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GENERALDIREKTION INTERNE POLITIKBEREICHE

FACHABTEILUNG B: STRUKTUR- UND KOHÄSIONSPOLITIK

LANDWIRTSCHAFT UND LÄNDLICHE ENTWICKLUNG

WELCHE MARKTMASSNAHMEN FÜR DIE GEMEINSAME AGRARPOLITIK NACH

2013?

STUDIE

 

Dieses Dokument wurde vom Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung Entwicklung des Europäischen Parlaments in Auftrag gegeben. VERFASSER Departamento de Economía y Ciencias Sociales Agrarias Centro de Estudios e Investigación para la Gestión de Riesgos Agrarios y Medioambientales – (CEIGRAM) Universidad Politécnica de Madrid (UPM, SPANIEN)1 Sachverständige2 VERANTWORTLICHER BEAMTER Albert Massot Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik Europäisches Parlament B-1047 Brüssel E-Mail: [email protected] REDAKTIONSASSISTENZ Catherine Morvan SPRACHFASSUNGEN Original: EN. Übersetzungen: DE, FR, PL. ÜBER DEN HERAUSGEBER Kontakt zur Fachabteilung B oder Bestellung des monatlichen Newsletters: [email protected] Redaktionsschluss: April 2011. Brüssel, © Europäische Parlament, 2011. Dieses Dokument ist ist im Internet unter folgender Adresse abrufbar: http://www.europarl.europa.eu/studies HAFTUNGSAUSSCHLUSS Die hier vertretenen Auffassungen geben die Meinung der Verfasser wieder und entsprechen nicht unbedingt dem offiziellen Standpunkt des Europäischen Parlaments. Nachdruck und Übersetzung der Veröffentlichung – außer zu kommerziellen Zwecken –mit Quellenangabe gestattet, sofern der Herausgeber vorab unterrichtet und ihm ein Exemplar übermittelt wird. .

1 Sachverständige: Isabel Bardají, Alberto Garrido, Eva Iglesias, María Blanco, María Bielza. 2 Sachverständige: Filippo Arfini, Bernhard Brümmer, Carlo Cafiero, José M. García Álvarez-Coque, Miranda

Meuwissen, Vincent Requillart, Alexander Sarris.

GENERALDIREKTION INTERNE POLITIKBEREICHE

FACHABTEILUNG B: STRUKTUR- UND KOHÄSIONSPOLITIK

LANDWIRTSCHAFT UND LÄNDLICHE ENTWICKLUNG

MARKTMASSNAHMEN FÜR DIE GEMEINSAME AGRARPOLITIK NACH

2013?

STUDIE

Inhalt

Die Marktmaßnahmen im Rahmen der neuen GAP nach 2013 müssen der Landwirtschaft in der EU dazu verhelfen, andere Herausforderungen zu bewältigen, als sie in der Vergangenheit von Bedeutung waren. Aktive Marktmaßnahmen werden gegenüber reaktiven Maßnahmen bevorzugt. Staatlicherseits sollte den privaten Märkten dabei geholfen werden, den Landwirten eine möglichst umfassende Auswahl an Instrumenten zu bieten, und es sollte nur dann eingegriffen werden, wenn diese versagen. Den Schwerpunkt dieses Berichts bilden Marktmaßnahmen, die von der Europäischen Kommission in Betracht gezogen werden sollten, darunter Marktverwaltungsinstrumente wie etwa Lagerhaltung oder Grenzschutz, Risiko- und Krisenmanagement, Vorschriften für ein besseres Funktionieren des Marktes oder der Zugang zu Nahrungsmitteln. Wenn auch kein unmittelbarer Zusammenhang mit den Marktmaßnahmen nach 2013 besteht, werden in dem Bericht Vorschläge zur Rolle der Europäischen Union auf diesen den Weltnahrungsmittelmärkten unterbreitet. Es wird angeregt, dass die EU eine Führungsrolle dabei übernehmen sollte, für größere Transparenz auf diesen Märkten zu sorgen, wirksame Marktinformationsmechanismen zu schaffen und die Regulierungsmechanismen der Grundstoffmärkte zu stärken.

IP/B/AGRI/IC/2010_093 April 2011 PE 460.044 DE

 

Marktmaßnahmen für die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2013 _________________________________________________________________________________

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INHALT

INHALT 3

LISTE DER ABKÜRZUNGEN 5

VERZEICHNIS DER TABELLEN 7

VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN 7

VERZEICHNIS DER KÄSTEN 9

ZUSAMMENFASSUNG 11

1. EINLEITUNG 25

1.1. Geltungsbereich und Ziele 25

1.2. Marktkrisen kontra Preisinstabilität 27

1.3. Merkmale der Marktinstrumente 31

1.4. Bedeutung und Unterscheidung von Volatilität und Krisen der Agrarmärkte 33

1.5. Folgerungen für die GAP-Marktordnungsinstrumente 37

2. INSTRUMENTE (marktbezogene Maßnahmen) 41

2.1. Instrumente zur Verbesserung der Funktionsweise und der Leistungsfähigkeit der Märkte 41

2.2. Instrumente des Risiko- und Krisenmanagements 54

2.3. Marktordnungsinstrumente 72

2.4. Instrumente für den Zugang zu Nahrungsmitteln 85

3. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND EMPFEHLUNGEN 89

GLOSSAR 95

LITERATURHINWEISE 97

Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik _________________________________________________________________________________

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Marktmaßnahmen für die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2013 _________________________________________________________________________________

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LISTE DER ABKÜRZUNGEN

AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

AGRI Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung

BiG Bedürftige in der Gemeinschaft

BP Betriebsprämie

BPR Betriebsprämienregelung

BV Branchenverband

CME Chicago Mercantile Exchange

EGFL Europäischer Garantiefonds für die Landwirtschaft

ELS Ereignisbezogene Finanzinstrumente (Event Linked Securities)

EO Erzeugerorganisation

ESI Einkommenssicherungsinstrument

EU Europäische Union

FAO Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten

Nationen

GAP Gemeinsame Agrarpolitik

GMO Gemeinsame Marktorganisation

KMU Kleine und mittlere Unternehmen

MFR Mehrjähriger Finanzrahmen

MS Mitgliedstaat

NMVK Nahrungsmittelversorgungskette

OP Operationelles Programm

OuG Obst und Gemüse

WTO Welthandelsorganisation

Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik _________________________________________________________________________________

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Marktmaßnahmen für die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2013 _________________________________________________________________________________

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VERZEICHNIS DER TABELLEN Tabelle 1. Verteilung der Maßnahmen (Anzahl) der operationellen Programme auf ausgewählte Erzeugerorganisationen in Almería 48 

VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN Abbildung 1. Schematische Darstellung von vier wahrscheinlichen Situationen auf den Agrarmärkten 29 

Abbildung 2. Milchpreise 30 

Abbildung 3. Unterschiedliche und unsichere Preisverläufe 31 

Abbildung 4. Allmähliche Entfaltung aktiver und reaktiver Marktordnungsmaßnahmen 32 

Abbildung 5. Getreide/Brot und Produkte auf Getreidebasis: EU-Agrarmarkt und Verbraucherpreisentwicklung (Jan. 1997 bis Aug. 2010; Jan. 1997=100) 34 

Abbildung 6. Fleisch, EU-Agrarmarkt und Verbraucherpreisentwicklung (Jan. 1997 bis Aug. 2010; Jan. 1997=100) 35 

Abbildung 7. Gewinnmargen und Futtermittelpreise im Schweinezuchtsektor in den Niederlanden (Rabobank 2009) 36 

Abbildung 8. Risikomanagement 55 

Abbildung 9. Stärken und Schwächen des Einkommenssicherungsprogramms 65 

Abbildung 10. Ausgaben für Lagerhaltungsmaßnahmen (Balken und senkrechte Achse links) und FAO-Index der Lebensmittelpreise (senkrechte Achse rechts), 2002-2009 74 

Abbildung 11. Übersicht über die neuen Marktordnungsinstrumente für die GAP nach 2013 90 

Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik _________________________________________________________________________________

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VERZEICHNIS DER KÄSTEN Kasten 1. Beispiel Milchpreise 30 

Kasten 2. Das Hold-up-Problem in der Lebensmittelversorgungskette 43 

Kasten 3. Das Beispiel des französischen Rindfleischsektors 45 

Kasten 4. Versuche, die Erzeugung im spanischen Erdbeersektor zu versichern 49 

Kasten 5. Informationen und Absprachen 52 

Kasten 6. Kanadische Katastrophenhilfsprogramme 67 

Kasten 7. Versicherung der Bruttogewinnspanne in der Tierzucht (Preis), USA 68 

Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik _________________________________________________________________________________

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ZUSAMMENFASSUNG Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU hat sich im Laufe der nach und nach vollzogenen Reformen von der Markt- und Preisstützung hin zu einer stärker entkoppelten Form der Einkommensstützung entwickelt. Infolgedessen orientieren sich die Landwirte stärker am Markt, und ihre Einkommen sind stärker der Marktvolatilität ausgesetzt. In den vergangenen Jahren sind die Märkte für zahlreiche Erzeugnisse sprunghafter und weniger vorhersagbar geworden, wobei im Zuge der fortdauernden Globalisierung der Märkte zu erwarten ist, dass diese Entwicklung anhält. In dem Maße, in dem sich die Landwirtschaft der EU stärker am Markt orientiert, nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass sich ernste Marktkrisen sehr viel nachteiliger auf Erzeuger, Verbraucher und die verarbeitende Industrie auswirken. Die extremen Schwankungen am Markt in den letzten Jahren machen die Notwendigkeit leistungsfähigerer Marktordnungsinstrumente deutlich, um der extremen Preisvolatilität Herr zu werden. Zwar trugen die Marktmaßnahmen im Rahmen der einheitlichen GMO dazu bei, negative Auswirkungen partiell zu mindern, doch hat die jüngste Krise im Milchsektor ein Schlaglicht darauf geworfen, dass andere Aspekte, darunter eine bessere Koordination von Angebot und Nachfrage und die Umgewichtung der Marktmacht über die gesamte Nahrungsmittelkette, weiterer Beachtung bedürfen. Vor diesem Hintergrund laufender Reformen und Diskussionen sind für diese Studie folgende Ziele festgelegt worden: a) Erstellung einer qualitativen Analyse der Unzulänglichkeiten der gegenwärtigen GAP angesichts der zunehmenden Schwankungen auf den Märkten und b) Unterbreitung eines Vorschlags für einen neuen und detaillierten Marktordnungsrahmen im Zusammenhang mit der GAP nach 2013. Zunächst wird ein konzeptioneller Rahmen zur näheren Bestimmung von Marktvolatilität und Krise entwickelt. Die Definition einer übermäßigen Marktvolatilität und der Marktkrise ist alles andere als einfach und muss den spezifischen Merkmalen jedes Sektors angepasst werden. Es werden mehrere Indikatoren vorgeschlagen, darunter das Preisniveau auf den jeweiligen Märkten, die festgestellte Marktvolatilität und die unterstellte Volatilität. Insbesondere gilt es, sowohl die Tiefe als auch die Länge eines unerwarteten Preisverfalls zu berücksichtigen. Es schließt sich eine Analyse der verfügbaren Marktinstrumente an, und es werden einige potenzielle neue Instrumente vorgeschlagen. Die Marktinstrumente werden wie folgt unterteilt: (i) Instrumente zur Verbesserung von Marktfunktion und -leistung; (ii) Instrumente des Risiko- und Krisenmanagements; (iii) Marktordnungsinstrumente und (iv) Instrumente für die Sicherung des Zugangs zu Nahrungsmitteln. Abschließend wird ein Bündel von politischen Instrumenten vorgeschlagen, die sich positiv auf die EU-Landwirtschaft auswirken können. Dieses Instrumentenbündel enthält sowohl vorhandene als auch neue Instrumente.

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Instrumente zur Verbesserung der Funktion und Leistung der Märkte (2.1.)

Unter ihren Zielen werden in der Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Die GAP bis 2020“ die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Agrarsektors und die Steigerung seines Wertschöpfungsanteils in der Nahrungsmittelversorgungskette genannt. Der Anteil der Landwirte an der Wertschöpfung in der Nahrungsmittelversorgungskette ist in den vergangenen Jahren ständig zurückgegangen. Um das wirtschaftliche Ergebnis der landwirtschaftlichen Betriebe zu verbessern, bedarf es daher einer ausgeglicheneren Nahrungsmittelversorgungskette. Hingegen ist die geringe Verhandlungsmacht der Landwirte gegenüber anderen Akteuren in der Kette als Ursache potenziell unlauterer Praktiken erkannt worden. In diesem Abschnitt analysieren wir die Maßnahmen, die zu einem besseren Funktionieren der Märkte beitragen können und damit die Erträge der Landwirte in der Wertschöpfungskette verbessern können. Analysiert werden insbesondere Standardverträge, die Wettbewerbsregeln, die Verhaltenskodizes und die Rolle der Branchenverbände (BV) und der Erzeugerorganisationen (EO). a) Vertragsmechanismen

Die Vertragsmechanismen innerhalb der Nahrungsmittelversorgungskette (NMVK) sind höchst unterschiedlicher Art und reichen von horizontalen Abmachungen bis hin zu Praktiken der vertikalen Integration. Die Standardisierung von Verträgen in Schriftform, die mit der Aufstellung der Grundbestandteile von Vertragsvordrucken verbunden ist, kann zum Schutz der Erzeugerrechte beitragen, weil dadurch die Transaktionskosten gesenkt und unlautere Praktiken in der NMVK bekämpft werden.

Die Förderung von Verträgen in Schriftform kann für die Versorgungsketten der unverarbeiteten Nahrungsmittel besonders wichtig sein, da sie durch eine extrem zersplitterte Lieferantenstruktur und starke Käufer gekennzeichnet sind und auf dem Markt für leicht verderbliche Erzeugnisse akute Spannungen festgestellt wurden. In Anbetracht der großen Heterogenität der Sektoren und selbst der Untersektoren kommt ein „Universalmodell“ nicht infrage, sodass die Verträge den spezifischen Bedürfnissen jedes Erzeugnisses oder Sektors angepasst werden müssen. Im jüngsten Vorschlag für den Milchsektor3 sind fakultative schriftliche Verträge zwischen den Milcherzeugern und –verarbeitern vorgesehen, die vor den Lieferungen aufgesetzt werden und wesentliche Aspekte wie Preis, Zeitpunkt, Liefermenge und Vertragslaufzeit enthalten. Die Einrichtung von Überwachungsausschüssen ist von wesentlicher Bedeutung, um den Erfolg des Standardisierungsprozesses zu gewährleisten. b) Wettbewerbsregeln

Gemäß dem Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) sind aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (Artikel 101) und die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen (Artikel 102) verboten. Diese Rechtsvorschrift gilt für den Agrarsektor und alle anderen Sektoren. Eine Ausnahme bilden die Praktiken, die sich aus der Einhaltung spezifischer Rechtsakte (z. B. einheitliche GMO) ergeben.

3 http://ec.europa.eu/agriculture/milk/proposal-12-2010/com-2010-728_de.pdf.

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Durch den gegenwärtigen Wettbewerbsrahmen ist die Möglichkeit der kollektiven Aushandlung wegen fehlender gemeinsamer Einrichtungen begrenzt. Über die Auslegung dieser Regeln ist eine heftige Diskussion im Gange. So wird erörtert, ob sie geändert werden sollen, um einen flexibleren Ansatz im Agrarsektor zu ermöglichen. Die Anwendung von Artikel 102 AEUV wird durch die unüberwindlichen Probleme eingeschränkt, die sich beim Nachweis einer beherrschenden Stellung oder einer missbräuchlichen Ausnutzung auftun. Darüber hinaus bedeutet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung nicht unbedingt eine Wettbewerbsbeschränkung und rechtfertigt daher nicht in jedem Fall ein Eingreifen der Wettbewerbsbehörden. Dieser Zustand hat in vielen Mitgliedstaaten gesetzgeberische Reaktionen ausgelöst wie etwa die Annahme von Verhaltenskodizes, in denen Regeln für Transaktionen zwischen großen Einzelhändlern und ihren Lieferanten festgelegt sind. In den Verhaltenskodizes sind „vorbildliche Verfahren“ aufgeführt, die dazu beitragen können, faire Geschäfte in horizontalen und vor allem vertikalen Beziehungen zu fördern. Hierbei sollte auf Freiwilligkeit gesetzt werden, die Einhaltung eines solchen Kodex könnte durch einen Zertifizierungsmechanismus gefördert und anerkannt werden. c) Erzeugerorganisationen (EO)

Die Tätigkeit der Erzeugerorganisationen (EO) besteht hauptsächlich darin, für eine Konzentration der Lieferungen zu sorgen, die Vereinbarkeit zwischen Erzeugung und Marktnachfrage sicherzustellen, die Produktionskosten zu senken und umweltfreundliche Anbaupraktiken zu fördern.

Insgesamt gesehen kann man feststellen, dass große Genossenschaften infolge der Konzentration weiter an Größe gewinnen. Diese Strategie hat die Entwicklung von Erzeugnissen mit höherer Wertschöpfung begünstigt und trägt zu einer besseren Marktpositionierung bei. Dennoch sind sowohl auf der Ebene der Sektoren als auch der Mitgliedstaaten erhebliche Größen- und Organisationsunterschiede anzutreffen. Hier zeigt sich, dass die Konzentrationsquote in den neuen MS und in Südeuropa wesentlich niedriger ist, außerdem finden sich in der Kette der unverarbeiteten Nahrungsmittel, in der eine Konzentration auf der Angebotsseite und eine Verbesserung der Organisation am dringendsten sind, ineffiziente Strukturen. Die Stärkung der EO hat durch die Förderung der Annahme strategischer Vorgehensweisen (im Gegensatz zur bloßen Zusammenfassung von Erzeugnissen in Gruppen) die strukturelle Anpassung in der Obst- und Gemüse-Versorgungskette erleichtert. Die Hauptbereiche, in denen Fortschritte zu verzeichnen sind, betreffen Umweltschutzziele, Qualität und Wert des Erzeugnisses und eine stärkere Ausrichtung auf den Markt, während beim Ziel der Konzentration auf der Angebotsseite nur mäßige Fortschritte erzielt wurden. Zu unterscheiden ist zwischen den EO, die gemeinsame Handels- und Produktionseinrichtungen betreiben (das Genossenschaftsmodell), und den EO, die nur über gemeinsame Vermarktungsvereinbarungen verfügen. Maßnahmen zur Förderung des Genossenschaftsmodells können sich – nicht nur durch die Verringerung der Spannungen in der Nahrungsmittelversorgungskette, die Umgewichtung der Verhandlungsmacht und die Vermeidung unlauterer Praktiken, sondern auch hinsichtlich der Erzielung von Effizienzgewinnen und eines höheren Anteils an der Wertschöpfung durch vertikale Integration – als sehr vorteilhaft erweisen. Das Genossenschaftsmodell verbessert durch die Verstärkung der Qualitätspolitik, eigene Standards sowie Konformitäts- und andere

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Bescheinigungen, die von Einzelerzeugern nicht erbracht werden können, die vertikale Koordinierung. d) Branchenverbände (BV)

Während es bei den EO überwiegend um horizontale Maßnahmen wie die Konzentration der Versorgung geht, stellen die Branchenverbände (BV) die vertikale Struktur der Nahrungsmittelversorgungskette dar. Die BV sind im EU-Recht als Organisationen anerkannt, die wirtschaftliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Erzeugung von, dem Handel mit und/oder der Verarbeitung von Erzeugnissen in einer Reihe von Sektoren ausüben. Derzeit gibt es sie nur in fünf Sektoren: Obst und Gemüse, Tabak, Wein, Oliven/Olivenöl und Baumwolle. Die Tätigkeiten der BV sollten zwar in Verbindung mit den Besonderheiten der einzelnen Sektoren festgelegt werden, jedoch könnten sie auch auf andere landwirtschaftliche Erzeugnisse ausgedehnt werden. Beispiele auf MS-Ebene in Frankreich, Italien und Spanien zeigen, dass es keinen Grund für die Beschränkung von BV auf ausgewählte Sektoren gibt. Instrumente des Risiko- und Krisenmanagements (2.2.)

Risiken umfassen das normale Geschäftsrisiko und besondere Risiken. Eine Krise besteht, wenn eine große Zahl von Betrieben von besonderen Risiken betroffen ist. Jede Risikoart erfordert eigene Arten von Maßnahmen. So sollte normalen und besonderen Risiken mit Ex-ante- oder aktiven Maßnahmen begegnet werden, während Ex-post-Maßnahmen bzw. reaktive Maßnahmen dazu gedacht sind, unvorhergesehene besondere Risiken oder Krisensituationen zu bewältigen, die nicht durch andere Maßnahmen abgedeckt sind.

a) Ex-ante-Maßnahmen: Derivatkontrakte

Derivatkontrakte werden an Börsen oder Futures-Märkten gehandelt. Bei ihnen handelt es sich u. a. um Kontrakte über Waren-Futures, Optionen auf Futures, Optionen auf Wetterindizes und Swapgeschäfte. Die Landwirte können diese Kontrakte nutzen, um sich gegen das Risiko sinkender Preise sowie andere (z. B. klimatische) Risiken zu schützen, wenn die richtigen Kontraktarten verfügbar sind. Marktgestützte Mechanismen wie Derivatkontrakte, Privatversicherungen und Fonds auf Gegenseitigkeit wären für die Risikoteilung zu erschwinglichen Kosten von großem Nutzen. Dadurch ließen sich die durch die Spekulation verursachten Probleme durch mehr Transparenz und Kontrolle und eine bessere Regulierung vermeiden. Der Ausbau dieser Märkte wird durch mangelnde Ausbildung, das Fehlen eines angemessenen institutionellen und rechtlichen Umfelds und sehr häufig durch das Fehlen entsprechender Daten verzögert. Somit stehen auf staatlicher Seite drei Maßnahmen zur Verfügung, durch die die Nutzung von Derivatkontrakten gefördert werden kann: i) Aus- und Fortbildung der Landwirte, ii) Schaffung des für eine reibungslose Funktionsweise privater Märkte erforderlichen institutionellen und rechtlichen Umfelds und iii) Bereitstellung aktueller und verlässlicher Informationen. b) Ex-ante-Maßnahmen: Instrumentarium für das Risikomanagement

Wenn die Umsetzung von Risikomanagementstrategien auch Sache der Landwirte sein sollte, muss doch klar sein, dass private Instrumente in Europa nach wie vor nicht besonders ausgebaut sind, zum Teil wegen der bisherigen GAP-Interventionsmaßnahmen.

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In dieser Hinsicht könnten die Staaten sicherlich Instrumente für die Verbesserung des Risikomanagements fördern. In der Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Die GAP bis 2020“ wurde die Einführung eines fakultativen Instrumentariums für das Risikomanagement innerhalb der zweiten Säule vorgeschlagen (KOM(2010)0672). Im vorliegenden Bericht wird jedoch die Auffassung vertreten, dass das Instrumentarium auch aus der ersten Säule finanziert werden könnte. Einige Instrumente, die in diesem Instrumentarium enthalten sein könnten, werden im Folgenden erörtert.

b.1) Risikoteilungsvereinbarungen auf Gegenseitigkeit (Fonds auf Gegenseitigkeit)

Wenn die rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen gegeben sind, können sich Gruppen von Erzeugern zur Verwaltung einer landwirtschaftlichen Versicherung auf Gegenseitigkeit zusammenschließen. Dies bietet gegenüber herkömmlichen Versicherungen bestimmte Vorteile, jedoch ist der Geltungsbereich derartiger Versicherungen auf die nicht systemischen Risiken beschränkt, da sich die Risiken nicht mit Erzeugern anderer Art zusammenlegen lassen.

b.2) Produktionsversicherung (pflanzliche und tierische Erzeugung)

Die Produktionsversicherung hat sich als Vertragsform entwickelt, bei der eine Partei ein genau bezeichnetes wirtschaftliches Risiko auf eine andere Partei überträgt und dafür einen Preis (die „Prämie“) bezahlt. Bislang können im Bereich der pflanzlichen Erzeugung wirksame Versicherungen nur für eine sehr begrenzte Anzahl von Risiken (vor allem Hagel und in erheblich geringerem Maße Feuer) abgeschlossen werden. Diese Einzelrisikoversicherungen werden in Europa angeboten und sind gut entwickelt, während Mehrgefahren- oder Allrisikoversicherungen im Bereich der pflanzlichen Produktion nur in einer begrenzten Zahl von Ländern üblich sind. Privatgesellschaften versichern nur gegen Hagel und Feuer, wenn auch ein umfassenderer Versicherungsschutz in dem Maße gewährt wird, in dem die staatliche Seite ihre Einflussnahme auf die Versicherung verstärkt.

b.3) Einkommens- und Ertragsversicherung

Eine „Ertragsversicherung“ gewährt einen kombinierten Schutz gegen Produktions- und Marktrisiken, sodass eine Zahlung fällig würde, wenn das Produkt aus Preis und Erzeugung unter der garantierten Höhe liegt. Eine Ertragsversicherung wäre ein wirksames Instrument, ist aber wegen der hohen Rückversicherungskosten nur mit Beihilfen der öffentlichen Hand einzurichten.

Bei der „Einkommensversicherung“ werden das gesamte Einkommen des Betriebs berücksichtigt und die Marge zwischen Ertrag und Erzeugungskosten garantiert. Während die Ertragsversicherung in den USA weit verbreitet ist, ist die Einkommensversicherung im Vergleich dazu kaum vorhanden. Das liegt daran, dass sich bei der Einkommensversicherung neben den hohen Rückversicherungskosten wegen des systemischen Charakters der versicherten Risiken eine Reihe technischer Probleme ergibt wie etwa das Fehlen von Daten und Informationsasymmetrien. b.4) Instrumente zur Einkommensstabilisierung und -sicherung

Soll die Einkommensstabilität der Landwirte erhöht werden, könnten Einkommensstabilisierungsinstrumente eine Alternative zur Einkommensversicherung darstellen.

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Ähnlich wie die Einkommensversicherung zielt dieses Instrument darauf ab, ein Mindesteinkommen zu garantieren. Im Gegensatz zur Einkommensversicherung tritt bei diesem Instrument der Staat (auf nationaler oder EU-Ebene) als Versicherer auf und zahlt den Großteil der Entschädigung. Aus diesem Grunde und wegen des Bestehens weiterer Mechanismen zum Schutz vor „normalen“ Risiken sollte ein Einkommensinstrument keine allgemeine Einkommensstützung für alle Landwirte bieten, sondern gezielt den Landwirten zugutekommen, die schwerwiegende Einkommenseinbußen erleiden. Ist dies der Fall, spricht man besser von Einkommenssicherungsinstrumenten (ESI). Ein ESI könnte so gestaltet werden, dass es nur die Risiken absichert, die nicht durch andere bestehende Instrumente abgedeckt werden. Die Landwirte sollten für die Beteiligung daran eine Gebühr bezahlen, damit beim Risikomanagement eine Mitverantwortung gegeben ist. Darüber hinaus könnten die Landwirte nach dem Beispiel des französischen Naturkatastrophenfonds und der in Spanien bestehenden Möglichkeit von Ad-hoc-Zahlungen bei nicht versicherbaren Risiken verpflichtet werden, einen gewissen Nominalbetrag an Versicherungsschutz zu erwerben, um einen Anspruch auf weitere ESI-Unterstützung für nicht versicherbare Risiken zu haben. Zwar gibt es in der EU gegenwärtig keine ESI, doch könnten sie insofern in Betracht kommen, als dass sie bestimmte technische/politische Aspekte lösen. Staatliche Beihilfen, die mittels einkommensbasierter Instrumente wie etwa der Einkommensversicherung gewährt werden, unterliegen den Beschränkungen gemäß Absatz 7 des Anhangs 2 des WTO-Übereinkommens über die Landwirtschaft. So dürfen sich die Zahlungen nicht nach spezifischen Einkommensverlusten richten, was viel einfacher wäre, vielmehr muss ihnen das Bruttoeinkommen des gesamten landwirtschaftlichen Betriebes zugrunde gelegt werden, was kompliziertere Berechnungen erfordert. Ein weiterer Punkt ist die Ermittlung des „tatsächlichen“ Betriebseinkommens. Ein denkbarer alternativer Ansatz ist die „Abschätzung“ des landwirtschaftlichen Einkommens ausgehend von einer Kombination aus realer Produktion, Preisindizes und erforderlicher Betriebsmittelmenge auf der Grundlage von Durchschnittswerten (zum Beispiel der INLB-Standarddeckungsbeiträge). c) Ex-post-Maßnahmen: Staatliche Beihilfen

Die Mitgliedstaaten können auch mit einer Katastrophenhilfe eingreifen, wobei die Kommission sicherstellt, dass der Wettbewerb durch die gewährte Hilfe nicht verzerrt wird. Die geltenden Leitlinien für staatliche Beihilfen im Agrarsektor beschränken den Anwendungsbereich nationaler Ad-hoc-Beihilfen auf Produktionsrisiken.

d) Ex-post-Maßnahmen: EU-Haushaltsreserven

Die einheitliche GMO ermöglicht es der EU-Kommission, im Falle von Märkten, die von Handelsbeschränkungen infolge der Anwendung von Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung von Tierseuchen betroffen sind, oder wenn sich andere Maßnahmen als unzureichend erweisen, in einigen Sektoren außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen. Diese Möglichkeit ist jedoch wegen des Fehlens eines angemessenen Haushalts schwierig umzusetzen.

Nicht zugewiesene Margen könnten genutzt bzw. nicht verwendete Mittel könnten von einem Jahr auf das andere übertragen werden, um eine Haushaltsreserve zu bilden, die bei einer ernsten Krise aktiviert werden könnte. Als alternative Maßnahme käme etwa eine

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mehrjährige Mittelausstattung für die Landwirtschaft infrage, die bei einer ernsten Krise aktiviert werden könnte. Marktordnungsinstrumente (2.3) a) Öffentliche und private Lagerhaltung

Die mit der privaten und der öffentlichen Lagerhaltung verbundenen Probleme werden im Folgenden noch aus wirtschaftlicher und praktischer Sicht analysiert. Die private Lagerhaltung ist gegenüber der öffentlichen Lagerhaltung vorzuziehen, vor allem, wenn Qualität und Lagerkosten eine Rolle spielen. Gleichzeitig gibt es gute Gründe für ein Eingreifen des Staates bei der Förderung des Aufbaus und der Abwichtung von Reserven an wichtigen Grundstoffen.

Lagerhaltungsmaßnahmen sind unter Umständen kostspielig und nur von begrenzter Wirkung, wenn die Inlands- und die internationalen Märkte eng miteinander verwoben sind, können aber eine bedeutende Tragweite haben, wenn die Preisbildung hauptsächlich auf dem Inlandsmarkt (z. B. bei Fleisch und Fleischerzeugnissen) geschieht oder innersaisonale Spitzen (z. B. im Milchsektor) zu glätten sind. b) Grenzmaßnahmen

Der Einsatz von Grenzmaßnahmen als Marktsteuerungsinstrument ist durch das Übereinkommen über die Landwirtschaft, das im Rahmen der Uruguay-Runde geschlossen wurde (URAA), eingeschränkt. Dennoch ist noch ein Spielraum für Interventionen vorhanden, insbesondere beim Marktzugang.

Gegenwärtig wird die Übertragung der Instabilität der Weltmarktpreise auf die EU-Märkte durch Grenzschutzmaßnahmen noch gebremst. Darüber hinaus kann die EU, da sich die WTO-Verpflichtungen nur auf die zulässigen Höchstzölle beziehen, die angewandten Zölle den Marktverhältnissen anpassen. Vor Kurzem hat die EU die angewandten Zölle mehrmals gesenkt, um den Druck auf die EU-Märkte zu verringern. Im Fall von schwerwiegenden Marktstörungen sind andere Formen der Intervention denkbar, etwa die Möglichkeit der Erhebung zusätzlicher Einfuhrzölle oder die Anpassung des Einfuhrpreises für Obst und Gemüse. c) Strategien zur Nachfragesteigerung: Absatzförderung

Absatzförderung wird zur Erhöhung des Verbrauchs landwirtschaftlicher Erzeugnisse betrieben und um zum Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage beizutragen. Sie kann unter bestimmten Bedingungen aus dem Gemeinschaftshaushalt kofinanziert werden. Allerdings sind Werbeprogramme als Mechanismus zur Nachfragesteigerung in einer Krise oder während längerer, von Preisrückgang gekennzeichneter Zeiträume möglicherweise nicht ausreichend. Die Wirkung von Werbemaßnahmen macht sich langfristig bemerkbar, und die Erfahrung zeigt, dass diese Wirksamkeit von der Mittelzuweisung (wenn sie zu niedrig ausfällt, bleibt die Wirkung sehr begrenzt) und den entsprechenden Bemühungen der Erzeugerorganisationen abhängt. Schließlich erfordert die Absatzförderung eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, die Gelegenheit für die Einführung neuer Technologien, neuer Management- und Regelungsformen sowie neuer Strategien schafft.

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d) Weltmärkte und Preisstabilisierung

Bisher wurde die Regelung der öffentlichen Intervention in der EU immer dann eingesetzt, wenn eine Abwärtsentwicklung der tatsächlichen Warenpreise eingetreten ist, wobei das vorrangige Ziel lautete, die Preise der Binnenerzeuger der EU zu stützen. Das neue Szenario birgt die Möglichkeit in sich, dass die internationalen Preise eine langfristige stabile oder aufwärts gerichtete Entwicklung mit größerer Volatilität und Ausreißern nach oben durchmachen, was die Überprüfung des Einsatzes der Lagerhaltung erfordert, um die Verbraucherinteressen sowohl in der EU als auch in ärmeren Ländern zu schützen. Für das Ziel der Stabilisierung der Weltmarktpreise zur Bewältigung der zunehmenden Volatilität sind mehrere Vorschläge unterbreitet worden. Dazu zählt der Vorschlag, die Bildung einer Art internationaler Nahrungsmittelvorräte in Betracht zu ziehen. In dieser Hinsicht sehen wir drei Optionen, die jeweils mit eigenen Schwierigkeiten verbunden sind:

a) Die Bildung einer international koordinierten Reserve wirft zahlreiche technische und politische Probleme auf, sodass die Machbarkeit fraglich ist.

b) Als Stabilisierungsinstrument weist die „virtuelle Reserve” viele Schwachpunkte auf und lässt keinen Vorteil hinsichtlich einer wirksameren Stabilisierung der EU-Preise erkennen.

c) Die einseitige Bildung einer Reserve zu Stabilisierungszwecken durch die EU könnte in Fällen extremer Preisspitzen in Betracht kommen. Dieses Instrument sollte über zwei Preisauslöser oder –bänder verfügen; eine Intervention bei Niedrigpreisspitzen würde zu Reservezukäufen führen, während bei Hochpreisspitzen die Reserven aktiviert würden. Die Wirksamkeit dieser Reaktion wäre minimal, wenn sie nicht durch zusätzliche WTO-konforme Handelsmaßnahmen ergänzt würde.

Mit der zweiten Gruppe von Maßnahmen wird eine größere Markttransparenz angestrebt. Bessere Information sorgt für weniger Unsicherheit und erleichtert es Erzeugern und Verbrauchern, wirksamer zu reagieren. Es gibt mehrere Arten von Informationen, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind und bei denen Spielraum für Verbesserungen besteht:

a) Eine zuverlässige und rechtzeitige Information über Angebot, Nachfrage, Vorräte und verfügbare Ausfuhrmengen dürfte zur Verbesserung der Transparenz und der Verringerung der Unsicherheit beitragen. Durch bessere Informationen könnten Erzeuger und Verbraucher dabei unterstützt werden, richtig zu reagieren.

b) Die Systeme für die Überwachung des Zustands der Feldfrüchte müssen verbessert und die Genauigkeit der Ernteprognosen erhöht werden. Den staatlichen Stellen und internationalen Organisationen stünden dann bessere Instrumente als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung.

c) Eine bessere und vollständigere Überwachung der Nahrungsmittelpreise auf den Spot- und Terminmärkten, in den Haupthäfen und auf den Groß- sowie regionalen und lokalen Märkten würde zu einem besseren Verständnis der Mechanismen der Preisweitergabe beitragen, besonders in den weniger entwickelten Einfuhrländern, die durch Preissprünge am stärksten belastet werden.

