gamification - lvr-zentrum für medien und bildung · medienbrief ngefangen hat alles mit ... die...
TRANSCRIPT
02MEDIENBRIEFGamification
N°
Gamification: Spielerisches Lernen im UnterrichtIdeen - Beispiele - Vorschläge
Düsseldorfer Fenster Mediennetzwerk Düsseldorf
Berichte Cinemanya - Mit dem Filmkoffer
unterwegs zu Flüchtlingskindern
Lernort KulturLVR-Freilichtmuseum Kommern:
Spielzeug der 1950er- und 1960er-Jahre
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Impressum
Herausgeber
Landschaftsverband Rheinland
Landeshauptstadt Düsseldorf
LVR-Zentrum für Medien und Bildung
Medienzentrum für die
Landeshauptstadt Düsseldorf
Medienberatung NRW
Bildungspartner NRW
Redaktion
Michael Jakobs, Sepiedeh Fazlali,
Dirk Poerschke
Layout & Reinzeichnung
Michael Jakobs
Postanschrift
Postfach 103453
40025 Düsseldorf
Besucheranschrift
Bertha-von-Suttner-Platz 1
40227 Düsseldorf
Kontakt
Telefon 0211 27404-2131
Fax 0221 8284-3463
E-Mail [email protected]
Internet www.medien-und-bildung.lvr.de
Titelfoto
Foto: Dominik Schmitz/LVR-ZMB, Jan Hüsing/LVR-ZMB
Artwork: Helene Claußen/LVR-ZMB
Druck
msk marketingservice köln GmbH
Bischofsweg 48-50, 50969 Köln
Auflage
6.000
Der MEDIENBRIEF erscheint zweimal jährlich und
kann kostenlos beim LVR-Zentrum für Medien und
Bildung abonniert oder als Einzelheft bestellt werden.
ISSN 1615-7257
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
2
Jahre Leitung bedeuten auch 20 Jahre
Medienbrief. Angefangen hat alles mit
einem wenige kopierte Seiten umfas-
sendes Mitteilungsblatt für Düsseldor-
fer Schulen, das über die Jahre zu
einem wirklich professionell gemach-
ten Fachmagazin für Lehrkräfte im
ganzen Rheinland geworden ist.
Ich danke allen Beteiligten ganz
herzlich für Ihr Engagement, wünsche
dem Medienbrief für die Zukunft
weiterhin eine interessierte Leser-
schaft und Ihnen, liebe Leserinnen
und Leser - ein letztes Mal - eine
anregende Lektüre.
Adieu!
Ihr
Michael Thessel
Düsseldorf, im Dezember 2016
Michael Thessel
Leiter des LVR-Zentrums für Medien und Bildung
Liebe Leserinnen und Leser,
Menschen jeden Alters spielen digital,
mobil und online – und das immer
mehr. Diese Entwicklung setzt sich
fort und lässt sich ganz nüchtern
durch Umsatzzahlen der Gamesbran-
che und der elektronischen Unterhal-
tungsindustrie belegen. Zur fortschrei-
tenden Digitalisierung in Schule und
Unterricht gesellen sich nun schon
seit Längerem Überlegungen, digitale
spielerische Elemente in den Unter-
richt einzubringen, um Lehren und
Lernen spielerischer zu gestalten.
Aus diesem Grund greifen wir in
diesem Medienbrief das Thema
Gamification auf und beleuchten im
Schwerpunktkapitel Potenziale und
Herausforderungen von Gamification
im Unterricht und lassen Lehrkräfte
zu Wort kommen, die bereits Praxiser-
fahrungen gesammelt haben.
Ans Herz legen darf ich Ihnen aber
auch die übrigen Beiträge u.a. zu
Cinemanya, ein Filmprojekt für
Flüchtlingskinder, über ein Digitalisie-
rungsprojekt im LVR-ZMB für das
Stadtarchiv Dinslaken oder ein
Interview zur Entwicklung eines
Medienkonzepts für das Lore-Lorenz-
Berufskolleg in Düsseldorf .
Da in diesem Heft so viel von digitalen
Spielen die Rede ist, empfehle ich Ihnen
noch eine Ausstellung zum guten, alten
analogen Spielzeug im LVR-Freilicht-
museum Kommern, die bis September
2017 zu sehen und mit Sicherheit
gerade für Schulen eine Reise wert ist.
Schließen möchte ich mit einer
persönlichen Bemerkung: Nach über
20 Jahren in der Leitungsfunktion
verabschiede ich mich mit dieser
Ausgabe schweren und zugleich
leichten Herzens in den Ruhestand. 20
Gamification: Spielerisches Lernen im Unterricht
Foto: Stadt Düsseldorf / Michael Gstettenbauer
3
VORWORT
Impressum 02
Vorwort 03
Inhaltsverzeichnis 04
Kurzinformationen 06
01 Gamification: Spielerisches Lernen im Unterricht 08
> Der Wert des Spiels. Spielen gehört einfach
zum Leben! 09
> Lernen mit digitalen Spielen in der Schule 13
> Spielend Lernen? Potenziale und Herausforderungen
von Gamification im Unterricht 15
> Classcraft. Eine Gamification-Plattform im
Unterrichtseinsatz 19
> »Guten Morgen. Headsets auf!« - E-Sports im Unterricht?
Medienpass NRW und Gaming 23
> Spielerisch lernen mit der Bildungs-App BIPARCOURS 26
> Professor S. - Ein Zeitreiseabenteuer im Klassenraum 29
> Toolkit: Gamed Based Learning im Schulunterricht.
Ein Projektbericht 31
02 Düsseldorfer Fenster 34
> Mediennetzwerk Düsseldorf 35
03 Partner im Verbund 36
> Begabungsförderung im Kooperationsverbund:
CCB Düsselddorf 37
> Die Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW stellt sich vor 39
04 Berichte 41
> Cinemanya. Mit dem Filmkoffer unterwegs
zu Flüchtlingskindern 42
05 LVR-ZMB intern 43
> Sounds of Heimat - Zuhause geht ins Ohr 44
> Zwei Lilienthals, die nicht fliegen, aber fotografieren konnten 46
06 Medienberatung NRW 49
> Medienpass NRW goes Berufskolleg.
Die Entwicklung eines Medienkonzepts 50
07 EDMOND NRW 54
> Neuerwerbungen 2016: Landeslizenzen für EDMOND NRW 55
Inhalt – unsere Themen
MEDIENBRIEF
N° 02.2016
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Foto: Tamara Kulikova, Shutterstock
4
08 Lernort Kultur 59
> Wir WirtschaftsWunderKinder. Spielen und Spielzeug
in den 1950er- und 1960er-Jahren 60
> Die Autoren 63
Hinweis
Wir sind bemüht, in unseren Beiträgen Aspekte
des »Gender Mainstream« zu beachten und nach
Möglichkeit auf Personen bezogen sowohl die
weibliche als auch die männliche Form zu nutzen.
Aus Gründen der Vereinfachung und besseren
Lesbarkeit wird dies nicht von allen Autorinnen
und Autoren so gehandhabt. Das möchten wir
respektieren, legen jedoch Wert auf den Hinweis,
dass in der Regel das jeweils nicht erwähnte
Geschlecht mit einbezogen ist. Die Redaktion.
5
INHALT – UNSERE THEMEN
Save the date: Bildungskongress
2017
Gemeinsam mit dem Verband Bil-
dungsmedien e.V. und dem Ministeri-
um für Schule und Weiterbildung des
Landes Nordrhein-Westfalen veran-
staltet die Medienberatung NRW am
11. März 2017 im Congress-Centrum
Nord der Koelnmesse wieder den
NRW-Bildungskongress. Das Thema:
»Unterricht in der digitalen Welt –
Lernen individuell gestalten«.
Ministerin Löhrmann hat ihre Teilnah-
me für die Eröffnungsveranstaltung
zugesagt und Prof. Dr. Klemens
Skibicki, Professor für Marketing und
Marktforschung an der Cologne
Business School, referiert in seiner
Keynote über »Bildung 4.0 - mehr
mentale als digitale Transformation«.
Im Anschluss an die Eröffnung haben
die Teilnehmenden Gelegenheit, sich
in rund 50 Workshops zum Lehren und
Lernen in der digitalen Welt zu
informieren und auszutauschen.
Begleitend findet eine Bildungsme-
dienausstellung statt.
Die Anmeldung zum Bildungskongress
wird ab Mitte Januar 2017 online
möglich sein: www.bildungsmedien.de
Foto
: Koe
lnm
esse
/ A
utor
Medienberatung NRW: Neues Team
zur Unterstützung der Medienberater-
innen und Medienberater
Die MedienberaterInnen der regiona-
len Kompetenzteams sind wichtige
Ansprechpartner für Schulen bei allen
Fragen rund um das Thema »Lehren
und Lernen mit (digitalen) Medien«.
Sie beraten Schulleitungen, ganze
Kollegien sowie Schulträger kostenlos
und bieten Fortbildungen an. Um für
diese komplexe und verantwortungs-
volle Arbeit professionell vorbereitet
zu sein, durchlaufen sie eine Basis-
qualifizierung.
Das Land NRW hat den Unterstüt-
zungsbedarf der Schulen beim Lernen
in der digitalen Welt wahrgenommen
und die Anzahl der Medienberaterstel-
len im laufenden Schuljahr verdoppelt.
Um die MedienberaterInnen auf die
gestiegenen Anforderungen umfas-
send vorbereiten und kontinuierlich
unterstützen zu können, hat auch die
Medienberatung NRW die Ressourcen
erhöht: Seit Beginn des Schuljahres
2016/2017 steht das Team »Qualitäts-
entwicklung Medienberaterinnen und
Medienberater« als Ansprechpartner
zur Verfügung.
Neben der Vorbereitung von aktuellen
Materialien, die bei der Beratungs-
und Fortbildungstätigkeit eingesetzt
werden können, entwickeln die
MitarbeiterInnen ein konkretes
Aufgabenprofil für die Tätigkeit der
MedienberaterInnen und arbeiten an
einer Modifizierung des Curriculums
für die Basisqualifizierung.
7
KURZINFORMATIONEN – WICHTIGES GANZ SCHNELL
Der Wert des Spiels - Gamification im Unterricht - Medienpass NRW und
Gaming - BIPARCOURS-App - Toolkit: Gamed Based Learning
01 Gamification: Spielerisches Lernen im Unterricht
8
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Der Wert des Spiels – Spielen gehört einfach zum Leben!
flüchtiger, unverbindlicher und zufälliger und verändern
sich im Spielprozess. Das Handeln in der Spielwelt, die
einen klaren Rahmen besitzt (Verabredung: ich bin der
Arzt und Du bist krank), ist unverbindlich in Bezug auf die
reale Welt. Für den Spielprozess ist das Handeln jedoch
als sehr verbindlich und ernsthaft zu verstehen und die
Spielwelt existiert nur so lange, wie die Verabredung und
Regeln, die diese Welt kreieren, eingehalten werden.
Die Konstruktdimension des Spiels kann man als eine Art
Bündnis aus Verabredung, Regeln und Materialien
verstehen, sie ist die geistige Struktur der Spielwelt, eine
Art Drehbuch für Spielprozesse und das Skript und
Regelwerk, das den Spielenden die notwendige Orientie-
rungshilfe gibt. Wesentliche Strukturmerkmale des
Spieles sind der Spielraum, die Zeit für das Spielen, das
Material und natürlich die Verabredungen der Spielenden
über den Inhalt und die Regeln. Die Konstruktdimension
bezeichnet die strukturellen Vorgaben einer Spielwelt und
steckt damit Ziele, Verhaltensweisen, Möglichkeiten und
Grenzen der Spieler im Rahmen dieser Spielwelt ab. Diese
Dimension liegt außerhalb der eigentlichen Spielwelt, sie
ist eher als eine Regieleistung zu verstehen, damit die
Spielwelt überhaupt erst entstehen und sich immer wieder
verändern kann, um so den Spielfluss zu erhalten.
Konstitutiv ist dem Spiel aber immer eines: der Spielreiz.
Dieser kann von einem anregenden Material ausgehen. Ob
man nun mit Würfeln spielt oder Handpuppen vor sich hat,
macht einen unterschiedlichen Anreiz zum Spielen aus.
Der Reiz kann aber auch aus dem jeweiligen Handlungstyp
hervorgehen, ob es nun um Bewegung oder Wahrneh-
mung, Sprechen oder Darstellen geht. Der Spielinhalt ist
reizvoll, ob ich nun ein kooperatives Abenteuerspiel oder
Theater spiele. Und auch die Sozialform ist reizvoll: Spiele
ich alleine oder zu zweit, im Kreis oder in Teams, geht es
ums Gewinnen oder Zusammenarbeit?
Trennscharf kann man die Spielkonstrukte also nicht
abgrenzen oder kategorisieren, da viele Spiele mehreren
dieser Reizformen zuzuordnen sind.
Kinder spielen einfach so, es ist das normalste von der Welt.
Sachen, die uns leicht von der Hand gehen, sind ein Kinder-
spiel. Man spielt Theater, manch einer spielt mit dem Feuer,
dem einen oder anderen wurde schon mal übel mitgespielt
und alle hoffen auf ein ein spannendes Fußballspiel…
So eingängig der Begriff klingt, so schwer lässt er sich
fassen und wird in unterschiedlichsten Kontexten genutzt.
So wenig es also eine klare Definition des Spielens gibt, so
kann aber man kann an drei unterschiedlichen, dem Spiel
immer innewohnenden Merkmalen verdeutlichen, was mit
Spiel eng verknüpft ist.
Die Verhaltensdimension des Spiels, das spielerische
Verhalten, das jedem Menschen innewohnt, rückt die
Tätigkeit in den Mittelpunkt. Der Mensch spielt, es geht
um das Erlebnis des Spielens. Betrachten wir Kinder, die
gemeinsam eine bekannte Szene wie »Kaufladen« spielen,
geht es nicht darum, dass ein bestimmtes Ziel, wie eine
erfolgreiche Transaktion oder ein gelungener Handel,
intensiv verfolgt wird. Das Spiel besitzt hier einen emotiona-
len Befriedigungswert: es macht einfach Spaß, zu spielen.
Vier Merkmale des spielerischen Verhaltens sind zentral:
> Selbstbestimmtheit: Im Spiel erlebt der Mensch das
Gefühl persönlicher Freiheit, das Handeln wird von den
eigenen Wünschen und Impulsen belegt
> Kontrast zum alltäglichen Verhalten: im Spiel genießt
der Spielende es, abseits seiner Routine handeln zu
dürfen, er darf anders sein und erlebt sich neu
> Wagnis und Experiment: da der Ausgang eines Spiels
nicht festgelegt ist, erlebt der Spielende Ungewissheit
und Spannung
> Kreativität und Phantasie: dies stellt eine besondere
Qualität des Verhaltens dar, die die Möglichkeiten der
Variabilität des Menschen eröffnet.
In der Rahmungsdimension wird unter Spiel eine andere Welt
verstanden, im Spielprozess eine andere Wirklichkeitssicht
konstruiert, als sie in üblichen Kontexten der realen Welt
erfahren und gelebt wird. Die Konstrukte sind weitaus Foto
: Ser
gey
M ir
onov
/ S
hutt
erst
ock
9
01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT
MEDIENBRIEF | N° 01.2016
also der Spielwelt, auszuprobieren, bietet nicht nur
einen Reiz sondern auch die Chance andere Verhal-
tensweisen zu erproben und gegebenenfalls in die
reale Welt zu transferieren.
9. Ästhetische Erfahrungen und Sinneseindrucke lassen
sich einfach im Spielreiz als Genuss beschreiben. Die
Spieler machen neue sinnliche Erfahrungen, erschließen
sich Genussquellen und differenzieren ihre sinnlichen
Fähigkeiten dabei aus.
10. Der Reiz selber etwas herzustellen, etwas zu gestalten,
ein Produkt zu erstellen liegt vielen Spielkonstrukten
inne. Begonnen mit Bauklötzen bis hin zu Fotos und
Filmen befindet sich hier die Möglichkeit einer Selbst-
entäußerung des Spielenden, er verleiht seinen inneren
Bildern und Erfahrungen einen gestalterischen
Ausdruck. Als bestes Beispiel kann hier Minecraft
angeführt werden, in dem eigene Welten geschaffen
werden können.
11. Viele Spiele basieren auf dem Reiz, dass ein Problem
gelöst werden muss. Beim Geocaching gilt es die
richtigen Koordinaten zu finden, um ans Ziel zu kommen,
und ein Schachspieler braucht eine gute Strategie, um
die Bedrohung seines Königs abzuwenden.
Machen die angeführten Reizquellen die Motivation für das
Spielen aus? Kinder spielen doch schon von Beginn ihres
Lebens an. Spiel ist der dem Kind entsprechende Versuch,
die Welt einzufangen, sie zu rationalisieren und zu
beherrschen. Spiel ist die mehr oder weniger große
Veränderung der Gleichgewichtsbeziehung zwischen der
Wirklichkeit und dem Ich. Hier wird deutlich, wie im
Kindesalter mit und durch Spiel gelernt wird. Zudem
scheint dem Spiel eine intrinsische Motivation zugrunde zu
liegen. Das Spiel ist eine der zentralen Aufgaben der
Kindheit, um sich der Umwelt, dem Material und dem
Gegenüber und die Ordnung derselben habhaft zu werden.
Warum spielt aber der erwachsene und nahezu erwachse-
ne Mensch noch? Seine Umwelt sollte ihm in vielen
Punkten bekannt sein, seine körperlichen Fähigkeiten
ebenso und angemessenes Rollenverhalten ist – zumin-
dest in den besten Fällen - erlernt. Er wird sich den oben
genannten Reizen nicht immer wieder einfach so hinge-
ben, eine intrinsische Motivation muss folglich auch beim
Spielverhalten Erwachsener eine Rolle spielen.
In der spielpädagogischen Literatur lassen sich mindes-
tens elf wichtige Reizquellen ausmachen, die in spezifi-
schen Kombinationen in Spielformen anzutreffen sind:
1. Wettkampf: Der Reiz besteht darin, sich mit anderen zu
messen Der Wettkampf kann aber auch gegen sich
selbst oder gegen die Zeit ausgetragen werden. Viele
Wettkampfspiele werden in Teams gegeneinander
ausgetragen und die soziale Komponente des Team-
spiels sorgt für einen zusätzlichen Anreiz.
2. Mut und Wagnis: Am Anfang steht eine Herausforderung,
die es zu bestehen gilt. Da der Ausgang ungewiss ist, es
offen ist, ob man diese Herausforderung auch bewältigt
oder eigene Hemmungen überwinden kann, ist hier der
Reiz besonders hoch. In der Erlebnispädagogik steht das
Überwinden einer Hürde im Mittelpunkt eines Spiels.
3. Auf Glück vertrauend, sich dem Zufall überlassend: Der
Spieler kann den Spielfluss kaum selber beeinflussen,
der Spielprozess und die Spielentscheidungen laufen
ohne sein Zutun. Die Ungewissheit, ob dem Spielenden
das Glück zum Beispiel genau bei diesem Würfelwurf
hold sein wird, macht hier einen Reiz aus.
4. Unterhaltung ist ebenso wie Vertrauen auf Glück,nicht
leistungsorientiert. Das Erleben von Freude und Spaß,
gerade auch in der Gruppe, stehen im Vordergrund.
5. Rauschhaftes Erleben: In einem Spielprozess kann sich
ein Spielender dem Reiz komplett überlassen, es werden
intensive Spielprozesse ermöglicht, die den Spieler
mehrsinnig beeinflussen und den Spieler in die
Spielwelt nahezu »versinken« lassen.
6. Meditative Spiele: auch das zur Ruhe kommen und zu
entspannen bieten dem Spieler einen Reiz, gerade
nach aufregenden Aktionen und wenn sie zu sich
kommen möchten.
7. Sammeln übt gerade auf Kinder einen starken Reiz
aus, sie möchten sich Gegenstände aneignen, mit ihnen
Erfahrungen machen. Und die Tendenz zur Systemati-
sierung (Ordnungen herstellen) und Komplettierung
(damit abschließen) ist höchst reizvoll (siehe Panini-Heft).
8. Die Verwandlung, eine andere Rolle einnehmen dabei
ungewohntes Verhalten in einem sicheren Rahmen,
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
10
Vier Aspekte bieten Anhaltspunkte:
1. Die Bewahrung und Weiterführung der kindliche
Spielhaltung: Dass Spielen Freude und eine kreative
Haltung erzeugt, wurde schon erklärt. Diese Haltung sich
weiterhin zu bewahren, hilft natürlich bei der Lebensbe-
wältigung. Die Spielfreude zeigt sich beispielsweise im
Sport, im Tanz, beim Theaterspiel oder auch am Spiel mit
Kindern. Spielerische Aktivität in Form der Realitätsverän-
derung, dem Erschaffen einer Spielwelt, können beim
Erwachsenen auch Tagträume, Phantasietätigkeiten oder
Zukunftspläne sein, die aber nicht mehr wie beim Kinder-
spiel eine äußere Handlung benötigen. Eine spielerische
Haltung im Erwachsenenalter ist zudem eine wünschens-
werte Haltung im Sinneder Psychohygiene.
2. Die Ursache zu spielen kann aber auch in der Regres-
sion liegen, wenn der Jugendliche und Erwachsene, aus
welchen Gründen auch immer, in frühere Entwick-
lungsetappen zurückwechselt. Dies kann einerseits eine
Flucht aus dem Alltag oder vor aktuellen Problemen
bedeuten, andererseits aber auch notwendig sein, um
Kraft für den Alltag zu schöpfen.
