung, die den Übeltäter zum Geständnis zwingt und in die Flucht treibt, ist bestürzend

Page 8: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

wie eine Menschenjagd. Das Lachen bleibt im Halse stecken. So hassenswert der Richter Adam auch sein mag, wir nehmen doch an seinem Geschick Anteil. Das Geheimnis, das man ihm entreißt, ist unser Geheimnis, und in ihm fühlen wir uns selbst dem Hohn ausgeliefert. (Claude David: Heinrich von Kleist und das Geheimnis. In: Müller-Seidel, Walter (Hrsg.): Heinrich von Kleist. Aufsätze und Essays. Darmstadt 1967, S. 213-229)

Wolfgang Barthel

Die Situation des Rechts in der Welt war für ihn nicht nur im „Zerbrochnen Krug“ ein Prüfstein für die Chance des Humanen in Staat und Gesellschaft. (...) Im Zusammenhang mit Kleists Beamtentätigkeit 1805/06 erfolgte dann die entscheidende Konkretisierung des Entwurfs. Die im Krug in den holländischen Stoff assoziativ eingebundene preußische Realität hat dabei wenigstens drei sich im poetischen Entwurf eng verquickende Erfahrungsquellen. Erstens: Das Leben auf den ostpreußischen Domänendörfern. Als Diätar5 der Königsberger Kammern konnte Kleist mit ihm zu tun haben. Hier waren 1805 die Verhältnisse weniger zugespitzt als auf den sogenannten Adelsdörfern. Ein Teil der Domänenbauern war persönlich frei; es gab keine Patrimonialgerichtsbarkeit. Die Dorfschulzen oder Dorfrichter, wie sie in ihrer Funktion als Gerichtshalter auch genannt wurden, unterstanden königlichen Oberbehörden und wurden in Visitationen überprüft. Mit einer solchen gleichsam entschärften Konstellation haben wir es im „Zerbrochnen Krug“ zu tun, und mir will scheinen, als habe erst sie die Behandlung des Stoffes im Sinne der großen gesellschaftskritischen Komödie ermöglicht. Zweitens lagen Kleist bei der schließlichen Bearbeitung des Stückes preußische Gesetzbücher zur Seite. Sie gehörten ohnehin zum Studien- und Arbeitsmaterial des Diätars Kleist. Eine Anspielung hierauf findet sich in der Abhandlung „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“6. Vergleicht man zum Beispiel den „Zerbrochnen Krug“ mit einschlägigen Passagen der „Allgemeinen Gerichtsordnung für die Preussischen Staaten“, so werden Korrespondenzen mit dort beschriebenen Verfahrensweisen, Verhaltensnormen sowie mit dort verwendeten Termini und Institutionsbezeichnungen auffällig. Drittens verarbeitete Kleist Überlegungen der Reformer zu einer in der ostpreußischen Beamtenschaft aus der Schule des Smithianers Kraus diskutierten Rechtsreform. Grundgedanken dieser Diskussion finden sich in den Denkschriften Altensteins und Hardensbergs vom September 1807 zusammengefaßt. Darin ist die Rede davon, daß das empfindlich gestörte Vertrauensverhältnis zwischen Volk und Rechtsbehörden wiederhergestellt werden müsse, daß dies nur über die Beseitigung von Willkür und Korruption, durch strenge Rechtlichkeit der Rechtsdiener und durch eine entschiedene Vereinfachung der Rechtsbestimmungen erreicht werden könne, daß demzufolge eine Stärkung der Position der Revisoren - sie heißen dort 'Justizkommissäre' - geboten sei, die auch die Aufgabe hätten, „fehlerhafte und schlechte Gerichtspersonen“ zu beseitigen, daß ferner entschiedene Schritte in Richtung auf die Verbesserung der Bildung der praktizierenden Juristen unternommen werden müßten, daß schließlich auch die Verbesserung der Form der Rechtsprechung nicht vernachlässigt werden dürfe, da die Form als Unterpfand der Klarheit und Durchschaubarkeit der Gesetze angesehen werden müsse usw. - alles Forderungen, die, das wird an dieser Aufzählung deutlich, auf Konstellationen des Kleistschen Kruges weisen. (...) Exponent der 'Reformpartei', wenn man so will, im Stück ist Walter. Er trägt die aufgeführten Forderungen an die Huisumer Rechtspraxis heran; als 'Reformer' zeigt er sich

5 Ein Diätar (Diätarius) ist ein Beamten ähnlich gestellter Angestellter, der nur zeitweise beschäftigt wird und sein Gehalt täglich ausgezahlt bekommt. 6 siehe Anhang

Page 9: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

zugleich systemkonform und bereit, die Würde des Gerichts unter allen Umständen zu schützen. Die kritische Zeichnung Walters durch Kleist scheint darauf hinzudeuten, daß Kleist die Möglichkeit von Reformen und der Verbesserung der Rechtsverhältnisse durch Reformen anders beurteilte als seine Königsberger Kollegen - skeptisch und distanzierter. (Wolfgang Barthel: Kleists "Zerbrochner Krug". Thesen zu Entstehung und Wirklichkeitsbezug. In: Beiträge zur Kleist-Forschung 1978. Frankfurt (Oder), S. 45-53)

Dirk Grathoff

Zusammenfassend können wir folgendes Ergebnis festhalten: der Anbeginn der modernen Geschichte ist dadurch gekennzeichnet, daß die Niederländer - im Status der Freiheit - zum gesellschaftlichen Subjekt ihres Staates geworden sind, der Krug und seine Inbesitznahme stehen dafür ein. Und er hat weiterhin dafür eingestanden, daß der Zustand des geschichtlichen Anbeginns bis zu dem nächtlichen Ereignis fortdauerte. Wie Frau Marthe im anschließenden Bericht über die weitere Geschichte des Kruges schildert, hat er in den unwahrscheinlichsten Situationen die Anfechtungen durch äußere Mächte überstanden, sei es durch eine fremde Nation („als die Franzosen plünderten“, Vs. 700), sei es durch eine Naturkatastrophe, „der Feuersbrunst von sechsundsechzig“ (Vs. 706). Bei diesen Ereignissen hätte er, der Logik natürlicher Gesetze zufolge, eigentlich zerbrechen müssen, womit keineswegs eine übernatürliche „religiöse Bedeutsamkeit“ angezeigt werden soll, sondern lediglich der Überlegenheit eines Prinzips geschichtlicher Wahrheit selbst vor dem Prinzip der Naturgesetzlichkeit Ausdruck verliehen wird. Nun aber ist der Krug zerbrochen, so daß der nächtliche Vorfall eine andere Qualität als die bisherigen Anfechtungen durch äußere Mächte haben dürfte. Hier handelt es sich denn auch um eine Anfechtung von innen: der Krug wurde von einem niederländischen Staatsdiener, dem Dorfrichter Adam, zerbrochen. (...) Die Distanz zu romantischen Geschichtstheorien kann kaum größer sein als in diesem Lustspiel von Kleist. Mit dem Krug zerbricht vielmehr das, wofür er einstand: der Status gesellschaftlichen Subjektseins der Niederländer; nunmehr sind sie wieder gesellschaftliches Objekt geworden, und zwar Objekt des Staates, dessen Amtsdiener den Krug zerbrach. (...) Waren die Niederländer zu Zeiten der Vorgeschichte gesellschaftliches Objekt von Fremdherrschaft und feudalem Gesellschaftszustand, so sind sie nach Befreiung und zum-Subjekt-Werden nunmehr unter modernen Bedingungen wieder zum gesellschaftlichen Objekt geworden, zum Objekt ihres „eigenen“ Staates. Der Vorgang der Wiederkehr des Alten läßt gleichwohl nicht auf eine zyklische Geschichtsauffassung schließen, denn die geschichtlichen Änderungen sind benannt: an die Stelle von Fremdherrschaft und Feudalzustand ist in der Moderne die Institution des Staates getreten. (...) In seiner Eigenschaft als Staatsdiener hat Adam das Amt oder die öffentliche Funktion im Interesse privater, sexueller Wünsche nutzen wollen, um sich Eve gefügig zu machen. Damit ist für ihn, Adam, das Bett bereitet, und für sie, Eve, der zweite Sünden-Fall in einen neuen Stand der Erkenntnis eingeleitet. Denn ist eine Institution erst einmal fremd geworden, vor allem in ihrer Beliebigkeit nicht mit Sicherheit mehr bestimmbar, so ist es möglich, daß sie nicht zum Wohle, sondern auch zum Schaden des Einzelnen gereicht: der Einzelne ist ihr Objekt geworden. (...) „Die jungen Landessöhne reißen aus.“ (Vs. 1310) Bei Eve gelingt die Täuschung als schockartige Überraschung, weil sie zwar vorher schon wußte, daß es neuerdings Haager Krämer gibt, aber nicht vermutete, daß die Regierung zum Heil der Haager Krämer handeln könne. Nun ist sie in einen veränderten Erkenntnisstand gefallen, hat sie begriffen, daß für sie und Ruprecht der Status gesellschaftlichen Objektseins im Staate Holland gilt: „Komm, folg. Es sind die letzten Abschiedsstunden,/Die die Regierung uns zum Weinen läßt“ (Var. Vs. 2337 f.). (...)

Page 10: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Walters Überzeugungsgulden faßt sinnbildlich im Antlitz des Spanierkönigs den bislang skizzierten Gehalt einer veränderten geschichtlichen Wahrheit, der Eve ins Bewußtsein rückt. Eve wird keineswegs überzeugt, daß die guten, alten Zeiten gesellschaftlichen Subjektseins wiederhergestellt seien, im Gegenteil, sie erkennt, daß diese Zeiten unwiederbringlich vorbei sind, daß nunmehr endgültig „modern times“ im Staate Holland Einzug gehalten haben, indem das alte gesellschaftliche Objektsein unter veränderten Bedingungen zurückgekehrt ist. Die Gulden mit dem Antlitz des Spanierkönigs, die in Holland wieder Gültigkeit erlangt haben sollen, stehen dafür ein. Die Funktion, die vordem Fremdherrschaft und feudaler Gesellschaftszustand ausübten, ist nunmehr in gewandelter Gestalt übergegangen auf gesellschaftliche Insitutionen. Unter den Bedingungen moderner Geschichte sorgen Institutionen dafür, daß die Niederländer (vielleicht mit Ausnahme der Bewohner Den Haags) zum gesellschaftlichen Objekt des Staates werden. Zu dieser Erkenntnis wurde Eve im ersten Schritt vom Staatsdiener Adam und im endgültigen Schritt vom Staatsdiener Walter geführt. Seine Handlungsweise unterscheidet sich in ihrem Kern nicht von der vorherigen Handlungsweise Adams, er wiederholt mit selbstloser Absicht, was Adam zuvor aus Eigennutz tat. Nicht des einen oder des anderen Handeln, sondern erst beider Handeln zusammen legt Zeugnis ab von den veränderten geschichtlichen Bedingungen. (...) Nach der vorgetragenen Interpretation unterscheidet sich der Sinngehalt des Variants nicht unerheblich von dem der Zweitfassung: dort soll Eves Vertrauen in den Staat tatsächlich wiederhergestellt und schließlich die Versöhnung mit Ruprecht gefeiert werden, hier, im Variant, soll ihr die veränderte geschichtliche Wahrheit ins Bewußtsein rücken, so daß sie sich nur resignativ der gebrechlichen Einrichtung der Welt, sprich: der Beliebigkeit der Moderne, fügen kann. Diese Interpretation gewinne ich aus dem Text des Variants, den die Buchausgabe von 1811 bietet. (...) Geschichtlich gewendet: an die Stelle der verbürgenden Ordnung des Mythos ist in der Moderne die Ungewißheit des Beliebigen getreten. Jedenfalls sind die rationalistischen Rechtsprinzipien, die der Gerichtsrat Walter im Stück vertritt, solange das Ansehen der Institution nicht berührt ist, keineswegs einfach als die positiven und überlegenen Prinzipien anzusprechen, nach denen sich der Autor Kleist gesehnt habe. Unerträglich ist der Schludrian des Dorfrichters zwar auch, aber er mag immer noch erträglicher sein als das, was die Justiz der Zukunft den Niederländern bescherte. Neuere Interpretationen, besonders die von Peter Michelsen und nachdrücklich die von Wolfgang Wittkowski, haben sich inzwischen kritisch mit der älteren Auffassung auseinandergesetzt, dem Gerichtsrat Walter komme die Funktion einer überlegenen, ja, wegen seines Namens, geradezu gottähnlichen Figur zu - so als ob sich der Name nur auf das Wort „Walten“ und nicht ebenso auf das Wort „Gewalt“ bezöge. (Dirk Grathoff: Der Fall des Krugs. Zum geschichtlichen Gehalt von Kleists Lustspiel. In: Kleist-Jahrbuch 1981/82. Berlin 1983, S. 290313)

Wolfgang Wittkowski

Und jedesmal interessierte mich, was ich nun auch für den „zerbrochnen Krug“ nachweisen möchte: nämlich Kleists ironisch verschleierte Satire einmal auf die Autorität der Insitutionen, Ideologien und ihrer Repräsentanten - zum andern auf die 'Autorität der Autorität', die Autoritätsgläubigkeit. (...) (...) Kleists Kritik trifft die Ideologie, das heißt einerseits die Autoritäten als die Institutionen in Gesellschaft und Religion, andererseits die Autoritätsgläubigkeit der Menschen. (...) (...) Ähnlich mißbraucht nun Walter seine Autorität; und er ist sich dessen noch weniger bewußt. Den entlarvten Richter will er vor „Desertion“ bewahren, um ihn dem Staatsdienst „auf irgend einem Platz noch zu erhalten“. So heißt es deutlicher im Variant. Walter setzt