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Instrumente für den Zugang zu Nahrungsmitteln (2.4)

Das „Programm für die Abgabe von Nahrungsmitteln an Bedürftige in der Gemeinschaft” (MDP) der EU läuft seit Dezember 1987. Da die jüngsten GAP-Reformen die Intervention schrittweise auf die Rolle des Sicherheitsnetzes reduziert haben, mussten die für die Nahrungsmittelhilfe zuständigen Agenturen wiederholt Nahrungsmittel zu Marktpreisen beschaffen. In der Vergangenheit hatten sie Zugang zu kostengünstigeren Erzeugnissen aus der Lagerhaltung. Sollten die Nahrungsmittelpreise weiter steigen, werden diese Agenturen Schwierigkeiten bei der Deckung des Bedarfs ihrer Zielgruppen bekommen. Eine bessere Abstimmung mit anderen Marktmaßnahmen wäre für die Agenturen, die die Nahrungsmittelhilfe abwickeln, hilfreich, damit sie die Vorteile der niedrigen Preise nutzen können.

Im Hinblick auf diese Überlegungen wurden die Beteiligten im Zuge jüngster, noch laufender Diskussionen über dieses Programm zurate gezogen. Aus dem Konsultationsprozess sind bereits zwei Hauptschlussfolgerungen gezogen worden. Erstens wird die Nahrungsmittelversorgung hinsichtlich Menge, Qualität und Vorausplanung sichergestellt. Zweitens wird die Effizienz des Programms dank besserer Einstellung auf die Erfordernisse der MS, verstärkter Überwachung und Berichterstattung sowie der Kofinanzierung durch die MS gesteigert. Mit dem Schulobstprogramm sollen (i) der Zugang zu und die Verfügbarkeit von Obst und Gemüse an Schulen verbessert, (ii) die Aufklärung über den gesundheitlichen Nutzen von Obst und Gemüse verbessert und die Ernährungsgewohnheiten der Kinder verändert sowie (iii) soziale Ungleichheiten in Bezug auf Verzehr von Obst und Gemüse verringert werden. Die Möglichkeit, mit dem Obstprogramm Ungleichgewichte auf den Märkten der Sektoren besser ausgleichen zu können, ist sehr begrenzt. Wie das Schulobstprogramm verfolgt auch das Schulmilchprogramm Ernährungs- und Erziehungsziele. Der Einfluss der Schulprogramme lässt sich nicht eindeutig belegen. Selbst wenn das Werbematerial zu den einzelnen Programmen ausgezeichnet ist, bedarf es der Mitwirkung der Familien und Lehrer, damit die Erziehungsziele erreicht werden. Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Zu den Faktoren, die sich in Zukunft maßgeblich auf die europäische Landwirtschaft auswirken werden, gehören eine höhere Volatilität und der Aufwärtstrend der Rohstoffpreise, die wachsende Interdependenz mit den Energiemärkten und die hohe Konzentration von Verarbeitern/Einzelhändlern auf den Nahrungsmittelmärkten. Die abschließenden Beschlüsse der Doha-Runde der WTO könnten in den Sektoren, für die bereits geschmälerte Gewinnmargen der landwirtschaftlichen Betriebe kennzeichnend sind, auf weiteren Wettbewerbsdruck hinauslaufen, zumal sich diese Betriebe ohnehin höheren Produktionskosten, anspruchsvolleren Umweltschutzauflagen und einem wachsenden Wettbewerb durch Drittländer gegenübersehen. Verbesserungen bei den Informationskanälen und dem Zugang zu den neuen Kommunikationstechnologien sind ausschlaggebend für die Fähigkeit der einzelnen Sektoren, erfolgreich auf die neuen Herausforderungen zu reagieren, von denen die wachsende Weltnachfrage nach Nahrungsmitteln, der Klimawandel und die nachhaltige Verwendung der knappen Wasser-, Boden- und/oder Energieressourcen am wichtigsten sein dürften.

Die künftige GAP nach 2013 muss die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft auf offeneren Märkten erhöhen, dabei die Marktorientierung verstärken und zugleich die

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Einkommen der Landwirte stabilisieren. Bei den Marktmaßnahmen im Rahmen der neuen GAP sollten aktive Instrumente miteinander kombiniert werden, um die Erzeuger in die Lage zu versetzen, mit moderaten Risiken fertigzuwerden, während den Erzeugern mit reaktiven Maßnahmen geholfen wird, ihren finanziellen Status aufrechtzuerhalten und/oder im Falle schwerwiegender Krisen wiederherzustellen. Für jeden Sektor muss deshalb ein spezifisches Maßnahmenprotokoll erarbeitet werden. Die Europäische Kommission sollte in enger Zusammenarbeit mit den Regierungen der MS die Informationsgrundlage verbessern und ausgeklügelte Marktinformationsstrategien ins Werk setzen. Anderenfalls wird die Umsetzung der künftigen GAP durch einen Mangel an Perspektiven und analytischen Methoden auf ernste Hindernisse stoßen. Das vorgeschlagene Bündel von Instrumenten, das sowohl vorhandene als auch neue Werkzeuge umfasst, ist im nachstehenden Schema dargestellt.

Bei der Bestimmung der für die künftige GAP notwendigen Instrumente sind folgende Prämissen zugrunde zu legen: Damit die Märkte transparenter, fairer und stärker von Wettbewerb geprägt werden,

sind Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Funktionsweise zu ergreifen. Als strukturelle Maßnahme sollten für alle Sektoren gemeinsame Leitlinien aufgestellt werden, um die NMVK zu stärken und zu festigen. Dadurch ergeben sich Synergieeffekte, die die Notwendigkeit der Anwendung von Marktordnungsinstrumenten und von Interventionen der öffentlichen Hand verringern können.

Eine erwünschte Vorgehensweise ist die Verlagerung des Schwerpunkts von „Reaktion/Hilfe“ hin zur „Vorsorge“; bei der Gestaltung der GAP nach 2013 sollte wirksameren und weniger kostspieligen Anpassungs- und

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Risikomanagementmaßnahmen eine höhere Priorität eingeräumt werden als dem Hilfs- und Krisenmanagement.

Offene Märkte und die WTO-Disziplin schränken den Anwendungsbereich herkömmlicher Marktordnungsmaßnahmen wie Lagerhaltung und Handelspolitik zur Stabilisierung der Agrarpreise ein. Diese Instrumente sollten nur bei einer schweren und extremen Binnenmarktkrise eingesetzt werden.

Es besteht die Notwendigkeit einer allmählichen Änderung der Ausgestaltung der Marktmaßnahmen im Rahmen der neuen GAP. Der herkömmliche Top-down-Ansatz sollte dem mit größerer Flexibilität verbundenen Bottom-up-Ansatz Platz machen, da er den Landwirten die Möglichkeit eröffnet, Anpassungsstrategien zu entwickeln.

Der neue Rahmen für Marktmaßnahmen sollte für die gesamte EU und alle Sektoren so flexibel gestaltet sein, dass allen Situationen und nationalen Gesetzeslagen Rechnung getragen wird.

Die vorgeschlagenen Instrumente umfassen Folgendes: 1) Derzeit bestehende Rationalisierungs- und Anpassungsinstrumente: Förderung von Erzeugerorganisationen und Branchenverbänden, die bei der

Umstrukturierung und Umgewichtung der Nahrungskette eine zentrale Rolle spielen müssen.

Förderung von Markttransparenz und Vertragsmechanismen, die Vertragsstandards und freiwillige Leitsätze für „gute Handelspraktiken“ umfassen, welche das Funktionieren der Märkte verbessern und unlautere Praktiken eindämmen.

Stärkere Durchsetzung der Wettbewerbsregeln durch bessere Überwachung und Koordinierung zwischen den MS.

Einsatz staatlicher Beihilfen als letztes Mittel bei kleinen Hilfssummen für ganz konkrete Probleme.

Die private Lagerhaltung sollte stets der öffentlichen Lagerhaltung vorausgehen und den Vorzug vor dieser erhalten. Die öffentliche Lagerhaltung könnte als letztes Mittel beibehalten werden, das der Kommission die Möglichkeit gibt, bei schwerwiegenden Marktstörungen außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen. Die private Lagerhaltung sollte darauf gerichtet sein, vorübergehende kritische Preis- oder Marktsituationen zu lösen, niemals jedoch strukturelle Marktungleichgewichte zu beseitigen.

Es bleibt ein gewisser Spielraum für den Grenzschutz, vor allem bei der Marktzugangsregelung.

Werbeprogramme für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel aus der EU in den Ländern der Dritten Welt sowie für Erzeugnisse, die auf Nicht-EU-Märkten mit denen anderer Exporteure konkurrieren, deren Staaten die Handelstätigkeit der Erzeuger stützen, sind ein wirksames Mittel zur Erschließung neuer Marktchancen.

Es besteht Spielraum für die verstärkte Werbung für Erzeugnisse mit speziellem EU-Wert oder besonderer Qualität (d. h. ökologisch, kulturell), allerdings bedarf es einer höheren Finanzierung, um die Ziele zu erreichen.

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Die Stärkung der menschlichen Gesundheit durch den Verzehr von Obst und Gemüse und Milcherzeugnissen, etwa im Rahmen von Schulprogrammen, sollte als wesentliches soziales Ziel betrachtet werden.

Die Programme zur Leistung von Nahrungsmittelhilfe für Bedürftige sollten besser mit den Agrarmärkten koordiniert werden.

2) Einführung neuer Politikinstrumente Es sind spezifische Schulungsprogramme notwendig, um den Landwirten das

Verständnis, die Bewertung und den Einsatz gegenwärtiger und künftiger Risikomanagementinstrumente zu vermitteln. Die EU könnte mit diesem Ziel neue Strategien entwickeln und dazu neue Lerntechnologien einsetzen sowie in verschiedene Sprachen übersetzte Schulungsmaterialien erstellen.

Es wird ein Instrumentarium vorgeschlagen, das eine ganze Palette von Möglichkeiten für eine vielfältige Landwirtschaft in der EU und die Risikobewältigung durch die Landwirte bietet. Es könnte in die zweite Säule eingegliedert werden und sich auf flexible Kofinanzierungspläne, eine Risikoschichtung und die Mitverantwortung der Landwirte stützen. Keines der zugehörigen Instrumente sollte kostenlos angeboten werden.

Normale/Geschäftsrisiken können mit Fonds auf Gegenseitigkeit und Produktions- und Einkommensversicherungen bewältigt werden. Der Ausbau der Derivatemärkte (Termingeschäfte und Optionen), Versicherungen und Fonds auf Gegenseitigkeit sollte durch die Übermittlung rechtzeitiger und zuverlässiger Marktinformationen und durch geeignete Regelungsrahmen gefördert werden.

Die Ausarbeitung von gemeinsamen Leitlinien für die EU-Agrarversicherungs-Märkte könnte dazu beitragen, ein ausgewogenes System herzustellen, das letztlich zu einer stärkeren Integration des Agrarversicherungsmarkts führen und dadurch Effizienzgewinne ermöglichen würde, die durch das Zusammenlegen und die Streuung von Risiken erzielt werden können. Zudem könnten die Leitlinien dazu beitragen, das Versicherungswesen in Ländern auszubauen, in denen die Nachfrage besteht (vor allem in den neuen MS).

Die Einführung eines neuen Einkommenssicherungsinstruments, das für den Einsatz bei extremen Risiken oder Krisen bestimmt ist, sollte in Form einer öffentlich-privaten Partnerschaft geschehen, die auf der Mitverantwortung der Landwirte, auf Kofinanzierung und „Green-Box-Kompatibilität“ beruht. Obwohl das Instrument hinsichtlich des Zusammenlegens allgemein auftretender Risiken, falls es auf EU-Ebene stattfände, weniger kostspielig und wirksamer wäre, ist es wahrscheinlich auf der Ebene des Einzelstaates eher machbar, zumindest in der Anfangsphase der Umsetzung.

3) Vergrößerung der Haushaltsflexibilität Es sollten flexiblere Programmierungs- und Mittelzuweisungsregeln für den EU-

Haushalt erwogen werden, um bei größeren Krisen rechtzeitige Interventionen zu ermöglichen.

4) Stärkere Koordinierung mit anderen Maßnahmen Es ist eine bessere Koordinierung mit anderen Politikbereichen der EU

notwendig (weil auf diese Weise Synergieeffekte ermittelt und Konflikte beim Zusammenwirken vermieden werden).

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Damit sie einwandfrei funktionieren, brauchen die Weltmärkte Regeln, die durchgesetzt werden. Die EU muss für eine bessere Governance über die globalen Märkte sorgen und Verbesserungen bei der Information und der Transparenz unterstützen.

Die EU sollte ihre Rolle als führender Erbringer humanitärer Hilfe in Entwicklungsländern ausbauen. Eine auf den Verbrauch ausgerichtete Soforthilfereserve würde einen bedeutenden europäischen Beitrag zur Nahrungsmittelsicherheit darstellen.

Es müssen Anstrengungen unternommen werden, um den Markt durch bessere Informationssysteme transparenter zu machen. Die EU könnte dabei eine bedeutsame Rolle spielen, indem sie Marktinformationsinitiativen finanziert, vor allem in Entwicklungsländern, und indem sie den Zugriff auf diese Informationen durch öffentlich zugängliche Datenbanken erleichtert.

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1. EINLEITUNG

1.1. Geltungsbereich und Ziele

Mit ihrem „Gesundheitscheck“ hat die GAP-Reform Fortschritte auf dem Weg zur weiteren Entkopplung der Einkommensstützung für die landwirtschaftlichen Betriebe gemacht. Dies hatte zur Folge, dass sich die Landwirte stärker am Markt orientieren und ihr Einkommen stärker der Marktvolatilität ausgesetzt ist. Bei zahlreichen Erzeugnissen sind die Märkte instabiler und weniger vorhersagbar geworden. Auch in der Landwirtschaft dienen wie in allen anderen Sektoren Preisschwankungen als Signale für die Marktteilnehmer, dass sich die Marktbedingungen verändern. Die Marktpreise reagieren auf Nachrichten über Veränderungen bei den Grundfaktoren Angebot, Nachfrage und Politik. Allerdings wirken sich extreme Schwankungen und ernste Marktkrisen potenziell in hohem Maße nachteilig auf Erzeuger, Verbraucher und das verarbeitende Gewerbe aus. Die Prognosen für den Weltnahrungsmittelmarkt im Jahre 2050 besagen, dass die Nahrungsmittelproduktion um 70 % wachsen dürfte (FAO 2010). Die EU-Kommission erwartet, dass die Preise für landwirtschaftliche Grundstoffe oberhalb der Durchschnittswerte der Vergangenheit verharren und sich damit der traditionelle Abwärtstrend umkehrt4. Dieses Verhalten sollte zwar zu einer entspannteren Angebotsreaktion führen und einen Anstieg der Erzeugung bewirken, doch ergeben sich dadurch auch neue Unsicherheiten. Im Zuge der zunehmenden Globalisierung der Märkte tendieren die Weltregionen zur Spezialisierung auf Grundstoffe, bei denen sie über Wettbewerbsvorteile verfügen (z. B. Soja in Brasilien und Argentinien, Palmöl in Indonesien). Ein Angebotsschock in Verbindung mit Ausfuhrbeschränkungen und anderen Ad-hoc-Marktinterventionsmaßnahmen in einem dieser Länder kann sich rasch auf verwandte Grundstoffe in der übrigen Welt ausweiten. Der Handel dürfte den Erwartungen nach im globalen Maßstab weiter wachsen, wobei die EU ihre führende Stellung als Importeur und Exporteur behaupten wird. Bringt der Klimawandel häufigere und extremere Klimarisiken mit sich, können Angebotsschocks bei Grundstoffen Multiplikatoreffekte auf den Weltmärkten hervorrufen. Trotz der gesundheitspolizeilichen Hemmnisse der EU nimmt die Häufigkeit von immer schwieriger zu verhütenden Veterinärkrisen in der EU zu. Die wechselseitige Abhängigkeit der Finanz- und Energiemärkte sorgt ebenfalls für neue Quellen von Preisschwankungen. Historisch betrachtet hat die GAP strenge Marktregeln auf der Grundlage der öffentlichen Lagerhaltung und des Grenzschutzes zustande gebracht. Im Laufe der Reformprozesse wurde diese Stützung jedoch zu Direktzahlungen umgelenkt, wobei die Marktregulierung als eine Art Sicherheitsnetz nur für bestimmte Erzeugnisse beibehalten wurde. Derzeit machen die Ausgaben im Zusammenhang mit diesen Marktmaßnahmen nur 8 % der gesamten GAP-Ausgaben aus und entwickeln sich weiter rückläufig. Ein neues Rahmenwerk für Marktmaßnahmen müsste mit neuen Mitteln und Wegen zur Regulierung der Märkte aufwarten und dabei erhöhte Finanzierungserfordernisse vermeiden, wohl aber das erfolgreiche Funktionieren freier Märkte durch die Eindämmung der Folgen extremer Schwankungen für die Einkommen verbessern.

4 Mitteilung der Europäischen Kommission „Grundstoffmärkte und Rohstoffe: Herausforderungen und Lösungsansätze“, Brüssel, 2.2.2011. KOM(2011)0025.

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Bei einer stärker marktorientierten EU-Landwirtschaft besteht eine noch akutere Notwendigkeit, das richtige Gleichgewicht zwischen freien Märkten und Marktregulierung zu finden. Mit diesem Ziel wird bei der GAP nach 2013 die Möglichkeit der Ausarbeitung eines neuen Rahmens für die Marktregulierung in der EU mit dem Schwerpunkt auf der Stabilisierung des Einkommens der Landwirte und des Schutzes der Landwirte, der Verbraucher und der verschiedenen Sektoren vor den negativen Auswirkungen extremer Marktschwankungen in Betracht gezogen. Die verfügbaren Instrumente für das Preisrisikomanagement bei Verarbeitern und Erzeugern haben sich als weitaus unzulänglicher erwiesen, als es für die Bewältigung einer extremen (und unerwarteten) Preisvolatilität notwendig wäre. Wie Bureau und Witzke (2010) feststellen, sollte eine Reform der Betriebsprämienregelung nicht unabhängig von einem anderen zentralen Merkmal der GAP, der Marktregulierung, in Angriff genommen werden (S. 125). Die Einführung neuer Marktinstrumente sollte in Verbindung mit der Reform der Betriebsprämienregelung in Betracht gezogen werden. Die Realisierbarkeit und der Erfolg neuer Risikomanagementinstrumente hängen von der relativen Bedeutung neuer Zahlungen für das Einkommen der Landwirte ab, da diesem Instrument eine bedeutende Stabilisierungsrolle zukommt. Wie bei der letzten von der Europäischen Kommission veranstalteten öffentlichen Aussprache über die GAP nach 2013 (Europäische Kommission 2010) deutlich wurde, sind neue Instrumente nötig, die der Kommission ein gewisses Maß an Kontrolle über unerwartet große Änderungen der Preise sichern und zugleich Marktverzerrungseffekte auf ein Minimum begrenzen. Die potenziellen Marktordnungsansätze unterliegen jedoch einer Reihe von Zwängen und Einschränkungen, von denen die wichtigsten die Finanzielle Vorausschau für 2014-2020 und mögliche Übereinkommen in der Doha-Runde der WTO sind. Für die einheitliche GMO werden Marktverwaltungsinstrumente, darunter Binnenmarktmaßnahmen (Mindestpreise, private Lagerhaltung, Regelungen mit dem Ziel der Erzeugungsbeschränkung, spezifische Hilfsprogramme, Vermarktungsstandards, Erzeugerorganisationen und Branchenverbände), Regeln für den Handel mit Drittländern (Ein- und Ausfuhren) und spezifische Marktregulierungsvorschriften, in Betracht gezogen. Die jüngste Krise des Milchsektors hat jedoch ein Schlaglicht auf andere Punkte geworfen, die Beachtung erfordern, darunter die Umgewichtung der Marktmacht zwischen den Akteuren in der Nahrungsmittelversorgungskette und die Gewährleistung einer besseren Koordinierung zwischen Angebot und Nachfrage. In den vergangenen zehn Jahren wurde eine Fülle von Risikomanagementinstrumenten analysiert, um ihr Potenzial und ihre Effektivität unter speziellen EU-Agrarbedingungen zu beurteilen (Meuwissen et al. 2008). Obwohl die Betriebsprämienregelung als kraftvolle Einkommensstützung gilt und eine nicht vernachlässigbare stabilisierende Wirkung auf das Einkommen der Landwirte hat, wurden die Marktinterventionen auf eine kleine Zahl von Erzeugnissen beschränkt und sind seltener geworden. Überdies stärkt eine größere Offenheit gegenüber den Weltmärkten die Unterstützung für eine neue EU-Strategie des Managements der Nahrungsmittelmärkte mittels der GAP nach 2013. Vor diesem Hintergrund anhaltender politischer Reformen und Debatten verfolgt diese Studie die folgenden Ziele:

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a) Erstellung einer qualitativen Analyse der Unzulänglichkeiten der gegenwärtigen GAP angesichts der wachsenden Volatilität der Märkte und

b) Vorschlag für einen neuen und detaillierten Marktverwaltungsrahmen im Zusammenhang mit der GAP nach 2013.

Im Hinblick auf das erste Ziel bedurfte es stets eines konzeptionellen Rahmens, um zu ermitteln, welche Phänomene als „unzulänglich“ zu erachten sind, und zu klären, in welchem Zusammenhang, für wen, für wie lange und warum sie so einzustufen sind. Hierzu müssen Beispiele betrachtet werden, die Krisen und/oder nicht bewältigte Markttrends beschreiben, bei denen eine irgendwie geartete Intervention hätte stattfinden müssen, um Schaden abzuwenden. Das zweite Ziel sollte die Festlegung der Rahmen beinhalten, innerhalb derer die GAP nach 2013 die Regeln für ein aktives Management der Märkte vorgeben sollte, um die gewünschte Markt- und Einkommensstabilität für die EU-Landwirtschaft zu erreichen. Ein derartiger Rahmen lässt sich nur durch die Festlegung der Grundsätze und primären Instrumente schaffen, die die Europäische Kommission nutzen kann, um die Stabilisierung der Landwirte und Märkte in der EU zu erleichtern. Die Grundsätze sollten für alle EU-Sektoren und –Länder hinreichend allgemein gehalten sein. Die Unterschiede zwischen den Ländern und Sektoren erhöhen die Schwierigkeit im Zusammenhang mit der Ausgestaltung eines brauchbaren Rahmens für die gesamte EU. Ein Instrument, das sich gut für die Merkmale eines Sektors eignet, könnte sich bei einem anderen als unbrauchbar erweisen. Daher sollte die neue Marktordnung mit einem solchen Maß an Flexibilität ausgestattet sein, dass die Anwendung auf eine Vielfalt von Situationen gegeben ist, einschließlich alternativer Instrumente mit gleichwertigen Zielen. Gleichzeitig sollten die Instrumente hinreichend detailliert festgelegt werden, sodass sie anhand ihrer potenziellen Folgen und Umsetzungsschwierigkeiten analysiert und beurteilt werden können. Die EU-Landwirtschaft umschließt eine extreme Vielfalt von Sektoren mit Märkten, die ausgeprägte Unterschiede in Bezug auf Integration, Effizienz und Tiefe aufweisen. In der Mitteilung der Kommission (18. November 2010) heißt es: „Die öffentliche Debatte ließ einen breiten Konsens dahingehend erkennen, dass an der allgemeinen Marktorientierung der GAP festgehalten und auch die allgemeine Struktur der Marktverwaltungsinstrumente beibehalten werden sollte. Die Milchmarktkrise von 2009 hat schließlich gezeigt, welch wichtige Rolle den bestehenden Mechanismen im Hinblick auf die Stützung des Marktes in Krisenzeiten zukommt. Allerdings erscheinen einige spezielle Anpassungen notwendig, indem insbesondere die derzeit vorhandenen Instrumente rationalisiert und vereinfacht und neue Elemente eingeführt werden, die die Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette betreffen.“ (Hervorhebungen hinzugefügt.) Auf der Grundlage dieser Prinzipien und unter Beibehaltung der derzeitigen Ausgestaltung der Marktverwaltungsinstrumente wird in der vorliegenden Studie die Einführung neuer Instrumente erörtert, die darauf abzielen, die Landwirte besser darauf vorzubereiten, Risiken und Krisen zu bewältigen und ihre Stellung in der Lieferkette zu verbessern.

1.2. Marktkrisen kontra Preisinstabilität

Bei Marktkrisen handelt es sich um nicht hinreichend definierte Vorkommnisse plötzlicher Spitzen oder Preisstürze, die anhand des Marktgeschehens in der Vergangenheit nur schwer vorherzusagen sind. Preisinstabilität wird durch unterschiedliche Grade der Volatilität bestimmt. Wenn ein Markt sich unnormal zu verhalten beginnt, lässt sich nur schwer

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vorhersagen, wann und in welchem Maß die Anomalien enden werden. Es kann sich um einen kurzzeitigen Schock mit rascher Rückkehr zum Normalzustand handeln, oder die Situation kann sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Früher oder später pflegen alle Nahrungsmittelmärkte zu ihrem langfristigen Trend zurückzufinden. Während eines Großteils des 20. Jahrhunderts bewegten sich die landwirtschaftlichen Preise (real) nach unten, doch besteht Aussicht darauf, dass sich bei einigen der wichtigsten Grundstoffe eine leichte Aufwärtsbewegung vollzieht (OECD-FAO 2010). Längere Zeiten über oder unter dem Trend können nachteilige Folgen für Verbraucher und Erzeuger haben. Während es den Verbrauchern möglich ist, die Ernährungsgewohnheiten bei bestimmten Grunderzeugnissen einem plötzlichen Preisanstieg anzupassen, benötigen die Erzeuger mehr Zeit für die Anpassung an längere Niedrigpreisperioden. Die Erzeuger sind es gewöhnt, mitunter zu Preisen verkaufen zu müssen, die unter den Gesamtkosten liegen, doch können sie diesen Zustand nur eine begrenzte Zeit lang durchhalten. Daher ist die Dauer einer Marktkrise ein entscheidender Gesichtspunkt bei der Entwicklung wirksamer Maßnahmen. Preisänderungen enthalten immer wesentliche Informationen. Es ist allerdings nahezu unmöglich, diese Informationen im Voraus zu verarbeiten und auf ungewöhnlich instabile Marktsignale schnell und rational zu reagieren. Dies gilt für Erzeuger ebenso wie für Marktinformationsexperten und die staatlichen Stellen, die für die Ausführung von Marktordnungsprogrammen zuständig sind. Abbildung 1 zeigt vier potenzielle Situationen, die dem Zustand der Agrarmärkte in der jüngsten Zeit nahe kommen. Die horizontale Achse stellt Produktionszeiten dar, die eine ganze Saison umfassen (wie bei einjährigen Kulturen), Dreimonatszeiträume (wie beim Salatanbau) oder solche von drei Jahren Dauer (wie bei der Schweineproduktion). Schaubild A in Abbildung 1 stellt einen Sektor mit einem vorhersagbaren Zyklus und einem gewissen Maß an interner Volatilität dar. Schaubild B zeigt einen Markt ohne Zyklus und mit mittlerer Volatilität. In Schaubild C wird mit Ausnahme der Länge und Tiefe des vierten Zyklus und der geringen Volatilität eine ähnliche Situation wie bei Schaubild A dargestellt. Schaubild D steht für einen Markt mit ausgeprägten Zyklen und mittlerer Volatilität. Die Schaubilder A und B stellen Situationen dar, die mit normalen Geschäftsrisiken verbunden sind und deshalb kaum Grund für eine staatliche Intervention bieten. Hingegen stehen die Schaubilder C und D für Situationen, in denen Gewinne und Verluste nicht innerhalb des gesamten Zeitraums ausgeglichen werden und die Landwirte nicht allein auf sich gestellt über die Runden kommen können; daher zeigen die Schaubilder C und D Bedingungen, unter denen Marktinterventionen angebracht sein können. Bei Schaubild D kann die Kombination aus mittlerer Volatilität und einem weiten Zyklus ein Symptom für schwach integrierte Märkte sowie die unflexible und deshalb ungeeignete Reaktion der Erzeuger auf Nachfrageschübe (die eine Produktionssteigerung erfordern) oder Nachfrageeinbrüche (die eine Produktionsbeschränkung erfordern) sein. Darüber hinaus kann eine Volatilität innerhalb des Zyklus für die Erzeuger eine weitere Risikodimension heraufbeschwören, die ihre Reaktion auf die langen Zyklen behindert. Schaubild C bietet vielleicht am ehesten Grund für eine staatliche Intervention, wobei Vorbehalte dagegen im weiteren Verlauf der Darlegungen näher erläutert werden. Im Schaubild C sollte der Trend, wie mit der gestrichelten Linie dargestellt, nach unten

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verändert werden, was vielleicht am sich ändernden Verhalten der Verbraucher liegt, aber es stellt dennoch eine Situation dar, die als Krise betrachtet werden könnte.

Abbildung 1. Schematische Darstellung von vier wahrscheinlichen Situationen auf den Agrarmärkten

Panel A. Predictible cycles, Small volatility Panel B. No cycle, Medium volatility

Panel D. Wide cyle, medium volatilityPanel C. Marked cycle, unexpected episode

Length

Depth

Es ist keineswegs einfach, eine „übermäßige“ Volatilität oder eine damit zusammenhängende „Krise“ zu definieren. Die Preisvolatilität betrifft die Landwirtschaft auf verschiedene Art und Weise. Sie erhöht die Risikoprämie im Zusammenhang mit Investitionen und kann somit Wachstum und Produktivität der Landwirtschaft insgesamt beeinträchtigen. Gleichermaßen könnte eine Preisvolatilität in einer Wertschöpfungskette das Vertragsrisiko erhöhen, was zu höheren Risikoprämien und –margen führen würde. Schließlich könnte eine Volatilität der Marktpreise angesichts des Umstands, dass viele Landwirte (insbesondere in der EU) mit niedrigen Gewinnmargen arbeiten, zu unverhältnismäßigen Einkommensschwankungen führen. Marktvolatilität oder –instabilität bezieht sich auf periodische Veränderungen bei den summarischen Marktbezugsvariablen (wie etwa den Preisen). Eine derartige Instabilität wird durch unvorhersagbare Veränderungen bei den Grundgegebenheiten des Marktes (wie Produktionskosten und –volumen, Nachfrage, Regierungspolitik, makroökonomische Faktoren usw.) verursacht, die die Wahrnehmung der Marktteilnehmer in Bezug auf den aktuellen und den künftigen Wert eines gegeben Grundstoffs verändern. Diese Instabilität ist auf allen Agrarmärkten eine übliche Erscheinung. Um Marktinstabilität und Preisausreißer erfolgreich steuern zu können, muss man zunächst verstehen, welche Kräfte die Marktvolatilität und –unvorhersagbarkeit (siehe Kasten 1) und das Verhalten der Marktteilnehmer unter den Bedingungen der Unvorhersagbarkeit bestimmen.

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Kasten 1. Beispiel Milchpreise Der Milchsektor machte eine zweijährige Krisenperiode durch, die auf eine Zeit außerordentlich hoher Preise folgte. Die Spitze im Juli 2007, der Rückgang in den Jahren 2008 und 2009 und die Länge des Zeitraums waren anhand der früheren Preise nicht vorhersagbar.

Abbildung 2. Milchpreise

Length

Depth

Von den sieben Empfehlungen der hochrangigen Sachverständigengruppe für Milch

betreffen die folgenden die Marktordnung:

Kollektive Verhandlungsmacht der Erzeuger: ein möglicher Vorschlag für eine Bestimmung, die es Erzeugerorganisationen von Milchbauern ermöglicht, ihre Vertragsbedingungen einschließlich der Preise mit einer Molkerei gemeinsam auszuhandeln. Ob als ständiges oder vorübergehendes (aber ausreichend lange währendes) Instrument gedacht, müsste diese Bestimmung Gegenstand einer Überprüfung sein.

Die mögliche Rolle von Branchenverbänden im Milchsektor: Prüfung, ob eine der derzeitigen Vorschriften für Branchenverbände im Obst- und Gemüsesektor auch auf den Milchsektor anwendbar wäre.

Transparenz in der Milchversorgungskette hinsichtlich der Preise und der Mengen.

Marktmaßnahmen und Futures: Erwägung von „Green-Box-kompatiblen” Instrumenten zur Verringerung der Einkommensvolatilität einschließlich einer möglichen Erleichterung der Nutzung von Futures-Märkten, vor allem durch die Durchführung gezielter Schulungsprogramme.

Vermarktungsstandards und Herkunftsetikettierung

Innovation und Forschung

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1.3. Merkmale der Marktinstrumente Maßnahmen zur Vermeidung von Krisen und plötzlichen Preisstürzen/-spitzen müssen nach und nach und präventiv aktiviert werden. Es muss auch Maßnahmen geben, die aktiviert werden können, um Landwirte für Krisen zu entschädigen, die wegen ihrer Schwere und Dauer nicht zu vermeiden waren. Zu diesem Zweck müssen Protokolle ausgearbeitet werden, die sektorspezifisch sind und die Kategorisierung von Marktlagen und vorsorglich entwickelten Maßnahmen ermöglichen. Zwei Variablen sollten berücksichtigt werden: die Dauer des Zeitraums, in dem der Preis unter seinen langfristigen saisonbereinigten Trend fällt, und die Differenz zwischen dem Trend und dem aktuellen Preis. Betrachten wir die drei in Abbildung 3 dargestellten Situationen. Abbildung 3. Unterschiedliche und unsichere Preisverläufe

time

€/un

Seasonally‐Adjusted trend

t0

L(Length)??

D(depth)??

AB

C

Zum Zeitpunkt t0, der den saisonbereinigten Trend schneidet, beginnt der betreffende Preis eines Grundstoffs zu fallen. Er kann dem Verlauf A, B oder C folgen. A entspricht einem leichten Preisrückgang, B einem schwerwiegenden Preisrückgang, und C bedeutet eine ernste Krise, die die Erzeuger schädigen kann. Die Größenordnung einer Krise könnte als der Bereich unter dem Trend (rosa Markierung bei Verlauf A) zuzüglich des Bereichs über dem Trend (blaue Markierung) gewertet werden. Bei Situation B haben die Erzeuger genügend Einkünfte erzielt oder auch nicht, um mit dem schwerwiegenden Preisrückgang fertigzuwerden, obwohl sich die beiden Bereiche im Mittel gegenseitig aufheben können. Verlauf C beschreibt deutlich eine Situation, in der frühere Gewinne die Verluste nicht wettmachen können. Ähnliche Situationen wie bei C können als Ergebnis einer Kombination aus ungünstigen, aber nicht extrem unwahrscheinlichen Faktoren eintreten. Marktorientierte Erzeuger sollten in Situationen vom Typ A keine Unterstützung erwarten, dürfen in Situationen vom Typ B ein gewisses Maß an Hilfe mittels Risikomanagementinstrumenten erwarten und in Situationen vom Typ C substanzielle Hilfe erwarten. Es ist jedoch zu beachten, dass es zum Zeitpunkt t0 unmöglich ist, die Länge und Tiefe des Depressionszyklus vorherzusehen. Marktmaßnahmen schließen Initiativen und Programme ein, die für jede einzelne der drei skizzierten Situationen vorbereitet werden müssen. Im nachstehenden Diagramm

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(Abbildung 4) steht Ps für aktive Maßnahmen, und Rs bezieht sich auf reaktive Maßnahmen. Mit aktiven Maßnahmen wird Landwirten bei der Vorbereitung darauf geholfen, Risiken und/oder Krisen zu bewältigen oder zu vermeiden. Bei reaktiven Maßnahmen handelt es sich um Interventionen der öffentlichen Hand, die als letztes Mittel gedacht sind, um die Dauer von Krisen zu verkürzen. Mit einer Abfolge von Maßnahmen sollen Situationen wie C im oben stehenden Diagramm gehandhabt werden. Mit römischen Ziffern wie bei P-I, P-II oder R-I werden Situationen bezeichnet, in denen verschiedene Maßnahmen aktiviert oder ausgelöst werden. Die Perioden t1, t2 usw. sollten auf der Grundlage der Produktionsstruktur, der Dauer der Saison und der für jeden Sektor maßgeblichen biologischen Prozesse festgelegt werden. Abbildung 4. Allmähliche Entfaltung aktiver und reaktiver Marktverwaltungsmaßnahmen

t

€/un

trend

t0 t1 t2 t3 t4

€/un

t

trend

t0 t1 t2 t3 t4

€/un

t

trend

t0 t1 t2 t3 t4t

€/un

trend

t0 t1 t2 t3 t4

P‐I

Categories of measures Categories of mesaures

Categories of measures Categories of measures

P‐I P‐II

P‐II P‐III R‐IP‐IP‐II P‐III R‐IP‐I R‐II

Entsprechend der Entwicklung der Preise sollten die Programme P-I, … idealerweise nach vorher festgelegten Regeln und Länge-Tiefe-Merkmalen vorausschauend aktiviert werden. Es wird empfohlen, dass, sollten die Maßnahmen P-I, … und R-I, … die Erhebung finanzieller Beiträge erfordern, der von den Erzeugern zu entrichtende Anteil in dem Maße verringert werden sollte, in dem sich das Protokoll von aktiven zu reaktiven Maßnahmen bewegt. Dementsprechend wird beim Anstieg der Preise über den Trend hinaus erwartet, dass die Landwirte Reserven aufbauen können, um mit künftigen ungünstigen Situationen fertigzuwerden. Eine größere Flexibilität des EU-Haushalts wäre für die Durchführung von Programmen mit strategischen Notwendigkeiten, die nicht vorausgesehen werden können, sicherlich hilfreich. Kurzum, kluge Marktmaßnahmen sollten eine Kombination aus Anreizen, die die Erzeuger in die Lage versetzen, mit geringen und mäßig bedeutenden Preisrückgängen fertigzuwerden, und Programmen bilden, die darauf abzielen, (i) die Länge und Tiefe der Abschwünge zu verringern und (ii) den Landwirten nach schwerwiegenden Krisen bei der Wiederherstellung finanzieller Solidität zu helfen, sollten die aktiven Maßnahmen versagen. In dieser Analyse wird davon ausgegangen, dass sich Krisen nicht völlig vermeiden lassen.

