gut oder schlecht für die gefäße?

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Weibliche Sexualhormone Gut oder schlecht für die Gefäße? Östrogene und Gestagene regulieren eine Vielzahl metabolischer und kardio- vaskulärer Prozesse. Ob die Hormongabe im Rahmen einer oralen Kontrazep- tion oder einer postmenopausalen Hormon-Ersatztherapie vorteilhaft oder riskant ist, wird seit vielen Jahren leidenschaftlich und kontrovers diskutiert. Ein Blick auf die aktuelle Studienlage. - Östrogene und Gestagene zeigen ver- schiedene Begleiteffekte auf metaboli- sche Prozesse, das Herz-Kreislauf- und das Gerinnungssystem. „Dabei kommen auch gegensätzliche Wirkmechanismen zum Tragen“, so Prof. Norbert Frey, Di- rektor der Kardiologischen Universitäts- klinik in Kiel. So führen Östrogene ei- nerseits zu einem Anstieg des gefäßpro- tektiven HDL-Cholesterins, andererseits entfalten sie jedoch auch eine prothrom- bogene Wirkung, woraus ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko resultieren kann. Darüber hinaus wird auch die Va- somotion beeinflusst. Nach neueren Da- ten scheinen weibliche Geschlechtshor- mone auch das Risiko für Vorhofflim- mern zu erhöhen. Pille erhöht das kardiale Risiko nicht Zwar treten Myokardinfarkte bei prä- menopausalen Frauen seltener auf als bei Männern, die Infarktmortalität ist jedoch beim weiblichen Geschlecht in dieser Altersgruppe im Vergleich zu Männern deutlich erhöht. „Auch der auslösende Mechanismus beim Myo- kardinfarkt ist abhängig vom hormonel- len Status“, so Frey. Während bei präme- nopausalen Frauen die Plaqueerosion im Vordergrund steht, ist es bei postmeno- pausalen Frauen wie auch bei Männern die Plaqueruptur, die zum akuten Koro- narsyndrom führt. Interessant ist auch, dass von der deutlichen Abnahme der kardiovasku- lären Mortalität in den letzten Jahren vorrangig die Männer profitieren und weniger die Frauen. Zur Frage nach dem Herzinfarkt-Ri- siko bei oraler Kontrazeption wurden in den letzten Jahren zahlreiche Studien, insbesondere Metaanalysen, durchge- führt. „Zusammenfassend lässt sich sa- gen, dass die Pille das Risiko für einen Herzinfarkt nicht erhöht“, so Frey. Erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien Anders sieht es bei venösen rombosen bzw. Embolien aus. Hier muss in Abhän- gigkeit vom individuellen Risiko der Pa- tientin und dem eingesetzten Präparat von einem deutlich erhöhten Risiko aus- gegangen werden. „Besonders gefährdet sind Frauen mit einer hereditären rombophilie“, so Frey. Dazu gehören die APC-Resistenz (Faktor-V-Leiden), der Mangel an Protein C oder Protein S, der AT-III-Mangel und die Prothrom- bin-Mutation. Bei Vorliegen einer kom- plexen hereditären rombophilie kann das Risiko um den Faktor 10–15 erhöht sein. Deshalb ist eine orale Kontrazepti- on bei Patienten mit hereditärer rom- bophilie streng kontraindiziert. Differenzierte Empfehlungen für eine Hormon-Ersatztherapie Lange Zeit glaubte man, dass der kardio- protektive Effekt der weiblichen Ge- schlechtshormone bei jüngeren Frauen auch für die Postmenopause gilt. Dafür sprachen Beobachtungen, dass durch frü- heren Gebrauch von oralen Kontrazepti- ve Schweregrad und Ausmaß der KHK günstig beeinflusst werden könnten. „Dass eine Hormon-Ersatztherapie in der Postmenopause das kardiovaskuläre Ri- siko nicht günstig beeinflusst, zeigten erst die Ergebnisse der großen Women‘s Health Studie“, so Frey. Heute könne eine Hormon-Ersatztherapie zur Primär- bzw. Sekundärprophylaxe der KHK nicht mehr empfohlen werden. Nach den Er- gebnissen von Metaanalysen werde das Herzinfarktrisiko durch eine Hormon- Ersatztherapie insgesamt weder positiv noch negativ beeinflusst. „Das Schlagan- fallrisiko wird durch die Hormon-Ersatz- therapie allerdings erhöht“, so Frey. Dabei dürſte auch das vermehrte Auſtreten von Vorhofflimmern unter der Hormon-Er- satztherapie eine Rolle spielen. Dr. med. Peter Stiefelhagen Quelle: 14. Herzaktion, Weimar, 1.6.2013 Hormonsubstition in der Postmenopause und kardiovaskuläres Risiko Fünf Jahre gelten als sicher Das kardiovaskuläre Risiko un- ter einer Hormon-Ersatzthera- pie hängt vom Alter der Patien- tin und von der Dauer der Hor- monsubstitution ab. So scheint eine kurzfristige Hormongabe bis zu fünf Jahren unproblema- tisch zu sein, und das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis betrifft vorrangig über 70-jähri- ge Frauen. „Eine kurzfristige, nicht länger als fünf Jahre durchgeführte Hormon-Ersatz- therapie erscheint sicher und kann nach individueller Abwägung von Nutzen und Risiko eingesetzt werden“, so die Empfehlung von Frey. Dabei sollte allerdings immer das individuelle kardiovaskuläre Risiko erfasst werden, d. h. bei Frauen mit einem ausgeprägten kardiovaskulären Risi- ko ist auch eine kurzfristige Hormon-Ersatztherapie nicht empfehlenswert. © Jupiterimages/Thinkstock AKTUELLE MEDIZIN _ KONGRESSBERICHTE 30 MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (2)

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Page 1: Gut oder schlecht für die Gefäße?