Page 11: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

dabei kurzerhand voraus, „die Kassen stimmen“, obwohl Adam ihn mehrmals und kaum verblümt auf das Gegenteil vorbereitete. Walters respektvolle Voreingenommenheit für die Autorität und ihre Träger hindert ihn lange, in dem Richter den Spitzbuben zu erkennen. Dementsprechend bestellt er am Ende den Schreiber Licht, das verwaiste Amt vorläufig zu „verwalten“. Der leuchtet dem Revisor und der Gerechtigkeit zwar auf den Weg; doch er tut es, weil er selbst Dorfrichter werden will. Und im verborgenen, im Finstern, mißbraucht er sein Amt, um „Depositionen“, gerichtlich hinterlegte Gelder, seinerseits weiter zu deponieren und daraus Zinsen zu ziehen. Im Stück heißt dergleichen „Veruntreuung“ und wird vom „Gesetz [...] nicht mehr verschont“, so Walter selbst. Doch bei Licht entgeht ihm das, weil er die Kassen gar nicht prüft. Damit und indem er den Obergauner auch noch zur höchsten Staatsautorität im Dorfe macht, bestätigt er zuletzt, was Adam von ihm, Walter, prophezeite: „Der Mann hat seinen Amtseid ja geschworen, / und praktisiert, wie wir, nach den / Bestehenden Edikten und Gebräuchen.“ Das vollendet den Triumph des größten Spitzbuben. (...) (...) Der religiöse Glaube an die religiöse Wertordnung, der Respekt vor der religiösen und gesellschaftlichen Autorität ist zum Vorurteil geworden. Das Denken ist derart programmiert, daß man nicht sieht, was doch zu sehen ist, und sich durch nichts zu einer Änderung der Wertvorstellung bewegen läßt. Das gleiche gilt vom „zerbrochnen Krug“. Ilse Graham fand, die Figuren glauben nur, was sie mit Händen greifen können. Aber mit Händen zu greifen scheint es doch, daß der Richter der gesuchte Übeltäter ist. Trotzdem erleben wir die Komödie, daß die anderen es lange nicht begreifen. Sie glauben, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, daß folglich der Richter nicht der Übeltäter ist. (...) (...) Delbrück und sinngemäß Michelsen können befriedigt konstatieren, der irrationale Glaube an Gott und Obrigkeit sei wiederhergestellt. Eve stützt ihren Glauben tatsächlich auf Gründe, die um nichts verläßlicher sind als Adams Schriftstücke. Sie vertauscht nur Glauben mit Glauben, Vorurteil mit Vorurteil. Daß sie diesmal nicht beschwindelt wird, ist ihr Glück, mehr nicht. (...) Von ihrem verzückten, religiösen Glauben an die Regierungsautorität läßt Eve sich tragen bis zum Ende des Variant. Denn sie will vertrauen oder mißtrauen, irrational so oder so. (...) (...) Die Autoritätsgläubigkeit dauert unzerbrechlich an, genauso unzerbrechlich offenbar, wie das Recht zerbrochen bleibt. Und biblisch gesprochen, macht der Himmel keinerlei Anstalt, die Menschen, die der Obrigkeit mehr Autorität zubilligen, als sie verdient, zu zerstoßen wie einen Krug. Die Tragödie „Penthesilea“ offenbart die Welt als „die gebrechliche, auf die nur fern die Götter niederschaun“. Die Komödie übersieht das. Soweit ein Bruch geschah und sichtbar wurde, vertuscht sie es - freilich deutlich genug, daß man es sehen kann. Den zerbrochnen Krug ersetzt ein neuer, als wäre nichts geschehen. (...) (...) Denn was bleibt nun? Walters Fehlregelung im Hinblick auf Licht und Adam; endlich seine ironisch herablassende Empfehlung, Frau Marthe möge dem Krug sein Recht verschaffen „am großen Markt“ zu Utrecht. „Und Dienstag ist, und Freitag, Session.“ Er meint den Töpfermarkt. Arntzen meint pathetisch, und die Forschung hat es ihm nachgesprochen, es handle sich um das Gericht und um den Prozeß, der weitergehen müsse. In diese massiv lehrhafte Richtung eines Fortschritts deutet die Komödie aber gerade nicht. Wie bei Alkmene darf man vielmehr fragen: Was nämlich wird geschehen? Auf dem Töpfermarkt wird Marthe einen neuen Krug kaufen, ebenso schön bebildert und glasiert. Die Regelung würde zwar dem zerbrochnen nicht gerecht. Der müßte ersetzt werden von Adam. Ja, erst Adams volle Bestrafung schüfe Gerechtigkeit. Das aber unterbleibt; und überdies wird Licht sein Nachfolger. Recht und Ordnung werden also mit Gewißheit nicht wiederhergestellt. Sie bleiben zerbrochen in dieser gebrechlichen Welt. Wie der Krug. Und der Kauf eines neuen signalisiert das Ergebnis der Komödie: nur scheinhaft, äußerlich stellen sich Recht und Ordnung wieder her, nur im blinden, unangebrachten Vertrauen zur Obrigkeit. (...)

Page 12: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

(...) Das endgültige Stück verzichtet auf die sozialen Themen der Konskription, des Patriotismus und des religiösen Glaubens an Gott und Obrigkeit. Es reduziert sie auf ihre sozialpolitisch relevante Grundlage, nämlich auf unsere allzu menschliche Neigung, blind im Guten wie im Bösen an eine Autorität zu glauben, und diesen Glauben, falls die Tatsache ihn einmal zerbrechen, eilfertig wiederherzustellen. Der Wiederherstellung des Glaubens hier und im Variant stimmt der Dichter stets nur an der Oberfläche heiter-wohlwollend zu; damit verhüllt er ironisch seine wahre Einstellung, die traurig lächelnde Kritik und Skepsis dem Menschen gegenüber; den Figuren und uns, dem Publikum, das vermutlich gutwillig ebenso wie die Figuren fühlt und in der Tat noch immer fühlt. Der hohe Grad der Ironie basiert allerdings auf der Voraussetzung, daß (von Adam abgesehen) nirgends böser Wille mit im Spiele, die Condition humaine also gesellschaftlich-geschichtlich eine hoffnungslose ist. (Wolfgang Wittkowski: "Der zerbrochne Krug": Gaukelspiel der Autorität, oder Kleists Kunst, Autoritätskritik durch Komödie zu verschleiern. In: Sprachkunst. 12. 1981. Wien 1981, S. 110-130)

Zum Aufbau des „Zerbrochnen Krugs“

Hilda M. Brown hat aus einem Kleist zugeschriebenen Diagramm zur Dramentheorie die Grundschritte: Exposition, Schürzung des Knotens mit dem Kampf des Helden bis zu seinem Untergang, Katastrophe oder Lösung hergeleitet. Auf den „Krug“ übertragen, ergäbe sich folgender Aufbau, der innerhalb des Einakters die aristotelische fünfaktige Form durchscheinen lässt:

Auftritte 1-5 großenteils Exposition

Hinter dem alten, schludrigen Rechtsgebrauch (Adam) kündigt sich ein neuer an (Walter). Versuch Adams, Walter zu vereinnahmen. eingeschlossen darin: Szene 3: der vorausdeutende Traum von Adams Entlarvung)

Auftritte 6-11 Schürzung des Knotens (Held "kämpft", bis ihn sein Schicksal einholt)

Adam sitzt über sich selbst zu Gericht, „lügt und schlingelt den Hals immer tiefer ins Eisen“.

Auftritt 10 Retardierendes Moment (die Verhandlungspause)

Die Dinge scheinen sich zu wenden, Walter zeigt sich irritiert.

Auftritt 11 Katastrophe

Der Richter ohne Perücke und Robe in panischer Flucht

Auftritte 12/13 Lösung/Nachspiel

Kurzfassung: Das Recht wird wieder hergestellt. Variant: Eve als zentrale Figur neben einem fragwürdigen Walter. Krise des Vertrauens als neues Thema in epischer Wiederholung des Falles.

„Der zerbrochne Krug“ im Spiegel der Theaterkritik

Rudolstadt 1987: Komischer Krug - ernst genommen

Page 13: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Beide Lustspiele Kleists erfüllen nicht unbedingt die Erwartungen, die ein ganz und gar gegenwärtiges Theaterpublikum diesem Genre entgegenbringt das Lachen kann einem durchaus im Halse steckenbleiben. Doch so manches Theaterstück wurde auf der Bühne dem jeweils herrschenden Geschmack angepaßt, und auch dem Zerbrochnen Krug wurde im Verlaufe seiner wechselvollen Rezeptionsgeschichte sehr oft das Schicksal zuteil, mehr, als es dem Text zuträglich ist, gleichsam als Posse gespielt zu werden. Um so höher sind deshalb alle Versuche zu bewerten, die mit Kleists letztem Wort zu diesem Thema, der Buchausgabe von 1810 (mit dem längeren 12. Auftritt als Variant im Anhang), Ernst machen Rudolstadt bot eine Strichfassung, die sich als kluge Synthese aus Kurzfassung und Variant erwies und Behaglichkeit weder auf der Rampe noch im Zuschauerraum anstreben. Die Premiere am 31. Oktober 1987 zeigte, daß es sich auch mit den Mitteln einer vergleichsweise kleinen Bühne und mit überwiegend jungen, hinter der Inszenierung (Konstanze Lauterbach) stehenden Darstellern möglich ist, Kleists Unentschiedenheit zwischen Komik und Tragik, zwischen heiterer Publikumswirksamkeit und ernstem, Betroffenheit erregenden realistischen Hintergrund künstlerisch glaubhaft zu vermitteln. Der gesamten Truppe ist für den Mut zu danken, dessen es angesichts eingeschliffener Schauspiel wie Zuschaugewohnheiten durchaus bedurfte, um die von Kleist vorgegebene Jahreszeit, Winter, als ein Symbol für den Zustand der menschlichen Beziehungen zwischen den fast auschließlich eigennützige Interessen verfolgenden Figuren schrittweise ins Bewußtsein des aufgeschlossenen Premierenpublikums zu verpflanzen. Dieses Brechen der durch Erfahrung oft bestätigten Erwartungshaltung der Zerbrochne Krug ist Kleists meistgespieltes Stück geschah bewußt recht drastisch. Während Adam zu Beginn unter einer Decke schlummernd träumte, wurde das beschaulichnostalgische Empfinden der Zuschauer belebt, indem über Lautsprecher Caterina Valentes Erfolgslied vergangener Jahre, "Steig in das Traumboot der Liebe, fahre mit mir nach Hawaii ...", eingespielt wurde, welches sofern es nicht unmittelbar ironisch aufgefaßt wurde, zu kulinarischem Theaterkonsum geradezu herauszufordern schien, sich jedoch sehr bald als sarkastisch-kontrastierender V-Effekt erwies. Schritt für Schritt enthüllte sich, daß in diesem "fatalen Lustspiel" beinahe alle, Eve ausgenommen, lügen, sofern es "um persönlichen Vorteil, private Interessen und um zu bewahrende Staatsräson" (so die Regisseurin im Programmheft) geht. An der "öffentlichen Entdeckung der Wahrheit", der ganzen Wahrheit, ist niemand interessiert auch Licht deckt seine Motive nicht offen auf. Gerichtsrat Walter wird gerade nicht als moralisch integerer Staatsbeamter vorgeführt, wie das in sehr vielen Inszenierungen ungeachtet der Tatsache der Fall ist, daß Kleists Text hierzu keine Legitimation bietet. Über szenische Lösungen, Regieeinfälle, über die Angemessenheit von Bühnenbild (hier: sehr sparsam, die Handlung befördernd, nicht von ihr ablenkend) oder Kostümsprache (hier: ebenfalls sparsam und funktionsgerecht eingesetzte Mittel, die den äußeren wie inneren Zustand der Figuren markieren: Pelzmäntel und wärmende Jacken, von denen am Schluß die Kragen hochgeschlagen werden) mag man im Detail immer streiten. Wesentlich erscheint aber, daß dank einer durchdachten und stets am Text orientierten Konzeption (der Regie stand als Dramaturg Peter W. Bahr zur Seite) eine geschlossene Ensembleleistung zustande kam, aus der Verena Blankenburg (als Frau Marthe Rull) und der kürzlich verstorbene Georg Lindig (als Bedienter und als Büttel), der aus seinem kurzen Part ein wahres Kabinettstück zu machen verstand, noch herausragten. Deftige Situations und Wortkomik und tiefer Ernst des Stücks wurden gleichermaßen sicht- und hörbar. So konnten denn auch die mit der "stationären Prozeßform" (Goethe) des ernsten Lustspiels verbundenen dramaturgischen Probleme bemeistert werden. Einmütigkeit des zur Auseinandersetzung genötigten Publikums freilich konnte nicht konstatiert werden; es wäre dies auch ein sehr schlechtes Zeichen. (Jochen Marquardt: Komischer Krug - ernst genommen. Zur Inszenierung am Theater Rudolstadt 1987. In: Beiträge zur Kleistforschung, Frankfurt (Oder)1990, S. 77-78)