3. Inadäquates Coping, also eine nicht angemessene
Bewältigungsstrategie. Problematisch und inadäquat wird
das Spiel, wenn es stellvertretend für Problem- und
Konfliktbewältigung genutzt wird, z.B. der Erfolg bei
einem Kartenspiel den Erfolg im Leben kompensieren
soll. Und hier ist auch das Glücksspiel zu nennen, das als
Ausweg aus finanziellen Schwierigkeiten dienen soll.
4. Nicht nur die individuelle Lebensbewältigung im
Erwachsenenalter ist Motivation zu spielen, Spiele haben
darüber hinaus auch eine kulturell-adaptive Funktion. Sie
drücken Spannungsverhältnisse bei gesellschaftlichen
Aufgaben aus, in westlichen Kulturen bevorzugt durch
Regelspiele.
Natürlich kann das reine Spiel nicht die adäquate Lebens-
technik des Erwachsenen sein. Erwachsene müssen zum
Beispiel ihre Probleme und Ziele real bewältigen und
können nicht in der »Als ob«-Welt des Spiels und in deren
Wirklichkeit Zuflucht suchen. Dennoch sind im Falle von
Problemen Gedankenspiele richtig und wichtig, um einen
Lösungsweg zu finden.
Das Spiel ist wichtig für uns Menschen und unser Lebens-
gefühl. Der Neurobiologe Gerald Hüther beschreibt dieses
Gefühl in seinem Buch »Rettet das Spiel«. Die Hirnfor-
schung hat herausgefunden, dass während des Spielens
die Hirnregion weniger aktiv ist, die für das Entstehen von
Foto:Scott Webb /StockSnap
11
01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT
Angst zuständig ist. Gleichzeitig werden regionale Netz-
werke im Hirn aktiviert, so dass durch diese neuartigen
Verknüpfungen neue kreative Ideen und Einfälle entwickelt
werden können. Zudem konnte beobachtet werden, dass
bestimmte Neuronenverbände im Mittelhirn, die als
»Belohnungszentren« bezeichnet werden, nach dem
Lösen einer Aufgabe im Spiel verstärkt zu feuern begin-
nen.Dies macht deutlich, dass wir im Spiel keinen Zwang,
keine Angst erleben, dass wir unsere Potenziale entfalten
können.
Und dies macht die zentrale Spielfreude aus, die jeder in
einem Spiel entdecken kann. Man muss nach dem (Mehr-)
Wert des Spiels nicht erst suchen, man kann ihn einfach
erleben und sollte sich die Spielfreude erhalten. Und diese
Spielfreude, die zentrale Quelle auch für Kreativität und
nachhaltige Erfahrungen ist, sollte sich auch in Institutio-
nen wiederfinden. Viele Lernprozesse können durch
spielerische Momente und Methoden erleichtert werden,
denn hier wird ganzheitlich gelernt, wie Pestalozzi sagte:
»Mit Kopf, Herz und Hand«.
Literatur:
Fritz, Jürgen: Das Spiel verstehen. Eine Einführung in Theorie und Bedeutung, Juventa Verlag, Weinheim und München, 2004
Gillert, Arne: Der Spielfaktor. Warum wir besser arbeiten wenn wir spielen, Heyne Verlag, München 2011
Heimlich, Ulrich: Einführung in die Spielpädagogik, 3. Auflage, UTB Band aus dem Verlag Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn, 2015
Hüther, Gerald und Quarch, Christoph: Rettes das Spiel! Will Leben mehr als funktionieren ist, Carl Hanser Verlag, München, 2016
Renner, Michael: Spieltheorie und Spielpraxis. Ein Lehrbuch für pädagogische Berufe, 3. Auflage, Lambertus-Verlag, Freiburg, 2008
Marietheres Waschk
Marietheres Waschk ist Dozentin für Spielpädagogik an der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW e.V., Schwerpunk »Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung und Sinnesschädigung« sowie offene Kinder- und Jugendar-beit. Spiel- und kulturpädagogische Projekte am Bauspielplatz Friedenspark Köln, Abenteuerpädagogik
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Foto: Yuganov Konstantin /Shutterstock
12
Lernen mit digitalen Spielen in der Schule
Spielen liegt in der Natur des Menschen. Durch spieleri-
sches Handeln können Fertigkeiten in einem geschützten
Raum ausprobiert und erlernt werden. Spielen zu können
ist sehr wahrscheinlich ein entscheidender evolutionärer
Vorteil, so dass alle höher entwickelten Lebewesen diese
Fähigkeit in der einen oder anderen Form ausgebildet
haben. Schon früh unterschied die Wissenschaft zwischen
zweckfreiem und zweckgerichtetem Spiel und lange Zeit
gab es Vorbehalte gegenüber dem Spielen als Zeitvertreib
oder als legitimes Hobby für Erwachsene. Aus heutiger
Sicht lassen sich die beiden Gegenpole nicht mehr so
trennscharf fassen, denn jedes spielerische Handeln ist
untrennbar mit Lernen verknüpft, auch wenn es nicht
zweckgerichtet stattfindet. Dies ist bei Bewegungsspielen in
freier Natur ebenso der Fall wie bei Computerspielen.
Lernen mit Computerspielen
Computerspiele werden immer wieder als Paradebeispiele
für komplexe Lernumgebungen angeführt, die ein enormes
Motivationspotenzial besitzen. Der Lernende wird gezielt,
individuell mit sofortigem Feedback unterstützt. Lerntempo,
Lernschwierigkeit und Lernzeit richten sich ganz nach dem
Lernenden. Visuelles und direktes Feedback eines guten
Spiels balanciert immer wieder die Fähigkeiten mit den
Herausforderungen des Spiels aus, so dass der Spieler
leicht in den sogenannten »Flow«-Zustand kommt: Ein
mentaler Zustand konzentrierten Handelns, in der die
Umgebung und die Zeit vergessen wird und ein Kompeten-
zerleben eintritt. Der Lernende erfährt Selbstwirksamkeit,
Autonomie und Bedeutung in seinem Handlen. Dies ist
eigentlich eine ideale Lernsituation.
Ob das Spiel aus didaktischer Sicht Wissen vermittelt oder
Motorik trainiert, hängt von vielen Faktoren ab, am stärks-
ten sicherlich von seinem Inhalt. Man unterscheidet hier
eine primäre und eine sekundäre Wirkebene. Primär
vermittelt ein Computerspiel zunächst spielrelevantes
Wissen und spielbezogene Fähigkeiten. In einem Action-
spiel heißt das herauszufinden, wie man Gegner bezwingt
oder in einer Simulation zu verstehen, wie Wirkzusammen-
hänge in einer Produktionskette ablaufen. Eher beiläufig,
daher sekundär, werden auch Hand-Auge-Koordination,
räumliches Vorstellungsvermögen oder schlichtweg
technische Kompetenz und vieles mehr trainiert.
Fassen wir Computerspiele als Kunst, Kultur oder allein als
Quelle von Spielspaß auf, erübrigt sich die Frage nach dem
Sinn ihres Einsatzes. In einem Lernkontext hingegen stellt
sich die entscheidende Frage: Was lernen die Spieler?
Gelingt ein Transfer von Wissen und Können in die reale
Welt? Wenn ja, wie und wie gut? Es tobt eine der hitzigsten
Debatten der Medienwirkungsforschung: Euphorische
Propheten eines neuen Zeitalters digitalen Lernens streiten
sich mit den dogmatischen Verkündern vom Untergang des
Abendlandes. Auf Elternabenden zum Einsatz digitaler
Medien in der Schule finden sich zumeist vehemente
Anhänger beider Fraktionen.
Einsatz von Spielen in der Schule
Prinzipiell bestehen viele Möglichkeiten, Spiele in der
Schule einzusetzen: Schon immer werden nicht-digitale
Spiele im Unterricht eingesetzt. Das können Kennenlern-
spiele, Geschicklichkeitsspiele oder ganz konkret Knobel-
und Ratespiele für den Mathematik-Unterricht sein.1 Neu
sind sogenannte Gamification-Ansätze, die Belohnungssys-
teme und Spielmechanismen einsetzen, um Schüler zu
motivieren.
Digitale Lernspiele (sogenannte Serious Games) sind
Computerspiele, die für einen anderen Zweck als die
Unterhaltung entwickelt werden. Hier gibt es eine große
Palette an verfügbaren Spielen. Viele Schulbuchverlage
bieten mittlerweile eine begleitende Lernsoftware an, die
sich meist stark inhaltlich am Schulbuch orientiert und oft
nur einen geringen bis gar keinen Spaßfaktor aufweist.
Daneben gibt es Titel des sogenannten »Nachmittags-
marktes«. Hierunter fallen Computerspiele mit mehr oder
1 Heiko Etzold, Ines Petzschler: Mathematik. Spiele zur Unterrichtsgestaltung, Verlag an der Ruhr, 2011.
13
01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT
weniger ausgeprägten (oder effektiven) Lerninhalten, die
sich zwar an Altersgruppen und Klassenstufen orientieren,
aber nicht an dem landesspezifischen Rahmenlehrplan.
Solche Titel können im Unterricht ergänzend oder für
spezifische Themen eigesetzt werden. Es gibt eine nahezu
unüberschaubare Anzahl an gut gemeinten, aber auch gut
gemachten Titeln, wie z.B. das Physiklernspiel »Ludwig« 2.
Dann gibt es noch spezifische Lernspiele wie »Meister
Cody«, die gezielt für Kinder mit Lese-Rechtschreib-
Schwäche oder Rechen-Schwäche entwickelt wurden.3
Gute erste Anlaufstellen für eine Suche nach geeigneten
Lernspielen sind die Nominierten des Deutschen Compu-
terspielpreises oder des TOMMI-Kindersoftwarepreises.4
Zudem können auch »normale«, kommerzielle Computer-
spiele im Unterricht eingesetzt werden, wie z.B. »Civilizati-
on« oder »Total War« im Geschichtsunterricht. Microsoft
hat das beliebte Aufbauspiel »Minecraft« in einer speziellen
Education Edition herausgegeben.5 Und es gibt eine Vielzahl
von Projekten und Best-Practice-Beispielen, sogar einen
eigenen EDU-Wiki6 dafür. Die vielen inzwischen verfügbaren
Materialien und Unterrichtseinheiten zeigen auch, dass das
Thema zunehmend an Schulen an Bedeutung gewinnt. Gute
Anlaufstellen hierfür sind die Initiative Spielbar.de der
Bundeszentrale für politische Bildung und der Spieleratge-
ber NRW welche auf ihren Webseiten eine Menge Praxis-
wissen und Fachartikel zur Verfügung stellen.7
Interessant ist hier auch einmal die Sichtweise einer
anderen kulturellen Perspektive: Im anglo-amerikanischen
Bildungssystem werden Spiele viel eher als Chance
gesehen, das Lernen in formalen Bildungseinrichtungen zu
befördern. Von der National Foundation for Educational
Research in England and Wales sind eine Reihe von
praktischen Ratgebern und Studien auf ihrer Webseite
kostenlos verfügbar.8
Digitale Spiele haben das Potenzial, spielerisches Erleben
mit Lerninhalten auf verschiedenste Art zu verbinden und
2 www.playludwig.com
3 www.meistercody.com
4 www.deutscher-computerspielpreis.de und www.kindersoftwarepreis.de
5 http://education.minecraft.net
6 Das MinecraftEDU-Wiki ist eine Online-Enzyklopädie, in der alle relevanten Informationen zur Nutzung der speziellen Minecraft Version für den Schulunterricht nachlesbar sind. http://services.minecraftedu.com/wiki/Main_Page.
7 www.spielbar.de/ und http://www.spieleratgeber-nrw.de
8 www.nfer.ac.uk/publications/technology-and-innovation/
bestmöglich zu nutzen. In der Abgrenzung zum E-Learning,
welches versucht, mit bestehenden Lehrmethoden in
virtuellen Umgebungen zu arbeiten, legen sie den Fokus auf
eine innovative Gestaltung von Interaktion mit Lerninhalten.
Im praktischen Einsatz wird jede Lehrkraft Kosten und
Nutzen des Einsatzes abwägen müssen, auch wenn es viel
Potenzial für ungewöhnliche Allianzen zwischen spielenden
Lehrern und Eltern und Schülern bietet. Computerspiele
entstammen der alltäglichen Lebenswelt der Schüler und
sie machen Spaß. Spiele sollten im Unterricht nicht als
Tabuthema und auch nicht als Wunderwaffe verstanden
werden, sondern sollten gezielt eingesetzt und in bestehen-
de oder angepasste Lehrprozesse mit geringstmöglichem
Zusatzaufwand eingebunden werden. Nur so ist es möglich,
dass digitale Spiele den Unterricht bereichern und sowohl
Lehrende als auch Lernende davon profitieren.
Maic Masuch
Prof. Dr. Maic Masuch leitet den Lehrstuhl für Medieninformatik mit Schwerpunkt Entertainment Computing an der Universität Duisburg-Essen. Er forscht und lehrt seit über 15 Jahren zu Themen der interaktiven Medienumgebungen. Kernbereiche seiner Arbeit sind Game Development und Evaluierung und der Zusammenhang von Spielen und Lernen.
14
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Spielend Lernen? Potenziale und Herausforderungen von Gamification im UnterrichtMit der Verbreitung digitaler Endgeräten wie dem Smart-
phone und dem Tablet erobern digitale Spiele immer mehr
den Alltag. Selbst Personen, die vorher keinen Bezug zu
Computerspielen besaßen, werden nun zu aktiven Spiele-
rInnen und lassen sich von Apps wie Quizduell oder Candy
Crush begeistern. Das Bedürfnis zu spielen kann als Teil
der menschlichen Entwicklung gesehen werden. Während
Kinder die Welt hauptsächlich durch Spiele erlernen,
werden jedoch mit zunehmendem Alter Lernen und Spielen
voneinander getrennt.
Da Spiele die besondere Eigenschaft besitzen, mittels Spaß
zum Lernen zu motivieren, knüpft Gamification genau an
diese Faszination an. Der Begriff Gamification beschreibt
den Einsatz spielerischer Elemente und Prozesse in einen
spielfremden Kontext wie dem Bildungsbereich.
Potenziale von Gamification
Populär wurde Gamification allerdings vor allem durch
spielerische Anwendungen im Consumer-Bereich: Die
mobile Anwendung Swarm1 belohnt Besucher von realen
1 https://www.swarmapp.com/
Orten mit virtuellen Punkten und Auszeichnungen, ver-
schafft aber darüber hinaus in einigen Fällen auch Zugang
zu realen Belohnungen wie freien Getränken oder Eintritts-
ermäßigungen. Das Spiel Superbetter2 schafft Motivation
für die Erledigung von Zielen durch die spielerische
Einbindung von Freunden. Nike+3 hingegen nutzt Gamifica-
tion-Elemente, um Laufsportlern zusätzliche Motivation zu
verschaffen und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen.
Die ersten Erfolge gamifizierter Anwendungen aus der
Wirtschaft zeigen ein wachsendes Potenzial durch den
Einsatz spielerischer Elemente. Auch in Aus- und Weiterbil-
dung werden diese Prinzipien angewandt, so dass die Frage
naheliegt, ob man dieses Potenzial auch in der schulischen
Ausbildung nutzen kann und sollte? Denn immerhin sind
Spielen und Lernen für den heranwachsenden Menschen
ein mächtiges Entwicklungsinstrument; die Frage ist nur,
wie man sie in den entsprechenden Altersstufen sinnvoll
einsetzt.
2 https://www.superbetter.com/
3 http://www.nike.com/de/de_de/c/nike-plus/running-app-gps
Foto: Pawel Kadysz / StockSnap
15
01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Serious Games versus Gamification
Fragt man nach Potenzial von Gamification im schulischen
Kontext, lohnt zunächst ein Blick in die nähere Vergangen-
heit. Bereits in den 1990ern wurde Software für Schulen
konzipiert, die unter den Bezeichnungen »Edutainment«,
»Game Based Learning« und später auch unter dem Titel
»Serious Games« firmierten und allesamt das Ziel hatten,
das Lernen spielerischer und motivierender zu gestalten.
Doch viele Anwendungen erfüllten das selbstgesetzte Ziel
nur unzureichend: Sie waren handwerklich nicht überzeu-
gend umgesetzt oder trennten die Lernaufgaben und den
spielerischen Part so offensichtlich, dass die Freude an der
Nutzung nur auf wenige Bestandteile beschränkt war. Viele
dieser Versuche scheiterten und große Verlage wie Bertels-
mann oder Cornelsen stellten ihre Entwicklungen ein.
Ein großes Problem der Anwendungen war auch der
Anspruch, dass diese nicht nur die Lerninhalte entspre-
chend der schulischen Anforderungen abbilden, sondern
auch so motivierend wie kommerzielle Spiele sein sollten.
Doch der Vergleich hinkt: Während bei kommerziellen
Spielen teilweise bis zu dreistellige Millionenbeträge in die
Entwicklung fließen, mussten die Entwickler von Lernspie-
len mit deutlich weniger Budget und Erfahrung ihre
Vorhaben umsetzen, was sich am Ende natürlich auch in
der Qualität niederschlug.
Gamification hingegen bietet die Chance einzelne, spiele-
risch-motivierende Elemente wie Storytelling, Kooperation,
Charaktervisualiserung, Feedback und Forschrittsanzeigen
einzusetzen, ohne gleich ein vollwertiges Spiel zu erstellen:
Teilweise lassen sich bereits mit geringem Aufwand
spielerische Mechanismen in der schulischen Ausbildung
etablieren – auch ohne den Einsatz von Software oder
digitalen Systemen.
Gamification im Unterricht
Zwei Beispiele sollen das Potenzial von Gamification im
schulischen Kontext verdeutlichen.
Classcraft ist eine kommerzielle Software-Umgebung, die
es Lehrkräften ermöglicht, ihren Unterricht durch eine
spielerische Ebene zu ergänzen. SchülerInnen erstellen
ihre eigenen Fantasy-Charaktere, die anhand absolvierter
Aufgaben Erfahrung sammeln und eine Weiterentwicklung
der Charaktere ermöglichen. Doch wie funktionieren die
spielerischen Elemente? Zwei Mechanismen sollen dies
veranschaulichen:
Ein zentrales Gestaltungselement von Gamification ist
regelmäßiges Feedback. In der Schule gibt es Feedback
seitens der LehrerInnen meist nur in größeren Abständen:
Benotungen von Klassenarbeiten, Hausarbeiten oder
Vokabeltests – dazu dann noch die Halbjahresnoten. Doch
Systeme wie Classcraft sind in der Lage, wesentlich
häufiger Feedback zu geben. Erledigte Aufgaben, Hilfestel-
lungen für MitschülerInnen oder weitere durch den Lehrer
zuvor definierte Aktivitäten werden nach ihrem Erfüllen
direkt mit Feedback in Form von Nachrichten, Punkten oder
anderen virtuellen Belohnungen wie einem neuen Titel oder
neuen Ausrüstungsgegenständen für den eigenen Charak-
ter belohnt.
Eng damit verbunden ist die Visualisierung des eigenen
Fortschritts. Jede absolvierte Aufgabe, jeder Zugewinn an
Erfahrungspunkten wird festgehalten und trägt dazu bei,
Foto: Dominik Schmitz / LVR-ZMB
16
01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT
die Fähigkeiten und Ausrüstung der von den SchülernInnen
entwickelten Charaktere weiterzuentwickeln. Dadurch
haben die SchülerInnen stets den eigenen Fortschritt vor
Augen und das System macht transparent, welche Aktivitä-
ten in welche Bereiche einzahlen: Die SchülerInnen wissen
also jederzeit, wo sie stehen und welche Ziele sie erreichen
können.
Classcraft stellt damit ein gelungenes Bindeglied zwischen
Unterricht und bestehenden schulischen Feedbacksyste-
men dar und ergänzt viele weitere Feedback- und Fort-
schrittsmechanismen, die in der Lage sind, die SchülerIn-
nen zusätzlich zu motivieren.
Ein weiteres Beispiel für die Anwendung von Gamification
im Schulkontext ist die New Yorker Schule Quest to Learn
(Q2L). Im Gegensatz zu Classcraft ist bei Quest to Learn
Spielen nicht nur Teil des Unterrichts, sondern das gesamte
Schulmodell ist auf den Einsatz von Spielen ausgerichtet.
Quest to Learn ist eine öffentliche Schule, die 2009 vom
Institute of Play 4 gegründet wurde und SchülerInnen der
sechsten bis zur zwölften Klasse unterrichtet. Lernen und
vielmehr der Lernerfolg wird nicht als vom jedem Schüler
persönliche Angelegenheit angesehen, sondern ist von der
Einbindung der Lerninhalte in einen narrativen Kontext
sowie der Kooperation unter den SchülerInnen abhängig.
Quest to Learn versucht mit seiner Spielpädagogik auf die
Bedürfnisse von Kindern, welche in einer digitalen, globalen
und komplexen Gesellschaft aufwachsen, zu antworten.
Die Unterrichtsfächer werden ähnlich wie bei einem Spiel
»domains« (dt. Wissensgebiete) genannt und sind interdis-
ziplinär aufgebaut, sodass Kenntnisse und Fähigkeiten aus
unterschiedlichen Bereichen wie Literatur und Sozialkunde
oder Sport, Ernährung und Gesundheit miteinander
kombiniert werden.