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Jeder große Sektor sollte einen Plan ausarbeiten, der aus einer Reihe von Maßnahmen besteht, die rechtzeitig durchgeführt werden sollten, und dabei folgende Faktoren berücksichtigen:

die Tatsache, dass die Preise auf grundlegende Gegebenheiten (Nachfrage und Angebot) und die Erwartungen der Händler reagieren;

den Zusatznutzen des Tätigwerdens der Gemeinschaft;

das Kosten/Nutzen-Verhältnis;

die Vorteile für die Verbraucher, besonders die Bedürftigen unter ihnen;

die Auswirkungen auf die Weltmärkte;

die Vermeidung von Verzerrungen und Preissignalstörungen;

eine gerechte Einkommensverteilung entlang der Marktkette.

1.4. Bedeutung und Unterscheidung von Volatilität und Krisen der Agrarmärkte

Auf den Nahrungsmittelmärkten gab es in den letzten vierzig Jahren fünf Zeiträume (1973-1975, 1978-1979, 1986-1987, 1995 und 2007-2008) mit plötzlichen Preissteigerungen (und anschließendem Verfall), die als außergewöhnlich bezeichnet werden können, wobei nur der Zeitraum 1973-1975 in der Größenordnung mit dem Zeitraum 2007-2008 vergleichbar war. Zum jüngsten Anstieg der Nahrungsmittelpreise liegen zahlreiche Analysen vor (Abbott et. al. 2008; von Braun et al. 2008; Mitchell 2008; Gilbert 2010). Vor kurzem bewerteten Headey und Fan (2008) die verschiedenen Feststellungen und Faktoren, die als Erklärung für den Anstieg der Nahrungsmittelpreise Ende 2007 und 2008 angeführt wurden, und kamen zu dem Ergebnis, dass von den vielen ins Gespräch gebrachten Faktoren nur einige wenige mit den der Krise zugrunde liegenden Tatsachen vereinbar seien. Bei der Marktvolatilität geht es jedoch nicht nur um ein einmaliges Ereignis stark steigender Grundstoffpreise. Dabei geht es auch um ein anhaltendes Muster unvorhersagbarer Preisänderungen sowohl positiver als auch negativer Art. Somit liegt es gerade an der Unvorhersagbarkeit, dass mittel- und langfristige Investitionen und damit auch die Erzeugung und der Verbrauch nachteilig beeinflusst werden. In jüngster Zeit sind in der EU erhebliche Preisänderungen bei landwirtschaftlichen Grundstoffen eingetreten. So änderte sich beispielsweise der Preis für Weichweizen in den Mitgliedstaaten (MS) zwischen August 2009 und August 2010 in unterschiedlichem Ausmaß, das sich zwischen einem Niedrigwert von 7 % bzw. 9 % in Slowenien und Portugal und einem Höchstwert von 72 % bzw. 76 % in Deutschland und Frankreich bewegte (die durchschnittliche Änderung in der EU lag bei 44 %). In demselben Zeitraum betrug die durchschnittliche Preisänderung in der EU für Mais 39 %, für Hafer 40 %, für Magermilchpulver 33 % und für Butter 41 %, wobei es in den einzelnen MS beträchtliche Abweichungen gab; umgekehrt belief sich in demselben Zeitraum die Preisänderung für Hartweizen auf -8 %, für Rindfleisch auf -1 %, für Schweinefleisch auf -3 % und für Geflügelfleisch auf 4 %, wiederum mit erheblichen Abweichungen in den einzelnen MS5. Aus dieser jüngsten Entwicklung gehen zwei Dinge klar hervor: Erstens ist der Verlauf der Preisänderungen nicht für alle landwirtschaftlichen Grundstoffe gleich, und zweitens fallen

5 Quelle: Europäische Kommission, GD Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. CM D(2010) 785171.

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die Preisänderungen von einem EU-MS zum anderen unterschiedlich aus. Es ist deshalb schwierig, von einer Preisspitze in der EU zu sprechen, wenn die Preisentwicklung in verschiedenen MS unterschiedlich verläuft. Die Verbraucherpreise für verschiedene Lebensmittel, die mit diesen Grundstoffen zusammenhängen, ändern sich allerdings erheblich weniger als die Grundstoffpreise. Im Zeitraum 2009-2010 änderte sich z. B. der durchschnittliche EU-Verbraucherpreis für Brot um 0,2 %, für Fleisch um -0,1 %, für Milch, Käse und Eier um 0,5 % und für Öle um 2,9 %. Für alle Lebensmittel betrug die Änderung lediglich 1,8 %. Ganz eindeutig schlagen sich die großen Preisänderungen bei Grundstoffen nicht in den Endverbraucherpreisen nieder. Das bedeutet, dass die Preisschwankungen in der Nahrungsmittelversorgungskette hauptsächlich auf den Ebenen nahe bei den Erzeugern abgefedert werden, somit sind die Erzeuger Preisschocks bei den Grundstoffen am stärksten ausgesetzt. Die Abbildungen 5 und 6 veranschaulichen dies für zwei Wertschöpfungsketten auf dem EG-Markt im Zeitraum von 1997 bis 2010: Getreide und Verbraucherprodukte auf Getreidebasis (als Indizes angenommener Preise dargestellt) und Fleisch und Verbraucherfleischprodukte. Es zeigt sich, dass die Preisschwankungen auf der Grundstoffebene des Enderzeugnisses wesentlich stärker sind. Ähnliche Zahlen gelten für andere Nahrungsmittelproduktgruppen wie etwa Milcherzeugnisse (siehe Kasten 1). Abbildung 5. Getreide/Brot und Produkte auf Getreidebasis: EU-Agrarmarkt und Verbraucherpreisentwicklung (Jan. 1997 bis Aug. 2010; Jan. 1997=100)

Quelle: AgriView, Eurostat.

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Abbildung 6. Fleisch, EU-Agrarmarkt und Verbraucherpreisentwicklung (Jan. 1997 bis Aug. 2010; Jan. 1997=100)

Quelle: AgriView, Eurostat. Der Zyklus für Schweinefleisch wird normalerweise durch die Schweinefleischpreise bestimmt, die auf den Angebots-Nachfrage-Verhältnissen beruhen. Neben den Schweinepreisen können auch die Grundstoffpreise (Futtermittelpreise) wegen ihres verhältnismäßig hohen Anteils (ca. 50 %) innerhalb der gesamten Kostenstruktur den Zyklus beeinflussen. Bis 2007 waren die Grundstoffpreise für die Akteure in der Schweinefleischversorgungskette verhältnismäßig stabil und übten deshalb keinen wesentlichen Einfluss auf den Zyklus für Schweinefleisch aus. Aufgrund der jüngsten Umstände weisen die Grundstoffpreise jedoch größere Schwankungen auf, und es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen diese stärkere Volatilität bei den Grundstoffpreisen auf die Länge und Amplitude des Zyklus für Schweinefleisch haben wird. 2007 sah sich die Schweinezuchtindustrie verhältnismäßig hohen Futtermittelpreisen gegenüber, die die Schweineproduktion erheblich beeinträchtigten, insbesondere wegen des Anreizes, das Getreide zu verkaufen, anstatt es an die Tiere zu verfüttern. In Abbildung 7 sind die Gewinnmargen der niederländischen Schweinezuchtbetriebe und die gestiegenen Futtermittelpreise dargestellt. Es ist deutlich zu erkennen, dass die Futtermittelpreise im Jahre 2006 rasch zu steigen begannen. Die Preise für Mais, Sojabohnen, Weizen und Hafer gingen in ganz Europa fühlbar in die Höhe (Beek 2007), woran sich 2008 ein Rückgang anschloss. Im Jahre 2009 wiesen die Grundstoffpreise erneut eine Aufwärtsbewegung auf. Hohe Futtermittelpreise führten zu hohen Betriebsmittelpreisen; währenddessen ging wegen der Wirtschaftskrise und weiterer Gründe die Nachfrage nach Schweinefleisch weltweit zurück (Clark 2009). Infolgedessen kam es auf dem Markt zu einem Überangebot an Schweinefleisch, das in vielen Ländern der Welt für niedrige Fleischpreise sorgte. Die größere Volatilität der Grundstoffpreise kann also eine bemerkenswerte Wirkung sowohl auf die Länge als auch auf die Amplitude des Schweinefleischzyklus haben. Dies bewirkt, dass das künftige Ausmaß des „normalen Geschäftsrisikos“ unsicher ist, was sich potenziell nachteilig auf die Kreditverfügbarkeit und das Investitionsniveau auswirkt.

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Abbildung 7. Gewinnmargen und Futtermittelpreise im Schweinezuchtsektor in den Niederlanden (Rabobank 2009)

Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob die Preisvolatilität landwirtschaftlicher Grundstoffe zugenommen hat. Nach weitverbreiteter Ansicht ist dies der Fall, doch legen einige Analysen neueren Datums ein gemischtes Bild nahe. Gilbert und Morgan (2010) untersuchten die Preisvolatilität von 19 international gehandelten landwirtschaftlichen Grundstoffen im Zeitraum 1970-2009. Beim Vergleich der zwei 20-Jahres-Zeiträume in dieser Zeitspanne stellten sie fest, dass die Volatilität statistisch und signifikant nur bei drei Grundstoffen (Reis, Sorghum und Bananen) zugenommen hatte, während sie bei neun Grundstoffen (Kakao, Zucker, Sojabohnen, Erdnussöl, Palmöl, Sojaöl, Rindfleisch, Lammfleisch und Fischmehl) signifikant abgenommen hatte und bei den anderen Grundstoffen unwesentliche Veränderungen aufwies. Hinsichtlich der Aussichten für die künftige Volatilität bewerteten Gilbert und Morgan (2010) eine Reihe von Faktoren und kamen zu dem Ergebnis, dass von drei Faktoren eine positive Wirkung auf die Volatilität zu erwarten sei (Nachfrage nach Nahrungspflanzen als Ausgangsstoffe für Biokraftstoffe, Futures-Marktspekulation und Investitionsdefizite in der Landwirtschaft), während andere Faktoren wie Lagerhaltungsniveau, Klimawandel und Preisweitergabe die künftige Volatilität voraussichtlich nur minimal beeinflussen dürften. Balcombe (2010) kam bei den landwirtschaftlichen Grundstoffen bezüglich des Volatilitätstrends ebenfalls zu widersprüchlichen Erkenntnissen. So stellte er fest, dass der Volatilitätstrend von der Volatilität mehrerer erklärender Variablen wie dem Erdölpreis und dem Wechselkurs des US-Dollars abhing. Andererseits legen Analysen der Europäischen Kommission6 nahe, dass die Volatilität mehrerer landwirtschaftlicher Grundstoffe ungefähr in den vergangenen zehn Jahren zugenommen hat. Matthews (2010) kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Preisvolatilität auf den EU-Märkten im Laufe der Zeit zugenommen hat und bei einigen Grundstoffen inzwischen größer ist als die Weltmarktvolatilität.

6 Europäische Kommission, GD Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, Direktion L. Wirtschaftliche Analyse, Perspektiven und Bewertungen. L5 Analyse der Agrarhandelspolitik, Vermerk vom 16.7.2009 zur Entwicklung der Preisvolatilität.

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Theoretisch müsste die Volatilität der Grundstoffpreise zunehmen, sobald das Preisniveau der Grundstoffe ansteigt (ausgehend von einer Knappheit des Grundstoffs und damit einer stärkeren Reaktion auf Nachrichten über die Fundamentaldaten) und das Lagerhaltungsniveau abnimmt (ausgehend von einem kleineren Puffer gegen kurzfristige Angebots-/Nachfragestörungen). Aus einer von der Europäischen Kommission veröffentlichten Analyse geht hervor, dass die Volatilität auf dem repräsentativsten internationalen Markt für Weizen, der Chicago Mercantile Exchange (CME), im Laufe der Zeit zugenommen hat. Sie zeigt auch auf, dass höhere angenommene Preise normalerweise, aber nicht immer, mit einer größeren Volatilität verbunden sind. Ein weiterer, weniger augenfälliger Indikator der Marktvolatilität ist die sogenannte „implizite Volatilität“. Die implizite Volatilität stellt die Ex-ante-Bewertung des Marktes hinsichtlich möglicher Änderungen der Preise dar. Sie ist nicht unmittelbar wahrzunehmen, lässt sich aber leicht aus Verträgen mit Preisen erschließen, die von derartigen Bewertungen abhängen. Bei diesen Verträgen handelt es sich um Optionen auf künftige Preisentwicklungen. Mit einer „Option“ erwirbt der Käufer das Recht, einen Grundstoff zu einem festgelegten Preis und zu (oder vor) einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft zu verkaufen (Put-Option) oder zu kaufen (Call-Option). Der Preis einer Option hängt von der erwarteten Preisbewegung während der Laufzeit der Option ab, und eben dieses Merkmal ermöglicht die Ableitung der künftigen Bewegung des Grundstoffpreises aus zugrunde liegenden marktbestimmten Unsicherheiten oder Volatilitäten. Eindeutig verhält es sich so, dass der Optionspreis mit zunehmender Unsicherheit der Marktakteure über die weitere Entwicklung des Grundstoffpreises steigt. Unabhängig davon, ob die Preisvolatilität zugenommen hat oder nicht, müssen die Einkommen der Landwirte in der EU nicht unbedingt größere Schwankungen aufweisen. Dies liegt an der Betriebsprämienregelung in der EU, die für ein gewisses Maß an Stabilität bei den landwirtschaftlichen Einkommen sorgt, wie es im Zeitraum nach 2000 im Vergleich zu den 1990er Jahren der Fall gewesen ist (Europäische Kommission 2008). Darüber hinaus sind die Auswirkungen der Marktrisikoexposition auf die landwirtschaftlichen Betriebe in der EU alles andere als homogen (Vrolijk und Poppe 2008; Berg et al. 2008). Die Fähigkeit der Betriebe, mit widrigen wirtschaftlichen Bedingungen fertigzuwerden, ist von Land zu Land und je nach Art des Betriebs höchst unterschiedlich. Aus einer Reihe von Erhebungen geht hervor, dass auch die Nachfrage nach Risikomanagementinstrumenten heterogen ist. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass im Hinblick auf die Risikolage die Preisvolatilität den Hauptgrund für Besorgnis darstellt.

1.5. Folgerungen für die GAP-Marktordnungsinstrumente

Angesichts der vorstehenden Erörterung lassen sich drei Arten von relevanten Indikatoren bezeichnen, die von der Europäischen Kommission verwendet werden könnten, um eine übermäßige Marktpreisinstabilität zu handhaben. Der erste bezieht sich auf die nominalen Preise der relevanten Grundstoffe auf dem jeweiligen spezifischen Markt. Es ließe sich ein Indikator um spezifische Preisober- und –untergrenzen herum festlegen, bei dessen Über- oder Unterschreitung eine Marktintervention erforderlich würde. Dies ist die einfachste Art eines Indikators, der in der Vergangenheit auch bereits verwendet wurde. Er weist jedoch insofern eine Schwäche auf, als jemand die entsprechenden Preisbänder spezifizieren muss, was unabänderlich sowohl technisch schwierig als auch hochpolitisch ist.

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Im Idealfall hätte man zur Bestimmung eines Index oder einer Maßnahme als Grundlage eines Auslösers für die Aktivierung von Interventionen zur Handhabung der Grundstoffmarktvolatilität (siehe Abbildung 4) gerne eine Schätzung des zugrunde liegenden gewogenen mittleren Marktpreises für diesen Grundstoff für jeden Zeitraum und eine Wahrscheinlichkeitsverteilung für die Preise um diesen Mittelwert herum für jeden Zeitraum zur Verfügung. Es könnte ein geeignetes Preisband festgelegt werden, das in Abhängigkeit von der Wahrscheinlichkeitsverteilung in bestimmten Zeitabständen überprüft werden könnte. Im Zeitverlauf könnte das Band den Änderungen des zugrunde liegenden Durchschnittspreises und/oder der Wahrscheinlichkeitsverteilung angepasst werden. Leider sind derartige Variablen recht schwierig zu schätzen und weisen, falls sie geschätzt werden, eine erhebliche Fehlerquote auf. Darüber hinaus ist es schwierig, Änderungen der zugrunde liegenden Trends vorauszusagen/abzuschätzen und sie von vorübergehenden Schocks zu unterscheiden. Ein immer wieder vorkommender Fehler bei den früheren Programmen bestand darin, eine vorübergehende Preisspitze oder einen vorübergehenden Preisverfall als dauerhafte Verschiebung zu deuten, was zur Folge hatte, dass fälschlicherweise zu Marktinterventionen mit dem Ziel gegriffen wurde, grundlegende Marktgegebenheiten zu ändern. Als zweite Art eines brauchbaren Marktindikators kommt die Abschätzung der festgestellten Marktvolatilität in Frage. Dieser Indikator könnte sich auf die Preisänderungen für bestimmte Grundstoffe auf den jeweiligen Märkten beziehen und zu den in der Vergangenheit aufgetretenen Änderungen ins Verhältnis gesetzt werden. Große und anhaltende Abweichungen der festgestellten Änderungen von früheren Mittelwerten könnten als Auslöser für Interventionen verwendet werden. Selbstverständlich müsste man die Häufigkeit der Preisermittlungen (täglich, wöchentlich usw.), den Zeitraum, während dessen Änderungen festgestellt werden müssen, bevor eine Intervention ausgelöst wird, die Art der Messung der Änderungen und den Grad der Abweichung, über den hinaus Maßnahmen ergriffen werden müssten, festlegen. Solche Indikatoren wurden in der Vergangenheit nicht benutzt, doch kommt ihnen bei der Bewältigung der Marktvolatilität eine gewisse Bedeutung zu. Es wäre ein immens hoher Aufwand nötig, um (ex-post) die Art der Interventionen zu ermitteln, die in der Vergangenheit ausgelöst worden wären, wenn solche Indizes benutzt worden wären. Ein Marktindikator ähnlicher Art könnte im Zusammenhang mit den festgestellten impliziten Volatilitäten einiger Grundstoffe festgelegt werden. Da diese Indikatoren aber von Optionspreisen an organisierten Börsen abgeleitet werden müssten und dieser Handel in der EU recht begrenzt ist, dürfte dieser Indikatortyp weniger brauchbar sein. Der dritte Typ eines Marktindikators könnte eine Kombination aus Preisniveau und Volatilitätsindizes darstellen. Anders gesagt, Preise, die sich erheblich, aber langsam verändern, sind kein Anlass für eine Marktintervention, da der Markt möglicherweise auf sich langsam herausbildende grundlegende Kräfte reagiert, die weitestgehend vorhersagbar sind. Große und plötzliche Preisänderungen können jedoch eine Desorientierung des Marktes in Bezug auf die grundlegenden Gegebenheiten und dementsprechend erratische und potenziell kostspielige Reaktionen auf die Unvorhersagbarkeit widerspiegeln. In solchen Fällen kann zu einer Intervention gegriffen werden, um zu versuchen, das Marktvertrauen in die grundlegenden Gegebenheiten wiederherzustellen und die Unvorhersagbarkeit bei späteren Preisbewertungen zu verringern. Zu der Frage, was als „übermäßig” bezeichnet werden kann, ist festzustellen, dass den Landwirten und Verbrauchern in der EU eine Reihe von Optionen zur Verfügung steht, um mit normalen Marktschwankungen fertigzuwerden. Nur ungewöhnliche Marktereignisse,

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z. B. Marktumwälzungen, wie sie etwa alle 20 Jahre einmal vorkommen, sind besonders unvorhersagbar und können deshalb zusätzliche Maßnahmen erfordern. Derartige seltene Ereignisse können durch ein „kognitives Versagen“ gekennzeichnet sein, nämlich die Unfähigkeit privater Akteure, die wirklichen Risiken zu erkennen und entsprechende Pläne vorzubereiten. Ereignisse dieser Art können aus Sicherheitserwägungen unternommene Notinterventionen rechtfertigen.

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2. INSTRUMENTE (marktbezogene Maßnahmen) 2.1. Instrumente zur Verbesserung der Funktionsweise und der

Leistungsfähigkeit der Märkte

WICHTIGSTE ERKENNTNISSE Vertragsmechanismen in der Nahrungsmittelversorgungskette Die Standardisierung schriftlicher Verträge kann ein wirksames Mittel zur

Verringerung der Transaktionskosten, zur Verteidigung der Rechte der Erzeuger und zur Beseitigung unlauterer Praktiken in der Nahrungsmittelversorgungskette sein. Dabei sind die Einrichtung von Begleitausschüssen und eines transparenten Streitschlichtungsverfahrens von entscheidender Bedeutung für den Erfolg.

Besondere Bedeutung kann die Förderung von in schriftlicher Form

abzuschließenden Verträgen in den Versorgungsketten der unverarbeiteten Nahrungsmittel haben, in denen das Auftreten akuter Spannungen im Hinblick auf leicht verderbliche Erzeugnisse festgestellt wurde.

Verhaltenskodizes mit einer Auflistung bewährter Verfahrensweisen können dazu

beitragen, die Schaffung fairer Beziehungen auf horizontaler und insbesondere vertikaler Ebene voranzubringen. Hierbei sollte auf Freiwilligkeit gesetzt werden, doch die Entscheidung zugunsten der Einhaltung eines solchen Kodex könnte durch einen Zertifizierungsmechanismus gefördert und anerkannt werden.

Wettbewerbsregeln Eine bessere Marktordnung durch bessere Informationen über Angebot und

Nachfrage ist mit den Wettbewerbsregeln durchaus vereinbar. Hingegen stehen Maßnahmen, mit denen Einfuhren oder Vereinbarungen zur Preisfestsetzung behindert werden könnten, im Widerspruch zu den Wettbewerbsregeln.

Erzeugerorganisationen Größe zählt: Größere Genossenschaften werden durch Konzentration, Entwicklung

von Erzeugnissen mit höherer Wertschöpfung und eine bessere Marktpositionierung und Gesamtstrategie immer größer.

Sowohl auf der Ebene der Erzeugnisse als auch der der Mitgliedstaaten sind

erhebliche Größen- und Organisationsunterschiede anzutreffen. So ist der Grad der Konzentration beispielweise in den neuen Mitgliedstaaten und in Südeuropa nach wie vor weitaus niedriger. Dazu kommen ineffiziente Strukturen in der Kette der unverarbeiteten Nahrungsmittel, in der die Konzentration auf der Angebotsseite und eine bessere Organisation dringend erforderlich sind.

Die Stärkung der EO hat durch die Förderung der Annahme strategischer

Vorgehensweisen (im Gegensatz zur bloßen Zusammenfassung von Erzeugnissen in

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Gruppen) die strukturelle Anpassung der Obst- und Gemüse-Versorgungskette erleichtert.

Das Genossenschaftsmodell verbessert durch die Verstärkung der Qualitätspolitik,

eigene Standards sowie Konformitäts- und andere Bescheinigungen, die von Einzelerzeugern nicht erbracht werden können, die vertikale Koordinierung.

Branchenverbände Die Tätigkeit der Branchenverbände sollte im Einklang mit den Besonderheiten des

jeweiligen Sektors festgelegt werden. Auf EU-Ebene ist nur eine begrenzte Zahl von Sektoren berechtigt,

Branchenverbände zu bilden; allerdings belegen die Beispiele aus Frankreich, Italien und Spanien, dass es keinen Grund gibt, die Verbände auf ausgewählte Erzeugnisse zu begrenzen.

Unter den aufgeführten Zielen werden in der Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Die GAP bis 2020“ die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Agrarsektors und die Steigerung seines Wertschöpfungsanteils in der Nahrungsmittelversorgungskette genannt. Um das wirtschaftliche Ergebnis der landwirtschaftlichen Betriebe zu verbessern, bedarf es daher einer ausgeglicheneren Nahrungsmittelversorgungskette. So ist der Anteil der Landwirtschaft an der Wertschöpfung in der Nahrungsmittelversorgungskette von 29 % im Jahr 2000 auf 24 % im Jahr 2005 zurückgegangen, während Lebensmittelindustrie, Großhandel und Vertrieb ihren Anteil im selben Zeitraum erhöht haben7. Andererseits wurde die geringe Verhandlungsmacht der Landwirte gegenüber anderen Akteuren in der Kette als Ursache unlauterer Praktiken, wie Zahlungsverzug, festgestellt. Mangelnde Transparenz bei der Preisbildung, Fragmentierung des Binnenmarktes, Preisunterschiede zwischen den einzelnen Ländern und eine asymmetrische Preisweitergabe wurden ebenfalls berichtet (Bukeviciute et al., 2009). In diesem Abschnitt werden Maßnahmen analysiert, mit denen die Funktionsweise der Märkte und die Stellung der Landwirte in der Wertschöpfungskette verbessert werden können, wobei Standardverträgen, Wettbewerbsregeln, Regeln der guten fachlichen Praxis sowie der Rolle von Branchenverbänden und Erzeugerorganisationen besondere Aufmerksamkeit gilt. 2.1.1 Vertragsmechanismen Die Vertragsmechanismen innerhalb der Nahrungsmittelversorgungskette (NMVK) sind höchst unterschiedlicher Art und reichen von horizontalen Abmachungen bis hin zu Praktiken der vertikalen Integration. Für die Verwendung eines formalen Vertrags sprechen mindestens drei wichtige Gründe: (i) Teilung oder Übertragung der Risiken; (ii) Organisation der Herstellung von Lebensmitteln mit besonderen Merkmalen und (iii) Lösung von „Hold-up-Problemen“ aufgrund spezifischer Investitionen. Die Verwendung von Verträgen in Schriftform dürfte für die Ketten der unverarbeiteten Nahrungsmittel von besonderer Bedeutung sein, da sie durch eine extrem zersplitterte

7 KOM(2009)0591 vom 28.10.2009, „Die Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette in Europa verbessern".

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Lieferantenstruktur und starke Käufer gekennzeichnet sind und sich darin von den Ketten der verarbeiteten Lebensmittel unterscheiden, bei denen die Angebotsseite eine stärkere Konzentration aufweist (Cesarini, 2009). Im Bereich der leicht verderblichen Lebensmittel sind in der Tat zunehmend angespannte Beziehungen festzustellen.

Kasten 2. Das Hold-up-Problem in der Lebensmittelversorgungskette Ein Hold-up-Problem tritt auf, sobald für die Erzeugung besondere Investitionen erforderlich sind. Der Erzeuger ist dann in hohem Maße vom Käufer abhängig, da es generell schwierig ist, einen anderen Käufer zu finden. Erschwerend kommen die lokale Konzentration der Verarbeitungsbetriebe und die Transportkosten (die letztlich das Gebiet vorgeben, in dem der Erzeuger seine Lebensmittel verkaufen kann) hinzu. Beispielsweise muss ein Milcherzeuger aufgrund der Besonderheit der Milcherzeugung zahlreiche Investitionen tätigen und hat dagegen in der Regel nur sehr wenige Verarbeitungsbetriebe als Abnehmer. Selbst wenn die Milchverarbeitung keine hohe Konzentration aufweist, ist es nicht zweckmäßig, die Milch über längere Strecken zu transportieren; somit stehen einem bestimmten Milchbauern jeweils nur wenige potenzielle Kunden zur Verfügung. Fehlen dann entsprechende Zusagen der Verarbeitungsbetriebe, kann sich der Erzeuger gezwungen sehen, die Produktion von Milch aufzugeben. Es liegt damit auch im Interesse der Verarbeiter, Landwirten mithilfe von Verträgen Anreize zur Fortsetzung der Milcherzeugung zu bieten. Aus Sicht der Verarbeitungsbetriebe können Verträge von Nutzen sein, um das Angebot (innerhalb eines Jahres oder auf längerfristiger Grundlage)8 besser auf den erwarteten Bedarf abzustimmen, die Qualitätsanforderungen zu erfüllen und die vorgeschalteten Erzeuger dauerhaft zu halten (da häufig wechselnde Erzeuger Kosten verursachen würden). Die Standardisierung von Verträgen setzt die Festlegung des förmlichen Vertrags und der grundlegenden Inhalte des Vertrags voraus. Mit der Standardisierung wird das Ziel verfolgt, die Aushandlung von Verträgen zu erleichtern, die Transaktionskosten zu senken, die Transaktionen am Markt besser zu organisieren und das Problem unlauterer Praktiken einzudämmen. In Anbetracht der Heterogenität innerhalb der Sektoren und selbst der Untersektoren kommt ein „Universalmodell“ nicht infrage, sodass die Verträge den spezifischen Bedürfnissen jedes Erzeugnisses oder Sektors angepasst werden müssen. Auf jeden Fall sollten die Verträge vor den Lieferungen in schriftlicher Form vorliegen und könnten Folgendes beinhalten: (i) Angaben zu den Vertragsparteien und zur Vertragsdauer; (ii) Gegenstand des Vertrags: Umfang, Menge, Qualität sowie Ort und Zeitpunkt der Lieferungen sowie weitere erforderliche Angaben; (iii) Preis und Zahlungsbedingungen und (iv) Angaben zur Konfliktlösung. Die Aufnahme eines Referenzpreisindexes in einen Standardvertrag kann als Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln angesehen werden. Derzeit wird über die Zweckmäßigkeit von Preisanpassungsformeln diskutiert, die von selbständigen Handelsvertretern unter Berücksichtigung der Preise in den vor- und nachgelagerten Stufen (wie beispielsweise für

8 Im Milchsektor bieten zum Beispiel einige Firmen Landwirten Anreize für eine bestimmte jahreszeitbezogene Produktion, was im Interesse einer besseren Kapazitätsauslastung liegt, während andere Firmen Landwirten Boni bieten, wenn sie die erwartete Produktionshöhe im Vorhinein mitteilen und die tatsächliche Erzeugung den Prognosen nahekommt.

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Dünger oder Benzin) berechnet werden müssten. Allerdings haben die Wettbewerbsbehörden bereits festgestellt, dass dies den Wettbewerb am Markt einschränken würde, da alle Marktteilnehmer verpflichtet wären, ihre Preise zur selben Zeit zu aktualisieren. Zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit müssen Preise frei unter den Parteien ausgehandelt werden (CNC, 2010). Im jüngsten Vorschlag zum Milchsektor ist der Abschluss freiwilliger schriftlicher Verträge zwischen Milcherzeugern und milchverarbeitenden Betrieben vorgesehen, die vor den Lieferungen abzuschließen sind und Angaben zu Preis, Zeitplan und Umfang der Lieferungen sowie zur Laufzeit des Vertrags enthalten sollten. Die Mitgliedstaaten können in ihrem Hoheitsgebiet geltende obligatorische Verträge verwenden. Um den besonderen Charakter von Genossenschaften zu berücksichtigen, würden von diesen keine Verträge verlangt, sofern deren eigene Satzungen Regelungen mit ähnlichen Auswirkungen enthalten. Einige Mitgliedstaaten haben Begleitausschüsse als juristische Personen eingesetzt, die im Hinblick auf die Gewährleistung des Erfolgs des Standardisierungsprozesses eine wichtige Rolle spielen9. Sie sind für die Überwachung des genehmigten Vertrags zuständig. Im Fall Spaniens beteiligen sich interessierte Marktteilnehmer an den Ausschüssen, wobei beide Vertragsparteien paritätisch vertreten sind.

2.1.2. Wettbewerbsregeln und kollektive Vertragsaushandlung

Gemäß dem Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) sind aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (Artikel 101) und die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen (Artikel 102) verboten. Diese Vorschriften gelten für alle Sektoren, einschließlich des Agrarsektors, mit Ausnahme der Praktiken, bei denen die Einhaltung spezifischer Rechtsakte nwk1 ist (z. B. einheitliche GMO). Gemäß den Artikeln 175 und 176 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 gelten für den Agrarsektor mehrere Ausnahmen; angesichts der hohen Anforderungen kommen diese Ausnahmeregelungen allerdings kaum zur Anwendung10. In der Praxis beschränken sich Kollektivverhandlungen auf Vereinbarungen, die gleichzeitig folgende Bedingungen erfüllen: (i) Die Verhandlungen werden zwischen landwirtschaftlichen Betrieben oder Zusammenschlüssen von landwirtschaftlichen Betrieben geführt, (ii) die Verhandlungen betreffen einen einzigen Mitgliedstaat und (iii) die Verhandlungen schließen die gemeinsame Erzeugung, Be- und Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse oder gemeinschaftliche Einrichtungen für die Vermarktung ein. Die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmungen würde im Einzelfall geprüft werden, wobei Effizienzgewinn und etwaige wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Hervorzuheben ist, dass die Festsetzung von Preisen sehr wahrscheinlich auf sämtlichen Stufen der Kette verboten wird. Der Punkt bezieht sich auf eine Klausel, die Ausnahmen (gemäß Artikel 101) im Fall von Vereinbarungen gestattet, die zur Verwirklichung der Ziele der GAP notwendig sind11. Eine Abweichung von Artikel 101 ist möglich, sofern nachgewiesen wird, dass eine spezifische Regelung erforderlich ist, um die

9 In Spanien besteht seit 2000 Einvernehmen über die Verwendung standardisierter Verträge. Parallel dazu wurden Begleitausschüsse zur Überwachung der Einhaltung der Verträge in den Bereichen Futter, Obst, Gemüse, Kartoffeln, Tabak und Milch eingerichtet.

10 Z. B. Rindfleisch in Frankreich (siehe Kasten 4), Rohtabak in Spanien (Sanchez, 2009). 11 Gemäß Artikel 30 AEUV lauten die fünf Ziele wie folgt: i) die Produktivität der Landwirtschaft steigern; ii) der landwirtschaftlichen Bevölkerung eine angemessene

Lebenshaltung gewährleisten; iii) die Märkte stabilisieren; iv) die Versorgung sicherstellen und v) für die Belieferung der Bevölkerung zu angemessenen Preisen Sorge tragen.