Page 14: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Das Trauerlustspiel

Sigrid Löffler über Heinrich von Kleists "Zerbrochnen Krug" am Wiener Burgtheater und am Deutschen Theater in Berlin Verkehrte Welt. Schwarz tagt der Morgen. Wenn der Dorfrichter, der alte Adam, nackt und bloß, nach seinem großen Fall zerschunden in die Gerichtsstube von Huisum kriecht, furzend über sein krankes Gedärm, gekrümmt, und stockend dem Gevatter Licht seinen Alp (und Wahr)traum vom ausgehunzten Richter erzählt, der sich selbst verurteilen und in die Fichten fliehen mußte. Verkehrte Welt. Die Fichten stehen dicht an dicht gleich hinter der Eingangstür, ein Fichtenstamm wächst schon ins Zimmer. Haustiere versauen die Gerichtsstube. Der riesige schwarze Tisch des Richters hat nur zwei Beine. Der Schrank steht schief und erbricht Akten und Braunschweiger Würste. Das Perlhuhn - das mit dem Pips - haust ausgestopft neben dem Pult des Gerichtsschreibers (das auch als SchmutzwäscheBehälter dient). Die debile Magd gießt den Wein in den Schlüsselring statt ins Glas. Verkehrte Welt wie auf des Niederländers Jan Steen gleichnamigen Genrebild im Wiener Kunsthistorischen Museum. Das höchst material- und assoziationsreiche Programmheft des Burgtheaters zitiert es mit programmatischer Bedeutsamkeit. Aber wie hat alles angefangen? Andrea Breths Wiener Inszenierung von Kleists sogenanntem Lustspiel hat längst begonnen, ehe das Publikum im Burgtheater auf seinen Plätzen sitz. Da hockt Eve vorn am Bühnenrand träumend vor ihrem Perlhuhn. Dahinter öffnet sich die Guckkastenbühne wie ein riesiges Auge, gibt den Blick frei auf eine weiße Scheibe. Ganz hinten am Rande dieser Weltscheibe aber, durch die sich ein blaugrüner Riß schlängelt, hockt mit dem Rücken zum Betrachter Adam. Adam mit Schlange im Paradies? Nein. Die WeltenScheibe stellt sich schräg, sie ist zerbrochen, der Riß klafft auf, so unheilbar wie später die Bruchlinie durch Frau Marthes Krugscherben. Die Welt ist aus den Fugen, von Anfang an. Und aus der zerbrochnen Weltordnung stürzt Adam wir sollen denken: wie Luzifer, wie Satan kopfüber hinab in die verkehrte Welt von Huisum, um dort als schuldiger Richter und heimlicher Angeklagter Gerichtstag zu halten über sich selbst. Vom Absturz zur theatralischen Auferstehung? Andrea Breths vierstündige Kleist-Reise: Es ist ein Sturz wie im Traum. Adams Traum-Erzählung, seine Schuldgefühle, seine Selbstbestrafungsphantasien erscheinen im stummen Vorspiel symbolisch vorweggenommen. Eine Engelsfigur mit dem Flammenschwert der ParadiesesAustreibung schreitet über die Bühne. Aus Nebelschwaden tauchen Fichten auf, während eine Stimme Richterworte über Schuld und Unschuld raunt. Nie waren die stückeröffnenden Fragen des Schreibers Licht berechtigter: "Sagt, Gevatter Adam! Was ist mit Euch geschehen? Wie seht Ihr aus?" Die Regisseurin und Bühnenbildner Gisbert Jäkel haben dem Stück so eine groß gedachte Deutung bildmächtig vorgeschaltet. Sein Theateranspruch (und der Andrea Breths) setzt ganz hoch an und will ganz hoch (und ganz tief) hinaus auf den uranfänglichen Sündenfall, auf den kosmischen Sturz des Menschen aus allen metaphysischen Sicherungen, kurz: auf die wohlbekannte faustische Theaterreise vom Himmel durch die Welt zur Hölle. Andrea Breth hat dem Text dabei viel zugemutet, weit mehr, als Kleists holländisch drapierter, preußischer Dorfgeschichte über streitsüchtige Bauern und einen körperbehinderten Lüstling von Richter üblicherweise abgewonnen wird. Die Regisseurin wollte das Lustspiel philosophisch in die Pflicht nehmen: als Beweisstück für ihre Hypothese, Kleist habe im "Zerbrochnen Krug" seine sogenannte "Kant-Krise" von 1801 dramatisieren wollen. Jene Glaubens- und Sinnkrise, in der sein frommes Weltvertrauen durch Kant-Lektüre zu Bruch ging.

Page 15: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Fragt sich nur, ob das geht - und ob das gut geht. (Ganz abgesehen davon, daß Kleist unmittelbar nach seiner Kant-Krise mehr an "Robert Guiskard" und an der "Familie Schroffenstein" gearbeitet zu haben scheint denn am "Krug".) Zu fragen wäre: Kann Kleists zügig und straff gebauter Einakter soviel Tiefgründigkeit (und Tiefgründlichkeit) - die in der Brethschen Interpretation immerhin vier Stunden mit Pause währt - überhaupt tragen? (...) Aber kein Licht in dieser Dunkelheit, keine Klarheit, kein Recht. Der Fall Krug ist ein Fall Adam (und zugleich Adams Fall). Dennoch sieht der Dorfrichter dem Lauf der Dinge mit Gefaßtheit zu. Mit Bäffchen und Kneifer und notdürftig gepuderter Glatze hat sich Traugott Buhre an seinem Katastrophen-Morgen doch noch respektabel gemacht. Er präsidiert dem Verfahren mit seiner ganzen massigen Autorität, auch wenn sein Richterstuhl vor einem schief zusammengebrochenen Richtertisch steht. Buhre spielt den Richter als schweren, traurigen Wanst, um stoische Würde auch noch im Chaos ringend. Seinem Revisor, dem visitierenden Gerichtsrat Walter, begegnet dieser Dorfrichter ohne falsche Duckmäuserei, vielmehr mit erhobenem Dickkopf, von gleich zu gleich. Wolfgang Gasser stattet den Justizreformer aus Utrecht mit einer magenkranken-dünnlippigen Gnadenlosigkeit aus. In diesem Walter waltet kein göttlich-gütiger Rechtsprecher, sondern ein zugeknöpfter, bleicher Rechthaber, ein unzugänglicher Amtsträger, ein calvinistischer Doktrinär mit den scharfen Brillen eines Großinquisitors. Adam ist ein plumper Unrechtsprecher aus Panik. Revisor Walter ist schlimmer: ein kalter Rechtsbeuger aus Staatsräson. (...) Nein, ein Happy-End kann es in diesem Huisum nicht geben. Das Glück ist zum Teufel gegangen, wie der arme Teufel Adam, der zuschlechterletzt im Zeitlupentempo von den Dörflern vertrieben, ja: exorziert wird. Worauf Revisor Walter durch sein zweideutiges Verhalten erst selbst nach Kräften für Rechtsunsicherheit sorgt, ehe er dem Schreiber Licht, dem Jochen Tovote ein bißchen viel schrille, boshaft-buckelnde, schleimziehende Häme angedeihen ließ, die Amtsperücke überstülpt. In diesem Licht bekommt Huisum jedenfalls einen Dorfrichter, bei dem "nichts Guts zu ahnden" der Zuschauer allen Anlaß hat. Die zerbrochne DDR: der "Krug" im Deutschen Theater In Ostberlin, am Deutschen Theater, hingegen wird uns, anders als in Wien, "wie der Krug zerbrochen worden, umständlich nach dem Hergang" berichtet. Umständlich und langatmig. Der Regisseur Thomas Langhoff läßt nämlich den Variant fast ungekürzt spielen. Nach der tumultuösen Austreibung des Richters rücken die Dörfler ihre Stühle im Kreis zusammen, um begierig Eves Erzählungen zu lauschen und Scherbengericht zu halten über Adam, der mittlerweile draußen in der schneeigen Kälte vor dem Fenster rumort und gespenstert, ein ruheloser Geist. Eve (Ulrike Krumbiegels) Bericht ist aber auch die einzige Langatmigkeit in dieser ebenso kurzangebundenen wie kurzweiligen „Krug“-Produktion, die pausenlos in wenig mehr als zwei Stunden vonstatten geht. Auch in dieser Inszenierung ist mehr zerbrochen als nur ein Krug. Aber während die Wiener Dramaturgie gleich ein philosophisches Weltbild zu Bruch gehen läßt, häuft die Dramaturgie des Deutschen Theaters zum zerbrochnen Krug nur noch die Scherben des kaputten DDR-Regimes. (...) Im verkommenen Dorfe Husium soll die Rückständigkeit der DDR zu erkennen sein, "ein Relikt der Vergangenheit, das so schnell wie möglich modernisiert werden muß" - mindestens nach Ansicht der "maßgebenden Städte Utrecht und Den Haag"; als Sendbote dieser neuen Ordnugn fungiert Gerichtsrat Walter, "der jedoch, wie sich zeigt, nicht: Recht und Gerechtigkeit bringt, sondern Ansehen und Autorität des Staates einfordert und erzwingt". Kurzum: "Ein mangelhafter Zustand wird durch einen anderen mangelhaften Zustand ersetzt". Ein klarer Fall demnach: Husium gleich DDR. Utrecht gleich BRD. „Frau Marthe und der junge Mann Ruprecht, denen Unrecht getan wurde, werden auf den Instanzenweg geschickt. Der neue Staat nimmt die Korruption des alten ohne weiteres in sich auf. Und das junge Mädchen Eve, das zum Schluß mutig die Obrigkeit der Lüge und des Betrugs anklagt, wird

Page 16: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

vom Vertreter dieser Obrigkeit zur Einsicht und Vernunft gebracht, nicht durch die Wahrheit seiner Worte, sondern die Geschicklichkeit, mit der er diese äußert, nicht kraft seiner Persönlichkeit, sondern durch die symbolische Macht des Geldes“. Bei Thomas Langhoff hat man auch zu lachen Zum Glück ist der Regisseur alles andere als ein platter Ideologe. Natürlich läßt sich Thomas Langhoff keine aktuelle Anspielung entgehen, die der Kleist-Text plötzlich unverhofft hergibt. Da wird Walters Hoffnung, der diskreditierte Kollege Adam werde „wohl auf irgendeinem Platze noch zu erhalten sein“, zur sarkastisch belachten Pointe. Und auch Adams liebedienerische Wie-hätten-Sie's-denn-gerne-Rechtsprecherei dürfte den vereinigten Deutschen nur allzu vertraut in den Ohren klingen: „Wohlan, befehlt! Ich kann Recht so jetzt, jetzo so erteilen“. In seiner Kleist-Inszenierung läßt Thomas Langhoff all die brisanten politischen Anzüglichkeiten zwar nebenher mitlaufen, aber die Dynamik dieser Regiearbeit wie auch ihr Humor greifen weit komplexer und vielschichtiger nach den Realitäten, als eine bloße tagesaktuelle Deutung vermöchte. Den Regisseur interessieren an Kleists Figuren vor allem die Brüche und Widersprüche, die Binnen-Spannungen zwischen den Figuren und die Binnen-Geflechte des Zusammenhalts dieser Dorfgesellschaft. Während Breth in Wien voll angestrengten Symbol-Ernstes eine groß gedachte kosmische Sündenfall-Geschichte erzählt, zeigt Langhoff in Berlin sehr virtuos und locker eine eher klein gehaltene Dorfepisode und zwei Liebesgeschichten: zwischen Adam und Eve, zwischen Eve und Ruprecht. Daß beide Männer dem unbedingten Lauterkeitsanspruch Eves nicht gewachsen sind macht Langhoff wie beiläufig deutlich. Jörg Gudzuhn: Clown Adam Auch in Berlin wird Kleists dreifaches Wortspiel vom „Fall“ (Adams Sündenfall, die Gerichts-Causa und der Sturz des Richters aus Eves Kammerfenster) beim Bild genommen. Da sehen wir, im Morgengrauen, den Richter, noch ganz traumverloren und mit sehnsüchtig ausgestreckten Armen, auf einem Stuhl balancieren, der auf seinem Richtertisch steht. Prompt verliert Adam das Gleichgewicht und stürzt samt Suhl vom Tisch zu Boden. Ein böser Fall. Und doch rappelt er sich gleich wieder hoch zu ein paar tapsigen, hinkenden Tanzschritten ein bleichgeschminkter, kahlköpfiger Tölpel, der herumkaspert, wenn er sich weh getan hat, ein bizarrer Sonderling mit einem Hang zu hintersinnigen Clownerien, bei denen außer dem Gevatter Licht aber keiner so recht mithalten kann oder will. Jörg Gudzuhn in Berlin widerspricht dem herkömmlichen Rollenbild vom bocksfüßigen, feisten Lüstling und alten Steiger weit deutlicher als der schwergewichtige Traugott Buhre in Wien. Hinter dem dicken Rollenklischee der dummdreisten Lüsternheit kehrt Gudzuhn den etwas linkischen, doch nicht uncharmanten Hagestolz hervor. Zweimal "Der zerbrochne Krug", ein flotter und ein langwieriger Fall und wo die Fallhöhe größer ist, ob an der Burg oder im Deutschen Theater, das zu entscheiden, bleibt dem sittlichen Ernst des Publikums anheimgestellt (...) (Theater heute. 2/1991)

Page 17: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Anhang

Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden Heinrich von Kleist (1805)

Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir, mein lieber, sinnreicher Freund, mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu sprechen. Es braucht nicht eben ein scharfdenkender Kopf zu sein, auch meine ich es nicht so, als ob du ihn darum befragen solltest: nein! Vielmehr sollst du es ihm selber allererst erzählen. Ich sehe dich zwar große Augen machen, und mir antworten, man habe dir in frühern Jahren den Rat gegeben, von nichts zu sprechen, als nur von Dingen, die du bereits verstehst. Damals aber sprachst du wahrscheinlich mit dem Vorwitz, andere, ich will, daß du aus der verständigen Absicht sprechest, dich zu belehren, und so können, für verschiedene Fälle verschieden, beide Klugheitsregeln vielleicht gut nebeneinander bestehen. Der Franzose sagt, l'appétit vient en mangeant, und dieser Erfahrungssatz bleibt wahr, wenn man ihn parodiert, und sagt, l'idee vient en parlant. Oft sitze ich an meinem Geschäftstisch über den Akten, und erforsche, in einer verwickelten Streitsache, den Gesichtspunkt, aus welchem sie wohl zu beurteilen sein möchte. Ich pflege dann gewöhnlich ins Licht zu sehen, als in den hellsten Punkt, bei dem Bestreben, in welchem mein innerstes Wesen begriffen ist, sich aufzuklären. Oder ich suche, wenn mir eine algebraische Aufgabe vorkommt, den ersten Ansatz, die Gleichung, die die gegebenen Verhältnisse ausdrückt, und aus welcher sich die Auflösung nachher durch Rechnung leicht ergibt. Und siehe da, wenn ich mit meiner Schwester davon rede, welche hinter mir sitzt, und arbeitet, so erfahre ich, was ich durch ein vielleicht stundenlanges Brüten nicht herausgebracht haben würde. Nicht, als ob sie es mir, im eigentlichen Sinne, sagte; den sie kennt weder das Gesetzbuch, noch hat sie den Euler, oder den Kästner studiert. Auch nicht, als ob sie mich durch geschickte Fragen auf den Punkt hinführte, auf welchen es ankommt, wenn schon dies letzte häufig der Fall sein mag. Aber weil ich doch irgendeine dunkle Vorstellung habe, die mit dem, was ich suche, von fern her in einiger Verbindung steht, so prägt, wenn ich nur dreist damit den Anfang mache, das Gemüt, während die Rede fortschreitet, in der Notwendigkeit, dem Anfang nun auch ein Ende zu finden, jene verworrene Vorstellung zur völligen Deutlichkeit aus, dergestalt, daß die Erkenntnis zu meinem Erstaunen mit der Periode fertig ist. Ich mische unartikulierte Töne ein, ziehe die Verbindungswörter in die Länge, gebrauche wohl eine Apposition, wo sie nicht nötig wäre, und bediene mich anderer, die Rede ausdehnender, Kunstgriffe, zur Fabrikation meiner Idee auf der Werkstätte der Vernunft, die gehörige Zeit zu gewinnen. Dabei ist mir nichts heilsamer, als eine Bewegung meiner Schwester, als ob sie mich unterbrechen wollte; denn mein ohnehin schon angestrengtes Gemüt wird durch diesen Versuch von außen, ihm die Rede, in deren Besitz es sich befindet, zu entreißen, nur noch mehr erregt, und in seiner Fähigkeit, wie ein großer General, wenn die Umstände drängen, noch um einen Grad höher gespannt. In diesem Sinne begreife ich, von welchem Nutzen Moliere seine Magd sein konnte; denn wenn er derselben, wie er vorgibt, ein Urteil zutraute, das das seinige berichten konnte, so ist dies eine Bescheidenheit, an deren Dasein in seiner Brust ich nicht glaube. Es liegt ein sonderbarer Quell der Begeisterung für denjenigen, der spricht, in einem menschlichen Antlitz, das ihm gegenübersteht; und ein Blick, der uns einen halb ausgedrückten Gedanken schon als begriffen ankündigt, schenkt uns oft den Ausdruck für die ganz andere Hälfte desselben. Ich glaube, daß mancher großer Redner, in dem Augenblick, da er den Mund aufmachte, noch nicht wußte, was er sagen würde. Aber die Überzeugung, daß er die ihm nötige

Page 18: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Gedankenfülle schon aus den Umständen, und der daraus resultierenden Erregung seines Gemüts schöpfen würde, machte ihn dreist genug, den Anfang, auf gutes Glück hin, zu setzen. Mir fällt jener »Donnerkeil« des Mirabeau ein, mit welchem er den Zeremonienmeister abfertigte, der nach Aufhebung der letzten monarchischen Sitzung des Königs am 23ten Juni, in welcher dieser den Ständen auseinanderzugehen anbefohlen hatte, in den Sitzungssaal, in welchem die Stände noch verweilten, zurückkehrte, und sie befragte, ob sie den Befehl des Königs vernommen hätten? »Ja«, antwortete Mirabeau, »wir haben des Königs Befehl vernommen« - ich bin gewiß, daß er, bei diesem humanen Anfang, noch nicht an die Bajonette dachte, mit welchen er schloß: »ja, mein Herr«, wiederholte er, »wir haben ihn vernommen« - man sieht, daß er noch gar nicht recht weiß, was er will. »Doch was berechtigt Sie« - fuhr er fort, und nun plötzlich geht ihm ein Quell ungeheurer Vorstellungen auf - »uns hier Befehle anzudeuten? Wir sind die Repräsentanten der Nation.« - Das war es, was er brauchte! »Die Nation gibt Befehle und empfängt keine« - um sich gleich auf den Gipfel der Vermessenheit zu schwingen. »Und damit ich mich ihnen ganz deutlich erkläre« - und erst jetzo findet er, was den ganzen Widerstand, zu welchem seine Seele gerüstet dasteht, ausdrückt: »So sagen Sie Ihrem Könige, daß wir unsere Plätze anders nicht, als auf die Gewalt der Bajonette verlassen werden.« - Worauf er sich, selbstzufrieden, auf einen Stuhl niedersetzte. - Wenn man an den Zeremonienmeister denkt, so kann man sich ihn bei diesem Auftritt nicht anders, als in einem völligen Geistesbankerott vorstellen; nach einem ähnlichen Gesetz, nach welchem in einem Körper, der von einem elektrischen Zustand Null ist, wenn er in eines elektrisierten Körpers Atmosphäre kommt, plötzlich die entgegengesetzte Elektrizität erweckt wird. Und wie in dem elektrisierten dadurch, nach einer Wechselwirkung, der in ihm inwohnende Elektrizitätsgrad wieder verstärkt wird, so ging unseres Redners Mut, bei der Vernichtung seines Gegners, zur verwegensten Begeisterung über. Vielleicht, daß es auf diese Art zuletzt das Zucken einer Oberlippe war, oder ein zweideutiges Spiel an der Manschette, was in Frankreich den Umsturz der Ordnung der Dinge bewirkte. Man liest, daß Mirabeau sobald der Zeremonienmeister sich entfernt hatte, aufstand, und vorschlug: 1) sich sogleich als Nationalversammlung, und 2) als unverletzlich, zu konstituieren. Denn dadurch, daß er sich, einer Kleistischen Flasche gleich, entladen hatte, war er nun wieder neutral geworden, und gab, von der Verwegenheit zurückgekehrt, plötzlich der Furcht vor dem Chatelet, und der Vorsicht, Raum. Dies ist eine merkwürdige Übereinstimmung zwischen den Erscheinungen der physischen und moralischen Welt, welche sich, wenn man sie verfolgen wollte, auch noch in den Nebenumständen bewähren würde. Doch ich verlasse mein Gleichnis, und kehre zur Sache zurück. Auch Lafontaine gibt, in seiner Fabel: les animaux malades de la peste, wo der Fuchs dem Löwen eine Apologie zu halten gezwungen ist, ohne zu wissen, wo er den Stoff dazu hernehmen soll, ein merkwürdiges Beispiel von einer allmählichen Verfertigung des Gedankens aus einem in der Not hingesetzten Anfang. Man kennt diese Fabel. Die Pest herrscht im Tierreich, der Löwe versammelt die Großen desselben, und eröffnet ihnen, daß dem Himmel, wenn er besänftigt werden solle, ein Opfer fallen müsse. Viel Sünder seien im Volke, der Tod des größesten müsse die übrigen vom Untergang retten. Sie möchten ihm daher ihre Vergehungen aufrichtig bekennen. Er, für sein Teil, gestehe, daß er, im Drange des Hungers, manchem Schafe den Garaus gemacht; auch dem Hunde, wenn er ihm zu nahe gekommen; ja, es sei ihm in leckerhaften Augenblicken zugestoßen, daß er den Schäfer gefressen. Wenn niemand sich größerer Schwachheiten sich schuldig gemacht habe, so sei er bereit zu sterben. »Sire«, sagt der Fuchs, der das Ungewitter von sich ableiten will, »Sie sind zu großmütig. Ihr edler Eifer führt Sie zu weit. Was ist es, ein Schaf erwürgen? Oder ein

Page 19: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Hund, diese nichtswürdige Bestie? Und: quant au berger«, fährt er fort, denn dies ist der Hauptpunkt: »On peut dire«; obschon er noch nicht weiß, was? »qu'il méritoit tout mal«; auf gut Glück; und somit ist er verwickelt; »etant«; eine schlechte Phrase, die ihm aber Zeit verschafft: »de ces gens la«, nun erst findet er den Gedanken, der ihn aus der Not reißt: »qui sur les animaux se font un chimerique empire«. Und jetzt beweist er, daß der Esel, der blutdürstige! (der alle Kräuter auffrißt), das zweckmäßigste Opfer sei, worauf alle über ihn herfallen, und ihn zerreißen. Ein solches Reden ist wahrhaft lautes Denken. Die Reihen der Vorstellungen und ihrer Bezeichnungen gehen nebeneinander fort, und die Gemütsakte, für eins und das andere, kongruieren. Die Sprache ist alsdann keine Fessel, etwa wie ein Hemmschuh an dem Rade des Geistes, sondern wie ein zweites mit ihm parallel fortlaufendes, Rad an seiner Achse. Etwas ganz anderes ist es, wenn der Geist schon, vor aller Rede, mit dem Gedanken fertig ist. Denn dann muß er bei seiner bloßen Ausdrückung zurückbleiben, und dies Geschäft, weit entfernt ihn zu erregen, hat vielmehr keine andere Wirkung, als ihn von seiner Erregung abzuspannen. Wenn daher eine Vorstellung verworren ausgedrückt wird, so folgt der Schluß noch gar nicht, daß sie auch verworren gedacht worden sei; vielmehr könnte es leicht sein, daß die verworrenst ausgedrückten gerade am deutlichsten gedacht werden. Man sieht oft in einer Gesellschaft, wo, durch ein lebhaftes Gespräch, eine kontinuierliche Befruchtung der Gemüter mit Ideen im Werk ist, Leute, die sich, weil sie sich der Sprache nicht mächtig fühlen, sonst in der Regel zurückgezogen halten, plötzlich, mit einer zuckenden Bewegung aufflammen, die Sprache an sich reißen und etwas Unverständliches zur Welt bringen. Ja, sie scheinen, wenn sie nun die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen haben, durch ein verlegnes Gebärdenspiel anzudeuten, daß sie selbst nicht mehr recht wissen, was sie haben sagen wollen. Es ist wahrscheinlich, daß diese Leute etwas recht Treffendes, und sehr deutlich, gedacht haben. Aber der plötzliche Geschäftswechsel, der Übergang ihres Geistes vom Denen zum Ausdrücken, schlug die ganze Erregung desselben, die zur Festaltung des Gedankens notwendig, wie zum Hervorbringen, erforderlich war, wieder nieder. In solchen Fällen ist es um so unerläßlicher, daß uns die Sprache mit Leichtigkeit zur Hand sei, um dasjenige, was wir gleichzeitig gedacht haben, und doch nicht gleichzeitig von uns geben können, wenigstens so schnell als möglich, aufeinander folgen zu lassen. Und überhaupt wird jeder, der, bei gleicher Deutlichkeit, geschwinder als sein Gegner spricht, einen Vorteil über ihn haben, weil er gleichsam mehr Truppen als er ins Feld führt. Wie notwendig eine gewisse Erregung des Gemüts ist, auch selbst nur, um Vorstellungen, die wir schon gehabt haben, wieder zu erzeugen, sieht man oft, wenn offene, und unterrichtete Köpfe examiniert werden, und man ihnen, ohne vorhergegegangene Einleitung, Fragen vorlegt, wie diese: was ist der Staat? Oder: was ist das Eigentum? Oder dergleichen. Wenn diese jungen Leute in einer Gesellschaft befunden hätten, wo man sich vom Staat, oder vom Eigentum, schon eine Zeit lang unterhalten hätte, so würden sie vielleicht mit Leichtigkeit, durch Vergleichung, Absonderung und Zusammenfassung der Begriffe, die Definition gefunden haben. Hier aber, wo die Vorbereitung des Gemüts gänzlich fehlt, sieht man sie stocken, und nur ein unverständiger Examinator wird daraus schließen, daß sie nicht wissen. Denn nicht wir wissen, es ist allererst ein gewisser Zustand unsrer, welcher weiß. Nur ganz gemeine Geister, Leute, die, was der Staat sei, gestern auswendig gelernt, und morgen schon wieder vergessen haben, werden hier mit Antwort bei der Hand sein. Vielleicht gibt es überhaupt keine schlechtere Gelegenheit, sich von einer vorteilhaften Seite zu zeigen, als grade eine öffentliches Examen. Abgerechnet, daß es schon widerwärtig und das Zartgefühl verletzend ist, und daß es reizt, sich stetig zu zeigen, wenn solch ein gelehrter Roßkamm nach den Kenntnissen sieht, um uns, je nachdem es fünf oder

Page 20: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

sechs sind, zu kaufen oder wieder abtreten zu lassen: es ist so schwer, auf ein menschliches Gemüt zu spielen und ihm seinen eigentümlichen Laut abzulocken, es verstimmt sich so leicht unter ungeschickten Händen, daß selbst der geübteste Menschenkenner, der in der Hebeammenkunst der Gedanken, wie Kant sie nennt, auf das meisterhafteste bewandert wäre, hier noch, wegen der Unbekanntschaft mit seinem Sechswöchner Mißgriffe tun könnte. Was übrigens solchen jungen Leuten, auch selbst den unwissendsten noch, in den meisten Fällen ein gutes Zeugnis verschafft, ist der Umstand, daß die Gemüter der Examinatoren, wenn die Prüfung öffentlich geschieht, selbst zu sehr befangen sind, um ein freies Urteil fällen zu können. Denn nicht nur fühlen sie häufig die Unanständigkeit dieses ganzen Verfahrens: man würde sich schon schämen, von jemanden, daß er seine Geldbörse vor uns ausschütte, zu fordern, viel weniger, seine Seele: sondern ihr eigener Verstand muß hier eine gefährliche Musterung passieren, und sie mögen oft ihrem Gott danken, wenn sie selbst aus dem Examen gehen können, ohne sich Blößen, schmachvoller vielleicht, als der, eben von der Universität kommende, Jüngling, gegeben zu haben, den sie examinierten.

