gouhier: trotz - pbworks

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Henri Gouhier: MeineDamenundHerren!Ichdanke zunächsteinmalHerrnMichelFoucaultdafür,daßer , diesenVortrag trotz vielenVerpflichtungenzugesagt hat - wirhörenihnkurzeZeitnachseinerRückkehr ausJapan .DeswegenwardieEinladungzudieser Sitzungeherlakonischgehalten .Undebendeswegen istderVortragMichelFoucaultseineÜberraschung . DaessichumeineguteÜberraschunghandeln dürfte,schiebeichdasVergnügenihnzuhörennicht längerhinaus . MichelFoucault : IchdankeIhnenvielmalsfürdieEin- ladungzudieserVersammlungundindieseGesell- schaft.Ichglaube,daßichhierbereitsvorungefähr zehnJahreneinenVortraggehaltenhabezum Thema : Wasist einAutor? DerFrage,überdieichheutezuIhnensprechen möchte,habeichkeinenTitelgegeben .HerrGouhier hatIhnennachsichtigetweisemitgeteilt,derGrund dafürseimeinJapan-Aufenthalt.Dasisteinesehrlie- benswürdigeModifizierungderWahrheit .Tatsächlich hatteichbisvoreinigenTagenkeinenTitelgefunden - odervielmehresgabeinen,dermichverfolgthat,den ichjedochnichtwählenwollte .Siewerdengleich sehenwarum :eswäreunanständiggewesen . InWirklichkeitlautetdieFrage,vonderichIhnen sprechenwollteundsprechenwill : WasistKritik? Ich sollteversuchen,etwaszudiesemProjektzusagen, 7 a t i

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Henri Gouhier: Meine Damen und Herren! Ich dankezunächst einmal Herrn Michel Foucault dafür, daß er

,diesen Vortrag trotz vielen Verpflichtungen zugesagthat - wir hören ihn kurze Zeit nach seiner Rückkehraus Japan. Deswegen war die Einladung zu dieserSitzung eher lakonisch gehalten. Und eben deswegenist der Vortrag Michel Foucaults eine Überraschung .Da es sich um eine gute Überraschung handelndürfte, schiebe ich das Vergnügen ihn zu hören nichtlänger hinaus .

Michel Foucault: Ich danke Ihnen vielmals für die Ein-ladung zu dieser Versammlung und in diese Gesell-schaft. Ich glaube, daß ich hier bereits vor ungefährzehn Jahren einen Vortrag gehalten habe zumThema: Was ist ein Autor?

Der Frage, über die ich heute zu Ihnen sprechenmöchte, habe ich keinen Titel gegeben. Herr Gouhierhat Ihnen nachsichtigetweise mitgeteilt, der Grunddafür sei mein Japan-Aufenthalt. Das ist eine sehr lie-benswürdige Modifizierung der Wahrheit . Tatsächlichhatte ich bis vor einigen Tagen keinen Titel gefunden -oder vielmehr es gab einen, der mich verfolgt hat, denich jedoch nicht wählen wollte . Sie werden gleichsehen warum: es wäre unanständig gewesen .

In Wirklichkeit lautet die Frage, von der ich Ihnensprechen wollte und sprechen will : Was ist Kritik? Ichsollte versuchen, etwas zu diesem Projekt zu sagen,

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heit, die sie weder kennen noch sein wird, sie ist einBlick auf einen Bereich, in dem sie als Polizei auftre-ten will, nicht aber ihr Gesetz durchsetzen kann . Alldas macht, daß sie eine Funktion ist, die dem unter-geordnet ist, was die Philosophie, die Wissenschaft,die Politik, die Moral, das Recht, die Literatur usw .

positiv darstellen. Und welches auch die Vergnügenoder die Entschädigungen sein mögen, die mit diesersonderbaren Kritik-Aktivität verbunden sind : esscheint, daß sie zumeist nicht nur ihren strengenNützlichkeits-Anspruch vor sich her trägt, sondernauch noch von einem allgemeineren Imperativ getra-gen wird - nicht nur von dem Imperativ, Irrtümer aus-zumerzen. Es gibt etwas in der Kritik, das sich mit derTugend verschwägert. Ich möchte Ihnen gewisser-maßen von der kritischen Haltung als Tugend im all-gemeinen sprechen .

Es gibt ziemlich viele Wege, um die Geschichtedieser kritischen Haltung zu schreiben. Ich möchteIhnen hier einen möglichen Weg vorschlagen - dervon der christlichen Pastoral ausgeht . Die christliche

Pastoral bzw . die christliche Kirche, insofern sie ebeneine spezifisch pastorale Aktivität entfaltete, hat dieeinzigartige und der antiken Kultur wohl gänzlich frem-de Idee entwickelt, daß jedes Individuum unabhängigvon seinem Alter, von seiner Stellung sein ganzes Le-ben hindurch und bis ins Detail seiner Aktionen hineinregiert werden müsse und sich regieren lassen müs-

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das sich unablässig formiert, sich fortsetzt und immerwieder von neuem ersteht - an den Grenzen der Phi-losophie, ganz bei ihr, ganz gegen sie, auf ihre Ko-sten, im Hinblick auf eine kommende Philosophie oderanstelle jeder möglichen Philosophie . Mir scheint, daßes im modernen Abendland (etwa seit dem 15 . oder16 . Jahrhundert) zwischen der erhabenen Unterneh-mung Kants und den kleinen polemisch-professionel-len Aktivitäten, die den Namen Kritik tragen, eineGemeinsamkeit gibt: eine bestimmte Art zu denken,zu sagen, zu handeln auch, ein bestimmtes Verhältniszu dem, was existiert, zu dem, was man weiß, zudem, was man macht, ein Verhältnis zur Gesellschaft,zur Kultur, ein Verhältnis zu den anderen auch -etwas, was man die Haltung der Kritik nennen könnte .Sie mögen wohl erstaunen, wenn Sie hören, daß soetwas wie die kritische Haltung für die moderne Zivili-sation typisch sein soll, wo es doch Kritiken, Polemi-ken usw. in Hülle und Fülle gegeben hat und sogardie kantischen Probleme Ursprünge haben, die weitüber das 15. oder 16. Jahrhundert zurückreichen .Man mag auch darüber erstaunen, daß man hier jenerKritik eine Einheit zusprechen möchte, wo doch dieKritik von Natur aus und sozusagen von Berufs wegender Zerstreuung, der Abhängigkeit, der puren Hetero-nomie unterliegt. Schließlich existiert die Kritik nur imVerhältnis zu etwas anderem als sie selbst: sie ist In-strument, Mittel zu einer Zukunft oder zu einer Wahr-

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breitet. Sodann hat sich diese Regierungskunst in denv4schiedensten Bereichen vervielfältigt : wie regiertman die Kinder, wie regiert man die Armen und dieBettler, wie regiert man eine Familie, ein Haus, wie re-giert man die Heere, wie regiert man die verschiede-nen Gruppen, die Städte, die Staaten, wie regiert manseinen eigenen Körper, wie regiert man seinen eige-nen Geist? Wie regiert man? - ich glaube, daß daseine der grundlegenden Fragen des 15 . und 16. Jahr-hunderts gewesen ist . Auf diese grundlegende Fragehat die Vervielfältigung aller Regierungskünste - derpädagogischen Kunst, der politischen Kunst, der öko-nomischen Kunst - sowie die Vervielfältigung allerRegierungseinrichtungen geantwortet - in dem weitenSinn, den das Wort Regierung damals hatte .

