graz als verkehrsdrehscheibe die leistungsfähigkeit ... · der bezahlung der schulden, die der...
TRANSCRIPT
Blätter für Heimatkunde 66 (1992)
Graz als Verkehrsdrehscheibe im Zweiten Weltkrieg
Von Franz W. Seidler
Die vorauszusehende Einbindung Sloweniens und Kroatiens in den Europäischen Wirtschaftsraum läßt Planungen wieder interessant werden, die vor 50 Jahren, allerdings unter völlig anderen politischen Rahmenbedingungen, bezüglich der verkehrspolitischen Rolle der Steiermark niedergelegt wurden. Die Annexion der Untersteiermark und Krains durch das Großdeutsche Reich und die Gründung eines selbständigen Staates Kroatien nach der Kapitulation der jugoslawischen Streitkräfte im April 1941 mobilisierten auch die Verkehrsplaner in der Steiermark. Sie forderten in ihren infrastrukturellen Überlegungen eine engere Anbindung der neuen Reichsgebiete und Kroatiens an das mitteleuropäische Verkehrsnetz. Auch die verstärkte Nutzung des italienischen Hafens Triest und die Ausbeutung der jugoslawischen Rohstoffe durch das Deutsche Reich werteten die Hauptstadt der Steiermark zum südöstlichen Verkehrszentrum des Reiches auf. Für die Leser/Leserinnen könnte daher von Interesse sein zu erfahren, was von den Straßenplanungen des Jahres 1941 heute realisiert ist und was von den damaligen Überlegungen aktuell bleibt.
Nach der Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich im März 1938 standen auch u. a. infrastrukturelle Überlegungen zur Anbindung der neuen Gebiete im Vordergrund. Lange vor der Volksabstimmung vom 10. April 1938 verkündeten führende Vertreter des Reiches ihre diesbezüglichen Programme: Am 22. März 1938 versprach Reichsbahnbaudirektor Wist in Leoben den Ausbau des Bahnnetzes. Am 28. März 1938 gab der Generaldirektor für das deutsche Straßenwesen Todt in Wien die Anbindung der Landeshauptstadt Graz an das geplante „ostmärkische Autobahnnetz" bekannt.1
Am 3. April 1938 bedankte sich Hitler auf einer Massenversammlung in Graz, daß neben Italien auch Ungarn und Jugoslawien Staaten mit Grenzen seien, „die uns der Sorge entheben, sie militärisch beschützen zu müssen".2
Nach der Volksabstimmung begannen die detaillierten Planungen. Am 13. Juni 1938 legte die Deutsche Reichsbahn dem Reichsverkehrsministerium einen Katalog von Maßnahmen vor, wonach die annektierte Ostmark verkehrspolitisch enger mit den süddeutschen Ländern verbunden werden sollte. Mit einigem war bereits begonnen worden, z. B. mit dem Bau von Ausweichgleisen auf der Strecke Passau—Wels und mit Umbauten in den Bahnhöfen Wels und Linz, in Linz vor allem in Verbindung mit dem Bau der Hermann-Göring-Werke. Zu den dringlichsten Bauvorhaben zählte der zweigleisige Ausbau der 116 km langen Strecke zwischen Steyr und Leoben.
1 Vgl. S t e f a n K a r n e r , Die Steiermark im Dritten Reich 1938—1945. Aspekte ihrer politischen, wirtschaftlich-sozialen und kulturellen Entwicklung. Graz und Wien 1986, S. 65.