Mentales Fast Food: Der Wikipedia-Eintrag zu Kleist

Heinrich von Kleist Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist (* 18. Oktober, nach Kleists eigenen Angaben 10. Oktober 1777 in Frankfurt (Oder); † 21. November 1811 am Stolper Loch (heute kleiner Wannsee) bei Berlin) war ein deutscher Dramatiker, Erzähler, Lyriker und Publizist. Kleist stand als „Außenseiter im literarischen Leben seiner Zeit […] jenseits der etablierten Lager“[1] und der Literaturepochen der Weimarer Klassik und der Romantik. Bekannt ist er vor allem für das „historische Ritterschauspiel“ Das Käthchen von Heilbronn, seine Lustspiele Der zerbrochne Krug und Amphitryon, das Trauerspiel Penthesilea sowie für seine Novellen Michael Kohlhaas und Die Marquise von O … Familie, Ausbildung, Militärdienst (1777–1799) Heinrich von Kleist entstammte einer Familie des pommerschen Uradels, dem in Preußen eine herausgehobene Stellung zukam. Zahlreiche Generäle und Feldmarschälle, viele Gutsbesitzer, aber auch etliche Gelehrte und hohe Diplomaten hießen Kleist. Kleists Vater, Joachim Friedrich von Kleist (* 1728; † 1788), diente als Stabskapitän beim Regiment zu Fuß Prinz Leopold von Braunschweig in der Garnisonsstadt Frankfurt an der Oder. Aus einer ersten Ehe mit Caroline Luise, geb. von Wulffen († 1774), gingen die beiden Halbschwestern Kleists, Wilhelmine, genannt Minette, und Ulrike Philippine hervor, der Kleist später sehr nahe stand. Joachim Friedrich heiratete 1775 in zweiter Ehe Juliane Ulrike, geb. von Pannwitz (* 1746; † 1793), die die Kinder Friederike, Auguste Katharina, Heinrich und schließlich noch dessen jüngere Geschwister Leopold Friedrich und Juliane, genannt Julchen, gebar.

Nach dem Tod seines Vaters 1788 wurde Kleist in Berlin in der Pension des reformierten Predigers Samuel Heinrich Catel erzogen. Kleist wurde wahrscheinlich durch Catel, der zugleich Professor am Französischen Gymnasium war, auf die Werke der klassischen Dichter und der zeitgenössischen Philosophen der Aufklärung aufmerksam, mit denen er sich während seiner Militärzeit weiter auseinandersetzte. Im Juni 1792 trat der junge Kleist getreu seiner Familientradition in das 3. Bataillon des

Page 21: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Garderegiments zu Potsdam ein. Unter Generalinspekteur Ernst von Rüchel nahm er am Rheinfeldzug gegen Frankreich sowie an der Belagerung der ersten bürgerlichen Republik auf deutschem Boden in Mainz teil. Trotz wachsender Zweifel am Soldatendasein verblieb Kleist im Militär und wurde 1795 zum Fähnrich und 1797 zum Leutnant befördert. Privat jedoch nahm er zusammen mit seinem Freund Rühle von Lilienstern mathematische und philosophische Studien in Potsdam auf und erwarb sich den Universitätszugang. 1797 verkauften er und seine Geschwister den ererbten väterlichen Besitz, das kleine Rittergut Guhrow im Spreewald, für 30.000 Taler, wovon er nach seiner Großjährigkeit im Oktober 1801 über ein Siebtel verfügte. Wappen der Familie von Kleist Im März 1799 äußerte er die Absicht, den als unerträglich empfundenen Militärdienst aufzugeben und seinen Lebensplan, auch gegen den zu erwartenden Widerstand der Familie, nicht auf Reichtum, Würden, Ehren, sondern auf die Ausbildung des Geistes zu gründen und ein wissenschaftliches Studium aufzunehmen. Studium und erste Anstellung (1799–1801) Nach seiner erbetenen und gegen den Widerstand Ernst von Rüchels bewilligten Entlassung aus dem Militär begann Kleist im April 1799 in Frankfurt an der Oder an der Viadrina neben Mathematik als Hauptfach Physik, Kulturgeschichte, Latein und – zur Beruhigung seiner

Verwandten – Kameralwissenschaften zu studieren. Besonders interessierte er sich für den Physikunterricht bei Professor Christian Ernst Wünsch, der ihm auch Privatunterricht in Experimentalphysik erteilte. Wie für nicht wenige andere Autoren der Zeit (beispielsweise Goethe, Achim von Arnim und Novalis) waren für ihn die Naturwissenschaften im Sinne der Aufklärung ein objektives Mittel, sich selbst, die Gesellschaft und die Welt zu erkennen – und zu verbessern. Die hoffnungsvoll begonnene wissenschaftliche Ausbildung vermochte Kleist jedoch schon bald nicht mehr voll zu befriedigen; das Buchwissen reichte ihm nicht aus. Mit dieser Haltung fand Kleist wenig Verständnis in seiner Umwelt. 1799 lernte er die Generalstochter Wilhelmine von Zenge kennen, mit der er sich bereits Anfang 1800 verlobte.

Wilhelmine von Zenge, Kleists Verlobte, anonyme Miniatur (um 1800) 1800 brach er nach nur drei Semestern das Studium wieder ab und begann eine Tätigkeit als Volontär im preußischen Wirtschaftsministerium in Berlin, obwohl dies seinem Verständnis eines Lebensplanes „freier Geistesbildung“ nicht entsprach. Hintergrund der Entscheidung war seine Verlobung. Die Familie der Braut forderte, dass Kleist ein Staatsamt bekleide. Für das Ministerium war Kleist im Sommer 1800 in geheimer Mission – vermutlich als Wirtschaftsspion – unterwegs. Die berufliche, soziale und individuelle Problematik („das Leben ist ein schweres Spiel …, weil man beständig und immer von neuem eine Karte ziehen soll und doch nicht weiß, was Trumpf ist;“ – Brief an die Halbschwester Ulrike vom 5. Februar 1801)[2] verdichtete sich vermutlich vor dem Hintergrund der Lektüre von Kants Kritik der Urteilskraft zur „Kant-

Page 22: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Krise“ – so ein umstrittener Begriff der älteren Kleistforschung. In Orientierung an Kants Kritik an allzu simplen Vorstellungen der Aufklärung sah Kleist seinen geradlinigen, rein vernunftorientierten Lebensplan über Nacht obsolet geworden. In einem berühmten Brief an Wilhelmine vom 22. März 1801 notierte Kleist: „Wir können nicht entscheiden, ob das was wir Wahrheit nennen, wahrhaftig Wahrheit ist oder ob es uns nur so scheint (…) Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, ich habe nun keines mehr –[2]“ Kleist berief sich auf eine durch die Lektüre Immanuel Kants ausgelöste Krise, um einer von Zögern, Scheitern und falschen Entscheidungen geprägten Lebensphase eine philosophische Rechtfertigung zu geben. Die Briefe, die er vor dem 22. März 1801 geschrieben hatte, lassen jedoch deutlich erkennen, dass „er sich schon Monate vor der sogenannten Kant-Krise von den Wissenschaften abwandte, und keineswegs, weil er grundsätzlich an den Möglichkeiten sicherer Erkenntnis zweifelte, sondern weil die Beschäftigung mit den Wissenschaften den Reiz für ihn verloren hatte.“[3] Die von der älteren Forschung postulierte These der vollständigen Wandlung der kleistschen Persönlichkeit ausschließlich aufgrund philosophischer Lektüre wurde später relativiert. Die Lebenskrise, die wesentlich dem Überdruss an einengenden Spezialisierungszwängen geschuldet war, suchte Kleist mittels einer ausgedehnten Reise nach Frankreich zu überwinden. Paris und Thun (Schweiz) (1801–1804) Im Frühjahr 1801 reiste er zusammen mit seiner Schwester Ulrike über Dresden nach Paris. Doch angesichts der von ihm als ‚sittenlos‘ empfundenen Hauptstadt schienen ihm die Werke der französischen Aufklärung (Helvétius, Voltaire, Jean-Jacques Rousseau) durch die für ihn irrationale Wirklichkeit das Gegenteil ihrer Absicht zu bewirken (Brief an Wilhelmine vom 15. August 1801).[2] Abermals verarbeitete Kleist seine enttäuschenden Erfahrungen als Zweifel an der Eindeutigkeit der Vernunft und dem geschichtlichen Wollen. Durch seine Rousseau-Lektüre sah er sich angeregt, ein bäuerliches Leben zu führen: „Ein Feld zu bebauen, einen Baum zu pflanzen, und ein Kind zu zeugen“ (Brief vom 10. Oktober 1801 an Wilhelmine).[2] Ab April 1802 wohnte er auf der Scherzliginsel in der Aare bei Thun in der Schweiz. Es kam zum Bruch mit Wilhelmine, die nicht seinen Vorstellungen gemäß als Bäuerin mit ihm zusammenleben wollte. Er arbeitete nun an dem bereits in Paris unter dem Titel Die Familie Ghonorez begonnenen Trauerspiel Die Familie Schroffenstein, schrieb weiter an seinem Trauerspiel Robert Guiskard Herzog der Normänner und begann mit dem Lustspiel Der zerbrochne Krug. Im Frühjahr 1803 reiste Kleist nach Deutschland. In Dresden lernte er unter anderen Friedrich de la Motte Fouqué kennen und traf seinen Jugendfreund Ernst von Pfuel wieder. Zusammen mit von Pfuel reiste Kleist abermals nach Paris. Dort verbrannte er die fertiggestellten Teile des Guiskard in tiefer Verzweiflung darüber, seine konzeptionellen Vorstellungen nicht realisieren zu können. „Der Himmel versagt mir den Ruhm, das größte der Güter der Erde!“ schrieb er am 26. Oktober 1803 an Ulrike. Kleist fasste daraufhin den Entschluss, in der französischen Armee gegen England zu kämpfen, „um den Tod in der Schlacht zu sterben“, wurde aber durch einen Bekannten dazu überredet, nach Potsdam zurückzukehren. Im Dezember 1803 war Kleist wieder in Deutschland und beantragte in Berlin eine Anstellung im diplomatischen Dienst.