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fünf Ziele zu erreichen. Unter statischen Rahmenbedingungen ist es nahezu unmöglich, die fünf Ziele zu erreichen. Bei einer dynamischen Analyse wäre dies möglich, wenn die Regelung erforderlich ist, um Effizienz- und Produktivitätsgewinne zu erzielen, die sowohl vorgeschalteten Erzeugern als auch Endverbrauchern zugute kommen können. Am Beispiel des französischen Rindfleischs wird das Problem gut veranschaulicht (siehe Kasten 3).

Kasten 3. Das Beispiel des französischen Rindfleischsektors

Ende 2000 wurde die Nachfrage nach Fleisch durch die sogenannte BSE-Krise erheblich beeinträchtigt. Sechs Berufsverbände der Rindfleischerzeuger und Schlachtbetriebe kamen daher im Oktober 2001 überein, zur Aufrechterhaltung der Preise einen Mindestankaufpries für bestimmte Kategorien von Rindern festzusetzen und die Einfuhr von Rindfleisch nach Frankreich auszusetzen. Die Vereinbarung kann als die Bildung eines „Krisenkartells“ angesehen werden. Nach dem Abschluss der Vereinbarung waren die Preise etwa 10 % bis 15 % höher als in der Woche davor. Die Wettbewerbsbehörde kam zu dem Schluss dass „die Vereinbarung nicht erforderlich ist, um mindestens vier der fünf Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik zu erreichen” und entschied, dass sie gegen Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags verstoße. Dementsprechend wurden gegen die sechs Berufsverbände Geldbußen verhängt.

Fehlen gemeinschaftliche Einrichtungen, so ist die Möglichkeit der kollektiven Aushandlung von Verträgen durch den Wettbewerbsrahmen eingeschränkt. Immer wieder wird heftig über die Auslegung dieser Bestimmungen und ihre mögliche Änderung im Interesse einer flexibleren Vorgehensweise im Agrarsektor diskutiert. In dem aktuellen Vorschlag zum Milchsektor ist vorgesehen, dass Erzeugerorganisationen Vertragsbedingungen, einschließlich des Preises, kollektiv aushandeln können. Damit steht eine sehr wichtige Rechtsgrundlage zur Umgehung der Wettbewerbsregeln zur Verfügung. Als angemessene mengenmäßige Grenzwerte werden 3,5 % der Milcherzeugung der EU und ein Anteil von 33 % an der nationalen Milcherzeugung vorgeschlagen. Ferner sind besondere Schutzmaßnahmen vorgesehen, um erheblichen Schaden, insbesondere von kleinen und mittleren milcherzeugenden Unternehmen, abzuwenden. Zusätzlich gilt für die Aushandlung transnationaler Kooperationsvereinbarungen ein Grenzwert für die Gesamtmilchmenge in Höhe von 33 % der gesamten Erzeugung aller in solche Verhandlungen eingebundenen Mitgliedstaaten. Diese Rechtsvorschrift ist befristet und unterliegt der Bewertung. Die Anwendung von Artikel 102 AEUV, nach dem die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Marktstellung verboten ist, ist aus mehreren Gründen eingeschränkt. Erstens wird eine Einschränkung des Wettbewerbs nicht zwangsläufig impliziert und somit ein Eingreifen der Wettbewerbsbehörden nicht in jedem Fall ausgeschlossen. Zweitens stößt die Anwendung dieses Artikels insofern auf unüberwindliche Probleme als die beherrschende Stellung bzw. die missbräuchliche Ausnutzung nachgewiesen werden müssen. Bei diesem Nachweis ist die Zusammenarbeit der Erzeugerorganisationen eine Schlüsselfrage, da es einem einzelnen Erzeuger unmöglich ist, belastendes Beweismittel gegen ein Unternehmen vorzulegen, von dem seine eigenen Geschäfte überwiegend abhängen. Diese Lage löste in vielen Mitgliedstaaten gesetzgeberische Maßnahmen aus, einschließlich der Verabschiedung von Gesetzen über unlautere Handelspraktiken oder über die missbräuchliche Ausnutzung vertraglicher Abhängigkeiten, die darauf abzielen, beim starken Vertragspartner eine angemessene Verhaltensweise herbeizuführen (z. B. Belgien,

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Deutschland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Österreich, Portugal, Slowakei, Ungarn) sowie einschließlich der Einführung oder geplanten Verabschiedung von Verfahrenskodizes zur Regelung der Transaktionen zwischen großen Einzelhandelsunternehmen und ihren Lieferanten (z. B. Litauen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn, Vereinigtes Königreich) (KOM, 2009). Verhaltenskodizes sehen „bewährte Verfahren“ vor, die faire horizontale und vor allem faire vertikale Beziehungen fördern. Hierbei sollte auf Freiwilligkeit gesetzt werden, doch die Entscheidung zugunsten der Einhaltung eines solchen Kodex könnte durch einen Zertifizierungsmechanismus gefördert und anerkannt werden. Einer neueren Kommissionsstudie zufolge hat Zahlungsverzug erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen (vgl. Cogeca, 2009).

2.1.3. Erzeugerorganisationen

Eine Erzeugerorganisation ist eine Gruppe von Erzeugern, die gemeinsam handeln, um ihre Marktstellung zu stärken. Häufig sind die EO Genossenschaften, es kann sich aber auch um Gruppen von Einzelpersonen oder Gruppen von Unternehmen handeln, die formell in einer eingetragenen Erzeugerorganisation zusammengeschlossen sind. Die Ziele von Erzeugerorganisationen lauten wie folgt: (i) Sicherstellung einer planvollen und in puncto Quantität, Qualität und Rückverfolgbarkeit nachfragegerechten Erzeugung; (ii) stärkere Bündelung auf der Angebotsseite und Vermarktung der Erzeugung der Mitglieder; (iii) Drosselung der Produktionskosten und Stabilisierung der Erzeugerpriese und (iv) Förderung umweltfreundlicher Anbauweisen. Im Bericht der COGECA (2010) wird betont, dass größere Genossenschaften weiter an Größe gewinnen. Die leistungsfähigsten unter den Genossenschaften steigern ihr Umsatzvolumen durch Konzentration, Entwicklung von Erzeugnissen mit höherem Wertschöpfungsanteil und die Verbesserung von Marktposition und Gesamtstrategie. Diese Tendenz zeigt sich insbesondere in den Mitgliedstaaten im Norden der EU. In der EU-27 bestehen bei den Genossenschaften Unterschiede, die im Hinblick auf Größe und Organisationsform am stärksten ausgeprägt sind. Während Genossenschaften in Nordeuropa im Rahmen ihres Konzentrationsprozesses eher den vollständigen Zusammenschluss der Unternehmen begünstigen, ist der Konzentrationsgrad in Teilen Südeuropas nach wie vor niedrig, wo Konzentration durch die Schaffung von Genossenschaften zweiten und/oder dritten Grades („föderierten“ Genossenschaften/Genossenschaftsverbänden) angestrebt wird. Dazu kommen ineffiziente Strukturen in der Kette der unverarbeiteten Nahrungsmittel, in der die Konzentration auf der Angebotsseite und eine bessere Organisation dringend erforderlich sind. Die Förderung der Bildung von Erzeugerorganisationen erleichtert strukturelle Anpassungen in der Nahrungsmittelversorgungskette im Bereich Obst und Gemüse durch die Anwendung strategischer Ansätze (gegenüber allein auf Erzeugung ausgerichteten Konzepten) und die Verbesserung der vertikalen Koordinierung mithilfe der Entwicklung von Qualitätsstrategien, eigener Standards, Konformitätsbescheinigungen und andere Zertifizierungen, die von Erzeugerorganisationen leichter umzusetzen sind als von Einzelerzeugern. Die Hauptbereiche, in denen Fortschritte zu verzeichnen sind, betreffen die Umweltschutzziele, die Qualität und den Wert des Erzeugnisses und eine verbesserte Marktorientierung, während beim Ziel der Konzentration auf der Angebotsseite nur mäßige Fortschritte erzielt wurden (Duponcel, 2006).

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Bei den Erzeugerorganisationen wird eine Unterscheidung getroffen zwischen Organisationen, die gemeinsam Einrichtungen zur Förderung des Handels und gemeinschaftliche Produktionseinrichtungen nutzen (das Genossenschaftsmodell), und Organisationen, die nur Vereinbarungen über die gemeinsame Vermarktung schließen. Maßnahmen zur Förderung des Genossenschaftsmodells können sich durch die Verringerung der Spannungen in der Nahrungsmittelversorgungskette, die Umgewichtung der Verhandlungsmacht und die Vermeidung unlauterer Praktiken sowie durch die Erzielung von Effizienzgewinnen und eines höheren Anteils an der Wertschöpfung durch vertikale Integration als sehr vorteilhaft erweisen. Aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 verfolgt die GMO Obst und Gemüse mit den Erzeugerorganisationen die folgenden Ziele: Konzentration des Angebots, Vermarktung der Erzeugnisse ihrer Mitglieder und Verwaltung der Erzeugnisse der beteiligten landwirtschaftlichen Betriebe. Diese Ziele werden durch spezifische, von den Erzeugerorganisationen festgelegte Ziele untermauert und mittels operationeller Programme umgesetzt. Die operationellen Programme müssen zwei oder mehrere der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c genannten Ziele oder der folgenden Ziele verfolgen: a) Planung der Produktion; b) Verbesserung der Qualität der Erzeugnisse; c) Förderung ihrer Vermarktung; d) Förderung des Absatzes der Erzeugnisse in frischer oder verarbeiteter Form; e) Anwendung von Methoden der umweltfreundlichen Produktion, einschließlich des ökologischen Landbaus und f) Krisenprävention und Krisenbewältigung. Krisenbewältigungsprogramme werden über die Erzeugerorganisationen organisiert und zu 50 % aus dem Gemeinschaftshaushalt finanziert. Dabei kommen folgende Instrumente zum Einsatz: Ernte vor der Reifung/Nichternte, Werbe- und Kommunikationsmaßnahmen bei Marktkrisen, Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, Ernteversicherung, Hilfe bei der Aufnahme von Bankdarlehen und Zuschüsse zu den Verwaltungskosten für die Einrichtung von Risikofonds auf Gegenseitigkeit. Marktrücknahmen durch die Erzeugerorganisationen können von der Gemeinschaft zu 50 % kofinanziert werden. Werden die Erzeugnisse kostenlos in Schulen und ähnlichen Einrichtungen verteilt, übernimmt die Gemeinschaft 100 % der Kosten. Die Beihilfe der Gemeinschaft ist zwar weiterhin auf 4,1 % des Gesamtwerts der vermarkteten Erzeugnisse begrenzt, dieser Anteil kann jedoch auf 4,6 % steigen, wenn der zusätzliche Betrag nur für Krisenbewältigung verwendet wird. Die staatliche Beihilfe darf drei Jahre lang auch Nichtmitgliedern gewährt werden, die einen Vertrag mit einer Erzeugergemeinschaft geschlossen haben. Für Nichtmitglieder dürfen die Ausgleichszahlungen aber höchstens 75 % der Gemeinschaftszuschüsse an die Mitglieder betragen12. Die Beihilfen für Marktrücknahmen sind niedrig und abgekoppelt von den für die einelnen Erzeugnisse üblichen Preisen (für 16 Erzeugnisse hat die Kommission Beihilfehöchstbeträge als Entschädigung festgelegt, die übrigen legen die Mitgliedstaaten fest). Diese Beihilfe beläuft sich auf durchschnittlich 20-30 % des Marktpreises, wobei sie für Zitrusfrüchte höher und andere Erzeugnisse niedriger ist. Das führt dazu, dass Marktrücknahmen nur in sehr geringem Umfang erfolgen. Für die Verwertung der Marktrücknahmen sind folgende Varianten vorgesehen: Zerstörung, Kompostieren, Nutzung als Tierfutter, kostenlose Verteilung an gemeinnützige Einrichtungen und NGO. Lebensmitteltafeln plädieren für den

12 Dieser Absatz fasst die Krisenmanagementoptionen der Erzeugerorganisationen zusammen und stammt von der Website der Kommission:

http://ec.europa.eu/agriculture/markets/fruitveg/index_de.htm.

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Abschluss dauerhafter Vereinbarungen, doch können diese nicht als flexibler oder aktiver Mechanismus gewertet werden. Im Zeitraum von 2004/2005 bis 2006/2007 wurden die aus dem Markt genommenen Erzeugnisse wie folgt verwertet: Kompostierung und biologischer Abbau 63 %; Verwendung als Tierfutter 19 %; kostenlose Verteilung 9 %, Destillation 7 %. In der Provinz Almería, die den größten Anteil an der spanischen Ausfuhr von Gemüse erwirtschaftet (2008 mit einem Gesamtwert von 2 Mrd. EUR), werden lediglich 43 % der Erzeugung von den 42 Erzeugergemeinschaften verwaltet (Parra Gómez & Cabrera Sánchez, 2010). Dieser Anteil ist im Zeitraum 1999-2008 nicht gestiegen, obwohl sich der Gesamtwert der Ausfuhren von nominal 1,6 Mrd. EUR auf 2 Mrd. EUR erhöhte. Wie in Tabelle 1 gezeigt wird, haben die Erzeugergemeinschaften in Almería zwar die Ziele ihrer operationellen Programme geändert, die Programme aber nicht für Maßnahmen der Krisenbewältigung verwendet. Tabelle 1. Verteilung der Maßnahmen (Anzahl) der operationellen Programme auf ausgewählte Erzeugerorganisationen in Almería

1999-2003 2004-2008 2009 Personalaufwendungen 11 17 15

Pflanzenschutzmittel 35 Verpackung 12 10 7

Investitionen 22 23 31 Saatgut 22

Kunststoffe 6 Pflanzenveredelung 6

Sonstiges 20 28 35 Quelle: Parra Gómez und Cabrera Sánchez (2010).

Es wurden Versuche unternommen, die Erzeugerorganisationen bei der Stabilisierung der Einkommen der Landwirte zu unterstützen. Zum Beispiel erhielten die Erzeugerorganisationen für Erdbeeren Zuschüsse, damit sie sich gegen Marktwertverluste infolge von Klimarisiken versichern konnten. Die Versicherungspolice fand jedoch kaum Verbreitung und wurde schließlich abgeschafft (siehe Kasten 4).

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Kasten 4. Versuche, die Erzeugung im spanischen Erdbeersektor zu versichern

In Cadiz, Huelva und Sevilla wurde 2002 eine kombinierte Versicherung für die Erdbeererzeugung eingeführt. Diese Police sollte angemessene Hilfen bieten, die den Bedürfnissen eines wesentlichen Teils des Produktionssektors gerecht werden (GAP, 2003). Geografisch beschränkte sich der Anwendungsbereich dieses Produkts auf die Gebiete, in denen nahezu die gesamte Erdbeererzeugung konzentriert ist. Sie befinden sich in den genannten drei Provinzen Andalusiens und stehen für 93,3 % der nationalen Erzeugung. Die Versicherung deckte (quantitativ und qualitativ) Schäden infolge von Frost (H), Hagel (P) und Wind (V) sowie Sonderschäden durch Feuer (F), heftige Regenfälle (LL) und Überschwemmung (I) ab. Die Verlustbewertung folgte einer absteigenden Kurve garantierter Preise. Im Fall eines ersatzpflichtigen Schadens musste der Mindestverlustwert um 5 % höher als bei normalen Risiken (H, P und V) angesetzt werden und einen absoluten Selbstbehalt von 10 % ausweisen. Bei der Versicherung gegen das Risiko von Sonderschäden (F, LL und I) erhöhten sich die vorstehend genannten Prozentsätze auf 30 % bzw. 20 %. Die wichtigste Neuerung dieses Instruments bestand im Vergleich zu früheren Angeboten darin, dass sich Vereinigungen (Erzeugerorganisationen) gegen außergewöhnliche Risiken versichern konnten, um für entstandene Produktionsverluste infolge außergewöhnlicher Abweichungen bei nicht näher bestimmten Naturereignissen, die sich der Kontrolle des Versicherungsnehmers entziehen und zu einer Minderung des Beitrags ihrer Mitglieder führen, Entschädigung zu erhalten.

Diese Versicherung bezog implizit eine Dimension der Versicherungsrichtlinien der dritten Generation (Einkommensversicherung) ein, weil sie einen Ausgleich für wetterbedingte Notfälle mit Auswirkungen auf die Erzeugung und damit auf das Einkommen möglich machte. Sie deckte durch Naturereignisse hervorgerufene Verluste des tatsächlichen Produktionswertes ab, die zuvor nicht berücksichtigt worden waren.

Obwohl die neue Police besser als frühere Produkte an die Erfordernisse des Sektors angepasst war, zeigen die von der ENESA vorgelegten Vertragsdaten, dass die Beteiligung hinter den Erwartungen zurückblieb. So wurden Verträge lediglich für drei einzelne Versicherungszeiträume geschlossen: 2002/2003, 2003/2004 und 2004/2005. Für die Zeiträume 2005/2006 bzw. 2006/2007 wurden keine Versicherungen dieser Art abgeschlossen. Darüber hinaus belief sich die Zahl der während der drei einzelnen Versicherungszeiträume abgeschlossenen Verträge auf weniger als 20 % der insgesamt zu den beiden früheren Versicherungspolicen abgeschlossenen Verträge: 19,8 % bei der Produktionsversicherung (12 226 280 kg von insgesamt 61 937 022 kg) und 18,6 % bei der Kapitalversicherung (8 341 0790,40 EUR von insgesamt 44 837 293,04 EUR).

Als Ursachen für die geringe Marktdurchdringung gelten unter anderem folgende Gründe:

Aus der Deckung von Marktrisiken durch eine Gruppenversicherung ergaben sich verwaltungstechnische Schwierigkeiten. Darüber hinaus dürften die Risikoprofile der Mitglieder unterschiedlich gewesen sein: Während einige den mit Wirbelstürmen verbundenen Risiken und der Zerstörung ihrer Erdbeer-Makrotunnel ausgesetzt waren, mussten andere möglicherweise mit den Auswirkungen anhaltender Niederschläge fertig werden.

Differenzierung in Abhängigkeit von der Qualität. In den Versicherungspolicen wurden die im Warenlager eingelagerten Früchte nicht nach Qualitätsstufen unterschieden. In der Praxis bedeutete das, dass für Erdbeeren, die für den Export bestimmt waren (höchste Qualitätsstufe), derselbe Wert wie für Erdbeeren, die zur industriellen Verarbeitung vorgesehen waren, angesetzt wurde. Dieser Aspekt verzerrte den Einsatz des Instruments, weil klimatische Auswirkungen eine Umorientierung von Frischobst zu Industrieobst

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veranlasst haben könnten, was zwar effektiv einen Einkommensverlust bedeutete, aber keinen Entschädigungsanspruch begründete.

Botrytis cinerea. Nach anhaltenden Regenfällen oder bei hoher Luftfeuchtigkeit kann nach der Ernte Botrytis auftreten. Zum Zeitpunkt der Ernte scheinen die infizierten Erdbeeren äußerlich gesund zu sein, doch legt sich im Verlauf von drei oder vier Tagen Grauschimmel über die Früchte. Das Risiko des Grauschimmelbefalls wird von keiner der angebotenen Versicherungen angemessen abgedeckt.

Hoher Selbstbeteiligungsanteil. Bei der Risikodeckung bezogen auf die Fläche betrug die Eigenbeteiligung 30 %, wohingegen sie bei der Deckung außerordentlicher Risiken 10 % ausmachte.

Entschädigung für Produktionsverluste unter den Mitgliedern. Da die Erzeugung auf der Kollektivebene berechnet wurde, erhielten Einzelmitglieder für erlittene Produktionsausfälle erst nach Anrechnung der Überschusserzeugung anderer Mitglieder eine Entschädigung. Da konnte dazu führen, dass Mitgliedern trotz erlittener Produktionsverluste keine Entschädigungszahlungen zugesprochen wurden.

Entschädigung bei flächenbezogenem Schadenersatzanspruch. Bei der Entschädigungsermittlung werden die durch in Mitleidenschaft gezogene Anbauflächen entstandenen Verluste in Abzug gebracht, sodass eine Unterbewertung der Versicherungssumme die Folge ist. Die sehr hohe Selbstbeteiligung (30 %) begrenzt die Anspruchsberechtigung und beeinträchtigt die Möglichkeit, Schadenersatz zu erhalten.

Da der Eintritt flächenbezogener Produktionsausfälle im Allgemeinen weniger wahrscheinlich ist als der Eintritt von Marktrisiken und die Bewertungen für die Versicherung außergewöhnlicher Risiken auf der Kollektivebene erfolgen, müssen einige Mitglieder zwangsläufig für die Entschädigung anderer Mitglieder aufkommen. Ein Mitglied, das lediglich Versicherungsverluste erlitten hat, kann somit durch die Zuweisung flächenbezogener Risiken (obwohl es derartige Verluste nicht erlitten hat) in Mitleidenschaft gezogen werden und erhält für den tatsächlich erlittenen Schaden keine Entschädigungsleistung. Quelle: Aguado-Manzanares und Garrido (2008)

Nach der neuen GMO für Obst und Gemüse (Verordnung Nr. 1234/2007 des Rates und der Verordnung Nr. 1580/2007 der Kommission) ist die kostenlose Verteilung auf 5 % der Gesamtproduktion zu begrenzen und wird zu 100 % (im Vergleich zu 50 % oder 60 % bei anderen Marktrücknahmen) aus dem Gemeinschaftshaushalt auf der Grundlage einer Pauschalregelung, die derzeit überarbeitet wird, finanziert. Das schließt die Kosten für Sortierung, Verpackung und Transport ein. Eine weitere Maßnahme zur Krisenvorsorge und –bewältigung besteht in der Ernte vor der Reifung. Die Anwendung dieses Instruments ist eine riskante Entscheidung, die eine sorgfältig durchgeführte Risikobewertung voraussetzt. Zwar wird ein Teil der Aufbereitungs- und Erntekosten eingespart, doch stellen sich die Preise als hoch heraus, könnte die Entscheidung bedauert werden. Darüber hinaus muss innerhalb der Erzeugerorganisation eine Abstimmung stattfinden, um mögliche Trittbrettfahrereffekte zu vermeiden. Die Klippen beim Einsatz von Verfahren zur Krisenvorsorge liegen in einer besseren Koordinierung und einer stärkeren Konzentration. Gemeinsame Maßnahmen und Programme der Erzeugerorganisationen sind häufig allzu breit gestreut (zudem ist ihre Anzahl zu hoch, in Spanien etwa 630). Die Subventionen werden zu sehr zerstückelt und büßen ihre Wirksamkeit ein. Andererseits können in einem Land bestehende Marktungleichgewichte, die sich auf andere Länder übertragen, dazu führen, dass die

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Gemeinschaft Maßnahmen als gemeinsame Antwort entwickeln muss, die außerordentlich schwer zu koordinieren sind.

2.1.4. Branchenverbände

Gemäß der Definition in den EU-Rechtsvorschriften13 werden Branchenverbändeaus Vertretern der mit der Erzeugung von, dem Handel mit und/oder der Verarbeitung von Erzeugnissen zahlreicher Sektoren zusammenhängenden Wirtschaftszweige gebildet. Hauptmerkmal eines Branchenverbandes ist seine vertikale Erzeugungskette. Darin unterscheidet er sich von Erzeugerorganisationen, die die horizontalen Tätigkeiten (wie beispielsweise Konzentration auf der Angebotsseite) zwischen den Erzeugern koordinieren. Allgemein besteht das Ziel von Branchenverbänden darin, Aktivitäten im Interesse aller Akteure einer Lebensmittelversorgungskette zu entwickeln. Dabei sind folgende Gesichtspunkte zu beachten: i) Verbesserung der Markttransparenz und des Informationszugangs; ii) Ausarbeitung von Standardverträgen in Übereinstimmung mit dem EU-Recht; iii) Einführung von Vermarktungsregeln; iv) Durchführung von Absatzförderungsmaßnahmen; v) Förderung von umweltverträglichen Verfahren und Gütesiegeln für landwirtschaftliche Erzeugnisse sowie vi) Durchführung von Marktforschung zur Ausrichtung der Produktion auf Erzeugnisse, die den Markterfordernissen besser gerecht werden. Branchenverbände werden durch das Gemeinschaftsrecht anerkannt. Demgemäß werden Branchenverbände in Artikel 123 der Verordnung über die einheitliche GMO als Organisationen bestimmt, die aus Vertretern der mit der Erzeugung von, dem Handel mit und/oder der Verarbeitung von Erzeugnissen zusammenhängenden Wirtschaftszweige in mehreren Sektoren gebildet werden. In Bezug auf Branchenverbände gilt derzeit in der Gemeinschaft eine Rahmenregelung für fünf Sektoren: Obst und Gemüse, Tabak, Wein, Oliven/Olivenöl und Baumwolle. Die gemeinsamen Bestimmungen berühren nicht die von den Mitgliedstaaten nach einzelstaatlichem Recht und im Einklang mit dem EU-Recht beschlossene Anerkennung von Branchenverbänden in weiteren Sektoren (Artikel 124 Buchstabe 1 der Verordnung über die einheitliche GMO). Hauptsächlich in Frankreich (Gesetz vom 10. Juli 1975), Italien (Gesetz vom 16. März 1988) und Spanien (Gesetz vom 30. Dezember 1994) wurden Branchenverbände für verschiedene weitere Sektoren eingerichtet. In anderen Ländern (z. B. Belgien) bestehen, obwohl es kein spezifisches Gesetz gibt, Branchenverbänden ähnliche Organisationen. In Frankreich sind Branchenverbände in folgenden Sektoren tätig: Aquakultur, Obst und Gemüse, Kartoffeln, Blumen, pflanzliche Erzeugung, Saatguterzeugung, Milch und Käse, Fleisch und Fleischerzeugnisse, Wein, Spirituosen und andere Getränke14. In Spanien bestehen 27 rechtlich anerkannte Branchenverbände in unterschiedlichen Sektoren, u.a. Obst und Gemüse, Zitrusfrüchte, verschiedene Fleischerzeugnisse, Milch, Eier und Futtermittel15. In Italien werden zumindest die pflanzliche Erzeugung, Obst und Gemüse und Milcherzeugung durch Branchenverbände abgedeckt. Auch wenn die Tätigkeiten der Branchenverbände im Einklang mit den Besonderheiten des jeweiligen Sektors bestimmt werden sollten, können Branchenverbände jedes

13 Artikel 123 der Verordnung über die einheitliche GMO. 14 Ausführlichere Informationen finden Sie unter: http://agriculture.gouv.fr/interprofessions. 15 Ausführlichere Informationen finden Sie unter: http://www.mapa.es/es/alimentacion/pags/interprofesionales/organizaciones/ointagro.htm.

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landwirtschaftliche Erzeugnis einbeziehen, denn, wie die Beispiele aus Frankreich, Italien und Spanien zeigen, gibt es keinen Grund, die Einrichtung von Branchenverbänden auf bestimmte Erzeugnisse zu beschränken. Eine klassische Rolle von Branchenverbänden besteht darin, ihren Teilnehmern Marktanalysen zur Verfügung zu stellen, damit sie sich frühzeitig und möglichst umfassend auf die Entwicklung der Märkte einstellen können, ihre Angebote an die Markterfordernisse (insbesondere hinsichtlich der Qualität) anpassen und die Strategien der ausländischen Konkurrenten kennen. Ein strittigeres Thema ist jedoch nach wie vor die Herstellung vollständiger Preistransparenz. Es hat sich zur Genüge gezeigt, dass ausführliche Informationen über Preise und Mengen abgestimmte Verhaltensweisen zwischen den Unternehmen erleichtern können, die dann in der Lage sind, mehr Marktmacht auszuüben. Abgestimmte Verhaltensweisen erfordern präzise Informationen über die Maßnahmen der einzelnen Partner (für eine einfache Erklärung der Mechanismen siehe Belleflamme und Peitz, 2010). Kasten 5. Informationen und Absprachen

Die gemeinsame Nutzung von Informationen kann wettbewerbsfördernde Wirkungen entfalten, aber auch Absprachen zwischen Wettbewerbern ermöglichen. Das Nair und Mncube (2009) berichten von einem Fall in Südafrika, in dem es um den Rohmilchaufkauf ging. Am Austausch detaillierter Informationen waren sechs Molkereien beteiligt (u. a. regelmäßige Preisvergleiche der Molkereien mit spezifischen Preisinformationen wie beispielsweise über die Faktoren, die in den Preisformeln zur Festlegung des Preises verwendet werden). Davon ausgehend, dass die Ausschaltung von Unsicherheit hinsichtlich der Vorgehensweise von Konkurrenten den Wettbewerb einschränken kann, kam die Wettbewerbsbehörde zu dem Schluss, dass die Betriebe an aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen beteiligt waren, durch die direkt oder indirekt die Beschaffungspreise für Rohmilch festgesetzt wurden. Der Austausch von Informationen über den Betriebsmittelpreis versetzte die Molkereien in die Lage, bei den Erzeugern niedrigere Preise durchzusetzen. Anders gesagt: Dn Molkereien wurde durch den Informationsaustausch ermöglicht, so vorzugehen, als ob sie im Bereich des Rohmilcheinkaufs ein Monopol ausübten.

Der Branchenverband kann darüber hinaus eine gemeinsame Absatzförderung betreiben und Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen konzipieren. Die Konzipierung von Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen sollte als Möglichkeit zur langfristigen Steigerung der Nachfrage durch die Schaffung besser konzipierter Erzeugnisse oder durch Kostensenkung gefördert werden. Vorbehaltlich der Genehmigung durch staatliche Stellen können Branchenvereinbarungen und/oder „steuerfinanzierte“ gemeinsame Maßnahmen für die Gesamtheit der Angehörigen einer beliebigen Branche in einem Mitgliedstaat verbindlich vorgeschrieben werden (dies bezieht sich sowohl auf den „Grundsatz der Ausdehnung der Regeln“ als auch den „Grundsatz der Kostenbeteiligung von Nichtmitgliedern“). Die Anerkennung der Ausdehnung der Regeln obliegt der Europäischen Kommission, die innerhalb von zwei Monaten mitteilt, ob sie die betreffende Ausdehnung der Regeln anerkennt oder nicht. Entscheidende Voraussetzung für die Anerkennung der Ausdehnung der Regeln ist, dass die Vorschriften mit der geltenden Wettbewerbspolitik im Einklang stehen.

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Branchenverbände können bei der Ausarbeitung von Verträgen, insbesondere im Hinblick auf die Lösung von Problemen des Zahlungsverzugs, von Nutzen sein. Allerdings unterliegt die regulierende Rolle der Branchenverbände, da keine spezielle Ausnahmeregelung besteht, den durch die allgemeinen Wettbewerbsregeln auferlegten Beschränkungen (Artikel 101 AEUV). Als wesentliche Beschränkung des Wettbewerbs gilt insbesondere eine Vereinbarung mit horizontaler und vertikaler Dimension, die Akteure der verschiedenen Stufen der Versorgungskette zusammenbringt, Wirkungen innerhalb des Binnenmarktes entfaltet und zur Festsetzung von Preisen führt (KOM, 2009). Weitere Anliegen der Branchenverbände betreffen gemeinsame Beschlüsse zum Nachweis des Vorliegens bedenklicher Marktstörungen und zur Ausarbeitung gemeinsamer Abhilfemaßnahmen und zeitlich begrenzter Klauseln zur Bewältigung der Krise (wobei Krise häufig als ein Zeitraum mit sehr niedrigen Preisen für vorgeschaltete Erzeuger definiert wird). Branchenverbände streben dann häufig an, i) das Angebot hinsichtlich der Menge zu regulieren, ii) das Angebot hinsichtlich der Qualität zu regulieren und/oder iii) Mindestpreise für vorgelagerte Erzeuger festzusetzen. Diese Klausen könnten wettbewerbswidrige Auswirkungen haben und sollten von den Wettbewerbsbehörden genehmigt werden. Die Möglichkeit der Regulierung von Menge und Qualität zur Bewältigung von Krisen (oder ganz allgemein der Abweichung von handelsüblichen Verfahren) besteht zumindest in einigen Ländern (z. B. Frankreich). In Frankreich hat es beispielsweise Versuche gegeben, in Krisensituationen einen Mindestpreis für die Erzeuger bzw. genauer gesagt einen Mindestwert für das Verhältnis zwischen Erzeuger- und Verbraucherpreis festzusetzen. Allerdings muss dieses im Bereich Obst und Gemüse eingesetzte Verfahren erst noch seine Wirksamkeit unter Beweis stellen, da es sich nach wie vor nur schwer praktisch umsetzen lässt und die Umsetzung zu viel Zeit benötigt. Zunächst ist zu ermitteln, was eine „Krise“ ausmacht. Anschließend müssen die beabsichtigten Mechanismen bestimmt werden, wobei darauf zu achten ist, dass es sich um diskriminierungsfreie Verfahren handelt. Zum Beispiel stehen Bestimmungen über die Qualität (befristete Etikettierung „höchster geschmacklicher Qualität“) sowie über den Preis (für Erzeugnisse „höchster geschmacklicher Qualität“) nicht im Einklang mit den Wettbewerbsregeln, da sie sich nur auf nationale Erzeugnisse und nicht das Gesamtangebot, das auch Einfuhren einschließt, beziehen. Branchenverbände könnten Maßnahmen entwickeln, um in Bezug auf ihre Erzeugnisse die Qualitätsbestimmung und –steuerung zu verbessern. Produktdifferenzierung gilt als anerkanntes Mittel für eine bessere Anpassung der Erzeugung an die Nachfrage. Sie ist zudem ein Mittel, um Unterschiede zwischen den Verbrauchern zu machen oder anders ausgedrückt, ein Mittel, um die Bereitschaft der Verbraucher, ein bestimmtes Erzeugnis käuflich zu erwerben, zu vergrößern. Somit sind Branchenverbände bestrebt, gemeinsame Maßnahmen zur Steigerung der Nachfrage nach ihren Erzeugnissen zu entwickeln. Die Mengensteuerung wird sehr viel seltener eingesetzt und ist aus wettbewerbsrechtlichen Gründen generell verboten. Allerdings können die Mitgliedstaaten in einem speziellen Fall, nämlich bei Weinen, im Wege der Durchführung der Beschlüsse der Branchenverbände Vermarktungsregeln, einschließlich der Steuerung des Angebots, festlegen. So können die Branchenverbände im Weinsektor Vermarktungsregeln zur Steuerung des Angebots aufstellen, die unter anderem auch die Schaffung eines Lagerbestands an Wein zu dem Zweck vorsehen, einen Prozentsatz der normalerweise verfügbaren jährlichen Ernte

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zurückzuhalten16. Diese Möglichkeit wird in Frankreich zur Stabilisierung der Märkte und zur Vermeidung von Preisanstiegen infolge umfangreicher Weinerzeugung genutzt. Weil diese Verfahrensweise von den Erzeugern auch als Instrument zur Durchsetzung einer gewissen Preisstabilisierung genutzt werden könnte, ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass sie zur Vermeidung von Wettbewerbsbeeinträchtigungen streng reglementiert ist.

2.2. Instrumente des Risiko- und Krisenmanagements

WICHTIGSTE ERKENNTNISSE

Die Gewährung staatlicher Beihilfen über einkommensbezogene Instrumente, einschließlich der Einkommensversicherung, unterliegt den in Nummer 7 des Anhangs 2 des WTO-Übereinkommens über die Landwirtschaft vorgesehenen Beschränkungen. Dadurch darf die Höhe der Zahlungen nicht auf die den ausgefallenen Ernteeinnahmen beruhen, was einfacher wäre, sondern muss sich auf das Bruttoeinkommen aus der Landwirtschaft stützen, was bei stark diversifizierten landwirtschaftlichen Betrieben kompliziert zu messen ist.

Ex-ante-Maßnahmen (aktive Maßnahmen)

Marktgestützte Mechanismen wie Derivatkontrakte, Privatversicherungen und Fonds auf Gegenseitigkeit können zur Förderung der Risikoteilung zu erschwinglichen Kosten beitragen.

Der Ausbau dieser Märkte wird durch mangelnde Ausbildung, das Fehlen eines angemessenen institutionellen und rechtlichen Umfelds und sehr häufig durch das Fehlen entsprechender Daten verzögert.

Der Einsatz von Derivatkontrakten kann durch drei staatliche Maßnahmen gefördert werden: i) Aus- und Fortbildung der Landwirte, ii) Schaffung des für das reibungslose Funktionieren privater Märkte erforderlichen institutionellen und rechtlichen Umfelds und iii) Bereitstellung aktueller und verlässlicher Informationen.