Unterrichtsinhalte erlernen die SchülerInnen in »Missio-
nen«, bei denen Sie beispielsweise die Rolle des Biologen
Dr. Smallz einnehmen, um den Aufbau und die Funktion des
menschlichen Körpers kennenzulernen. Die Mission
handelt davon, dass Dr. Smallz sich in den Körper eines
kranken Patienten geschrumpft hat, um diesen zu erfor-
schen. Beim Schrumpfvorgang hat er jedoch sein gesamtes
Wissen verloren, so dass er zum Forschen die Hilfe der
SchülerInnen benötigt. Er kommuniziert mit kleinen
Plättchen, die die SchülerInnen nur entziffern können, wenn
sie lernen, mit einem Mikroskop umzugehen. An diesem
Beispiel wird deutlich, dass relevante Lerninhalte, einge-
bunden in eine spannende Geschichte, SchülerInnen zum
Lernen motivieren können.
Auch staatlichen Leistungstest beweisen den Erfolg von
Quest to Learn, denn SchülerInnen von Quest to Learn
schneiden deutlich besser ab als SchülerInnen von her-
kömmlichen New Yorker Schulen.
Faktoren für den erfolgreichen Einsatz von Gamification
Beim Einsatz spielerischer und motivierender Elementen
muss man immer auch die Zielgruppe vor Augen haben:
Jeder von uns hat andere Präferenzen, wenn es um das
Spielen geht. In der Forschung spricht man von »Play
Personas«, also Persönlichkeitsmodellen, die verschiedene
4 Das Institute of Play ist eine Forschungseinrichtung, die ihren Forschungsschwer-punkt auf digitale sowie analoge Spielen legt.
17
Bedürfnisse der Spieler verkörpern. Manche Spieler
streben stärker nach Ansehen und Erfolg in der Spielwelt,
während sich andere Spieler wiederum mehr an sozialen,
kollaborativen Spielmechanismen erfreuen. Aus diesem
Grund ist es von besonderer Bedeutung die Spielpräferen-
zen der SchülerInnen zu erfragen, bevor spielerische
Elemente in der Klasse zum Einsatz kommen. Ansonsten
riskiert man Spielelemente zu etablieren, die für die
Zielgruppe nicht interessant sind und damit das gesamte
Vorhaben scheitern kann. Zudem ist es wichtig, dass die
Aufgaben sich im Schwierigkeitsgrad an den Fähigkeiten
der SchülerInnen orientieren, um Frustration durch zu
leichte oder schwere Aufgaben zu vermeiden. Darüber
hinaus ist auch die Freiwilligkeit von spielerischen Aufga-
ben von großer Bedeutung: Hier sollte darauf geachtet
werden, dass die SchülerInnen Wahlmöglichkeiten haben
und so frei entscheiden können, welche Form von Spiel sie
am meisten anspricht.
Die Beispiele zeigen, dass Gamification erfolgreich im
schulischen Kontext eingesetzt werden kann, jedoch einer
Orientierung an den Bedürfnissen der SchülerInnen bedarf.
Es ist hilfreich, sich an bestehenden Projekten und Anwen-
dungen zu orientieren, die bereits im schulischen Alltag
erprobt wurden. Das Spektrum reicht von kommerziellen
Softwareanwendungen wie Classcraft bis hin zu spieleri-
schen Lernmethoden, die, wie auch am Beispiel der Schule
Quest To Learn, ohne digitale Unterstützung eingesetzt
werden können. Der Einsatz von Gamification im Bildungs-
bereich besitzt in Deutschland noch großes Ausbaupotenzial.
Richtig angewandt, motiviert Gamification zum Erlernen
mentaler und physischer Fertigkeiten und fördert darüber
hinaus das soziale Verhalten sowie die Kreativität.
Jörg Niesenhaus, Sepiedeh Fazlali
Dr.-Ing. Jörg Niesenhaus koordiniert als Standortleiter die Aktivitäten von Centigrade’s Niederlassung Nord-West und und ist für die Bereiche Gamification und Interaktionsdesign verantwortlich. Als Head of Gamification beschäftigt er sich vornehmlich mit der Evaluation und Konzeption von benutzerfreundlichen Bedienober-flächen.
Sepiedeh Fazlali, M.Sc. studierte Angewandte Kognitions- und Medienschaften an der Universität Duisburg-Essen. Sie arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Mediendidaktik der FernUniversität Hagen und ist als freie Mitarbeiterin in verschiedenen Jugend- und Sozialprojekten tätig.
Foto: Leungchopan / Shutterstock
18
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
© Classcraft Studios Inc.
19
01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT
Classcraft - Eine Gamification-Platt-form im Unterrichtseinsatz
Das Prinzip von Gamification basiert
darauf, spielerische Elemente in
einem nicht spielerischen Kontext
einzusetzen. Im Unterricht bedeutet
dies, durch den Einsatz von Spielele-
menten die Motivation der Schülerin-
nen und Schüler zu steigern.
Classcraft ist eine solche Gamifica-
tion-Plattform, die auf den langfristi-
gen Einsatz im Unterricht ausgelegt
ist. Mit dieser werden alltägliche
Unterrichtshandlungen in ein Rollen-
spielszenario eingebettet, um so
insbesondere soziale Kompetenzen zu
fördern.
Spielprinzip
Die Gamification-Plattform Classcraft
funktioniert im Prinzip wie ein
digitales Verstärkersystem für den
Unterricht. Sie orientiert sich in seiner
Aufmachung an dem bekannten
Rollenspiel World of Warcraft und soll
die Faszination der Heranwachsenden
für Videospiele, insbesondere Rollen-
spiele aufgreifen. Das Spiel basiert auf
einem virtuellen Punktesystem, d.h.
die Schüler/-innen Punkte sammeln
u.a. durch die Mitarbeit im Unterricht.
Zu Beginn des Spiels findet sich die
Klasse in Gruppen von sechs bis acht
Schüler(-inne)n zusammen. Anschlie-
ßend wählt jede/r eine Charakterklas-
se - Krieger, Magier oder Priester -
aus, wobei jede Charakterklasse über
spezielle Fähigkeiten verfügt. Durch
Mitarbeit und Kooperation im Unter-
richt sammeln die Schüler/-innen
Erfahrungspunkte, die ihnen die
Lehrkraft per Eingabe auf einem
digitalen Endgerät gutschreibt. Per
Beamer oder Whiteboard wird die
Punkteverteilung den Schüler/-innen
sofort sichtbar gemacht, sodass sie
eine unmittelbare Rückmeldung zu
ihren Leistungen erhalten. Beispiels-
weise wird ihnen für das Präsentieren
der Hausaufgaben eine bestimmte
Punktzahl gutgeschrieben. Für ihre
gesammelten Erfahrungspunkte
erhalten die Lernenden mit der Zeit
reale Belohnungen, z.B. in Form von
Hausaufgabengutscheinen oder
Hinweisen für die nächste Klassenar-
beit. Zusatzpunkte - im Spiel heißen
sie Goldstücke - erhalten die Schüler/-
innen durch das Erledigen von
freiwilligen Extraaufgaben. Stören
kann hingegen Schadenspunkte und
reale Konsequenzen wie z.B. Strafar-
beiten nach sich ziehen.
Classcraft soll insbesondere die Arbeit
im Team fördern und damit die
sozialen Fähigkeiten der Lernenden
stärken. So können sich die Schüler/-
innen auf Basis ihrer Charakterklas-
sen gegenseitig im Unterricht unter-
stützen: Ein Krieger kann z.B. die
Schadenspunkte eines Gruppenmit-
glieds abfangen und selbst überneh-
men. Für Abwechslung und längerfris-
tige Motivation sollen zudem
abwechselnde Tagesereignisse
sorgen: Beispielsweise erhält eine
Gruppe die Aufgabe, einen Tag lang im
Unterricht nur noch Englisch zu
sprechen. Erfüllt das Team die
Aufgabe, so erhalten die Teammitglie-
der Zusatzpunkte.
Erfahrungen aus der Praxis
Daniel Jurgeleit, Lehrer am Staufer-
gymnasium in Pfullendorf, setzt
Classcraft bereits über einen längeren
Zeitraum im Unterricht ein. Im
Gespräch berichtet er über seine
Erfahrungen.
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Foto: © Sven von Loga
© Classcraft Studios Inc.
20
Unterricht. Die Lehrkraft sollte sich ein wenig mit Rollen-
spielen, Fantasyliteratur und/oder -Computerspielen
auskennen. Das erleichtert den Einstieg im Umgang mit der
App und dem Inhalt von Classcraft, weil das Spiel auf einem
Fantasy-Setting basiert (Magier, Krieger, Mana, Erfah-
rungspunkte, Fähigkeitenbaum, usw.). Außerdem gelingt es
dann der Lehrkraft eher, das Spiel mit den Schüler(-inne)n
zu spielen, ohne dass es »aufgesetzt« wirkt.
Wenn man wirklich hinter dem Spiel steht, reißt man die
Lernenden viel eher mit.
Sascha Schmidt: In welchem Umfang nutzen Sie
Classcraft?
Daniel Jurgeleit: Gegenwärtig unterrichte ich eine 7. Klasse
(18 Schüler/-innen) in Deutsch und Englisch gleichzeitig.
Wir haben an der Schule das Doppelstundenmodell und ich
sehe die Klasse von Montag bis Donnerstag jeweils eine
Doppelstunde lang. In diesen Stunden wird natürlich
Classcraft eingesetzt. Das Spiel habe ich bisher in den
Klassen 5-7 gespielt. Dieses Schuljahr habe ich es auch mit
meiner 10. Klasse in Deutsch versucht, aber leider musste
ich feststellen, dass das Spiel bei einer Klassengröße von
31 Schüler(-inne)n einfach nicht mehr praktikabel ist und
zum Leidwesen der Schüler abbrechen musste.
Sascha Schmidt: Wie reagieren die Schüler/-innen, Eltern
und andere KollegInnen auf das Projekt?
Sascha Schmidt: Welche Gründe bewegten Sie dazu,
Classcraft im Unterricht einzusetzen?
Daniel Jurgeleit: Ich las zufällig etwas über Classcraft auf
Spiegel Online, als das Spiel noch nicht fertig war und auf
der Homepage des Spiels nur das grobe Regelwerk und die
prinzipielle Spielmechanik vorgestellt wurden. Aber ich
wusste einfach: »Das ist es!« Als Schüler hätte ich mir so
etwas gewünscht. Shawn Young, der Lehrer, der Classcraft
entwickelt hat, war in seiner Jugend - so wie ich – Rollen-
spieler. Bei mir waren es Pen- & Paper-Rollenspiele wie
Das Schwarze Auge. Dem Hobby bin ich bis heute treu
geblieben, allerdings auf dem PC mit Spielen wie Baldur's
Gate, Sternenschweif oder Skyrim. Ich stellte mir vor, dass
Classcraft für die Schüler motivierend sein müsste und es
Abwechslung in den Schulalltag bringt, weil es ja wirklich
etwas ist, das so noch nie da war. Und Probieren geht über
Studieren.
Sascha Schmidt: Welche Voraussetzungen müssen die
Schule und auch die Lehrkräfte zum Einsatz von Classcraft
mitbringen?
Daniel Jurgeleit: Die Schule benötigt folgende Dinge:
WLAN/Internet-Verbindung, Beamer, Tablet/Laptop mit der
Classcraft-App oder den Browser Safari oder Google
Chrome. Ich selbst nutze unser Schul-WLAN, mein Tablet
mit der App und ich nehme immer einen Beamer mit in den
© Classcraft Studios Inc.
21
01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT
Daniel Jurgeleit: Von insgesamt 121 Schüler(-inne)n, mit
denen ich Classcraft bisher gespielt habe, gefiel es nur 11
Schüler(-inne)n nicht. In der jetzigen 7. Klasse spielen alle
18 Lernenden mit. In der 10. Klasse spielten sieben
Schüler/-innen nicht mit, in einer 7. Klasse des letzten
Schuljahres spielten vier nicht mit. Die Schüler/-innen
reagieren dementsprechend positiv auf Classcraft: Das
Tagesereignis wird immer mit Spannung erwartet, ebenso
der aktuelle Punktestand und das Durchführen der Spielzü-
ge. Einige der Schüler/-innen laden zusätzliche Übungsauf-
gaben aus unserer Dropbox herunter, um Extrapunkte und
Goldstücke zu bekommen und führen Spielzüge auch von
zuhause aus durch, indem sie sich dort auf ihren Account
einloggen.
Von den Eltern kamen bisher nur positive Rückmeldungen:
Das Lernverhalten habe sich verbessert, die Begeisterung
für die Schule bzw. die Fächer habe zugenommen, ebenso
die Bereitschaft, die Hausaufgaben besser und genauer zu
erledigen - es gibt ja immerhin Punkte dafür.
Die KollegInnen reagierten eher etwas verhalten auf
Classcraft. Interessant fanden es nur wenige, probieren
möchte es niemand. Das liegt zum einem daran, sich mit
dem Fantasy-Setting anzufreunden, sich mit der App und
der Spielmechanik auseinander zu setzen, zuhause die Zeit
für die Punktevergabe und für das zusätzliche Korrigieren
der Extraaufgaben zu investieren. Außerdem ist unsere
Schule technisch nicht für das Spiel ausgestattet: Wir
haben nicht überall WLAN, kaum jemand hat ein Laptop/
Tablet, das er jeden Tag an die Schule mitbringen will bzw.
damit täglich arbeitet und wir haben pro Stockwerk nur
einen Beamer-Wagen. Hier würde also sehr schnell ein
technischer Engpass entstehen, wenn mehrere KollegInnen
Classcraft spielen würden.
Sascha Schmidt: Wie steht es mit der Langzeitmotivation
der Schüler/-innen?
Daniel Jurgeleit: Ich habe Classcraft über zwei Jahre in
derselben Klasse gespielt, vom Ende der 5. Klasse (Test-
phase zwischen Oster-und Pfingstferien) bis Ende der 7.
Klasse. Dabei habe ich mehrere Dinge beobachtet: Ich hatte
Schüler/-innen, die sich mündlich und schriftlich von der
Note 4 auf die Note 2 hochgekämpft haben. Auch bereits
leistungsstarke Schüler/-innen haben sich auf die Note 1
gesteigert. Wie erwähnt, laden sich manche Schüler/-innen
auch Extraaufgaben herunter. Sie machen die Hausaufga-
ben regelmäßiger bzw. manche Schüler/-innen hatten sich
tatsächlich abgewöhnt, Hausaufgaben zu »vergessen«, weil
man für das Vorlesen der Hausaufgaben Erfahrungspunkte
erhielt.
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
22
Da Classcraft in Gruppen gespielt wird, habe ich mehrere
Male beobachtet, wie Außenseiter in einer Klasse plötzlich
Anschluss fanden. Mein aktuelles »Sorgenkind« in der 7.
Klasse wird mittlerweile nicht nur endlich von seinen
Klassenkameraden akzeptiert, sondern auch bei Gruppen-
arbeiten immer um Rat gefragt. Er steigert sich gerade von
einer Vier auf eine recht gute Drei. Er präsentiert vor der
ganzen Klasse die Resultate der Gruppenarbeit, was er
früher aus Scheu nie gemacht hat. Das hat sich nun
geändert, da er unbedingt die Punkte und die Goldstücke
haben will. Speziell ihm hat Classcraft sehr geholfen,
Selbstvertrauen zu schöpfen.
Sascha Schmidt: Viele Lehrkräfte befürchten sicherlich,
dass durch den konsequenten Einsatz von Classcraft eine
Menge an effektiver Unterrichtszeit verloren geht. Wie
beurteilen Sie diesen Umstand aus Ihrer Sicht?
Daniel Jurgeleit: Einerseits stimmt es, dass Classcraft
natürlich seine Unterrichtszeit benötigt. Ich habe das Glück,
dass wir bei uns das Doppelstundenmodell haben, d.h. 5-10
Minuten für die Eröffnung von Classcraft fallen bei 90
Minuten nicht so sehr ins Gewicht wie bei einer Einzelstun-
de. Auch kann es während des Unterrichts manchmal zu
Unterbrechungen kommen, weil z.B. ein Schüler oder eine
Schülerin quatscht: Ich teile ihm Schadenspunkte zu, dann
will ein Krieger denjenigen beschützen, dann will ein Heiler
den angeschlagenen Krieger heilen und ein Magier will
dann auch noch seine Manapunkte an den Krieger und
Heiler transferieren. Aber dass mal so ein Schneeball
ausgelöst wird, kommt nicht oft vor und selbst wenn, was
soll's? Denn dafür überwiegen die Vorteile:
Die Schüler/-innen arbeiten effizienter. Bei Gruppenarbei-
ten mit bestimmten Zeitvorgaben arbeiten sie präziser, weil
sie die maximalen Punkte für die Gruppe rausholen wollen.
Es wird nicht mehr lange gefackelt oder herumgeblödelt,
sondern sie konzentrieren sich viel schneller und besser
auf ihre Aufgabe. Dadurch kann man z.B. 15 Minuten statt
20 Minuten Arbeitszeit geben und holt so also die »verlore-
ne« Zeit wieder ein. Die Ergebnisse werden sogar besser.
Allgemein arbeiten sie auch schneller, denn wer fix denkt,
bekommt zuerst Punkte - wobei man dann natürlich
dennoch auf die langsameren Schüler/-innen wartet. Klar!
Sie vergessen die Hausaufgaben seltener als sonst. Sie
lernen, sich in einer Gruppe zu arrangieren und zusammen-
zuarbeiten. Außenseiter finden so gut Anschluss und
blühen regelrecht auf.
Die Klassendisziplin wird besser: Die Schüler/-innen reißen
sich mehr zusammen, weil sie nicht gerne Schadenspunkte
kassieren. Haben sie bereits wenige Lebenspunkte, werden
sie umso vorsichtiger. Gerade in meiner jetzigen 7. Klasse
ist es so, da die Klasse als sehr problematisch galt. Man
kann alleine mit intelligenter Zusammensetzung der
Gruppen unterschiedliche Ziele verfolgen: Binnendifferen-
zierung, Inklusion, Integration, man kann starke Schüler
mit Schwachen in eine Gruppe zusammenbringen, damit
Erstere die Letzteren unterstützen usw. Die Schüler/-innen
haben Spaß an der Schule bzw. am Unterricht. Classcraft
entschärft das zuweilen hohe Lerntempo und senkt den
Stressfaktor: Die Schüler/-innen fühlen sich wohler. Bei der
Punktejagd legen mache Schüler/-innen ihre Schüchtern-
heit ab. Es tut mir selbst auch gut, wenn ich merke, dass
ich den Unterricht manchmal zu ernst nehme. Das spieleri-
sche Element von Classcraft bringt auch bei mir mehr Ruhe
rein.
Durch das automatische Protokollieren der Punktevergabe
und das Analysetool von Classcraft habe ich eine noch
bessere Übersicht über den Lernfortschritt meiner
Schüler/-innen, die ich bei Bedarf auch als PDF per Mail an
Eltern verschicken kann. Aber man muss sich auch dessen
bewusst sein, dass man nicht jede Schülerin und jeden
Schüler damit erreicht. Es gibt leistungsschwache Lernen-
de, die bleiben auch weiterhin schwach oder sie haben kein
Interesse am Spiel oder an der Schule an sich.
http://www.classcraft.com/de/
Sascha Schmidt
Sascha Schmidt arbeitet im Referat Medienbildung/Pädagogischer Jugendmedien-
schutz im Landesmedienzentrum Baden-Württemberg
»Guten Morgen. Headsets auf!« – E-Sports im Unterricht? Gaming und der Medienpass NRWSchülerinnen und Schüler mit Spielen zu motivieren, ist
nichts Neues. Jeder kann sich sicherlich an die eine oder
andere Partie Hangman im Unterricht erinnern. Allerdings
bekommt dies eine andere Dimension, wenn Schulen, wie
gerade an einem norwegischen Gymnasium geschehen1,
den konventionellen Sportunterricht durch E-Sports mit
Counter-Strike, DOTA 2 oder League of Legends ersetzen.
Auch wenn das der Leserin oder dem Leser vielleicht nur
ein verständnisloses Schmunzeln oder gar Kopfschütteln
entlockt, ist zumindest der motivierende Einfluss von
Computer- und Konsolenspielen auf Kinder und Jugendli-
che und damit auch der potentielle Nutzen für den Unter-
richt nicht zu unterschätzen.
1 http://www.br.de/puls/themen/sport/esport-wird-schulfach-in-norwegen-100.html, September 2016.
Spiele können vielfältig im Unterricht genutzt werden.
Spiele, die Gewalt darstellen, können moralische Fragen
aufwerfen2 und damit eine Diskussionsbasis bieten. Spiele
mit einer ausgeprägten Handlung können ähnlich einem
Roman oder einer Kurzgeschichte behandelt werden. Spiele
mit hohem Text- oder Sprachanteil können im Sprachunter-
richt das Lese- und Hörverstehen schulen, den Wortschatz
erweitern und Grammatikregeln festigen, da sie ähnliche
Herausforderungen an die Spielerin oder den Spieler stellen
wie Filme oder kurze Texte in der Zielsprache. Außerdem
bieten sie einen spielerischen Zugang zur Technik und
enthemmen damit unerfahrene Anwenderinnen und
Anwender in deren Bedienung. Sie können auch Gemein-
2 https://digitale-spielewelten.de/projekte/shadow-of-the-colossus-ethik-und-moral-in-videospielen/70, September 2016.