Page 23: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Königsberg (1804–1807) Nach einer kurzen Tätigkeit im von Karl Freiherr vom Stein zum Altenstein geleiteten Finanzdepartment Mitte 1804 arbeitete er ab dem 6. Mai 1805 auf dessen Empfehlung als Diätar (Beamter im Vorbereitungsdienst ohne festes Gehalt) in Königsberg und sollte sich bei dem Staats- und Wirtschaftstheoretiker Christian Jacob Kraus in Kameralistik ausbilden lassen. In Königsberg traf er unter anderem die inzwischen mit dem Philosophieprofessor Wilhelm Traugott Krug verheiratete Wilhelmine wieder. Kleist vollendete den Zerbrochnen Krug und arbeitete an dem Lustspiel Amphitryon, dem Trauerspiel Penthesilea und an den Erzählungen Michael Kohlhaas und Das Erdbeben in Chili. Im August 1806 teilte Kleist seinem Freund Rühle von Lilienstern seine Absicht mit, aus dem Staatsdienst zu scheiden, um sich nunmehr durch „dramatische Arbeiten“ zu ernähren. Auf dem Wege nach Berlin wurden Kleist und seine Begleiter im Januar 1807 von den französischen Behörden als angebliche Spione verhaftet und zunächst in das Fort de Joux bei Pontarlier und dann in das Kriegsgefangenenlager Châlons-sur-Marne transportiert. Dort schrieb er vermutlich die Novelle Die Marquise von O… und arbeitete weiter an der Penthesilea. Dresden (1807–1809) Nach seiner Freilassung reiste er über Berlin nach Dresden (ab Ende August 1807), wo er unter anderem Schillers Freund Christian Gottfried Körner, die Romantiker Ludwig Tieck, Gotthilf Heinrich von Schubert, Caspar David Friedrich und vor allem den Staats- und Geschichtsphilosophen Adam Heinrich Müller sowie den Historiker Friedrich Christoph Dahlmann kennen lernte. Zusammen mit Müller gab Kleist ab Januar 1808 das Journal für die Kunst (so der Untertitel) Phöbus heraus. Das erste Heft mit dem Beitrag Fragment aus dem Trauerspiel: Penthesilea sandte er unter anderem Goethe zu, der in einem Antwortschreiben seine Verwunderung und sein Unverständnis bekundete. Im Dezember 1808 vollendete Kleist unter dem Eindruck des Widerstands Spaniens gegen Napoleon, der Besetzung Preußens und der Anfänge des österreichischen Freiheitskampfes das Drama Die Hermannsschlacht. Gegenstand des Dramas, mit dem Kleist den seit dem 16. Jahrhundert bestehenden Arminius-Kult in der deutschen Literatur aufgriff, war die Varusschlacht, in der im Herbst des Jahres 9 n. Chr. drei römischen Legionen in einer vernichtenden Niederlage gegen ein germanisches Heer unter Führung des Arminius untergegangen waren. In der Hoffnung auf einen erstarkenden Widerstand gegen Napoleon reiste Kleist zusammen mit Dahlmann über Aspern, wo Napoleon einige Tage zuvor besiegt worden war, am 21./22. Mai 1809 nach Prag. Hier bekamen Kleist und Dahlmann Zugang zu österreichisch-patriotischen Kreisen und planten, ein Wochenblatt mit dem Titel Germania herauszugeben. Es sollte ein Organ der „deutschen Freiheit“ werden. Wegen der Kapitulation Österreichs blieb das Projekt unverwirklicht. In dieser Zeitschrift sollten seine sogenannten politischen Schriften Was gilt es in diesem Kriege?, Katechismus der Deutschen abgefasst nach dem Spanischen, zum Gebrauch für Kinder und Alte, das Lehrbuch der französischen Journalistik, Satiren und die Ode Germania an ihre Kinder erscheinen. Im November traf Kleist in Frankfurt (Oder) ein und fuhr einen Monat später wieder nach Berlin, wo er sich mit einer kurzen Unterbrechung bis zu seinem Tod aufhielt. Berlin (1809–1811) In Berlin schloss Kleist unter anderem Bekanntschaft mit Achim von Arnim, Clemens Brentano, Joseph von Eichendorff, Wilhelm Grimm, Karl August Varnhagen von Ense und

Page 24: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Rahel Varnhagen. Im April 1810 erschien der erste Band seiner Erzählungen (Michael Kohlhaas, Die Marquise von O…, Das Erdbeben in Chili) und im September Das Käthchen von Heilbronn, dessen Aufführung Iffland als Direktor der Berliner Bühne jedoch ablehnte. Nach der Einstellung des Phöbus initiierte Kleist ab dem 1. Oktober 1810 ein neues Zeitungsprojekt: die Berliner Abendblätter. Die Abendblätter waren ein täglich erscheinendes Zeitungsblatt mit lokalen Nachrichten, als dessen Zweck die Unterhaltung aller Stände des Volkes und die Beförderung der Nationalsache angegeben wurde. Als Autoren schrieben hier so Prominente wie Ernst Moritz Arndt, Achim von Arnim, Clemens Brentano, Adelbert von Chamisso, Otto August Rühle von Lilienstern, Friedrich Karl von Savigny und Friedrich August von Staegemann. Kleist selbst veröffentlichte unter anderem seine Abhandlungen Gebet des Zoroaster, Betrachtungen über den Weltlauf, Brief eines Malers an seinen Sohn, Allerneuester Erziehungsplan und vor allem Über das Marionettentheater in den Abendblättern. Als Besonderheit und Publikumsmagnet erwies sich Kleists Veröffentlichung aktueller Polizeiberichte. Im Frühjahr 1811 musste die Herausgabe der Zeitung wegen verschärfter Zensurbestimmungen eingestellt werden. Als sein Versuch scheiterte, eine Anstellung in der preußischen Verwaltung zu erlangen, und auch sein 1809 begonnenes Schauspiel Prinz von Homburg bis 1814 mit einem Aufführungsverbot durch Friedrich Wilhelm III. belegt wurde, musste Kleist innerhalb kurzer Zeit einige Erzählungen schreiben, um sich den Lebensunterhalt zu sichern. Diese Werke wurden in einem zweiten Band mit Erzählungen zusammengefasst, der unter anderem Das Bettelweib von Locarno und Die Verlobung in St. Domingo enthält. Nahezu mittellos und innerlich „so wund, daß mir, ich möchte fast sagen, wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut, das mir darauf schimmert“ (Brief an Marie von Kleist vom 10. November 1811) nahmen die Gedanken an einen Suizid überhand. Er suchte und fand eine Begleiterin für diesen Weg, die an Krebs erkrankte Henriette Vogel. Mit deren Einverständnis erschoss Kleist am 21. November 1811 am Stolper Loch, dem heutigen Kleinen Wannsee, im Südwesten Berlins zuerst seine Begleiterin und dann sich selbst. In seinen Abschiedsbriefen äußerte Kleist hinsichtlich seiner Bestattung keine Wünsche; es war Henriette Vogel, die um eine gemeinsame Bestattung „in der sicheren Burg der Erde“ bat.[4] [5] Begraben wurden Kleist und Henriette Vogel an Ort und Stelle, da der Suizid damals gesellschaftlich und kirchlich geächtet war[6], was eine Bestattung auf einem Friedhof verbot, die in dieser Zeit in kirchlicher Verwaltung standen. Das Kleistgrab unterhalb der Bismarckstraße (Wannsee) soll nach einem von der Bundeskulturstiftung ausgeschriebenen Wettbewerb neu gestaltet werden.[7] [8] Dank einer Spendenzusage der Berliner Verlegerin Ruth Cornelsen (Cornelsen Kulturstiftung) sollen das Grabmal und seine Umgebung bis zum zweihundertsten Todestag des Paares 2011 renoviert und mit Informationstafeln ausgestattet werden.[7][9]

Page 25: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Kleists Abschiedsbrief

Page 26: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Letzte Worte An Ulrike von Kleist, 21. November 1811. An Fräulein Ulrike von Kleist Hochwohlgeb. zu Frankfurt a. Oder. Ich kann nicht sterben, ohne mich, zufrieden und heiter, wie ich bin, mit der ganzen Welt, und somit auch, vor allen Anderen, meine theuerste Ulrike, mit Dir versöhnt zu haben. Laß sie mich, die strenge Äußerung, die in dem Briefe an die Kleisten enthalten ist laß sie mich zurücknehmen; wirklich, Du hast an mir gethan, ich sage nicht, was in Kräften einer Schwester, sondern in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten: die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war. Und nun lebe wohl; möge Dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit dem meinigen gleich: das ist der herzlichste und innigste Wunsch, den ich für Dich aufzubringen weiß. Stimmings bei Potsdam. d. – am Morgen meines Todes. DeinHeinrich.[2] Gegen Ende des Abschiedsbriefes steht hier, wie auch in gedruckten Fassungen, „d.“ (d, Punkt). Das hält ein Kenner wie Hans Joachim Kreutzer noch in seinem 2011 erschienenen Buch „Heinrich von Kleist“ für „eine sonderbare (…) Wendung“[10]. Es dürfte sich jedoch schlicht um die Abkürzung von lateinisch datum (wörtlich übersetzt „gegeben“, zu verstehen als „geschrieben“) handeln, was zu Kleists Zeit durchaus geläufig war. Dafür spricht auch eine genaue Betrachtung des Faksimiles: Das Zeichen unmittelbar hinter dem „d“ ist so viel größer als Kleists sonstige Punkte, so dass es wie ein weiterer Buchstabe (mit anschließendem Doppelpunkt) wirkt, und dieser Buchstabe liest sich wie der zweite von „datum“. Literaturgeschichtliche Bedeutung Kleists Leben war geprägt vom ruhelosen Streben nach idealem Glück, das sich jedoch immer wieder als trügerisch erwies, und dies spiegelt sich in seinem Werk wider. Geistesgeschichtlich lässt sich Kleist allerdings nur schwer einordnen: Weder in den Kreis der romantischen Theorie noch in den klassischen Diskurs kann man Autor und Werk ohne weiteres eingliedern. Es sei an dieser Stelle auf Kleists kurze Schrift Über das Marionettentheater hingewiesen. Die frühe Kleist-Forschung hat diesen Text stets als mehr oder minder theoretische Abhandlung Kleists gelesen und versucht, denselben im Sinne der ästhetischen Programmatik des romantischen Diskurses zu deuten. Neuere Versuche der Interpretation – insbesondere jene, die einem dekonstruktivistischen Interesse entspringen – betonen dementgegen das subversive Potenzial des Textes und sehen den zentralen Gehalt in der spielerisch-ironischen Demontage des zeitgenössischen ästhetisch-idealphilosophischen Diskurses. Ebenso wie man versucht, Kleist in die Strömungen der Romantik einzuordnen, wird auch eine Affinität zwischen den Dramen Kleists und der klassischen Dichtung betont. Diese Zuordnung beruht auf der stofflichen Wahl, denn mehrmals adaptiert Kleist antike mythologische Inhalte, was eigentlich ein Kennzeichen klassischer Ästhetik ist, und hält sich bei seiner Bearbeitung an den klassischen Dramenaufbau, wie überhaupt das Verfassen von Dramen eher für die Dichter der Weimarer Klassik als die Dichter der Romantik kennzeichnend ist. Zugleich werden aber in Kleists „klassischen“ Dramen die klassischen Stilprinzipien in hohem Maße verletzt, wie schon die Stoffwahl belegt: Nicht mehr das allgemein-menschliche, zivilisierende, klassisch-befriedete Element antiker Dichtung, sondern das Besondere, Extreme und Grausame rückt in den Vordergrund.

Page 27: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Dramatisches Werk

Der zerbrochne Krug, Titelblatt der Erstausgabe (1811) Kleists erste Tragödie Die Familie Schroffenstein (fertiggestellt 1803, uraufgeführt 1804 am Grazer Nationaltheater) orientiert sich am Dramenstil Shakespeares und thematisiert die für Kleists Schaffen zentralen Themen Schicksal vs. Zufall und subjektives (Vor-)Urteil vs. objektive Wirklichkeit. Seine zweite Tragödie Penthesilea (1808) ist inspiriert von drei antiken Tragödien des Euripides (Medea, Hippolytos und Die Bakchen). Sie handelt von einer Amazonenkönigin, die in kriegerischer Weise auf einem Schlachtfeld vor Troja um den griechischen Helden Achilles wirbt und dabei scheitert. Wegen der stilistisch gehobenen Sprache, den damals nicht darstellbaren Kriegsszenen und der der antiken Tragödie nachempfundenen Grausamkeit war dem Stück zu Kleists Lebzeiten kein Erfolg beschieden, es wurde erst 1876 in Berlin uraufgeführt. Erfolgreicher als diese beiden Tragödien war damals sein romantisches Schauspiel Das Käthchen von Heilbronn, oder Die Feuerprobe 1808, ein poetisches Drama voller Rätsel und mittelalterlichem Treiben, das sich seine Popularität erhalten hat. Im Komödienfach machte sich Kleist einen Namen mit Der zerbrochne Krug.[11] Die Hermannsschlacht (1809) behandelt ein historisches Thema und ist zugleich voller Referenzen auf die politischen Bedingungen seiner Zeit. In der Hermannsschlacht verleiht Kleist seinem Hass auf die Unterdrücker seines Landes Ausdruck. Zusammen mit dem Drama Prinz Friedrich von Homburg (siehe auch Friedrich II. (Hessen-Homburg)), einem Höhepunkt des Kleistschen Schaffens, wurde das Stück erstmals 1821 von Ludwig Tieck in