Auf Gegenseitigkeit beruhende Risikoteilungsvereinbarungen weisen gegenüber Versicherungen bestimmte Vorteile auf, doch ist ihr Geltungsbereich auf nicht systemische Risiken beschränkt.

Eine Einkommensversicherung könnte zweckdienlich sein, bringt aber technische Probleme mit sich und kann angesichts der hohen Rückversicherungskosten nur mit öffentlicher Förderung angeboten werden.

Bislang sind in der EU keine Einkommenssicherungsprogramme auf den Weg gebracht worden, doch werden sie unter der Voraussetzung, dass bestimmte technische/politische Probleme gelöst werden, Nutzen bringen können.

Ex-post-Maßnahmen (reaktive Maßnahmen)

Ad-hoc-Hilfen sind auf Produktionsrisiken beschränkt.

16 Artikel 67 der Verordnung (EG) Nr. 479/2008 des Rates.

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Durch Schaffung einer Haushaltsreserve im Mehrjährigen Finanzrahmen könnten nicht zugewiesene Beträge verwendet oder ungenutzte Mittel auf das nächste Jahr übertragen werden, sollten im Fall einer bedeutenden Krise Reservemittel aktiviert werden müssen. Als alternative Maßnahme käme ein Mehrjahres-Haushaltsansatz für die Landwirtschaft infrage, der bei einer bedeutenden Krise aktiviert werden könnte.

In Bezug auf Instrumente für das Risiko- und Krisenmanagement ist zwischen zwei Situationen zu unterscheiden. Einerseits ist die Instabilität des Marktes bekannt, sodass entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Andererseits handelt es sich um unerwartete Marktkrisen, die schwer vorherzusagen sind und bedenkliche Auswirkungen auf das Einkommen der Betriebe haben können. Abbildung 8 bietet eine schematische Übersicht über die Risikoarten. Es wird zwischen normalem Unternehmensrisiko und dem Risiko einer Krise unterschieden, weil jede Risikoart andere Instrumente verlangt. Abbildung 8. Risikomanagement

1 Einschließlich Fragen der Lebensmittelsicherheit und der Haftung, Tierseuchen- und Umweltrisiken.

Im Verlauf der Jahrhunderte haben Landwirte ein breites Spektrum von Instrumenten für die Bewältigung der typischen unwägbaren natürlichen Bedingungen der landwirtschaftlichen Erzeugung entwickelt. Einer möglichen Klassifizierung zufolge wird zwischen Instrumenten zur Risikominderung, zum Risikotransfer und zur Risikobewältigung unterschieden. Der Risikominderung dienen Ex-ante-Maßnahmen, die entweder die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines widrigen Ereignisses oder den damit zusammenhängenden Schaden erheblich beeinflussen. Ex-ante-Risikotransfermaßnahmen verringern die negativen

Private insurance markets

Risks in agriculture

Normal business

risk

Crisis risk

Single farm

Multiple farms

Ex- ante

Post hoc

Technology risks1

Weather risks

Price risks

Risk management solutions

Individuals and banks

---

Production risks

Price risks

Personal risks

Institutional risks

Financial risks

Common Agricultural Policy

Insurance ISNT (Income Safety Net Tool)

Risks in agriculture

Normal business

risk

Extreme risk

Single farm

Multiple farms

Ex- ante Technology risks1

Extreme Weather risks

Price crises

Risk management Instruments

Derivatives Mutual fundsInsurances

Role for governments

Production risks

Price risks

Personal risks

Institutional risks

Financial risks

Direct payments

Ex-ante

Insurance ISNT (Income Safety Net Tool)Operational programmes

postEx-

Other market measures

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wirtschaftlichen Folgen des Ereignisses durch Übertragung eines Teils oder des gesamten Risikos auf einen Dritten, der bereit ist, das Risiko gegen Zahlung einer Prämie zu tragen. Risikobewältigungsmaßnahmen schließlich umfassen nach Ereigniseintritt durchzuführende Maßnahmen zur Minderung der Auswirkungen des Ereignisses durch Nutzung eigener Mittel. Wenn der Eintritt eines Ereignisses zwar unwahrscheinlich ist, jedoch mit schwerwiegenden Folgen verbunden wäre, kann es sich aus finanzieller Sicht als günstiger erweisen, auf das Ereignis nicht direkt - etwa mit Risikominderungsmaßnahmen – zu reagieren. In diesem Fall ist es besser, die infolge des Ereignisses erwarteten Belastungen durch teilweise Übertragung auf andere Akteure mithilfe unterschiedlicher Arten vertraglicher Vereinbarungen abzufedern. Vereinbarungen dieser Art sind beispielsweise Teilpachtverträge, Terminverkaufsvereinbarungen, Termin- und Optionskontrakte und Versicherungen.

2.2.1. Ex-ante-Maßnahmen: Derivatkontrakte

Zu den Mechanismen der Übertragung von Preisrisiken gehören finanzielle und andere vertragliche Beziehungen, die als Hedging-Varianten angesehen werden können. Aus der Sicht eines Wirtschaftsakteurs stellt Hedging eine Finanzvereinbarung dar, bei der die Auszahlungsstruktur an die erwarteten Erträge aus der Hauptwirtschaftstätigkeit geknüpft ist. Je nach Art dieser Korrelation wird der Absicherer (Hedger) eine Kauf- oder Verkaufsposition einnehmen, sodass die Erträge aus dem Hedging mit denen aus der Hauptwirtschaftstätigkeit negativ korrelieren. Der traditionelle Hedging-Mechanismus für Rohstoffpreise bestand im Abschluss von Warentermingeschäften. Ein Erzeuger, der einen bestimmten Preis festschreiben will, agiert als Inhaber einer Verkaufsposition auf dem Terminmarkt; das heißt er geht eine vertragliche Verpflichtung gegenüber der Warenbörse ein, die Ware zu einem festgesetzten künftigen Termin in einer bestimmten Menge zu einem bestimmten Preis zu liefern. Der Vorteil des Hedging über Termingeschäfte liegt im Unterschied zu Termin- oder Preisverträgen (bilateralen Vermarktungsvereinbarungen zu einem im Voraus festgelegten Preis) in den niedrigeren Kosten für die Suche und andere Transaktionen. Der Verkäufer wird an einer Warenbörse tätig und muss mit dem Inhaber der Kaufposition nicht in Verbindung treten. Der Kontrakt endet nicht zwangsläufig mit der eigentlichen Warenlieferung; vielmehr kann der Inhaber einer „Verkaufsposition“ vor Fälligkeit eine gleichwertige entgegengesetzte Position als reines Kassageschäft übernehmen und die beiden Positionen werden gelöscht. Neben den Termingeschäften haben moderne Derivate-Instrumente, wie beispielsweise Optionskontrakte und Swapgeschäfte, den Anwendungsbereich von Hedging-Aktivitäten erheblich erweitert. Dank den Innovationen auf den Finanzmärkten können neue Möglichkeiten des Risikotransfers entwickelt werden, beispielsweise durch Konzipierung geeigneter Eventualforderungs-Finanzkontrakte. Hierbei sind die Transaktionen an den Eintritt eines bestimmten Ereignisses geknüpft. Dazu gehören beispielsweise Optionen auf Terminkontrakte zur Absicherung gegen das Preisrisiko und Optionen auf Wetterindexe zur Absicherung gegen witterungsbedingte Schäden. Bei besonders schweren Schäden kann durch die Nutzung der Finanzmärkte und die Ausgabe von Wertpapieren, deren Auszahlung an das Ereignis gekoppelt ist, ein Teil der damit verbundenen wirtschaftlichen Belastung auf den gesamten Finanzsektor übertragen

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werden17. Alle Formen des Risikotransfers auf der Grundlage von Finanzkontrakten könnten als Handel mit ereignisgebundenen Finanzinstrumenten bezeichnet werden. Die Taxonomie der ereignisgebundenen Finanzinstrumente ist breit und schließt Instrumente ein, die sich nach dem Zeitpunkt der Erfüllung der Verbindlichkeit, nach der Bargeldeinlösung und den Merkmalen des auslösenden Ereignisses, d. h. der Bedingung, die den Zeitpunkt der Zahlung bestimmt, unterscheiden.18

Ein generelles Problem sämtlicher indizierter Instrumente ist das Bestehen eines Basisrisikos, weil die jeweiligen Verluste nicht in einem genauen Verhältnis zu dem entsprechenden Index stehen. Daher werden manche Erzeuger, selbst wenn sie einen Verlust erlitten haben, möglicherweise nicht entschädigt und andere erhalten eine Entschädigung, ohne dass sie tatsächlich geschädigt worden wären. Je weniger ein individueller Ertrag mit dem Index korreliert, desto höher ist das Basisrisiko. Dennoch kann für Erzeuger, die die Vermarktung über Genossenschaften oder Erzeugerorganisationen abwickeln, das individuelle Marktrisiko durch diese Form des Wertpapierhandels weitergegeben werden, wohingegen das Gesamtrisiko eher dem im Index gegebenen Risiko nahekommt. Weitere Probleme dieser Märkte liegen in der mangelnden Transparenz und der übermäßigen Finanzspekulation. Manchmal entwickelten sich Derivatemärkte auch außerhalb formeller Börsen im Freiverkehr, d. h. dem OTC-Derivatemarkt, wo das Kontrahentenrisiko mitunter hoch ist. Viele dieser Geschäfte tauchen in keiner Bilanz auf und werden nicht korrekt ausgewiesen. Um ähnliche Situationen wie die jüngste Weltfinanzkrise und das offensichtliche Versagen der Derivatemärkte, das zu der Krise beigetragen hatte, zu vermeiden, sind bessere Überwachungsmechanismen gefordert, damit die Finanz- und Grundstoffmärkte transparenter und stärker dem Wettbewerb ausgesetzt sind. In ihrer neuen Mitteilung „Grundstoffmärkte und Rohstoffe: Herausforderungen und Lösungsansätze“19 befasst sich die Kommission eingehend mit diesen Fragen und verdeutlicht die Verknüpfungen zwischen den Preisen der Rohstoffderivate und den Spotmarktpreisen und zwischen der Effizienz der Spotmärkte und der Derivatemärkte. Sie weist darauf hin, dass es trotz der engen Verknüpfung zwischen den Positionen auf den Derivatemärkten und denen auf den Spotmärkten schwierig ist, die Auswirkungen, die die Bewegungen auf den Derivatemärkten auf die Volatilität der Spotpreise haben, umfassend einzuschätzen. Einige Vorschläge legen Schwerpunkte auf die Disziplin und Transparenz auf den Derivate-Märkten bzw. auf Verbesserungen in den Bereichen Information und Koordinierung. Die Einführung strenger Regeln für Derivate-Märkte ist eine weitere Option, die erörtert wird. Die Möglichkeit der Begrenzung der Derivate-Positionen, die ein institutioneller Investor halten kann, um übermäßige Spekulation und Marktmanipulation zu beenden bzw. zu verhüten, wird derzeit von der amerikanischen Aufsichtsbehörde für den Handel mit Futures und Optionen auf Rohstoffe (US Commodity Futures Trading Commission) geprüft und wurde auch von den G-20-Ländern unter Vorsitz Frankreichs vorgeschlagen. Allerdings ist unklar, ob Preisänderungen auf den Terminmärkten zu Änderungen bei den Spotmarktpreisen führen werden. Realistischer ist die Forderung der EU, die Transparenz

17 Die Absicherung großer Verluste durch Wertpapiere erfolgte erstmals bei Erdbeben und anderen Naturkatastrophen durch die Ausgabe sogenannter CAT-Bonds.

18 Siehe auch Cafiero (2008): ausführliche Erörterung der Verwendung von ereignisgebundenen Finanzinstrumenten für das Risikomanagement in der Landwirtschaft.

19 Mitteilung KOM(2011)0025. Brüssel, 2.2.2011.

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auf den Derivatemärkten, wo die meisten Geschäfte intransparent sind, zu erhöhen. Zahlreiche Autoren weisen darauf hin, dass die Grundstoff- und Finanzmärkte nicht ausreichend transparent und von Wettbewerb gekennzeichnet sind, was zu Störungen auf den Termin- und Derivatemärkten führt. Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz schließen Vorschriften über die Akteure, die auf diesen Märkten tätig werden dürfen, ein. Darüber hinaus ist die Spekulation an sich für die Derivatemärkte durchaus nützlich und wird insbesondere auf den schwach entwickelten europäischen Warenbörsen benötigt. Spekulanten20 spielen für das reibungslose Funktionieren eines Derivatemarktes eine entscheidende Rolle. Eigentlich gehört zum Hedging stets, dass ein Kontrahent auftritt und die „andere“ Seite einer abgesicherten Position vertritt. Manchmal treten andere Absicherer, die über die jeweils entgegengerichtete Beteiligung verfügen, als Kontrahent auf (wenn zum Beispiel der Käufer eines Grundstoffs im Vergleich zu dessen Erzeuger hinsichtlich des Preises als Inhaber der Gegenposition agiert), allerdings muss das nicht immer der Fall sein. Die Gegenposition bei einer bestimmten abgesicherten Position kann von Spekulanten gehalten werden, die sich dem Kontrakt zu Spekulationszwecken anschließen. Spekulanten tragen mithin zur Marktliquidität bei, insbesondere, wenn es auf beiden Seiten des Risikos kaum Absicherer gibt. Zur Rechtfertigung der Tätigkeit von Spekulanten könnte zudem darauf verwiesen werden, dass sie über die Richtung der Preisentwicklung des jeweiligen Grundstoffs besser informiert sein könnten und sie einen Beitrag zur Verbesserung der Qualität der in den Börsennotierungen enthaltenen Informationen leisten. Zwar sind die Warenterminmärkte in Europa im Vergleich zu den US-Märkten noch relativ schwach entwickelt, doch könnte sich dies durch eine weitere Preisliberalisierung und Spezialisierung der landwirtschaftlichen Betriebe ändern. Allerdings funktionieren diese Finanzinstrumente nur, wenn eine objektive Informationsquelle vorhanden ist, die Manipulationsversuche durch interessierte Seiten abwehrt. Hierin liegt eine grundlegende Aufgabe für staatliche Politik. Zwei Arten von Informationen würden, wenn sie öffentlich zugänglich wären, die Einführung neuer Risikoverteilungsmechanismen begünstigen. Erstens könnten Angaben zu den an den bedeutenden Märkten gehandelten Preisen und Mengen die Grundlage für die Schaffung von Derivaten zur Absicherung gegen Marktrisiken bilden. Zweitens könnten Wetterinformationen als Basis für effektive Derivate dienen. Die Staaten sollten demnach den rechtlichen und institutionellen Rahmen gestalten, der für ein reibungsloses Funktionieren dieser Märkte benötigt wird, und dafür sorgen, dass relevante Informationen rechtzeitig vorgelegt, zertifiziert und verbreitet werden. Die Entwicklung der Terminmärkte würde sich auch entscheidend auf die Bereitstellung wertvoller Preisinformationen auswirken und die Entwicklung von weiteren Instrumenten des Risikomanagements erleichtern, insbesondere von Einkommensversicherungs- oder -stabilisierungsprogrammen. Ad-hoc-Arbeitsgruppen könnten die Entwicklung dieser Märkte in Europa unterstützen, indem sie Produkte mit höherem Potenzial und höherer Nachfrage in den Verkehr bringen und die Bedingungen für deren Erfolg schaffen. Es erfordert viel Zeit, den richtigen Umgang mit Derivatemärkten zu erlernen. Mehrere Autoren verweisen auf die Notwendigkeit spezieller Aus- und Fortbildungsprogramme (z. B. HLG, 2010 und Meuwissen et al., 2008), um die verstärkte Nutzung der Terminmärkte anzuregen. Die Formulierung von Anforderungen an den Börsenhandel (beispielsweise

20 Generell ist ein Markt dann erfolgreich, wenn zwei Arten von Akteuren tätig werden: Hedger (Absichernde) und Spekulanten. Hedger haben einen direkten Bezug zu dem zugrundeliegenden Risiko

(zum Beispiel könnte ein Hedger Erzeuger oder Endverwender des zufällig ausgepreisten Grundstoffs ein), wohingegen Spekulanten keinen unmittelbaren Bezug zu dem jeweiligen Risiko haben; sie wetten einfach auf die Preisentwicklung.

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Festlegung von Qualitätsstufen, Standarddefinitionen für Grundstoffe) dürfte die Entwicklung dieser Märkte vorantreiben. Somit sind öffentliche Maßnahmen in folgenden drei Feldern von grundlegender Bedeutung: 1) Fortbildungsmaßnahmen für Landwirte zum Kennenlernen und zur richtigen Verwendung dieser Instrumente; 2) Schaffung und Erhaltung des für das reibungslose Funktionieren privater Märkte erforderlichen institutionellen und rechtlichen Umfelds mit dem Ziel, zu verhindern, dass Rentenpositionen entstehen und 3) Bereitstellung rechtzeitiger und zuverlässiger Informationen. Durch neue Unterrichtsmethoden können diese Ziele durchaus kostengünstig erreicht werden. Internetbasierte Lehrgänge, Links zu zuverlässigen Marktinformationsquellen und der Zugang zu allen verfügbaren Instrumenten sollen Landwirten helfen, besser mit ihnen umzugehen. Die EU könnte Initiativen fördern, die darauf abzielen, Landwirten im Internet Unterlagen in verschiedenen Sprachen zu sämtlichen neuen Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, und die Einrichtung spezieller Websites unterstützen21.

2.2.2. Ex-ante-Maßnahmen: Instrumentarium für das Risikomanagement

Zwar sollten Landwirte aus eigener Verantwortung Risikomanagementstrategien verfolgen, doch muss auch eingeräumt werden, dass der Markt für private Versicherungen und Absicherungsinstrumente in Europa nach wie vor schwach entwickelt ist, was teilweise auch auf frühere GAP-Interventionsmaßnahmen zurückzuführen ist. Einige der Instrumente zur Verbesserung des Risikomanagements könnten öffentlich gefördert werden. In ihrer Mitteilung „Die GAP bis 2020“ schlägt die Kommission vor, in der zweiten Säule ein freiwilliges Instrumentarium für Risikomanagement einzuführen (KOM(2010)0672). Die Finanzierung des Instrumentariums in der zweiten Säule hat gegenüber der Finanzierung in der ersten Säule eine Reihe von Vor- und Nachteilen:

Der ersten Säule fehlt die territoriale Ausrichtung der zweiten Säule. Dafür wird voraussichtlich für alle Landwirte in der EU ein gleichwertigeres Instrumentarium entwickelt werden. Die Finanzierung in der ersten Säule würde somit eine breitere Basis für die Anwendung gleichartiger Instrumente schaffen und in der Zukunft größere Möglichkeiten für die Bündelung und Streuung von Risiken auf alle Mitgliedstaaten bieten.

Die zweite Säule enthält die Mehrjahresprogramme, die von den Mitgliedstaaten kofinanziert werden und darauf ausgerichtet sind, den besonderen Bedürfnissen der Regionen und kleineren Gebiete Rechnung zu tragen. In dieser Sachlage liegt die besondere Stärke der Instrumente, die zur Aufnahme in das Instrumentarium vorgesehen sind. Demgegenüber erweist sich Heterogenität für die Kommission als nachteilig bei der Bewertung der Einkommensstabilisierung mithilfe der Instrumente, die in den einzelnen Regionen zur Verfügung stehen, und auch als nachteilig für eine stärkere Zusammenlegung und damit Streuung der Risiken in der EU.

Da beide Instrumentarien, unabhängig davon, ob sie auf der ersten oder der zweiten Säule beruhen, Vor- und Nachteile aufweisen, wird vorgeschlagen, dass die Mitgliedstaaten

21 RiskNavigator, entwickelt von Prof. Dana L. Hoag und Kollegen (Colorado State University), ist ein Beispiel für eine Zusammenstellung von Lehrunterlagen, Blogs, Videos und Diskussionsforen für amerikanische Landwirte, die mehr über Risikomanagement erfahren wollen (http://risknavigatorsrm.com).

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jeweils eigenständig über die Verwendung des einen oder anderen Instrumentariums entscheiden. Das neue Instrumentarium kann sich aus den nachstehend beschriebenen Instrumenten zusammensetzen.

2.2.2.1. Risikoteilungsvereinbarungen auf Gegenseitigkeit (Fonds auf Gegenseitigkeit)

Vereinbarungen über Risikoteilung könnten in das Instrumentarium aufgenommen werden. Wenn die erforderlichen rechtlichen und institutionellen Bedingungen erfüllt sind, kann eine Gruppe von Erzeugern die gemeinschaftliche Verwaltung eines landwirtschaftlichen Versicherungsfonds auf Gegenseitigkeit übernehmen. Diese Maßnahmen sind wirksamer als kommerziell angebotene Versicherungen, da durch die gegenseitige Überwachung und das langfristige Engagement der Teilnehmer die Kosten der „Moral-Hazard“-Überwachung (Überwachung des möglichen fahrlässigen Handelns Einzelner) wirksam gesenkt werden können. Bei Marktrisiken würde der Bündelungseffekt innerhalb eines Jahres noch nicht greifen. Dafür könnte ein Fonds aufgelegt werden, um kostengünstig für ein Jahr Rücklagen zu bilden. Allerdings wäre die Risikodeckung begrenzt, wenn aufgrund mehrjähriger systemischer Verluste nicht genügend Mittel in den Fonds fließen. Mit den in der Landwirtschaft bestehenden Maßnahmen der Risikoteilung auf der Grundlage der Gegenseitigkeit wurden zwar gemischte Erfahrungen gemacht, doch ist ihre eingeschränkte Verbreitung wohl eher auf den fehlenden ordnungsgemäßen rechtlichen und institutionellen Rahmen als auf inhärente Einschränkungen zurückzuführen (siehe Bielza et al. 2007a). Ein erkennbarer Nutzen von Maßnahmen auf Gegenseitigkeit in der Form von Erzeugergenossenschaften oder regionalen Erzeugerorganisationen besteht darin, dass diese Organisationen auch für die „Bündelung“ und Übertragung der systemischen Komponenten der Risikoexposition auf die größere Finanzgemeinschaft im Wege der Verwendung der oben dargelegten Finanzinstrumente zuständig sein könnten. Fehlen Mechanismen für die Übertragung systemischer Risiken, sind Fonds auf Gegenseitigkeit oder Stabilisierungsfonds keine geeigneten Instrumente zur vollständigen Bewältigung erheblicher Marktkrisen und längerer Zeiträume im negativen Gewinnbereich, unabhängig davon, ob die Ursachen in gesundheitsbezogenen Krisen, Markteinbrüchen oder Naturkatastrophen zu suchen sind. Dennoch können sie den Landwirten helfen, sich nach einer Krise wieder zu erholen und ihre finanzielle Leistungsfähigkeit zurückzugewinnen.

2.2.2.2. Produktionsversicherung (pflanzliche und tierische Produktion)

Die Produktionsversicherung hat sich als Vertragsform entwickelt, bei der eine Partei ein genau bezeichnetes wirtschaftliches Risiko auf eine andere Partei überträgt und dafür einen Preis (die „Prämie“) bezahlt. Bislang können im Bereich der pflanzlichen Erzeugung wirksame Versicherungen nur für eine sehr begrenzte Anzahl von Risiken (vor allem Hagel und in erheblich geringerem Maße Feuer) abgeschlossen werden. Diese Einzelrisikoversicherungen werden in Europa angeboten und sind gut entwickelt, während Mehrgefahren- oder Allrisikoversicherungen im Bereich der pflanzlichen Produktion nur in einer begrenzten Zahl von Ländern üblich sind. Private Unternehmen versichern zwar nur gegen Hagel und Feuer, doch kann mit einem größeren staatlichen Engagement eine umfassendere Absicherung angeboten werden. Niveau und Umfang der Versicherung und der Subventionierung variieren von Land zu Land, wobei in einigen europäischen Staaten auch regional aufgelegte Programme vorhanden sind. Meuwissen et al. (2008) befragten landwirtschaftliche Produzenten in fünf europäischen Ländern (Deutschland, Niederlande, Polen, Spanien, Ungarn) zu ihren Auffassungen und den Methoden des Risikomanagements.

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Die Gruppe der befragten Landwirte begegnet Risiken überwiegend durch Nutzung von Sach- und Ernteausfallversicherungen, Bildung finanzieller Rücklagen und die Vermeidung der Kreditaufnahme, gefolgt von vertikalen Integrations- und Vermarktungsverträgen. In Deutschland und Spanien ist die Ernteausfallversicherung stärker als in anderen Ländern verbreitet (60 % bis 70 % der Landwirte besitzen eine Ernteausfallversicherung). Diese Besonderheit lässt sich für Spanien zum Teil mit den hohen staatlichen Beihilfen erklären (49 %), wohingegen sie in Deutschland Ausdruck einer Grundsicherung im Wege einer Einzelrisikoversicherung und einer generellen Neigung zum Kauf von Versicherungen sein dürfte. In mehreren Ländern, insbesondere in Belgien, Deutschland, den Niederlanden, im Vereinigten Königreich und in Irland, ist die Versicherung gegen Hagel bzw. die Einzelrisikoversicherung das wichtigste Versicherungsprodukt auf dem Markt. Die in diesen Ländern fehlende staatliche Förderung für Versicherungen könnte ein Grund dafür sein, warum ein umfassenderer Versicherungsschutz normalerweise nicht angeboten wird. In Bulgarien, Polen, Portugal, Schweden, Slowakei, Slowenien, der Tschechischen Republik und Ungarn werden Einzelrisiko- und kombinierte Risikoversicherungen angeboten. Ernteversicherungen gegen die hauptsächlichen Produktionsausfallrisiken gibt es in Spanien, Italien, Österreich und jetzt auch in Frankreich (Bielza et al. 2008). Die Versicherungsdienstleistungen für Landwirte könnten von der Ausarbeitung gemeinsamer Leitlinien für die EU-Agrarversicherungsmärkte und ‑dienste profitieren, durch

die in Europa stärker harmonisierte Versicherungssysteme geschaffen würden. Ein harmonisiertes System würde im Endeffekt die Integration des Agroversicherungsmarktes vorantreiben und eine stärkere Risikobündelung und –streuung ermöglichen. Darüber hinaus könnten gemeinsame Leitlinien die Entwicklung von Versicherungen in Ländern, in denen möglicherweise eine entsprechende Nachfrage besteht, fördern (insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten). Eine staatliche Beteiligung an Versicherungen ist aus mehreren Gründen gerechtfertigt. Erstens erfordern entwickelte Versicherungssysteme große Datenmengen, die keine private Gesellschaft sammeln, speichern und auswerten kann. Zweitens brauchen landwirtschaftliche Versicherungen Prämienbeihilfen, um die Verbreitung der Versicherungsprodukte und die Erhöhung der Zahl der Ereignisse, gegen die sich Landwirte versichern können, voranzutreiben. Garrido und Zilberman (2007) haben nachgewiesen, dass Prämienbeihilfen den möglicherweise größten Einfluss auf positive Kaufentscheidungen für Versicherungspolicen ausüben. Sie stellten aber auch fest, dass bei Landwirten, die bereits einmal eine Entschädigung für Ernteausfälle erhalten haben, kleinere Prämienbeihilfen für den Kauf einer Police genügen. Schließlich fordern einige EU-Mitgliedstaaten, darunter Frankreich und Spanien, dass Ad-hoc-Zahlungen nur für Risiken geleistet werden, die nicht durch Versicherungspolicen abgedeckt werden. Die Policeninhaberschaft wird damit zum Kriterium für Förderfähigkeit. Hierzu muss noch grundlegend geklärt werden, mit welchen Verfahren die Schadenssachverständigen der Versicherer ermitteln, wer Anspruch auf Ad-hoc-Zahlungen hat, und die Leistungsansprüche auswerten. Ein weiterer wichtiger Vorteil der intensiveren Heranziehung von Versicherungen statt Ad-hoc-Zahlungen besteht in der Schnelligkeit, mit der Leistungsansprüche bearbeitet, geprüft, reguliert und finanziell abgegolten werden (laut Gesetz innerhalb von 60 Tagen).

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2.2.2.3. Einkommens- und Ertragsversicherung

Die Ertragsversicherung schützt sowohl vor Produktionsausfällen als auch vor Marktrisiken und löst eine Zahlung aus, wenn das Erzeugnis in Bezug auf Preis und Erzeugung unter dem garantierten Ertragsniveau bleibt. Bei der Einkommensversicherung werden das gesamte Einkommen des Betriebs berücksichtigt und die Marge zwischen Ertrag und Erzeugungskosten garantiert. Während die private Ernteausfallversicherung weltweit hoch entwickelt ist, sind Einkommens- und Ertragsversicherung in stärkerem Maße Beschränkungen unterworfen. In den USA, wo mehrere Ertragssicherungsprogramme sehr erfolgreich durchgeführt werden, wird die Versicherung mit erheblichen öffentlichen Mitteln unterstützt, und zwar in Form subventionierter Prämien und durch Bereitstellung einer staatlichen Rückversicherung. 1998 unternahm Dalgety Co. den Versuch, die Ertragsversicherung im Vereinigten Königreich vollständig zu privatisieren. Die Zahl der Vertragsabschlüsse war gering, sodass das Produktangebot in der darauffolgenden Saison vom Markt genommen wurde (Bielza et al. 2008). Das Einkommensrisiko in den landwirtschaftlichen Gebieten der EU ist in mehreren Studien bewertet worden. Generell wurde festgestellt, dass Risiko und Versicherungsdeckung miteinander verknüpft sind und die staatliche Beteiligung am Versicherungsmarkt in den Ländern höher ist, in denen die Risikoabsicherung hoch ist. Versicherungen des Gesamtbetriebseinkommens und flächenbezogene Ertragsversicherungen gibt es in Europa nicht. Die Entwicklung von Einkommens- und Ertragsversicherungen ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Dazu gehören die hohen Kosten aufgrund des systemischen Charakters der Marktrisiken. Durch das Vorhandensein des systemischen Risikos wird das Grundprinzip untergraben, das die Versicherung zu einem wirksamen Instrument des Risikomanagements macht, und zwar die Möglichkeit der Bündelung unkorrelierter Risiken, damit die Exposition gegenüber der Gesamtheit der Risiken deutlich unter derjenigen jeder einzelnen Komponente bleibt. Werden korrelierte Risiken gebündelt, so muss vonseiten des Versicherungsfonds die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass bei Eintritt umfangreicher Verluste die erhobenen Prämien für die erforderlichen Schadenersatzleistungen nicht ausreichen. Dadurch entsteht die Notwendigkeit, eine ausreichend große Liquiditätsreserve für Schadenersatzleistungen vorzuhalten. Probleme aufgrund des systemischen Charakters einiger Risiken und im Zusammenhang mit Informationsasymmetrien, die allen vollständig privatisierten Ernteausfall- und Gesamtrisikoversicherungen eigen sind, verschlimmern die Probleme der Ertrags- und Einkommensversicherungen zusätzlich. Ernteausfallversicherungen außer Versicherungen gegen Hagel und Feuer gibt es mancherorts nur deshalb, weil sich der Staat entweder direkt an der Verwaltung der Programme in erheblichem Umfang beteiligt (wie zum Beispiel in Griechenland, Kanada und Indien) oder die Programme durch Prämiensubventionierung indirekt fördert (wie zum Beispiel in Spanien, Italien und den USA). Selbst in Ländern mit stark subventionierten Prämien schließen bei weitem nicht alle Landwirte Versicherungsverträge ab. Der Grund dafür ist unklar, könnte aber darin liegen, dass für die landwirtschaftlichen Betriebe infolge von Diversifizierungsstrategien, der Sicherheit, die die Direktzahlungen bieten, und der im Fall einer allgemeinen Klimakatastrophe erwarteten Ad-hoc-Hilfen ein geringes Risiko besteht.

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2.2.2.4. Instrumente zur Einkommensstabilisierung und -sicherung

Instrumente zur Einkommensstabilisierung könnten eine Alternative zur Einkommensversicherung darstellen, wenn das Ziel darin besteht, die Einkommensstabilität in der Landwirtschaft zu erhöhen (zum Beispiel ähnlich wie das kanadische Programm Agri-Stability22). Ähnlich wie die Einkommensversicherung zielt dieses Instrument darauf ab, ein Mindesteinkommen zu garantieren. Im Gegensatz zur Einkommensversicherung tritt bei diesem Instrument die öffentliche Hand (auf nationaler oder EU-Ebene) als Versicherer auf und zahlt den Großteil der Entschädigung. Der Mittelbedarf aus dem Haushalt entspräche dem Umfang der erwarteten Entschädigungen pro Agrarbetrieb23. Da es andere Mechanismen zur Bewältigung „normaler” Risiken gibt, sollte dieses Einkommensinstrument nicht zur allgemeinen Einkommensunterstützung für alle Landwirte verwendet werden, sondern sich an Landwirte richten, die schwere Einkommensverluste erlitten haben und zu ihrem Schutz bereits alle zur Verfügung stehenden Instrumente genutzt haben. Somit könnte dieses Instrument treffender als Einkommenssicherungsinstrument (ESI) bezeichnet werden. Das ESI kann so ausgelegt werden, dass nur Risiken abgesichert werden, die durch andere vorhandene Instrumente, wie Versicherungen und Fonds auf Gegenseitigkeit, nicht abgedeckt werden. Wie bei dem kanadischen Programm könnten die Landwirte eine Teilnahmegebühr entrichten, um Mitverantwortung für das Risikomanagement zu übernehmen. Die Landwirte könnten aufgefordert werden, eine Versicherung zu kaufen oder ein anderes verfügbares Risikomanagementinstrument zu unterzeichnen, um bei nicht versicherbaren Risiken für eine weitere Unterstützung durch das ESI in Betracht zu kommen. Für das ESI dürften hohe Kosten anfallen, insbesondere in Jahren, in denen systemische (Markt-) Risiken oder allgemeine Katastrophen eintreten. Natürlich müsste das Instrument wie ein Fonds funktionieren und in guten Jahren Finanzmittel ansammeln, um für schlechte Zeiten gewappnet zu sein. Sollte es dem Fonds allerdings an Mitteln für die Verlustdeckung fehlen, müsste wahrscheinlich eine Rückversicherung auf den internationalen Rückversicherungsmärkten abgeschlossen werden. Wenn das ESI auf Gemeinschaftsebene und nicht auf der Ebene der Mitgliedstaaten bereitgestellt würde, könnten mehr Risiken gebündelt werden, wodurch das Programm effizienter und kostengünstiger würde. Als Sicherheitsnetz auf Gemeinschaftsebene, das kofinanziert wird, würde das ESI Umverteilungseffekte zwischen den Mitgliedstaaten mit sich bringen; d. h. einige Länder würden im Vergleich zu anderen stärker profitieren.

22 http://www4.agr.gc.ca/AAFC-AAC/display-afficher.do?id=1291990433266&lang=eng. 23 Die Europäische Kommission hat zur Anwendung des Einkommensstabilisierungsinstruments in der

Gemeinschaft einen Mittelbedarf in Höhe von 6 Mrd. EUR errechnet (http://ec.agriculture/analysis/perspec/app-briefs/index_en.htm).

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Unter Berücksichtigung dieser erheblichen Bedenken sollte bei der Ausarbeitung eines Sicherheitsnetzes von folgenden Prämissen ausgegangen werden:

Es sollte den Mitgliedstaaten freistehen, ein ESI auszuarbeiten.

Als Bestandteil des Instrumentariums für Risikomanagement sollten die Mitgliedstaaten eigenständig entscheiden können, ob es aus der ersten Säule, der zweiten Säule oder von den Mitgliedstaaten selbst finanziert wird.

Die Landwirte sollten einzhalen müssen, um für eine Inanspruchnahme in Betracht zu kommen.

Da das Instrument das Risikominderungspotenzial der vorhandenen Instrumente ergänzt, sollten die Kosten der Teilnahme am ESI (je Euro des erwarteten Betriebseinkommens) für Landwirte, die sich versichern, Mitglieder gemeinsamer landwirtschaftlicher Betriebe sind oder nachweisen können, dass sie andere Instrumente aus dem Instrumentarium nutzen, geringer sein.