2 Völkischer Beobachter vom 4. April 1938.
66
Die Leistungsfähigkeit weiterer Bahnstrecken sollte ebenfalls erhöht werden, z B der Strecken Linz-Wartberg, Mauthausen-Wien/Penzing—Hei igen-stadt Tulln—Sigmundsherberg. Zwischen Simmering und Erdbergerlande bzw Hütteldorf—St. Veit a. d. Wien waren zweigleisige Verbindungsbahnen erforderlich. Zu den Bahnhöfen, in denen bauliche Verbesserungen am dringlichsten schienen, gehörte neben dem Wiener Westbahnhof auch Graz.-Ab Mitte 1938 galt für ganz Österreich der deutsche Regelgutertarit. Die Tariffestlegung nach der deutschen Entfernungstafel brachte für die neuen Gaue erhebliche Frachtermäßigungen mit sich. Am 1. Oktober 1938 wurden die deutschen Gütertarife auch im inneren Verkehr Österreichs eingeführt. Das brachte erneut Verbilligungen der Bahntransporte.4
Bei einer interministeriellen Sitzung in der Berliner Reichsstelle für Raumordnung am 22. April 1938, die anberaumt worden war, damit die einzelnen Ressorts ihre Planungen für Österreich koordinieren konnten, legte die Dienststelle des Generalinspektors für das deutsche Straßenwesen erstmals einen Entwurf für eine Reichsautobahn Salzburg—Wien vor.5
Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen war seit Juni 1933 Dr. Ing. Fritz Todt. Dem Reichskanzler unmittelbar unterstellt, sollte er vorrangig Hitlers Lieblingsprojekt durchführen: den Bau von Reichsautobahnen, die alsbald den Namen „Straßen des Führers" bekamen.6 Am 23. Juni 1938 brachte sich die Landesstelle für Raumordnung in Graz ins Gespräch, als sie zur Linienführung einer Reichsautobahn von Wien nach Graz durch das Burgenland Vorschläge machte. Obwohl sie sich eines militärischen Einspruchs ziemlich sicher waren, wie er 1935 beim Bau der Schwarzwaldhochstraße wegen ihrer Einsehbarkeit von französischer Seite durch das Reichswehrministerium vorgebracht worden war, wünschten die steiermärkischen Fachleute die Fortsetzung der Reichsautobahn von Wien nach Graz nicht längs der Straße zur Pack, sondern südlich davon in unmittelbarer Nähe zur ungarischen Grenze.'
Für den Straßenbau in den österreichischen Landesteilen erhielt der Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen vom Reichsminister der Finanzen für das laufende Haushaltsjahr 1938 außerplanmäßig 17 Millionen Reichsmark zur Verfügung gestellt. Sie traten zu den 3,1 Millionen Reichsmark, die im österreichischen Haushaltsplan für Straßen- und Brückenbauten im Jahr 1938 reserviert waren.8 Ein erheblicher Teil des Geldes diente der Bezahlung der Schulden, die der österreichische Staat in den vorausgegangenen Jahren bei der Unternehmerfinanzierung für den Ausbau von Bundesstraßen gemacht hatte. Von den 7,6 Mio. Reichsmark Gesamtkosten mußte das Land Steiermark etwa 40 Prozent für den Bau der Packer Höhenstraße 1935—1938 übernehmen. Im Interesse einer klaren Abwicklung der
1 Vgl. Zusammenstellung der bis jetzt bekannten Baumaßnahmen der Deutschen Reichsbahn anläßlich des Anschlusses Österreichs an das Altreich, Anlage zu 86 A I v. 30. Juni 1938, Bundesarchiv Koblenz R 113/1582, Bl. 43 f.
4 Vgl. Der Reichsverkehrsminister v. 12. Juli 1938, Bundesarchiv Koblenz R 113/1582. 5 Vgl. Vermerk Verkehrsplanung in Osterreich v. 28. April 1938, Bundesarchiv Koblenz
R 113/1582. 6 Vgl. F r a n z W. S e i d 1 e r , Fritz Todt. Baumeister des Dritten Reiches, München 1986,
S. 97 ff. 7 Vgl. Reisebericht Teubert v. 1. Juli 1938, Bundesarchiv Koblenz R 113/1582. 8 Vgl. Reichsminister für Finanzen v. 16. Jänner 1939, Bundesarchiv Koblenz R 2/4576.