Foto: Brian A. Jackson / Shutterstock
23
01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
schaft fördern, besonders wenn es sich um Multiplayer-
oder Koop-Spiele3 handelt, in denen mehrere Spielerinnen
und Spieler ein gemeinsames Spielziel verfolgen oder die
Spielerfahrung teilen.
Eine Anbindung dieser Möglichkeiten an den Medienpass
NRW4 ergibt sich in allen fünf Kompetenzbereichen des
zugrundeliegenden Kompetenzrahmens: Bedienen und
Anwenden, Informieren und Recherchieren, Kommunizieren
und Kooperieren, Produzieren und Präsentieren sowie
Analysieren und Reflektieren.
Alle Computerspiele schulen den Umgang mit Hard- und
Software. Nicht nur müssen Peripheriegeräte zur Eingabe
(Maus, Tastatur, Touchscreen, …) sicher genutzt werden, es
müssen auch Grundlagen der Softwarebedienung verstan-
den werden (Starten und Beenden von Programmen,
Speichern von Spielständen, Verständnis von Verzeichnis-
strukturen, Installation von Spielen, Updates, DLCs und
Mods, …).
Spiele stellen ihre Anwenderinnen und Anwender oft vor
Herausforderungen, deren Lösung eine Recherche im Inter-
net notwendig macht. Dies sieht man vor allem daran, dass
es zu jedem einigermaßen populären Computerspiel
Online-Foren zum Austausch gibt, sehr umfangreiche
Lösungen für ganze Spiele ins Netz gestellt werden (engl.
Walkthroughs) und selbst Tipps und Tricks ausgetauscht
werden, die teils Hintertüren in der Programmierung
ausnutzen (engl. Cheats oder Hacks). Außerdem bieten
auch Spielinhalte Anregungen für eine tiefergehende
Recherche (z.B. die Überprüfung oder Ergänzung histori-
scher Fakten in Civilization oder einen Vergleich des
Aufbaus und der Architektur der virtuellen Stadt Rom in
3 Im Gegensatz zu Singleplayer-Spielen, in denen nur eine Spielerin oder ein Spieler aktiv am Spiel teilnehmen kann, bieten Multiplayer-Spiele mehreren Spielern die Möglichkeit, gemeinsam zu spielen. Dabei können Spiele zusammen an einem Computer oder von mehreren Rechnern aus auf einem gemeinsamen Server gespielt werden. Koop-Spiele sind eine spezielle Form der Multiplayer-Spiele, in denen die Spieler nicht gegeneinander sondern miteinander spielen und gemeinsame Aufgaben bewältigen.
4 https://www.medienpass.nrw.de/de, September 2016.
Assassin’s Creed5 und dem realen Pendant in Google Maps
bzw. Google Street View).
Gerade Multiplayer-Spiele bieten den Anwenderinnen und
Anwendern von sich aus Kooperationsmöglichkeiten. Diese
ermöglichen auf vielerlei Weise eine Bereicherung für die
mediale Bildung, beginnend bei dem gemeinsamen
Einrichten eines LANs zur Vernetzung der Spielerinnen und
Spieler und den darin vermittelten Bestandteile und
Prinzipen der LAN-Architektur (Netzwerkkarten, Ethernet-
Kabel, Switches, Router, Client-Server-Prinzip, Netzwerk-
protokolle, IPs, Ports, …), der folgenden, gemeinsamen,
kooperativen Spielerfahrung und schließlich der Reflexion
der gemachten Erfahrungen in der Runde. Aber auch
Singleplayer-Spiele bieten Aufgaben, die in Abstimmung
zwischen mehreren Schülerinnen und Schülern gelöst
werden können (z. B. Rätselspiele, Strategiespiele oder
auch Adventures).
Auch thematisch lassen sich Spiele als Basis für weiterfüh-
rende Projekte nutzen. Die Spiele selber können genau wie
Filme oder Bücher im Unterricht rezensiert werden.
Themen und Inhalte der Spiele können als Basis für
Projekte dienen (Heldenbilder in Spielen, Darstellung von
Krieg in Spielen, Frauenbilder in Spielen, …). Spiele-Tutori-
als oder Rezensionen können schließlich mit Hilfe von
Erklär- oder Let’s Play-Videos6 umgesetzt werden, um eine
weiterführende Mediennutzung zu ermöglichen.
Das Analysepotential von Computerspielen sollte nicht
unterschätzt werden, da sie zum einen durch die Zusam-
mensetzung von Charakteren, Handlung, Ort und Zeit
klassischen Literaturgenres ähnlich sind und somit durch
vergleichbare Analysestrategien untersucht werden können.
Zum anderen eröffnen sich durch Spiele aber auch Proble-
me, die über die Grenzen eines literarischen Werkes
5 http://www.livescience.com/8945-renaissance-scholar-helps-build-virtual-rome.html, September 2016.
6 Let’s Play-Videos sind eine populäre Form von YouTube-Videos, in denen Spielerinnen oder Spieler per Bildschirm-Recorder das Spiel filmen und über Mikrofon kommentieren. Der Youtuber PewDiePie hat mit Let’sPlay-Videos über 48.000.000 Abonnenten und zählt damit zu den erfolgreichsten YouTubern insgesamt.
24
hinausgehen. Gerade Handyspiele, die oftmals scheinbar
kostenlos sind, kosten die Nutzerinnen und Nutzer ihre
Privatsphäre, da ihre persönlichen Daten gespeichert
werden, ihr Verhalten sowohl im Spiel als auch in der
Realität mitverfolgt wird (Position, Wege, Kontakte, …) und
die Auswertung dieser Daten zu gezielter Werbung führt.
Dieses Sammelverhalten der Hersteller kann sicherlich
positiv für die Wirtschaft gesehen werden7, stellt jedoch
auch implizit die Frage nach der Notwendigkeit des Schut-
zes der Privatsphäre. Auch andere Aspekte der Computer-
nutzung an sich bieten Potential für eine kritische Reflexion:
u.a. Spielsucht, gesundheitliche Folgen, Verrohung des
Sprachgebrauchs8 on- und offline.
Spiele können den Unterricht sicherlich bereichern und
bieten eine motivierende und zeitgemäße Anbindung an die
7 http://www.heise.de/newsticker/meldung/Merkel-Daten-sind-Rohstoffe-des-21-Jahrhunderts-2867735.html, September 2016.
8 http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/lehrer-beklagen-sprachverro-hung-und-hatespeech-auf-schulhof-a-1111308.html, September 2016.
Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Darüber hinaus
haben sie großes Potentzal Medienkompetenzen zu
vermitteln und sind somit auch ein sinnvolles Werkzeug
innerhalb des Medienpasses NRW.
Thorsten Schmolke
Thorsten Schmolke ist pädagogischer Mitarbeiter bei der Medienberatung NRW
Foto: Dominik Schmitz/LVR-ZMB
25
01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Stefanie Maurer blickt sich um. Hatte ihre Grundschulklas-
se sie gerade noch umringt, ist der Borbecker Marktplatz
nun gesprenkelt mit Schülergrüppchen, jede beschäftigt
mit einer anderen historischen Spur. Über Tablets erhalten
sie Hinweise und Aufgaben.
Lena und Önder von der Werner-von-Siemens-Realschule
sitzen am PC, beraten und recherchieren. Sie tüfteln Fragen
aus für eine Rallye am Tag der offenen Tür. Was könnte die
zukünftigen Mitschülerinnen und Mitschüler besonders
interessieren?
Daniel Kurt Kattmer, im Freiwilligen Sozialen Jahr an der
Stadtbibliothek Solingen, hat einen Parcours durch das
Gebäude erstellt. Er ist überzeugt, dass diese Form der
Führung Schülerinnen und Schülern am meisten Spaß
macht und daher am sinnvollsten ist.
Motivation, Begeisterung und auch Spielfreude, davon sind
Bildungsexperten überzeugt, tragen dazu bei, leichter und
nachhaltiger zu lernen. Inhalte werden tiefer verankert und
besser vernetzt. Mit der App BIPARCOURS von Bildungs-
partner NRW können diese Effekte genutzt werden. Sie
bietet vielfältige Möglichkeiten, Gamingelemente in den
Unterricht einzubauen. Zu unterschiedlichen Themenfel-
dern können Rallyes erstellt werden, optimalerweise
verbunden mit der Erkundung von Orten. Dabei lassen sich
Informationen in Form von Schrift- und Hörtexten, Bildern,
Videos oder Weblinks bereitstellen, verschiedenartige
Quizfragen stellen, Punkte vergeben und Auflösungen
anbieten, kreative, produktive und Turnieraufgaben einbau-
en sowie punktgenau Orte ansteuern.
Spielerisch lernen mit der Bildungs-App BIPARCOURS
Dionysiusgrundschule und Kultur-Historischer Verein
Essen-Borbeck: »Borbeck Mitte«
Beobachtet man Stefanie Maurers Schülergruppen,
registriert man lebhafte Reaktionen auf einen ganz neuen
Anreiz, den Stadtteil zu erkunden.
In dem Parcours identifizieren die Kinder Geräusche oder
ertasten alte Inschriften. So werden ausgiebig die Möglich-
keiten der Einbindung von Lerninhalten in die reale Welt
genutzt. Stefanie Maurer: »Gerade die Verbindung von
Realem und Virtuellem ist das Spannende. Sind die Fragen
geschickt gestellt, müssen die Kinder auf Spurensuche in
der Wirklichkeit gehen. Daran haben sie Freude und eignen
sich, ohne es zu merken, wichtiges Wissen an. Und was gibt
es Besseres, als mit Lust zu lernen?«
Foto: Helene Claußen/LVR-ZMB
26
ten mindestens genauso: »Es war für die Schülerinnen und
Schüler motivierend, aus der üblichen Konsumenten-Rolle
in eine Produzenten-Rolle zu wechseln.« Herausgekommen
ist ein Parcours durch alle Fachräume der Schule. Und den
Grundschülerinnen und -schülern wird gleich zu Beginn ein
erstrebenswertes Ziel in Aussicht gestellt: eine Preisverlei-
hung auf der Bühne.
Die Bereitschaft der künftigen Mitschülerinnen und Mitschüler,
möglichst viele Fragen richtig zu beantworten und sich
dafür Hilfe zu holen, steigt durch diese Aussicht sprunghaft
an. Um die Motivation zu halten, muss die Rallye den
richtigen Schwierigkeitsgrad treffen. Michael Stiens: »Die
meisten Aufgaben hatten einen angemessenen Schwierig-
keitsgrad. Hilfreich waren dafür die Beratung der eigenen
Ideen mit den Fachlehrkräften und das Ausprobieren und
Diskutieren mit den Mitschülerinnen und -schülern«.
Zudem gibt der Parcours konkretes Feedback, sowohl
durch die Preisverleihung als auch durch die vergebenen
Punkte: »Der Vorschlag, für alle Fächer gleich viele Punkte
zu vergeben, kam von den Schülerinnen und Schülern. Die
Verteilung der Punkte auf die Aufgaben haben sie eigen-
ständig vorgenommen – mit Augenmaß, wie ich finde.«
Stadtbibliothek Solingen: »Der Bücherdieb«
Dieser Parcours versteht sich als Game, das Schülerinnen
und Schülern geradezu unbemerkt bibliothekarische
Nutzungskompetenzen vermittelt und einen Bezug zu
diesem Lernort anbietet. Alle bislang vorgestellten Gaming-
elemente werden vielfältig eingesetzt und mit einer
Narration verbunden. Diese dient nicht nur als roter Faden
für Inhalte und Kompetenzen, sondern erzeugt darüber
hinaus ein spannendes Erlebnis: Teil einer Geschichte zu
werden. Die Konzentration bleibt so über lange Zeit sehr
hoch. Das Setting bildet hier der mysteriöse Bücherdieb,
dem es auf die Schliche zu kommen gilt.
Die Entwicklung der Handlung, Phasen der An- und
Entspannung, das Hinfiebern auf den Ausgang der Ge-
schichte und Raum für »Als-ob«-Handlungen machen
Schülerinnen und Schülern kann auch ein Freilichtmuseum
oder das Ziel der Klassenfahrt nähergebracht werden:
Verstecken Sie QR-Codes mit BIPARCOURS, lassen Sie
GPS-Koordinaten aufsuchen und Fotos oder Videos
hochladen. Über entsprechend gestaltete Fragen und
Aufgaben entstehen zudem positive Gesprächserfahrungen
mit Passanten und Anwohnern.
Werner-von-Siemens-Realschule Gladbeck: »Tag der
offenen Tür«
Michael Stiens‘ MINT-Kurs entwickelte eine tabletgestützte
Rallye für den Tag der offenen Tür. »Die Erfahrung zeigte«,
so Stiens, »dass viele Grundschülerinnen und Grundschüler
sich kaum trauen, die ungewohnte Umgebung mit vielen
neuen Gesichtern zu erkunden. Der Parcours hat davon
abgelenkt und sie den Tag der offenen Tür aktiver erleben
lassen.« Doch die Entwicklerinnen und Entwickler profitier-
Screenshot aus dem Parcours der Werner-von-Siemens Realschule zum Tag der Offenen Tür
27
01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT
MEDIENBRIEF | N° 02.2015
Zusätzlich findet sich im Bücherdieb eine für Spiele sehr
wesentliche Kategorie: Es werden punktuell Regeln
aufgestellt. So dürfen die Schülerinnen und Schüler
beispielsweise an bestimmten Stationen gerade die
üblichen Unterstützungsangebote bei der Informationsre-
cherche nicht in Anspruch nehmen.
Der Weg von den Elementen zum Konzept
Die vorgestellten Beispiele verdeutlichen jedes auf seine
Weise Elemente aus dem Gamingbereich. Pädagogisch
durchdacht platziert, erzielen sie sehr positive Effekte auf
die Motivation und das Lernen. Solche Ansätze lassen sich
konsequent im Sinne von Gaming weiterdenken. Im
Rahmen eines umfassenden Gamingkonzeptes sind die
ganze Schule und ihre außerschulischen Lernorte einbezo-
gen, es greift langfristig und wird laufend weiterentwickelt.
Ein solches »Spiel des Lernens« weicht die Fächergrenzen
auf, knüpft punktuell an tagesaktuelle Ereignisse an und
bindet die außerschulische Lebenswirklichkeit mit ein. Die
Schülerinnen und Schüler können so immer wieder neue
Level erreichen.
Sind Sie neugierig auf BIPARCOURS geworden? Dann
schauen Sie mal vorbei auf www.biparcours.de.
Die Pädagogische Handreichung zu BIPARCOURS finden
Sie als kostenfreien PDF-Download unter www.bildungs-
partner.nrw.de > Materialien. Dort haben Sie auch die
Möglichkeit der Bestellung kostenfreier Druckexemplare.
Kostenfrei verfügbare Publikation des Gamingexperten
Christoph Deeg zu Gamingkonzepten für Bibliotheken, auch
für Schulen interessant: https://www.degruyter.com/
viewbooktoc/product/205480
Charlotte Krickel / Anja Warnkross
Charlotte Krickel ist wissenschaftliche Volontärin bei Bildungspartner NRW, Anja
Warnkross arbeitet als pädagogische Mitarbeiterin bei Bildungspartner NRW
einen solchen Parcours zu einem besonderen Erlebnis.
Daniel Kurt Kattmer: »Da wir in der Bibliothek über ein
unerschöpfliches Angebot an Geschichten verfügen, lag für
mich nahe, zu diesem Ort ebenfalls eine Geschichte zu
erfinden. Sie schafft Atmosphäre und zieht in einen Bann.«
QR-Code zum Parcours der Stadtbibliothek Solingen
Foto: Helene Claußen/LVR-ZMB
28
Professor S. - Ein Zeitreiseabenteuer im Klassenraum
Professor S. ist ein innovatives Lernspiel, das traditionelle
und neue Medien miteinander kombiniert. Als Teil einer
Geschichte über den Zeitreisenden Professor S. erforschen
Schülerinnen und Schüler der 3. und 4. Klasse Themen
aller Schulfächer in ihrer Lebenswelt. Die Geschichte
beschreibt, wie Professor S. und seine Assistentin Jeanette
nach einem missglückten Zeitreiseexperiment unkontrol-
liert zwischen den Epochen hin und herspringen, obwohl sie
eigentlich zurück in ihre Gegenwart möchten. In ihrer Not
wenden sie sich mit verschiedenen Videobotschaften an die
Kinder. Die jeweilige Nachricht wird dazu genutzt, um die
SchülerInnen in ein Unterrichtsthema einzuführen. Sie
erarbeiten dazu Lösungen und präsentieren den Zeitreisen-
den ihre Ergebnisse, um ihnen zu helfen und die Geschichte
weiterzuführen. Die Lehrkräfte schlüpfen »hinter den
Kulissen« in die Rolle von Professor S. Dafür nutzen sie
eine für das Spiel entwickelte Webseite, die Kommunikati-
onsschnittstelle zwischen dem Klassenzimmer und der
Welt der Geschichte und nur von den Lehrkräften und den
SchülerInnen zugänglich ist. Auf der Webseite können
Lehrkräften zudem Unterrichtsthemen planen und Lerner-
gebnisse evaluieren.
Susanne Kanngießer, Lehrerin einer Berliner Grundschule
hat Professor S. bereits im Unterricht eingesetzt und und
berichtet im Gespräch mit dem Entwickler des Spiels, Jan
von Meppen, von ihren Erfahrungen.
JvM: Wie hat das Spiel bei Ihnen begonnen?
SK: Los gings mit der Lieferung der Zeitmaschine. Wir
hatten einen Karton entsprechend dekoriert und ich hatte
einen Kollegen gebeten, diesen zusammen mit der geheim-
nisvollen Nachricht im Unterricht anzuliefern. In der
Zeitmaschine fand sich dann immer alles, was Professor S.
an die Kinder verschickt hat. Entweder fanden sich dort
Gegenstände oder ein Kollege hat einen Umschlag vorbei-
gebracht. Das hat sehr gut funktioniert.
JvM: Wie haben die Kinder auf Professor S. reagiert?
SK: Die Kinder waren sehr neugierig auf das Spiel und
ziemlich enttäuscht, wenn es mal keine neue Nachricht gab.
Sie haben auch immer wieder nachgefragt: »Gehen wir heute
in den Computerraum und spielen Professor S.?«. Die Filme
haben sie natürlich am meisten beeindruckt. Die haben sie
sehr gerne gesehen und auch sich dabei diebisch über die
Missgeschicke, die Professor S. widerfahren, amüsiert.
JvM: In welchen Fächern haben Sie Professor S. eingesetzt?
SK: Ich habe das Spiel hauptsächlich im Deutschunterricht
eingesetzt, gerade weil es den Kindern großen Freiraum
bietet, selbst kreativ zu werden. Die erste Aufgabe bestand
darin, an Professor S. zu schreiben, welchen Ort man mit
der Zeitmaschine bereisen könnte. Ich habe sie frei
schreiben lassen und mir dann die Antworten angesehen
und festgestellt, dass viele die Anrede und den Gruß verges-
sen hatten. Da konnte ich dann gleich nachhaken: »Schaut
mal, was fehlt denn da noch?«. Ich habe, wenn ich als
Professor S. zurückgeschrieben habe, versucht den Ton der
Kinder zu treffen. Wenn die Nachrichten nett oder lustig
waren, habe ich so zurückgeschrieben.
Schön war dabei, dass Professor S. immer wieder präzisere
Antworten und Formulierungen von den Kindern einfordern
konnte, ohne dabei Druck auszuüben. Dadurch haben sie
angefangen, selbstständig zu recherchieren und sind auch
in ihren Erklärungen ausführlicher geworden. Die Recht-
schreibung blieb dabei zwar ein bisschen auf der Strecke,
aber das lag daran, dass die Kinder einfach schreiben
wollten. Sobald sie eine Antwort im Kopf hatten, wollten sie
die auch sofort loswerden.
JvM: Gab es technische oder inhaltliche Schwierigkeiten?
SK: Ich hatte am Anfang etwas Schwierigkeiten zu durch-
schauen, dass man in der Software erst eine Aufgabe
verschicken kann, wenn die vorherige abgeschlossen war.
Aber wenn man das System einmal verstanden hat,
funktioniert es. Auch war es nicht immer ganz einfach, Zeit
zu finden, mit der gesamten Klasse in den Computerraum
29
01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT
zu gehen. Ich wollte eben, dass jeder Gelegenheit hat,
eigene Nachrichten an Professor S. zu schreiben. Vielleicht
wäre es einfacher gewesen, wenn ich die Nachrichten als
Hausaufgabe aufgegeben hätte aber ich fand es auch
schön, dass die Kinder das Spiel gemeinsam erlebt haben.
Oft kam es vor, dass die Kinder ihr Passwort vergessen und
auch die Erinnerungszettel verlegt hatten. Also musste ich
öfter mal ein Passwort zurücksetzen und spätestens dann
haben sie gemerkt, dass ich etwas mit Professor S. zu tun
hatte. Für die Kinder wären einfache Passwörter sicher
besser gewesen. Dass man diese auch frei wählen kann
und nicht den vom System empfohlenen Prozess folgen
muss, ist mit leider erst später aufgegangen.