Die Europäische Kommission sollte Kriterien aufstellen, die zur Einteilung sämtlicher spezifischer Instrumente in Kategorien und zu ihrer Zulassung als gültige Voraussetzung für die Inanspruchnahme des ESI verwendet werden können. Zwar gilt es hierzu komplexe Definitionen zu entwickeln, doch sind sie unumgänglich, damit alle Landwirte, die ein Sicherheitsnetz wünschen, einen gleichwertigen Einkommensschutz erhalten.

Landwirte in Mitgliedstaaten, in denen ein ESI aufgebaut und angeboten wird, sollten für Ad-hoc-Zahlungen im Krisen- oder Katastrophenfall nicht in Frage kommen. Mitgliedstaaten, die auf das ESI verzichten, könnten ihren Landwirten die Art der Unterstützung anbieten, die diese wünschen, und dafür nationale Mittel entsprechend den Vorschriften über staatliche Beihilfen einsetzen.

Die Kosten der Beteiligung der einzelnen Landwirte am ESI-Sicherheitsnetz sollten auf der Grundlage solider Risikobewertungsmethoden berechnet werden.

Das ESI-Sicherungsnetz muss allen Anforderungen der „Green Box“ der WTO genügen (siehe nachstehender Abschnitt).

Das ESI sollte auf vertraglicher Grundlage von privaten Unternehmen (Versicherern) gemäß den eindeutig formulierten Vorschriften der EU vermarktet werden. Die Unternehmen sollten im Rahmen der Standard-Ausschreibungsverfahren der EU ausgewählt werden.

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Abbildung 9. Stärken und Schwächen des Einkommenssicherungsinstruments

Instrument Stärken Schwächen

Einkommenssicherungs-instrument

Sicherung der Flexibilität und des Fortbestands landwirtschaftlicher Betriebe

Kosteneffizienz (steht in direktem Zusammenhang mit dem Einkommen)

Umfassender Schutz

Außerordentlich komplexe Verwaltung und Gestaltung

Finanzmittel in beträchtlicher Höhe erforderlich

ESI auf Ebene der Mitgliedstaaten

Politisch einfach Geringeres Risikobündelungspotenzial

Kostspieliger

ESI auf EU-Ebene Bündelung von Risiken

Günstigere Rückversicherung

Höhere Kosteneffizienz

Politisch kompliziert

Potenzielle Umverteilungseffekte unter den MS

Unterschiedliche Versicherbarkeit der Risiken in den MS

Die Gestaltung dieses Instruments und der Einkommensversicherung bringt verwaltungstechnische und technische Probleme mit sich. Die Verwaltung des Systems muss in der Lage sein, gleichzeitig auftretende Verluste großen Umfangs zu bewältigen. Zahlungsverzug hat sich bei staatlichen Programmen und Zahlungen in Katastrophenfällen für gewöhnlich als nicht unerhebliches Problem erwiesen, eine Schwäche, die beim ESI vermieden werden sollte. Technische Probleme sind hauptsächlich die Folge von Informationsasymmetrien und Schwierigkeiten, zuverlässige und der realen Situation der landwirtschaftlichen Betriebe angepasste Daten zu erhalten (Daten über die Menge der eingesetzten Betriebsmittel, über die Betriebsmittelpreise und die Produktionspreise). Da diese Probleme eng mit den Green-Box-Kriterien für landwirtschaftliche Einkommen verknüpft sind, werden sie im nachstehenden Abschnitt erörtert.

2.2.2.5. Einkommensinstrumente und die WTO

Die Gewährung staatlicher Beihilfen sowohl zur Subventionierung der Einkommensversicherung als auch für Ausgleichszahlungen im Rahmen des ESI kann unter bestimmten Annahmen für eine Einstufung in die „Green Box“ in Betracht kommen.

Staatliche Beihilfen, die über einkommensbezogene Instrumente, einschließlich Einkommensversicherung, gewährt werden, unterliegen den in Nummer 7 des Anhangs 2 des WTO-Übereinkommens über die Landwirtschaft vorgesehenen Beschränkungen24. In

24 Nummer 7 des Übereinkommens lautet wie folgt: „7. Finanzielle Beteiligung der öffentlichen Hand an Einkommensversicherungen und anderen

Einkommenssicherungsprogrammen a) Die Berechtigung zum Erhalt solcher Zahlungen wird anhand des Einkommensverlusts festgelegt, wobei nur

landwirtschaftliche Einkommen berücksichtigt werden, die 30 v. H. des durchschnittlichen Bruttoeinkommens oder des in Nettoeinkommen ausgedrückten Äquivalents (ohne Zahlungen aus dem betreffenden oder ähnlichen Programmen) im vorangegangenen Dreijahreszeitraum oder eines Dreijahresdurchschnitts unter

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Nummer 7 werden Finanzierungsbeteiligungen der öffentlichen Hand insofern bereits auf schwerwiegende Ereignisse eingeschränkt, als der Einkommensverlust 30 % des durchschnittlichen Bruttoeinkommens der vorangegangen Jahre überschreiten muss und die Höhe der Ausgleichszahlungen auf 70 % des Einkommensverlustes beschränkt ist. Allerdings wird weder auf ein systemisches Ereignis noch auf die öffentliche Bekanntgabe einer Naturkatastrophe Bezug genommen, wie das in Nummer 8 hinsichtlich des Produktionsverlustes geschieht.

Die Einhaltung von Nummer 7 ist schwierig. Die Hauptschwierigkeit besteht in der Feststellung des Bruttoeinkommens aus der Landwirtschaft, da „die Höhe solcher Zahlungen lediglich vom Einkommen abhängig [ist]; sie ist nicht abhängig von Art oder Menge der Erzeugung (einschließlich Großvieheinheiten) des Erzeugers oder von internen oder internationalen Preisen für eine solche Erzeugung oder von eingesetzten Produktionsfaktoren.“ Damit können die Erträge, die aus dem Anbau einer bestimmten Pflanze erzielt werden, nicht zur Berechnung der Zahlungen herangezogen werden, was weitaus einfacher wäre. Vielmehr ist das Bruttoeinkommen des ganzen Betriebs zugrunde zu legen, dessen Erfassung bei stark diversifizierten Betrieben kompliziert ist.

Es besteht noch eine zweite und wahrscheinlich größere Schwierigkeit: Würde das Programm auf der Höhe der Erträge aus der Landwirtschaft beruhen, wäre das übliche Verfahren, die tatsächliche Erzeugung zu berücksichtigen und den Preis anhang von Preiszonen oder Preisindex zu schätzen, doch nach der vorliegenden Methode kann das reale Bruttoeinkommen aus der Landwirtschaft nicht mit Gewissheit ermittelt werden. Wegen dieser Einschränkung sollte sich das Programm auf eine zuverlässige Einkommensberechnung stützen, wie beispielsweise das in Steuererklärungen ausgewiesene Einkommen. Angesichts dieser erheblichen Einschränkung hat gegenwärtig nur Kanada, das über ein geeignetes Steuersystem verfügt, seine Zahlungen als Green-Box-kompatible Instrumente zur Einkommensstabilisierung anerkennen lassen (siehe Kasten 6 mit einer Darstellung der kanadischen Programme). Ein Erfolg ist bei weniger entwickelten Steuersystemen offenbar nicht möglich.

Zugrundelegung des vorangegangenen Fünfjahreszeitraums nach Abzug des höchsten und des niedrigsten Ergebnisses überschreiten. Alle Erzeuger, die diese Bedingung erfüllen, sind zum Erhalt der Zahlungen berechtigt.

b) Die Höhe solcher Zahlungen gleicht weniger als 70 v. H. des Einkommensverlusts des Erzeugers in dem Jahr aus, in dem er die Berechtigung zum Erhalt dieser Hilfe erwirbt.

c) Die Höhe solcher Zahlungen ist lediglich vom Einkommen abhängig; sie ist nicht abhängig von Art oder Menge der Erzeugung (einschließlich Großvieheinheiten) des Erzeugers oder von internen oder internationalen Preisen für eine solche Erzeugung oder von eingesetzten Produktionsfaktoren.

d) Erhält ein Erzeuger im selben Jahr Zahlungen aufgrund dieser Nummer und der Nummer 8 (Hilfe bei Naturkatastrophen), so macht der Gesamtbetrag solcher Zahlungen weniger als 100 v. H. des gesamten Einkommensverlusts aus.

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Kasten 6. Kanadische Katastrophenhilfsprogramme

In Kanada sind seit 1998 Katastrophenhilfsprogramme im Einklang mit „Nummer 7“ des WTO-Übereinkommens konzipiert worden. AIDA-CFIP und später CAIS wurden als Green-Box-kompatible Programme angelegt. Das Nachfolgeprogramm trägt die Bezeichnung „Agri-Stability“ und funktioniert ähnlich wie CAIS. Hierbei wird für jeden landwirtschaftlichen Betrieb auf der Grundlage eines „olympischen“ Durchschnittswertes ein Referenzbruttoeinkommen (Bruttogewinnspanne aus der Landwirtschaft) festgelegt, das heißt, der gleitende Durchschnittswert der vorangegangenen fünf Jahre abzüglich des niedrigsten und des höchsten Wertes. Unterschreiten die Verluste 30 % dieses Referenzeinkommens, erfolgen staatliche Zahlungen in einem Umfang, der 50-60 % des Verlustes entspricht, was nicht als Green-Box-kompatibel gilt. Der Rest stammt aus Programmbeiträgen der Landwirte. Überschreiten die Verluste den Wert von 30 %, leistet der Staat Green-Box-kompatible Zahlungen, die zwischen 60 % und 70 % des Verlustes abdecken, je nach „Schichtebene“ des Verlustes. Der Rest stammt teilweise aus Programmbeiträgen der Landwirte und wird zum Teil direkt vom Landwirt übernommen.25

Ein denkbarer alternativer Ansatz ist die Abschätzung des landwirtschaftlichen Einkommens durch Kombination von realer Produktion, Preisindizes und erforderlicher Betriebsmittelmenge auf der Grundlage von Durchschnittswerten (zum Beispiel der INLB-Standarddeckungsbeiträge). Das Übereinkommen über die Landwirtschaft könnte so geändert werden, dass Bezug auf ein „geschätztes“ Einkommen aus der Landwirtschaft genommen wird, das nach transparenten Regeln berechnet wird und die Möglichkeit einräumt, die landwirtschaftliche Erzeugung mit Preisindizes zu kombinieren. In den USA besteht ein Versicherungsprogramm, mit dem die auf Schätzwerten beruhenden Bruttomargen abgedeckt werden, wobei die Mengen als fest angesehen werden und lediglich Schwankungen des Produktionspreises und des Betriebsmittelpreises Berücksichtigung finden (siehe Kasten 7).

25 http://www.bdo.ca/library/publications/agriculture/documents/agristability-agriinvest-agriinsurance-and-agrirecovery.pdf

http://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:DQ3JcITCpjoJ:www4.agr.gc.ca/AAFC-AAC/display-afficher.do%3Fid%3D1201795725175%26lang%3Deng+farmers+contribution+to+Agri-Stability+fees&cd=3&hl=en&ct=clnk&source=www.google.com

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Kasten 7. Versicherung der Bruttogewinnspanne in der Tierhaltung (Preis), USA

Einer Einkommensversicherung am nächsten kommt die Bruttogewinnspanne in der Tierhaltung („Livestock Gross Margin“). Allerdings wird sie nicht als Green-Box-kompatibel geltend gemacht, weil es sich nicht um eine Einkommensversicherung, sondern eine Preisversicherung handelt: Sie bezieht sich nicht auf Produktionsrisiken, sondern nur auf Preisrisiken.

Diese seit 2006 in den USA angebotene Versicherung deckt den Differenzbetrag zwischen den Grundstoff- und den Futtermittelkosten ab. Liegt die vom Erzeuger erwartete Bruttogewinnspanne über der tatsächlichen Gewinnspanne, wird eine Entschädigung gezahlt.

Die Abdeckung wird unter Berücksichtigung der Preise für Termin- und Optionsgeschäfte an der Chicago Mercantile Exchange ermittelt. Verwendet werden die Preise für Schweine, Rinder und Milch. Die Erzeuger bestimmen die zu versichernde Produktionseinheit („cwt“ [ca. 45,3 kg] Milch) und den Versicherungszeitraum.

Ein letztes, kleineres Problem im Zusammenhang mit Nummer 7 besteht darin, dass die Berechnung der Verluste auf der Grundlage des Mittelwerts der vorangegangenen drei Jahre oder eines dreijährigen Durchschnitts aus dem vorangegangenen Fünfjahreszeitraum unter Ausschluss des höchsten und des niedrigsten Ergebnisses erfolgen muss. Wie Bielza et al. 2008 nachgewiesen haben, kann dieser Durchschnitt sehr schwanken und in gewissem Maße Ungerechtigkeit nach sich ziehen. Demnach würde eine Versicherungsgesellschaft zögern, eine Absicherung auf der Grundlage dieses gleitenden Durchschnitts zu gewähren. Eine weitaus geeignetere Vergleichsgrundlage wäre der mittel- oder langfristige Entwicklungstrend. Allerdings ist eine objektive und faire Trendkorrektur häufig schwierig und erfordert statistische Kriterien. Käme eine Änderung von Nummer 7 in Betracht, so könnte der Ersatz des vormaligen dreijährigen Durchschnitts durch einen fünf- bis sechsjährigen Durchschnitt bzw. idealerweise durch einen Entwicklungstrend (zum Beispiel einen Zehnjahrestrend) zur Debatte stehen.

2.2.2.6. Die Rolle der EU

Gemäß den Vorschriften über staatliche Beihilfen werden in mehreren Mitgliedstaaten Produktionsversicherungen angeboten. Im Rahmen der Maßnahmen des Artikels 68 wurden kürzlich gemeinschaftliche Fördermaßnahmen für Versicherungsprogramme eingeführt. Der geltende rechtliche Rahmen gestattet nur die Versicherung (und staatliche Post-Ad-hoc-Beihilfen) für Produktionsrisiken26. In ihrer Mitteilung „Die GAP bis 2020“ schlägt die Kommission ein fakultatives Instrumentarium für das Risikomanagement vor, mit dem sowohl Produktions- als auch Einkommensrisiken abgesichert werden könnten und das von einem neuen und Green-Box-kompatiblen Instrument zur Einkommensstabilisierung bis zu verbesserten Fördermaßnahmen für Versicherungsinstrumente und Fonds auf Gegenseitigkeit reicht. Dieser Vorschlag könnte in der zweiten Säule unter Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums eingegliedert werden.

26 Siehe die Ausführungen zu staatlichen Beihilfen.

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Instrumente der Einkommensversicherung und der Einkommensstabilisierung sind im Rahmen des Instrumentariums für das Risikomanagement als Sicherheitsnetz für Einkommen in einem offenen Handelsumfeld gerechtfertigt. Wir schlagen vor, eher das vorstehend beschriebene Einkommenssicherungsinstrument (ESI) als ein Instrument zur Einkommensstabilisierung in Erwägung zu ziehen. Angesichts des Bestehens der Betriebsprämienregelung und eines Sicherheitsnetzes für den Markt der wichtigsten Grundstoffe ist ein Instrument zur Einkommensstabilisierung mit hoher Deckungssumme unnötig, und das Einkommenssicherungsinstrument bietet Schutz vor krisenbedingten Verlusten oder sehr hohen Verlusten (auf jeden Fall bei mehr als 30 % des Einkommens und möglicherweise noch höher) durch nicht versicherbare Risiken. Es könnte auch Länder geben, die eine Einkommensversicherung so aufbauen, dass Beihilfen für Bürgschaftsprämien nur bei großen Verlusten gezahlt werden, ähnlich der Regelung beim ESI27. Wie im vorstehenden Abschnitt bereits betont wurde, müssen sowohl die Prämienbeihilfen für Einkommensversicherungen als auch die Zahlungen im Rahmen des ESI selbstverständlich den Green-Box-Kriterien entsprechen. Wir empfehlen, dass in den Fällen, in denen ein ESI oder staatlich geförderte Einkommensversicherungen vorhanden sind, keine Ad-hoc-Beihilfen gewährt werden, weil sonst die Nutzer dieser Instrumente vollständig verdrängt würden. Bezüglich der Frage, ob einkommensbezogene Instrumente auf EU-Ebene oder der Ebene der Mitgliedstaaten umgesetzt werden sollten, wurden einige wichtige Vorteile aufgezeigt, die sich durch die Umsetzung auf EU-Ebene ergeben, wie beispielsweise die Effizienz der Bündelung von Risiken und die geringeren Rückversicherungskosten. Allerdings kann dieser Ansatz sowohl aus politischer Sicht (zum Beispiel mögliche Umverteilungseffekte) als auch von einem technischen Standpunkt aus (Unterschiedlichkeit der Bedingungen in den einzelnen Mitgliedstaaten) einige Schwierigkeiten in sich bergen. Insofern sind auf kurze Sicht nationale Instrumente wahrscheinlich praktikabler, wenngleich die Tragfähigkeit des gemeinschaftlichen Konzepts noch untersucht werden sollte. Wir schlagen daher vor, dass in die mit EU-Mitteln geförderte Entwicklung von nationalen ESI grundlegende gemeinsame Funktionsmechanismen einbezogen werden sollten, damit das System künftig erweitert und der EU-Ebene angepasst werden kann. Das Instrumentarium könnte zur Kofinanzierung im Rahmen der zweiten Säule der GAP herangezogen werden, allerdings auch im Rahmen der ersten Säule gemäß Artikel 68. Die MS könnten wählen, welche Finanzmittel sie in Anspruch nehmen wollen. Auf jeden Fall sollte den Mitgliedstaaten gestattet werden, unter Verwendung eigener Mittel alle Instrumente des Instrumentariums zu fördern, wenn sie dieselben Merkmale wie die Instrumente aufweisen, die für eine Kofinanzierung in Betracht kommen. Ebenso wie die Derivatemärkte könnte der Privatsektor auch private Versicherungen und Fonds auf Gegenseitigkeit weiterentwickeln, wenn dafür öffentliche Hilfen bereitgestellt werden. Es müssen Datenbanken aufgebaut werden, um neue Instrumente entwickeln zu können, wie wetterindexgebundene Produkte oder auch bedingte Kreditlinien28. Auch Fortbildungsmaßnahmen für Landwirte und Agrarverbände in Bezug auf die Funktionsweise

27 Die gleichzeitige Entwicklung sowohl der Einkommensversicherung als auch des ESI in einem Land erscheint angesichts der erforderlichen Anstrengungen und des Umstands, dass ein Instrument das andere nutzlos macht, unrealistisch.

28 Eine bedingte Kreditlinie ist eine Vereinbarung zwischen einem Marktteilnehmer, der von einem möglichen Bedarf an kurzfristiger Finanzierung zur Bewältigung einer potenziellen Notlage ausgeht, und einer Bank oder einem anderen Darlehen ausreichenden Finanzinstitut. Die Kreditlinien können auf den Eintritt kurzfristiger Marktkrisen beschränkt werden (weitere Informationen siehe Cafiero, 2008).

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der neuen Versicherungsarten (z. B. Index-Versicherungen) könnten sich als nützlich erweisen.

2.2.3. Ex-post-Maßnahmen: Staatliche Beihilfen

Im Rechtsrahmen für staatliche Beihilfen werden Risiko- und Krisenmanagement bereits behandelt. Die Mitgliedstaaten können Soforthilfe leisten, wobei die Kommission dafür sorgen muss, dass der Wettbewerb dadurch nicht verfälscht wird. Die derzeitigen Leitlinien für staatliche Beihilfen im Agrarsektor sehen die Gewährung von Beihilfen auf einzelstaatlicher Ebene unter folgenden Umständen vor:

(a) bei durch Naturkatastrophen verursachten Schäden oder außergewöhnlichen Ereignissen;

(b) bei durch widrige Witterungsverhältnisse verursachten Schäden;

(c) zur Bekämpfung von Tierseuchen, Pflanzenkrankheiten und Schädlingsbefall. Diese Hilfen müssen von der Kommission genehmigt werden, es sei denn, der Staat erfüllt die Verordnung (EG) Nr. 1857/2006 der Kommission vom 15. Dezember 2006 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag über staatliche Beihilfen an kleine und mittlere in der Erzeugung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen tätige Unternehmen. Darüber hinaus gilt die De-minimis-Regelung, nach der staatliche Beihilfen im Voraus bei der Kommission zur Genehmigung angemeldet werden müssen. Es ist eine Schwelle von 7500 EUR je Landwirt für einen dreijährigen Zeitraum festgelegt. In Anwendung des befristeten EU-Beihilferahmens wurde dieser Höchstbetrag auf 15 000 EUR je Landwirt angehoben.. Der befristete EU-Beihilferahmen erleichtert Unternehmen, die infolge der Finanzkrise mit größeren Schwierigkeiten bei der Darlehensbeschaffung konfrontiert sind, den Zugang zu Finanzmitteln. Primärerzeuger waren zunächst ausgeschlossen, doch während der Milchkrise 2009 nahm der Rat eine Änderung an, nach der Landwirten eine befristete staatliche Beihilfe in Höhe von 15 000 EUR gewährt wird. Diese Beihilfe wurde später allen Teilsektoren der landwirtschaftlichen Primärerzeugung zugänglich gemacht. Dieser Gemeinschaftsrahmen ist eine weitere als „letztes Mittel“ dienende Form staatlicher Beihilfe, die zeitlich begrenzt sein sollte und alle Bestimmungen des befristeten Gemeinschaftsrahmens einhalten muss. Insbesondere muss das Programm notwendig, verhältnismäßig und geeignet sein, eine schwere Marktstörung zu beheben.

2.2.4. Ex-post-Maßnahmen: EU-Haushaltsreserven

Artikel 44, 45, 47 und 48 der Verordnung über die einheitliche GMO sehen vor, dass die Kommission Sondermaßnahmen treffen kann, um Beschränkungen des freien Warenverkehrs Rechnung zu tragen, die sich aus der Anwendung von Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung von Tierseuchen ergeben können. Darüber hinaus kann die Kommission nach der Störungsklausel (Artikel 186 und 187) notwendige Maßnahmen ergreifen, falls Maßnahmen in anderen Sektoren unzureichend sind. Dennoch ist die Umsetzung dieses Plans aufgrund fehlender angemessener Haushaltsmittel schwierig. Ziel einer Haushaltsreserve ist es, schwere Krisen besser bewältigen zu können, wenn die anderen Instrumente der Marktregulierung versagt haben. Innerhalb realistischer Grenzen sollen Haushaltsmittel für Ausgaben bereitgestellt werden, die zum Zeitpunkt der Ausarbeitung des Haushaltsplans nicht vorhersehbar waren. In der Entschließung des

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Europäischen Parlaments vom 8. Juli 2010 zur Zukunft der GAP nach 2013 wird in Ziffer 79 festgestellt, dass das Parlament der Auffassung ist, dass zur raschen Bekämpfung schwerwiegender Marktkrisen eine besondere Reserve-Haushaltslinie vorgesehen werden sollte. Diese Reserve wird die Kommission in die Lage versetzen, bei allgemeinen Krisen in stark in der Gemeinschaft etablierten Sektoren Sondermaßnahmen im Einklang mit der einheitlichen GMO zu ergreifen. Die aktuellen Diskussionen über die Haushaltsreform haben das Augenmerk auf die Notwendigkeit gelenkt, zwischen Berechenbarkeit und Flexibilität ein ausgewogenes Verhältnis herzustellen. Wie es in der Mitteilung der Kommission über die Haushaltsüberprüfung29 heißt, hat der Mehrjährige Finanzrahmen strikte Haushaltsdisziplin garantiert, wenn auch auf Kosten der Flexibilität. Die Regeln für den Haushaltsvollzug haben sich als Einschränkungen erwiesen, sodass auf unerwartete Ereignisse, wie die Lebensmittelkrise, nicht entsprechend reagiert werden konnte. Die EU-Ausgaben erfolgen derzeit in den Grenzen des Mehrjährigen Finanzrahmens und sind fünf Rubriken und Jahresplänen zugeordnet. Für die Agrarausgaben sind in der Rubrik 2 des Finanzrahmens verbindliche jährliche Höchstwerte festgelegt, und zwar für die „Nachhaltige Bewirtschaftung und Schutz der natürlichen Ressourcen“ in den beiden Teilrubriken 2a) Marktregulierung und Direktzahlungen und 2b) Entwicklung des ländlichen Raums. Die im Finanzrahmen 2007-201330 gebilligte Finanzdisziplin verschärfte die Bedingungen für die Landwirtschaft und sah die Möglichkeit vor, die Direktzahlungen zu kürzen, sobald die Agrarausgaben (ausschließlich der Ausgaben für die Entwicklung des ländlichen Raums) die Obergrenzen überschreiten. Es ist nicht davon auszugehen, dass der GAP-Haushalt im neuen Finanzrahmen erhöht wird; bestenfalls kann die Beibehaltung des derzeitige Haushalts erwartet werden, sodass die Einführung neuer Instrumente im Rahmen der derzeitigen Obergrenzen – mit Berücksichtigung ungenutzter Margen und einer erhöhten Ausgabenflexibilität – Ausgaben geprüft werden muss. Die Kommission schlug mehrere Mechanismen zur Erhöhung der Ausgabenflexibilität31 vor, deren Aufnahme in die Haushaltsreserve zum Zweck der Bewältigung schwerwiegender Krisen in der Landwirtschaft geprüft werden könnte:

1. Neuzuweisungsflexibilität bei der Übertragung von Haushaltsmitteln in einem gegebenen Jahr innerhalb bestimmter Grenzen.

2. Fähigkeit zur Übertragung ungenutzter Margen von einem Jahr auf das andere innerhalb bestimmter Grenzen.

3. Möglichkeit des Vorziehens oder Zurückstellens von Ausgaben innerhalb der Mehrjahresobergrenzen einer Rubrik, um antizyklische Maßnahmen und angemessene Reaktionen auf größere Krisen zu ermöglichen.

4. Erhöhung des Umfangs des geltenden Flexibilitätsinstruments und der Reserve für Soforthilfen sowie Ausweitung ihres Anwendungsbereichs, einschließlich einer möglichen Zusammenlegung.

29 Überprüfung des EU-Haushalts. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die nationalen Parlamente. KOM(2010)0700. Brüssel, 19.10.2010.

30 Interinstitutionelle Vereinbarung über den Finanzrahmen 2007-2013 (DO C 139, 14.6.2006). 31 Überprüfung des EU-Haushalts. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den

Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die nationalen Parlamente. KOM(2010)0700. Brüssel, 19.10.2010

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Angesichts der sich immer stärker ergebenden Notwendigkeit, die Agrarausgaben mithilfe von vorab festgelegten Mittelzuweisungen zu steuern, ist es wahrscheinlich nicht leicht, die Möglichkeit der Übertragung von Mitteln zwischen den Rubriken noch flexibler zu gestalten. Demzufolge könnte die Einrichtung einer Haushaltsreserve unter zwei Gesichtspunkten betrachtet werden. Erstens sollte die Verwendung nicht zugewiesener Mittel innerhalb einer Rubrik oder die Übertragung ungenutzter Mittel von einem Jahr auf das nächste für den Fall gestattet werden, dass die Reserve aufgrund schwerwiegender Krisen aktiviert werden muss. An zweiter Stelle käme ein Mehrjahres-Haushaltsansatz für die Landwirtschaft infrage, der bei einer schwerwiegenden Krise aktiviert werden könnte. Die Wirksamkeit einer Haushaltsreserve wird verbessert, wenn die Mittelzuweisungsregeln im neuen Mehrjährigen Finanzrahmen flexibler gestaltet und Reserven zur Abdeckung unvorhergesehener Ereignisse vorgesehen werden.

2.3. Marktordnungsinstrumente

WICHTIGSTE ERKENNTNISSE

Öffentliche und private Lagerhaltung

Es bestehen gute Gründe für ein Eingreifen des Staates in Form der Förderung des Aufbaus von Reserven an Schlüsselprodukten und der Abwicklung dieser Reserven.

Die private Lagerhaltung ist gegenüber der öffentlichen Lagerhaltung vorzuziehen, vor allem, wenn Qualität und Lagerkosten eine Rolle spielen.

Lagerhaltungsmaßnahmen sind unter Umständen kostspielig und nur von sehr begrenzter Wirkung, wenn die inländischen- und die internationalen Märkte eng miteinander verwoben sind, können aber mehr Tragweite haben, wenn die Preisbildung hauptsächlich auf dem Inlandsmarkt (z. B. bei Fleisch und Fleischerzeugnissen) geschieht oder innersaisonale Spitzen (z. B. bei Milchprodukten) zu glätten sind.

Grenzschutz

Es besteht noch Spielraum für Interventionen, insbesondere beim Marktzugang.

Absatzförderung

Maßnahmen zur Absatzförderung wirken vor allem langfristig, da sie zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage beitragen.

In einer Krise oder bei über lange Zeiträume sinkenden Preisen reichen Absatzförderungsprogramme als nachfragesteigernder Mechanismus möglicherweise nicht aus.

Ihre Wirksamkeit hängt von den dafür vorgesehenen Finanzmitteln und den entsprechenden Bemühungen der Erzeugerorganisationen ab.

Absatzförderungsaktivitäten erfordern Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, um Möglichkeiten für die Einführung neuer Technologien, neuer Management-Formen und neuer Führungsstrukturen zu schaffen und neue Strategien zu entwickeln.

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Weltmärkte und Preisstabilisierung

Die Lagerhaltung ist nicht geeignet, das Auftreten extrem hoher Preise vollständig zu verhindern.

Die Bildung einer international koordinierten Reserve wirft zahlreiche technische und politische Probleme auf, sodass die Machbarkeit fraglich ist.

Das Konzept der „virtuellen Reserve“ ist als Stabilisierungsinstrument mit vielen Schwächen behaftet, und es hat keinen Vorteil gegenüber der EU, die über wesentlich effektivere Mittel zur Preisstabilisierung verfügt.

Die einseitige Bildung einer Reserve durch die EU mit dem Ziel der Stabilisierung könnte erwogen werden, wenngleich ihre Wirksamkeit eingeschränkt wäre, sofern sie nicht durch zusätzliche, WTO-kompatible handelspolitische Maßnahmen ergänzt wird.

Wirtschafts- und Marktinformationssysteme tragen entscheidend dazu bei, Ernährungskrisen abzuwenden und sicherzustellen, dass akutem Nahrungsmittelmangel so kostengünstig und wirksam wie möglich begegnet werden kann.

Die Weltmärkte müssen besser reguliert und gesteuert werden.

2.3.1. Öffentliche und private Lagerhaltung

Mechanismen der öffentlichen Intervention - entweder durch die öffentliche Lagerhaltung oder durch Beihilfen für die private Lagerhaltung - zielen darauf ab, die Märkte zu stabilisieren und den Lebensstandard der Landwirte zu verbessern. Die Haushaltsaufwendungen machen inzwischen 0,4 % des EGFL-Budgets aus; Lagerhaltung eignet sich für lagerfähige Güter wie Getreide, Reis, Olivenöl und Oliven, Fleisch und Fleischerzeugnisse, Milchpulver und sonstige Milcherzeugnisse. Hier soll untersucht werden, welche Möglichkeiten die Lagerhaltung als Sicherheitsnetz für preisbedingte Einnahmeverluste bei der Festsetzung von Mindestpreisen für die betroffenen Erzeugnisse bietet. Die Rechtsgrundlage für die öffentliche Intervention und für die Zahlung von Beihilfen für die private Lagerhaltung findet sich in der Verordnung 1234/2007 über die einheitliche GMO. Für die öffentliche Lagerhaltung kommen derzeit folgende Erzeugnisse in Betracht: Getreide (Weizen32), Rindfleisch, Magermilchpulver und Butter. In welchem Umfang aber konkret Lagerhaltungsmaßnahmen angewendet werden, ist in den einzelnen Produktmärkten ganz unterschiedlich. So können innersaisonale Faktoren die öffentliche Intervention einschränken, zudem müssen bestimmte Auslösepreise erreicht sein, ehe Lagerhaltungsbeihilfen gewährt werden, oder es gelten Mengenbeschränkungen für die Interventionsbestände, die eine Differenzierung zwischen obligatorischer und fakultativer Intervention herbeiführen.

32 Bei anderen in Betracht kommenden Getreidesorten, wie etwa Reis, sind die Interventionsmengen für obligatorische Ankäufe derzeit auf Null gesetzt, sodass es im Ermessen der Kommission liegt, ob Ausschreibungen für eine öffentliche Intervention eingeleitet werden.

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Die für eine Beihilfe zur privaten Lagerhaltung in der EU in Frage kommenden Produkte sind Butter, Olivenöl, Zucker sowie frisches und gekühltes Schweine-, Schaf- und Ziegenfleisch. Beihilfen für die private Lagerhaltung spielen eine größere Rolle bei Tierprodukten, d. h. bestimmten Fleischsorten. Bei diesen Erzeugnissen wird wesentlich stärker nach der Qualität unterschieden als bei vielen pflanzlichen Erzeugnissen, und ihre Lagerung ist in der Regel kostenaufwändiger. Beihilfen für die private Lagerhaltung werden im Allgemeinen nur unter speziellen Marktbedingungen gewährt – typischerweise dann, wenn die Preise unter eine bestimmte Schwelle fallen. In diesem Fall wird die Beihilfe, sofern sie nicht vorab festgesetzt wurde, mittels eines Ausschreibungsverfahrens festgelegt. Im Sektor Tierhaltung sind die Quoten überwiegend vorab festgesetzt und werden insbesondere dann eingesetzt, wenn die festgestellte Marktlage offensichtlich ein schnelles Eingreifen erfordert. Im EU-Haushalt spielt die öffentliche Lagerhaltung eine wesentlich größere Rolle als die private Lagerhaltung, auch wenn der Anteil interventionsbedingter Ausgaben stark zurückgegangen ist. Wie sich der Anteil der beiden grundlegenden Maßnahmen in Bezug auf die Lagerhaltung in den letzten Jahren entwickelt hat, ist auch in Abbildung 10 dargestellt. Abbildung 10. Ausgaben für Lagerhaltungsmaßnahmen (Balken und senkrechte Achse links) und FAO-Index der Lebensmittelpreise (senkrechte Achse rechts), 2002-2009

Quelle: Eigene Zusammenstellung auf der Grundlage von EU- und FAO-Daten.