Page 28: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Heinrich von Kleists hinterlassene Schriften veröffentlicht. Robert Guiskard, ein in großem Maßstab konzipiertes Drama, blieb Fragment. Erzählerisches Werk, Lyrik und weitere Schriften Kleist war ein Meister in der Kunst der Erzählung. Michael Kohlhaas gilt als eine der wichtigsten deutschsprachigen Erzählungen ihrer Zeit. Darin gibt der berühmte Brandenburger Pferdehändler Kohlhase aus Luthers Tagen seine Familie, die gesellschaftliche Position und sein sonstiges Hab und Gut auf, verletzt schließlich sogar selbst die Rechtsnormen, nur um in einem relativ geringfügigen Streitfall, bei dem ihm ein klares Unrecht zugefügt worden ist, Recht zu erhalten; ihm wird in der Erzählung ein ambivalentes Denkmal gesetzt. Bedeutend sind weiterhin die Erzählungen Das Erdbeben in Chili, Die Marquise von O… und Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik. Kleist war zudem ein vaterlandsliebender, franzosenfeindlicher Dichter, was sich deutlich in seinen Gedichten Germania an ihre Kinder und Kriegslied der Deutschen äußert. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation bestand zu seiner Zeit zum Teil aus von Frankreich besetzten und somit abhängigen Vasallenstaaten, die unter anderem Truppenkontingente für die napoleonischen Eroberungskriege stellen mussten oder direkt von Napoleon annektiert worden waren. Im Gegensatz zu zeitgenössischen Gepflogenheiten hat Heinrich von Kleist keine offenkundig ästhetisch-programmatische Schrift hinterlassen. Insbesondere das Marionettentheater wurde auf seinen theoretisch-poetologischen Gehalt hin untersucht. Doch wurde hierbei generell der fiktive Charakter des Gesprächs vernachlässigt: Es handelt sich um einen Bericht über ein Gespräch, das zum Zeitpunkt der Wiedergabe bereits einige Jahre zurückliegt. Nur unter Vorbehalt lässt sich in dem kurzen Aufsatz die Proklamation der Wiedererlangung eines paradiesischen Zustandes erkennen. Besonders Hanna Hellmann, die das Marionettentheater im Jahre 1911 wiederentdeckte, deutete diesen Text im Sinne der romantischen Triade, die die dritte Stufe der menschlichen Entwicklung – d.h. die Wiedererlangung des paradiesischen Zustandes – im Bereich der Kunst verwirklicht sieht. Wirkung Das literarische Schaffen von Heinrich von Kleist hat auf seine Zeitgenossen und auf spätere Leser eine widersprüchliche, aber nachhaltige Wirkung ausgeübt. „Die Zeitgenossen wurden durch die Gewaltsamkeit der Bilder, die Maßlosigkeit der Gefühlsausbrüche, die Krassheit der Situationen, die Missachtung schöner Konventionen mehr schockiert als durch die Kraft, die rhythmische Dynamik, die weiten dramatischen Spannungsbögen und die poetische Schönheit dieser Sprache angezogen.“[12] Im Laufe der widersprüchlichen Rezeptionsgeschichte wurde Kleist von weltanschaulich gewissermaßen konträren Gruppierungen für sich in Anspruch genommen. Er wurde gleichermaßen als verkannter Vorbote der literarischen Moderne wie auch als bedeutender Streiter im Sinne der nationalistischen und chauvinistischen Strömungen des Deutschen Kaiserreichs gedeutet. Insbesondere seit der deutschen Reichsgründung von 1871 kam es zu wechselnden Renaissancen und einer immer stärker werdenden politischen Inanspruchnahme Kleists.[13] Kleist im Urteil seiner Zeitgenossen [Bearbeiten]Schon die erste Veröffentlichung Kleists, Die Familie Schroffenstein in „der Geßnerischen Buchhandlung beym Schwanen“ 1802, zog skeptische wie gleichermaßen wohlwollende Urteile der Zeitgenossen auf sich. Eine erste ausführliche Rezension des anonym veröffentlichten Kleist-Erstlings stammt aus der Feder des Dramatikers Ludwig Ferdinand Huber. Huber bekräftigte im März 1803, der unbekannte Dichter habe seine anfängliche Skepsis durch die begeisterte Hoffnung zu ersetzen

Page 29: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

vermocht, „daß endlich doch wieder ein rüstiger Kämpfer um den poetischen Lorbeer aufstehe, wie ihn unser Parnaß gerade jetzt so sehr braucht“.[14] Trotz der einhellig anerkannten, allerdings weiterer Entwicklung bedürftigen Begabung des Dichters fand das Stück kaum Beachtung auf deutschen Bühnen. Vier Jahre vergingen, bis ein weiteres Werk Kleists veröffentlicht wurde, das Lustspiel Amphitryon (1807), herausgegeben von Adam Müller. Der Amphitryon, eine weitreichende Bearbeitung einer Vorlage von Molière und ein Grenzgang zwischen den Nationalliteraturen, konnte angesichts des Einzugs Napoleons in Berlin (27. Oktober 1806) nur geringe Resonanz verzeichnen. Die Kette der kleistschen Veröffentlichungen riss dennoch bis Mitte 1811 nicht mehr ab. Als folgenreich erwies sich die Uraufführung des Zerbrochnen Krugs am Weimarer Hoftheater unter der Leitung Johann Wolfgang von Goethes, der dem Stück nach zweimaliger Lektüre „außerordentliche Verdienste“ zugesprochen hatte.[15] Das von den Zeitgenossen in seiner Weimarer Uraufführung am 2. März 1808 als langatmig und sperrig empfundene Werk prägte die Haltung des zeitgenössischen Publikums Kleist gegenüber nachhaltig. Kleists Schicksal als zeitgenössischer Bühnenautor war nach der missglückten Uraufführung, zumal auf Goethes anspruchsvoller Reformbühne, weitgehend besiegelt. Eine stark verfremdete, pantomimische Inszenierung von Ausschnitten der Penthesilea in Berlin 1811 fiel ebenfalls beim Publikum durch, und auch als politischer Publizist („Phöbus“) blieb Kleist der Erfolg versagt. Einzig die Erfolgsgeschichte des Kleist-Dramas Das Käthchen von Heilbronn begann schon zu Lebzeiten des Dichters mit einer Wiener Aufführung vom 17. März 1810: „Allerdings war das Publikum – wie im übrigen das gesamte neunzehnte Jahrhundert hindurch – von diesem Stück sehr viel stärker angetan als die Kritik, die allein dem Genre schon skeptisch gegenüberstand. […] Diese immer wieder gemachte Beobachtung faßte der Rezensent des Morgenblattes für gebildete Stände schließlich beinahe lakonisch in der Formel ‚Kleist’s Käthchen von Heilbronn wird sehr verschieden beurtheilt, aber immer stark besucht‘ zusammen […].“[16] Nicht zuletzt wurde Kleist zu Lebzeiten zum Verhängnis, dass ihm die Sympathien der urteilsbildenden und die öffentliche Kultur prägenden intellektuellen Elite seiner Zeit überwiegend verwehrt blieben. Teilweise brachte er gerade potenzielle Förderer, auf deren Unterstützung er angewiesen gewesen war, gegen sich auf. Durch gezielte Indiskretionen über August Wilhelm Iffland, den mächtigen Generaldirektor der Königlichen Schauspiele in Berlin, der eine Inszenierung des Käthchens abgelehnt hatte, verbaute er sich den Zugang zu Berliner Theater und Publikum. Bis auf wenige Ausnahmen blieben dem Dramatiker Kleist die Schauspielhäuser als zentrale Wirkungsstätten verschlossen. Kleist-Renaissancen und Kleist-Mythos Neben Kleists spektakulärem Suizid prägten vor allem die Folgen seines Ungeschicks im Werben um geeignete Förderer Kleists Renommée und das Kleist-Bild über Jahrzehnte hinweg negativ. Insbesondere Goethes Abwendung und der postume Abdruck nicht autorisierter Goethe-Sentenzen über die „nordische Schärfe des Hypochonders“ Kleist durch Johann Daniel Falk[17] wirkte in dieser Hinsicht negativ nach. Erst unter gewandelten historischen Rahmenbedingungen kam es zu nachhaltigen Renaissancen der Kleist-Rezeption, die die Wahrnehmung des Dichters dauerhaft verändern sollten. Seit der zweiten Hälfte und verstärkt seit Ende des 19. Jahrhunderts wurden Kleists Dramen und Erzählungen in den sehr unterschiedlichen Bezugsfeldern der deutschen Einigung wie auch der literarischen Moderne Gegenstand gegensätzlicher Strömungen der Neuentdeckung. „Innerhalb des seit den 1860er Jahren einsetzenden ideologischen Feldzuges, mit dem die Befürworter Preußens die Deutschen zur Beförderung der geeinten Nation überzogen, wurde Kleist ein gewichtiger […] Part angetragen: in ihm wollte man den Propheten des

Page 30: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

werdenden Reiches erkennen und zugleich vorbildliches Preußen- wie Deutschtum verkörpert sehen.“[18] Die nationalistisch und chauvinistisch geprägte Vereinnahmung Kleists während des späten 19. Jahrhunderts fand später ihre Fortsetzung in der Vereinnahmung des Dichters durch die NS-Kulturpolitik, die die „zeitbedingte Bejahung des großen Einzeltäters in der ‚Hermannsschlacht‘ und den absoluten Gehorsamsanspruch des Kurfürsten in ‚Prinz Friedrich von Homburg‘ als Vorwegnahme des faschistischen Führerkults deutete.“[19] Neben der ausgiebigen Rezeption des politischen Dichters Kleists als Inbegriff des deutschen Patrioten (Hermannsschlacht, Prinz Friedrich von Homburg) im Sinne des Deutschen Kaiserreichs wandten sich um die Jahrhundertwende auch die jungen Autoren der literarischen Moderne programmatisch dem Werk Kleists zu. Angesichts seiner weitgehenden Entfremdung von den Vertretern der Weimarer Klassik bot Kleist sich mustergültig als Vorbild für die Ablösung einer neuen Schriftstellergeneration von Goethes

übermächtiger Erscheinung an. „Daraus resultierte, daß Kleist eine gleich zweifache Vorreiterrolle zugewiesen wurde: in seiner eigenen Gegenwart als Kämpfer gegen die Klassik und – achtzig Jahre später im Zeichen der literarischen Avantgarde als Vorkämpfer der Moderne, der zugleich Opfer der Klassik wurde.“[20] Im Gefolge dieser nachhaltigen zweiten Welle der Kleist-Wiederaneignung entdeckte im frühen zwanzigsten Jahrhundert eine Generation junger Schriftsteller, darunter Gerhart Hauptmann, Frank Wedekind, Carl Sternheim und Georg Kaiser, den Dichter als wichtigen Wegbereiter experimenteller und subjektivierter literarischer Ansätze für sich.[21]

Briefmarke der Deutschen Bundespost (1961) aus der Serie Bedeutende Deutsche Straßenbenennung Nach Heinrich von Kleist wurden Straßen, wie z.B. in Köln, Mülheim an der Ruhr, Leipzig, Berlin, Wolfsburg und Dresden benannt. Werke Entstehungszeit und Originalausgaben Robert Guiskard, Herzog der Normänner (Fragment), entstanden 1802–1803, erschienen April/Mai 1808 in Phöbus, Uraufführung 6. April 1901 im Berliner Theater in Berlin Die Familie Schroffenstein, Anfang 1803 anonym erschienen, Uraufführung 9. Januar 1804 in Graz Der zerbrochne Krug, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater in Weimar Amphitryon, erschienen 1807, Uraufführung 8. April 1899 im Neuen Theater in Berlin Das Erdbeben in Chili, erschienen unter dem ursprünglichen Titel Jeronimo und Josephe 1807 in Cottas Morgenblatt für gebildete Stände, Buchausgabe leicht redigiert 1810 in Erzählungen (1. Band)

Page 31: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Die Marquise von O…, erschienen Februar 1808 in Phöbus, Buchausgabe in überarbeiteter Fassung 1810 in Erzählungen (1. Band) Die Hermannsschlacht, vollendet 1808, erschienen 1821 (Hrsg. Ludwig Tieck), Uraufführung am 18. Oktober 1860 in Breslau (Bearbeitung: Feodor Wehl) Penthesilea, erschienen 1808, szenische Uraufführung Mai 1876 im Königlichen Schauspielhaus in Berlin Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe. Ein großes historisches Ritterschauspiel, entstanden 1807–1808, Fragmente erschienen in Phöbus 1808, Uraufführung 17. März 1810 im Theater an der Wien in Wien, Buchausgabe in umgearbeiteter Fassung 1810 Michael Kohlhaas. Aus einer alten Chronik, teilweise erschienen 1808 in Phöbus, Buchausgabe 1810 in Erzählungen (1. Band) Katechismus der Deutschen, 1809 Anekdoten, erschienen 1810–1811 in den Berliner Abendblättern – darunter die Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege

Das Käthchen von Heilbronn, Titelblatt der Erstausgabe (1810) Das Bettelweib von Locarno, erschienen 11. Oktober 1810 in den Berliner Abendblättern, Buchausgabe 1811 in Erzählungen (2. Band) Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik. Eine Legende, erschienen 15.–17. November 1810 in den Berliner Abendblättern, Buchausgabe in erweiterter Fassung 1811 in Erzählungen (2. Band) Über das Marionettentheater, erschienen 12.–15. Dezember 1810 in den Berliner Abendblättern Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden, postum in: Paul Lindau (Hg) Nord und Süd, Bd.4 S.3-7, 1878 Die Verlobung in St. Domingo, erschienen 25. März bis 5. April 1811 in Der Freimüthige, Buchausgabe in überarbeiteter Fassung 1811 in Erzählungen (2. Band) Der Findling, erschienen 1811 in Erzählungen (2. Band) Der Zweikampf, erschienen 1811 in Erzählungen (2. Band) Prinz Friedrich von Homburg, entstanden 1809–1811, Uraufführung 3. Oktober 1821 als Die Schlacht vom Fehrbellin am Burgtheater in Wien Gesamt- und Werkausgaben Heinrich von Kleists gesammelte Schriften. Hrsg. von Ludwig Tieck. 3 Bände. Berlin: G. Reimer 1826. Kleists sämtliche Werke. Hrsg. Arthur Eloesser. 5 Bände. Tempel-Verlag, Leipzig. um 1920 Heinrich von Kleist. Werke und Briefe. Hrsg. von Siegfried Streller. 4 Bände. Berlin und Weimar: Aufbau 1978. Heinrich von Kleist. Sämtliche Werke und Briefe. Hrsg. von Ilse-Marie Barth, Klaus Müller-Salget, Stefan Ormanns und Hinrich C. Seeba. 4 Bände. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 1987–1997. Heinrich von Kleist. Sämtliche Werke. Hrsg. von Roland Reuß und Peter Staengle. Basel; Frankfurt am Main: Stroemfeld 1988–2010 (Berliner Ausgabe; ab 1992: Brandenburger Ausgabe), Editionsplan