Doch kann von dieser Regierungsentfaltung, diemir für die Gesellschaften des europäischen Abend-landes im 16. Jahrhundert charakteristisch erscheint,die Frage, "wie man denn nicht regiert wird", nicht ge-trennt werden . Damit will ich nicht sagen, daß sich derRegierungsintensivierung direkt die konträre Behaup-tung entgegengesetzt hätte : "Wir wollen nicht regiertwerden und wir wollen rein gar nicht regiert werden!"Ich will sagen, daß sich in jener großen Unruhe umdie Regierung und die Regierungsweisen auch dieständige Frage feststellen läßt : "Wie ist es möglich,daß man nicht derartig, im Namen dieser Prinzipiena, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren

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se: daß es sich zu seinem Heil lenken lassen müsseund zwar von jemandem, mit dem es in einem umfas-senden und zugleich peniblen Gehorsamsverhältnisverbunden sei. Und diese Operation der Lenkung zumHeil in einem Gehorsamsverhältnis mit jemandemmuß sich in einem dreifachen Verhältnis zur Wahrheitvollziehen: Wahrheit verstanden als Dogma ; Wahrheitauch insofern, als diese Lenkung eine spezielle undindividualisierende Erkennung der Individuen impli-ziert

; und schließlich auch insofern, als diese Lenkungsich als eine reflektierte Technik entpuppt, die allge-meine Regeln, besondere Erkenntnisse, Vorschriftenund Methoden für Untersuchungen, Geständnisse,Gespräche usw. enthält. Man darf nicht vergessen,daß es die Gewissensführung war, die man jahrhun-dertelang in der griechischen Kirche

techne technonund in der römischen Kirche ars artium nannte: es wardie Kunst, die Menschen zu regieren. Gewiß ist dieseRegierungskunst lange Zeit, auch noch in der mittel-alterlichen Gesellschaft, relativ beschränkt geblieben :gebunden an die klösterliche Existenz, praktizierthauptsächlich von besonderen geistlichen Gruppen .Aber ich glaube, daß es vom 15

. Jahrhundert an, be-reits vor der Reformation, eine wirkliche Explosion derMenschenregierungskunst gegeben hat - Explosion ineinem zweifachen Sinne. Zunächst ist diese Kunstüber ihre religiöse Herkunft hinausgegangen : sie hatsich also laisiert und in der zivilen Gesellschaft ausge-

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regiert wird - daß man nicht so und nicht dafür undnicht von denen da regiert wird?" Wenn man dieseBewegung der Regierbarmachung der Gesellschaftund der Individuen historisch angemessen einschätztund einordnet, dann kann man ihm, glaube ich, daszur Seite stellen, was ich die kritische Haltung nenne .Als Gegenstück zu den Regierungskünsten, gleichzei-tig ihre Partnerin und ihre Widersacherin, als Weiseihnen zu mißtrauen, sie abzulehnen, sie zu begrenzenund sie auf ihr Maß zurückzuführen, sie zu transfor-mieren, ihnen zu entwischen oder sie immerhin zuverschieben zu suchen, als Posten zu ihrer Hinhal-tung und doch auch als Linie der Entfaltung der Re-gierungskünste ist damals in Europa eine Kulturformentstanden, eine moralische und politische Haltung,eine Denkungsart, welche ich nenne : die Kunst nichtregiert zu werden bzw . die Kunst nicht auf diese Wei-se und um diesen Preis regiert zu werden . Als ersteDefinition der Kritik schlage ich also die allgemeineCharakterisierung vor: die Kunst nicht dermaßenregiert zu werden .

Sie mögen mir sagen, daß diese Definition ziem-lich allgemein, vage und unbestimmt ist . Gewiß! Trotz-dem glaube ich, daß sie es möglich macht, einigehistorische Anhaltspunkte für die von mir so genanntekritische Haltung zu fixieren :

1 . Erster . Anhaltspunkt : in einer Epoche, in der dieMenschenregierung wesentlich eine geistliche Kunst

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war bzw. eine religiöse Praktik, die an die Autorität derKirche, an das Lehramt der Heiligen Schrift gebundenwar, lief der Wille, nicht dermaßen regiert zu werden,darüber, daß man zur Heiligen Schrift ein anderesVerhältnis suchte als dasjenige, das mit der Lehre vonGott verbunden war; nicht regiert werden wollen hießdas kirchliche Lehramt verweigern, zurückweisen odereinschränken; es hieß zur Heiligen Schrift zurückkeh-

ren; es hieß sich fragen, was in der Schrift authentischist, was in der Schrift tatsächlich geschrieben wordenIst, welche Art von Wahrheit von der Schrift gesagtwird, wie man den Zugang zu dieser Wahrheit derSchrift in der Schrift und vielleicht trotz des Geschrie-benen findet; schließlich hieß es sogar zu der einfa-chen Frage vordringen : Ist die Schrift wahr? Von John

Wiclif bis zu Pierre Bayle hat sich die Kritik zu einembeträchtlichen Teil im Verhältnis zur Heiligen Schrift

entwickelt. Die Kritik Ist historisch gesehen biblisch .

2. Zweiter Anhaltspunkt : nicht regiert werden wol-len, nicht dermaßen regiert werden wollen, das heißtauch, diese Gesetze da nicht mehr annehmen wollen,weil sie ungerecht sind, weil sie unter ihrer Altehrwür-digkeit oder unter dem bedrohlichen Glanz, den ihnender heutige Souverän verleiht, eine wesenhafte Un-rechtmäßigkeit bergen. Unter diesem Gesichtspunkt

heißt also Kritik : der Regierung und dem von ihr ver-tangten Gehorsam universale und unverjährbare

Rechte entgegensetzen, denen sich jedwede Regie-

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stehungsherd der Kritik im wesentlichen das Bün-- ider Beziehungen zwischen der Macht, der Wahr-heit und dem Subjekt ist . Wenn es sich bei der Regie-rungsintensivierung darum handelt, in einer sozialenPraxis die Individuen zu unterwerfen - und zwar durchMachtmechanismen, die sich auf Wahrheit berufen,dann würde ich sagen, ist die Kritik die Bewegung, inweicher sich das Subjekt das Recht herausnimmt, dieWahrheit auf ihre Machteffekte hin zu befragen unddie Macht auf ihre Wahrheitsdiskurse hin . Dann ist dieKritik die Kunst der freiwilligen Unknechtschaft, derreflektierten Unfügsamkeit . In dem Spiel, das man diePolitik der Wahrheit nennen könnte, hätte die Kritik dieFunktion der Entunterwerfung .