Die Beihilfen für die private Lagerhaltung sind im Zeitverlauf stabil, während die Ausgaben für die öffentliche Intervention rasant sinken. In den Jahren 2007 und 2008 lagen die Beihilfen für private Lagerhaltung noch über der öffentlichen Intervention. Der FAO-Index der Lebensmittelpreise, der ebenfalls in Abbildung 10 dargestellt ist, deutet darauf hin, dass die öffentliche Intervention auf internationale Preisentwicklungen reagiert. Die Kürzungen bei den Haushaltsaufwendungen für die öffentliche Intervention wurden zum großen Teil durch günstige Weltmarktpreise für die wichtigsten Exportprodukte der EU aufgefangen. Sind die Weltmarktpreise hoch (niedrig), sinken (steigen) die Ausgaben für öffentliche Intervention in der Regel. Bei den Beihilfen für private Lagerhaltung ist kein

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eindeutiger Zusammenhang festzustellen, vor allem nicht im Milchsektor. Allerdings wurde in den vergangenen zehn Jahren auf Preisschwankungen bei Fleischerzeugnissen zum Teil ebenfalls mit Veränderungen bei den Haushaltsaufwendungen für Beihilfen für die private Lagerhaltung reagiert. Die Beihilferegelung für private Lagerhaltung wird von den meisten Marktakteuren als nützliches Instrument betrachtet. Sie setzt nicht notwendigerweise eine feste Untergrenze für Marktpreise voraus, kann aber schnelle Preisbewegungen dämpfen, ohne die Preissignale zu verschleiern. So gesehen wirkt diese Maßnahme weniger wettbewerbsverzerrend als die öffentliche Intervention. Andererseits ist es auch schwieriger, ihre Funktionsweise empirisch zu beurteilen. Quantitative Analysen lassen zumeist keine statistisch signifikante Wirkung auf die Erzeugung, wohl aber einen Zusammenhang zwischen geringeren Preisschwankungen und der Anwendung dieser Maßnahmen erkennen (Agra CEAS Consulting 2005; Hoste 2008). Öffentliche Interventionen auf dem Gebiet der Lagerhaltung einzusetzen ist aus verschiedenen Gründen eine sehr komplizierte Entscheidung. Erstens ist Volatilität selbst keine Grundgegebenheit (Samuelson 1972), sondern wird durch Verschiebungen bei den grundlegenden Marktdaten hervorgerufen (Angebot, Nachfrage, Politik oder Institutionen). Somit führt jede durch Lagerhaltungsinterventionen verhinderte Veränderung, die sonst Anpassungen beim Marktgleichgewicht zur Folge hätte (über unbeständige Preise und/oder Mengen), zu einem überhöhten Anpassungsdruck an anderer Stelle, sofern die Waren- und Lagerhaltungsmärkte im Übrigen vollständig dem Wettbewerb ausgesetzt sind. Die Möglichkeiten für eine zwischenzeitliche Beruhigung werden generell von privaten Lagerbetreibern restlos ausgeschöpft. Zweitens müssen Lagerhaltungsmaßnahmen in einem dynamischen Kontext bewertet werden. Auch bei Risikoneutralität und angemessenen Erwartungen hängt das Ergebnis der Analyse in der Regel von den Modellannahmen ab (Williams und Wright 1991), darunter auch Annahmen darüber, wie Nachfrage und Angebot funktionieren. Dadurch wird eine Verallgemeinerung ausgewählter Resultate schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Drittens besteht oft erheblicher Bedarf an Informationen, bevor man Erwartungen festlegen kann; für den Verwalter eines öffentlichen Lagers könnte es sehr schwierig sein, etwa an Marktinformationen zu gelangen. Viertens könnte die öffentliche Lagerhaltung Aktivitäten im Bereich der privaten Lagerhaltung verzerren oder sogar verdrängen. Die Gesamtlagerhaltung ist die Summe der öffentlichen und privaten Lagerhaltung. Die wechselseitige Abhängigkeit dieser beiden Lagerhaltungsarten in Verbindung mit einer möglichen Verdrängung privater Aktivitäten durch staatliche Maßnahmen entscheidet über den Nettomarkteffekt der Gesamtlagerhaltung. Die Frage ist, ob der öffentliche Sektor Reserven über die Bestände hinaus halten sollte, die der private Sektor zu halten bereit ist. Theorie und Praxis deuten darauf hin, dass der Markt zu jeder Zeit - und ausgehend von der Gesamtmenge der verfügbaren Bestände - ohne öffentliche Intervention Bedingungen schaffen wird, die dem privaten Sektor ermöglichen, die Vorratshaltung zu übernehmen. Dazu gehören angemessene Preise und Standorte für die Lagerhaltung. Mit speziell entwickelten Modellen sollte ermittelt werden, welche Übertragsmengen unter Marktbedingungen angemessen wären. Wenn der öffentliche Sektor in die Sicherung materieller Vorräte eingreift, passt sich der private Markt an und übernimmt eine entsprechend geringere Menge an Vorräten für die private Lagerhaltung. Funktioniert der Grundstoffmarkt gut, d. h. mit einem guten Informationsfluss und ohne Kreditbeschränkungen, und ist die Politik des öffentlichen Sektors zur Verwaltung der Lagerbestände bekannt und glaubwürdig, dann wird der private Sektor so reagieren, dass

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er immer entgegengesetzt zu den Maßnahmen des öffentlichen Sektors agiert. Wenn also der öffentliche Sektor Vorräte anlegt, wird der private Sektor seine Bestände auflösen, und wenn alle oben genannten Bedingungen gegeben sind, werden sich die privaten Vorräte in gleichem Umfang wie die des öffentlichen Sektors, jedoch in entgegengesetzter Richtung ändern. Unter dem Strich könnte dabei herauskommen, dass sich die Gesamtmenge der Überträge von einem Zeitraum zum darauffolgenden nicht ändert. Das gilt umso mehr, je vollkommener der Markt in Bezug auf Informationen und die Anzahl von Akteuren ist. Öffentliche Vorräte beeinflussen die insgesamt gehaltenen Vorräte also nur dann, wenn die Grundstoffmärkte an irgendeiner Stelle eine Unvollkommenheit aufweisen. Bei einer vollständig unter Wettbewerbsbedingungen durchgeführten Lagerhaltung wird eine direkte Unterstützung von Akteuren der privaten Lagerhaltung den Wohlstand erhöhen. Doch eine solche Lagerhaltung ist ein theoretisches Konstrukt - die Realität kann aufgrund von Unvollkommenheiten des Markts anders aussehen. Überdies kann auch die Marktmacht eine erhebliche Rolle bei den Grundstoffen spielen, deren Lagerung spezielle Investitionen verlangt und bei denen alternative Nutzungsmöglichkeiten von Lagerkapazitäten beschränkt sind, wie etwa bei Speziallagern für Fleisch. Besteht Marktmacht in der Lagerhaltungsbranche, dann sind Lagerhaltungsdienstleistungen mengenbegrenzt und damit zu teuer, sodass private Lagerhaltung nicht in optimalem Umfang betrieben wird. Daraus ergäbe sich ein berechtigter Grund für eine staatliche Intervention. Zudem bestehen für die öffentliche Intervention einige erhebliche Herausforderungen:

Notwendige Kenntnisse. Da der Staat im Grunde das Produkt in Besitz nimmt, werden detaillierte Preisfindungs- und Marktinformationen benötigt. Dieser Prozess wird umso schwieriger sein, je ausgeprägter die qualitative Differenzierung ist und je schwächer die sachlich relevanten Märkte sind.

Logistische Probleme. Öffentliche Lager sind vermutlich nicht unbedingt die wirtschaftlichsten Organisationsformen für die Unterhaltung von Lagerkapazitäten. Vor allem, wenn das Hauptanliegen der öffentlichen Intervention die Marktstabilisierung ist, werden die Lagerhaltungskapazitäten im Schnitt nicht voll ausgeschöpft. Die Kapazitäten müssen groß genug sein, um große Mengen aufnehmen zu können, aber dieser Fall dürfte nur selten eintreten. Diese Probleme können natürlich umgangen werden, wenn der Staat die Lager nicht selbst besitzt, sondern Kapazitäten von privaten Anbietern von Lagerraum erwirbt (sofern die Angebotsseite auf den privaten Lagermarkt ausreichend gut funktioniert).

Transportkosten in der erweiterten EU. In der EU der 27 sind die Marktauswirkungen der Inverventionstätigkeit räumlich wesentlich vielgestaltiger, als sie es vor 20 Jahren in der kleineren EU waren. Der Aspekt der Transportkosten in Verbindung mit einer stärkeren Integration der EU-Märkte in die Weltmärkte wirft die Frage auf, ob Intervention ein erfolgreiches Mittel für eine EU-weite Marktstabilisierung sein kann.

Finanzbedarf für Mindestpreismaßnahmen. Über Grundstoffpreise geben nichtstationäre Prozesse hinreichend Aufschluss. Das bedeutet, dass der Finanzbedarf für Mindestpreismaßnahmen (als öffentliche Intervention) sich nicht im Lauf der Zeit selbst ausgleicht, sondern explodieren kann (Wright 2001). Die Erfahrungen mit bisherigen internationalen Grundstoffübereinkommen zeigen, dass dies keine rein theoretische Frage ist; so hat praktisch keines der nach der Ölkrise geschlossenen Rohstoffabkommen bis heute überdauert.

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Abbau von überschüssigen Pufferbeständen ohne Ausfuhrsubventionen. Eine Intervention mit unbegrenzter Mittelausstattung muss relativ große Bestände bewältigen, die bisher mit Ausfuhrerstattungen außerhalb der Union abgesetzt werden konnten. Die Abschaffung dieser Maßnahmen wurde bei den Verhandlungen im Rahmen der Doha-Entwicklungsrunde der WTO für 2013 vereinbart. Auch bei dem derzeit schleppenden Fortgang der multilateralen Handelsverhandlungen ist es unwahrscheinlich, dass diese Politikmaßnahmen über 2013 hinaus akzeptiert werden. Ohne diese Ausfuhrmaßnahmen wird das Stabilisierungsziel aber einen vermehrten Absatz im Innern notwendig machen, der so erfolgen muss, dass Marktstörungen vermieden werden. Der wichtigste Absatzweg ist der Verkauf, auch wenn die Nahrungsmittelhilfe für Bedürftige in den vergangenen Jahren und besonders seit dem erneuten Anstieg der Lebensmittelpreise Mitte 2010 an Bedeutung gewonnen hat. Im Falle niedriger Preise für Agrarerzeugnisse jedoch müsste der Verkauf für die Interventionsregelung eine größere Rolle spielen. Interventionsregelungen basieren auf Ausschreibungsverfahren, die von nationalen Zahlstellen durchgeführt werden, und in der Regel gelingt es auf diesem Wege, einen den tatsächlichen Marktgegebenheiten entsprechenden Preis zu erzielen. Probleme könnten sich ergeben, wenn die Qualität der Produkte während der Lagerung gelitten hat oder wenn sich die gelagerten Produkte in relativ abgelegenen Regionen Europas befinden; so könnte es für einen spanischen Schweinezüchter beispielsweise wesentlich sinnvoller sein, importiertes Getreide oder Getreidesubstitutionserzeugnisse zu kaufen als Mais von einem ungarischen Interventionslager, weil eine Beförderung auf dem Kontinent üblicherweise wesentlich höhere Kosten verursacht als der Transport über das Meer.

Vor dem Hintergrund weiterer Zollsenkungen im Ergebnis der Verhandlungen in der Doha-Runde oder weiterer regionaler oder bilateraler Handelsabkommen könnte das gegenwärtige Interventionssystem durch zusätzliche Einfuhren in Mitleidenschaft gezogen werden, deren CIF-Preise unter den Garantiepreisen liegen. Die öffentliche Intervention könnte dann zu einem vollkommen elastischen Nachfrageweg nicht nur für EU-Produkte, sondern für den gesamten Weltmarkt werden. Ursprungsregeln könnten dieses Problem eindämmen, aber ihre Durchsetzung ist häufig mit hohen Transaktionskosten verbunden (und ließe theoretisch immer noch die Möglichkeit offen, dass den Interventionsstellen die gesamte EU-Produktion angeboten wird, wenn Einfuhren die inländische Produktion beim Verbrauch verdrängen). Abgesehen davon wären entweder „strenge“ Beschränkungen bei den Interventionsmengen oder Korrekturen bei den Preisregelungen notwendig, um dieses Problem zu vermeiden. So könnte zum Beispiel der Garantiepreis nicht mehr auf einer unveränderlichen Höhe festgelegt sein, sondern auf der Basis eines möglicherweise gleitenden Durchschnitts bisheriger Weltmarktpreise berechnet werden. Auf diese Weise würde der durch das aktuelle System implizierte Mindestpreis flexibler werden, und damit würde dann auch eine übermäßige Haushaltsbelastung und die Anhäufung von Vorräten verhindert.

Die Nutzung der öffentlichen Intervention als Sicherheitsnetz bringt auch zusätzliche Fragen nach ihrer Eignung sowie nach den Wirkungen des Mindestpreises uns seiner Ermittlung mit sich. Vom Zweck her betrachtet funktioniert ein Sicherheitsnetz im Allgemeinen am besten, wenn der Auslöser auf einem umfassenden Einkommensmaß (oder Wohlstandsmaß) fußt. Weil die Einnahmen erheblich schwanken können, dürfte also ein rein preisbezogenes Sicherheitsnetz - auch mit Festpreisen - nicht besonders erfolgreich sein (zumindest nicht

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als alleinige Maßnahme), wenn es darum geht, katastrophale Einkommenssituationen zu verhindern. Vielmehr werden in einer weit offenen Wirtschaft Angebotsschocks im Binnenmarkt zumeist teilweise durch nachfolgende Preisreaktionen auf dem Weltmarkt ausgeglichen. So fallen beispielsweise auf dem Weizenmarkt niedrige Preise in der Regel mit hohen Erzeugungsmengen zusammen, sodass es in gewissem Umfang zu einer natürlichen Absicherung kommt. Dieser Mechanismus ist natürlich nicht festzustellen, wenn die Preisschocks aus anderen Märkten kommen (wie bei der Krise im Milchsektor). Wenn jedoch ein Sicherheitsnetz für notwendig erachtet wird, etwa weil ein Mindestpreis als wichtiges Signal für vermehrte Investitionen in die Landwirtschaft verstanden wird, dann gehören Maßnahmen in Verbindung mit Lagerhaltung, insbesondere öffentlicher Lagerhaltung, nicht zu den besten Optionen. Eine gleitende Preisuntergrenze, bei der sich der Interventionspreis nach der Höhe bzw. Schwankung des Weltmarktpreises richtet, wäre möglicherweise weniger verzerrend, löst aber nicht die operativen Probleme eines Systems der öffentlichen Lagerhaltung. Die aktuellen Veränderungen im allgemeinen Politikumfeld haben bereits dazu geführt, dass ähnliche gleitende Preisuntergrenzen für die meisten pflanzlichen Erzeugnisse automatisch bestehen. Durch Änderungen in der Bioenergiepolitik hat die direkte (thermische Heizung) und indirekte (Biokraftstoffe/Biogas) Nutzung von Biomasse zu Energiezwecken bereits zugenommen. Die umfassende Förderung im Verbund mit hohen Weltmarktpreisen für Energie (vor allem für Rohöl) verhindert offenbar ein Absinken der Preise für pflanzliche Erzeugnisse auf die historischen Tiefstände der 1990er Jahre und Anfang der 2000er Jahre. Sollten die Rohölpreise auf ihrem derzeitigen Stand verharren, wird die Möglichkeit der Umwandlung von Nutzpflanzen in Bioenergiequellen als Grundlage der Preise für pflanzliche Erzeugnisse fungieren; die Preisentwicklung in den Jahren 2007/2008 hat jedoch gezeigt, dass die Ölpreise extrem schwanken können, und es ist keineswegs sicher, dass sie ihre derzeitige Höhe halten werden. Auf einen Nachteil dieser politikbedingten Verknüpfung von Energie- und Agrarmärkten sollte hingewiesen werden: Nicht nur die Preishöhe, sondern auch Preisschwankungen haben immer mehr Einfluss auf die Märkte. Busse et al. (2011) veranschaulichen dieses Phänomen am Beispiel des Zusammenhangs zwischen den Preisen von Diesel und Raps. Sie stellen fest, dass die inhärent hohe Volatilität der Dieselpreise mit der Zeit immer mehr den Rapsmarkt beeinflusst.

2.3.2. Grenzmaßnahmen

Der Einsatz von Grenzmaßnahmen als Marktordnungsinstrument ist durch das Übereinkommen über die Landwirtschaft, das im Rahmen der Uruguay-Runde geschlossen wurde (URAA), nur eingeschränkt möglich. Dennoch bleibt ein gewisser Spielraum für Interventionen, insbesondere beim Marktzugang. Aufgrund von Schutzmanahmen an den Grenzen werden Preisinstabilitäten auf dem Weltmarkt weiterhin nur in abgeschwächter Form übertragen. Darüber hinaus kann die EU, da sich die WTO-Verpflichtungen nur auf die zulässigen Höchstzölle beziehen, die angewandten Zölle den Marktverhältnissen anpassen. Die EU hat in jüngster Vergangenheit mehrfach Zolltarife eingesetzt, um die EU-Märkte zu entlasten (Aussetzung von Zolltarifen für Getreide nach dem Preisanstieg 2007/2009, für Zucker 2010 und für Getreide von Februar bis Juni 2011). Eine weitere Interventionsmöglichkeit ist die Option, bei schweren Marktstörungen im Rahmen der Einfuhrpreisregelung für Obst und Gemüse zusätzliche Einfuhrzölle zu verhängen.

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Der Rückgriff auf handelspolitische Maßnahmen zur Kontrolle von Preisschwankungen hat eine theoretische Debatte ausgelöst, da Handelsbeschränkungen zur wachsenden Volatilität der Weltmarktpreise beitragen. Die in der WTO vereinbarten Verpflichtungen wurden nicht für Rahmenbedingungen mit hohen Grundstoffpreisen ausgelegt, wenn im Allgemeinen auch eine gegenteilige Meinung vertreten wird. In den vergangenen Jahren haben Exportländer Ausfuhrhindernisse in Form von Embargos, Verboten oder Zöllen errichtet, während Einfuhrländer die Zollsätze gesenkt haben. Ziel all dieser Strategien ist es, die Inlandspreise unter das Niveau der Weltmarktpreise zu senken. Diese Maßnahmen tragen zur wachsenden Volatilität der Weltmärkte bei. Deshalb sollte die WTO in Erwägung ziehen, ihre Handelsdisziplin auf derartige Maßnahmen auszudehnen, da sie in Zukunft wohl häufiger ergriffen werden als bisher. Ein weiteres Problem in Verbindung mit dem Marktzugang ist die Wirkung von Zollsenkungen aufgrund von Abkommen, die während der Doha-Runde geschlossen wurden. Sie wäre abhängig vom Verhältnis zwischen Inlands- und Weltmarktpreisen und der Höhe der Schutzzölle im betreffenden Jahr. Für Getreide wären die Folgen eher gering, für Milchprodukte und Rindfleisch hingegen angesichts des großen Unterschieds zwischen den EU- und Weltmarktpreisen beträchtlich. Bei Rindfleisch würden durch die Aufhebung des Zolls die EU-Preise sinken, wodurch die Existenz zahlreicher Agrarbetriebe in der Union bedroht wäre und der Druck durch die steigenden Betriebsmittelpreise der letzten Jahren noch zunähme. Angesichts der Bedeutung von Rinderzuchtbetrieben für den Naturschutz und die Erhaltung der Landschaft im ländlichen Raum in der EU erscheint die Forderung nach einem besonderen WTO-Regelwerk für sensible Sektoren nicht ganz unberechtigt (Chatellier, 2011). Überdies könnten im Falle einer Zollsenkung für Erzeugnisse, deren Schutzzölle bereits niedrig sind, wie etwa Getreide, die Interventionspreise über den Weltmarktpreisen liegen. Zur Anhebung der Schutzzölle könnten Schutzklauseln aktiviert werden. Die WTO-Disziplin schließt auch Ausfuhrsubventionen ein. In den letzten Jahren hat die EU ihre Ausfuhrsubventionen wegen der hohen Weltmarktpreise heruntergefahren, allerdings spielen sie für einige Erzeugnisse noch eine Rolle. Die EU hält ihren Kompromissvorschlag aufrecht, die Gesamtheit dieser Subventionen aufzuheben, wenn es im Rahmen der Doha-Runde zu einer Einigung kommt, was im Falle außergewöhnlich niedriger Weltmarktpreise nachteilige Folgen haben könnte.

2.3.3. Strategien zur Nachfragesteigerung: Absatzförderung

Nach einigen EU-Verordnungen stellt die Unterstützung von Maßnahmen zur Absatzförderung ein Instrument dar, um den Verbrauch von Agrarerzeugnissen zu steigern, und zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage beizutragen. Die die Grundstützung ist in der Verordnung (EG) Nr. 3/2008 des Rates geregelt. Alle Maßnahmen zur Verkaufsförderung für Agrarerzeugnisse in der EU und Drittländern sind mit dieser Verordnung abgedeckt. Mit dieser Politik sollen die Maßnahmen der Mitgliedstaaten ergänzt und verstärkt werden, indem sie das Ansehen dieser Erzeugnisse bei den Verbrauchern in der Gemeinschaft vor allem in Bezug auf Qualität, Nährwert, Lebensmittelsicherheit und Produktionsmethoden fördern. Außerdem soll sie neue Absatzmärkte für Erzeugnisse aus der EU erschließen und einen Multiplikatoreffekt für nationale und private Initiativen erzielen.

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Die Verordnung (EG) Nr. 3/2008 des Rates beinhaltet einige wichtige Aspekte, die bedacht werden sollten: Absatzfördermaßnahmen können unter den Bedingungen dieser Verordnung ganz oder

teilweise aus dem Gemeinschaftshaushalt finanziert werden.

In Betracht kommende Maßnahmen dürfen weder auf bestimmte Handelsmarken ausgerichtet sein, noch dürfen sie den Verbrauch eines Erzeugnisses aufgrund dessen Ursprungs fördern; davon ausgenommen sind Erzeugnisse, die Ursprungsbezeichnungen tragen.

Ausgewählte Programme werden von der Europäischen Kommission (bis zu 50 %), den Mitgliedstaaten (bis zu 30 %) und den vorschlagenden Organisationen (20 %) finanziert. Die Verordnung (EG) Nr. 501/2008 des Rates enthält außerdem die Verzeichnisse der Themen und Erzeugnisse sowie sehr genaue Angaben für die Handelsunternehmen, die an diesem Programm beteiligt sind. Die indikative jährliche Mittelausstattung für diese Maßnahme beläuft sich auf 46 Mio. EUR. Allein 22 % des Budgets entfallen allerdings auf den Obst- und Gemüsesektor, außerdem werden 54 % der jährlich zur Verfügung stehenden Mittel in nur fünf Sektoren ausgegeben. Die Wirksamkeit dieser Maßnahme hängt nicht nur von ihrer Mittelausstattung, sondern auch von einer Reihe von Variablen wie den Merkmalen der Erzeugnisse, der Wahrnehmung der Verbraucher, der Dauer und Gestaltung der Kampagnen sowie den festgelegten Zielvorgaben ab. Der Grundgedanke hinter einer allgemeinen Absatzförderung ist die Steigerung der Nachfrage nach einem Erzeugnis, ohne die Marktanteile der Erzeuger zu verändern. Die Analyse der Auswirkungen produktübergreifender Werbekampagnen in den USA ergab Folgendes:

Es konnte überzeugend nachgewiesen werden, dass produktübergreifende Werbung die Nachfrage ankurbelt, was einige Autoren zu der Auffassung veranlasst, dass die Rentabilität für Erzeuger sehr hoch ist: Mit einem Euro, der für Werbung ausgegeben wird, wird ein Gewinn von etwa zwei bis fünf Euro erwirtschaftet (z. B. Kaiser, 1997; Chakravarti und Janiszewski, 2004).

Die Wirksamkeit von Werbemaßnahmen kann jedoch sektorabhängig sein. So war beispielsweise die allgemeine Werbung für Rindfleisch nicht effektiv (vielleicht auch, weil zu wenig Werbung betrieben wurde) und konnte das Absinken der Nachfrage aufgrund von Informationen über gesundheitliche Folgen des Rindfleischverzehrs nicht aufhalten (Kinnucan et al. 1997).

Die allgemeine Werbung für ein Erzeugnis könnte, wenn sie erfolgreich ist, negative Auswirkungen auf die Nachfrage nach Substitutionserzeugnissen haben (hier wird meist das Beispiel Fleisch angeführt; vgl. Brester und Schroeder, 1995).

Allgemeine Werbung vergrößert zwar den „Kuchen“, verändert aber auch die Erzeugeranteile daran. Dies kann in einigen Fällen zu gerichtlichen Klagen von Erzeugern führen, die davon ausgehen, dass sie wegen der allgemeinen Werbekampagne Marktanteile eingebüßt haben (Chakravarti und Janiszewski, 2004).

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Der Europäische Rechnungshof hat das Programm 2009 geprüft.33 In seinem Bericht zog er aus einer Evaluierung der Initiativen in Spanien, Italien und Frankreich folgendes Fazit:

Die Wirkung der Maßnahmen ist schwer zu bewerten, und die Ziele sind in der Strategie nicht eindeutigen dargelegt. Die Budgets sind gering, sodass die Ziele zwangsläufig bescheiden sind.

Es fehlte an Auswahlkriterien, konkreten Zielen und begleitenden Indikatoren zur Messung des Erfolgs.

Einige Programme wurden wegen fehlender Kofinanzierungsmittel und/oder mangelhafter Ausführung eingestellt.

Die Kontrollen der Auswahl der Durchführungsstellen, die bei der Umsetzung der Programme eine Schlüsselrolle einnehmen, weisen deutliche Schwachstellen auf.

Ohne Kofinanzierung wären die Programme entweder gar nicht durchgeführt oder deutlich eingeschränkt worden (z. B. im ökologischen Landbau).

Das Potenzial der allgemeinen Absatzförderung für die Marktordnung als Maßnahme zur Nachfragesteigerung ist also sehr begrenzt. Einer der Hauptgründe ist die sehr geringe Mittelausstattung. Sie könnte für ganz bestimmte Organisationen oder Erzeugerverbände hilfreich sein, die erfolgreich eine Absatzförderstrategie aufstellen und bei den nationalen Regierungen einen Antrag stellen. Damit dient sie den Interessen bestimmter Organisationen oder Regionen, die ganz bestimmte Erzeugnisse vermarkten. Schwierigkeiten ergeben sich auch bei der Vorbereitung, Organisation und Konzeption von Projekten. In der Regel werden die Programme von Firmen, Organisationen und Institutionen vorbereitet, die ein Konsortium bilden müssen. Bestehen viele Konsortien (wie in Italien), so ist es schwierig, gemeinsame Ziele und eine umfassende Strategie festzulegen, die sowohl den Anforderungen des Projekts als auch der Konsortien gerecht wird. Die Hauptgefahr liegt darin, dass das Projekt aus der Bahn läuft und wirkungslos verpufft. Weiterhin sollen die Programme zwar die Verbraucher über die spezifischen Qualitäten oder Merkmale des Erzeugnisses informieren, doch im Grunde sollen die finanzierten Maßnahmen das Ansehen des Erzeugnisses verbessern oder kulturelle/regionale Eigenheiten hervorheben. Eine andere mögliche Strategie zur Nachfragesteigerung ist die auf bestimmte Handelsmarken ausgerichtete Verkaufsförderung. Sie wird gegenwärtig durch die Operationellen Programme im Obst- und Gemüsesektor sowie im Weinsektor finanziert, da die Reform der GMO mit der Verordnung (EG) Nr. 479/2008 des Rates beschlossen wurde. Bei den operationellen Programmen im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates können die Erzeugerorganisationen Verkaufsförderungs- und Kommunikationsmaßnahmen entwickeln und in die Maßnahmen zur Verhinderung und Bewältigung von Marktkrisen einbinden. Für eine Finanzierung kommen nur diejenigen Initiativen in Betracht, bei denen das Gütesiegel von den Erzeugerorganisationen, Erzeugerverbänden und/oder von ihnen kontrollierten Tochterunternehmen vergeben wird. Die Entwicklung eines Gütesiegels kann Informationszwecken dienen, denn sie hilft

33 „Informations- und Absatzförderungsmaßnahmen für Agrarerzeugnisse" (Sonderbericht Nr. 10, 2009).

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den von den Erzeugerorganisationen vertretenen Unternehmen, den Verbrauchern „die Werte der Erzeuger“ zu vermitteln. Ein Gütesiegel hilft Erzeugern, einen Wert auf der Einzelhandelsebene zu schaffen, dem Einfluss der Handelsmarke zugunsten des Gütesiegels der Erzeugerorganisation zu verringern und somit deren Verhandlungsmacht zu stärken. Die Erzeugerorganisationen spielen bei der Erarbeitung von Strategien für die Programmplanung und Verkaufsförderung ihrer Produkte eine zentrale Rolle. Die Wirkung der von ihnen umgesetzten operationellen Programme ist jedoch abhängig von der wirtschaftlichen Dimension, dem abgedeckten Marktsegment und der Möglichkeit, Erzeugerorganisationen miteinander zu vernetzen, was wiederum Einfluss auf ihre Fähigkeit hat, Projekte zu konzipieren und durchzuführen. Im Weinsektor wurde mit der Verordnung (EG) Nr. 479/2008 des Rates die Möglichkeit eröffnet, in Drittländern Verkaufsförderung zu betreiben, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Weinerzeuger zu verbessern. Die Verkaufsförderung durch Gütesiegel in diesen Ländern für Weine mit einer geschützten Ursprungsbezeichnung oder geografischen Angabe oder für Weine mit einer Angabe der Rebsorte zulässig. Diese Verordnung beeinflusst die Strategien von Weinerzeugern in Bezug auf den Ungang mit Weinüberschüssen und ermöglicht ihnen, Finanzhilfen für die Verkaufsförderung von Qualitätswein zu erhalten. Die Mittelausstattung für diese Maßnahme wird für den Zeitraum 2009-2013 auf insgesamt 798 Mio. EUR veranschlagt. Die Maßnahme ist jetzt seit mehreren Jahren in Kraft, erste Ergebnisse für Italien wurden analysiert. Die Resultate sind offenbar zufriedenstellend, doch muss weiter daran gearbeitet werden, damit das Potenzial des Programms ausgeschöpft werden kann (Pomarici und Sardone, 2009). Schwierigkeiten zeigten sich bisher mit der Umsetzung einer neuen Maßnahme, aber es sind auch einige positive Wirkungen zu verzeichnen. Für die Vorbereitung von Projekten müssen die Antragstelle die Fähigkeit zur Analyse und Vorabplanung der Aktivität entwickeln, was indirekt zu einer Verbesserung der Qualität von Unternehmensabläufen führen kann, womit ein positiver Prozess der Neubestimmung der Beziehungen zu Importeuren in Drittländern eingeleitet wird. Bisher wird die Organisation von Verkaufsfördermaßnahmen weitgehend lokalen Importeuren überlassen, die auch einen Teil der Finanzierung übernehmen, und zwar in Konkurrenz zu den Ressourcen von Exportfirmen. Aus der Notwendigkeit, Projekte vorzulegen, um Unterstützung beantragen zu können, ergibt sich die Chance auf größere Rechenschaftspflicht, als auf ausgewählten Märkten erreicht worden war, und deshalb auf eine kritische Sicht, wie die Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen verbessert werden kann, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und zu steigern (Pomarici und Sardone 2009).

2.3.4. Weltmärkte und Preisstabilisierung

Für die langfristige Stabilität oder das Ansteigen von Weltmarktpreisen mit zunehmender Volatilität und plötzlichen Ausreißern nach oben sind mehrere Faktoren mitverantwortlich. Am häufigsten genannt werden unter anderem die wachsende Bevölkerung und Lebensmittelnachfrage, ein labiles Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, der Klimawandel sowie die Verknüpfung mit den Energiemärkten, die ein Übergreifen von Erschütterungen auf dem Ölmarkt auf die Lebensmittelmärkte zur Folge hat. Die schädlichen Auswirkungen der Volatilität auf die Lebensmittelmärkte, besonders auf der Nachfrageseite, und eine geringere Ernährungssicherheit haben verschiedene Staaten und internationale Institutionen veranlasst, jetzt nach geeigneten Lösungen zu suchen. Es geht

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nicht darum, die Volatilität als Folge grundlegender Marktmechanismen zu verringern. Es geht darum, die Unsicherheit zu verringern, die durch extreme Preisschwankungen infolge unvorhergesehener oder unerwarteter Ereignisse oder von Marktversagen, wie etwa unvollständigen Informationen und mangelnde Transparenz, verursacht wird. Dazu wurden einige Vorschläge unterbreitet. Dies hat eine Diskussion über das Potenzial und die Grenzen dieser Vorschläge entfacht. Beispielsweise wurde die Bildung einer Art internationaler Nahrungsmittelvorräte vorgeschlagen. Ausgehend von den bisherigen Erfahrungen und dem Einfluss geringer Bestandsmengen auf den Preisanstieg während der Marktkrise 2007-2008 wurden Vorschläge zur Bildung physischer Reserven vorgelegt. Einer der stärker beachteten Vorschläge (von Braun, Lin und Torero; 2009)) beinhaltet die Schaffung einer international koordinierten öffentlichen Getreidereserve, was eine wirksame Eindämmung der Preisvolatilität zur Folge hätte (Torero und von Braun, 2010). In dem Vorschlag wird ein UNO-Überkommen angeregt, das bestimmte Importländer verpflichtet, öffentliche Getreidelager zusätzlich zu denen des privaten Sektors zu halten. Die Bestände würden dann auf den Markt gebracht, um extreme Preisanstiege zu verhindern, und die Entscheidung darüber läge bei einer Art hochrangig besetzter Fachkommission. Dem stehen allerdings technische und politische Hindernisse entgegen, darunter die Festlegung des optimalen Umfangs der Reserve und der Beiträge aller Beteiligten sowie die anfallenden Kosten. Außerdem gibt es Verwaltungs- und Vertrauensprobleme. Die Einsetzung einer Fachkommission mit uneingeschränkter Autorität über die Lagerung oder Freigabe von Getreide wirft – wenn sie denn überhaupt möglich ist – wichtige Fragen hinsichtlich der Erfahrungen mit den gescheiterten internationalen Übereinkommen über landwirtschaftliche Erzeugnisse auf. Überdies bestehen Zweifel daran, wie die Staaten ihre Verpflichtungen erfüllen würden, wenn die Märkte unter Druck geraten. Eine öffentliche EU-Intervention könnte Teil dieses Systems sein, allerdings in reformierter Form. Gegenwärtig funktioniert die öffentliche Intervention als Sicherheitsnetz, das verhindern soll, dass Preise auf ein Niveau unterhalb vorab festgelegter, sehr niedriger Schwellenwerte fallen. Mit dem Ziel der Stabilisierung sollten die öffentlichen Lagerbestände als Instrumente betrachtet werden, die dazu ausgelegt sind, extreme Schwankungen zu begrenzen oder einzudämmen, weshalb sie sowohl bei niedrigen als auch bei hohen Preisen funktionieren und sowohl Erzeuger als auch Verbraucher schützen müssen. Die Reform der öffentlichen Intervention könnte auf der Einrichtung von Preisspannen basieren, deren Ober- und Untergrenzen als Auslöser für eine Intervention wirken. Es sollten Beschränkungen für die anzukaufenden Mengen oder die Verwendung von Reserven im Falle einer Freigabe sowie finanzielle Grenzen oder Bedingungen für das Auslösen einer Intervention festgelegt werden, um zu verhindern, dass das System zu einer regelmäßig genutzten Einrichtung wird. Es sollte nur bei extremen Schwankungen zum Einsatz kommen.

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Allerdings bestehen auch einige Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Intervention:

Es besteht die Gefahr, dass die Intervention zu einer dauerhaften Praxis wird.

Sie ist mit hohen Kosten verbunden.

Die Reaktion zur Vermeidung eines starken Preisanstiegs könnte nicht so flexibel und rasch erfolgen wie nötig.

Sie verhindert die private Lagerhaltung und Erzeugung als Reaktion auf Marktsignale, vor allem, wenn sich die Preise auf die Obergrenze zubewegen.

Es ist auch fraglich, ob sie im Falle des Auftretens von Preisspitzen die Preise wirksam niedrig halten kann.

In einem weiteren Vorschlag wird die Bildung virtueller Reserven angeregt. Dahinter steht der Gedanke (von Braun und Torero, 2009)), Spekulationsblasen zu verhindern, indem Spekulanten davon abgehalten werden, die Kurse auf den Terminmärkten in die Höhe zu treiben und so die Spotpreise zu begrenzen. Dieser Vorgang läuft über „ungedeckte Leerverkäufe“ ab, die nicht durch tatsächliche Grundstofflagerbestände gedeckt sind, wodurch Preissprünge vermieden werden. Eine Fachkommission würde das Preisniveau festlegen, ab dem die Leerverkäufe einsetzen. Der Vorschlag ist interessant, weist jedoch einige Schwachstellen auf:

Es ist schwierig, den Punkt festzulegen, an dem die Verkäufe beginnen müssen, und zu wissen, welchen Einfluss übermäßige Spekulationen auf extreme Preisausschläge haben.

Die Instrumente funktionieren nur mit Waren, für die Terminmärkte bestehen, doch kommen die Preisausschläge auch auf mit ihnen verbundenen Spotmärkten, im Groß- und im Einzelhandel, vor.

Der Bedarf an finanziellen Mitteln im Falle einer Intervention wird als hoch eingeschätzt.

Zweifel bestehen hinsichtlich des Einflusses von Terminmarktkursen auf die Spotmarktkurse – ein Thema, das weiter untersucht werden muss.