JvM: Können Sie an einer Beispielaufgabe beschreiben, wie
das Spiel im Unterricht funktioniert?
SK: Bei manchen Aufgaben wie z.B. bei der Kalligrafieauf-
gabe waren die Kinder sehr gefordert. Sie mussten zu-
nächst die einzelnen Elemente einer mittelalterlichen
Buchseite sowie die Arbeit und Instrumente des Kalligrafen
kennenlernen. Erst dann konnten sie auch eine eigene
kalligrafische Nachricht für Professor S. schreiben, damit
dieser von dem schlecht gelaunten Bibliothekar ein
geheimes Passwort erfährt. Das Passwort soll ihm Zugang
zur Burg verschaffen, um seine Freundin aus den Klauen
des Burgherrn zu befreien.
Da ging es nicht nur um historische Hintergründe sondern
auch um das Schreiben an sich. Einige waren es nicht
gewohnt, sich dabei so viel Mühe zu geben. Die Schrift
musste lesbar sein und der Text musste Sinn ergeben –
sonst kam Professor S. nicht an den Burgwachen vorbei.
Dafür waren bei manchen mehrere Entwürfe notwendig. Da
hatten sie natürlich einiges zu tun, aber als sie merkten,
dass sie immer besser wurden, sind sehr schöne Arbeiten
entstanden, die wir am Ende auch in der Klasse ausstellen
konnten. Die einzelnen Arbeiten wurden dann fotografiert
und an Professor S. verschickt. Die Kinder haben sich sehr
über die Antworten von Professor S. gefreut, obwohl sie da
schon ahnten, dass ich dahinterstecke. Aber das hat
niemanden gestört - sie haben sich trotz ihres Verdachts
auf das Spiel eingelassen.
JvM: Wie ist Ihr Gesamteindruck von Professor S.? Wie fällt
Ihr Urteil aus?
SK: Es war sehr spannend, Professor S. mit den Kindern zu
spielen. Es hat mir viel Freude bereitet, die Aufgaben
zuhause vorzubereiten und auch die Nachrichten der Kinder
zu lesen. Ich musste mich beim Antworten immer in den
Charakter vonProfessor S. reindenken - ich konnte ja nicht
so schreiben, wie ich das sonst machen würde. Der Dialog,
der daraus entstand, war manchmal sehr lustig. Dabei
bekamen die Kinder und ich selbst einen ganz anderen
Zugang zu den Lernstoffen. Es ging ja immer darum,
Professor S. zu helfen und sich in die Lage der Zeitreisen-
den zu versetzen. Dadurch gewannen wir eine neue
Perspektive auf das Gelernte. Das hat den Kindern als auch
mir großen Spaß gemacht.
Susanne Kanngießer / Jan von MeppenSusanne Kanngießer ist Lehrerin an der Franz-Marc-Grundschule in Berlin-Tegel und unterrichtet Deutsch und Sachkunde. Jan von Meppen ist Geschäftsführer und Entwickler von innovativen Lernspielen bei der LudInc GmbH in Berlin. LudInc entwickelt seit 2009 in Zusammenarbeit mit Berliner Schulen interaktive Unterrichts-modelle zur erfolgreichen Förderung von Motivation, Interaktion und Medienkompetenz.
30
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Foto: Jan von Meppen
TOOLKIT: Game Based Learning im Schulunterricht. Ein Projektbericht
Kinder und Jugendliche von heute wachsen als so genannte
»digital natives«auf. Digitale Medien werden selbstver-
ständlich und intuitiv verwendet und stellen einen wichtigen
Stellenwert in der Alltagswelt dar – ebenso digitale Spiele.
Diese bieten eine breite Palette an Herausforderungen und
Möglichkeiten, wie etwa Kooperation, Wettbewerb oder das
Erproben von kognitiven und motorischen Fertigkeiten. Die
Vielzahl an digitalen Spielen ist enorm ist und den gelunge-
nen ist eines gemeinsam: sie motivieren.
Motivation ist auch der Schlüssel zum erfolgreichen Lernen
in der Schule. Hier knüpft das Erasmus+-Projekt »Game
Based Learning to Alleviate Early School Leaving« an, das vom
1.9.2015 bis zum 1.9.2017 mit fünf Institutionen aus Malta,
Österreich und Schweden umgesetzt wird1. Vorrangiges Ziel
des Projekts ist es, Unterricht für Schüler/-innen attraktiver
zu machen und mittels Game Based Learning (GBL)-Methoden
deren Interesse und Motivation für den Unterrichtsstoff zu
wecken sowie Lehrkräften die entsprechenden »Tools«
dafür an die Hand zu geben. Letztlich soll damit auch die
Schulabbruchquote gesenkt werden. Der europäische
Durchschnitt liegt bei 11,9%2. Ziel der Europäischen Union ist
die Reduzierung dieser Quote auf weniger als 10% bis 2020.
Der vorliegende Beitrag beschreibt Rahmen, Zielsetzung
und Inhalte der TOOLKIT-Plattform, dem Kernstück des
Projekts. Sie ist im Oktober 2016 als Beta-Version unter
https://toolkit-gbl.com online gegangen und wird bis Juli
2017 laufend weiterentwickelt und befüllt.
Theoretischer Hintergrund
Weit über deren offensichtlichen Erfolg als Unterhaltungs-
medien, erhalten digitale Spiele zunehmend Aufmerksam-
keit als Vermittler von Lernprozessen und Bildungsinhalten.
1 MITA, St. Margaret’s College, University of Malta, Zentrum für Angewandte Spieleforschung der Donau-Universität Krems (Österreich) und Nyströmska School (Schweden).
2 Vor allem Malta hat mit 20,9% eine der höchsten Schulabbruchsquoten in Europa (vgl. Ministry for Education and Employment, 2014). In Österreich liegt sie bei 7,3%, was einen Handlungsbedarf jedoch nicht ausschließt (vgl. Linde & Linde-Leimer, 2013).
Jedoch haben digitale Spiele und GBL-Methoden bisher kaum
Einzug in die Schulpraxis der österreichischen Schulen gefun-
den. Zwei Aspekte bedürfen hier besonderer Aufmerksamkeit:
1. Die Zusammenführung von GBL mit gegenwärtigen
Unterrichtsmodellen und
2. der Aufbau der GBL-Kompetenzen der Lehrpersonen
auf breiter Basis.
Dabei versteht sich Game Based Learning nicht als ein
festgesetztes Verfahren, das in jedem pädagogischen
Setting beliebig auf gleiche Art und Weise eingesetzt werden
kann. Vielmehr bedarf der Einsatz von GBL im Unterricht
eine Anpassung an den jeweiligen Schultyp, das Alter der
Zielgruppe und im besten Fall auch eine individuelle
Anpassung an die/den Lernende/n. Ebenso geht GBL weit
über das reine Bereitstellen von digitalen Spielen in der
Schule hinaus. Wird die Spielerfahrung nicht kontextuali-
siert, kann diese zwar eine Lernerfahrung sein, bleibt jedoch
oft auf die Spielwelt selbst beschränkt. Geeignete Strategien
für einen Transfer zwischen Spielwelt und Lebenswelt sind
also ein wesentlicher Teil von GBL (vgl. Mitgutsch, 2012). Die
TOOLKIT-Plattform hat sich zum Ziel gesetzt, erprobte
Strategien zugänglich zu machen, neue zu entwickeln und
das Thema GBL im Unterricht greifbarer zu machen.
Überblick der Funktionen der Plattform
Auf der TOOLKIT-Plattform werden GBL-Methoden für den
Unterricht im Zusammenhang mit allen Arten von Spielen
thematisiert - mit Schwerpunkt auf digitalen Spielen. Dies
können sowohl kommerzielle Spiele als auch klassische
Lernspiele oder Serious Games sein. Zudem werden auch
nicht-digitale Spiele, wie etwa Brettspiele oder Rollenspiele,
in die Datenbank aufgenommen. Ebenso wird auch Soft-
ware berücksichtigt, die im weiteren Sinne mit GBL in
Verbindung steht, etwa Programmiertools zum Erstellen
von digitalen Spielen.
Die TOOLKIT-Plattform soll Lehrpersonen Folgendes
ermöglichen:
31
01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT
MEDIENBRIEF | N° 01.2016
> Zugriff auf eine umfangreiche Sammlung von Spielbe-
schreibungen, -analysen und GBL-Projekten,
> Eigenständige Evaluierung des pädagogischen Potenzials
von Spielen,
> Eigenständige Entwicklung und Anwendung von
Unterrichtsprojekten rund um GBL,
> Diskussion/Austausch über Erfahrungen mit der
Anwendung der Spiele und Durchführung der Szenarien
im Unterricht,
> Nutzung der Plattform als E-Learning-Tool durch Bereit-
stellung der Online-Übungen in virtuellen Klassenzimmern.
Wichtiger Punkte sind auch die Einbeziehung sowie die
Wahrnehmung der Schüler/-innen als Expert/-innen ihrer
Lebenswelt. Folglich ist auch über eine Forumsfunktion ein
direkter Austausch mit den Schüler/-innen hinsichtlich der
eingesetzten Spiele möglich. Ebenso gibt es für Schüler/-
innen die Möglichkeit, eigerne Vorschläge für Spielbe-
schreibungen und GBL-Projekte einzureichen.
Die auf der TOOLKIT-Plattform bereitgestellten »Tools« für
Lehrpersonen wurden gemeinsam mit Expert/-innen aus
der Spiele- und Unterrichtspraxis entwickelt und getestet.
Schlüsselfunktionen der TOOLKIT-Plattform
Entdecken: Die Datenbank der TOOLKIT-Plattform wird
eine umfangreiche Sammlung verschiedener GBL-Projekte
und Spielanalysen beinhalten. Eine Suchfunktion mit
diversen Filtermöglichkeiten, etwa nach Alter der Schüler/-
innen, Spielgenre oder Unterrichtsgegenstand, ermöglicht
Lehrkräften das schnelle Auffinden von für den eigenen
Unterricht geeigneten Spielen und GBL-Projekten. Zudem
werden in Form eines Guidebooks Materialien mit Hinter-
grundinformationen rund um digitale Spiele und GBL
bereitgestellt.
Erstellen eines Spieleintrags: Zu jedem Spiel, das auf der
Plattform behandelt wird, findet sich ein Spieleintrag. Hier
werden der Inhalt sowie grundlegende Fakten, wie etwa
technische Mindestanforderungen oder Bezugsquellen,
erläutert.
Erstellen einer Spielanalyse: Das Spieleanalyse-Tool ist ein
strukturierter und kommentierter Fragenkatalog, der
Lehrpersonen beim Ergründen des pädagogischen Potenzi-
als von einem Spiel anleitet. Gleichzeitig wird dabei das
Suchfunktion in TOOLKIT, mit der gezielt nach für den Unterricht geeigneten Spielen oder GBL-Projekten gesucht werden kann (Screenshot)
32
Verständnis des Mediums Spiel erweitert. Zu jedem
Fragenblock gibt es einleitende, erklärende Kommentare.
So soll die Einstiegshürde für Lehrpersonen, die noch nicht
sehr mit digitalen Spielen oder GBL-Methoden vertraut
sind, gemindert werden.
Teilen persönlicher Spielerfahrungen: Um individuelles
Feedback oder Tipps zu einem Spiel weiterzugeben, können
Nutzende auf der Plattform eine persönliche Reflexion
erstellen. Hier soll auch angegeben werden, ob und warum
sie das Spiel für den Einsatz im Unterricht weiterempfehlen
würden.
Erstellen eines GBL-Projekts: Sobald sich die Lehrkraft
dafür bereit fühlt – etwa durch vorangehende Nutzung des
Spielanalyse-Tools oder Umsetzung von GBL-Szenarien von
Kolleg/-innen –, können sie ihre eigenen GBL-Szenarien
entwickeln, im eigenen Unterricht einsetzen sowie auf der
Plattform veröffentlichen und anderen Lehrpersonen zur
Verfügung stellen. Ein strukturierter Fragenkatalog zu vier
Schlüsselbereichen unterstützt dabei. Bei dessen Entwick-
lung haben sich für einen pragmatischen und sinnvollen
Einsatz von GBL-Methoden in der Unterrichtspraxis
herauskristallisiert:
> Definition der Inhalte und Lernziele des geplanten
Projekts. Bestimmung der Zielgruppe hinsichtlich
Schulstufe/Altersgruppe, Unterrichtsfach und Lehrplan-
bereich.
> Definition von Mehrwert und Grenzen des Einsatzes von
GBL. Hier stehen die Fragen im Mittelpunkt, wie das
Spiel hilft, die Lernziele zu erreichen und was anhand
des Spiels besser verstanden werden kann als durch
andere Unterrichtstrategien.
> Suche nach geeigneten didaktische Methoden, zur
sinnvollen Integration des Spiels in den Unterricht mit
dem Ziel, Spielerfahrungen auch tatsächlich zu Lerner-
fahrungen zu machen. Auf der TOOLKIT-Plattform wird
die Unterrichtsmethode in Form einer praxisnahen
Stundentafel formuliert.
> Fokus auf unterrichtspraktische Probleme, die im Zuge
der Umsetzung des Projekts auftreten können. Dies
kann den technischen, zeitlichen oder inhaltlichen
Rahmen oder das »Umfeld«, wie etwa etwaige Vorbe-
halte seitens der Eltern und Kolleg/-innen betreffen.
Die TOOLKIT-Plattform ging im Oktober 2016 online und
wird anschließend mit Lehrpersonen und Schüler/-innen in
Österreich, Schweden und Malta getestet und weiterentwi-
ckelt. Die Datenbank wird laufend mit neuen
Spielen, Spiel-Analysen und GBL-Projekten
gefüllt.
Interessierte Lehrkräfte sind einladen, sich ein
Profil auf https://toolkit-gbl.com anzulegen. Die
Plattform befindet sich zur Zeit noch im Beta-
Stadium und einige Bereiche sind noch nicht
endgültig ausgereift bzw. Spieleinträge bedürfen
noch der Überarbeitung. Um die vollständigen
Funktionen als Lehrperson nutzen zu können,
benötigen Sie einen Lehrer/-innen-Account. Der
Freischaltungscode kann per Mail an ags@
donau-uni.ac.at beantragen werden. Einträge in
die Plattform oder auch allgemeines Feedback
zum Projekt sind willkommen.
Literaturverzeichnis
Annetta, L. A., Cook, M. P., & Schultz, M. (2007) Video games and universal design: A vehicle for problem-based learning. Journal of Instructional Science and Technology, 10.
Gee, J. P. (2009) Video games, learning, and «content”. In Games: Purpose and potential in education, S. 43-53. Springer US.
Linde, K., & Linde-Leimer, S. (2013). »… damit niemand rausfällt!«. Grundlagen, Methoden und Werkzeuge für Schulen zur Verhinderung frühzeitigen (Aus-) Bildungsabbruchs. Handreichung im Auftrag des Bundesministerums für Unterricht, Kunst und Kultur. Wien.
Linderoth, J. (2010) Why gamers don’t learn more. An ecological approach to games as learning environments. In: Proceedings of DiGRA Nordic: Experiencing Games: Games, Play, and Players, Stockholm.
Ministry for Education and Employment (2014). A strategic plan for the prevention of early school leaving in Malta, http://education.gov.mt/ESL/Documents/School%20Leaving%20in%20Malta.pdf
Mitgutsch, K. (2012). Learning Through Play–A Delicate Matter: Experience-Based Recursive Learning in Computer Games. In Computer Games and New Media Cultures (pp. 571-584). Springer Netherlands.
Pivec, M., Pivec, P. (2012) Lernen mit Computerspielen: Ein Handbuch für Pädagoginnen / Pädagogen. Wien: Bundesministe-rium für Wirtschaft, Familie und Jugend.
Prensky, M. (2012). From digital natives to digital wisdom: hopeful essays for 21st century learning. Corwin Press.
Mag. Alexander Pfeiffer, MA/MBA,
Mag. Natalie Denk, Mag. Thomas Wernbacher, MA
Alexander Pfeiffer ist Leiter des Zentrums für Angewandte Spiele- forschung der Donau-Universität Krems. Natalie Denk und Thomas Wernbacher sind als wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen am Zentrum tätig.
33
01 | GAMIFICATION: SPIELERISCHES LERNEN IM UNTERRICHT
Mediennetzwerk Düsseldorf
02 Düsseldorfer Fenster
Foto
: © R
awpi
xel.
com
/ Sh
utte
rsto
ck
34
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Mediennetzwerk Düsseldorf
Medien sind im Alltag von Kindern und Jugendlichen ein
zentraler Sozialisationspunkt. Sie bilden einen wesentlichen
Teil der Lebenswirklichkeit und sind somit ein unverzicht-
barer thematischer Schwerpunkt der offenen Kinder- und
Jugendarbeit sowie der Jugendverbandsarbeit. Das
Jugendamt der Landeshauptstadt Düsseldorf hat aus
diesem Grund in seinem aktuellen Kinder- und Jugendför-
derplan die Medienarbeit fest verankert. Zur Umsetzung
wurde eine stadtweite Kooperation und Zusammenarbeit in
einer Netzwerkstruktur initiiert. Neben den Themenberei-
chen Kinder- und Jugendkultur, arbeitsweltbezogene
Hilfen, Sport und Gesundheit, Gesellschaft und Umwelt gibt
es deshalb auch das Mediennetzwerk Düsseldorf.
Die Beteiligten
Das Mediennetzwerk Düsseldorf ist ein Zusammenschluss
lokaler Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen, die sich in
ihrem Schwerpunkt mit Medienarbeit auseinandersetzen.
Weitere Partner im Bereich der Jugendhilfe wirken ebenso
daran mit wie beispielsweise der Jugendring Düsseldorf
oder das LVR-Zentrum für Medien und Bildung. Freiberufli-
che Medienpädagoginnen und Medienpädagogen sind als
Expertinnen und Experten ebenfalls Teil dieses Netzwerks.
Unser Ziel: Medienkompetenz schaffen
Das Mediennetzwerk Düsseldorf trifft sich viermal im Jahr
zum fachlichen Austausch, um die Medienkompetenz von
Kindern und Jugendlichen von verschiedenen Seiten zu
beleuchten. Dies bedeutet Standards in der Medienarbeit
mit Kindern und Jugendlichen zu entwickeln, Projekte zur
Medienarbeit anzubieten und Fortbildungen für pädagogi-
sche Fachkräfte zu organisieren.
Als Beispiele sollen an dieser Stelle das jährlich stattfindende
Projekt »Mit(Medien)Machen« und die Fortbildung »Update.
Jung&Medien« kurz umrissen werden: »Mit(Medien)
Machen« ist ein praxisorientiertes, niederschwelliges Format,
das pädagogischen Fachkräften ein auf sie zugeschnittenes
Medienangebot zur Verfügung stellt. Es zeichnet sich
dadurch aus, dass bei Bedarf technische Unterstützung zur
Verfügung gestellt wird und jedes Jahr unter einem neuen
inhaltlichen Thema angeboten wird. Im Laufe der Zeit
sollen alle möglichen Formen der Medienarbeit – Foto-,
Film-, Audio-, Gaming-Projekte – aufgegriffen werden.
Im 2017 startet das Projekt »Videokettenbrief«, bei dem
verschiedene Gruppen ohne vorgegebenes Drehbuch kurze
Clips drehen werden. Die besondere Aufgabe wird sein,
geeignete Übergänge zu produzieren, um aus den einzelnen
Clips einen gemeinsamen Film zu erstellen. Dieser wird
dann bei einer Veranstaltung in einem Düsseldorfer Kino
mit allen Gruppen präsentiert und gefeiert.
Da es für pädagogische Fachkräfte eine Herausforderung
darstellen kann, die medialen Interessen von Kindern und
Jugendlichen zu erfassen und diese für die eigene (medi-
en-)pädagogische Arbeit nutzbar zu machen und weil ein
Trend schnell den anderen ablöst, bietet das Mediennetz-
werk Düsseldorf zweimal im Jahr die Fortbildung »Update.
Jung & Medien« an.
Diese Fortbildung informiert in mehreren 10-15 minütigen
Beiträgen kurz und bündig über neue Trends, Formate und
Entwicklungen der aktuellen Medienlandschaft. Sie bietet
Anreize zum Beispiel für Foto-, Film-, Audio-, Gaming- Pro-
jekte sowie Workshops zur Sensibilisierung im Umgang mit
sozialen Netzwerken und sie schafft eine Plattform, sich
über die eigenen Erfahrungen mit den medialen Nutzungs-
gewohnheiten der Kinder und Jugendlichen auszutauschen.
Ziel ist es, als Fachkraft informiert zu sein bzw. zu bleiben
und Ideen zu entwickeln, um eine aktive, kreative, reflek-
tierte und kritische Medienpädagogik mit Kindern und
Jugendlichen tatkräftig mitzugestalten.