Weibliche Sexualhormone

Gut oder schlecht für die Gefäße?Östrogene und Gestagene regulieren eine Vielzahl metabolischer und kardio-vaskulärer Prozesse. Ob die Hormongabe im Rahmen einer oralen Kontrazep-tion oder einer postmenopausalen Hormon-Ersatztherapie vorteilhaft oder riskant ist, wird seit vielen Jahren leidenschaftlich und kontrovers diskutiert. Ein Blick auf die aktuelle Studienlage.

−Östrogene und Gestagene zeigen ver-schiedene Begleite�ekte auf metaboli-sche Prozesse, das Herz-Kreislauf- und das Gerinnungssystem. „Dabei kommen auch gegensätzliche Wirkmechanismen zum Tragen“, so Prof. Norbert Frey, Di-rektor der Kardiologischen Universitäts-klinik in Kiel. So führen Östrogene ei-nerseits zu einem Anstieg des gefäßpro-tektiven HDL-Cholesterins, andererseits entfalten sie jedoch auch eine prothrom-bogene Wirkung, woraus ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko resultieren kann. Darüber hinaus wird auch die Va-somotion beein�usst. Nach neueren Da-ten scheinen weibliche Geschlechtshor-mone auch das Risiko für Vorho�im-mern zu erhöhen.

Pille erhöht das kardiale Risiko nichtZwar treten Myokardinfarkte bei prä-menopausalen Frauen seltener auf als bei Männern, die Infarktmortalität ist

jedoch beim weiblichen Geschlecht in dieser Altersgruppe im Vergleich zu Männern deutlich erhöht. „Auch der auslösende Mechanismus beim Myo-kardinfarkt ist abhängig vom hormonel-len Status“, so Frey. Während bei präme-nopausalen Frauen die Plaqueerosion im Vordergrund steht, ist es bei postmeno-pausalen Frauen wie auch bei Männern die Plaqueruptur, die zum akuten Koro-narsyndrom führt.

Interessant ist auch, dass von der deutlichen Abnahme der kardiovasku-lären Mortalität in den letzten Jahren vorrangig die Männer pro�tieren und weniger die Frauen.

Zur Frage nach dem Herzinfarkt-Ri-siko bei oraler Kontrazeption wurden in den letzten Jahren zahlreiche Studien, insbesondere Metaanalysen, durchge-führt. „Zusammenfassend lässt sich sa-gen, dass die Pille das Risiko für einen Herzinfarkt nicht erhöht“, so Frey.

Erhöhtes Risiko für venöse ThromboembolienAnders sieht es bei venösen �rombosen bzw. Embolien aus. Hier muss in Abhän-gigkeit vom individuellen Risiko der Pa-tientin und dem eingesetzten Präparat von einem deutlich erhöhten Risiko aus-gegangen werden. „Besonders gefährdet sind Frauen mit einer hereditären �rombophilie“, so Frey. Dazu gehören die APC-Resistenz (Faktor-V-Leiden), der Mangel an Protein C oder Protein S, der AT-III-Mangel und die Prothrom-bin-Mutation. Bei Vorliegen einer kom-plexen hereditären �rombophilie kann das Risiko um den Faktor 10–15 erhöht sein. Deshalb ist eine orale Kontrazepti-on bei Patienten mit hereditärer �rom-bophilie streng kontraindiziert.

Di�erenzierte Empfehlungen für eine Hormon-ErsatztherapieLange Zeit glaubte man, dass der kardio-protektive E�ekt der weiblichen Ge-schlechtshormone bei jüngeren Frauen auch für die Postmenopause gilt. Dafür sprachen Beobachtungen, dass durch frü-heren Gebrauch von oralen Kontrazepti-ve Schweregrad und Ausmaß der KHK günstig beein�usst werden könnten.

„Dass eine Hormon-Ersatztherapie in der Postmenopause das kardiovaskuläre Ri-siko nicht günstig beein�usst, zeigten erst die Ergebnisse der großen Women‘s Health Studie“, so Frey. Heute könne eine Hormon-Ersatztherapie zur Primär- bzw. Sekundärprophylaxe der KHK nicht mehr empfohlen werden. Nach den Er-gebnissen von Metaanalysen werde das Herzinfarktrisiko durch eine Hormon-Ersatztherapie insgesamt weder positiv noch negativ beein�usst. „Das Schlagan-fallrisiko wird durch die Hormon-Ersatz-therapie allerdings erhöht“, so Frey. Dabei dür�e auch das vermehrte Au�reten von Vorho�immern unter der Hormon-Er-satztherapie eine Rolle spielen. Dr. med. Peter Stiefelhagen ■

■ Quelle: 14. Herzaktion, Weimar, 1.6.2013

Hormonsubstition in der Postmenopause und kardiovaskuläres Risiko

Fünf Jahre gelten als sicherDas kardiovaskuläre Risiko un-ter einer Hormon-Ersatzthera-pie hängt vom Alter der Patien-tin und von der Dauer der Hor-monsubstitution ab. So scheint eine kurzfristige Hormongabe bis zu fünf Jahren unproblema-tisch zu sein, und das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis betri�t vorrangig über 70-jähri-ge Frauen. „Eine kurzfristige, nicht länger als fünf Jahre durchgeführte Hormon-Ersatz-therapie erscheint sicher und kann nach individueller Abwägung von Nutzen und Risiko eingesetzt werden“, so die Empfehlung von Frey. Dabei sollte allerdings immer das individuelle kardiovaskuläre Risiko erfasst werden, d. h. bei Frauen mit einem ausgeprägten kardiovaskulären Risi-ko ist auch eine kurzfristige Hormon-Ersatztherapie nicht empfehlenswert.

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30 MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (2)