Mit der zweiten Gruppe von Maßnahmen wird eine größere Markttransparenz angestrebt. Bessere Information sorgt für weniger Unsicherheit und erleichtert es Erzeugern und Verbrauchern, wirksamer zu reagieren. Eine Lehre aus der jüngsten Grundstoffpreisblase lautete, dass viele Staaten und private Akteure auf unvollständige Informationen reagiert und praktisch überreagiert haben, wodurch eine größere Blase entstand, als sich mit den Markteckdaten des Marktes hätte erklären lassen. Dies scheint bei Marktturbulenzen in der Vergangenheit der Fall gewesen zu sein. Deshalb ist davon auszugehen, dass bessere Informationen allen Akteuren helfen könnten, angemessenere Entscheidungen zu treffen und Krisen zu verhindern. So hat Frankreich Wert darauf gelegt, die Erhöhung der Markttransparenz durch bessere Information über die vorhandenen Grundstofflagerbestände in die Schwerpunkte seiner G20-Präsidentschaft einzubeziehen34. Es gibt mehrere Arten von Informationen, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind und bei denen Spielraum für Verbesserungen besteht:

34 Rede von Bruno Le Maire, Minister für Landwirtschaft, Ernährung, Fischerei, ländliche Entwicklung und Raumordnung. Die Prioritäten der französischen Präsidentschaft der G-20 im Landwirtschaftsbereich. Generalversammlung, 17. Februar 2011.

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Eine zuverlässige und rechtzeitige Information über Angebot, Nachfrage, Lagerbestände und verfügbare Ausfuhrmengen sollte zur Verbesserung der Transparenz und zur Verringerung der Unsicherheit beitragen. Durch bessere Informationen könnten Erzeuger und Verbraucher dabei unterstützt werden, richtig zu reagieren.

Die Systeme für die Überwachung des Zustands der Feldfrüchte müssen verbessert und die Genauigkeit der Ernteprognosen erhöht werden. Den staatlichen Stellen und internationalen Organisationen stünden dann bessere Instrumente als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung.

Eine bessere und vollständigere Überwachung der Nahrungsmittelpreise auf den Spot- und Terminmärkten, in den Haupthäfen und auf den Groß- sowie regionalen und lokalen Märkten würde zu einem besseren Verständnis der Mechanismen der Preisweitergabe beitragen, besonders in den weniger entwickelten Einfuhrländern, die durch Preissprünge am stärksten belastet werden.

Da es sich bei diesen Informationen um ein weltweites öffentliches Gut handelt, wäre die richtige Stelle zur Erfassung und Verbreitung solcher Informationen eine internationale multilaterale Einrichtung. Darüber hinaus sollten sich die Länder verpflichten, diese Informationen zu übermitteln. Die Einrichtung eines Informationssystems für die weltweiten Nahrungsmittelmärkte erfordert Zusammenarbeit und Engagement auf internationaler Ebene. Die EU könnte beim Ausbau der Marktinformationssysteme eine bedeutsame Rolle spielen, indem sie Marktinformationsinitiativen finanziert, vor allem in Entwicklungsländern, und indem sie den Zugriff auf diese Informationen durch öffentlich zugängliche Datenbanken erleichtert.

2.4. Instrumente für den Zugang zu Nahrungsmitteln

WICHTIGSTE ERKENNTNISSE

Im Falle steigender Lebensmittelpreise werden Wohlfahrtseinrichtungen und Ämter, die für die Verteilung von Nahrungsmitteln an Bedürftige verantwortlich sind, Schwierigkeiten haben, den Bedarf ihrer Zielgruppen zu decken.

Eine bessere Koordinierung mit anderen Marktmaßnahmen würde den für die Verwaltung der Nahrungsmittelhilfe zuständigen Stellen helfen, gedrückte Preise zu nutzen.

Es gibt keine eindeutigen Belege für die Wirkung der Schulprogramme. Das Werbematerial für die Programme ist gut gemacht, aber ohne Einbeziehung der Familien wird es nicht gelingen, die pädagogischen Ziele zu erreichen.

Das Potenzial der Obstprogramme für eine bessere Steuerung der Marktungleichgewichte im Sektor ist sehr begrenzt.

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2.4.1. Nahrungsmittelhilfe für Bedürftige

Das „Programm für die Abgabe von Nahrungsmitteln an Bedürftige in der Gemeinschaft“ (Nahrungsmittelhilfeprogramm) läuft seit Dezember 1987. Es wird aus dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) finanziert. Sein Haushalt ist von knapp 100 Mio. EUR im Jahr 1987 auf mehr als 305 Mio. EUR im Jahr 2008 gestiegen. Die Teilnahme der Mitgliedstaaten an diesem Programm ist freiwillig. Im Jahr 2006 wurden mit dem Nahrungsmittelhilfeprogramm über 13 Millionen Personen in 15 Mitgliedstaaten unterstützt. Mit den aktuellen Reformen der GAP wurde die Intervention schrittweise auf die Rolle eines Sicherheitsnetzes zurückgeschraubt. Im Jahr 2008 wurden 90 % der verteilten Nahrungsmittel auf dem Markt angekauft. Wohltätigkeitseinrichtungen und Ämter mussten also Nahrungsmittel zu Marktpreisen einkaufen, während sie in der Vergangenheit noch Zugang zu kostengünstigeren Erzeugnissen aus der Lagerhaltung hatten. Die Beteiligten beraten derzeit über den Stand des Programms und sind zu zwei wesentlichen Schlussfolgerungen gelangt. Erstens wird die Nahrungsmittelversorgung im Hinblick auf folgende Aspekte gesichert: i) die Menge, mit automatischem Rückgriff auf Einkäufe auf dem Markt, wenn keine Interventionsbestände verfügbar sind; ii) die Qualität – die Anzahl der Lebensmittelsorten wird steigen. Obst, Gemüse und Speiseöl fallen jetzt unter das Programm, womit ein ausgewogeneres Sortiment an Gerichten und Produkten angeboten werden kann; sowie iii) Vorausplanung – Dreijahrespläne werden die derzeitige jährliche Planung ablösen. Zweitens werden folgende Änderungen die Effektivität des Programms steigern: i) bedarfsorientierterer Einsatz in Mitgliedstaaten, die sich für eine Programmteilnahme entscheiden; ii) verstärkte Überwachung und Berichterstattung, um das Programm laufend zu verbessern und zu festigen; sowie iii) Kofinanzierung durch die Mitgliedstaaten, sodass mehr Mittel für das Programm zur Verfügung stehen.

2.4.2. Schulprogramme

Das Schulobstprogramm wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 288/2009 der Kommission in direkter Umsetzung der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates auf den Weg gebracht. Es bietet Gemeinschaftshilfen für Kinder, die regelmäßig eine von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats verwaltete oder anerkannte schulische Einrichtung besuchen. Die Finanzhilfen für die Mitgliedstaaten sind an die Durchführung einer landesweiten Strategie mit Maßnahmen, die deren erfolgreiche Umsetzung sicherstellen, gekoppelt. Anliegen des Programms ist es, dem sinkenden Verzehr von frischem Obst und Gemüse entgegenzuwirken und das Ausmaß der Fettleibigkeit zu reduzieren. Das Ziel ist, 30 Wochen im Jahr für alle 26 Millionen Schülern im Alter von 6 bis 10 Jahren jede Woche eine Portion Obst zum Preis von 0,20 EUR bereitzustellen. Folgende Zielvorgaben wurden festgelegt: i) Verbesserung der Verfügbarkeit von Obst und Gemüse in Schulen; ii) bessere Informationen und mehr Werbung für die gesundheitlichen Vorteile des Verzehrs von Obst und Gemüse sowie iii) Verringerung der sozialen Ungleichheiten beim Verzehr von Obst und Gemüse. Aufgrund der offensichtlich veränderten Nachfrage werden sich auch die Preise für Obst und Gemüse ändern. Wenn es mit dem Schulobstprogramm gelingt, die rückläufige Entwicklung der Obst- und Gemüsenachfrage aufzuhalten, werden sich Erzeuger (und Importeure) der EU auf die neue Lage einstellen müssen. Die Wirkung dieses Programms auf die Nachfrage

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ist jedoch fraglich. Außerdem gilt für Schulprogramme das Nichtdiskriminierungsprinzip, d. h. Erzeugnisse aus Drittländern dürfen nicht diskriminiert werden. Das Programm „Food Dude“ in Irland war in Bezug auf die Ernährungsgewohnheiten von Kindern und Familien recht erfolgreich, vor allem bei den ärmsten Bevölkerungsschichten35. Doch so etwas gelingt nicht ohne ein umfassendes Engagement von Lehrern und Ernährungsberatern. Die pädagogische Komponente ist, zusammen mit der Verpackung und Aufmachung, mindestens ebenso wichtig wie die Tatsache, dass das Obst kostenlos ausgegeben wird. Der Wert dieser Programme besteht in der Verbesserung der Gesundheit und der Potenziellen Umkehr der steigenden Tendenz der Adipositasraten. Die Rückmeldungen aus Italien über die Wirkung des Obst- und Gemüseprogramms sind zwiespältig. Das Werbematerial für das Programm ist sehr gut gestaltet, von den Lehrern ist jedoch zu hören, dass die Familien einbezogen werden müssen. Mit dem europäischen Schulmilchprogramm wird der Verzehr von gesunden, wichtige Vitamine und Mineralstoffe enthaltenden Milchprodukten bei Kindern gefördert. Wie das Schulobstprogramm verfolgt auch dieses Programm praktische und pädagogische Ziele und trägt zum Kampf gegen Fettleibigkeit bei Kindern bei. Es wurde kürzlich von der Europäischen Kommission unter Berücksichtigung einer Reihe von Anfragen und Vorschlägen der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union überarbeitet. Im Schuljahr 2006/2007 wurden 305 000 t Milch mit gemeinschaftlichen Aufwendungen in Höhe von mehr als 50 Mio. EUR in den Schulen von 22 Mitgliedstaaten verteilt. Dank der neuen und vereinfachten Bestimmungen sowie der neuen und attraktiveren Erzeugnisse im Angebot wird erwartet, dass in Zukunft noch mehr Schulen an der Verteilung von Milchprodukten teilnehmen werden; Kindern soll dadurch die Möglichkeit gegeben werden, Nahrung und Getränke von geringem Nährwert durch gesündere und qualitativ hochwertige Milchprodukte zu ersetzen.

2.4.3. Physisch vorgehaltene Reserven für Soforthilfe

Die Europäische Kommission verfolgt derzeit keine Politik, die die Vorhaltung von Sicherheitsbeständen oder Notfallreserven vorsieht. Eine solche Politik muss auf bestimmte Fälle von Unsicherheit oder Notfallsituationen abstellen. Generell ist Ernährungsunsicherheit in der EU derzeit kein Thema. Ernährungssicherheit wird bestimmt anhand des Zugangs zu Nahrungsmitteln und dieser wiederum nach dem Pro-Kopf-Einkommen und der Einkommensverteilung. Sowohl das Durchschnittseinkommen (hoch) als auch die Einkommensverteilung (gerecht) innerhalb der EU begünstigen eine geringe Ernährungsunsicherheit. Ein Haushalt wendet im Durchschnitt nur 14 % der ihm zur Verfügung stehenden Mittel für Lebensmittel auf, sodass sich Nahrungsmittelkrisen kaum auf die Kaufkraft der Endverbraucher auswirken. Die Europäische Kommission hat ermittelt, dass die Preissprünge in den Jahren 2007/2008 für den durchschnittlichen EU-Haushalt einen Verlust an realer Kaufkraft von nur 0,7 % zur Folge hatten (Europäische Kommission, 2008). Das bedeutet nicht, dass in der EU überhaupt keine Ernährungsunsicherheit auftritt, aber die meisten Mitgliedstaaten verfügen über ein ausreichendes Instrumentarium, um solche Situationen zu bewältigen (z. B. Sozialhilfeprogramme).

35 Prof. Fergus Lowe, Bangor University, http://ec.europa.eu/agriculture/fruit-and-vegetables/school-fruit-scheme/documents/manco/lowe_en.pdf.

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Doch die Nahrungsmittelkrise und die langfristig steigende Tendenz bei den Lebensmittelpreisen könnten sich für die Verbraucher vor allem in ärmeren Drittländern nachteilig auswirken. Infolge der immer stärkeren gegenseitigen Abhängigkeit zwischen der Agrarpolitik und den Weltmärkten zählen die Industrieländer die weltweite Ernährungssicherheit inzwischen zu ihren Politikzielen. In den vergangenen Jahren wurden Vorschläge (von Braun und Torero, 2009) über den Beitrag der Industrieländer zur weltweiten Ernährungssicherheit unterbreitet. Unter anderem wird die Schaffung physischer Reserven gefordert. Die Reserven, die ausschließlich für Notfälle und humanitäre Hilfe vorgesehen wären, würden vom Welternährungsprogramm (World Food Program, WFP) verwaltet werden. Das WFP könnte dieses Getreide zu Marktpreisen auf Vorkrisenniveau erwerben, sodass kurzfristig weniger Geldmittel beschafft werden müssen. Zu klären wäre, wo sich die Lager befinden sollen, welche Bedingungen und Vorschriften für die Entnahme gelten, ob die Notfallreserve als frei verfügbare Notfallressource anzusehen wäre und wie die verschiedenen Systeme der Nahrungsmittelhilfe der einzelnen Länder miteinander in Übereinstimmung gebracht werden sollen. Das sind jedoch technische Fragen, die geklärt werden können, sobald man sich grundsätzlich geeinigt hat. Das Instrument hat den großen Vorteil, dass es als Puffer wirkt und in Notfallsituationen die Versorgung zum richtigen Zeitpunkt sichert. Nachteilig wirkt sich aus, dass es mit anderen Gebern koordiniert werden muss, aber angesichts seines geringen Umfangs gemessen an der Nahrungsmittelhilfe insgesamt könnte es auch nur von einem einzigen Geber eingerichtet werden. Sollte die EU die Initiative ergreifen und ein solches System einrichten und als sein Hauptzeichner fungieren, könnte sie für die unverzügliche Bereitstellung humanitärer Hilfe kostengünstig Geber gewinnen. Dieses Instrument ist aus verschiedenen Gründen interessant. Zum einen sind dabei keine großen Mengen im Spiel, sodass die Bildung bzw. Vorhaltung einer Reserve nicht besonders kostspielig wäre. Zum anderen bietet es der EU genügend Flexibilität, um bei Nahrungsmittelkrisen auch in Zeiten hoher Preise Hilfe zu leisten.

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3. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND EMPFEHLUNGEN Die europäische Landwirtschaft der Zukunft wird durch zunehmende Volatilität und steigende Tendenz bei den Grundstoffpreisen, eine wachsende Abhängigkeit von den Energiemärkten und eine hohe Konzentration von Verarbeitungs-/Einzelhandelsunternehmen auf den Nahrungsmittelmärkten gekennzeichnet sein. Die abschließenden Beschlüsse der Doha-Runde der WTO könnten in den Sektoren, für die die Gewinnmargen der landwirtschaftlichen Betriebe bereits geschmälert sind, den Wettbewerbsdruck, zumal diese Betriebe ohnehin mit höheren Produktionskosten, anspruchsvolleren Umweltschutzauflagen und einem wachsenden Wettbewerb durch Drittländer konfrontiert sind. Ein verbesserter Informationsfluss und der Zugang zu neuen Technologien werden darüber entscheiden, ob es den Sektoren gelingt, mit diesen neuen Herausforderungen fertig zu werden. Die vielleicht größten Probleme für die europäische Landwirtschaft sind die wachsende weltweite Nachfrage nach Nahrungsmitteln, der Klimawandel sowie die Knappheit von Wasser-, Boden- und Energieressourcen. Die künftige GAP muss die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft auf offeneren Märkten verbessern, die Stabilität der Einkommen sicherstellen und die Marktorientierung verstärken, die die Grundlage der jüngsten Reformen war. Da die Rahmenbedingungen für Landwirte immer unsicherer werden, sollte die neue GAP die Erzeuger in die Lage versetzen, besser auf Marktsignale zu reagieren und Marktrisiken zu bewältigen. Private Marktordnungsinstrumente, die in der Vergangenheit durch Einkommens- und Preisstützungsmechanismen verdrängt wurden, werden in Zukunft wieder gefragt sein. Bei den neuen Marktmaßnahmen im Rahmen der neuen GAP sollten pro-aktive Instrumente, die die Erzeuger in die Lage versetzen, mit moderaten Preisrückgängen bzw. Margen fertigzuwerden, mit reaktiven Maßnahmen kombiniert werden, die den Erzeugern helfen, ihre finanzielle Leistungsfähigkeit im Falle schwerwiegender Krisen wiederherzustellen. Krisen und deren Ursachen müssen besser beschrieben werden, um sie verhüten und bewältigen zu können. Die Europäische Kommission sollte in enger Zusammenarbeit mit den nationalen Regierungen die Informationsgrundlage verbessern und ausgeklügelte Marktinformationsstrategien durchführen. Wenn Marktdaten nicht mit modernsten Mitteln erfasst und verarbeitet werden, wird die künftige GAP aufgrund fehlender prospektiver und analytischer Verfahren nur mangelhaft umgesetzt werden können. Informationstechnologien gekoppelt mit umfassenderen und transparenten Informationen werden den Landwirten, Verarbeitungsbetrieben und staatlichen Stellen mit Sicherheit helfen. Die Mitgliedstaaten müssen mit der Kommission zusammenarbeiten, damit die Entscheidungsfindung auf der Grundlage von Echtzeit-Marktüberwachung unterstützt und optimiert wird. Die künftige GAP sollte einen Mix aus Instrumenten vorsehen, die zum richtigen Zeitpunkt und unter den richtigen Bedingungen eingesetzt werden. Abbildung 11 bietet eine Übersicht über die Arten von Marktmaßnahmen, die für die neuen Marktordnungsstrategien in Betracht gezogen werden sollten. Dazu gehören proaktive Maßnahmen, die im Regelfall zur Anwendung kommen, damit die Landwirte besser mit Risiken und Krisen fertigwerden und Krisen durch nachfragesteigernde Mechanismen vermieden werden können. Reaktive Maßnahmen werden ausgelöst, sobald eine Krise eingetreten ist, und ermöglichen den Landwirten, ihre Finanzkraft wieder zu erlangen und zu einer normalen Situation zurückzukehren. Vervollständigt wird die Palette der Marktmaßnahmen durch Instrumente

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zur Optimierung der Lieferkette. Auch Instrumente im Zusammenhang mit dem Zugang zu Nahrungsmitteln sind in der Abbildung berücksichtigt. Abbildung 11. Übersicht über die neuen Marktordnungsinstrumente für die GAP nach 2013

Bei der Bestimmung der für die künftige GAP notwendigen Instrumente sind folgende Prämissen zugrunde zu legen:

Damit die Märkte transparenter, fairer und stärker von Wettbewerb gekennzeichnet werden, sind Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Funktionsweise zu ergreifen. In allen Sektoren sollten gemeinsame Leitlinien zur Optimierung der Nahrungsmittelversorgungskette aufgestellt werden. Durch die auf diese Weise entstehenden Synergieeffekte wird die Notwendigkeit von Marktordnungsinstrumenten und Marktinterventionen der öffentlichen Hand abnehmen.

Ein wünschenswerter Ansatz ist die Verlagerung des Schwerpunkts von „Reaktion/Hilfe“ hin zur „Vorsorge“; daher sollten bei der Gestaltung der GAP für die Zeit nach 2013 Anpassungs- und Risikomanagementmaßnahmen Vorrang vor Katastrophenhilfe und Krisenmanagement erhalten.

Eine ausgewogene Kombination von Stabilisierungsinstrumenten für das Risikomanagementpaket sollte auf öffentlich-privaten Partnerschaften basieren.

Offenere Märkte und die WTO-Disziplinen schränken die Wirkung herkömmlicher Marktordnungsmaßnahmen wie Lagerhaltung und Handelspolitik zur Stabilisierung der

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Agrarpreise ein. Diese Instrumente sollten nur in schweren und extremen Binnenmarktkrisen zum Einsatz kommen.

Im Rahmen der neuen GAP muss die Ausgestaltung der Marktmaßnahmen allmählich geändert werden. Der herkömmliche Top-down-Ansatz sollte dem mit größerer Flexibilität verbundenen Bottom-up-Ansatz Platz machen, da er den Landwirten die Möglichkeit eröffnet, Anpassungsstrategien zu entwickeln.

Alle Marktmaßnahmen sollten in einer einzigen GMO zusammengefasst werden. Der neue Rahmen für Marktmaßnahmen sollte für die gesamte EU und alle Sektoren so flexibel gestaltet sein, dass allen Situationen und nationalen Gesetzeslagen Rechnung getragen wird. Dazu würden auch Instrumente mit einer breiten Abdeckung der Sektoren, genaue Vorgaben und Handlungsmöglichkeiten für die Mitgliedstaaten sowie die Bedingungen für das Auslösen außerordentlicher Maßnahmen im Falle schwerer Marktstörungen gehören.

Bessere Funktionsweise und Leistungsfähigkeit der Märkte

Die vertraglichen Mechanismen spielen für das gute Funktionieren der Agrarmärkte eine zentrale Rolle. Jeder Sektor benötigt eine Art Standardvertrag, der jedoch auf einem Konsens zwischen sämtlichen relevanten Akteuren der Sektoren beruhen muss.

Nicht obligatorische Standardverträge erleichtern reibungslose Verhandlungen innerhalb der Nahrungsmittelversorgungskette, ohne einengende Beschränkungen aufzuerlegen. Die Preise sollten zwischen den Akteuren frei ausgehandelt werden. Die Einführung einheitlicher Verträge sollte von Überwachungsausschüssen mit Schlichtungsbefugnissen für die Beilegung vertraglicher Probleme begleitet werden.

Kodizes für „gute Geschäftspraktiken“ können dazu beitragen, faire vertikale Beziehungen zu entwickeln. Die Kodizes sollten auf Freiwilligkeit beruhen, ihre Einhaltung könnte durch Zertifizierungsmechanismen gefördert und anerkannt werden. Die Kommission hat bei der Förderung dieser Mechanismen in der EU eine führende Rolle inne.

Die Förderung der Erzeugerorganisationen und des Genossenschaftsmodells dient nicht nur der Konzentratoin des Angebots und der Erzielung von Mengenvorteilen, sondern der Verbgesserung der vertikalen Koordinierung und der Erhöhung des Anteils an der Wertschöpfung in der Nahrungsmittelversorgungskette. Erwogen werden sollte die etwaige Erweiterung von Programmen für Erzeugerorganisationen auf andere Sektoren. Die Erzeugerorganisationen haben – unterstützt durch EU-finanzierte operationelle Programme – im Bereich der Innovation große Fortschritte erzielt.

Branchenverbände sind nützliche Einrichtungen für die Organisation der Nahrungsmittelversorgungskette. Sie helfen, Abläufe innerhalb der Kette zu koordinieren, und entwickeln Maßnahmen mit dem Ziel, die Wertschöpfung innerhalb der gesamten Kette zu erhöhen. Die EU-Anerkennung sollte auf alle Erzeugnisse ausgeweitet werden, da sie bei der Formulierung von Standardverträgen eine zentrale Rolle spielen könnte.

Die Wettbewerbsregeln sollten beibehalten werden, und das Ungleichgewicht bei der Ausübung von Marktmacht sollte durch vertragliche Mechanismen, Verhaltenskodizes und eine bessere Organisation der Landwirte in Erzeugerorganisationen und Branchenverbänden behoben werden. Eine optimale Überwachung der Marktpreise und Transparenz werden sicherlich marktbeherrschende Stellungen verhindern und eine wirksamere Kontrolle durch die Wettbewerbsbehörden ermöglichen.

Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik _________________________________________________________________________________

PE 460.044 92

Maßnahmen für das Risiko- und Krisenmanagement

Die neue GAP sollte eine neue Risikomanagementpolitik beinhalten.

Die neue Risikomanagementpolitik baut auf den aller MS auf und ergänzt bestehende Programme, stellt aber auch darauf ab, die durch neue Gefahrenquellen und Risiken entstehenden Lücken zu schließen. Sie wird bestehende und neue Finanzierungsrahmen umfassen und so den Mitgliedstaaten breiten Spielraum für die Auswahl der gewünschten Form lassen.

Es wird ein Instrumentarium vorgeschlagen, das eine ganze Palette von Möglichkeiten für eine vielfältige Landwirtschaft in der EU und die Risikobewältigung durch die Landwirte bietet. Es könnte in die erste oder die zweite Säule eingegliedert werden und sich auf flexible Kofinanzierungspläne, eine Risikoschichtung und die Mitverantwortung der Landwirte stützen. Keines der zugehörigen Instrumente sollte kostenlos angeboten werden.

E-Learning-Programme könnten entwickelt werden, um die Landwirte darin zu schulen, relevante Risiken und die Anwendung von Risikomanagementinstrumenten besser zu verstehen. Das Potenzial neuer Technologien sollte genutzt werden, um den Landwirten relevante Informationen und praxisbezogenes Wissen zu vermitteln.

Normale/geschäftliche Risiken können mit Fonds auf Gegenseitigkeit, Termingeschäften und Optionen sowie Produktions- und Einkommensversicherungen abgesichert werden. Der Ausbau der Derivatemärkte (Termingeschäfte und Optionen), Versicherungen und Fonds auf Gegenseitigkeit sollte durch die Übermittlung rechtzeitiger und zuverlässiger Marktinformationen und durch geeignete Regelungsrahmen gefördert werden.

Gemeinsame Leitlinien für die EU-Agrarversicherungsmärkte sollten dazu beitragen, EU-weite Versicherungsmärkte und -unternehmen zu schaffen, was ein größeres Maß an Risikopooling und technologischer Innovation in der EU ermöglichen würde.

Extreme Risiken sollten mittels eines neuen Einkommenssicherungsinstruments abgedeckt werden. Dieses Instrument sollte die Form einer öffentlich-privaten Partnerschaft haben und auf einer Beteiligung der Landwirte und kofinanzierten Plänen beruhen, und es muss den Anforderungen der „Green Box“ genügen. Seine Umsetzung auf EU-Ebene wäre zwar billiger und effizienter im Hinblick auf die Versicherung auf Gegenseitigkeit von allgemeinen Rsiken, könnte aber – zumindest in den ersten Phasen – auf nationaler Ebene leichter realisierbar sein.

Für die Planung und Mittelzuweisungen des EU-Haushalts sollten flexiblere Regeln erwogen werden. Dann könnte die Kommission im Falle einer allgemeinen Krise in Sektoren, die in der Gemeinschaft von großer Bedeutung sind, rechtzeitig Sondermaßnahmen einleiten.

Die Genehmigung staatlicher Ad-hoc-Beihilfen in den Mitgliedstaaten könnte eine spezifische Lösung für bestimmte Probleme sein, aber vermutlich nicht der geeignete Weg für die Bewältigung von Marktkrisen. Die Folge könnten Wettbewerbsprobleme auf dem Binnenmarkt und eine klare Renationalisierung der GAP sein. Deshalb sind De-Minimis-Beihilfen als letzter Ausweg für kleine Beihilfebeträge anzusehen, die auf andere Weise nicht bereitgestellt werden können. Es empfiehlt sich, ihren Einsatz auf sehr spezielle Probleme zu beschränken.

Marktmaßnahmen für die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2013 _________________________________________________________________________________

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Marktordnung

Die private Lagerhaltung sollte stets der öffentlichen Lagerhaltung vorausgehen und den Vorzug vor dieser erhalten. Die öffentliche Lagerhaltung könnte als letztes Mittel beibehalten werden, das der Kommission die Möglichkeit gibt, bei schwerwiegenden Marktstörungen außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen. Die private Lagerhaltung sollte darauf gerichtet sein, vorübergehende kritische Preis- oder Marktsituationen zu lösen, niemals jedoch strukturelle Marktungleichgewichte zu beseitigen.

Es bleibt ein gewisser Spielraum für Schutzmaßnahmen an den Grenzen, vor allem bei der Marktzugangsregelung. Bei hohen Weltmarktpreisen, die die EU-Versorgung gefährden, sollten die entsprechenden Zollsätze vorübergehend gesenkt oder ausgesetzt werden. Bei ernsten Störungen des Binnenmarkts könnten Schutzklauseln und eine Sonderbehandlung sensibler Erzeugnisse in Betracht kommen. Ausfuhrerstattungen sollten nicht mehr zulässig sein.

Die Verkaufsförderung von EU-Agrar- und Nahrungsmittelerzeugnissen, die auf Nicht-EU-Märkten im Wettbewerb mit denen anderer Exporteure stehen, deren Regierungen die Handelstätigkeit von Erzeugern fördern, ist ein wirksames Mittel, um neue Marktchancen zu erschließen. Wie sich im Weinsektor gezeigt hat, verstärken solche Programme die Internationalisierung der Agrarbetriebe und fördern effizientere und dynamischere institutionelle Organisationen.

Es besteht noch Spielraum für die Intensivierung der Werbung für Erzeugnisse mit einem besonderen Wert für die EU oder besonderer Qualität (d. h. ökologisch, kulturell), allerdings muss de Finanzierung aufgestockt werden, wenn die Ziele erreicht werden sollen.

Zugang zu Nahrungsmitteln und gesundheitliche Erwägungen

Die Verbesserung der menschlichen Gesundheit durch den Verzehr von Obst und Gemüse und Milcherzeugnissen sollte als wesentliches soziales Ziel betrachtet werden.

Schulprogramme weisen ein sehr geringes Potenzial zur Beeinflussung der Obst- und Gemüse- bzw. Milchmärkte auf. Die Politikziele gelten eher der Gesundheit und Erziehung aller Kinder in der EU. Kern der Programme sollte die Information von Schülern, Lehrern und Eltern sein. Die Programme sollten über das Umfeld der Schule hinausreichen, um auch in den Haushalten gesunde Ernährungsgewohnheiten zu fördern.

Die Programme zur Leistung von Nahrungsmittelhilfe für Bedürftige sollten besser mit den Agrarmärkten koordiniert werden. Im Fall einer Krise in einem bestimmten Sektor – und auch davor – sollten Signale ausgelöst werden, um sicherzustellen, dass Wohlfahrtsverbände und staatliche Stellen, die Nahrungsmittelhilfeprogramme betreiben, die benötigten Erzeugnisse ohne große Verzögerung beschaffen können.

Die für eine zügige Ausführung von Nahrungsmittelhilfsprogrammen erforderliche Logistik muss so eingesetzt werden, dass sie den Verwaltungsstandards der Europäischen Kommission gerecht wird und gleichzeitig Waren angekauft werden, wenn die Preise niedrig sind. Bei nicht lagerfähigen Waren wie frischem Obst und Gemüse sollten engere Verbindungen zu den Krisenbekämpfungsprogrammen der Erzeugerorganisationen bestehen.

Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik _________________________________________________________________________________

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Sonstige allgemeine Politikempfehlungen

Die EU sollte ihre führende Rolle bei der Bereitstellung von humanitärer Hilfe in Drittländern ausbauen. Eine auf den Verbrauch ausgerichtete Soforthilfereserve wäre ein europäischer Beitrag zur Nahrungsmittelsicherheit.

In dem Maße, wie sich die Märkte weiter öffnen, wird offensichtlich, dass die GAP nicht „hundertprozentig“ für alle Eventualitäten gerüstet ist. Es ist eine bessere Koordinierung mit anderen Politikbereichen der EU notwendig, um Synergieeffekte zu erreichen und Konflikte im Zusammenwirken zu vermeiden. Dazu gehören Maßnahmen in den Bereichen Handel, Finanzen, Kompetenz, Verbraucher, Industrie sowie Unternehmenspolitik.

Die Weltmärkte müssen besser reguliert und gesteuert werden. Die EU hat einen Anteil und ein Interesse daran, dass die wichtigsten Rohstoffmärkte transparenter und effizienter werden. Ihr diesbezügliches Vorgehen fällt in den Bereich anderer Gemeinschaftspolitiken. Deren Stärkung kann sich jedoch positiv auf die Agrarmärkte auswirken und so dazu beitragen, dass weniger kostspielige Maßnahmen erforderlich sind.

Es müssen Anstrengungen unternommen werden, um den Markt durch bessere Informationssysteme transparenter zu machen. Die EU könnte dabei eine wichtige Rolle spielen, indem sie Marktinformationsinitiativen finanziert, vor allem in Entwicklungsländern, und indem sie den Zugriff auf diese Informationen durch öffentlich zugängliche Datenbanken erleichtert.

Marktmaßnahmen für die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2013 _________________________________________________________________________________

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GLOSSAR Naturkatastrophenfonds: Staatlich organisierter Fonds für Ausgleichszahlungen an Agrarbetriebe im Falle von Naturkatastrophen, finanziert aus dem Staatshaushalt und mit speziellen finanziellen Beiträgen von Agrarbetrieben. Teilnahmeberechtigung nur für Agrarbetriebe, die eine Versicherung erwerben (Beispiel: der französische „Fonds national de garantie des calamités agricoles“, der mit einer Feuerversicherung für Gebäude verknüpft ist(. Derivate: Im Finanzwesen ist ein Derivat ein Finanzinstrument (oder, einfacher gesagt, ein Vertrag zwischen zwei Parteien), dessen Wert auf den erwarteten künftigen Preisen des Anlageguts basiert, mit dem es verbunden ist — der so genannte Basiswert —, beispielsweise einer Aktie, einer Währung oder einem Grundstoff. Es gibt viele Arten von Derivaten; die gebräuchlichsten sind Swaps, Termingeschäfte und Optionen. Derivatemärkte: Terminmärkte oder formelle Börsen. Instrument zur Einkommensstabilisierung: Von der Europäischen Kommission verwendeter Begriff, ganz ähnlich dem des nachstehend beschriebenen Instruments zur Einkommenssicherung. Einkommenssicherungsinstrument: Organisiert vom öffentlichen Sektor, kompatibel mit den WTO-Kriterien über Einkommensausgleichszahlungen (Nummer 7). Beispiel: AgriStability in Kanada. Im vorliegenden Bericht würde das vorgeschlagene Instrument zur Einkommenssicherung eine vorherige Anmeldung und die Zahlung eines Beitrags durch die Landwirte (Mitverantwortung) umfassen, und es würde nur für nicht versicherbare Verluste einen Ausgleich leisten. Fonds auf Gegenseitigkeit: Andere Bezeichnung für „Vereinbarungen zur Teilung von Risiken auf Gegenseitigkeit“. Gemäß der Definition der Europäischen Kommission (KOM(2005)0074), sind Risikofonds auf Gegenseitigkeit eine Möglichkeit, Risiken innerhalb von Erzeugergruppen zu teilen, die selbst Verantwortung für das Risikomanagement übernehmen wollen. Das Kapital des Fonds kann von Mitgliedern im Falle schwerwiegender Einkommensverluste in Anspruch genommen werden, die in vorgegebenen Regeln dargelegt sind. In der Vergangenheit wurden Risikofonds auf Gegenseitigkeit für die Landwirtschaft auf Privatinitiative hauptsächlich in bestimmten Sektoren geschaffen, in denen die Erzeuger vergleichbare Risiken tragen. Risikoteilungsvereinbarung auf Gegenseitigkeit: Andere Bezeichnung für „Fonds auf Gegenseitigkeit“ gemäß der Definition der Europäischen Kommission. Außerbörslicher Handel (Over the Counter, OTC-Handel): Außerbörslicher Handel oder Handel mit Finanzinstrumenten wie Wertpapieren, Anleihen, Grundstoffen oder Derivaten direkt zwischen zwei Parteien. Im Gegensatz zum Börsenhandel, der über Einrichtungen abgewickelt wird, die zum Handeln an Börsen errichtet wurden, beispielsweise Terminbörsen oder Aktienbörsen. Instrumentarium für das Risikomanagement: Entsprechend dem Vorschlag der Kommission in ihrer Mitteilung „Die GAP bis 2020“ (KOM(2010)0672) umfasst es folgende Instrumente: das Instrument zur Einkommensstabilisierung, Versicherungsinstrumente und Fonds auf Gegenseitigkeit.

Fachabteilung B: Struktur- und Kohäsionspolitik _________________________________________________________________________________

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Marktmaßnahmen für die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2013 _________________________________________________________________________________

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