Obwohl diese Definition bloß empirisch und ziem-lich ungenau ist, maße ich mir an zu denken, daß sienicht weit entfernt ist von jener Definition, die Kantgegeben hat: allerdings nicht von der Kritik sondernvon der Aufklärung' . Tatsächlich hat Kant in seinemText von 1784 Was ist Aufklärung? die Aufklärung imVerhältnis zu einem Zustand der Unmündigkeit defi-niert, in welchem die Menschheit - autoritärerweise -gehalten werde . Zweitens hat er diese Unmündigkeitals eine gewisse Unfähigkeit charakterisiert, in der dieMenschheit gehalten werde : die Unfähigkeit, sichseines eigenen Verstandes ohne die Leitung einesanderen zu bedienen - er verwendet das Wort leiten,

Aufklärung im Original immer deutsch

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rung,handle es sich um den Monarchen, um das Ge-

richt, um den Erzieher, um den Familienvater, unter-werfen muß

. Wir haben es hier mit dem Problem desNaturrechts zu tun .

Das Naturrecht ist gewiß keine Erfindung der Re-naissance. Aber es hat seit dem 16 . Jahrhundert einekritische Funktion angenommen, die es immer behal-ten wird

. Auf die Frage "Wie nicht regiert werden?"antwortet es: "Welches sind die Grenzen des Rechts

zu regieren?" Hier ist die Kritik wesentlich juridisch .3. "Nicht regiert werden wollen" heißt schließlichauch: nicht als wahr annehmen, was eine Autorität alswahr ansagt, oder jedenfalls nicht etwas als wahrannehmen, weil eine Autorität es als wahr vorschreibt

.Es heißt: etwas nur annehmen, wenn man die Grün-de es anzunehmen selber für gut befindet

. DiesesMal geht die Kritik vom Problem der Gewißheit gegen-über der Autorität aus .

Die Bibel, das Recht, die Wissenschaft; die Schrift,die Natur, das Verhältnis zu sich

; das Lehramt, dasGesetz, die Autorität des Dogmatismus

. Man sieht,wie das Spiel zwischen der Regierungsintensivierungund der Kritik zu Phänomenen geführt hat, die in derGeschichte der abendländischen Kultur sehr wichtigsind

: sei es für die Entwicklung der philologischenWissenschaften, sei es für die Entwicklung der Refle-xion, der juridischen Analyse sowie der methodologi-schen Reflexion

. Vor allem aber sieht man, daß der

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das einen historisch bestimmten religiösen Sinn hat .Drittens glaube ich, ist es charakteristisch, daß Kantdiese Unfähigkeit durch eine . bestimmte Beziehungzwischen einer übermäßigen Autorität, welche 'dieMenschheit in dem Zustand der Unmündigkeit halte,und andererseits einem Mangel an Entschlossenheitund Mut definiert hat. Folglich ist diese Definition derAufklärung nicht einfach eine historische und spekula-tive Definition, sondern etwas was man beinahe einePredigt nennen könnte - oder sagen wir: einen Appellan den Mut. Man darf nicht vergessen, daß es einZeitschriftenartikel war. Es wären die Beziehungenzwischen der Philosophie und dem Journalismus seitdem Ende des 18 . Jahrhunderts zu untersuchen . . . essei denn, sie sind schon untersucht, aber ich bin nichtsicher. Es ist sehr interessant zu sehen, von welchemMoment an die Philosophen in den Zeitungen auftau-chen, um etwas zu sagen, was für sie philosophischinteressant ist und was sich doch - mit Appell-Effekten- an die Öffentlichkeit richtet. Und schließlich ist escharakteristisch, daß Kant in dem Text zur Aufklärungals Beispiele für die Unmündigkeit, aus der die Aufklä-rung die Menschen ausgehen lassen sollte, die Berei-che der Religion, des Rechts und der Erkenntnisnennt. Was Kant als Aufklärung beschrieben hat, isteben das, was ich als Kritik charakterisiere : als diekritische Haltung, die man im Abendland als besonde-re Haltung neben dem großen historischen Prozeß

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der Regierbarmachung der Gesellschaft auftauchensieht. Wie definiert nun Kant die Kritik im Verhältniszur Aufklärung - deren Devise (Kant erinnert daran)"sapere aude" lautet, der wiederum die Stimme Fried-richs II . kontrapunktisch gegenübersteht : "Räsonniert,so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt; abergehorcht!"? Ich maße mir nicht an, Kants kritischesProjekt in seiner philosophischen Strenge zu bestim-men - schon gar nicht vor einem solchen Auditoriumvon Philosophen, wo ich doch selber kein Philosophbin, vielleicht gerade noch ein Kritiker . . . Aber wie kannman die eigentliche Kritik im Verhältnis zu jenerAufklärung situieren? Wenn Kant die gesamte vor-angegangene kritische Bewegung als Aufklärungbezeichnet - wie situiert er dann das, was er selberunter Kritik versteht? Im Verhältnis zur Aufklärung istdie Kritik für Kant das, was er zum Wissen sagt : Weißtdu auch, wie weit du wissen kannst? Räsonniere soviel du willst - aber weißt du denn, bis wohin du ohneGefahr räsonnieren kannst? Die Kritik also wirdsagen : um unsere Freiheit geht es weniger in dem,was wir mit mehr oder weniger Mut unternehmen alsvielmehr in der Idee, die wir uns von unserer Erkennt-nis und ihren Grenzen machen, und folglich brauchtman sich nicht von einem anderen "Gehorcht!" sagenlassen, um das Prinzip der Autonomie zu entdecken,vielmehr hat man sich von seiner eigenen Erkenntniseine richtige Idee zu machen. Dann wird das "Ge-

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horcht!"auf der Autonomie selbst gegründet sein .Ich möchte hier nicht den Gegensatz aufzeigen,

den es bei Kant zwischen der Analyse der Aufklärungund dem Projekt der Kritik geben mag . Es ließe sichleicht zeigen, daß für Kant selber jener wahre Mut zuwissen, den die Aufklärung errufen wollte, daß ebenjener Mut zum Wissen darin besteht, die GenzenderErkenntnis zu erkennen; und es ließe sich leicht zei-gen, daß für ihn die Autonomie keineswegs demGehorsam gegenüber den Souveränen entgegen-steht. Dennoch bleibt es wahr, daß Kant dem kriti-schen Unternehmen der Entunterwerfung gegenüberdem Spiel der Macht und der Wahrheit als vorgängigeAufgabe - als Prolegomenon zu jeder gegenwärtigenund künftigen Aufklärung- die Erkenntnis der Erkennt-nis aufbürdet .

Bei Kant sind also Aufklärungund Kritik dergestalt ge-geneinander verschoben - doch möchte ich nicht da-bei verweilen. Ich will nur auf den historischen Aspektdes Problems eingehen, das sich aus dem ergibt, wasim 19. Jahrhundert passiert ist . Die Geschichte des19 . Jahrhunderts hat der Unternehmung der Kritik, dieKant selber hinter der Aufklärung angesetzt hatte, einstärkeres Weiterleben verschafft als der Aufklärungselbst. Die Geschichte des 19. Jahrhunderts - und

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erst recht die des 20 . Jahrhunderts - schien Kant inso-fern recht geben zu müssen, als sie jene neue kriti-sche Haltung konkretisiert hat, die Kant Im Rückstandzur Aufklärung eröffnet hatte .