Page 32: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Heinrich von Kleist – Sämtliche Werke und Briefe. Hrsg. von Helmut Sembdner. 9. vermehrte und revidierte Auflage. München: Hanser 1993 (= München: dtv 2001 ISBN 3-423-12919-0). Heinrich von Kleist – Sämtliche Werke und Briefe. Münchner Ausgabe. Hrsg. von Roland Reuß und Peter Staengle. 3 Bände. München: Hanser 2010, ISBN 978-3-446-23600-4. Literatur Biographien und Gesamtdarstellungen Wilhelm Amann: Heinrich von Kleist. Leben Werk Wirkung. Suhrkamp Basisbiographie. Suhrkamp, Berlin 2011, ISBN 978-3-518-18249-9. Jens Bisky: Kleist. Eine Biographie. Rowohlt, Berlin 2007, ISBN 978-3-87134-515-9. Günter Blamberger: Heinrich von Kleist. Biographie, S. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-10-007111-8. Ingo Breuer (Hrsg.): Kleist-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung. Verlag Metzler, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-476-02097-0. Klaus Günzel: Kleist. Ein Lebensbild in Briefen und zeitgenössischen Berichten. Berlin 1984, ISBN 3-476-00563-1. Herbert Kraft: Kleist. Leben und Werk. Aschendorff, Münster 2007, ISBN 3-402-00448-8. Rudolf Loch: Kleist. Eine Biographie. Wallstein, Göttingen 2003, ISBN 3-89244-433-1. Peter Michalzik: Kleist - Dichter, Krieger, Seelensucher. Propyläen Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3549073247. Klaus Müller-Salget: Heinrich von Kleist. Reclam, Stuttgart 2002, ISBN 3-15-017635-2. (Reclams Universal-Bibliothek 17635) Arno Pielenz: Kennst du Heinrich von Kleist?. Bertuch, Weimar 2007, ISBN 978-3-937601-43-4. Heiko Postma: »Welche Unordnungen in der natürlichen Grazie des Menschen das Bewußtsein anrichtet« Über den deutschen Dichter Heinrich von Kleist (1777–1811). jmb, Hannover 2011, ISBN 978-3-940970-18-3. Gerhard Schulz: Kleist. Eine Biographie. C. H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-56487-1. Hans-Georg Schede: Heinrich von Kleist. Rowohlt, Reinbek 2008, ISBN 978-3-499-50696-3. Eberhard Siebert: Heinrich von Kleist - eine Bildbiographie". Studienausgabe. Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn 2011. 364 S. (Heilbronner Kleist-Biographien, Band 2). ISBN 978-3-940494-32-0. Peter Staengle: Heinrich von Kleist. Sein Leben. 4., wiederum durchgesehene und aktualisierte Auflage. Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn 2011 (Heilbronner Kleist-Biographien, Band 1), ISBN 978-3-940494-44-3. Heinrich von Kleist in Brandenburg und Berlin. Der arme Kauz aus Frankfurt (Oder) (Wolfgang de Bruyn, Hans-Jürgen Rehfeld, Martin Maurach, Wolfgang Bartel, Horst Häker, Eberhard Siebert) In: Die Mark Brandenburg. Heft 78, Marika Großer Verlag Berlin 2010, ISBN 978-3-910134-07-2. Zu Einzelwerken [Bearbeiten]Ludwig Börne: Dramaturgische Blätter: Das Käthchen von Heilbronn (1818). In: Sämtliche Schriften. Band I. Düsseldorf: Melzer 1964. Gerhard Dünnhaupt: Kleists Marquise von O. and its Literary Debt to Cervantes. In: Arcadia 10 (1975). Günther Emig, Peter Staengle (Hrsg.): Amphitryon. „Das faßt kein Sterblicher“. Interdisziplinäres Kolloquium zu Kleists „Lustspiel nach Molière“. Heilbronn: Kleist-Archiv Sembdner 2004 (Heilbronner Kleist-Kolloquien; Band 4), ISBN 3-931060-74-8 Bernhard Greiner: Kleists Dramen und Erzählungen : Experimente zum "Fall" der Kunst. - 2. Aufl.. - Tübingen : Universitätsbibliothek Tübingen, 2010 [1. Aufl. Tübingen : Francke, 2000 (UTB; 2129 : Germanistik)] Walter Hinderer (Hrsg.): Kleists Dramen. Stuttgart: Reclam 1997 (Reclams Universal-Bibliothek. Literaturstudium. Interpretationen; Band 17502), ISBN 3-15-017502-X

Page 33: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

Jochen Schmidt: Heinrich von Kleist. Die Dramen und Erzählungen in ihrer Epoche. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003, ISBN 3-534-15712-5 Helmut Sembdner: Die Berliner Abendblätter Heinrich von Kleists, ihre Quellen und ihre Redaktion. Reprint der Ausgabe Berlin 1939. Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn 2011. (Heilbronner Kleist-Reprints). ISBN 978-3-940494-41-2. Hans Steffen: Das Gesetz des Widerspruchs als Kleists Dichtungsgesetz. Demonstriert an seinem Lustspiel „Der zerbrochene Krug“. In: Europäische Komödie. Hrsg. von Herbert Mainusch. Darmstadt: Wissenschaftl. Buchges. 1990. S. 304–354. Rolf Tiedemann: Ein Traum von Ordnung. Marginalien zur Novellistik Heinrichs von Kleist. In: Ders.: Niemandsland. München 2007, S. 34–59. Weitere Einzelaspekte Günter Blöcker: Heinrich von Kleist oder Das absolute Ich. Argon, Berlin 1960. Erotik und Sexualität im Werk Heinrich von Kleists. Internationales Kolloquium des Kleist-Archivs Sembdner, 22.-24. April 1999 in der Kreissparkasse Heilbronn. Heilbronn: Kleist-Archiv Sembdner 2000 (Heilbronner Kleist-Kolloquien; Band 2), ISBN 3-931060-48-9. Robert Floetemeyer: Entromantisierte Romantik - Kleist vor Friedrichs "Mönch am Meer". In: Von Altdorfer bis Serra - Schülerfestschrift für Lorenz Dittmann, hrsg. v. I. Besch, St. Inbert 1993, S. 97 - 115. Ulrich Fülleborn: Die frühen Dramen Heinrich von Kleists. Fink, München 2007, ISBN 978-3-7705-4331-1. Dirk Grathoff: Kleist. Geschichte, Politik, Sprache. Aufsätze zu Leben und Werk Heinrich von Kleists. Heilbronn: Kleist-Archiv Sembdner 2008. (Heilbronner Kleist-Reprints), ISBN 978-3-940494-12-2. [Reprint der 2., verbesserten Auflage Wiesbaden 2000] Barbara Gribnitz, Wolfgang de Bruyn (Hrsg.): Hier wird das Herz von Sorgen leer. Das Hirschberger Tal um 1800. Sonderheft der Vierteljahresschrift Silesia Nova zur Ausstellung Über den Häuptern der Riesen – Kleists schlesische Reise des Kleist-Museums Frankfurt (Oder) und des Städtischen Museums Gerhart-Hauptmann-Haus Jelenia Gora. Dresden: Neisse Verlag 2008, ISBN 978-3-940310-45-3 Klaus Jeziorkowski [Hrsg.]: Kleist in Sprüngen. Mit Beiträgen von Annette Linhard, Kay Link, Sigurd Martin, Klaus Jeziorkowski, Mareike Blum und Ingo Wintermeyer. München: Iudikum Verlag 1999, ISBN 3-89129-626-6 Katharina Mommsen: Kleists Kampf mit Goethe. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979. Michael Mandelartz: Goethe, Kleist. Literatur, Politik und Wissenschaft um 1800. Berlin: Erich Schmidt Verlag 2011, ISBN 978-3-503-12271-4 Walter Müller-Seidel (Hrsg.): Heinrich von Kleist. Aufsätze und Essays. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1967 (= 4. Auflage 1987) (Wege der Forschung; Band 147), ISBN 3-534-03989-0 Sigismund Rahmer: Das Kleist-Problem aufgrund neuer Forschungen zur Charakteristik und Biographie von Heinrich von Kleist. Berlin: Reimer 1903. Reprint: Heilbronn: Kleist-Archiv Sembdner 2009, ISBN 978-3-940494-26-9 Helmut Sembdner (Hrsg.): Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. 7. erweiterte Neuauflage. München: Hanser 1996. Schumacher, Horst: Das Kleist-Grab am Kleinen Wannsee. Heilbronn: Kleist-Archiv Sembdner 2010, ISBN 978-3-940494-34-4 Einzelnachweise 1.↑ Wolfgang Beutin, Klaus Ehlert, Wolfgang Emmerich, Helmut Hoffacker, Bernd Lutz, Volker Meid, Ralf Schnell, Peter Stein und Inge Stephan: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Fünfte, überarb. Auflage. Stuttgart, Weimar: Metzler 1994. S. 188.

Page 34: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

2.↑ a b c d e Heinrich von Kleist. Sämtliche Werke und Briefe. Hrsg. von Ilse-Marie Barth, Klaus Müller-Salget, Stefan Ormanns und Hinrich C. Seeba. 4 Bände. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 1987–1997. 3.↑ Jochen Schmidt: Heinrich von Kleist. Die Dramen und Erzählungen in ihrer Epoche. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003. S. 13. – „Wissenschaften“ sind hier im Sinne der Aneignung von Grundkenntnissen, die für die Ausübung eines praktischen Berufs erforderlich waren, zu verstehen. 4.↑ Heinrich von Kleist, sämtliche Briefe In: Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn. 5.↑ Ingeborg Harms, FAZ-online vom 24. Juli 2009, Was wird aus Kleists Grab? Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein[1] 6.↑ Michael Bienert, Wie Kleist Berlin erlebte, Der Tagesspiegel vom 27. Februar 2011, Nr. 20901, S. 7 7.↑ a b Heinrich von Kleists Grab wird neu gestaltet. In: Hamburger Abendblatt. 23. November 2009, S. 6. 8.↑ Ingeborg Harms, FAZ-online vom 24. Juli 2009, Was wird aus Kleists Grab? Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein[2] 9.↑ FAZ vom 8. Oktober 2010, S. 34 10.↑ Hans Joachim Kreutzer: Heinrich von Kleist. 1. Auflage. C.H.Beck, München 18. März 2010, ISBN 9783406612404. 11.↑ Zahlreiche logische Inkonsistenzen der Handlungsführung des Zerbrochnen Krugs, die eine Täterschaft von Dorfrichter Adam allenthalben unwahrscheinlich machen, offenbart Gerhard Stadelmaier in dem ausführlichen Essay: Adams Alibi oder Wer war in Eves Kammer? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. November 2008. 12.↑ Siegfried Streller: Einleitung. In: Heinrich von Kleist. Dramen 1. Die Familie Schroffenstein, Robert Guiskard, Der zerbrochene Krug, Amphitryon. Frankfurt am Main: Insel 1986 (Heinrich von Kleist. Werke und Briefe in vier Bänden. Hrsg. von Siegfried Streller in Zusammenarbeit mit Peter Goldammer und Wolfgang Barthel, Anita Golz, Rudolf Loch). S. 5–96, hier S. 5. 13.↑ Anett Lütteken: Heinrich von Kleist – Eine Dichterrenaissance. Tübingen: Max Niemeyer 2004. S. 27. 14.↑ Ludwig Ferdinand Huber: Erscheinung eines neuen Dichters. In: Der Freimüthige, oder Berlinische Zeithung für gebildete, unbefangene Leser, 4. März 1803, Nr. 36, S. 141 f. Zitiert nach: Anett Lütteken: a.a.O. S. 40. 15.↑ Johann Wolfgang von Goethe an Adam Müller, 28. August 1807, in: Jakob Baxa (Hrsg.): Adam Müllers Lebenszeugnisse. 2 Bände. München; Paderborn; Wien 1966. Bd. I, S. 345 f., Nr. 236. Zitiert nach: Anett Lütteken: a.a.O. S. 66. 16.↑ Anett Lütteken: a.a.O. S. 58. 17.↑ Anett Lütteken: a.a.O. S. 74–77, hier S. 75. 18.↑ Anett Lütteken: a.a.O. S. 151. 19.↑ Siegfried Streller: Einleitung. In: Heinrich von Kleist. Dramen 1. Die Familie Schroffenstein, Robert Guiskard, Der zerbrochene Krug, Amphitryon. Frankfurt am Main: Insel 1986. S. 5–96, hier S. 7. – Dazu ausführlicher: Rolf Busch: Imperialistische und faschistische Kleist-Rezeption 1890–1945. Eine ideologiekritische Untersuchung. Frankfurt am Main 1974. 20.↑ Anett Lütteken: a.a.O. S. 84. 21.↑ Dazu ausführlicher: Klaus Kanzog (Hrsg.): Text und Kontext. Quellen und Aufsätze zur Rezeptionsgeschichte der Werke Heinrich von Kleists. Berlin [West] 1979. 22.↑ Dazu ausführlicher: Klaus Kanzog, Hans Joachim Kreutzer (Hrsg.): Werke Kleists auf dem modernen Musiktheater. Berlin 1977. 23.↑ Dazu ausführlicher: Klaus Kanzog (Hrsg.): Erzählstrukturen – Filmstrukturen. Erzählungen Heinrich von Kleists und ihre filmische Realisation. Berlin [West]: Schmidt

Page 35: Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug - Material.pdf · Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater

1981. – Mary Rhiel: Re-viewing Kleist. The discursive construction of authorial subjectivity in West German Kleist films. New York: Lang 1991. 24.↑ gebrueder-beetz.de: Die Akte Kleist