Judith Heggen / Dirk PoerschkeJudith Heggen arbeitet beim Jugendamt der Landeshauptstadt Düsseldorf im Bereich Jugendförderung und koordiniert das Mediennetzwerk Düsseldorf. Dirk Poerschke ist MedienSpielPädagoge M.A. im LVR-ZMB
35
02 | DÜSSELDORFER FENSTER
Begabungsförderung im Kooperationsverbund: CCB Düsseldorf
03 Partner im Verbund
Foto
: © D
min
ik S
chm
itz/
LVR
-ZM
B
36
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Begabungsförderung im Kooperations-verbund: CCB Düsseldorf
Im Competence Center Begabtenför-
derung (CCB) erhalten begabte Kinder
und Jugendliche, ihre Eltern, Lehre-
rinnen und Lehrer sowie pädagogische
Fachkräfte kompetente Auskunft,
Beratung und Begleitung zu allen
Aspekten der Begabungsfindung und
-förderung. Nach dem Aufbau der
Beratungsstelle ab 2003 agiert das
CCB mittlerweile im Verbund eines
großen kommunalen Netzwerks und
ist regional und überregional zu einer
zentralen Anlaufstelle geworden. In
der Rolle des Informationsgebers und
Multiplikators ergänzt und bündelt das
CCB die Maßnahmen der verschiede-
nen Düsseldorfer Bildungseinrichtun-
gen zur Begabtenförderung und
etabliert so ein kommunales Netzwerk
an Kooperationspartnern. Dies
geschieht durch Projekte, Publikatio-
nen, Arbeitskreise, Fachtage und
Informationsveranstaltungen, die
regelmäßig stattfinden und stets
aktuelle Praxisthemen und wissen-
schaftliche Erkenntnisse miteinander
verbinden.
Im Mittelpunkt der täglichen Arbeit
des CCB stehen besonders begabte
Kinder, Jugendliche und junge
Erwachsene, und es gilt, deren Lern-
und Lebensumfeld zu erkennen und
zu verstehen und sie in ihren Bega-
bungen/Stärken zu fördern. Zur
Förderung gehören dabei das Auf-
rechterhalten von Motivation und
Kreativität, die Stärkung von Kommu-
nikation und Sozialverhalten sowie
werteorientiertes und verantwortungs-
bewusstes Handeln.
Durch eine psychologische Beratung
von Eltern und Bildungseinrichtungen
und einer differenzierten Diagnostik
mit begleitender pädagogisch-psycho-
logischer Beratung, durch Projekte für
besondere Zielgruppen und durch ein
speziell ausgerichtetes Veranstal-
tungsangebot wird das CCB diesem
Anspruch gerecht.
Die halbjährig erscheinende Broschü-
re »Begabte Kinder und Jugendliche
fördern« informiert über spezielle
CCB-Veranstaltungsangebote:
aktuelle Enrichmentveranstaltungen,
Begabtenförderung an Ganztagsschu-
lenspezielle Angebote der kommuna-
len Kooperationspartner sowie über
Projekte der Stiftung Begabtenförde-
rung Düsseldorf.
Im Rahmen des Veranstaltungspro-
gramms erhalten besonders begabte
Kinder und Jugendliche aus Düssel-
dorf und dem Umland die Möglichkeit,
sich ihrem Anspruch entsprechend
neue Themenfelder zu erschließen,
Gleichgesinnte zum Austausch zu
treffen, Wissen anzureichern und
Freude am Lernen aufrecht zu
erhalten. Das Kursangebot hat
Werkstattcharakter und bietet
anwendungsorientiertes Arbeiten in
folgenden Bereichen an: Technik,
Forschung, Denken (Philosophie),
Schreiben und (Arbeits-) Methodik an.
Die Kurse sind in der Regel als
Seminarreihen angelegt und fördern
den Expertiseaufbau. In den jeweiligen
Oster,- Sommer- und Herbstaka-
demien finden zu den genannten
Themenfeldern Blockseminare und/
oder Vertiefungskurse statt.
Speziell für Lehrerinnen und Lehrer
werden mit »Individuelle Begabtenför-
derung: Begabung erkennen und
fördern« und »Lerncoaching in der
Begabtenförderung» zwei jeweils
einjährige Zertifikatslehrgänge
angeboten.
In der Mainzer Erklärung »Begabung
als Chance nutzen« vom 26.02.2016
haben 13 Bundesländer, darunter
Nordrhein-Westfalen, erklärt, erhöhte
Anstrengungen in der Lehreraus-,
fort- und -weiterbildung zu unterneh-
men. Ziel ist es, die diagnostischen,
didaktischen und kommunikativen
Kompetenzen von Lehrerinnen und
Lehrern im Bereich der schulischen
und außerschulischen Förderung von
leistungsstarken oder besonders
begabten Schülerinnen und Schüler zu
stärken. Dazu sollen weitere praxisna-
he Qualifizierungsangebote u. a. zur
Stärkung der Diagnose- und Bera-
tungskompetenz, zur Verknüpfung von
Diagnose und Förderung, zur Unter-
richtsgestaltung sowie zur Evaluation
der Wirksamkeit von Förderangeboten
entwickelt und spezifische Handrei-
chungen und Materialien zur Verfü-
gung gestellt werden.
Individuelle Förderung in Nordrhein-
Westfalen schließt ausdrücklich die
Förderung leistungsstarker und
hochbegabter Schülerinnen und
Schüler ein. Dazu müssen die Potenzi-
ale der Kinder frühzeitig erkannt und Foto
: © D
min
ik S
chm
itz/
LVR
-ZM
B
37
03 | PARTNER IM VERBUND
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
der Unterricht mittels einer individua-
lisierenden Gestaltung ausgebaut
werden.
Die unterschiedlichen Fähigkeiten der
Schülerinnen und Schüler im vielfälti-
gen Klassenzimmer aufzuspüren, ist
jedoch für Lehrkräfte heutzutage nicht
immer einfach. Der Diagnosekompe-
tenz von Lehrkräften kommt bei dem
Erkennen von Potentialen der Kinder
allerdings eine große Bedeutung zu.
Mit einer guten Diagnose der Lernvor-
aussetzungen, des Lernstands und der
Lernprozesse von Schülerinnen und
Schülern kann eine gezielte Förderung
und Beratung der Lernenden erfolgen.
Diagnostik sollte vor allem den Blick
auf die Ressourcen und Stärken
jeder/s einzelnen Lernenden richten.
Empirische Studien belegen, dass eine
hohe Diagnosekompetenz einer
Lehrkraft zu höheren Leistungen der
Schülerinnen und Schüler führt.1 Es ist
wichtig, dass die Lehrkraft neben der
Urteilsgenauigkeit über passende
Methoden zur Einschätzung von
Schülerleistungen verfügt und
gleichzeitig mögliche Fehlerquellen
kennen und vermeiden sollte. Eine Be-
urteilung der Lernkompetenz eines
Lernenden ist immer vorläufig und
revisionsbedürftig.
Der Austausch mit Kollegen, das
Gespräch mit den Lernenden und die
Einbeziehung der Eltern nehmen bei
der pädagogischen Diagnostik eine
zentrale Bedeutung ein.
Das CCB hat in Kooperation mit dem
Ministerium für Schule und Weiterbil-
dung des Landes Nordrhein Westfalen
und dem LVR-Zentrum für Medien und
1 John Hattie: Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen: Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von »Visible Learning for Teachers«.2014
systematische Beobachtungen der
Lernenden eine sinnvolle Ergänzung
dar, um Informationen über ihre
Lern– und Arbeitsweise zu erhalten.
Eine gute Beobachtung kann dabei am
besten gelingen, wenn die Lernenden
selbständig arbeiten und die Lehrkraft
nicht mit der Unterrichtsführung
beschäftigt ist. Die Dalton-Pädagogik,
die sowohl am Gymnasium Alsdorf als
auch an der Sekundarschule Langen-
berg gelebt wird und die in den
Eingangsmodulen dargestellt wurde,
bietet hier eine sehr gute Möglichkeit,
die Kinder in ihrer selbständigen
Arbeit zu beobachten und den Lern-
prozess z.B. in den Beratungsstunden
der Trios gemeinsam mit den Lernen-
den zu reflektieren.
Die im September 2016 erschienene
DVD knüpft inhaltlich an die stark
nachgefragte und ebenfalls vom
LVR-ZMB produzierte DVD »Marie,
Albert und Pablo in unseren Grund-
schulen. Praxisbeispiele zur individu-
ellen Förderung von Begabten« an.
Sabine Warnecke
Sabine Warnecke ist Leiterin des CCB Düsseldorf
Kontakt:
Competence Center Begabtenförderung Düsseldorf (CCB)im Weiterbildungszentrum am HauptbahnhofBertha-von-Suttner-Platz 3 40227 DüsseldorfMail: [email protected]
Bildung die DVD »Begabtenförderung
im 360° Feedback« produziert. Ziel
war es, innovative Schul- und Unter-
richts-konzepte zur individuellen
Begabtenförderung an weiterführen-
den Schulen vorzustellen und Lehr-
kräften der Sekundarstufe I in NRW
für die tägliche Praxis Wege aufzuzei-
gen, wie die Förderung von besonders
begabten Schülerinnen und Schülern
im Unterricht ermöglicht werden
kann.2
So wird in Filmbespielen nachvollzieh-
bar, wie bedeutsam der Austausch
zwischen den Lehrern sowie den
verschiedenen Schulformen ist. An
diesem Beispiel und auch am Beispiel
von sogenannten Lern-Trios wird
gezeigt, dass Diagnostik ein dialogisch
und kooperativ gestalteter Prozess
sein sollte.
Neben der unsystematischen Alltags-
beobachtung stellen zielgerichtete
2 Die DVD kann im CCB Düsseldorf kostenfrei angefordert werden
38
03 | PARTNER IM VERBUND
Die Fachstelle für Jugendmedienkultur stellt sich vor
Die Förderung von Medienkompetenz ist zu einer gesell-
schaftlichen Querschnittsaufgabe in allen Bildungsberei-
chen geworden. Wie schwer sich allerdings das System
Schule dabei tut, digitale Medien in Lehr- und Lernkontex-
ten zu verankern, beweisen die Reaktionen auf Bundesbil-
dungsministerin Wankas kürzlich veröffentlichte Willenser-
klärung, die Digitalisierung von Schulen zu fördern. Da heißt
es vom Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes, Josef
Kraus, dass es nicht bewiesen sei, dass Schüler/innen mit
Medien besser lernen. Und Naturwissenschaftler Manfred
Spitzer geht sogar noch weiter und bezeichnet den »Digital-
pakt« für Schulen »eine Maßnahme zur Verdummung«.
Gerade hier kann die Jugendhilfe wertvolle Unterstützung
leisten und Freiräume für selbstgesteuertes, medienge-
stütztes Lernen anbieten, aber auch soziale Kompetenzen
vermitteln, über Problematiken ins Gespräch kommen und
die Reflektion des Medienhandelns anregen. Viele Medien-
projekte in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen stehen
allerdings vor dem Problem, dass solche Angebote organi-
satorische, technische und personelle Herausforderungen
an die anbietende Einrichtung und deren MitarbeiterInnen
stellen.
Hier setzt die Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW
(fjmk) in Köln mit ihren zahlreichen Projekten an. Dank
Förderung des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend,
Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalens bietet
sie Jugendämtern und Einrichtungen der Kinder- und
Jugendhilfe Unterstützung beim Aufbau und bei der
Gestaltung ihrer medienpädagogischen Angebote und
Netzwerke direkt vor Ort. Die Mitarbeiter der Fachstelle
stehen beratend zur Seite und unterstützen mit Vorträgen,
Fortbildungen, Projekten, Workshops oder individuell
angepassten Formaten bei der Planung und Durchführung
von medienpädagogischen Konzepten. In der Elternarbeit
z.B. sind die Projekte »Eltern-LAN« und »Eltern/Pädagogen
ONLINE« bewährte Formate, die praktische Erfahrungen in
einem geschützten Raum vermitteln. Das vielfältige
Repertoire der Fachstelle reicht vom Thema Social Media
über digitale Trends bis hin zur frühkindlichen Medienerzie-
hung und Inklusion.
Das seit 2005 bestehende Projekt Spieleratgeber-NRW
versteht sich als pädagogische Ergänzung zu den Alters-
kennzeichen der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle
(USK). Eltern, aber auch Lehr- und pädagogische Fachkräf-
te erfahren in den über 1.100 pädagogische Beurteilungen
von digitalen Spielen eine pädagogische Alterseinschätzung
sowie objektive Informationen zu Inhalt, Präsentation,
Kosten, Anforderungen, Umfang, Wirkung und Bindungs-
faktoren. Das Besondere: Die Spielbeurteilungen entstehen
39
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
in pädagogisch betreuten Testergruppen, in denen Kinder
und Jugendliche die Titel auf Herz und Nieren prüfen und
mit ihren Meinungen die Grundlage für die Beurteilungen
legen. Institutionen aus NRW können sich mit eigenen
Gruppen am Ratgeber beteiligen. Fachkräfte finden
außerdem tiefergehende Informationen zur zeitgemäßen
Medienerziehung und Didaktik. Institutionen, in denen sich
Jugendliche mit Games auseinandersetzen, sind herzlich
eingeladen, sich dem Netzwerk des Spieleratgebers
anzuschließen.
Das Projekt »PowerUp – Medienpädagogik und Erziehungs-
hilfe« unterstützt beispielsweise gezielt Einrichtungen und
Träger der Hilfen zur Erziehung bei der medienpädagogi-
schen Gestaltung des Alltags mit Kindern und Jugendli-
chen. Gefördert wird das Projekt von der Bundeszentrale
für politische Bildung (bpb). Um eine Handlungsfähigkeit
der Fachkräfte in der Praxis zu gewährleisten, stehen die
MitarbeiterInnen von PowerUp den kooperierenden
Einrichtungen der Heimerziehung und der Sozialpädagogi-
schen Familienhilfe unterstützend zur Seite. Die Beratung
bei der Entwicklung eines Leitbildes einer Einrichtung zum
Einsatz von Medien gehört genauso zum Angebotsspektrum
wie die Umsetzung von Medienprojekten vor Ort. Allgemei-
ne Grundbedingungen für die medienpädagogische Arbeit
werden gemeinsam definiert und erarbeitet, um den
Heranwachsenden einen kompetenten, selbstbewussten
und sicheren Umgang mit digitalen Medien vermitteln zu
können. Um nachhaltige Konzepte in den Einrichtungen zu
etablieren, werden zusätzlich Schulungen für die Fachkräf-
te durchgeführt. PowerUp ist bundesweit vernetzend
angelegt, so dass sich interessierte Einrichtungen und
Fachkräfte aus allen Bundesländern an die Projektmitar-
beiterInnen wenden können.
»Gecheckt! – Jugend, Medien und Familie« hingegen richtet
sich an Jugendämter und Jugendverbände in Nordrhein-
Westfalen, die Jugendmedienprojekte konzipieren und
durchführen wollen. Das Besondere: Bei »Gecheckt!«
werden die jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer
als Experten angesehen. Daher ist eine Vorstellung der
Projektergebnisse vor Eltern und weiteren Interessierten
fester Bestandteil des Projekts. Außerdem gewährleistet
eine Schulung für MultiplikatorInnen aus den einzelnen
Städten und Kommunen vor Ort, dass weitere Projekte mit
medienpädagogischem Anteil initiiert und entwickelt
werden. Daher steht auch in der Fortbildung neben einem
theoretischen Hintergrundwissen vor allem das praktische
und aktive Ausprobieren verschiedenster Methoden im
Vordergrund. Weitere Informationen erhalten Sie auf http://
gecheckt-nrw.de/.
Auf der Internetseite der Fachstelle für Jugendmedienkul-
tur NRW www.fjmk.de finden Interessierte noch weitere
Projekte sowie eine Aufstellung über Themen und Angebo-
te. Gerne helfen wir auch ihnen bei der Gestaltung von
Medienprojekten, Vorträgen oder Schulungen »am Puls der
Zeit«.
Torben Kohring
Torben Kohring ist Leiter der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW in Köln
Foto
: © J
an H
üsin
g/ L
VR-Z
MB
40
04 | BERICHTE
Cinemanya - Mit dem Filmkoffer unterwegs zu Flüchtlingskindern
04 Berichte
Foto
: © J
an H
üsin
g/ L
VR-Z
MB
41
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Cinemanya – Mit dem Filmkoffer unter- wegs zu Flüchtlingskindern
Kein Tag in den vergangenen Monaten ohne Nachrichten
von Zerstörung und Flucht, vom Ankommen der Flüchtlinge
aus den Krisengebieten. Zahlreiche Institutionen, Vereine
und kulturelle Träger haben es sich seitdem zur Aufgabe
gemacht, die vielen Menschen, willkommen zu heißen und
ihnen zu helfen, sich in der Fremde, die hoffentlich bald ein
Zuhause sein kann, zurechtzufinden.
Das Goethe Institut ist eine dieser Institutionen. 15 Filmkoffer
hat es für Filmvorführungen mit geflüchteten Kindern und
Jugendlichen zur Verfügung gestellt. Kuratiert wurde die Film-
auswahl vom Internationalen Filmfestival für Kinder und
junges Publikum Schlingel. 18 Langfilme mit arabischen und
deutschen Untertiteln oder in arabischer Synchronfassung
sowie zwei nonverbale Kurz- und Animationsfilmprogramme
sind das Ergebnis. Gesichtet wurden diese Filme von
Mitarbeitern der Stiftung Wings of Hope Deutschland, die den
Inhalt auf mögliche Trauma auslösende Trigger überprüft
haben. Als Projektpartner konnte das Goethe Institut den
Bundesverband Jugend und Film e.V. (BJF) gewinnen. Aus
dessen ca. 1.000 Mitgliedern der kulturellen Kinder- und
Jugendfilmarbeit wurden für jedes Bundesland »Kofferpa-
ten« gewonnen, die als Ansprechpartner für Kulturzentren,
Schulen oder Einrichtungen für Geflüchtete fungieren, diese
aufsuchen und vor Ort Filmvorführungen mit pädagogischen
Begleitaktionen durchführen. Vorrangig sollen möglichst
langfristige Kooperationen zwischen dem Kofferpaten und
den jeweiligen Einrichtungen aufgebaut werden. Mehrmona-
tige Filmreihen, Film- oder Projektwochen sind erklärtes Ziel
des Cinemanya-Projektes. Dank des Goethe Instituts und des
ehrenamtlichen Einsatzes der Kofferpaten entstehen den
Einrichtungen keine Kosten, was die Durchführung der
Veranstaltungen größtenteils überhaupt erst ermöglicht.
Film birgt das wunderbare Potential, kurzweilige Unterhal-
tung mit nachhaltigen Erfahrungen zu verknüpfen. Die
Filmvorführungen im Rahmen von Cinemanya bedeuten
gemeinsames Erleben, Flucht aus dem Alltag, Eintauchen in
Leinwandabenteuer. Sie sind aber auch eine Möglichkeit, ein
Verständnis unserer Kultur zu vermitteln und das Erlernen
unserer Sprache zu fördern. Ausschlaggebend ist hierbei der
gemeinschaftliche Aspekt der Filmvorführungen. Teil eines
Kinopublikums zu sein, erfordert Kommunikation und das
Aushandeln von Bedürfnissen, es bedeutet miteinander Spaß
haben und seine Eindrücke mit seinem Sitznachbarn teilen
zu können. Eine altersgerechte Moderation, die Möglichkeit,
Fragen stellen zu können und anschließende spielerische
oder kreative Aktionen bringen den Film auf eine andere
Ebene und erlauben den Kindern und Jugendlichen, dem
Gesehenen noch einmal nachzuspüren. Filmvorführungen
wie diese helfen, Erfahrungen zu sammeln, die junge
Menschen in ihrer persönlichen Entwicklung weiterbringen
können. In der besonderen Situation der geflüchteten Jungen
und Mädchen vermitteln die Filmvorführungen möglicherweise
schon das Gefühl, am kulturellen Leben unserer Gesellschaft
teilzuhaben und machen im besten Fall Lust auf mehr.
Mir als Kofferpatin auf jeden Fall! Mehr Filmvorführungen,
mehr Erfahrungen, die ich aus jeder dieser Veranstaltungen
mit nach Hause nehme - und gerne mehr Konzepte wie das
in Bielefeld. Dort richten sich die Cinemanya-Veranstaltungen
in einer beschaulichen Einfamilienhaussiedlung, die seit dem
letzten Jahr auch zwei Wohnheime für Geflüchtete umfasst,
gezielt an alle Bewohner des Viertels. Ein Filmnachmittag,
um sich kennenzulernen, Film als Nachbarschaftstreffen.
Zwar haben sich bisher lediglich eine paar Ehrenamtler
unter das Publikum gemischt, doch ich hoffe sehr, dass sich
das bei den kommenden Veranstaltungen ändern wird. Denn
Filmvorführungen, die den Zugang zu unserer Kultur und
Gesellschaft erleichtern sollen, brauchen auch eine Gesell-
schaft, die ihren neuen Mitgliedern Interesse entgegenbringt.
2017 soll das Projekt fortgesetzt werden - mit 20 zusätzli-
chen Koffern, damit noch mehr Kofferpaten unterwegs sein
können. Hinzu kommen zwei neue Filme sowie die Erweite-
rung der Untertitel und Sprachfassungen um Dari.
Weitere Informationen unter: www.goethe.de und www.bjf.info
Franziska Ferdinand
Franziska Ferdinand ist wissenschaftliche Volontärin im LVR-Zentrum für Medien und
Bildung
42
05 | LVR-ZMB INTERN
Sounds of Heimat - Zuhause geht ins Ohr
Neue EDMOND NRW-Landeslizenzen 2016
05 LVR-ZMB intern
Foto: © Dominik Schmitz/LVR-ZMB
43
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Sounds of Heimat - Zuhause geht ins Ohr
Was hat das Tuckern der Schiffe auf dem Rhein mit
Fangesängen oder Regenprasseln gemein? Warum widmet
sich eine Ausstellung dem fröhlichen Stimmengewirr in
der Fußgängerzone, dem behäbigen Schlagen von Omas
alter Uhr oder den piependen Türen eines ICE, der den
Kölner Bahnhof verlässt? Es geht um »Sounds« – um
Geräusche, Klänge, Töne oder Songs – und wie sich in
ihnen ein Stück Heimat spiegelt. Diesen Zusammenhängen
kommt das aktuelle Ausstellungsprojekt des LVR-Instituts
für Landeskunde und Regionalgeschichte auf die Spur.