67
Geschäfte hielt es der Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen daher für wünschenswert und zweckmäßig, die aus der Unternehmerfinanzierung bestehenden Verpflichtungen unverzüglich und restlos zu begleichen.9
Hinsichtlich der steiermärkischen Straßenplanungen gab Dr. Fritz Todt den Vorschlägen des Landesplaners Dipl.-Ing. H. Wengert seine „großzügige Zustimmung". Sie bezweckten, die raumpolitisch überlastete Mur-Mürz-Senke zu verlassen und den Grenzraum in der östlichen Steiermark systematisch aufzuschließen. Im Rahmen dieser Planungen sollte Graz zum Schnittpunkt wichtiger europäischer Kraftverkehrslinien werden.
In seinen Ausführungen bezog sich Dr. Wengert auf die Funktion der Stadt Graz in der k. u. k. Monarchie vor 1918. An der Verbindung von Wien nach Triest gelegen, war Graz seit dem 18. Jahrhundert Schwerpunkt im innerösterreichischen Verkehrsdreieck Marburg/Maribor—Brück a. d. Mur—Klagenfurt gewesen. Da sich das Einzugsgebiet des Hafens Triest bis weit hinein nach Böhmen und Schlesien erstreckt hatte, war der Wegfall der nördlichen Einzugsgebiete an die Tschechoslowakei und des Hafens Triest an Italien am Ende des Ersten Weltkriegs für die Stadt besonders schmerzhaft gewesen. Der Durchgangsverkehr in Österreich verlief seit 1918 hauptsächlich in west-östlicher Richtung. Graz und die Mittelsteiermark blieben außerhalb liegen. Graz war „ausgesetzt jenseits der Alpen, wohl angeschlossen an die Hauptstrecken, aber nicht mehr erschlossen einem Verkehr, der die hier verankerten Lebenskräfte hätte gebührend durchpulsen können".10
Der Aufschwung des Kraftfahrzeugverkehrs, der im Deutschen Reich seit 1933 mit dem Bau der Reichsautobahnen manifest wurde, bot auch für die Steiermark neue Chancen, an das mitteleuropäische Verkehrsnetz angebunden zu werden.
Wenn die Reichsautobahn, die von der Ostsee über Oberschlesien und Wien in den Raum von Graz und weiter nach Kärnten mit Anschlußmöglichkeiten nach Triest verlaufen sollte, in der Steiermark auf die Strecke treffen würde, die von Salzburg und Linz bzw. von Berlin über Prag in den Südosten des Reiches führte, dann könnte Graz zu einer Drehscheibe des europäischen Straßennetzes werden.11 Wengert setzte seine Hoffnung auf den „Aufbau eines wohl ausgewogenen und abgerundeten deutschen Lebensraumes und Wirtschaftsorganismus im Herzen Europas" und die lebendigen Verkehrsbeziehungen nach allen Richtungen, insbesondere zum Achsenpartner Italien. Trotz ihrer Randlage waren die Perspektiven für die Steiermark bereits vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht schlecht. Während des Krieges wurden sie noch besser.
Die Eingliederung der Untersteiermark und Krains in das Großdeutsche Reich nach dem Jugoslawienfeldzug hatte erhebliche Auswirkungen auf die Infrastruktur der Steiermark und auf das geplante Netz der Reichsautobahnen im Raum Graz. Die Strecke Graz—Klagenfurt sollte nun von Eibiswald über Mahrenberg/Radlje und Unterdrauburg/Dravograd geführt werden und
9 Vgl. Schreiben des Generalinspektors für das deutsche Straßenwesen an den Reichsminister der Finanzen v. 13. Dezember 1938, Bundesarchiv Koblenz R 2/4576.
10 Vorlage Dr. Wengert „Graz im Netz der künftigen Kraftverkehrslinien", Bundesarchiv Koblenz R 113/1620, Bl. 43.
11 Vgl. auch den Plan eines intereuropäischen Autobahnnetzes, den Kurt Kaftan 1936 entworfen hatte. K u r t K a f t a n , Der Kampf um die Autobahnen, Berlin 1955, S. 190 f.