Die geschichtliche Entfaltung, die der kantischenKritik In weit höherem Ausmaß beschieden war alsdem Mut der Aufklärung, vollzog sich auf drei Linien .Erstens war es die positivistische Wissenschaft, d .h .eine Wissenschaft, die ein vollständiges Vertrauen zusich hatte, wofern sie gegenüber jedem ihrer Ergeb-nisse sorgfältig kritisch war . Zweitens die Entwicklungeines Staates oder eines staatlichen Systems, dassich selbst als grundlegende Vernunft oder Rationali-tät der Geschichte ausgab und dessen Methoden Ra-tionalisierungen der Wirtschaft und der Gesellschaftwaren. Drittens entstand schließlich an der Nahtstellezwischen diesem wissenschaftlichen Positivismus unddieser Staatenentwicklung eine Staatswissenschaftoder ein "Etatismus" . Zwischen ihnen knüpft sich einNetz von engen Beziehungen, insofern die Wissen-schaft für die Entfaltung der Produktivkräfte immerbestimmender wird und zum anderen die Staatsge-walten sich in immer raffinierter werdenden Technikenvollziehen. Deswegen nimmt die Frage von 1784"Was ist Aufklärung?" oder vielmehr die Art und Wei-se, in der Kant mit seiner Stellungnahme sein kriti-sches Unternehmen situiert, nimmt also die Problema-tisierung der Beziehungen zwischen Aufklärung und

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Kritik die Form eines Mißtrauens, jedenfalls eines Ver-dachts an ; für welche Machtsteigerungen, für welcheRegierungsentfaltung, die umso unabwendbarer sindals sie sich auf Vernunft berufen, ist diese Vernunftselbst historisch verantwortlich?

Die Entwicklung dieser Frage war in Deutschlandund in Frankreich nicht die gleiche - und zwar aushistorischen Gründen, die analysiert werden müßten,weil sie komplex sind .

Man könnte etwa folgendes sagen : weniger auf-grund einer jüngeren Entwicklung eines neuen undvernünftigen Staates in Deutschland als vielmehr auf-grund einer alten Zugehörigkeit der Universitäten zurWissenschaft' und zu den administrativen und staatli-chen Strukturen hat sich der Verdacht, daß etwas inder Rationalisierung und vielleicht gar in der Vernunftselbst für den Machtexzeß verantwortlich ist, hat sichalso dieser Verdacht vor allem in Deutschland und dawiederum vor allem in einer deutschen Linken ent-wickelt. Von der hegelschen Unken bis zur FrankfurterSchule hat es eine ganze Kritik des Positivismus, desObjektivismus, der Rationalisierung, der techne undder Technisierung gegeben, eine Kritik der Beziehun-gen zwischen dem Fundamentalprojekt der Wissen-schaft und der Technik, die zeigen möchte, wie einenaive Anmaßung der Wissenschaft mit den eigentüm-lichen Herrschaftsformen der zeitgenössischen

Im Original deutsch

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sellschaft verknüpft ist. Um ein Beispiel zu nennen,das von einer linken Kritik weit entfernt ist, erinnereich daran, daß Husserl im Jahre 1936 die aktuelle Kri-se der europäischen Menschheit auf das Problem derBeziehungen der Erkenntnis zur Technik, der episte-me zur techne bezog .

In Frankreich waren die Bedingungen der Aus-übung der Philosophie und der politischen Reflexionganz andere und deswegen scheint die Kritik deranmaßenden Vernunft und ihrer spezifischen Macht-wirkungen nicht in derselben Weise geleistet wordenzu sein. Im 19. und 20. Jahrhundert findet sich ebendiese historische Beschuldigung der Vernunft oder derRationalisierung wegen ihrer Machtwirkungen auf sei-ten eines Denkens, das politisch rechts steht. InFrankreich hat die Verbindung von Aufklärung undRevolution zweifellos verhindert, daß diese Beziehungzwischen der Rationalisierung und der Macht wirklichgründlich in Frage gestellt worden ist. Vielleicht hatauch die Tatsache, daß die Reformation, die in ihrenfrühesten Wurzeln die erste kritische Bewegung alsKunst, sich nicht regieren zu'Iassen, gewesen ist, hatalso die Tatsache, daß die Reformation In Frankreichnicht die Tragweite und den Erfolg gehabt hat wie inDeutschland, dazu geführt, daß in Frankreich dieserBegriff der Aufklärung mit allen seinen Problemstel-lungen nicht eine so weitreichende und andauerndeBedeutung gehabt hat wie in Deutschland . In Frank-

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reich hat man den Philosophen des 18 . Jahrhundertseine gewisse politische Wertschätzung entgegenge-bracht und gleichzeitig hat man das Denken der Auf-klärung als eine mindere Episode in der Geschichteder Philosophie disqualifiziert . In Deutschland hin-gegen wurde die Aufklärung immer als eine wichtigeEpisode betrachtet - sei es im positiven oder im nega-tiven Sinn : als eine eklatante Manifestation der abend-ländischen Vernunft. In der Aufklärung und in der ge-samten Periode vom 16. bis zum 18 . Jahrhundert, dieder Aufklärung zugrundeliegt, identifizierte und analy-sierte man die markanteste Linie der abendländischenVernunft, während die mit ihr verbundene Politik miß-trauisch beäugt wurde . Das ist der Chiasmus, der dieStellung des Problems der Aufklärung im 19. und inder ersten Hälfte des 20 . Jahrhunderts in Frankreichund in Deutschland charakterisiert .

Nun hat sich, glaube ich, die Situation in Frank-reich im Laufe der letzten Jahre geändert . Und dasProblem der Aufklärung (wie es für das deutsche Den-ken seit Mendelssohn, Kant und über Hegel, Nietz-sche, Husserl, die Frankfurter Schule usw . wichtiggewesen ist) kann nun in Frankreich in einer bemer-kenswerten Nachbarschaft zu den Arbeiten der Frank-furter Schule aufgegriffen werden. Uns ist diese Fragenach der Aufklärung - und das ist kaum verwunderlich- durch die Phänomenologie und die von ihr aufgewor-fenen Probleme nahegebracht worden . Sie ist uns

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wieder nahegelegt worden durch die Frage nach demSinn und nach dem, was den Sinn konstituieren mag :Wie ist es möglich, daß es Sinn gibt aufgrund vonNicht-Sinn? Wie kommt der Sinn zustande? Eine Fra-ge, die offensichtlich komplementär ist zu jener ande-ren: Wie kommt es, daß die große Bewegung derRationalisierung uns zu so viel Lärmen und Toben, zuso viel Schweigen und düsterem Mechanismus geführthat? Man darf ja nicht vergessen, daß Der Ekel undDie Krisis nur wenige Monate auseinanderliegen . Undnach dem Krieg hat sich durch die Analyse der Tat-sache, daß sich der Sinn dank Zwangssystemen derSignifikanten-Maschinerie konstituiert, durch die Ana-lyse der Tatsache, daß es Sinn nur dank den Zwangs-wirkungen von Strukturen gibt, hat sich also in einersonderbaren Abkürzung das Problem zwischen ratiound Macht wiedereingestellt. Ich glaube auch (dazuwäre gewiß eine Untersuchung nötig), daß die Analy-sen der Geschichte der Wissenschaften, diese ganzeProblematisierung der Geschichte der Wissenschaf-ten (die ebenfalls in der Phänomenologie wurzelt undin Frankreich mit Cavaillös, mit Bachelard, mit Geor-ges Canguilhem einen ganz anderen Weg eingeschla-gen hat), mir scheint also, daß das historische Pro-blem der Geschichtlichkeit der Wissenschaften einigeAnalogien zum Problem der Sinnkonstituierung auf-weist (wenn sie nicht gar ein Echo dazu bildet) : Wieentsteht, wie formiert sich diese Rationalität aus etwas

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anderem? Also die Gegenfrage und die Umkehrfragezum Problem derAufkläryna:

kom es, daß diezur Raseronalisierun Macht führt?