In Interviews haben Menschen erzählt, was für sie Heimat
bedeutet, inwieweit sich Heimat überhaupt hören lässt und
mit welchen Geräuschen oder Klängen ihre ganz individuel-
len Heimatvorstellungen verbunden sind. Die Interviewpart-
nerinnen und -partner berichten von Geräuscherinnerun-
gen aus der Kindheit oder Klangkulissen der Gegenwart,
von verlorenen und wiederentdeckten Tönen, vom vertrau-
ten Grundrauschen des Alltags oder von Hörerlebnissen im
Freundeskreis. All diese Soundgeschichten bekommen
buchstäblich ein Gesicht, denn die Ausstellungstafeln
zeigen die Beteiligten in großformatigen Fotoporträts,
aufgenommen von einem Fotografen des LVR-Zentrums für
Medien und Bildung. Texte vermitteln schlaglichtartige
Einblicke in die Interviews und über QR-Codes lassen sich
Tondateien aufrufen, welche die »Sounds of Heimat« noch
erlebbarer machen.
Die Porträtserie ist in Köln entstanden, zum Beispiel vor
einem Schiffsanleger am Rhein, in der belebten Fußgän-
gerzone, im privaten Wohnumfeld, in einem kleinen
Plattenladen oder auf dem Südturm des Kölner Doms. Die
Wahl dieser Settings ist natürlich kein Zufall, denn das
Foto sollte die Brücke zum »Sound« schlagen, von dem die
Protagonisten erzählen. Oft stellte sich dabei heraus, dass
sich Heimat zwar nicht ohne weiteres auf ein einzelnes
Geräusch reduzieren lässt, dass sich aber sehr wohl ein
ganz bestimmter Sound auswählen lässt, der für das
Heimatbild der Befragten eine zentrale Bedeutung hat.
Die Qual der Wahl hatten nicht nur Protagonisten mit einer
‚bewegten‘ Biografie, die mit »Heimat« mehrere Orten
verbinden, sondern auch ein überzeugter »kölsche Jung«
wie Markus L. Für ihn war klar, dass sein Sound ausge-
prägten lokalen Bezug haben musste und da gibt es – wie
er sagt – »unzählige Möglichkeiten«, von der FC-Hymne im
Stadion über einzelne Karnevalslieder bis hin zum Glocken-
spiel des Rathauses. Besonders gefällt ihm aber ein Klang,
der direkt auf das Kölner Wahrzeichen schlechthin verweist,
den Kölner Dom mit seinem »Dicken Pitter«, der großen
Glocke, die nur zu bestimmten Anlässen läutet.
Auch viele andere Sounds in der Ausstellung docken an
einen mal mehr, mal weniger konkreten Ort an, mit dem
sich die Interviewpartner verbunden fühlen. So wird das
Tuckern der Schiffe auf dem Rhein für Wolfgang W. zum
hörbaren Symbol für seine Wahlheimat Bonn und der
Klang eines 7/8-Taktes nimmt die in Sarajewo geborene
Kölnerin Dzenita Sch. »in Gedanken mit auf den Balkan«,
obwohl sie sich auch im bunten Kölner Alltag mit seiner
internationalen Straßenmusikerszene zu Hause fühlt.
Dagegen löst die Ansage der Kölner U-Bahnstation
44
05 | LVR-ZMB INTERN
Ausstellungstafel, Foto: © LVR-ZMB/Dominik Schmitz, Grafik: Ute Bley/bleydesign Soundkartons, Foto: © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte/Peter Weber
»Hansaring« für Manja Sch. bei weitem nicht dieselben
Gefühle aus wie der Berliner »Elsterwerdaer Platz«, an
dem ihre Mutter wohnt und wo sie aufgewachsen ist. »Aber
das kann ja noch kommen«, meint Manja, schließlich
wohne sie erst seit zweieinhalb Jahren in Köln.
Andere »Sounds« sind weniger eindeutig räumlich zu
verorten und verweisen eher auf soziale Aspekte: Auf ein
besonderes Lebensgefühl – repräsentiert durch das
lebhafte Stimmengewirr von gut gelaunten Menschen auf
den Straßen oder auf enge familiäre Bindungen, die das
Gefühl von Heimat auslösen, wie das Beispiel vom vertrau-
ten Ticken der Uhr der Großmutter zeigt. In der Ausstel-
lung lassen sich sehr individuelle Geräusche entdecken.
Eines der ungewöhnlichsten steckt möglicherweise im
Porträt von Hellen V. Sie steht unter einem Regenschirm,
dicke Wassertropfen prasseln darauf. Ihre bewegende
Geschichte verrät, warum das Geräusch von Regen sie an
ihre Kindheit im Nordiran erinnert, aus dem sie als junge
Frau geflohen ist.
Auch formalästhetisch gehen die Porträtaufnahmen einen
eher ungewöhnlichen Weg: Um den Fokus auf das Hören zu
richten, sind alle Porträtierten mit geschlossenen Augen
fotografiert worden. Ergänzt werden die Ausstellungstafeln
durch dreidimensionale Objekte – klingende Kartons, auf
und in denen sich weitere Sound- und Heimatgeschichten
entdecken lassen. Sie machen bewusst, dass Heimat oft
mit vertrauten, alltäglichen Geräuschen zu tun hat. Wobei
diese Geräusche nicht zwangsläufig angenehm sein
müssen, auch der zuweilen nervige nächtliche Lärm im
Ausgehviertel vor der Haustür kann zur Klangkulisse
werden, die ein wohliges Heimatgefühl auslöst.
Die Ausstellung ist Teil der Reihe »Wo ist dann meine
Heimat …?«, die das LVR-Institut mit wechselnden Koope-
rationspartnern – Schulen, Museen und anderen Institutio-
nen – seit fünf Jahren immer wieder ergänzt und variiert.
Und da Heimat viele verschiedene Facetten hat, wechseln
auch die Schwerpunkte der Ausstellung. Bisher ging es
zum Beispiel um »Heimat in einem interkulturellen
Stadtviertel«, um den Zusammenhang zwischen Essen und
Heimat oder – unter der Frage »Woran glaubst du?« – um
die mentale Heimat. Ziel des Projektes ist es, Vielfalt
abzubilden und auf empirischer Basis Antworten auf die
Fragen zu finden: Wie funktioniert Heimat in einer zuneh-
mend interkulturellen Welt? Was braucht es, damit sich
Menschen an einem Ort oder in einer Gemeinschaft
zuhause fühlen?
Gabriele Dafft
Gabriele Dafft ist wissenschaftliche Referentin im LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte
Sounds of Heimat
Konzeption: Gabriele Dafft/LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte
Porträtfotos: Dominik Schmitz/LVR-Zentrum für Medien und Bildung
Konzeption: Ute Bley, bleydesign
Weitere Informationen unter www.rheinische-landeskunde.lvr.de
45
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Zwei Lilienthals, die nicht fliegen, aber fotografieren konnten
Luftaufnahme von Dinslaken mit dem Marktplatz, Foto: © Stadtarchiv Dinslaken
Mitten in der Stadt hat Dinslaken sich
mit dem Neubau eines Stadtarchivs
selber beschenkt: Dank der modernen
und zugleich zurückhaltenden
Fassade fügt es sich zum einen
harmonisch in die Umgebung am
Platz d'Agen ein und verleitet regel-
recht dazu einzutreten, zum anderen
kann es mit Schätzen aufwarten, die
bislang vielleicht noch nicht ins
Blickfeld der Öffentlichkeit geraten
sind.
Schon lange vor dem Umzug des
Archivs mit seinen gesamten Bestän-
den aus Urkunden, Akten, Büchern
und Fotos, war beschlossen worden,
sich um die eigene Glasplattensamm-
lung zu kümmern, die den Kern aller
historischen Fotos der Stadt bilden
und somit von besonderem Wert für
die Stadtgeschichte sind.
Das Stadtarchiv besitzt die Nachlässe
der Fotografen Köddermann sowie
Vater und Sohn Lilienthal, die in
Dinslaken über zwei Generationen ein
Fotoatelier betrieben. Dieses Konvolut
umfasst über 850 Glasplattennegative
aus der Zeit von circa 1870 bis in die
1930er-/1940er-Jahre.
Historische Glasplatten sind unge-
heuer empfindlich und sollten aus
konservatorischen Gründen nicht
mehr zur Betrachtung am Original zur
Verfügung gestellt werden. Um diesen
Schatz der Öffentlichkeit dennoch
präsentieren zu können, entschloss
man sich, den gesamten Bildbestand
im LVR-ZMB digitalisieren zu lassen.
Dort wurden die Glasplatten behut-
sam von Staubpartikeln gereinigt und
anschließend hochauflösend digitali-
siert. Auf eine umfassende Restaurie-
rung beschädigter Glasplatten wurde
bewusst verzichtet, um eine größt-
mögliche Originalität zu bewahren.
Nach der Digitalisierung konnten die
Glasplatten endlich unter angemesse-
nen Bedingungen eingelagert und für
die Zukunft dauerhaft gesichert
werden. Nun steht allerdings noch die
46
Erschließung der Sammlung an, da
inhaltliche Beschreibungen oder
weitere Angaben zu den Aufnahmen
zum größten Teil nicht vorliegen.
Und was zeigen uns die Aufnahmen?
Es sind vor allem Stadtansichten:
öffentliche Gebäude, Kirchen, Ge-
schäfts- und Gasthäuser, Wohnhäuser
und Villen oder den Bahnhof, Gebäude,
die die Lilienthals auf ihren Streifzü-
gen festgehalten haben und die
oftmals nicht mehr existieren. Es gibt
Innenaufnahmen, die eine Vorstellung
von Leben und Arbeit in der ersten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts
vermitteln. Die Fotos dokumentieren
große Infrastrukturprojekte wie
Kanalbauten, wir sehen Unwetter-
schäden durch Sturm oder Hochwas-
ser. Die Sammlung enthält Aufnahmen
von Festumzügen, Paraden und
Aufmärschen sowie zahlreiche
Gruppenaufnahmen oder Porträts.
Und die Fotos geben die Zeit des
Nationalsozialismus in Dinslaken
wieder, berichten von Zerstörungen
oder Verwüstungen im Zuge des
Ruhrkampf zwischen der Roten
Ruhrarmee und republikfeindlichen
Freikorps und Reichswehrtruppen und
lassen schießlich auch die Hochzeit
der Schwerindustrie in der August
Thyssen-Hütte mit Aufnahmen des
Ehepaar Althoff, Foto: © Stadtarchiv Dinslaken Badezimmer im Krankenhaus, Foto: © Stadtarchiv Dinslaken
Auf der Kinderstation. Foto: © Stadtarchiv Dinslaken
47
05 | LVR-ZMB INTERN
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Hüttenwerks, Fotografien der Arbeiter
und Arbeiterinnen oder Reproduktio-
nen des gesamten Industriekomplexes
wieder lebendig werden.
Die digitalisierten Aufnahmen können
an Bildschirmarbeitsplätzen einge-
hend betrachtet werden. Wenn Sie es
nicht bis nach Dinslaken schaffen,
besuchen Sie das Stadtarchiv einfach
auf Facebook. Die MitarbeiterInnen
stellen dort größere oder kleinere
Links oben: Fabrikarbeiterinnen. Rechts oben:
Segelflieger am Neutor. Links unten: Produktions-
halle (Fotos: © alle Stadtarchiv Dinslaken)(
Trouvaillen vor, geben regelmäßig
Einblick in Arbeit des Kommunalar-
chivs und erzählen interessante
Geschichten anhand des Archivmateri-
als - immer mit schönem, unbekann-
tem Bildmaterial (https://www.
facebook.com/stadtarchivdinslaken/?r
ef=ts&fref=ts)
Kontakt:Stadtarchiv DinslakenElmar-Sierp-Platz 146535 DinslakenGisela Marzin (Leiterin)Telefon: 02064-4789475
Öffnungszeiten: Dienstag und Mittwoch von 08:00 - 12:00 Uhr und 14:00 - 16:00 Uhr
Michael Jakobs
Michael Jakobs ist Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im LVR-Zentrum für Medien und Bildung
48
Medienpass NRW goes Berufskolleg. Die Entwicklung
eines Medienkonzepts
06 Medienberatung NRW
Foto
: © R
awpi
xel.
com
/ Sh
utte
rsto
ck
49
05 | MEDIENBERATUNG NRW
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Medienpass NRW goes Berufskolleg. Die Entwicklung eines Medienkonzepts
Foto
: © S
tefa
n A
rend
t / L
VR-Z
MB
Claudia Hopstein im Interview mit Heinrich Kuypers,
stellvertretender Schulleiter, und David Körner, Team
Medienkonzept, des Lore-Lorentz-Berufskollegs in Düssel-
dorf, über die Entwicklung eines Medienkonzepts.
CH: Was bedeutet Medienkompetenz für Sie?
DK: Kurz gesagt, ist es nichts anderes als der pragmatische
Umgang mit einem Werkzeug. So wie bei einem Taschen-
messer: Man muss die Fähigkeit haben, das Ding sinnvoll
einzusetzen! Wo kann ich mich verletzen? Wie kann ich
damit produktiv bzw. kreativ und effektiv arbeiten?
HK: Und die Schüler nutzen diese Werkzeuge schon. Es ist
also unser Ziel und unsere Verantwortung, die entspre-
chenden Kompetenzen zu vermitteln, damit sie sie sicher
anfassen und effektiv einsetzen können.
CH: Wie schafft es ein so komplexes System wie ein
Berufskolleg, mit allen Beteiligten an diesem Ziel zu
arbeiten?
DK: Das ist eine Herausforderung an uns Lehrkräfte. Wir
mussten überlegen, wie trotz der Heterogenität unserer 14
Bildungsgänge, allen Schülern Medienkompetenz vermit-
teln werden kann. Der Medienpass NRW bietet hier einen
fruchtbaren Ansatz: der Kompetenzrahmen benennt die
(fünf) grundlegenden Kompetenzbereiche . Und unsere Idee
ist, das Ganze in Unterrichtsmodule zu packen, die gewisse
Standards im Sinne des Kompetenzrahmens des Medien-
passes erfüllen müssen, gleichzeitig aber auch bildungs-
gangspezifisch angepasst werden können. Somit wird
sichergestellt, dass alle Kompetenzbereiche abgedeckt
werden, die jeweiligen Inhalte der Module aber gleichzeitig
an die speziellen Bedürfnisse der einzelnen Bildungsgänge
angepasst werden können. Wir sagen nicht: Medienkompe-
tenz muss in einem eigenen Unterrichtsfach gelernt
werden, die Kompetenzen können in das, was bereits da ist,
einfließen.
HK: Genau, denn es passiert ja schon! In ganzen vielen
Unterrichtssituationen werden diese Kompetenzen bereits
gefördert – »Kommunizieren und Kooperieren« ist der Klas-
siker. Dies passiert eigentlich immer, es muss nur bewusst
gemacht und konkretisiert werden.
CH: Um dies zu ermöglichen, haben Sie ein neues Medien-
konzept entwickelt. Was war das grundlegende Ziel?
DK: Jungen Erwachsenen Medienkompetenz vermitteln und
klar machen, dass es im Zeitalter der Digitalisierung
absolut notwendig ist, sich auch mit den digitalen Medien
auseinandersetzen, um letztendlich im Alltag und der
Berufswelt klar zu kommen.
50
06 | MEDIENBERATUNG NRW
Foto: © LVR-ZMB / Stefan ArendtFoto
: © L
VR-Z
MB
/ St
efan
Are
ndt
Dabei ist aber auch zu beachten, dass Medienkompetenz,
heute beinahe ausschließlich daran festgemacht wird, ob
ein iPad oder Tablett genutzt wird. Im Endeffekt können die
meisten Kompetenzen, die im Kompetenzrahmen genannt
werden, auch gut mit anderen Medien – sei es OHP, sei es
Buch – gefördert werden. Die Fähig- und Fertigkeiten, die am
Ende wichtig sind, haben nichts mit dem Gerät an sich zu tun.
CH: Das heißt doch, es müssen Dinge festgeschrieben
werden. Und das wird dann anhand von Kompetenzberei-
chen gemacht, die dann auf konkrete Unterrichtsbeispiele
herunter gebrochen werden?
DK: Richtig! In unserem Medienkonzept haben wir einen
grundlegenden Rahmen geschaffen, die tatsächliche Arbeit
findet dann aber in den Bildungsgang-Konferenzen statt.
Dort wird dann überlegt, an welchen Stellen die Kompe-
tenzvermittlung in unsere bereits existierende didaktische
Jahresplanung einfließen kann.
CH: Wie geht es weiter im Prozess? Welche Gremien sollten
noch eingeschaltet werden? Das hat viel mit Schulentwick-
lung zu tun. Alle Beteiligten sollen mit ins Boot, da gibt es
sicherlich auch einige Herausforderungen?
HK: Ganz wichtig ist maximale Transparenz, damit die
Kollegen nicht irgendwann das Gefühl haben: Ich habe den
Prozess gar nicht mitbekommen und plötzlich kommt
dieses Monster auf mich zu und ich weiß gar nicht, was das
ist. Das Kollegium muss immer genau wissen, da stehen
wir, das machen wir, d.h. Herr Körner bereitet mit seinem
Team »Medienkonzept« alles vor, überlegt die nächsten
Schritte und zieht damit durch alle Gremien - besonders die
Lehrerkonferenz ist immer ganz eng mit dabei.
DK: Genauso wichtig ist, die Schüler an den entscheidenden
Stellen mit ins Boot zu nehmen. So haben wir zu Beginn die
Schülervertretung eingeladen und sie gefragt: Wo habt ihr
denn mal ein Problem gehabt, was unbedingt gelöst werden
soll? Denn für die Schüler stehen natürlich nicht didaktische
Theorien im Vordergrund, sondern sie sehen sehr konkret
welche Fähigkeiten, sie für welche Anforderung brauchen.
Welche Geräte benutzt werden können.
HK: Ein weiterer sehr wichtiger Partner ist der Schulträger:
Ohne den Schulträger funktioniert das nicht. Der muss
wissen, was macht die Schule und wir mussten vom Schul-
träger auch wissen, in welche Richtung er sich entwickeln
will. Man braucht in Schule ganz viel manpower für Dinge,
die eigentlich kein Lehrer machen muss und sollte. Das
erzeugt Unmut bei den Kollegen. Wenn man mit dem Schul-
träger auf einer Linie ist, erleichtert das die Sache und es
werden nicht unnötig Ressourcen von Lehrerseite verbraucht.
Foto
: © S
tefa
n A
rend
t / L
VR-Z
MB
51
Für administrative Angelegenheiten gibt es jemanden bei
der Stadt, der wird dafür bezahlt, der kann das viel besser
als die meisten Kollegen. Und das ist ein ganz wichtiger
Punkt: Man hat einen Ansprechpartner bei der Stadt!
CH: Was ist noch wichtig, um den Prozess nachhaltig
effektiv gestalten zu können und alle mitzunehmen?
DK: Man muss dafür sorgen, dass Dinge funktionieren.
Wenn die Geräte laufen, entwickeln die Kollegen Vertrauen
und fangen selber an, auszuprobieren. Und wenn sie mal
nicht funktionieren, dann muss es einen Ansprechpartner
geben, der sich kümmert. Diese Dinge müssen neben den
konzeptionellen Ideen unbedingt mitgedacht werden.
CH: Neben der Ausstattung ist das pädagogisch-didakti-
sche Konzept, das Sie kurz erwähnten, ein weiterer
Baustein des Medienkonzeptes.
DK: Genau! Hier ist der nächste Schritt der Aufbau von
Unterrichtsmodulen, die sich alle auf die im Kompetenzrah-
men genannten Kompetenzbereiche und Teilkompetenzen
beziehen. So soll ein Pool von fertigen Unterrichtsbeipielen
wachsen, die in den einzelnen Bildungsgangkonferenzen
konkretisiert werden können. Das Team »Medienkonzept«
hat ein Beispielmodul zum Thema »Podcast« erstellt und
wird zukünftig mit interessierten Kollegen überlegen, zu
welchen Unterrichtsthemen, die laut Lehrplan sowieso
vorgesehen sind, weitere Module entwickelt werden
können. Die didaktische Jahresplanung muss also nicht
geändert werden, sondern in den Bildungsgangkonferenzen
wird zukünftig überlegt, an welcher Stelle der Planung man
auch auf ein Unterrichtsmodul zurückgreifen könnte.
CH: Wie sieht es mit dem dritten Baustein, der Fortbildung, aus?
HK: Ausgangspunkt war ein Beschluss der Lehrerkonfe-
renz: Es gab ein Bedürfnis, nach einer Fortbildung zum
Thema »Medien« .