69
nicht über Soboth, wie ursprünglich geplant. Der Untertunnelung des Radipasses zwischen Eibiswald und Mahrenberg in 500 m Seehöhe standen nur Überlegungen für den Ausbau der Wasserkräfte an der Drau im Wege. Diese Trasse sollte die östliche Untersteiermark, d. h. die Gebiete von Win-dischgraz/Slovenj Gradec, Wöllan/Velenje, Schönstein/Sostanje und der Steineralpen/Kamniske Alpe mit erschließen. Die Strecke von Liezen nach Graz sollte nun an das kroatische Hauptstraßennetz angeschlossen werden und daher über Marburg nach Agram weitergeführt werden. Über die günstigste Linienführung war man sich Ende 1941 noch nicht im klaren. Günstige Bodenverhältnisse im Sausal und in den Windischen Büheln vorausgesetzt, sollte die Trasse bis zum Eintritt in das Pößnitztal nördlich Marburg, westlich des Leibnitzer Feldes und westlich der Reichsstraße Graz—Marburg geführt werden, um die einzigartigen landschaftlichen Reize dieses Landesteils mit erschließen zu können, ohne daß untragbare Höhen in Kauf genommen werden müßten. Bei Preding, Leibnitz und Ehrenhausen waren Anschlußstellen an die Reichsautobahn geplant. Die Studien der Obersten Bauleitung Villach sahen zu dieser Zeit die östliche Umfahrung Marburgs mit Anschlußstellen im Pößnitztal und südöstlich an der Kreuzungsstelle mit der Reichsstraße nach Pettau/Ptuj vor. Von den drei Lösungen, die für die Weiterführung der Autobahn in Richtung Agram in Frage kamen, wurde der Weg über Hölldorf/Pekel durch das Sotlatal, in dem Raum zwischen Rann/Brezice und Kapellen/Kapele bevorzugt, weil er weithin im Reichsgebiet verlief, wenn auch im Sotlatal auf einer beträchtlichen Länge knapp an der Reichsgrenze zu Kroatien. Außerdem erfaßte er den Kreis Rann in der Südostecke des Reiches und schloß die Kreise Pettau und Cilli/Celje befriedigend auf. Die deutsch-kroatische Zentralgrenzkommission sollte sich auf die Führung der Reichsautobahn durch das Sotlatal konzentrieren. Über Grenzänderungen, die sich durch den Bau der Reichsautobahn als erforderlich erweisen könnten, glaubte man auf dem Verhandlungswege Einigkeit erzielen zu können. Für die Verbindung von Kroatien durch die Untersteier-mark nach Kärnten zum Anschluß an die Strecke Villach—Salzburg genügte nach den Planungen des Reichsstatthalters in der Steiermark eine leistungsfähige Reichsstraße, die von der vorgeschlagenen Reichsautobahn bei St. Marein/Smarje östlich von Cilli zum Trojaner Paß führte.'2
Graz versprach sich eine goldene Zukunft. Die Stadt sollte über die bisherige Aufgabenstellung hinaus die politische, wirtschaftliche und kulturelle Verbindung zwischen dem Deutschen Reich und Kroatien vermitteln und intensive wirtschaftliche Beziehungen zwischen dem steirischen Industriegebiet und Kroatien bewirken. Über Graz sollte Kroatien an Süddeutschland, das Protektorat Böhmen und Mähren und das oberschlesische Industrierevier angebunden werden. Diese Vorstellungen scheinen heute verkehrspolitisch — freilich unter ganz anderen allgemeinen politischen Verhältnissen — wieder realistisch. Sobald die souveränen Staaten Slowenien und Kroatien in den europäischen Wirtschaftsraum eingegliedert werden, könnte die verkehrspolitische Bedeutung von Graz unter friedlichen Bedingungen europäische Dimensionen gewinnen.
12 wie Anm. 10.
70 71