Mir nt, daß diese Untersuc ungen über dieKonstituierung des Sinnes mit der .Entdeckung, daßsich der Sinn den Zwangsstrukturen des Signifikantenverdankt, sowie die Analysen der Geschichte der wis-senschaftlichen Rationalität mit den Zwangswirkun-gen, die an ihre Institutionalisierung sowie an dieModellbildung geknüpft sind, daß also alle diese histo-rischen Forschungen mit dem schmalen Licht eineruniversitären Schießscharte die aktuelle Grundbewe-gung unserer Geschichte getroffen haben. Wie sehrman uns auch eingeredet hat, daß es unserer gesell-schaftlichen oder wirtschaftlichen Organisation an Ra-tionalität mangelt : tatsächlich fanden wir uns vor ichweiß nicht zu viel oder zu wenig Vernunft - jedenfallsgewiß vor zu viel Macht ; wie sehr wir auch die Ver-heißungen der Revolution angepriesen haben : ichweiß nicht, ob die Revolution dort, wo sie stattgefun-den hat, gut oder böse ist - auf jeden Fall fanden wiruns vor der Beharrlichkeit einer Macht, die sich endloshielt; und wie sehr wir auch den Gegensatz zwischenden Ideologien der Gewalt und der wahren wissen-schaftlichen Theorie der Gesellschaft, des Proletariatsund der Geschichte verkündet haben : wir haben unsmit zwei Machtformen konfrontiert gesehen, die sichglichen wie zwei Brüder : Faschismus und Stalinismus .

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Folglich die Wiederkehr der Frage "Was ist Aufklä-rung?" und die Reaktivierung der Probleme, welcheMax Webers Analysen markiert haben: Wie steht esmit der Rationalisierung, die seit dem 16 . Jahrhundertnicht nur das Denken und die Wissenschaft desAbendlandes charakterisiert, sondern auch die gesell-schaftlichen Beziehungen, die staatlichen Organisatio-nen, die wirtschaftlichen Praktiken und sogar dasVerhalten der Individuen? Wie steht es mit der Ratio-nalisierung, die zu Zwangswir unge un vielleicht zuVernebelungseffekten führt, während sie in zuneh-mendem Maße und ohne radikale Bestreitung einumfassendes wissensc aftliches und technischesSystemimplantier_

Die Frage "Was ist Aufklärung?" ist ein Problem,dessen wir uns in Frankreich endlich anzunehmenhaben. Man kann sich seiner auf unterschiedlichenWegen annehmen. Deswegen ist der Weg, den icheinschlagen will, keineswegs von Polemik oder Kritikbestimmt - ich möchte, daß Sie mir das glauben . Ausden beiden eben genannten Gründen suche ich ledig-lich die Unterschiede zu markieren und ich möchtesehen, wie weit man die verschiedenen Formen derAnalyse des Problems der Aufklärung, das vielleichtdas Hauptproblem der modernen Philosophie ist, ver-vielfältigen, voneinander absetzen und ablösen kann .

Indem ich mich diesem Problem nähere, das unsin eine Position der Brüderlichkeit gegenüber der

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Frankfurter Schule setzt, möchte ich bemerken, daßes einige Implikationen gibt, wenn man aus der Auf-klärung die zentrale Frage macht . Es bedeutet zu-nächst einmal, daß man sich auf eine Praktik einläßt,die man eine historisch-philosophische nennen könnte- die aber weder mit der Philosophie der Geschichtenoch mit der Geschichte der Philosophie etwas zu tunhat. Diese historisch-philosophische Praktik ist einephilosophische Arbeit, deren Erfahrungsbereich keinfestgelegter und exklusiver ist. Es handelt sich nichtum die innere Erfahrung, nicht um die grundlegendenStrukturen der wissenschaftlichen Erkenntnis undauch nicht um historische Inhalte, die von den Histori-kern bereits als fertige Tatsachen ausgearbeitet undakzeptiert sind . Vielmehr geht es in. dieser historisch-philosophischen Praktik darum, sich seine eigeneGeschichte zu machen: gleichsam fiktional dieGeschichte zu fabrizieren, die von der Frage nach denBeziehungen zwischen den Rationalitätsstrukturendes wahren Diskurses und den daran geknüpftenUnterwerfungsmechanismen durchzogen ist - welcheFrage die den Historikern vertrauten historischen Ge-genstände zum Problem des Subjekts und der Wahr-heit hin verschiebt, um das sich die Historiker nichtkümmern. Desgleichen verleiht diese Frage der philo-sophischen Arbeit, dem philosophischen Denken, derphilosophischen Analyse empirische Gehalte, die vonihr selber gezeichnet worden sind . Deswegen pflegen

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die Historiker angesichts dieser historischen oder phi-losophischen Arbeit zu sagen: "Ja, Ja, gewiß, magsein . .." Jedenfalls ist es nie das, was es sein soll - auf-grund der Verwirrung, die sich der Verschiebung zumSubjekt und zur Wahrheit hin verdankt . Und die Philo-sophen, wenn sie nicht gerade die beleidigten Perl-hühner spielen, pflegen zu denken : "Die Philosophieist allerdings doch etwas ganz anderes!" So denkensie aufgrund dieses Falles, dieses Abfalles in eineEmpirizität, die sich gleichwohl auf keine innere Erfah-rung berufen kann .

Gestehen wir diesen seitlichen Stimmen dieBedeutung zu, die sie haben - und sie ist groß. Siezeigen mindestens negativ an, daß man auf dem rich-tigen Wege ist: daß man anläßlich der historischenInhalte, die man bearbeitet und an die man gebundenist, weil sie wahr sind oder als wahr gelten, die Fragestellt: was bin denn nun eigentlich ich, der ich zu die-ser Menschheit gehöre, zu dieser Franse, zu diesemMoment, zu diesem Augenblick von Menschheit, derder Macht der Wahrheit im allgemeinen und derWahrheiten im besonderen unterworfen ist? Die philo-sophische Frage durch den Rekurs auf den histori-schen Gehalt entsubjektivieren, die historischen Inhal-te durch die Befragung der Machteffekte, mit denensie von ihrer Wahrheit ausgestattet werden, losma-chen: das ist die erste Charakteristik dieser historisch-philosophischen Praktik. Zum anderen steht diese

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darum gehen zu sagen, daß die Griechen des 5 . Jahr-hunderts ein bißchen wie die Philosophen des 18 .Jahrhunderts sind oder daß das 12 . Jahrhundertbereits eine Art Renaissance-war, sondern darum, zuversuchen zu sehen, unter welchen Bedingungen, umden Preis welcher Modifizierungen oder Generalisie-rungen man diese Frage der Aufklärung, diese Frageder Beziehungen der Mächte, der Wahrheit und desSubjekts auf irgendeinen Moment der Geschichteanwenden kann .