DK: Bei der Umsetzung hatten wir die Unterstützung des
Kompetenzteams bzw. des Medienberater, der gemeinsam
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Foto
: © S
tefa
n A
rend
t / L
VR-Z
MB
52
mit uns überlegt hat, wie ein Medienkonzept aussehen
muss und welche Ansatzpunkte es gibt. Am Ende des
Fortbildungstages haben wir festgestellt, dass der Medien-
pass NRW eine sehr gute Grundlage ist. Ich bin dann mit
unserem Medienberater in Kontakt geblieben, er hat uns
weiter unterstützt und auch Kontakt zum Schulträger
aufgenommen.
CH: Welche Herausforderungen können Sie auf dem
bisherigen Weg nennen?
DK: Zunächst die richtigen Ansprechpartner zu finden. Und
dann die ganze zeitaufwändige, praktische Arbeit, die
Recherche und besonders auch die Wartung der Geräte.
HK: Bedenken und Ängste der Kollegen wahrnehmen! Ein
ganz wesentlicher Schritt war es für uns auch, zu sagen: Es
ist alles freiwillig, keiner muss das machen! d.h. es gibt
weiterhin Kollegen, die zunächst lieber mit dem OHP
arbeiten und das ist dann in Ordnung.
CH: Wie kann eine Nachhaltigkeit des Konzeptes gewähr-
leistet werden? Welche Gelingensbedingungen würden Sie
identifizieren.
DK: Zunächst die Kollegen ins Boot holen, die Lust darauf
haben und - keinen Zwang ausüben! Mittelfristig sollten die
Module jedoch konsequent in den didaktischen Jahrespla-
nungen verankert werden, denn es muss am Ende Verläss-
lichkeit geschaffen werden.
HK: Es reicht nicht, sich ein System zu überlegen, sondern
es muss gelebt werden! Und dafür ist es wichtig, die
Stunden, die wir jetzt als besondere Belastung der Kollegen
investiert haben, auch weiterhin als Entlastungsstunden zu
bekommen, damit eine praktische Umsetzung im Schulall-
tag funktionieren kann und Standards gesetzt werden.
DK: Und durch die aktuellen poltischen Entscheidungen auf
Bundes- und Landesebene kommt natürlich etwas ins
Rollen z.B. in Richtung WLAN-Ausstattung von Schulen.
Bisher war nicht immer klar: In welche Richtung bewegt
sich was? Was stellt man den Schulen zur Verfügung? iPads
oder BYOD? Eine eigene Schulcloud? Und da hoffen wir in
Zukunft auf möglichst konkrete, verlässliche Entscheidungen.
CH: Die letzte Frage ist immer die nach den Wünschen….
HK: Wie angesprochen: Eine politische Entscheidung, in
welche Richtung es geht. Klare Signale senden und den
Schulen verlässlich sagen: Das sind Standards und diese
Standards müssen erfüllt sein. Meiner Meinung nach
müsste das auf Bundesebene entschieden und auf die
Länder runter gebrochen werden.
DK: Das kann ich nur unterstützen. Man muss sich auf
verschiedenen Ebenen (Schulträger, Land, Bund) im Klaren
sein, dass der Einsatz von Medien nur gelingen kann, wenn
nicht nur Zeit und finanzielle Mittel verwendet werden, um
die Geräte in die Schulen zu bringen, sondern nachhaltige
Prozesse entwickelt werden, wie die Geräte gewartet
werden können. Dass Absprachen mit den Schulen getrof-
fen werden, darüber, was Schulen wirklich brauchen.
Und dass bezüglich pädagogischer Konzepte Verlässlichkeit
herrscht, Standards entwickelt werden und in einem halben
Jahr nicht wieder alles umgekrempelt wird.
HK: Eine Sache ist noch immens wichtig: dass die Lehrer
lehren können und nicht nur technisch beschäftigt sind.
Man hat diesen Beruf gewählt, weil man gerne mit Men-
schen zusammen arbeitet und ihnen etwas vermitteln
möchte und deswegen darf die Zeit nicht dafür verwendet
werden, sich um die Technik kümmern zu müssen. Ein
Lehrer musste früher auch nicht erst eine Schiefertafel aus
dem Berg schlagen – glaube ich zumindest…! Alles, was mit
Unterricht, pädagogischen Prozessen zu tun hat, sollte bei
der Schule bleiben, alles, was mit technischen Dingen zu
tun hat, sollte an ein Amt abgegeben werden, wo die
Fachleute sitzen.
Claudia HopsteinClaudia Hopstein ist pädagogische Mitarbeiterin der Medienberatung NRW
06 | MEDIENBERATUNG NRW
53
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Neuerwerbungen 2016: Landeslizenzen für EDMOND NRW
07 EDMOND NRW
Foto: © Flegere / Shutterstock
54
Foto: © Flegere / Shutterstock
07 | EDMOND NRW
Neuerwerbungen 2016: Landes- lizenzen für EDMOND NRW
Schrecken ohne Ende
D 2012, 7 Min., DVD-Signatur: 4675307, Online-Signatur: 5563555
Eignung: Elementarbereich
Wenn die beste große Schwester der Welt wegziehen will, braucht man einen
echt guten Plan, um das zu verhindern. »Schrecken ohne Ende« erzählt die zu
Herzen gehende Geschichte eines kleinen Jungen, der verzweifelt versucht,
seine große Schwester daran zu hindern, von zu Hause auszuziehen. Erst
allmählich begreift er, dass das Abschiednehmen von einer geliebten Person
zum Älterwerden dazugehört.
Das Bild der Prinzessin
D 2010, 6 Min., DVD-Signatur: 4669433, Online-Signatur: 5560246
Eignung: Elementarbereich, Klasse 1-4, Sonderschule
Eine kleine Prinzessin malt ein Bild von einer Kuh und erntet von den Bedienste-
ten des Schlosses wie gewohnt Lob für ihre Malkünste, auch wenn keiner den
Bildinhalt erkennen kann. Nur der Gärtner erhebt Widerspruch. Entsetzt lässt
sie ihn in den Kerker werfen und versucht ihn umzustimmen. Der Gärtner
sensibilisiert die Prinzessin durch Fragen und empfiehlt ihr, sich eine Kuh aus
der Nähe anzuschauen. Beim erneuten Versuch die Kuh zu malen, befielt sie den
Bediensteten die Kuh in eine unnatürliche Position zu bringen. Sie erwartet, dass
sich die Natur ihrer kindlichen Vorstellung anzupassen hat. Erst als die Prinzes-
sin sich auf die Kuh und ihre Natur einlässt, ist sie in der Lage, diese auch genau
zu malen.
55
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Der verlorene Otto
D 2012, 7 Min., DVD-Signatur: 4670175, Online-Signatur: 5560674
Eignung: Klasse 1-4, Sonderschule
Als Otto wieder einmal von seinen Eltern angemeckert wird, während seine
ältere Schwester wie immer die Tolle ist, reicht es ihm. Er schnappt sich seinen
Rucksack, sein Taschengeld sowie sein Kuscheltier - und geht einfach weg.
Anfangs genießt der Junge seine Freiheit in vollen Zügen: keine Anweisungen,
keine Regeln, keine Beschränkungen. Aber als die Dämmerung anbricht und es
kalt wird auf dem Spielplatz, fühlt er sich doch ziemlich verlassen. Otto kehrt
zurück und findet auf der heimatlichen Straße seine ihn aufgeregt suchende
Familie vor. Alle sind froh, ihn heil wieder zu bekommen. Das gilt sogar für seine
Schwester.
Der fliegende Jakob
D 2015, 7 Min., DVD-Signatur: 4675743, Online-Signatur: 5563809
Eignung: Klasse 1-4, Sonderschule
Jakob ist anders als die anderen. Anstatt mit dem Krabbeln zu beginnen, fliegt er
eines Tages plötzlich aus dem Kinderwagen hinaus, hebt einfach ab. Seinen
Eltern steht sprachloses Erstaunen ins Gesicht geschrieben, ihnen ist das
irgendwie nicht recht, etwas zu seltsam. Doch bleibt ihnen keine Wahl, fortan
fliegt ihr Sohn über den Dächern der Stadt. Als die Eltern eines Tages den Urlaub
im sonnigen Süden buchen, will Jakob kein Flugticket, sondern fliegt natürlich
selbst. Unterwegs schließt er sich einem Vogelschwarm auf dem Weg nach
Süden an, Doch wird diese herrliche Reise jäh unterbrochen, als eines der
Vögelchen in die Fänge des berühmt-berüchtigten Vogelfängers Mörtel gerät.
Jakob und seiner Vogelschar gelingt es, Herrn Mörtel zu überlisten und nicht nur
den vermissten Kameraden, sondern auch alle anderen gefiederten Häftlinge zu
befreien. Jakob nimmt Abschied, um seinen wartenden Eltern nachzureisen.
Sterne, Hirten, Engel und ein Stall
D 2014, 12 Min., DVD-Signatur: 4673041, Online-Signatur: 5562020
Eignung: Klasse 1-2, Sonderschule
Das Medium beinhaltet sechs kurze Trickfilme zu den Bildergeschichten aus der
Zeitschrift »Hallo Benjamin!«. Die Filme greifen verschiedene Weihnachts-
symbole wie »Sterne«, »Engel«, »Hirten« und »Stall« auf und erzählen jeweils
eine kleine Geschichte, die die Weihnachtsbotschaft vermitteln soll.
56
07 | EDMOND NRW
Jesu Geburt
D 2014, 8 Min., DVD-Signatur: 4611110, Online-Signatur: 5511110
Eignung: Elementarbereich, Klasse 1-4, Sonderpädagogische Förderung
Weihnachten ist ein zentrales Fest im Leben von christlichen Kindern. Doch was
wird da eigentlich gefeiert? Diese Produktion ermöglicht den Kindern mittels
der verfilmten Bilder des Künstlers Dieter Konsek, die Bibelgeschichten rund
um die Geburt Jesu zu erleben. Jesus, der in ärmlichsten Verhältnissen, in
einer Futterkrippe zur Welt kommt, bringt für uns eine Botschaft mit in die Welt.
Der Film und die Arbeitsblätter können in der Vorschule sowie in der Grund-
und Förderschule eingesetzt werden. Für die Zielgruppe Kinder mit Förderbe-
darf sind Arbeitsblätter mit angepasstem Niveau und größerer Schriftgröße
vorhanden.
Die Mendel'schen Regeln - Grundlagen der Vererbung
D 2014, 17 Min., DVD-Signatur: 4611071, Online-Signatur: 5511071
Eignung: Klasse 8-10
Wie geben Eltern ihre Merkmale an die Nachkommen weiter? Geschieht dies
zufällig oder folgt die Vererbung ganz bestimmten Regeln? Mit diesen Fragen
beschäftigte sich auch schon Johann Gregor Mendel, als er Mitte des 19.
Jahrhunderts mit seinen Forschungen zur Vererbung begann. Durch seine
Kreuzungsversuche mit der Gartenerbse konnte er zeigen, nach welchem Muster
Eigenschaften von Eltern an ihre Nachkommen weitergegeben werden.
In aufwendigen Animationen greift die Produktion Mendels Aspekte auf und
erklärt anschaulich und adressatengerecht die drei Mendel'schen Regeln. Auch
auf ihren Nutzen in der Züchtung und der Humangenetik wird eingegangen.
Neben Film und Sequenzen stehen Arbeitsblätter, Infotexte, Grafiken und weitere
ergänzende Unterrichtsmaterialien zur Verfügung.
Günter der Igel - Deutsch? Gefällt mir!
D 2015, 10 Min., DVD-Signatur: 4674586, Online-Signatur: 5563130
Eignung: Klasse 1-2
Der Film erzählt von einem kleinen Igel, der in einem Gebüsch im Pausenhof
einer Grundschule lebt. Eine Schülerin entdeckt den Igel und ihre Lehrerin greift
das Thema für den Unterricht auf: Was frisst ein Igel? Wo hält er seinen Winter-
schlaf? Durch die Jahreszeiten begleiten und beobachten die Kinder den Igel, der
im Lauf der Geschichte immer zutraulicher wird.
57
Die Zelle: Zellteilung – Mitose
D 2012, 17 Min., DVD-Signatur: 4602829, Online-Signatur: 5501642
Eignung: Sek. I und II
Die Produktion »Die Zelle: Zellteilung - Mitose« erklärt mithilfe anschaulicher
Animationen, welche Vorgänge während der Mitose in unserem Körper ablaufen:
Der Film stellt zunächst Bau und Funktion tierischer bzw. pflanzlicher Zellen dar.
Dabei werden die einzelnen Zellorganellen und deren Funktionen in der Zelle
erläutert. Im Anschluss werden der Bau eines Chromosoms und der Aufbau der
DNA, sowie die Replikation behandelt. In diesem Zusammenhang werden die
komplementären Basenpaare erklärt. Die einzelnen Phasen der Mitose werden
dargestellt und detailliert beschrieben. Zuletzt wird der gesamte Zellzyklus einer
Zelle noch einmal eingängig zusammengefasst.
Gentechnik I – Grundlagen
D 2015, 35 Min., DVD-Signatur: 4673501, Online-Signatur: 5562232
Eignung: Sek. I und II
Die Filme erklären mithilfe 3D-Computeranimationen die grundlegenden
Arbeitsschritte, mit denen die Gentechnik arbeitet. Die Möglichkeiten von
Forschung, Entwicklung und Produktion in der Gentechnik werden aufgezeigt.
Gentechnik II – Identifizierungsmethoden
D 2015, 32 Min., DVD-Signatur: 4673502, Online-Signatur: 5562233
Eignung: Sek. II
Die Filme erklären mithilfe von 3D-Computeranimationen die grundlegenden
Arbeitstechniken und -methoden, die die Gentechnik bis heute entwickelt hat,
um einzelne Gene in prokaryotischen und eukaryotischen Organismen zu identifi-
zieren.
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
Foto
: © J
an H
üsin
g/ L
VR-Z
MB
58
08 | LERNORT KULTUR
Wir WirtschaftsWunderKinder
Spielen und Spielzeug in den 1950er- und 1960er-Jahren
08 Lernort Kultur
Foto
: © J
an H
üsin
g/ L
VR-Z
MB
59
Wir WirtschaftsWunderKinder.Spielen und Spielzeug in den 1950er- und 1960er-Jahren
In der Nachkriegszeit und den beiden
folgenden Jahrzehnten erlebte die
Generation der heute Fünfzig- und
Sechzigjährigen ihre Kindheit. Diese
Zeit bildet seit einigen Jahren einen
Sammlungsschwerpunkt im Rheini-
schen Landesmuseum für Volkskunde,
denn auch am Spielzeug kann man
MEDIENBRIEF | N° 01.2016
den Wandel aufzeigen, der sich in
diesem Zeitraum in Technik, Wirt-
schaft, Kultur und sozialem Leben
vollzieht. Die Erwachsenen sind mit
dem Aufbau beschäftigt, während viele
Kinder zu »Schlüsselkindern« werden.
Die überkommenen Familienstruktu-
ren mit der Hausfrauenrolle für die
Foto: Anneliese Heymann / Euskirchen
60
08 | LERNORT KULTUR
Mütter werden langsam aufgeweicht,
und das Familienbild wandelt sich. Die
Ausstellung blickt mit Spielzeugen,
Kleidung, Fotos und Filmen auf diese
spannungsreiche Zeit von 1950 bis
zum Beginn der ersten Rezession 1967
zurück.
Nach dem Krieg müssen unzählige
Familien in Notunterkünften leben,
für Spielzeug, geschweige denn
Kinderzimmer fehlen Platz und Geld.
Die Kinder spielen im Freien, oft mit
selbst gebauten Spielgeräten. Ruinen
und Trümmer des Zweiten Weltkriegs
sind beliebte – und gefährliche –
Spielplätze. Die Besucher können sich
durch Fotos, Notspielzeuge sowie ein
selbst gemaltes Märchenbuch einen
Eindruck dieser Zeit verschaffen.
Einen eigenen Raum zu haben - nicht
nur zum Schlafen, sondern vor allem
zum Spielen - ist für die meisten
Kinder bis weit ins 20. Jahrhundert
hinein unvorstellbar. Erst als in den
1950er-Jahren neuer Wohnraum
geschaffen wird, erhält das Kinder-
zimmer einen festen Platz in den neu
errichteten Häusern und Wohnungen.
Es wird ein Raum zum Spielen, aber
auch für die Erziehung. An den
ausgestellten Objekten lassen sich
gesellschaftlicher und modischer
Wandel ebenso die technische
Innovationen der Zeit nachempfinden.
Es entstehen und etablieren sich
Unterhaltungsformate, die man eigens
für Kinder entwickelt. Comicfiguren
wie »Fix und Foxi« oder »Ritter
Sigurd« sind Lieblinge der Kleinen. Im
Kino und TV begeistern »Das doppelte
Lottchen«, die tierischen Helden »Las-
sie« und »Flipper« und »Winnetou«.
Die Radioanstalten bieten mit ihrem
»Schulfunk« pädagogisch-unterhalt-
same Sendungen an. Originaltöne und
bewegte Bilder aus dieser Epoche
werden über eine zeitgenössische
Fernsehtruhe und eine Hörstation
präsentiert. Das Wirtschaftswunder
macht erstmals wieder einen Urlaub
möglich. 1955 unternimmt jeder
Fünfte eine Urlaubsreise. Die Freizeit
ist anders bemessen als heute. Noch
gilt eine 6-Tage-Woche und der
Jahresurlaub liegt zwischen 12 und 21
Tagen im Jahr. Kostspielige Fahrten
ins Ausland sind zu Beginn der
1950er-Jahre noch die Ausnahme. Die
meisten verbringen ihren Urlaub im
Inland. In den Schulen knüpft man an
die Lerninhalte der 1920er–Jahre an.
Nach und nach werden neue Unter-
richtsmaterialien entwickelt. Die
Schiefertafel wird bald durch Schreib-
hefte ersetzt. Durch die Kriegsverluste
herrscht Mangel an Lehrkräften, so
dass viele Kinder in eine Klasse
gehen. Auf den Dörfern gibt es bis in
die 1960er-Jahre Schulen mit einer
Klasse für verschiedene Jahrgänge.Foto: Hans-Theo Gerhards /
LVR-Freilichtmuseum Kommern
Foto: Hans-Theo Gerhards / LVR-Freilichtmuseum Kommern
9 | LERNORT KULTUR
61
MEDIENBRIEF | N° 01.2015
Der technische Fortschritt prägt die
Wirtschaftswunderzeit. Durch die
neuen Entwicklungen auf dem
Automobil-, Eisenbahn- und Flug-
zeugmarkt nimmt die individuelle
Mobilität der Bevölkerung zu. Die
Faszination des Fahrens und Reisens
spiegelt sich im Spielzeugautomobil
der 1950er- und 1960er-Jahre wider.
Spielzeughersteller reagieren schnell
MEDIENBRIEF | N° 02.2016
auf die neuen Modelle der Automobil-
industrie mit Produkten im kleinen
Format. Die vor allem technikbegeis-
terten Väter lassen ihre Söhne am
neuen Spielzeug und den neuen
Spielformen teilhaben.
Neben Trümmerlandschaften dienen
vor allem die noch von wenigen Autos
befahren Straßen sowie Parks und
© LVR-Zentrum für Medien und Bildung
Baustellen als Spielplätze. Kinder
lassen hier den Kreisel drehen, den
Drachen steigen, spielen Cowboy und
Indianer und schwingen den Hula-
Hoop-Reifen um die Hüfte. In der
Ausstellung werden viele dieser
zeittypischen Straßenspiele und
Aktivitäten gezeigt. Zu sehen sind aber
auch Rollschuhe, Tretroller und
Spielautos, mit denen die Kinder der
Nachkriegszeit über den Asphalt
flitzen.
Wir WirtschaftsWunderKinder.Spielen und Spielzeug in den 1950er- und 1960-Jahren13. November 2016 - 24. September 2017
LVR-Freilichtmuseum KommernRheinisches Landesmuseum für VolkskundeEickser Straße | 53894 MechernichTel. 02443 - 9980 0 [email protected] www.kommern.lvr.de
Öffnungszeiten365 Tage im Jahr geöffnet!1. April – 31. Oktober, 9 – 19 Uhr1. November – 31. März, 10 – 17 UhrEinlass bis jeweils eine Stunde vor Schließung
Informationen zur Buchung von Führungen, Projekten und museumspäd. AngebotenMo – Fr, 8 – 18 UhrSa, So, feiertags, 10 – 15 Uhrkulturinfo rheinland | Tel. 02234 - 9921 555
Sabine Thomas-Ziegler
Sabine Thomas-Ziegler ist Kuratorin des LVR-Freilicht-
museums Kommern
Foto: Hans-Theo Gerhards / LVR-Freilichtmuseum Kommern
Picknick, Foto: Familie Thorsten Ziegler / Großbüllesheim
62
Die Autoren
Gabriele Dafft
Natalie Denk
Sepiedeh Fazlali
Franziska Ferdinand
Claudia Hopstein
Judith Heggen
Michael Jakobs
Daniel Jurgeleit
Susanne Kanngießer
David Körner
Torben Kohring
Charlotte Krickel
Heinrich Kuypers
Maic Masuch
Jörg Niesenhaus
Alexander Pfeiffer
Dirk Poerschke
Sascha Schmidt
Thorsten Schmolke
Sabine Thomas-Ziegler
Jan von Meppen
Sabine Warnecke
Anja Warnkross
Marietheres Waschk
Georg Weber
Thomas Wernbacher
Foto: Helene Claußen, LVR-ZMB
63