Das ist der allgemeine Rahmen dieser Forschung,die ich die historisch-philosophische nenne . Und nunzur Art ihrer Durchführung .

Ich sagte eben, daß ich andere mögliche Wege alsdie bisher am häufigsten begangenen andeuten woll-te. Das heißt keineswegs, daß ich diese bezichtigenwill, zu nichts zu führen oder kein brauchbares Ergeb-nis zu zeitigen. Ich wollte nur dies sagen und nahele-gen: mir scheint, daß diese Frage der Aufklärung seitKant, wegen Kant und wahrscheinlich wegen seinerAuseinanderschiebung von Aufklärung und Kritik imwesentlichen als Problem der Erkenntnis eingeführtwurde: man ging von der historischen Bestimmungder Erkenntnis im Moment der Konstituierung der mo-dernen Wissenschaft aus ; man suchte nach dem, was

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historisch-philosophische Praktik offensichtlich ineinem privilegierten Bezug zu einer empirisch be-stimmbaren Epoche : auch wenn sie nicht vollständigdefinierbar ist, wird diese Epoche als Formierungsmo-ment der modernen Menschheit bezeichnet, als Auf-klärung in dem weiten Sinn, in dem Kant oder Webersich auf sie bezogen . Es ist eine Periode ohne festeDatierung und mit vielfältigen Eingängen, denn mankann sie ebenso durch die Formierung des Kapitalis-mus, die Konstituierung der bürgerlichen Welt, die In-stallierung der staatlichen Systeme, die Gründung dermodernen Wissenschaft mitsamt ihren technischenEntsprechungen, die Organisation eines Gegenüberzwischen der Kunst regiert zu werden und der Kunstnicht dermaßen regiert zu werden definieren . Darausergibt sich für die historisch-philosophische Arbeiteine faktische Privilegierung dieser Periode : denn daentstehen direkt und an der Oberfläche sichtbarerTransformationen die Beziehungen zwischen Macht,Wahrheit und Subjekt, die es zu analysieren gilt. Privi-legiert aber ist diese Periode auch insofern, als von-daaus die Matrix zu entwickeln ist, mit der andere mögli-che Bereiche behandelt werden können . Man stößtnicht auf das Problem der Aufklärung, weil man das18. Jahrhundert privilegiert, weil man sich für es inter-essiert. Sondern weil man das Problem Was ist Auf-klärung? gründlich aufwerfen will, stößt man auf dashistorische Schema unserer Modernität . Es wird nicht

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chung. Verzeihen Sie das schreckliche Wort! Unterdem Verfahren der Ereignishaftmachung verstehe ich- mögen auch die Historiker vor Entsetzen aufschreien- etwa folgendes : zunächst nimmt man sich Mengenvon Elementen vor, bei denen man empirisch und vor-läufig Verschränkungen von Zwangsmechanismenund Erkenntnisinhalten feststellen kann . Unterschiedli-che Zwangsmechanismen, vielleicht auch Gesetz-gebungs- und Reglementierungsvorgänge, materielleDispositive, Autoritätsphänomene usw . ; arm-Erkenntnisinhalte werden in ihrer Mannigfaltigkeit undHeterogenität aufgegriffen und sie werden auf dieMachteffekte hin untersucht, deren Träger sie als gül-tige Elemente eines . Erkenntnissystems sind . Manmöchte nicht wissen, was wahr oder falsch, begründetoder nicht begründet, wirklich oder illusorisch, wissen-schaftlich oder ideologisch, legitim oder mißbräuchlichist. Man möchte wissen, welche Verbindungen, wel-che Verschränkungen zwischen Zwangsmechanismenund Erkenntniselementen aufgefunden werden kön-nen, welche Verweisungen und Stützungen sich zwi-schen ihnen entwickeln, wieso ein bestimmtesErkenntniselement - sei es wahr oder wahrscheinlichoder ungewiß oder falsch - Machtwirkungen hervor-bringt und wieso ein bestimmtes Zwangsverfahren Irationale, kalkulierte, technisch effiziente Formen undRechtfertigungen annimmt .

Auf diesem ersten Niveau wird also nicht die

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bereits in dieser Bestimmung auf die endlosen Macht-effekte hindeutete, mit denen sie durch Objektivismus,Positivismus, Technizismus usw . verbunden sein soll-te; man bezog diese Erkenntnis auf die Konstitule-rungs- und Legitimitätsbedingungen jeder möglichenErkenntnis und schließlich untersuchte man, wie sich .in der Geschichte das Heraustreten aus der Legitimi-tät vollzogen hat (Illusion, Irrtum, Vergessen, Ver-dec kung usw.). Dieses Analyse-Verfahren scheint mirdurch die von Kant eingeführte Verschiebung der Kri-tikgegenüber der Aufklärung motiviert zu sein . Seitherist diese Analyse-Prozedur am häufigsten befolgt wor-den : eine Legitimitätsprüfung der geschichtlichenErkenntnisweisen . Sie findet sich bei gewissen Philo-sophen des 18 . Jahrhunderts, bei Dilthey, Habermasusw. Ihre Fragestellung lautet : welche falsche Ideehat sich die Erkenntnis von sich selbst gemacht, wel-chem exzessiven Gebrauch sah sie sich ausgesetztund an weiche Herrschaft fand sie sich folglich gebun-den?

Anstatt dieser Prozedur, welche die Form einerLegitimitätsprüfung der historischen Erkenntnisweisenannimmt, könnte man vielleicht eine andere Vor-gangsweise ins Auge fassen . Anstatt über das Pro-blem der Erkenntnis könnte diese über das Problemder Macht in die Frage der Aufklärung einsteigen ; siewürde nicht als Legitimitätsprüfung vorgehen, sondernals Ereignishaftigkeitsprüfung oder Ereignishaftma-

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Machtmechanismus präzis bezeichnen können ; nie-mals darf sich die Ansicht einschleichen, daß ein Wis-sen oder eine Macht existiert - oder gar das Wissenoder die Macht, welche selbst agieren würden. Wis-sen und Macht - das ist nur ein Analyseraster. Unddieser Raster ist nicht aus zwei einander fremden Ka-egorien zusammengesetzt - dem Wissen einerseitsund der Macht andererseits (wie die gerade gebrauch-ten Formulierungen nahelegten) . Denn nichts kann alsWissenselement auftreten, wenn es nicht mit einemSystem spezifischer Regeln und Zwänge konformgeht - etwa mit dem System eines bestimmten wis-senschaftlichen Diskurses in einer bestimmten Epo-che, und wenn es nicht andererseits, gerade weil eswissenschaftlich oder rational oder einfach plausibelIst, zu Nötigungen oder Anreizungen fähig ist . Umge-kehrt kann nichts als Machtmechanismus funktionie-ren, wenn es sich nicht in Prozeduren und Mittel-Zweck-Beziehungen entfaltet, welche in Wissens-systemen fundiert sind . Es geht also nicht darum, zubeschreiben, was Wissen ist und was Macht ist undwie das eine das andere unterdrückt oder mißbraucht, 'sondern es geht darum, einen Nexus von Macht-Wissen zu charakterisieren, mit dem sich die Akzepta -,bilität eines Systems - sei es das System der Geisteskrankheit, der Strafjustiz, der Delinquenz, der Sexuali {tat usw. - erfassen läßt.

Von der empirischen Beobachtbarkeit - für uns

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Scheidelinie zwischen Legitimität und Illegitimität ge-zogen und ebensowenig diejenige zwischen Irrtumund Wahrheit .

Deswegen kann man auf diesem Niveau zweiWorte verwenden, die nicht Entitäten, Mächte oder soetwas wie Transzendentalien zu bezeichnen haben :sie sollen nur hinsichtlich ihrer Referenzgebiete einensystematischen Wertentzug vornehmen: eine Neutrali-sierung in Sachen Legitimität und eine Beleuchtungihrer jeweiligen Akzeptabilffät und ihrer tatsächlichenAkzeptanz. Das Wort Wssenwird also gebraucht, umalle Erkenntnisverfahren und -wirkungen zu bezeich-nen, die in einem bestimmten Moment und in einembestimmten Gebiet akzeptabel sind . Und zweitenswird der Begriff Macht gebraucht, der viele einzelne,definierbare und definierte Mechanismen abdeckt, diein der Lage scheinen, Verhalten oder Diskurse zu in-duzieren. Offensichtlich haben diese beiden Begriffenur eine methodologische Funktion : mit ihnen sollennicht allgemeine Wirklichkeitsprinzipien ausfindiggemacht werden, es soll gewissermaßen die Analyse-front, es soll der relevante Elemententyp fixiert wer-den. Auf diese Weise soll vermieden werden, daß vonvornherein die Perspektive der Legitimierung einge-führt wird - wie das die Begriffe Erkenntnis und Herr-schaft nahelegen. Jene beiden Worte sollen auch injedem Moment der Analyse einen bestimmten Inhalt,ein bestimmtes Wissenselement, einen bestimmten

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ständlich war, daß es durch kein Apriori vorgeschrie-ben war, daß es in keiner altehrwürdigen Traditionfestgeschrieben war. Die Akzeptabilitätsbedingungeneines Systems herausarbeiten und die Bruchlinienseines Auftauchens verfolgen - das sind die beidenkorrelativen Operationen. Es verstand sich keines-wegs von selbst, daß der Wahnsinn und die Geistes-krankheit sich im institutionellen und wissenschaftli-chen System der Psychiatrie überlagern ; es war auchnicht vorgegeben, daß die Strafverfahren, die Einsper-rung und die Besserungsdisziplinen sich in einemStrafjustizsystem zusammenfügen ; ebensowenig wares vorgegeben, daß das Verlangen, die Begehrlich-keit, das sexuelle Verhalten der Individuen sich ineinem Sexualität genannten Wissens- und Normali-tätssystem ineinander fügen. Die Auffindung der Ak-zeptabilität eines Systems ist nicht zu trennen von der .Auffindung der Akzeptanzschwierigkeiten: seiner Will-kürlichkeit (bezogetr auf Erkenntnis), seiner Gewalt-samkeit (bezogen auf Macht) - also seiner Energie .Also muß man diese Struktur in Betracht ziehen, umihre-Künstlichkeiten umso besser zu sehen .

Die zweite Konsequenz ist ebenfalls kostspieligund negativ und sie besteht darin, daß jene Ensem-bles nicht als Universalien analysiert werden, denendie Geschichte mit ihren besonderen Umständen ge-wisse Modifizierungen beibringt. Gewiß mögen vieleakzeptierte Elemente, mögen viele Akzeptabilitätsbe

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jetzt - zu seiner historischen Akzeptabilität - in einerbestimmten Epoche - geht der Weg über eine Analysedes Nexus von Macht-Wissen, der die Tatsache sei-nes Akzeptiertseins auf das hin verständlich macht,was es akzeptabel macht - nicht im allgemeinen son-dern eben dort, wo es akzeptiert ist : das heißt es inseiner Positivität erfassen . Es handelt sich also umein Verfahren, das sich nicht um die Legitimierungkümmert und das folglich den grundlegendenGesichtspunkt des Gesetzes eliminiert : es durchläuftden Zyklus der Positivität, indem es vom Faktum der

j Akzeptiertheit zum System der Akzeptabilität über-, geht, welches als Spiel von Macht-Wissen analysiertwird. Das ist in etwa das Niveau der Archäologie.

Zweitens ist nicht zu übersehen, daß diesem Typvon Analyse gewisse .Gefahren drohen, die als negati-ve und kostspielige Konsequenzen einer derartigenAnalyse erscheinen müssen .

Jene Positivitäten sind Ensembles, die sich nichtvon •se'lbst verstehen . Durch welche Gewohnheit oderdurch welche Abnutzung sie uns auch vertraut gewor-den sind, weiche Verblendungen auch von ihrenMachtmechanismen ausgehen mögen oder welcheRechtfertigungen sie auch hervorgebracht habenmögen: sie sind nicht kraft irgendeines ursprünglichenRechtes akzeptabel gemacht worden . Um zu erfas-sen, was sie akzeptabel gemacht hat, muß man her-vortreten lassen, daß das gerade nicht selbstver-

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nicht auf eine Spezies oder auf eine Wesenheitbezieht, sondern auf banale Akzeptabilitätsbedingun-gen, entfaltet ein Kausalnetz, das zugleich komplexund beschränkt ist - aber gewiß ganz andersartig istund nicht der Sättigung durch ein einheitliches tiefesund pyramidalisierendes nötigendes Prinzip bedarf .Es geht um die Schaffung eines Netzes, welches die-se Singularität da als einen Effekt verständlich macht :daher müssen die Beziehungen vervielfältigt werden,müssen die verschiedenen Typen von Beziehungen„die verschiedenen Verkettungsnotwendigkeiten dif-ferenziert werden, müssen die Interaktionen und diezirkulären Aktionen entziffert werden, müssen hetero-gene Prozesse in ihrer Überlagerung betrachtet wer-den. Also ist einer, solchen Analyse nichts fremder alsdie Verwertung der Kausalität . Aber es geht nichtdarum, verschiedene Phänomene auf eine Ursachezurückzuführen, sondern darum, eine singuläre Posi-tivität gerade in ihrer Singularität einsichtig zu ma-chen .

Im Gegensatz zur Zurückführung einer vielfältigenNachkommenschaft auf eine einzige gewichtige Ursa-che handelt es sich hier um eine Genealogie: es han-delt sich darum, die Erscheinungsbedingungen einerSingularität in vielfältigen bestimmenden Elementenausfindig zu machen und sie nicht als deren Produktsondern als deren Effekt erscheinen zu lassen . Alsoeine Einsichtigmachung - die aber nicht in der Art

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dingungen eine lange Karriere hinter sich haben : aberin der Analyse jener Positivitäten sind gewissermaßenreine Singularitäten zu erfassen: nicht die Inkamationeiner Wesenheit, nicht die Individualisierung einerSpezies. Eine Singularität wie der Wahnsinn in dermodernen abendländischen Welt, eine absolute Sin-gularität wie die Sexualität, eine absolute Singularitätwie das juridisch-moralische System unserer Strafen .

Kein Rekurs auf eine Grundlegung, keine Aus-flucht in eine reine Form : das ist einer der wichtigstenund anfechtbarsten Punkte dieses historisch-philoso-phischen Vorgehens . Wenn es weder in eine Ge-schichtsphilosophie noch in eine historische Analyseumkippen will, muß es sich im Immanenzfeld der rei-nen Singularitäten halten . Also Bruch, Diskontinuität,Singularität, reine Beschreibung, unbeweglichesTableau, keine Erklärung, kein Übergang - Sie kennenall das. Die Analyse jener Positivitäten gehört tatsäch-lich nicht zu den Erklärungsverfahren, die Kausalitätan drei Bedingungen knüpfen :

Erstens zielen sie auf eine tiefe und einzige letzteInstanz (Ökonomie für die einen, Demographie für dieanderen) ;

zweitens zielen sie pyramidalisierend auf den ein-zigen Ursprung ;

drittens impliziert ihre Kausalität eine gewisseUnausweichlichkeit oder Notwendigkeit . Die Analyseder Positivitäten hingegen, die reine Singularitäten

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einer Schließung vorgeht . Dies aus mehreren Grün-den.

Erstens weil die Beziehungen, die so einen singu-lären Effekt verständlich machen können, wenn schonnicht zur Gänze so doch in einem erheblichen Aus-maß Interaktionsbeziehungen zwischen Individuenoder Gruppen sind, d .h. sie implizieren Subjekte, Ver-haltenstypen, Entscheidungen, Optionen . Die Basisdieses Netzes einsichtiger Beziehungen findet manalso nicht in der Natur der Dinge, sondern in der eige-nen Logik eines Spiels von Interaktionsbeziehungenmit seinen ständig wechselnden Margen von Unge-wi ßheit .

Und die Genealogie geht nicht als Schließung vor,weil das Netz der Beziehungen, die eine Singularitätals Effekt einsichtig machen sollen, nicht eine einzigeEbene bildet . Es handelt sich um Beziehungen, diesich immer wieder voneinander loshaken . Die Logikder Interaktionen, die sich zwischen Individuen ab-spielen, kann einerseits die Regeln, die Besonderheitund die singulären Effekte eines bestimmten Niveauswahren und doch zugleich mit den anderen Elemen-ten eines anderen Interaktionsniveaus zusammen-spielen - dergestalt, daß keine dieser Interaktionen alsvorrangig oder absolut totalisierend erscheint . Jedekann in ein Spiel eintreten, das über sie hinausgeht ;und umgekehrt kann sich jede, wie lokal beschränktsie auch sein mag, auf eine andere auswirken, zu der

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sie gehört oder von der sie umgeben wird . Es handeltsich also, schematisch ausgedrückt, um eine immer-währende Beweglichkeit, um eine wesenhafte Zer-brechlichkeit : um eine Verstrickung zwischen Prozeß-erhaltung und Prozeßumformung . Hier geht es alsodarum, eine Form von Analysen zu entwickeln, dieman als strategische bezeichnen könnte .

Indem ich von Archäologie, von Strategie und vonGenealogie spreche, meine ich nicht drei Niveaus, dienacheinander und auseinander zu entwickeln sind .Vielmehr will ich drei simultane Dimensionen ein undderselben Analyse charakterisieren : drei Dimensio-nen, die gerade in ihrer Simultanität erfassen lassensollten, was es an Positivem gibt : welches die Bedin-gungen sind, die eine Singularität akzeptabel machen,die durch die Auffindung der Interaktionen und Strate-gien, in die sie sich integriert, einsichtig wird . Eine sol-che Forschung berücksichtigt . . . [ wegen Tonband-wechsels fehlen einige Sätze] . . . produziert sich alsEffekt und schließlich Ereignishaftmachung insofern,als man es mit etwas zu tun hat, dessen Stabilität,dessen Einwurzelung, dessen Fundierung nie einesolche ist, daß man nicht sein Verschwinden oderzumindest das Wodurch und das Woher seines mögli-chen Verschwindens denken kann .

Ich sagte eben, daß das Problem - anstatt in denBegriffen der Erkenntnis und der Legitimierung - überdie Macht und die Ereignishaftmachung aufzuwerfen

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wäre. Doch handelt es sich nicht darum, die Macht alsBeherrschung oder Herrschaft zu verstehen und soals Grundgegebenheit, als einziges Erklärungs- oderGesetzesprinzip gelten zu lassen ; vielmehr gilt es, siestets als eine Beziehung in einem Feld von Interaktio-nen zu betrachten, sie in einer unlöslichen Beziehungzu Wissensformen zu sehen und sie immer so zu den-ken, daß man sie in einem Möglichkeitsfeld und folg-lich in einem Feld der Umkehrbarkeit, der möglichenUmkehrung sieht .

Somit lautet die Frage nicht mehr : Welcher Irrtum,welche Illusion, welches Vergessen, welche Legitimi-tätsmängel haben die Erkenntnis dazu geführt, Herr-schaftswirkungen zu entfalten, wie sie in der moder-nen Welt der übermächtige Einfluß . . . [unhörbaresWort] manifestiert? Vielmehr wäre die Frage : Wiekann die Unlöslichkeit des Wissens und der Macht imSpiel der vielfältigen Interaktionen und Strategien zuSingularitäten führen, die sich aufgrund ihrer Akzepta-bilitätsbedingungen fixieren, und zugleich zu einemFeld von möglichen Öffnungen und Unentschieden-heiten, von eventuellen Umwendungen und Verschie-bungen, welches sie fragil und unbeständig macht,welche aus jenen Effekten Ereignisse machen, nichtmehr und nicht weniger als Ereignisse? Wie könnendie Zwangswirkungen, die jenen Positivitäten eignen -anstatt durch eine Rückkehr zur rechtmäßigenBestimmung der Erkenntnis oder durch eine Reflexion

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uf ihr transzendentales oder quasi-transzendentalesWesen verflüchtigt zu werden - innerhalb des konkre-ten strategischen Feldes, . das sie herbeigeführt hat,und aufgrund der Entscheidung eben nicht regiert zuwerden, umgekehrt oder entknotet werden?

Die Bewegung, welche die kritische Haltung in dieFrage der Kritik hat umkippen lassen, die Bewegung,welche das Unternehmen der Aufklärung in das Pro-jekt der Kritik hat übergehen lassen, worin sich dieErkenntnis von sich eine richtige Idee machen wollte,diese Kippbewegung, diese Verschiebung, diese Ver-schickung der Frage der Aufklärung in die Kritik . . .müßte man nicht versuchen, jetzt den umgekehrtenWeg einzuschlagen? Könnte man nicht versuchen,diesen Weg wieder zu durchlaufen - aber in der ande-ren Richtung? Und wenn man die Frage der Erkennt-nis im Hinblick auf die, Herrschaft aufzuwerten hat - sodoch wohl vor allem aufgrund eines entschiedenenWillens nicht regiert zu werden, jenes entschiedenenWillens - einer individuellen und zugleich kollektivenHaltung, aus seiner Unmündigkeit herauszutreten, wieKant sagte. Eine Haltungsfrage . Sie sehen nun, war-um ich nicht imstande war, warum ich nicht gewagthabe, meinem Vortrag den Titel zu geben, der gewe-sen wäre: "Was ist Aufklärung?"

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